Büro der Synode - Evangelische Kirche in Deutschland
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Geschäftsstelle der Synode
Drucksache
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6. Tagung der 11. Synode
der Evangelischen Kirche in Deutschland
10. bis 13. November 2013
in Düsseldorf
REFERAT
zum Schwerpunktthema
Nachhaltige Landwirtschaft in ihrer Bedeutung
für die Ernährungssicherheit
Alexander Müller
- unredigierte Fassung -
Sehr geehrte Frau Dr. Schwaetzer, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Zunächst einmal möchte ich mich bedanken, dass Sie dieses Thema gewählt haben. Die
Frage der globalen Ernährungssicherheit bedarf einer breiten gesellschaftlichen Debatte. Es
braucht die Unterstützung vieler. Es ist ein technisches Thema, es ist ein soziales Thema, es
ist nicht zuletzt ein gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem ich 7 ½ Jahre beigeordneter
Generaldirektor der Welternährungsorganisation in Rom war, bin ich froh, Ihnen dieses
Thema etwas näher bringen zu dürfen.
Sie haben voll und ganz recht mit Ihrem Motto „Es ist genug für alle da“. Heute produziert die
Welt genügend Lebensmittel für alle. Niemand müsste hungern. Gleichzeitig haben wir die
schreckliche Situation, dass schätzungsweise 850 Millionen Menschen auf der Welt hungern.
Wenn man das in Zahlen übersetzt, die etwas besser vorstellbar sind, dann muss man sagen,
dass in Indien jeden Tag 4.000 Kinder vor Hunger sterben, obwohl genug für alle da ist.
Was ich jetzt versuchen will, ist, Ihnen ein paar Perspektiven zu geben, wie sich die Aufgabe
der Ernährungssicherheit in den nächsten Jahren stellen wird, was wir heute schon machen
müssen, um eine wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können - ich bin davon überzeugt,
dass dies möglich ist -, welche Weichenstellungen wir brauchen, aber auch wie groß
die Herausforderungen sind.
Ich glaube, dass man als generelle Botschaft sagen muss, dass für die Zukunft dieses Planeten
zwei Dinge neben den natürlichen Ressourcen ganz wesentlich sind: erstens die Art
und Weise, wie wir uns ernähren, was wir essen und wie wir Lebensmittel produzieren, und
zweitens ganz eng damit verknüpft die Frage, welche Energieformen wir benutzen und wie
viel Energie wir konsumieren.
Ich will auf drei Punkte eingehen, zum einen globale Triebkräfte, globale Trends, zweitens
über etwas reden, was als Skandal - ich nenne es wirklich so - viel zu wenig diskutiert worden
ist. Denn wir werfen jedes Jahr 1,3 Milliarden t Lebensmittel weg. Fast 30 % der erzeugten
Lebensmittel werden weggeworfen. Ich will drittens, auch weil jetzt gerade die Klimaschutzverhandlungen
in Warschau beginnen, auf den Klimawandel eingehen. Denn ich glaube,
dass die Ernährungssicherheit insbesondere in der südlichen Hemisphäre sehr eng mit
der Frage verknüpft ist: Werden wir es schaffen, die klimaschädlichen Treibhausgase zu
minimieren und werden wir Anpassungen für die landwirtschaftliche Produktion erreichen?
Ich beginne mit einem ersten Überblick über die Frage, wie viele Menschen im Augenblick in
der Welt hungern. Sie sehen an der oberen Linie, dass in den Entwicklungsländern in den
letzten Jahren ein leichter Trend nach unten stattgefunden hat. Weltweit hungern
850 Millionen Menschen, in den Entwicklungsländern allein schätzungsweise 820 bis 830
Millionen Menschen.
Es gibt Leute, die sagen: Wir sind auf einem guten Weg. Ich glaube nicht, dass wir auf einem
guten Weg sind. Erstens, weil die Anpassung sehr langsam geschieht und zweitens - da will
ich mich auf Afrika konzentrieren - weil die Anzahl der Hungernden in Afrika in den letzten
Jahren absolut gesehen gestiegen ist. Nehmen wir das Jahr 1990 mit 178 Millionen, die Jahre
2011 bis 2013 mit 226 Millionen. Die Vorhersagen gehen davon aus, dass in Afrika die
Zahl der Hungernden absolut gesehen zunehmen wird.
Natürlich kann man das auch als Relation darstellen: Anzahl der Hungernden an der Gesamtbevölkerung.
Da geht der Anteil leicht nach unten. Aber ich bin der Auffassung, dass wir
die absolute Anzahl der Menschen, die hungern, in den Mittelpunkt stellen müssen, um deren
Situation konkret verändern zu können.
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Wenn wir uns über die Frage Ernährungssicherheit Gedanken machen wollen, müssen wir
wissen: Wie wird sich die Weltbevölkerung zukünftig entwickeln? Wir alle haben die Zahl im
Kopf, dass im Jahr 2050 neun Milliarden und gegen Ende dieses Jahrhunderts möglicherweise
zehn Milliarden Menschen auf dieser Welt leben.
Ich habe Ihnen mit diesem Bild gezeigt, wie groß die Unsicherheiten sind. Die schwarze Linie
geht auf neun Milliarden in 2015 und auf knapp zehn Milliarden Ende dieses Jahrhunderts.
Die rote Linie ist die obere Linie der Bevölkerungsschätzung, und die grüne Linie ist die untere
Linie. Das heißt, wir haben es mit großen Unsicherheiten zu tun, sodass gesellschaftspolitische
Entscheidungen Auswirkungen auf die Zahl der Menschen haben werden, die auf diesem
Planeten leben. Aber insgesamt kann man sagen: Das Wachstum wird sich absolut
gesehen abflachen. Wir werden aber - das ist meine erste Botschaft für Sie - Regionen haben,
bei denen das Bevölkerungswachstum weitergeht.
Ich habe aus der letzten Bevölkerungsschätzung der UN das Bevölkerungswachstum zwischen
2010 und Ende dieses Jahrhunderts zusammengetragen. Man kann sehen, dass die
Bevölkerung Afrikas, Prognose mittlere Entwicklungslinie, um 2,5 Milliarden Menschen zunehmen
wird. Das mögen 2 Milliarden oder 1,8 Milliarden sein. Doch es ist vollkommen klar,
dass der Kontinent Afrika, was die Ernährungssicherung angeht, in den nächsten Jahren der
Brennpunkt sein wird, bei dem jede Menge Aktivitäten, Investitionen und kluge Politik gefordert
sind, um die Zunahme der Bevölkerung mit entsprechenden Maßnahmen in der Lebensmittelproduktion
begleiten zu können.
Ich will das noch einmal auf ein Land herunterbrechen: Äthiopien hat heute 85 Millionen Einwohner,
etwa so viele wie die Bundesrepublik Deutschland. Die mittlere Entwicklungsprognose
geht davon aus, dass 2050 - also in knapp 40 Jahren - 180 Millionen Menschen dort
leben werden, ein Plus von 100 Millionen. Wenn man die politisch Verantwortlichen in der
Bundesrepublik fragt: Glaubt ihr, dass wir ein Plus von 100 Millionen Menschen in der Bundesrepublik
verwaltungstechnisch irgendwie bewerkstelligen könnten? Das ist vollkommen
unklar.
Wir werden aber in afrikanischen Ländern sehen, dass das Bevölkerungswachstum sehr
wahrscheinlich weitergeht. Äthiopien plus 100 Millionen. Eine Stadt wie Lagos wird sich in
den nächsten 40 Jahren vervierfachen, sodass wir eine klare Prognose haben, wer sich um
Ernährungssicherung kümmern wird, obwohl in Afrika im Augenblick nicht die meisten Hungernden
leben. In Asien sind es über 500 Millionen, in Afrika im Augenblick 230 Millionen.
Das Bevölkerungswachstum in Afrika wird einen der entscheidenden Parameter für notwendige
Maßnahmen sein, die zu ergreifen sind.
Aber wir haben es auch mit einem zweiten Phänomen zu tun, das in ihrer Bibelarbeit auch
angesprochen worden ist. Das ist die Armut. Wenn wir heute schon genug Lebensmittel haben,
ist die Frage, warum so viele Menschen hungern, ganz einfach zu beantworten. Es ist in
vielen Bereichen die Armut.
Wenn man sich die Verteilung des Einkommens weltweit anschaut, dann kann man sagen:
Fast 80 % der Menschen leben weiterhin von weniger als 10 US-Dollar am Tag, und die
Ärmsten, 40 % der Weltbevölkerung, haben weniger als 5 % des globalen Einkommens. In
Regionen, in denen die Einkommensspreizung sehr groß und die Armut sehr dominant ist,
wird das größte Bevölkerungswachstum in den nächsten Jahren stattfinden, und zwar mit
weitreichenden Auswirkungen auf die Frage: Wie können und werden wir die Welt ernähren?
Gleichzeitig werden wir in einer städtischen Welt leben. Sie können hier in weiß die Zahl der
Menschen sehen, die auf dem Land leben, und in gelb die Menschen, die in den Städten
leben. Im Augenblick ist das Verhältnis 50 zu 50. Das wird sich aber auseinanderentwickeln.
Absolut gesehen wird die Zahl der Menschen, die auf dem Land leben, geringer werden. Wir
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werden Mega-Cities haben. Wir werden Städte mit 20 bis 25 Millionen Einwohnern mit einer
ganz geringen Infrastruktur haben. Es stellt sich die Frage: Wie kann die Versorgung der
Menschen mit Gütern des täglichen Bedarfs sichergestellt sein, wie kann Infrastruktur aufgebaut
werden? Das ist im Übrigen auch eine Frage der Bildung. Das heißt, die rapide urbanisierende
Welt wird große Veränderungen für die Landwirtschaft in der Umgebung und auch
für den globalen Handel mit landwirtschaftlichen Gütern mit sich bringen. Also plus
zwei Milliarden Menschen, meistens in den Städten, alle in Entwicklungsländern, und der
Schwerpunkt wird Afrika sein. Das ist die Herausforderung, die wir in den nächsten 30 bis 40
Jahren haben werden.
In den letzten Jahren seit 1961 hat die Welt die Produktion von Lebensmitteln um fast 150 %
- das ist die erste Säule - vergrößert, in den entwickelten Ländern um 60 % und in den Entwicklungsländern
um 255 %. Das heißt, es hat Fortschritte gegeben. Nach den Prognosen
der FAO wird der Lebensmittelbedarf in den nächsten Jahren weltweit um 60 % steigen. Die
Zunahme in den Entwicklungsländern wird mit 77 % geschätzt, das heißt, die Prozentzahl
der Anteile geht herunter, aber die Basis ist natürlich viel höher. Deswegen wird es darauf
ankommen - ich weiß, dass Joachim von Braun später über Kleinbauern reden wird -, ganz
zentral die Frage anzugehen: Wie können wir in Regionen, in denen es noch Hunderte von
Millionen von Kleinbauern gibt, deren Möglichkeit zu produzieren so unterstützen, dass sie in
der Lage sind, diese wachsende Weltbevölkerung zu ernähren? Es ist ja geradezu absurd,
wenn man feststellen muss, dass von den 826 Millionen Menschen, die in den Entwicklungsländern
hungern, schätzungsweise Zwei Drittel Kleinbauern sind, Menschen, die ein Stück
Land besitzen, die auf diesem Land anbauen, aber nicht einmal sich und ihre Familien ernähren
geschweige denn die lokalen oder regionalen Märkte bedienen können.
Wenn wir die Situation, wie wir sie heute haben, betrachten, dann stellen wir fest, dass wir zu
einer großen Veränderung der Ernährungslage der Bevölkerung kommen. Ich will das mit
einbringen. Wir haben im Augenblick im Jahr 2005, 2007 844 Millionen Menschen, die unterernährt
sind. Das sind 13 % der Weltbevölkerung. Gleichzeitig haben wir auf der anderen
Seite einen Trend, der hier mit obese/obesity, also krankhaftes Übergewicht beschrieben ist.
In der gleichen Zeit haben wir schon 570 Millionen Menschen, die eine andere Form der
Fehlernährung haben. Wenn man die Trends, wie sie jetzt bestehen, fortschreibt, wird es im
Jahr 2050 noch 330 Millionen hungernde Menschen geben, aber gleichzeitig 1,4 Milliarden
Menschen, die von ihrem Gesundheitszustand her übergewichtig sind und die die Gesundheitssysteme
- so sie denn existieren - vor gewaltige Herausforderungen stellen.
Man kann in den Vereinigten Staaten von Amerika heute schon sagen, dass die ernährungsbedingten
Krankheiten mit zu den größten Kostentreibern des Gesundheitssystems gehören.
Es gibt Untersuchungen, dass Diabetes Typ II, sogenannte Altersdiabetes, in Afrika eine
ähnlich hohe Prävalenz hat wie HIV/Aids.
Das heißt, wir kommen aus einer Situation, in der Menschen unterernährt sind, mangelernährt
sind, in Situationen, wo Menschen über die Aufnahme von Kalorien - und ich spreche
hier nur über Kilokalorien - in Gefahr geraten, sich in einer anderen Weise fehl zu ernähren.
Die Prognose für das Jahr 2080 geht davon aus, dass immer noch 150 Millionen Menschen
hungrig sind, aber zwei Milliarden Menschen als stark übergewichtig betrachtet werden müssen.
Das heißt, wir stehen vor der Herausforderung, zum einen den Hunger in der Welt zu bekämpfen,
dafür zu sorgen, dass niemand - wirklich niemand - hungern muss, auf der anderen
Seite ein Ernährungssystem aufzubauen, das nicht als Nebenfolge krankheitsbedingte
Fehlernährung und Krankheiten aufgrund falschen Lebensmittelkonsums mit sich bringt, was
von den Gesundheitssystemen der Welt überhaupt nicht aufgefangen werden kann. Die Aufgabe
ist also eine doppelte, vor der wir stehen, und das muss mit den knappen Ressourcen
getan werden.
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Was wir bei den Veränderungen auf globaler Ebene auch sehen, ist, dass wir über die enge
Verknüpfung von Bioenergie und Lebensmittelproduktion eine neue Situation haben. Sie
sehen hier dieses Bild über die Vereinigten Staaten von Amerika. Die blaue Linie steht für
den Mais, der für den Konsum beim Menschen angebaut wird. Die grüne Linie zeigt die Tiernahrung,
also das Tierfutter, und was sich in Rot abzeichnet, ist der Mais für die
Ethanolproduktion, die im Jahr 2010/11 über 120 Millionen Tonnen betragen hat. Wir haben
eine enge Verknüpfung zwischen der Produktion in der Landwirtschaft und dem Energiesektor,
die sich in einer Art und Weise so auswirkt, wie ich es hier einmal zusammengestellt habe,
dass der Ölpreis seit einiger Zeit den Maispreis bestimmt.
Der Energiesektor ist so riesig, der kann sehr vieles aus der landwirtschaftlichen Produktion,
wenn denn Bioenergiefabriken da sind, aufnehmen, und deswegen wird der Ölpreis den
Maispreis und damit auch indirekt die Lebensmittelpreise ganz stark bestimmen. Das heißt,
von den globalen Trends haben wir immer noch zu viel Hunger auf der Welt, wir haben eine
wachsende Weltbevölkerung in Städten in den Entwicklungsländern, wir haben einen Trend
zum Übergewicht bei gleichzeitigem Hunger in armen Ländern, und wir haben eine neue
Verknüpfung zwischen der Produktion von Energie einerseits und landwirtschaftlicher Produktion
andererseits. Das ist kein Naturgesetz, sondern ist durch politische Entscheidungen
über entsprechende Gesetze mit verantwortet worden. Das sind die großen Trends, von denen
wir wissen, dass sie in den nächsten Jahren in etwa kommen werden. Das ist natürlich
alles mit Unsicherheiten behaftet, aber wir wissen, darauf haben wir uns einzustellen.
Gleichzeitig haben wir eine Situation, dass wir die Landwirtschaft als stärksten Verbraucher
von Wasser haben. Landwirtschaft verbraucht im Augenblick etwa 70 % des aus dem Naturkreislauf
entnommenen Wassers, in einigen Entwicklungsländern bis zu 90 %, die Städte
10 %, die Industrie 20 % - und wenn man die absoluten Zahlen anschaut, bedeutet das, der
Wasserbedarf der Landwirtschaft wird steigen.
Landwirtschaft ist Wasserverbraucher Nr. 1! Der Mensch braucht zum Trinken zwei bis drei
Liter jeden Tag, für den Haushalt je nach Zivilisationsstand und je nachdem, wo wir leben,
100 bis 120 Liter, aber pro Kilokalorie, die produziert wird, verbrauchen wir im globalen
Schnitt einen Liter Wasser, das heißt, jeder von uns, der oder die 2.500 Kilokalorien zu sich
nimmt, verbraucht für die Produktion 2.500 Liter Wasser. Wasser wird also in vielen Regionen
der Welt der zentrale Faktor sein, um die Lebensmittelproduktion weiterhin aufrechterhalten
zu können oder nicht mehr aufrechterhalten zu können. Deshalb ist es so entscheidend
zu sehen, was wir an natürlichen Ressourcen wegwerfen, wenn wir Lebensmittel wegwerfen.
Die landwirtschaftliche Produktion wirft im Augenblick jährlich 1,3 Milliarden Tonnen
agrarische Produkte weg. Wenn wir uns die unterschiedlichen Bereiche einmal anschauen,
dann haben wir beim Getreide den größten Anteil, und Sie sehen hier die Bereiche bis hin zu
Milch und Butter. Ich gehe jetzt die einzelnen Bereiche nicht durch.
In den Entwicklungsländern werden Lebensmittel weggeworfen, weil die Produktion nach der
Ernte im Wesentlichen nicht mit dem Ernteaufkommen zusammenkommt. Wir haben zu wenig
Infrastruktur, zu wenig Fabriken, Kühl- und Lagermöglichkeiten. In den Industrieländern
geschieht das meist über die Supermärkte und die Haushalte. Wenn wir uns das anschauen,
sehen wir, dass erstaunlicherweise in Asien 299 Kilogramm pro Person und Jahr weggeworfen
werden. In Afrika südlich der Sahara sind es 200 Kilogramm. Das heißt einfach, die Lebensmittel
erreichen die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht. Deshalb ist in den Entwicklungsländern
eine massive Investition in die Infrastruktur erforderlich. Selbst dann, wenn
die Produktion weiter ausgeweitet wird und der Marktzugang, die Lagermöglichkeiten und die
Weiterverarbeitung nicht möglich sind, dann wird dieser Anteil eher steigen, als dass die
Menschen ernährt werden. Ich habe einmal einen Vortrag in Ghana gehalten. Dann kamen
anschließend Bauern zu mir und haben gesagt: Ihr wollt, dass wir mehr produzieren, wir werfen
doch heute schon 80 % unserer Tomaten weg, weil wir sie nicht auf die Märkte bringen,
weil wir nicht wissen, was wir damit anfangen sollen. Das heißt, Investitionen in die Infra-
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struktur in den Entwicklungsländern müssen einhergehen mit der Ausweitung der Produktion,
damit die Lebensmittel dann auch entsprechend zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern
kommen.
Ich habe das noch einmal unterteilt in Entwicklungsländer, in denen nach der Ernte oder vor
der Ernte die Verluste knapp 30 % der Lebensmittel ausmachen. Bei uns sind es die Supermärkte.
Wenn man das einmal auf die CO 2 -Emissionen umrechnet: Wären die Lebensmittelabfälle
ein Land, dann wären sie auf der Liste der Länder, die CO 2 emittieren, auf Platz 3.
Nach China und den USA ist Lebensmittelabfall - das sind natürlich Modellrechnungen - der
drittgrößte Emittent von CO 2. Wir haben also die Situation, wir verbrauchen natürliche Ressourcen
- Land, Wasser, es wird Energie eingesetzt - und gleichzeitig verhungern Menschen
in den Regionen, und durch Lebensmittelabfälle tragen wir zum Klimawandel bei mit all seinen
Folgen, gerade auch für die Landwirtschaft.
Wenn wir uns einmal die unterschiedlichen Lebensmittel anschauen, stellen wir fest, dass wir
im Bereich Fleisch einen relativ geringen Anteil an Abfällen haben, aber einen hohen Anteil
an CO 2 -Emissionen haben. Das ist vollkommen klar: Man braucht, um ein Kilogramm Rindfleisch
zu produzieren, sieben Kilogramm Getreide oder 15.000 Liter Wasser, und wenn man
durch die gesamte Kette geht, dann stellt man fest, wenn man 5 bis 8 % des erzeugten Fleisches
wegwirft, hat man fast 25 % der Gesamtemissionen dabei. Wir leben also in einem
System, das augenblicklich weder die Welt ernährt noch - wenn man sich die Umweltauswirkungen
betrachtet - nachhaltig ist. Hier anzusetzen und zu Veränderungen zu kommen, führt
wirklich dazu, dass wir natürliche Ressourcen schützen, mehr Menschen ernähren und die
Landwirtschaft insgesamt nachhaltiger aufstellen müssen. Das gilt auch für Wasser. Wenn
man sich anschaut, wie viel Wasser in den Lebensmitteln vorhanden ist, die weggeworfen
werden, dann sind das 250 Kubikmeter. Das ist in etwa das dreifache Volumen des Genfer
Sees. Das heißt, wir gehen mit den Lebensmitteln um, als ob sie keine natürliche Basis hätten,
auf der sie produziert werden, und gleichzeitig haben wir den Skandal des Hungers in
der Welt. Deswegen: Heute ist genug für alle da. Die Frage ist: Welche Systeme zur Ernährungssicherung
der nächsten Jahre und Jahrzehnte brauchen wir, wenn wir wissen, dass es
Knappheit bei den natürlichen Ressourcen gibt, das Land dekadiert, das Wasser in vielen
Regionen das Risiko Nummer 1 für Stabilität und Frieden ist? Dann wird vollkommen deutlich,
dass die Lebensmittelproduktion ein zentraler Punkt ist, um diese Welt im Positiven oder
auch im Negativen zu verändern. Ähnliches gilt auch für Land, aber das überspringe ich jetzt.
Jetzt will ich noch einmal versuchen, die Herausforderungen aus dem Klimawandel zusammenzuführen.
Wir haben einmal auf diesem Bild der Erde zusammengestellt, wo - das sieht
man an den roten Kreuzen und an den dunkelgrünen Flächen - der Bedarf an Lebensmitteln
in den nächsten Jahren zunehmen wird. Wir haben versucht, eine globale Karte zu erstellen,
bei der die Zunahme des Bedarfs an Kilokalorien pro Tag und Quadratkilometer auf die Karte
übertragen wird. Sie sehen hier die gesamten Hotspots. Hier wird er zunehmen, und in Europa
- das sieht man an der hellgrünen Farbe - wird er abnehmen.
Wenn man sich einmal ganz grob und schematisch die Vorhersagen des Weltklimarates anschaut,
wo mit erhöhter Dürregefahr zu rechnen ist, sieht man, dass dies in Regionen passiert,
von denen wir gleichzeitig wissen, dass der Bedarf an Lebensmitteln steigen wird.
Wenn man sich die extremen Wettereignisse betrachtet - da haben wir in den letzten Tagen
leider wieder ein schreckliches Beispiel bekommen - und wenn wir uns anschauen, wo der
Meeresspiegel ansteigen wird, sehen wir eine Karte, die schrecklicherweise sehr identisch ist
mit der Karte über den künftigen Bedarf an Lebensmitteln zuzüglich der Risiken durch den
Klimawandel.
Von daher bin ich fest davon überzeugt, dass die Frage der Enährungssicherung zusätzlich
zu den Punkten, die ich Ihnen schon genannt habe, sehr eng mit der Frage zusammenhängt,
ob wir es schaffen, den globalen Ausstoß von Emissionen so weit zu reduzieren, dass noch
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Anpassungsmaßnahmen der Landwirtschaft möglich sind. Wir sind im Augenblick auf einem
Pfad, der über das gesetzte 2-Grad-Ziel hinausgeht. Es gibt Wissenschaftler, die sagen, wir
sind auf einem Emissionspfad mit einer globalen Erwärmung von plus 3 bis plus 4 Grad. In
Afrika, südlich der Sahara könnten es plus 6 Grad sein.
Wie Anpassungsmaßnahmen der Landwirtschaft im Jahr 2050 oder im Jahr 2080 bei solchen
steigenden Emissionspfaden aussehen soll, weiß heute noch niemand so wirklich.
Deswegen brauchen wir eine Situation, in der sich die Landwirtschaft auf den Klimawandel
einstellt. Wir hatten in Europa im Jahr 2000 eine Hitzewelle. Da wurde die landwirtschaftliche
Produktion um 30 % reduziert. Es gab einen Schaden allein in Europa von 13 Milliarden €. Er
wurde über Hilfsmaßnahmen der Europäischen Union ausgeglichen. Wie es in Entwicklungsländern
aussehen wird, wenn ein globaler Temperaturanstieg um 4 Grad wahr werden sollte,
kann sich im Augenblick niemand vorstellen.
Deswegen ist die Debatte „Es ist genug für alle da“ meines Erachtens mit der Frage verbunden:
Was müssen wir heute tun, damit auch morgen noch genug für alle da ist? Das ist eine
entwicklungspolitische und eine sozialpolitische Aufgabe, ist aber auch eine wesentliche
Herausforderung für die Frage, wie wir die natürlichen Ressourcen bewirtschaften und wie
es uns gelingt, den Klimawandel so einzudämmen, dass Anpassungsmaßnahmen gerade in
Regionen der südlichen Hemisphäre, wo der Bedarf an Lebensmitteln sich weiter erhöhen
wird, insgesamt da sind.
Wasser wird wiederum der zentrale Punkt sein. Sie sehen eine sehr grobe Einschätzung, wie
sich die Wasserverfügbarkeit im Jahr 2050 durch den Klimawandel verändern kann. Da
brauchen wir gar nicht so weit zu gehen. Rund um das Mittelmeer - Nordafrika, aber auch
Spanien und Teile von Südfrankreich und Italien und entlang des Nils - befindet sich einer
der Hotspots. Das heißt, in Regionen, zum Beispiel in Nil-Regionen, die heute schon von
politischen Konflikten gekennzeichnet sind, wird es über Wasser zu neuen Verteilungskonflikten
kommen.
Als ich noch bei der FHO war, haben wir über sechs Jahre ein Projekt mit allen Nil-
Anrainerstaaten gemacht und versucht herauszufinden, welche Planungen für die Intensivierung
der Bewässerung der Landwirtschaft es gibt. Wir haben die Planungen übereinander
gelegt, und da war völlig klar: Es ist nicht genug Wasser für alle Pläne da.
Betrachtet man den Staudamm in Äthiopien, weiß man, dass Pläne, die heute angedacht
sind und teilweise schon realisiert werden, im Jahr 2050 mit der Veränderung der Regenfälle,
die möglicherweise kommen wird, das Potenzial zu einem großen Konflikt haben. Da stellt
sich die Frage: Wenn wir heute nicht aktiv handeln, wird dann morgen wirklich noch genug
für alle da sein?
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