Mediendienst 4 - CARITAS - Schweiz
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Mediendienst 8
13. Juni 2013
Der Ständerat lehnt die Motion „Rahmengesetz Sozialhilfe“ ab
Keine Harmonisierung, aber zunehmend Leistungsabbau
Bettina Fredrich
Zum nationalen Flüchtlingstag vom 15. Juni 2013
Den Menschen im Flüchtling sehen
Isabelle Müller
Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Staaten
Wenn Staatsstrukturen schwach sind oder fehlen
Christian Varga
Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung.
Für Rückfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verfügung.
Download als PDF unter www.caritas.ch/mediendienst (nicht öffentlich zugänglich)
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Der Ständerat lehnt die Motion „Rahmengesetz Sozialhilfe“ ab
Keine Harmonisierung, aber zunehmend Leistungsabbau
Am letzten Dienstag, 11. Juni 2013, hat der Ständerat die Motion „Rahmengesetz Sozialhilfe“
abgelehnt. Mit diesem Entscheid verpasst die Politik unter anderem die dringend notwendige
Harmonisierung der kantonalen Unterschiede in der Sozialhilfe. Mehr denn je gilt es nun, dem
schleichenden Leistungsabbau in den Kantonen wachsam entgegenzutreten und die Sozialhilfe
als letztes Auffangnetz und Instrument zur sozialen Integration zumindest zu konsolidieren.
Die derzeit kantonal und auf Gemeindeebene geregelte Sozialhilfepraxis hat bedeutende interkantonale
Unterschiede bei der Existenzsicherung und den frei verfügbaren Einkommen zur Folge. Mit der
Ablehnung der Motion „Rahmengesetz Sozialhilfe“ verpasst es der Ständerat, diese Ungleichheiten
einzudämmen und die interinstitutionelle Zusammenarbeit zu fördern. Caritas bedauert diesen Entscheid.
Es ist zu befürchten, dass der Leistungsabbau in den Kantonen nun ungehindert fortschreitet.
Die Leidtragenden sind einmal mehr armutsbetroffene Menschen in der Schweiz.
Im Schatten der lauten Missbrauchsdebatten gerät die Sozialhilfe zunehmend unter Druck
Ein Blick in kantonale Sozialhilfedebatten macht derzeit die Dringlichkeit einer nationalen Regelung
deutlich. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt zielen verschiedene parlamentarische Vorstösse
und Gesetzesänderungen in den Kantonen auf einen Leistungsabbau in der Sozialhilfe. Begründet
werden die Entscheide oft mit dem Spardruck der Kantone.
Im Kanton Bern verlangt eine Motion zur Kostenoptimierung in der Sozialhilfe, die finanzielle Unterstützung
an Sozialhilfebeziehende auf 90 Prozent der Summe nach SKOS-Richtlinien zu beschränken.
Während der Regierungsrat eine Kürzung beim Grundbedarf ablehnt, signalisiert er Bereitschaft, Einschränkungen
im Bereich der Integrationszulagen zu prüfen. Der grosse Rat behandelt das Geschäft in
der Junisession.
Im Kanton Zug ist derzeit eine Motion der SVP-Fraktion betreffend „Anpassung der Sozialhilfe an das
Notwendigste“ hängig. Darin wird verlangt, die SKOS-Richtlinien als Richtgrösse für die Sozialhilfe
ersatzlos aus dem Gesetz zu entfernen. Die situationsbedingten Leistungen ebenso wie die Integrationszulage
seien „nice to have“, aber nicht notwendig. Stattdessen solle sich der Kanton Zug neu am
betreibungsrechtlichen Existenzminimum orientieren.
Auch im Kanton Solothurn ist eine Leistungsabbaudebatte im Gange. Die FDP Fraktion lancierte die
Diskussion mit ihrem Antrag „Von der Schule in die Sozialhilfe?“. Ihrer Meinung nach sollte die Sozialhilfe
für junge Erwachsene bis 25 Jahren ohne Berufsausbildung und familiäre Verpflichtung gänzlich
gestrichen werden. Mit dem Argument „wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, wollen sie die betroffenen
Jugendlichen sich selbst überlassen. Der Regierungsrat lehnt eine Änderung des Sozialhilfegesetzes
zwar faktisch ab, er beantragt jedoch, die Situation der Jugendlichen und jungen Erwachsenen
zu überprüfen.
Während Bern, Zug und Solothurn die politischen Debatten noch führen müssen, hat Luzern seine
Sozialhilfeverordnung anfangs dieses Jahres bereits angepasst. Die Änderung teilt die Sozialhilfebe-
Caritas Schweiz, Mediendienst 8, 13. Mai 2013
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ziehenden bezüglich des Rechts auf Grundbedarf in zwei Klassen. Wer noch keine eineinhalb Jahre in
der Schweiz gearbeitet hat, erhält im Falle eines Einpersonenhaushalts nur gerade noch 85 Prozent, im
Falle eines Mehrpersonenhaushalts noch 90 Prozent des monatlichen Grundbedarfs nach SKOS-
Richtlinien. Die neue Regelung diskriminiert neben ausländische Personen, denen es situationsbedingt
schwerer fällt eine Erwerbsarbeit zu finden, auch Frauen in Trennung oder Scheidung, die aufgrund
ihrer Betreuungspflichten auf eine Erwerbsarbeit verzichteten. Auch sie haben keinen Anspruch auf
den von der SKOS empfohlenen Grundbedarf mehr. Erste Wirkungsanalysen zeigen, dass beispielsweise
in der Stadt Luzern 80 Dossiers von der Änderung der Sozialhilfeverordnung betroffen sind –
60 davon sind Alleinerziehende.
Armutsbetroffene Menschen in der Schweiz fair und egalitär unterstützen
Im komplexen Sozialsystem der Schweiz bietet die Sozialhilfe Menschen in prekären Lebenslagen als
letzte Instanz die notwendige Unterstützung. Über die letzten Jahrzehnte hinweg haben sich die
SKOS-Richtlinien als Orientierung in der Sozialhilfe durchgesetzt und bewährt.
Die diversen Vorstösse bezüglich Leistungskürzung auf kantonaler Ebene mögen kurzfristig finanzielle
Erfolge manifestieren, mittel- und langfristig aber beschneiden sie ein gut funktionierendes Sozialhilfesystem,
welches armutsbetroffenen Menschen ein letztes Auffangnetz bietet und sie an unserer
Gesellschaft teilhaben lässt.
Es bleibt zu hoffen, dass die Ablehnung des Rahmengesetztes Sozialhilfe im Ständerat dem schleichenden
Trend des kantonalen Sozialhilfeabbaus keinen weiteren Vorschub leistet. Denn was in öffentlichen
Debatten distanziert mit „Subjekte in der Sozialhilfe“ beschrieben wird, sind in Tat und
Wahrheit Frauen und Männer, Mädchen und Buben mit Hoffnungen, Träumen und Ängsten. Mehr
denn je müssen wir uns heute für faire Bedingungen und existenzsichernde Unterstützungsleistungen
für diese Menschen in Not einsetzen – die reiche Schweiz kann, soll und muss sich das leisten!
Bettina Fredrich, Leiterin Fachstelle Sozialpolitik, E- Mail: bfredrich@caritas.ch, Tel.: 041 419 23 37
Caritas Schweiz, Mediendienst 8, 13. Mai 2013
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Zum nationalen Flüchtlingstag vom 15. Juni 2013
Den Menschen im Flüchtling sehen
Jede Minute verlassen acht Menschen ihre Heimat – auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung und
Terror. So die Angaben des Uno-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR). Auf das Schicksal
der aktuell weltweit 43,7 Millionen Flüchtlinge macht jedes Jahr der nationale und internationale
Flüchtlingstag aufmerksam. Mit zahlreichen Aktionen wird auf ihre Situation hingewiesen.
Der diesjährige nationale Flüchtlingstag findet am 15. Juni statt.
*Mehmet Taksin hat die Türkei verlassen, weil er wegen seinem politischen Engagement mehrere
Jahre im Gefängnis verbrachte, wo er auch gefoltert wurde. Im Falle der Rückkehr droht ihm wegen
regimefeindlicher Kritik ein erneutes Strafverfahren. Yanis Tsegay stammt aus Eritrea und ist aus dem
Wehrdienst geflohen. Bei einer Wegweisung aus der Schweiz erwartet sie wegen Desertion und Republikflucht
eine mehrjährige Haftstrafe mit Arbeitslager, unmenschliche Behandlung inklusive. Arben
Litufi ist 25-jährig und stammt aus dem Kosovo. Er kann keine asylrelevanten Fluchtgründe vorbringen,
leidet aber an einer lebensbedrohlichen Herzkrankheit, die im Heimatland nicht behandelbar
ist. Würden Sie diesen Menschen Schutz gewähren?
Mut zur Flucht ins Ungewisse
Die Schweiz ist zu Recht stolz auf ihre humanitäre Tradition, Flüchtlinge aufzunehmen. Obwohl diese
Tatsache von allen politischen Parteien immer wieder gerne betont wird, ist das Thema Asyl und
Flüchtlinge in den Medien und in der öffentlichen Diskussion in den letzten Jahren fast ausschliesslich
negativ besetzt. Zu viele Asylgesuche, Missbrauch der Gesetze, ansteigende Kriminalität, zu lange
Verfahren usw. sind Dauerthemen. Das Asylgesetz wird deshalb ständig überarbeitet und verschärft.
Auch wenn die Auseinandersetzung mit gewissen Inhalten zulässig sowie die Suche nach Lösungen
und Verbesserungen sogar angezeigt ist, darf nicht in Vergessenheit geraten, dass hinter diesen Themen
Menschen stehen. Menschen, die alles hinter sich gelassen haben was ihnen lieb und teuer war,
die sich in einer unsicheren Zukunft wiederfinden, in einer fremden Umgebung. „Stellen sie sich vor,
welchen Mut es erfordert, mit der Aussicht fertig zu werden, Monate, Jahre, womöglich ein ganzes
Leben im Exil verbringen zu müssen“, sagt António Guterres, Uno-Flüchtlingshochkommissar.
In den letzten zwei Jahren haben die Unruhen und kriegerischen Auseinandersetzungen in Ägypten,
Tunesien, Libyen, sowie die nach wie vor prekäre Menschenrechtssituation in Somalia und Eritrea
eine grosse Fluchtbewegung ausgelöst: Über 800 000 Menschen mussten 2012 aus ihren Heimatländern
fliehen – so viele neue Flüchtlinge gab es seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Weitere 3,5 Millionen
Menschen wurden im vergangenen Jahr innerhalb ihres Heimatlandes vertrieben. Nur ein Bruchteil
von ihnen schafft es über die EU-Aussengrenze und die benachbarten Staaten in die Schweiz um hier
einen Antrag auf Asyl zu stellen.
Caritas Schweiz, Mediendienst 8, 13. Mai 2013
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Im Asylverfahren auf sich alleine gestellt
Auf die Gesuche Vieler wird nicht eingetreten, weil sie zuvor in einem anderen europäischen Staat
registriert wurden und somit dieser für die Behandlung des Asylgesuchs zuständig ist. Die Betroffenen
werden in diese Länder weggewiesen. Diejenigen, welche es ins ordentliche Verfahren schaffen, haben
den Nachweis zu erbringen oder zumindest glaubhaft zu machen, dass sie im Heimatstaat wegen
ihrer politischen, religiösen Anschauung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
ernsthaften Nachteilen ausgesetzt waren oder ihnen künftige Verfolgung droht.
Im Verfahren sind die Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlinge grundsätzlich auf sich alleine gestellt.
Das Schweizerische Rechtssystem kennt keine Rechtsvertretung von Amtes wegen. Die meisten
Gesuchstellenden sind mittellos und können sich keinen privaten Anwalt oder eine private Anwältin
leisten.
Die Caritas Schweiz führt seit über 20 Jahren in der Zentralschweiz und in Fribourg eine Rechtsberatungsstelle,
an welche sich Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge wenden können. Angeboten
wird eine unentgeltliche Chancen- und Verfahrensberatung. Falls notwendig wird auch eine Rechtsvertretung
übernommen. Alle Asylsuchenden haben Anspruch auf ein faires und korrektes Asylverfahren.
Die Caritas Schweiz setzt sich dafür ein, dass Verfolgte und Bedrohte in der Schweiz dauerhaften
oder zumindest vorübergehenden Schutz erhalten. Den Betroffenen soll ein realistisches Bild über ihre
rechtliche Situation und ihre Erfolgschancen vermittelt werden. Im letzten Jahr hat die Rechtsberatungsstelle
in der Zentralschweiz rund 445 persönliche Beratungen durchgeführt. Jährlich gehen zusätzlich
über 5000 telefonische Anrufe ein. In mehr als 150 Fällen führen die Caritas-Juristinnen aktuell
ein Mandat.
Mehmet Taksin, Yanis Tsegay und Arben Litufi
Mehmet Taksin, Yanis Tsegay und Arben Litufi sind drei exemplarische Fälle, in denen die Caritas
Schweiz die Rechtsvertretung übernommen hat. Ersterer ist in der Zwischenzeit als Flüchtling anerkannt
worden. Das Rechtsberatungsteam hat ihn bei der Beschaffung der Beweismittel unterstützt und
dazu beigetragen, dass er seine Verfolgung in der Türkei nachweisen konnte. Yanis Tsegay muss weiter
auf einen Entscheid warten. Aufgrund der ihr im Heimatland drohenden völkerrechtswidrigen Behandlung
wird ihr wohl ebenfalls Schutz gewährt werden. Im Falle von Arben Litufi hat die Schweiz
ihr humanitäres Gesicht gezeigt. Obwohl er im Kosovo nicht verfolgt wird und er deshalb zu Recht
kein Asyl erhielt, wurde er aus medizinischen Gründen vorläufig aufgenommen. Eine Wegweisung in
sein Heimatland wäre für ihn erwiesenermassen lebensbedrohlich.
Alle drei wären nie aus ihren Heimatländern ausgereist, hätten sie dort in Sicherheit und Würde leben
können. So geht es der überwiegenden Mehrheit aller Flüchtenden. Sie haben triftige Gründe ihr Hab
und Gut, ihre Familie und Freunde zu verlassen. Die Caritas Schweiz setzt sich dafür ein, dass die
Anliegen von Asylsuchenden und Flüchtlingen gehört und ernst genommen werden. Der nationale
Flüchtlingstag am 15. Juni soll in Erinnerung rufen, dass hinter jedem Flüchtling ein Mann, eine Frau
oder ein Kind steht – mit eigenem Schicksal.
Isabelle Müller, Juristische Mitarbeiterin Rechtsberatungsstelle Zentralschweiz, Caritas Schweiz,
E-Mail imueller@caritas.ch, Tel: 041 419 22 73
*Namen geändert
Caritas Schweiz, Mediendienst 8, 13. Mai 2013
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Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Staaten
Wenn Staatsstrukturen schwach sind oder fehlen
Rund 1,5 Milliarden Menschen leben in fragilen Staaten. In Gebieten also, in denen staatliche
Institutionen und Infrastrukturen fehlen oder so schwach sind, dass staatliche Grundaufgaben
wie etwa Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit oder die Basisversorgung mit Nahrung, Wasser, medizinischer
Hilfe oder Bildung nicht wahrgenommen werden. Die Menschen leiden unter Armut,
Willkür und Gewalt, in einigen Gebieten übernehmen Kriminelle oder Warlords das Zepter.
Für Caritas Schweiz hat die Arbeit in fragilen Gebieten eine lange Tradition. Mit ihrer starken Verankerung
in der humanitären Hilfe und ihrem Fokus auf besonders verletzliche Gruppen ist Caritas
Schweiz in einer Vielzahl von fragilen Ländern tätig. Beispiele sind Haiti, Irak, Südsudan, Tschad,
Kosovo, Bosnien, Ruanda, Kenia, Äthiopien, Somalia/Somaliland, Pakistan, Sri Lanka, Bangladesch
oder Myanmar.
Diese und andere fragile Staaten stehen immer mehr im Fokus der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.
Gerade sie liegen weit zurück auf dem Weg zu den Millennium-Entwicklungszielen
und werden vermehrt als regionale oder globale Risikoherde wahrgenommen. Dabei rückt deren Fragilität
an sich immer stärker in den Vordergrund. Intensive Debatten finden statt: Wie sollten Entwicklungsakteure
unter Bedingungen fragiler Staatlichkeit arbeiten? Wie können legitime und funktionierende
Staatsstrukturen aufgebaut und gestärkt werden?
„New Deal“ für fragile Staaten
Hintergrund ist der „New Deal“, ein Grundsatzpapier über das Engagement von Entwicklungsakteuren
in fragilen Kontexten, vorgestellt an der Internationalen Entwicklungskonferenz von Busan 2011. Erarbeitet
wurde das Papier von 7 Staaten (Afghanistan, Zentralafrikanische Republik, Tschad, Demokratische
Republik Kongo, Haiti, Sierra Leone und Osttimor), die sich selbst als fragil bezeichnen und
sich der Überwindung ihrer Fragilität verschrieben haben. Neben anderen Geberländern hat sich auch
die Schweiz zu den Grundsätzen des New Deal bekannt und gleichzeitig angekündigt, ihr Engagement
in fragilen Ländern um 15 bis 20 Prozent zu erhöhen.
Die New-Deal-Grundsätze umfassen unter anderem eine Selbstverpflichtung fragiler Staaten, die Sicherheit
ihrer Bürger zu erhöhen, politische Lösungen unter Einbezug aller Gruppen zu finden und
rechtsstaatliche Prinzipien zu respektieren. Auf der anderen Seite verpflichten sich Geberländer, die
lokalen staatlichen Strukturen einzubinden und ihre Entwicklungsinterventionen auf das Ziel des State
Buildings, der Stärkung funktionierender Staatsstrukturen, auszurichten.
Nicht-staatlichen Entwicklungsakteuren wie Caritas Schweiz und ihren Partnerorganisationen kommt
in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu. Staatliche Strukturen bedürfen einer lebendigen
Zivilgesellschaft, die sie trägt, hinterfragt und legitimiert. Caritas Schweiz unterstützt mit ihren Projekten
lokale zivilgesellschaftliche Organisationen, die genau dies tun – staatliches Handeln einfordern
und ergänzen, hinterfragen und unterstützen, kritisieren und legitimieren.
Caritas Schweiz, Mediendienst 8, 13. Mai 2013
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Dabei stellen fragile Kontexte für Entwicklungsakteure wie Caritas eine besondere Herausforderung
dar – nicht immer ist den Machthabern eine unabhängige, kritische Öffentlichkeit genehm, nicht immer
ist die Sicherheit von Helfern gewährleistet. Mitunter sind staatliche Organe überhaupt nicht an
einer echten Verbesserung der Lebensumstände ihrer Bevölkerung interessiert, ein Engagement von
Hilfswerken wird dadurch massiv erschwert. Das Risiko eines Scheiterns von Projekten ist massiv
erhöht, Korruption lässt sich nur schwer unterbinden. Zudem existieren in einigen Gebieten überhaupt
keine staatlichen Strukturen, das Machtvakuum wird von Milizen oder kriminellen Banden ausgefüllt,
die für internationale Akteure kaum zu erreichen und einzubinden sind.
Konkrete Lösungsansätze
Das Engagement in fragilen Kontexten bedarf also bei allen Beteiligten einer intensiven Auseinandersetzung
mit der eigenen Praxis und den Erwartungen an die anderen Stakeholder:
- Seitens fragiler Staaten braucht es ein aufrichtiges, anhaltendes Engagement zur Durchsetzung
rechtsstaatlicher Prinzipien, zum Schutz ihrer Bürger, zum Respekt der Menschenrechte – auch
wenn dies bedeutet, die eigene Macht einzuschränken, sich einer kritischen Öffentlichkeit zu stellen
und auf Privilegien zu verzichten.
- Seitens der Geberländer braucht es ein Bekenntnis zur kritischen Zusammenarbeit mit lokalen
staatlichen Organen. Dies heisst unter anderem, dass rechtsstaatliche Prinzipien und die Achtung
der Menschenrechte immer wieder eingefordert, lokale zivilgesellschaftliche Organisationen gefördert
und als wichtige Akteure in die Verhandlungen auf Regierungsebene eingebunden werden.
Zudem bedarf es seitens staatlicher Entwicklungsagenturen des Muts, wichtige, aber unspektakuläre
Aktivitäten – etwa die Reform des Sicherheitssektors – zu finanzieren, statt auf publikumswirksame
Hilfsaktionen zu fokussieren. Brunnen zu bohren reicht nicht.
- Seitens westlicher Nichtregierungsorganisationen wie Caritas Schweiz braucht es den Willen, zur
Funktionsfähigkeit und Legitimität lokaler staatlicher Strukturen beizutragen. Am besten passiert
dies durch eine kooperative, doch prinzipiengeleitete Auseinandersetzung, bei der die verantwortlichen
Staatsstellen einerseits in die Pflicht genommen, andererseits unterstützt werden: Ersteres
passiert etwa durch die Unterstützung lokaler Organisationen, die marginalisierten Gruppen eine
Stimme geben; letzteres geschieht beispielsweise in Pilotprojekten, in denen neue, effektivere
Möglichkeiten zur Erfüllung staatlicher Grundaufgaben aufgezeigt werden.
- Seitens aller Entwicklungsakteure braucht es der intensiven Denkarbeit, wie nicht-staatliche
Machthaber – Kriminellen, Warlords, irreguläre Armeen, Clanführer – in Entwicklungsbestrebungen
eingebunden werden können. Hier fehlen griffige Rezepte, die Erfahrungen mit den bisherigen
Ansätzen sind durchzogen.
- Seitens der Spenderinnen und Spender wie auch der institutionellen Geldgeber schliesslich braucht
Verständnis dafür, dass Entwicklungsarbeit in fragilen Staaten ein langwieriges Unterfangen ist,
das mit Rückschlägen verbunden ist. In Kriegs- und Krisenländern ist das Risiko von Misserfolgen
und Korruption höher als in anderen Entwicklungs- und Schwellenländern. Trotz Schwierigkeiten
ist ein Engagement in fragilen Staaten nötig, gefährdet ihre fragile Staatlichkeit doch nicht
nur das Wohl ihrer Bevölkerungen, sondern auch die Entwicklungserfolge anderer, stabilerer Länder
in ihrer Umgebung.
Christian Varga, Leiter Fachdienste Internationale Zusammenarbeit, Caritas Schweiz,
E-Mail cvarga@caritas.ch, Tel. 41 419 23 18
Caritas Schweiz, Mediendienst 8, 13. Mai 2013
Caritas Schweiz, Mediendienst 8, 13. Mai 2013
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