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Der schmale Grat der Toleranz – Wie tolerant können Christen sein?

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Fachreferat an DV-SEA, 31. Mai 2013<br />

<strong>Der</strong> <strong>schmale</strong> <strong>Grat</strong> <strong>der</strong> <strong>Toleranz</strong> <strong>–</strong><br />

<strong>Wie</strong> <strong>tolerant</strong> <strong>können</strong> <strong>Christen</strong> <strong>sein</strong>?<br />

Einige notwendige Vorbemerkungen<br />

<strong>Christen</strong> sind in dreifacher Weise betroffen:<br />

> Sie erwarten von ihrer Umwelt <strong>Toleranz</strong> als Religions-,<br />

Glaubens- und Gewissensfreiheit.<br />

> Sie sollen An<strong>der</strong>sgläubigen o<strong>der</strong> Nichtreligiösen die gleiche <strong>Toleranz</strong><br />

zuzugestehen.<br />

> Sie sollen in <strong>der</strong> christlichen Ökumene konfessionelle Unterschiede ertragen.<br />

= Was heisst es nun in dieser dreifachen Beziehung, <strong>tolerant</strong> zu <strong>sein</strong>?<br />

= Gibt es überhaupt eine absolute <strong>Toleranz</strong>, eine <strong>Toleranz</strong> für alles und jeden?<br />

= Gibt es für die <strong>Toleranz</strong> auch eine Grenze? Wenn ja, wo verläuft sie?<br />

1. Verständigung durch <strong>Toleranz</strong> <strong>–</strong> Ein spannen<strong>der</strong> Rückblick<br />

<strong>Der</strong> <strong>Toleranz</strong>-Gedanke gehört zu den wertvollsten Errungenschaften Europas:<br />

„Allgemeine Erklärung <strong>der</strong> Menschenrechte <strong>der</strong> UNO“ (1948):<br />

Anspruch jedes Menschen „auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ und „die<br />

Freiheit, <strong>sein</strong>e Religion o<strong>der</strong> <strong>sein</strong>e Überzeugung allein o<strong>der</strong> in Gemeinschaft mit an<strong>der</strong>en, in<br />

<strong>der</strong> Öffentlichkeit o<strong>der</strong> privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst o<strong>der</strong> Vollziehung von<br />

Riten zu bekunden“..<br />

Es besteht heute weitgehen<strong>der</strong> Konsens: Wenn <strong>Toleranz</strong> diese Freiheit garantiert,<br />

sind Verständigung und Friede mit einem kreativen Potential für die Kultur möglich!<br />

<strong>Der</strong> lange und schwierige Entwicklungsweg zur <strong>Toleranz</strong> fand bis zur Neuzeit im<br />

Trialog <strong>der</strong> drei monotheistischen Religionen Judentum, <strong>Christen</strong>tum und Islam statt.<br />

> Übersetzung des Korans ins Lateinische (1143 veranlasst von Petrus Venerabilis).<br />

> Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines <strong>Christen</strong>“<br />

(Petrus Abaelardus1079-1142)<br />

> „Das Buch vom Heiden und den drei Weisen“ (Raymundus Lullus 1234-1316)<br />

den Dialog unbedingt so lange fortsetzen, „bis wir alle drei uns zu einem einzigen<br />

Glauben und einer einzigen Religion bekennen, und bis wir uns darüber einigen<br />

<strong>können</strong>, wie wir einan<strong>der</strong> am besten ehren und zu dienen haben, so dass wir zu<br />

einem Einverständnis gelangen <strong>können</strong>.Denn Krieg, Mühsal, Missgunst, Unrecht und<br />

Schande hin<strong>der</strong>n die Menschen daran, sich auf einen Glauben zu einigen.“<br />

> „Untersuchung über die drei Religionen“ (Ibn Kammuna 1215-1285),<br />

„Die christliche Lehre und Diskussion über Gott als Trinität ist gut bekannt … Die<br />

<strong>Christen</strong> sind aber nichtsdestoweniger Monotheisten, die festhalten, dass Gott keine<br />

Partner neben sich hat. Ihre Lehre von <strong>der</strong> Trinität als Lehre einer Einheit in <strong>der</strong><br />

Substanz ist ähnlich <strong>der</strong> Lehre jener Muslime, die behaupten, dass ewige zusätzliche<br />

Attribute in einer göttlichen Substanz enthalten seien.“


„Über den Frieden“ (Nikolaus von Kues 1401-1464)<br />

„Alle Verschiedenheit beruht mehr auf den religiösen Bräuchen als auf <strong>der</strong> Verehrung<br />

des einen Gottes“: Idee von <strong>der</strong> „Übereinstimmung <strong>der</strong> Gegensätze“ als Hoffnung auf<br />

„eine Religion in <strong>der</strong> Verschiedenheit <strong>der</strong> Erscheinungsformen“.<br />

> „Ringparabel“ im Theaterstück „Nathan <strong>der</strong> Weise“<br />

(G.E.Lessing 1779, uraufgeführt 1783 in Berlin)<br />

„Es eifre je<strong>der</strong> <strong>sein</strong>er unbestochnen von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe von<br />

euch je<strong>der</strong> um die Wette, die Kraft des Steins in <strong>sein</strong>em Ring an den Tag zu legen.“<br />

Lessing’s Botschaft: „Wo geliebt wird, da ist wahre Religion!“<br />

> Die Humanisten Joh. Reuchlin, Thomas Morus, Erasmus von Rotterdam, Jean Bodin<br />

> Die <strong>Wie</strong><strong>der</strong>täufer und einzelne nachreformatorische Spiritualisten<br />

> Religion für Atheisten, Frankfurt 2013 (atheistischer Philosoph Alain de Botton (*1970)<br />

„Das <strong>Christen</strong>tum ist eine liebende, <strong>tolerant</strong>e, ja zärtliche Religion …Die Weisheit <strong>der</strong><br />

Religionen gehört <strong>der</strong> gesamten Menschheit, auch den Rationalsten unter und, und<br />

sie hat es verdient, auch von den grössten Gegnern alles Übernatürlichen selektiv<br />

neu aufgegriffen zu werden. Religionen sind insgesamt gesehen zu nützlich,<br />

wirkungsvoll und intelligent, als dass man sie nur den Gläubigen überlassen dürfte.“<br />

2. Ideologisierung <strong>der</strong> <strong>Toleranz</strong><br />

Obwohl die <strong>Toleranz</strong> als höchster Wert in unserer globalisierten Welt gilt, ist eine<br />

zunehmende antireligiöse Aggressivität, Kritik, Distanz und Intoleranz festzustellen.<br />

<strong>Der</strong> Gottesbezug verdunstet in unserer europäischen Gesellschaft in rasantem Tempo.<br />

Selbst öffentliche Zeichen christlichen Glaubens wie Kreuze, Bil<strong>der</strong> und Symbole stehen<br />

juristisch regelmässig zur Debatte, weil sie angeblich die <strong>Toleranz</strong> einschränken und ärgern,<br />

kränken und subtil diskriminieren <strong>können</strong>!<br />

<strong>Toleranz</strong> mutiert langsam zu einer Ideologie.<br />

Nun werden religiöse Neutralität und absolut religionsfreie öffentliche Räume unabdingbar<br />

<strong>sein</strong> für den Frieden in einer multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft.<br />

<strong>Der</strong> laizistische Staat kontrolliert die Religionen, dass sie die offene <strong>tolerant</strong>e<br />

Gesellschaft nicht stören. Kernaussagen biblischer Anthropologie, Ethik und Missiologie<br />

geraten ins Kreuzfeuer.<br />

Die schleichende Neudefinition von <strong>Toleranz</strong>:<br />

Es geht nicht mehr um Freiheit f ü r Religion, son<strong>der</strong>n um Freiheit v o n Religion!<br />

Denn sie verhin<strong>der</strong>t als „Opium“ die Mündigkeit und Autonomie des Menschen.<br />

3. Wenn die <strong>Toleranz</strong> zum Feind <strong>der</strong> <strong>Toleranz</strong> wird<br />

(a) Übertriebene <strong>Toleranz</strong> wird zur prinzipienlosen, schrankenlosen und<br />

grenzenlosen Freiheit für je<strong>der</strong>mann!<br />

(b) Übertriebene <strong>Toleranz</strong> for<strong>der</strong>t für sich uneingeschränkte kritiklose <strong>Toleranz</strong>,<br />

Nachsicht, Nachgiebigkeit und Wegschauen <strong>der</strong> Leute<br />

(c) Übertriebene <strong>Toleranz</strong> reagiert erstaunlich aggressiv, in<strong>tolerant</strong> und ungemütlich,<br />

wenn sie hinterfragt wird.<br />

In vielen Bereichen sind <strong>Toleranz</strong>grenzen o<strong>der</strong> <strong>Toleranz</strong>dosen zu beachten. Eine<br />

uneingeschränkte <strong>Toleranz</strong> für alle Grenzüberschreitungen, Dummheiten, Gemeinheiten,<br />

Unvernünftigkeiten, Irrtümer o<strong>der</strong> Perversionen wäre absurd.<br />

2


(d) Übertriebene <strong>Toleranz</strong> lässt die Freiheit zum Gegner <strong>der</strong> Freiheit werden!<br />

4. Eine Standortbestimmung für <strong>Christen</strong><br />

Eine fundamentalistische <strong>Toleranz</strong>ideologie ist in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> <strong>Toleranz</strong> neu,<br />

weil sie<br />

ohne Bezug zu transzendenten Grundwerten alles erlaubt und toleriert, nur nicht die<br />

Kritik an sich selbst als einer Pseudotoleranz und Pseudofreiheit.<br />

Dreierlei sollte für <strong>Christen</strong> klar <strong>sein</strong> und bleiben:<br />

> Die Einfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Religions- und Gewissensfreiheit ist ein genuin christliches<br />

Anliegen!<br />

Die Konsequenz: Wir for<strong>der</strong>n für uns <strong>Toleranz</strong> und respektvollen Umgang und wir<br />

„tolerieren“ ebenso respektvoll An<strong>der</strong>sgläubige, Atheisten und Agnostiker unter Vermeidung<br />

je<strong>der</strong> abschätzigen Verurteilung dessen, was uns fremd, ungewohnt o<strong>der</strong> komisch<br />

vorkommt. [Siehe Globale Charta <strong>der</strong> Gewissensfreiheit © EEA Mai 2012]<br />

> Die Freiheit zum Glaubenszeugnis und zum respektvollen Diskurs über<br />

grundlegende Überzeugungen und Gesellschaftsfragen üben wir weiterhin aktiv aus.<br />

Was in <strong>der</strong> Politik für die gewollte Au<strong>sein</strong>an<strong>der</strong>setzung durch Parteien gilt, muss auch für die<br />

übrige Gesellschaft und ihre religiös orientierten Bürger weiterhin gelten. Wenn wir jedoch<br />

als in<strong>tolerant</strong>e Sektierer hingestellt werden, sollten wir selbstkritisch nach <strong>der</strong> Ursache für<br />

dieses Image fragen.<br />

Die Konsequenz: Wir prüfen die Art und Weise, wie wir uns in öffentliche Diskussionen<br />

einbringen. Dabei unterscheiden wir Sach- und Personentoleranz: Christliche Wahrheit ist<br />

nicht apriori <strong>tolerant</strong>, aber sie macht <strong>tolerant</strong>.<br />

Stil <strong>der</strong> Kommunikation, Charakter <strong>der</strong> Begegnung, Kultur des Dialogs und die<br />

Gesprächsatmosphäre müssen die Menschenwürde des Gegners entsprechend <strong>der</strong><br />

Aussagen im NT beachten, beson<strong>der</strong>s wenn wir kritisch in<strong>tolerant</strong> protestieren müssen!<br />

Übrigens wichtig: Das beste Übungsfeld dafür wäre die Ökumene! Sind wir da schon Meister<br />

<strong>der</strong> <strong>Toleranz</strong>?! Wenn nicht genügend, <strong>können</strong> wir es dann in unserem säkularen Umfeld?<br />

> Wir sollten uns darauf einstellen, dass <strong>der</strong> antichristliche Gegner die „Freiheit von <strong>der</strong><br />

Religion <strong>–</strong> bzw. vom christlichen Glauben“ kategorisch verlangt.<br />

<strong>Christen</strong> werden das nie tolerieren und mit passivem (leidendem und mitleidendem)<br />

Wi<strong>der</strong>stand reagieren, weil diese Intoleranz in aller Regel unmenschliche Systeme installiert,<br />

in denen dann auch <strong>Christen</strong> eine bedrängte Min<strong>der</strong>heit sind.<br />

Die Konsequenz: Die Bereitschaft Unrecht zu erleiden anstatt Unrecht zu tun, entspricht dem<br />

christlichen Ethos (Gewaltverzicht in physischer, militärischer, psychischer, publizistischer,<br />

wirtschaftlicher, sozialer und politischer Form). <strong>Der</strong> uneingeschränkte Friedenswille und <strong>der</strong><br />

Verzicht auf Gegengewalt gehören zum attraktiven Zeugnis des Glaubens.<br />

Vor je<strong>der</strong> „Antwort“ wäre zu bedenken, welche Reaktion angemessen sind: Schweigen,<br />

Nichtbeachtung, Protest, öffentliche Verteidigung, multimediale Richtigstellung,<br />

Anklageerhebung …?<br />

Wir sollten das jetzt schon an diesen neuen Problemen und Schwierigkeiten üben. Wenn wir<br />

uns dem stellen, wird unser Glaube zu einer Reife geführt, die wir morgen vielleicht dringend<br />

brauchen.<br />

3


5. <strong>Toleranz</strong> <strong>–</strong> eine genuin christliche <strong>Grat</strong>wan<strong>der</strong>ung<br />

Erst wenn wir Gottes rettende Liebe in ihrer Tiefe erkannt haben, werden wir mutig<br />

und kreativ <strong>tolerant</strong> bleiben <strong>können</strong>!<br />

Gott selbst hat sich auf diese „<strong>Grat</strong>wan<strong>der</strong>ung“ begeben. Gott toleriert, erträgt und erduldet<br />

uns Menschen seit dem Noahbund, obwohl wir böse von Jugend auf sind (Gen 8,21f). Gott<br />

erhält die Schöpfung für Gerechte und Ungerechte (Mt 5,45) und <strong>sein</strong> Sohn Jesus Christus<br />

starb für uns, als wir noch Sün<strong>der</strong> waren (Röm 5,6-8).<br />

Gottes Selbsthingabe für uns ist eine Revolution <strong>der</strong> Liebe gegen unsere menschliche<br />

Rebellion, egomanischen Machtgelüste, Gewaltbereitschaft und Intoleranz.<br />

<strong>Der</strong> Gottessohn Jesu geht den Weg leiden<strong>der</strong> und lieben<strong>der</strong> <strong>Toleranz</strong>: „<strong>Wie</strong> lange soll ich<br />

noch bei euch <strong>sein</strong> und euch ertragen?“, fragt Jesus <strong>sein</strong>e Umgebung (Mt 17,17)!<br />

Prophetisch wird diese göttliche <strong>Toleranz</strong> von Jesaja angekündigt: „Fürwahr, er trug unsere<br />

Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen“ (Jes 53,4). Jesus hat uns toleriert, also<br />

hinaufgetragen bis ans Kreuz, um uns dort von unserer Gottesnegation zu erlösen.<br />

Gott offenbart uns eine „<strong>Toleranz</strong> höherer Ordnung“: Die exklusive Wahrheit <strong>sein</strong>er<br />

Erlösungstat verbindet sich mit <strong>sein</strong>er universalen unerschöpflichen Agape-Liebe!<br />

Damit ist „<strong>Toleranz</strong>“ für die christliche Nachfolge definiert:<br />

Es ist keine billige <strong>Toleranz</strong>, die alles erlaubt und relativiert, son<strong>der</strong>n eine <strong>Toleranz</strong>, die in <strong>der</strong><br />

Wahrheit des Evangeliums lebt, deshalb durchaus kritisch in<strong>tolerant</strong> um Gottes und <strong>der</strong><br />

Menschen willen <strong>sein</strong> kann und dabei doch zu Beidem bereit ist:<br />

„Ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht, mit dem wir alle hohen<br />

Gedankengebäude nie<strong>der</strong>reissen, die sich gegen die Erkenntnis Gottes auftürmen!“<br />

(Röm 1,16; 2Kor 10,5 )<br />

„Die Liebe ist langmütig und freundlich, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern<br />

und rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht <strong>der</strong> Ungerechtigkeit, sie freuet sich aber<br />

<strong>der</strong> Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles. Die Liebe<br />

höret nimmer auf … Denn unser Wissen und Weissagen ist Stückwerk …“ (1Kor 13,4-9).<br />

Damit wären wir wie<strong>der</strong> bei denen, die genau diese Dialektik echter <strong>Toleranz</strong> schon<br />

im Mittelalter im interreligiösen Trialog erkannt und zaghaft versucht haben<br />

umzusetzen.<br />

+ + +<br />

Schmidinger Heinrich (Hg.), Wege zur <strong>Toleranz</strong>. Geschichte einer europäischen Idee in<br />

Quellen. WBG 2002<br />

Hempelmann Heinzpeter, Gott ohne Gewalt! Warum <strong>Toleranz</strong> und Wahrheit für den<br />

christlichen Glauben zusammengehören. Brunnen 2009<br />

© Peter Henning/ Mai 2013<br />

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