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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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Über den damaligen Berliner Rundfunk wetteiferten die besten Köpfe Mitteleuropas, die<br />

Berliner zu unterhalten, keiner der großen Namen fehlte; literarische und musikalische<br />

Schnulzen waren noch so gut wie unbekannt; das Thema des Abends bildete jeweils am<br />

Morgen in den Verkehrsmitteln und Büros der Millionenstadt den Hauptgesprächsstoff;<br />

eine Oper oder ein größeres Musikwerk im Programm erreichten, daß die entsprechenden<br />

Partituren und Klavierauszüge in allen öffentlichen Bibliotheken auf lange Zeit<br />

ausgeliehen waren; Sonderdrucke der Operntexte und der Texte von Theaterstücken, die<br />

auf der »Sendebühne« erschienen, wurden an allen Zeitungskiosken in großen Auflagen<br />

billig verkauft; im Volkshochschulfunk der »Deutschen Welle«, die seit 1926 ein eigenes<br />

Bildungsprogramm ausstrahlte, bemühten sich ernsthafte Wissenschaftler um das breite<br />

Publikum, und die eigene Aktivität, die dieses Publikum mitbrachte, wurde so hoch<br />

eingeschätzt, daß man jahrelang unvollständige Kammermusikstücke sendete – etwa<br />

Quartette, von denen nur drei Stimmen hörbar gemacht wurden –, damit der Einzelne zu<br />

Hause die fehlende Stimme ergänzen und sich beim »Musizieren mit unsichtbaren<br />

Partnern« vergnügen könne.<br />

Die ersten, die sich intensiv um den Aufbau des Rundfunks und seiner frühen Programme<br />

bemühten, gehörten noch den Generationen an, die aus den siebziger bis neunziger<br />

Jahren stammten. Ihr Spürsinn und ihre Toleranz waren so vorbildlich, daß sie, ehe sie<br />

verjagt wurden, auch den damals ganz jungen Kräften – den Geburtsjahrgängen bis etwa<br />

1908 – noch rechtzeitig zur Sprache verhalfen: Eich, Hoerschelmann, Weyraudl und viele<br />

andere, die später erst bekannt wurden, tauchten zwischen 1929 und 1936 – freilich noch<br />

mit untypischen Jugendarbeiten – zum ersten Male auf. Beide, die Alten wie die Jungen,<br />

verstummten nach und nach, als mit den Nazis die Dreißigjährigen ans Ruder kamen,<br />

denen der Rundfunk nichts war als ein »politisches Führungsmittel«. Sie gehörten meist<br />

zu jener Generation, die noch gerade am Ende des ersten Weltkriegs Soldat spielen<br />

mußte, hatten zum Teil dann in den Freikorps mitgekämpft und auf jeden Fall nie gelernt,<br />

an Ordnung und Recht zu glauben. Dafür glaubten sie an das Präjudiz der hastigen Tat<br />

und die Berufung der Täter zu Übermenschen. Sie empfanden sich – persönlich und<br />

politisch – als zu kurz Gekommene, die um keinen Preis wieder zu kurz kommen wollten.<br />

Geistig hatten sie nur die Notreife eines Krieges, dessen große Parolen aus dem wirren<br />

Idealismus des Turnvaters Jahn und einem halbgebildeten, zynischen Kraft- und Stoff-<br />

Materialismus bestanden. Die abstruse »Weltanschauung«, die daraus zusammengebraut<br />

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