Aus der Einsatzrealität zurück in den Alltag ( PDF , 2,1 MB, 13 Seiten)

IV. Neuer Auftrag der Bundeswehr
1. Legitimation und Akzeptanz
Anja Seiffert
Aus der Einsatzrealität zurück in den Alltag
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr kommen aus den Auslandseinsätzen mit
Erfahrungen im Gepäck zurück, die im Alltag unserer modernen westlichen
Gesellschaften nur wenig präsent sind. Viele von ihnen sind in internationalen
Krisenregionen fern von Deutschland mit Elend und Zerstörung konfrontiert worden,
erlebten Tod und Verwundung und manche haben in ihren Einsätzen auch selbst in
Gefechten gestanden und getötet. 1 In den Auslandseinsätzen der Bundeswehr haben
seit 1992 bislang 103 Soldaten ihr Leben gelassen, jeder zweite davon in Afghanistan. In
Kampfhandlungen gefallen sind bisher 37 Bundeswehrsoldaten. Allein im
Afghanistaneinsatz fielen 35 deutsche Soldaten. 2
Einschneidende Einsatzerlebnisse, zumal jene mit direktem und indirektem
Gewaltbezug, aber auch der glückliche Abschluss eines Einsatzes lassen sich nach der
Rückkehr nach Deutschland nicht so einfach abhaken, sondern müssen verarbeitet und
in das alltägliche Leben zuhause integriert werden. Vielen gelingt das scheinbar auch
ohne größere Schwierigkeiten. Nicht wenige der zurückkehrenden Soldatinnen und
Soldaten berichten in zahlreichen Interviews, die wir im Rahmen unserer Forschungen
über die Langzeitfolgen von Einsatzerfahrungen mit Soldatinnen und Soldaten des
deutschen 22. ISAF Kontingents geführt haben, sogar von positiven Veränderungen.
Dazu gehören etwa ein gesteigertes Selbstwertgefühl oder eine höhere Wertschätzung
des Lebens. 3 Dennoch kann die Bearbeitung dieser Erfahrungen herausfordernd und
1 Siehe zu den Erfahrungswelten im Einsatz Anja Seiffert, Generation Einsatz, in: Aus Politik und
Zeitgeschichte APuZ, 44/2013, 28. Oktober 2013, 11-17.
2 Vgl.
http://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/!ut/p/c4/DcjBDYAgDAXQWVyA3r25hXohRT7YgMUE1ITpJe_2aKdB-
ZXITYpyppW2Q2b3Gfd5mAgPTVDT-cxQ-6i3gVMb04pHDYycYeWyEK3cOt1pmX5GIQYT/#par4
und http://www.icasualities.org (23.01.2014).
3 Ein Forscherteam des SOWI (jetzt ZMSBw) begleitet im Auftrag des Bundesministeriums der
Verteidigung nunmehr seit dreieinhalb Jahren die Soldatinnen und Soldaten des 22. Kontingents
ISAF, die überwiegend von März bis Oktober 2010 im Einsatz in Afghanistan waren. Die
Angehörigen des Kontingents wurden in den vergangenen Jahren mehrfach befragt. In
zahlreichen Interviews, mit Hilfe von Fragebogen und auch durch Beobachtungen im Einsatz
wurden Erkenntnisse zur Einsatzrealität und zu den langfristigen Folgen von Einsatzerfahrungen
gesammelt. Die Studie ist die erste sozialwissenschaftliche Langzeitbegleitung von
1

manchmal auch überwältigend sein. Die Spuren des Erlebten können sich nicht nur in
einem veränderten Wertehorizont, sondern ebenso in Fremdheitsgefühlen oder in
seelischen Verletzungen zeigen, die mitunter noch lange nach dem Einsatz oder auch
erst nach Ausscheiden aus dem aktiven Dienst auftreten. 4
Gruppentherapieraum im
Bundeswehrkrankenhaus Berlin.
Mit Anderen über Erlebtes
sprechen – ein Teil der Behandlung
von Posttraumatischen
Belastungsstörungen (PTBS).
Foto: Bundeswehr/Pulpanek
Beredtes Zeugnis dafür legt die in den letzten Jahren gestiegene Zahl von Soldatinnen
und Soldaten ab, die vor allem nach ihrem Einsatz in Afghanistan unter psychischen
Erkrankungen leiden. 5 Die von Prof. Hans-Ulrich Wittchen vom Institut für Klinische
Psychologie und Psychotherapie der TU Dresden geleitete sogenannte
Dunkelzifferstudie kommt zu dem Schluss, dass von 10.000 Bundeswehrsoldaten rund
300 pro Jahr mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) aus dem Einsatz
zurückkehren. Im Vergleich zu den PTBS-Raten US-amerikanischer Soldatinnen und
Soldaten, die im Irak oder in Afghanistan eingesetzt waren, sind diese Zahlen noch
gering. Allerdings bleibt der Studie zufolge nahezu jeder zweite PTBS-Fall (45 Prozent)
Einsatzsoldaten und Veteranen der Bundeswehr. Die bisherigen Ergebnisse sind in Form von
Berichten dem Auftraggeber vorgelegt und in Teilen auch veröffentlicht worden. Siehe etwa die
Beiträge von Seiffert, Langer und Pietsch in: dies. (Hrsg.), Der Einsatz der Bundeswehr in
Afghanistan. Sozial- und Politikwissenschaftliche Perspektiven, Wiesbaden 2012 sowie zu den
Spätfolgen Anja Seiffert/Julius Heß, Afghanistanrückkehrer. Der Einsatz, die Liebe, der Dienst
und die Familie. Ausgewählte Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Langzeitbegleitung des 22.
Kontingents ISAF, unveröff. Bericht, Potsdam 2013.
4 Vgl. Seiffert/Heß, Afghanistanrückkehrer, S.35 sowie zu den Auswirkungen von
Einsatzerfahrungen auf Einstellungen und Orientierungen: Anja Seiffert, Generation Einsatz –
Einsatzrealitäten, Selbstverständnis und Organisation, in: dies./Phil C. Langer/Carsten Pietsch
(Hrsg.), Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, S. 79-100.
5 Vgl. Psychotraumazentrum Bundeswehrkrankenhaus Berlin (Hrsg.), Jahrbuch 2011/2012, Berlin
2013, 20ff; Peter Zimmermann/Herbert Jacobs/Jens T. Kowalski, ISAF und die Seele – Zwischen
Schädigung und Wachstum, in: Anja Seiffert/Phil C. Langer/Carsten Pietsch Der Einsatz der
Bundeswehr in Afghanistan, S. 143-152: 143.
2

in der Bundeswehr unerkannt und dementsprechend unbehandelt. Wesentlich
unterschätzt werden zudem andere einsatzbedingte psychische Störungen,
beispielsweise Angststörungen oder beginnende Alkoholabhängigkeit. Den Grund,
warum sich die betroffenen Soldatinnen und Soldaten mit ihrem Leiden in der
Bundeswehr nur selten offenbaren, besteht vor allem in „massiven Barrieren“, die die
Betroffenen wahrnehmen. 6 Für Veteranen 7 , hier verstanden als bereits aus der
Bundeswehr ausgeschiedene Soldatinnen und Soldaten, die mindestens 30 Tage in
einem Auslandseinsatz eingesetzt waren, liegen hingegen noch keine offiziellen Zahlen
zu psychischen Folgeerkrankungen vor.
Zwischen individueller und gesellschaftlicher Aufarbeitung von Einsatzerfahrungen
Ein neues Phänomen ist das unterdessen nicht. So formulierte der US-amerikanische
Psychotherapeut Jonathan Shay Mitte der 90er Jahre basierend auf Eindrücken, die er
im Laufe seiner Arbeit mit Vietnamkriegsveteranen gesammelt hatte: „Menschen
verlassen das Land und kehren zurück mit Erfahrungen, die auf extreme Weise anders
sind als die ihrer zurück gebliebenen Mitmenschen.“ 8 Besonders die Zeit nach der
Rückkehr aus dem Einsatz kann so für alle Beteiligten zu einer großen Belastungsprobe
werden. Sowohl die heimkehrenden Soldatinnen und Soldaten als auch ihr soziales
Umfeld, müssen sich erst wieder in den gemeinsamen Alltag einfinden und sich an die
alltäglichen Routinen zu Hause und am Standort gewöhnen. Auch neu erworbene
Wertvorstellungen und Verhaltensänderungen, die die Soldatinnen und Soldaten in
ihren Einsätzen kennen- und schätzen gelernt haben, müssen mit dem Leben zu Hause
in Einklang gebracht werden.
Durch die lange Abwesenheit können sich aber auch die Rollen- und Verhaltensmuster
im familiären und sozialen Umfeld gewandelt haben und das Zusammenleben
6 Vgl. Hans-Ulrich Wittchen/Sabine Schönfeld et al., Traumatische Ereignisse und
posttraumatische Belastungsstörungen bei im Ausland eingesetzten Soldaten. Wie hoch ist die
Dunkelziffer?, in: Deutsches Ärzteblatt Int. 2012; 109(35-36): S. 559-68.
DOI:10.3238/arztbl.2012.0559 (20.12.2013); Hans-Ulrich Wittchen/Sebastian Trautmann Prävalenz,
Inzidenz und Determinanten von traumatischen Ereignisse, PTBS und anderen psychischen
Störungen bei Soldaten mit und ohne Auslandseinsatz, Information zur Pressekonferenz am
26.11.2013, S. 1-7.
7 Im vorliegenden Beitrag wird zwischen aktiven Soldaten und Veteranen der Bundeswehr
unterschieden. Von Veteranen wird gemäß der offiziellen Definition immer dann gesprochen,
wenn Soldatinnen und Soldaten gemeint sind, die bereits aus der Bundeswehr ausgeschieden
sind und mindestens 30 Tage in einem Auslandseinsatz eingesetzt waren. Vgl. zum
Veteranenbegriff der Bundeswehr http://www.bundeswehr.de (28.12.2013).
8 Jonathan Shay, Achill in Vietnam. Kampftrauma und Persönlichkeitsverlust, Hamburg 1998
(engl. 1995) , S. 57.
3

herausfordern. 9 Weit schwieriger noch ist das Einfinden in den Alltag für diejenigen,
die psychisch oder physisch versehrt zurückkehren. Für sie und ihr Umfeld verändert sich
das Leben von Grund auf. Sie müssen dann neue Lebensperspektiven entwickeln und
dabei auch unterstützt werden.
Scharfschütze
beim Feuern aus einer
Stellung in Afghanistan.
Foto: Bundeswehr/Wayman
Einsatzerlebnisse haben also nicht nur individuelle, sondern auch gesellschaftliche
Auswirkungen, unabhängig davon, ob diese von den Betroffenen als positiv oder
negativ wahrgenommen werden. Die Rückkehrer agieren nicht in einem
abgeschlossenen Raum, sondern in einem sozialen Umfeld, das von ihren Erfahrungen
ebenso mit beeinflusst wird wie umgekehrt der gesellschaftliche Kontext die
Möglichkeiten der individuellen Bearbeitung mitbestimmt.
Einsatzsoldaten und Veteranen der Bundeswehr kehren in eine Gesellschaft zurück, in
der ihre Erfahrungen weder auf einen ausgeprägten kulturellen noch politischen
Resonanzboden treffen. Schon die Konfrontation mit Sterben, Trauer und Tod macht
viele in unserer modernen Gesellschaft sprach- und auch hilflos. Der gewaltsame Tod
von Soldatinnen und Soldaten oder das Töten des Gegners in fernen Einsatzländern
stößt bei uns erst recht auf Befremden. Zwar ist Deutschland nach der Zäsur des Ost-
West-Konfliktes zu einem – wenngleich zurückhaltenden – Akteur im weltpolitischen
Interventionsgeschehen geworden; den Deutschen werden die möglichen Folgen, die
Einsätze fern der Heimat für die eigene Gesellschaft haben können, aber offenbar erst
langsam bewusst.
9 Vgl. Anja Seiffert/Julius Heß, Afghanistanrückkehrer sowie Peter Wendl, Soldat im Einsatz -
Partnerschaft im Einsatz. Praxis- und Arbeitsbuch für Paare und Familien in Auslandseinsatz und
Wochenendbeziehung, (4. Aufl.) Freiburg et al. 2013; Maren Tomforde, Einsatzbedingte
Trennung. Erfahrungen und Bewältigungsstrategien, Forschungsbericht des
4

Das lässt sich auch an der in unserer Gesellschaft weit verbreiteten Sprach- und
Begriffslosigkeit ablesen, wenn es um die öffentliche Erinnerung an die Einsatztoten
der Bundeswehr oder um die Anerkennung und Würdigung jener geht, die in den
Einsätzen im Auftrag und mit Mandat des Parlaments hohe Risiken und große
Verantwortung getragen haben. Veteranen und Gefallene, Traumatisierte und
Versehrte sind für die Bundeswehr keine Randerscheinung mehr. Die deutsche
Gesellschaft aber kennt ganz offensichtlich weder für den Soldatentod noch für die
neuen Veteranen eine positive Konnotation oder kulturelle Repräsentation.
Rettung
Vier verwundete Soldaten
werden mit dem MedEvac-Airbus
der Bundeswehr im Mai 2011
nach Deutschland transportiert
und in das Zentralkrankenhaus
Koblenz gebracht.
Foto: Bundeswehr/Bicker
Verwunderlich ist das nicht, sind friedens- und sicherheitspolitische Einstellungen doch
von grundlegenden Haltungen und Wertüberzeugungen geprägt, die sich nicht so
schnell ändern. 10 Im Verständnis der meisten Deutschen ist die Bundeswehr vor allem
für friedensbewahrende und -schaffende Einsätze gedacht. Das belegen die jährlichen
Bevölkerungsbefragungen des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr (seit
2013 in das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
integriert). Kampfeinsätze hingegen werden seit Jahren von einer großen Mehrheit der
deutschen Bevölkerung abgelehnt. 11
Die in der Rückkehrdebatte zentralen Begriffe wie Gefallene, Versehrte oder Veteranen
verweisen aber auf eben jenen, mit Kampfhandlungen verbundenen, Einsatzkontext.
Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr (78), Strausberg 2006.
10 Vgl. hierzu im europäischen Vergleich Heiko Biehl, United we Stand, Divided we Fall? Die
Haltungen europäischer Bevölkerungen zum ISAF-Einsatz, in: Anja Seiffert/Phil C. Langer/Carsten
Pietsch, Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, S. 169-186.
11 Siehe die Ergebnisse der repräsentativen Bevölkerungsbefragungen des SOWI, jetzt ZMSBw,
zum verteidigungs- und sicherheitspolitischen Meinungsklima in der Bundesrepublik
Deutschland unter:
http://www.zmsbw.de/html/publikationen/sozialwissenschaften/forschungsberichte (22.12.2013).
5

Dennoch trifft die weit verbreitete Auffassung, wonach moderne Gesellschaften immer
weniger bereit sind, eigene Opfer in den „neuen Kriegen“ hinzunehmen, 12 so pauschal
offenbar auch für Deutschland nicht zu. 13 In einer Analyse von Bevölkerungsdaten hat
Rüdiger Fiebig beispielsweise darauf hingewiesen, dass der Zuspruch der Deutschen zu
einem militärischen Einsatz maßgeblich davon abhängt, ob dieser von der Bevölkerung
auch als Erfolg wahrgenommen wird. 14
Soldat und Familie
Der Soldat geht in den
Einsatz und verabschiedet
sich von seiner Familie, die
er nun eine Zeitlang nicht
sehen wird.
Foto: Bundeswehr/Herholt
Dieser Befund spricht zunächst einmal dafür, dass die Deutschen einen Auslandseinsatz
der Bundeswehr dann mittragen, wenn sie auch den Sinn des Einsatzes erkennen
können. Nur noch jeder vierte Bundesbürger aber bewertet den Afghanistaneinsatz als
Erfolg. 15 Viele in der Bevölkerung fragen sich offenbar, wofür sie überhaupt noch die
Risiken und Kosten des Einsatzes mittragen sollen, wenn sie immer weniger erkennen
können, welche Fortschritte durch diesen Einsatz erzielt werden. Dies wird aber
scheinbar nicht der Bundeswehr angelastet. Die weit überwiegende Mehrheit der
Deutschen ist unverändert von der Relevanz der Bundeswehr überzeugt. 16 Während
also ein konkreter Einsatz durchaus kritisch in der Bevölkerung gesehen werden kann,
bleibt die Grundhaltung gegenüber den Streitkräften dennoch relativ stabil.
12 Vgl. zur postheroischen Gesellschaft Herfried Münkler, Der Wandel des Krieges. Von der
Symmetrie zur Asymmetrie, Weilerswist 2006.
13 Darauf hat jüngst auch Sönke Neitzel hingewiesen. Vgl. ders., Der Westen und die neuen
Kriege, in: Beilage zu Mittelweg 36(5), Hamburg, Oktober/November 2013, S. 63-78.
14 Vgl. Rüdiger Fiebig, Die Deutschen und ihr Einsatz – Einstellungen der Bevölkerung zum ISAF-
Einsatz, in: Anja Seiffert/Phil C. Langer/Carsten Pietsch (Hrsg.), Der Einsatz der Bundeswehr in
Afghanistan, S. 187-204: 201.
15 Vgl. Thomas Bulmahn, Ergebnisse der Bevölkerungsbefragung 2012. Wahrnehmung und
Bewertung des Claims „Wir. Dienen. Deutschland“, Image der Bundeswehr sowie Haltungen zum
Umgang mit Veteranen, Kurzbericht Strausberg 2012.
16 Vgl. Bulmahn, Bevölkerungsbefragung 2012, S. 31.
6

Auch den meisten Einsatzrückkehrern ist bewusst, dass sich viele in unserer Gesellschaft
gerade mit Kampfeinsätzen nicht leicht tun. Das erschwert die Verarbeitung dieser
Erfahrungen für die betroffenen Soldatinnen und Soldaten. Vielfach berichteten
Einsatzsoldaten in Interviews davon, dass sie ihre im Ausland gemachten
Gewalterfahrungen zu Hause oder am Standort lieber verschweigen. 17 Zu fremd
scheinen den Soldatinnen und Soldaten die Erfahrungswelten ihrer Einsätze und die
Lebenswirklichkeiten hier in Deutschland. Es gibt offenbar etwas Unaussprechliches,
was man den Daheimgebliebenen lieber nicht zumutet; Themen, die an die menschliche
Existenz rühren: die Lebensgefahr, die Angst, das Sterben oder auch das Töten.
Menschen entwickeln verschiedene Strategien, um mit dem Erlebten fertig zu werden.
So gibt es Geschichten der Selbstbehauptung, etwa über die Kameradschaft und die
enge Verbundenheit im Einsatz. Soziale Anerkennung und Unterstützung aber sind
wichtige Faktoren für eine gelingende Verarbeitung von dramatischen
Ausnahmesituationen. 18 Wer beispielsweise auf ein unterstützendes und wohlwollendes
soziales Umfeld zurückgreifen kann, ist besser in der Lage, schwerwiegende Ereignisse
und belastende Herausforderungen zu bewältigen. In der Heimat aber treffen
Einsatzrückkehrer häufig auf Mitmenschen, die mit ihren Erfahrungen nur wenig
anzufangen wissen und ihren Einsätzen zudem in Teilen skeptisch oder gar ablehnend
gegenüberstehen. Das kann die Sprachlosigkeit im Verhältnis von Einsatzrückkehrern
und Gesellschaft vergrößern und mit dazu beitragen, dass sich Heimkehrer aufgrund
ihrer militärischen Gewalterfahrungen in der Gesellschaft marginalisiert fühlen – mit
der Folge, dass sich Fremdheits- und Distanzierungsgefühle im Verhältnis von
Einsatzrückkehrern und Gesellschaft verstärken.
Zur gesellschaftlichen Wahrnehmung von Einsatzrückkehrern und Veteranen
Antworten auf Fragen wie jene, ob sich die deutsche Bevölkerung überhaupt für die
Erlebnisse von Einsatzrückkehrern interessiert, ob diese auch mit Unterstützung und
Verständnis rechnen können oder wie die Gesellschaft denjenigen begegnet, die
körperlich und seelisch verletzt aus den Einsätzen zurückkehren, sind daher keinesfalls
nur von psychologischem Interesse, sondern haben politische und gesamtgesellschaftliche
Relevanz.
17 Vgl. Seiffert, Generation Einsatz, S. 95.
18 Vgl. etwa Aaron Antonovsky, Salutogenese: Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Dt.
erweiterte Herausgabe von Alexa Franke, Tübingen 1997.
7

Aufarbeitung ist in diesem Sinne zu verstehen als Bereitschaft, sich auf verschiedenen
Ebenen – sowohl politisch als auch sozial – mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr
und ihren Folgen auseinanderzusetzen. Wie die Gesellschaft die Einsatzrückkehrer der
Bundeswehr wahrnimmt und wie sie mit den Veteranen, Versehrten, Traumatisierten
und Gefallenen umgeht, kann so wichtige Hinweise darauf liefern, wie es derzeit um
die Beziehungen von Militär, Politik und Gesellschaft in Deutschland bestellt ist. Dieser
Themenkomplex soll im Folgenden anhand empirischer Befunde kurz umrissen werden.
Die sozialwissenschaftliche Forschung ist dem Meinungsklima über die Bundeswehr in
einer Vielzahl von quantitativen und qualitativen Studien nachgegangen. Sie zeigen
unisono, dass die Bundeswehr hohe Anerkennung in der Gesellschaft genießt. 19 Wie
Einsatzrückkehrer von der deutschen Gesellschaft wahrgenommen werden und welche
Unterstützung die Bevölkerung für angemessen hält, ist wissenschaftlich hingegen noch
nicht breiter untersucht worden. In Deutschland besteht noch ein Forschungs- und
Politikdefizit in Bezug auf die Einsatzrückkehrer. 20 Diese Frage wird intensiver erst seit
wenigen Jahren diskutiert, insbesondere im Zusammenhang mit den
Afghanistanrückkehrern.
Soldatinnen und Soldaten
erweisen ihrem gefallenen
Kameraden die letzte Ehre.
Foto: Bundeswehr/Bienert
Ein vollständiges Bild darüber, wie Einsatzrückkehrer von der Gesellschaft
wahrgenommen werden, liegt noch nicht vor. Erste Inhaltsanalysen der veröffentlichten
Meinung über die Auslandseinsätze der Bundeswehr weisen jedoch darauf hin, dass die
19 Vgl. Thomas Bulmahn/Meike Wanner, Ergebnisse der Bevölkerungsumfrage 2013 zum Image
der Bundeswehr und Bewertung des Claims „Wir.dienen.Deutschland“, Potsdam 2013, S. 45.
20 So auch Michael Daxner bei einem von der grünen Bundestagsfraktion veranstalteten
Fachgespräch zum Thema „Rückkehr ohne Dank und Anerkennung“ am 18. Februar 2013 im
Bundestag in Berlin. Im Rahmen unserer Studie zur Lebenswirklichkeit von Einsatzrückkehrern
sollen in Kürze erste empirische Ergebnisse zu diesem Thema erscheinen. Vgl. Seiffert/Heß,
Afghanistanrückkehrer.
8

Befunde überraschen nur wenig. Da das Militärische in unserer Gesellschaft im
Gegensatz zu anderen westlichen Ländern wie den USA, Großbritannien oder
Frankreich bisher nicht groß sichtbar war, erscheint vielen eine militärische Ritual- und
Symbolkultur eher befremdlich.
Das sehen übrigens auch viele der befragten Soldatinnen und Soldaten ähnlich. Die
meisten wollen weder als Opfer noch als Helden stilisiert werden. Wichtiger ist ihnen
die öffentliche Wahrnehmung und Anerkennung der Risiken, die sie im Einsatz
getragen haben. Bei dem vielfach geäußerten Wunsch nach mehr Anerkennung geht es
ihnen daher meist um den gesellschaftlichen und politischen Rückhalt für die Einsätze.
Im Bereich der rechtlichen, sozialen und medizinischen Versorgung von
Einsatzrückkehrern ist in den letzten Jahren bereits Einiges auf den Weg gebracht
worden. Dazu gehören unter anderem das Einsatzweiterverwendungsgesetz ebenso
wie die Etablierung psychosozialer Netzwerke an den Standorten, die Einrichtung von
Familienbetreuungszentren, Einsatznachbereitungsseminare oder Präventivkuren.
Nachholbedarf wird vor allem bei der Anerkennung gesundheitlicher Spätfolgen der
Einsätze ebenso wie bei der Unterstützung durch Vorgesetzte, den psychosozialen
Angeboten für Angehörige sowie bei den Rahmenbedingungen für Veteranen gesehen.
Martina de Maizière, Schirmherrin
der Familienbetreuung, spricht in
Mazar-e-Sharif mit Soldaten und
Soldatinnen des
Einsatzkontingentes ISAF.
Foto: Bundeswehr/Bienert
Bundeswehrintern ist durchaus eine größere Aufgeschlossenheit für die Belange von
Einsatzrückkehrern und ihren Familien zu beobachten. Eine Sensibilisierung ist aber
auch notwendig, da eine als falsch empfundene Behandlung – etwa bei der
Antragstellung auf Anerkennung gesundheitlicher Folgeschäden – von den Betroffenen
24 Vgl. Bulmahn, Bevölkerungsbefragung 2012, S. 35.
10

oft als zusätzliche Verletzung empfunden wird. Das Problem besteht dabei nicht allein
in langwierigen Verfahren, sondern auch in einer Distanzierung, die sich in einer das
Leid versachlichenden Sprache ausdrücken kann und von den Betroffenen nicht selten
als Abwehr empfunden wird.
Gleichzeitig herrscht bei manchen in Deutschland die Meinung vor, dass die Soldatinnen
und Soldaten sich freiwillig gemeldet haben und daher nun auch mit den Folgen dieser
Entscheidung leben müssten. Dieser Trend zur Privatisierung der Aufarbeitung kann sich
angesichts der Tatsache, dass die Bundeswehr jetzt eine Freiwilligenarmee ist, künftig
noch verstärken. Ein solches Verständnis verkennt jedoch, dass die Aufarbeitung von
Einsatzerfahrungen keine rein persönliche Angelegenheit ist. Soldatinnen und Soldaten
der Bundeswehr sollen in den Einsätzen ja die Interessen und Werte der eigenen
Gesellschaft vertreten. Sie sind daher nicht irgendwelche Heimkehrer aus fernen
Krisenregionen, sondern vom Parlament entsandte Soldaten. Die durch dieses
Parlament repräsentierte Gesellschaft trägt daher Mitverantwortung.
Auch eine primär nur an der psychosozialen Versorgung orientierte Bewältigung von
Einsatzfolgen geht leicht an der Sache vorbei. Die Fokussierung der öffentlichen
Debatte auf traumatische Einsatzfolgen hat in der Tendenz bereits zu einer
Psychologisierung des Diskurses über die Auslandseinsätze der Bundeswehr
beigetragen. Die politisch und gesellschaftlich so wichtige Frage, ob und wofür
Soldatinnen und Soldaten in den Einsätzen notfalls auch militärische Gewalt anwenden
sollen, gerät dabei immer wieder in den Hintergrund. Die Gesellschaft aber braucht,
ebenso wie die Soldatinnen und Soldaten, eine verlässliche politische Legitimation der
Einsätze, auch zur Einordnung der Erfahrungen der Rückkehrer.
Fazit
Die gesellschaftliche Dimension der Auslandseinsätze ist bis heute nur ungenügend
aufgearbeitet worden. Das zeigt sich auch in der aktuellen Diskussion. Manche in
Deutschland sehen die Veteranen und Gefallenen, die Versehrten und Verwundeten als
Zeichen der Normalisierung und meinen, die Bundeswehr sei mit den Einsätzen,
insbesondere in Afghanistan nunmehr „‘erwachsen‘ geworden.“ 25 Andere hingegen
befürchten, dass sich dahinter ein grundsätzlicher Wandel im Verständnis von Krieg und
25 Interview mit Generalmajor Erich Pfeffer, in: Bundeswehr aktuell vom 18.2.2013, 5.
11

Frieden verbirgt. 26 In der Realität jedoch, ist die Situation komplizierter. Gerade die
Beschäftigung und Auseinandersetzung mit den Rückkehrern und ihren Erfahrungen
kann verhindern, dass diese eigene Sonderkulturen entwickeln und in Distanz zur
Gesellschaft gehen aus dem Gefühl heraus, nicht verstanden zu werden. In diesem Sinne
kann eine Anerkennungspolitik, die gleichermaßen von den Betroffenen wie von der
entsendenden Gesellschaft mitgetragen wird, ein wichtiges Instrument zur Integration
von Einsatzrückkehrern sein.
Wie diese Anerkennung aussehen kann, muss aber in einem gesellschaftlichen Diskurs
geklärt werden. Ein derartiger Aushandlungsprozess wird ohne die Aufarbeitung der
bisherigen Einsätze nicht gut gelingen. Er kann zudem weder als konfliktfrei noch kurzoder
mittelfristig als abschließbar bestimmt werden, sondern ist durch Ambivalenzen
und Gegenläufigkeiten gekennzeichnet. Das ist auch nicht zu kritisieren. Die
gesellschaftliche Aufarbeitung von riskanten Einsätzen ist immer ein Prozess und
folglich wie jede andere Baustelle nicht fixiert, sondern ständiger Veränderung
unterworfen. Anerkennung muss von unten aus der Gesellschaft wachsen. Die Zeichen
dafür stehen mit Blick auf die bisher vorliegenden quantitativen und qualitativen
Erkenntnisse darüber, wie die deutsche Bevölkerung die Einsatzrückkehrer und
Veteranen der Bundeswehr wahrnimmt, gar nicht so schlecht, wie oft behauptet wird.
Dafür aber braucht es politische Offenheit und Transparenz auch über die je konkreten
Einsatzrealitäten der Bundeswehr.
Autorin
Dr. Anja Seiffert, Jahrgang 1965, ist Projektleiterin Sozialwissenschaftliche
Einsatzbegleitung und Einsatzdokumentation am Zentrum für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Zuvor war sie Leiterin des
Forschungsschwerpunktes "Sozialwissenschaftliche Begleitung der Auslandseinsätze der
Bundeswehr" am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr. Ihre
Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Sicherheitspolitik mit einem Fokus auf
den Auslandseinsätzen der Bundeswehr und der Militärsoziologie.
Literatur
26 Vgl. ausführlicher hierzu Armin Wagner/Heiko Biehl, Bundeswehr und Gesellschaft, in: Aus
Politik und Zeitgeschichte APuZ, 44/2013, 28. Oktober 2013, 23-30: 28.
12

Thomas Bulmahn, Ergebnisse der Bevölkerungsbefragung 2012. Wahrnehmung und
Bewertung des Claims „Wir. Dienen. Deutschland“, Image der Bundeswehr sowie
Haltungen zum Umgang mit Veteranen, Kurzbericht, Strausberg 2012.
Michael Daxner/Hannah Neumann (Hrsg.), Heimatdiskurs. Wie die Auslandseinsätze der
Bundeswehr Deutschland verändern, Bielefeld 2012.
Anja Seiffert/Julius Hess, Afghanistanrückkehrer. Der Einsatz, die Liebe, der Dienst und
die Familie. Ausgewählte Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Langzeitbegleitung
des 22. Kontingents ISAF, unveröff. Forschungsbericht des Zentrums für
Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam 2013.
Wendel, Peter, Soldat im Einsatz - Partnerschaft im Einsatz. Praxis- und Arbeitsbuch für Paare
und Familien in Auslandseinsatz und Wochenendbeziehung, (4. Aufl.), Freiburg et al. 2013.
Psychotraumazentrum Bundeswehrkrankenhaus Berlin (Hrsg.), Jahrbuch 2011/2012
Psychotraumazentrum, Berlin 2013.
Weiterführende Links
http://bit.ly/193FxSv
Zusammenfassung der Dunkelzifferstudie zu Einsatz und PTBS
http://bit.ly/193EBxw
Informationsseite der Bundeswehr zu Belastungsstörungen
http://www.ptbs-hilfe.de/startseite.html
Hilfeseite des Sanitätsdiensts der Bundeswehr
http://bit.ly/1dwXkAW
Zentrum für Psychiatrie und Psychotraumatologie am Bundeswehrkrankenhaus Berlin
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