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ennpunkt<br />
3/<strong>2013</strong> 4,00 Euro 29. Jahrgang Magazin für Fotografie<br />
Juli bis September <strong>2013</strong><br />
Galerien • Buchbesprechungen • Fotoszene<br />
Portfolio Nadine Dinter
FÜR ORIGINALE<br />
2 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
„Ich fotografiere für den Fine Art Druck. Erst die Kombination von hochwertigen traditionellen<br />
Büttenpapieren und modernster Drucktechnik bringt die sinnliche Qualität meiner Bilder optimal<br />
zur Geltung.“ Manfred Kriegelstein Die Digital FineArt Collection bietet exklusive Künstlerpapiere<br />
mit edler Haptik und bestechender Optik für den Inkjetdruck. Brillante Schwarz-Weiß-Aufnahmen<br />
oder subtile Farbfotografie werden dank unserer feinen Papiere der Individualität Ihrer Kunstwerke<br />
mehr als gerecht. Mehr Papierkunst unter www.hahnemuehle.de<br />
P A P I E R E M I T M U S E U M S Q U A L I T Ä T, A L T E R U N G S B E S T Ä N D I G U N D M E H R F A C H P R Ä M I E R T .
Impressum:<br />
<strong>brennpunkt</strong><br />
Magazin für Fotografie<br />
Erscheint vierteljährlich,<br />
erhältlich in Fotogalerien,<br />
Geschäften, Buchhandlungen<br />
und über Abonnement.<br />
Jahresabo 13,50 Euro<br />
Einzelpreis 4,00 Euro<br />
Konten:<br />
Postbank Berlin<br />
Konto-Nr. 3751 06-104<br />
BLZ 100 100 10<br />
Redaktionsschluss:<br />
jeweils am 10. vor dem Erscheinungsmonat<br />
Herausgeber:<br />
<strong>edition</strong> <strong>buehrer</strong><br />
c/o Dietmar Bührer<br />
Odenwaldstraße 26<br />
12161 Berlin<br />
Telefon u. Telefax: (0 30) 8 53 35 27<br />
e-Mail: <strong>buehrer</strong>-berlin@t-online.de<br />
Internet: www.<strong>edition</strong>-dibue.de<br />
Copyright bei Edition<br />
Druck:<br />
schöne drucksachen<br />
Bessemerstraße 76a, 12103 Berlin<br />
Redaktion:<br />
Dietmar Bührer V.i.S.d.P.<br />
Michael Gebur<br />
Klaus Rabien<br />
Manfred Kriegelstein<br />
Udo Rzadkowski<br />
Hinweis:<br />
Für unverlangt eingesandte<br />
Manuskripte und Fotografien<br />
wird keine Haftung übernommen.<br />
Galerien<br />
Ute Behrend »Conifer Club / Second Glance« ................................................... 5<br />
CAMERA WORK rocks ...................................................................................... 6<br />
Lutz Matschke »Schaufenster Berlin« ................................................................. 8<br />
AnnA J. Franken »Versunken« ............................................................................. 9<br />
Janos Frecot »Die Jahre mit der Kamera« ........................................................... 10<br />
Arnd Weider »Foucault´sche Interieurs« ............................................................. 12<br />
Marek Požniak »Berlin-London-New York« ....................................................... 14<br />
Christian Reister »BERLIN TRILOGIE« ................................................................ 16<br />
125 Jahre NATIONAL GEOGRAPHIC ................................................................ 19<br />
Kristin Maria Hachenberg »WASSER - SPIEGEL« ................................................. 20<br />
Lutz Müller-Bohlen »Faces of Rock« ................................................................... 21<br />
Frank Machalowski / Thomas Graichen »laut & leise« ......................................... 22<br />
Schidlowski, Sperling, Sundheim, Tschirner, Warmuth ........................................ 23<br />
Efraim Habermann »Berlin und auch Wilmersdorf« ............................................. 24<br />
Shooting Kitty – neun Fotografen, ein Model ...................................................... 26<br />
Ingo Porschien »Someone’s going to win the Lottery. Just not you.« .................. 28<br />
Calin Kruse »Raunen« ........................................................................................ 29<br />
Klassenausstellung »9Blickwinkel« ...................................................................... 30<br />
Harakiri / alles wird gut ...................................................................................... 32<br />
Dietmar Bührer »Grauzone Knast« ..................................................................... 33<br />
Bastienne Schmidt »Rituale« ............................................................................... 34<br />
Sameer Makarius »Buenos Aires in the Sixties« ................................................... 36<br />
The Flood Wall II – Projektion und Ausstellung um das Fotobuch ....................... 37<br />
Karin Idelson & Anke Schüttler »Privado« / »Book of Life« .................................. 38<br />
Galeriebesprechungen<br />
Mixed Pixels (Klaus Rabien) ............................................................................... 39<br />
Ausstellungen in Berlin ............................................................................................ 43<br />
Ausstellungen<br />
Justine Wodtke »Jenseits der Schärfe« ................................................................. 44<br />
Ursula Kelm »weit draußen und tief drinnen« ...................................................... 45<br />
Weege »The Famous« ........................................................................................ 46<br />
Ono Ludwig »Ikonen und Helden Werkschau« .................................................. 48<br />
about – 16 fotografische Positionen ..................................................................... 50<br />
Portfolio<br />
Nadine Dinter ..................................................................................................... 52<br />
Fotoszene<br />
UPON PAPER ..................................................................................................... 42<br />
Pepper & Winfried Bullinger ............................................................................... 62<br />
Efraim Haberman »zum 80.« ............................................................................... 64<br />
<strong>brennpunkt</strong> AWARD <strong>2013</strong> .................................................................................. 66<br />
Michael Gebur, Ulrich Meyer »Leben am Mekong« ............................................ 67<br />
Dietrich Oltmanns »Arche bauen ...« .................................................................. 67<br />
Edition Carpentier ............................................................................................... 67<br />
Kann man einem Bild trauen? (Manfred Kriegelstein) .......................................... 68<br />
Andy Warhol & Weegee, o.J. © Weegee/<br />
Institut für Kulturaustausch, Tübingen <strong>2013</strong><br />
Buchbesprechungen<br />
Harald Hauswald »Ferner Osten« ...................................................................... 58<br />
Der große Fotokurs ............................................................................................ 69<br />
Fotografie als Meditation ................................................................................... 69<br />
Naturfotografie – die große Fotoschule ............................................................... 69<br />
Vorschau 4-<strong>2013</strong> ..................................................................................................... 70<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
3
Galerien<br />
Ute Behrend<br />
»Conifer Club /<br />
Second Glance«<br />
Ute Behrend arbeitet mit Bildpaaren,<br />
die sich wie in ihren in der Alfred Ehrhardt<br />
Stiftung gezeigten Serien »Second<br />
Glance« und »Conifer Club« zu Bilderzählungen<br />
zusammenfügen. Ihre<br />
Zusammenstellungen schaffen Assoziationsräume,<br />
die über das Einzelbild<br />
hinaus weisen. Dabei berücksichtigt<br />
die Künstlerin, dass das visuelle Assoziationsvermögen<br />
dem Sprachsystem<br />
voraus geht. Anders als die Sprache<br />
oder die Schrift greift die Fotografie als<br />
sehr direktes Mitteilungsmedium offensiv<br />
in die Vorstellungswelt ein. Die poetische<br />
Kraft ihrer Bilder beruht darauf,<br />
dass sie Gefühle von Berührtsein oder<br />
Unbehagen auslösen, die sich nicht<br />
erklären lassen. Für Ute Behrend sind<br />
»Intuition und die Suche nach Klarheit«<br />
die wichtigsten Parameter ihres künstlerischen<br />
Schaffens.<br />
Ute Behrend, 2011,<br />
47,7 x 60 cm, Fine Art Print, © Ute Behrend, (Original in Farbe)<br />
In der eigens für die Alfred Ehrhardt Stiftung<br />
konzipierten Serie »Conifer Club«<br />
untersucht die Künstlerin ein gesellschaftliches<br />
Phänomen und seine Institutionalisierung:<br />
dass Koniferen als<br />
Platzhalter und Projektionsflächen für<br />
private oder öffentliche Inszenierungen<br />
ihrer Freiheit beraubt und »verschönert«<br />
werden. Die gestutzten Bäume<br />
und Hecken bezeugen auch »das vorprogrammierte<br />
Scheitern der rührenden<br />
Bemühung, dem eigenen Dasein vielleicht<br />
doch so etwas wie Größe zu verleihen«<br />
(Ute Behrend). Koniferen sind<br />
oft in bestimmten Dörfern und Stadtvierteln<br />
anzutreffen, wo sie von einem<br />
erkennbaren Willen zur Gestaltung<br />
zeugen. Die Sehnsucht des Hausbesitzers<br />
nach einer leicht zu reinigenden<br />
Außenanlage führt manchmal zu Tristesse.<br />
Koniferen erscheinen als ideales<br />
Mittel, dem abzuhelfen. Außerdem<br />
bieten sie Sichtschutz, garantieren Privatheit<br />
und kommen dem Bedürfnis<br />
nach Sicherheit entgegen. Für die Fotografin<br />
war es daher nicht immer einfach,<br />
diese Serie zu fotografieren. Sie wurde<br />
Ute Behrend, 2011, 47,7 x 60 cm, Fine Art<br />
Print, © Ute Behrend,<br />
(Original in Farbe)<br />
misstrauisch beäugt, zur Rede gestellt,<br />
ihre Autonummer wurde notiert, sie<br />
wurde beschimpft und zu guter Letzt<br />
- Ironie der Sache - hat man sie auch<br />
fotografiert. »Bleibt die Frage nach<br />
der Pflanze: Mögen unsere schönen<br />
Brüder und Schwestern dies, was man<br />
mit ihnen tut? Schwer zu sagen, aber<br />
eines ist sicher, sie wehren sich gegen<br />
die Form. Sie sind nur an Licht interessiert<br />
und dahin geht ihr tägliches Streben.<br />
Zur wahren Größe eben«.<br />
Ute Behrend<br />
Eröffnung:<br />
Freitag, 5. Juli <strong>2013</strong> um 19 Uhr<br />
in Anwesenheit der Künstlerin<br />
Ute Behrend, 2012,<br />
47,7 x 60 cm, Fine Art Print, © Ute Behrend,<br />
(Original in Farbe)<br />
6. Juli bis 22. September <strong>2013</strong><br />
Alfred Ehrhardt Stiftung<br />
Auguststraße 75<br />
10117 Berlin-Mitte<br />
Di – So 11 – 18 Uhr<br />
Do 11 – 21 Uhr<br />
www.alfred-ehrhardt-stiftung.de<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
5
Galerien<br />
CAMERA WORK<br />
rocks<br />
© Ellen von Unwerth, Rihanna, 2009<br />
Die eigenkuratierte Ausstellung zeigt<br />
mit über 100 Photoarbeiten der bekanntesten<br />
Künstler der Welt eine Auswahl<br />
an herausragenden Porträts der einflussreichsten<br />
Musiker der vergangenen Jahrzehnte.<br />
Zwischen Selbstverwirklichung und<br />
Selbstinszenierung Bedeutsame Porträtphotographien<br />
können ein Leben<br />
erzählen, das Persönlichkeitsbild und<br />
die Reputation in der Öffentlichkeit<br />
prägen, ein Image kreieren oder manifestieren<br />
und sich letztlich im kollektiven<br />
Bewusstsein verankern. Ein visuelles<br />
Bild korreliert mit dem Denkbild<br />
des Rezipienten und vervollständigt den<br />
Blick auf und die Meinung über die Persönlichkeit.<br />
Die Darstellung eines Musikers<br />
in der Photographie ist differenziert<br />
zu betrachten: Paparazzi-Aufnahmen,<br />
Dokumentar- oder On- Stage-Photographien<br />
besitzen sowohl einen individuellen<br />
ästhetischen als auch inhaltlichen<br />
Charakter und dienen jeweils<br />
anderen Verwendungszwecken. Alleinig<br />
der Photokunst bleibt es aber vorbehalten,<br />
eine Symbiose zwischen<br />
dem Photographen und dem Porträtierten<br />
entstehen zu lassen und das Bestreben<br />
beider nach künstlerischer Selbstverwirklichung<br />
umzusetzen. Nur dieses<br />
gemeinsame »Spiel« der Protagonisten<br />
lässt künstlerische Arbeiten entstehen,<br />
die sich durch eine herausragende Bildsprache,<br />
eine besondere Ausdruckskraft<br />
und Wirkung sowie einen teilweise inszenierenden,<br />
narrativen und stets faszinierenden<br />
Inhalt auszeichnen – und<br />
»CAMERA WORK rocks« gibt Einblick in<br />
diese Sphäre. Photographen wie Richard<br />
Avedon, Anton Corbijn, Annie Leibovitz,<br />
Gered Mankowitz oder Albert Watson<br />
haben viele der berühmtesten Musiker<br />
und Bands aus der Geschichte des<br />
Rock und Pop zu Symbolen eines Lifestyles<br />
geformt und mit ihnen gemeinsam<br />
einen bedeutenden Teil zur Prägung der<br />
Photokunst beigetragen.<br />
Queens, Bad Boys und Chamäleons<br />
Dementsprechend nicht als Chronik<br />
der Musikgeschichte, sondern als<br />
exklusive Auswahl herausragender Porträts<br />
der Photokunst aus über fünf Jahrzehnten<br />
zeigt »CAMERA WORK rocks«<br />
insgesamt über 100 Arbeiten mit mehr<br />
als 30 Musikern und Bands, photographiert<br />
von über 20 der berühmtesten<br />
Photokünstler. Unter den ausgestellten<br />
Arbeiten befinden sich u.a. die legendäre<br />
Beatles-Serie von Richard Avedon,<br />
berühmte Porträts von Johnny Cash oder<br />
Tom Waits von Anton Corbijn, eines<br />
der bekanntesten Jimi-Hendrix-Porträts<br />
aller Zeiten von Gered Mankowitz<br />
oder eine moderne Photomontage im<br />
Panoramaformat von Kanye West des<br />
Künstlers Ralph Mecke. Auch Meister<br />
der Selbstinszenierung und Enfant Terribles<br />
wie die Rolling Stones – photographiert<br />
von Sante D’Orazio, Peter Lindbergh<br />
oder Terry O’Neill – und Iggy Pop<br />
sind Teil der Ausstellung, die auch zahlreiche<br />
weltbekannte Photographien von<br />
David Bowie präsentiert. Brian Duffys<br />
großformatiges Porträt von Bowie, welches<br />
1973 für sein Album »Aladdin<br />
Sane« gemacht wurde oder Albert Watsons<br />
surreal anmutendes Bild des Sängers<br />
offenbaren die Wandelbarkeit und<br />
6 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galerien<br />
© Anton Corbijn, Patti Shmith<br />
© Olaf Heine, Snoop Dog, Los Angeles, 2004<br />
© Herb Ritts, Elton John, WITH TOP HAT, Los Angeles, 1989<br />
das verinnerlichte Kunstverständnis des<br />
»Chamäleon des Pop«. Zwischen fantasievoller<br />
Eigendarstellung und selbst<br />
kreierter Kunstfigur bewegen sich nicht<br />
nur die Porträts von David Bowie. Auch<br />
Lady Gaga oder Boy George entfalten<br />
vollends ihr Dasein als extravagante<br />
Schöpfungen in den Werken Ellen<br />
von Unwerth oder Michel Comte und<br />
erhalten ihre gerahmte Würdigung bei<br />
»CAMERA WORK rocks«.<br />
Dabei ist es nicht immer der exzentrische<br />
Wahnsinn und stereotypisierte<br />
»Sex, Drugs and Rock’n’Roll«-Lebensstil,<br />
der von Musikern nach außen<br />
getragen werden muss. Ein provokatives<br />
Madonna-Porträt von Herb Ritts,<br />
ein laszives Gruppenporträt der Pussycat<br />
Dolls von Martin Schoeller oder ein<br />
pittoresker Ganzkörperakt der Sängerin<br />
Rihanna von Russell James reihen sich<br />
in bedächtige, melancholische und feinfühlige<br />
Darstellungen ein. Der Rapper<br />
Snoop Dogg in kriegerischer Pose, photographiert<br />
von Olaf Heine, oder eine<br />
Darstellung von Sting mit der bekannt<br />
sinnlichen Bildästhetik von Paolo<br />
Roversi offenbaren ruhige Stimmungen<br />
und zeigen eine weitere Facette<br />
der emotionalisierten Inszenierung von<br />
Musikern in der Photokunst.<br />
Künstler in der Ausstellung<br />
Richard Avedon, Harry Benson, Michel<br />
Comte, Anton Corbijn, Michelangelo<br />
Di Battista, Sante D’Orazio, Brian<br />
Duffy, Bob Gruen, Olaf Heine, Dominique<br />
Issermann, Russell James, Nadav<br />
Kander, Astrid Kirchherr, Steven Klein,<br />
Robert Lebeck, Annie Leibovitz, Peter<br />
Lindbergh, Gered Mankowitz, Elaine<br />
Mayes, Ralph Mecke, Romney Müller-<br />
Westernhagen, Eugenio Recuenco,<br />
Terry O’Neill, Bettina Rheims, Herb<br />
Ritts, Paolo Roversi, Jerry Schatzberg,<br />
Martin Schoeller, Ellen von Unwerth,<br />
Albert Watson, u.a.<br />
bis 17. August <strong>2013</strong><br />
Galerie Camera Work<br />
Kantstraße 149<br />
10623 Berlin-Charlottenburg<br />
Di – Sa<br />
11– 18 Uhr<br />
Homepage:<br />
www.camerawork.de<br />
Facebook:<br />
www.facebook.com/cameraworkberlin<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
7
Galerien<br />
Lutz Matschke<br />
»Schaufenster Berlin«<br />
Was ist wirklich? Was spiegelt wen?<br />
Angezogene Puppen hinter Glas. Lutz<br />
Matschke fotografierte in Berlin die<br />
Resultate einer Textilindustrie, der<br />
Modebranche, inszeniert in Schaufenstern.<br />
Das Zur-Schau-Gestellte sucht<br />
stetig unseren Blick. Wir stehen an der<br />
Seite des Fotografen und blicken von<br />
Außen. Wir behaupteten, wir wären<br />
achtlos an den Schaufenstern vorüber<br />
gegangen und ahnen doch, dass das nur<br />
die halben Wahrheit ist.<br />
Diese Fenster sind Teil einer Stadtkultur.<br />
Sie üben ihren Einfluss aus, haben<br />
Showcharakter, sind gegebenenfalls<br />
Event. Hier wird nicht aufgeklärt; hier<br />
wird geprägt. Das Geschäft ist dabei<br />
längst gemacht.<br />
Was wird dabei wem versprochen oder<br />
gehen wir mit dieser Frage bereits allem<br />
auf den Leim? Nicht zu übersehen: Individualisierungsverpflichtung<br />
als Chimäre<br />
eines Konsumversprechens. Die<br />
Folie: ein temporäres Ideal. Subjektivität,<br />
die ihre Zeit hat und auf der Haut<br />
getragen wird. Massenkonsum als Lieferant<br />
der Selbstinszenierung. Werbung<br />
als Verheißung, dass dies auf diesem<br />
Wege möglich sei (als schlössen sich<br />
Masse, Konsum und Subjekt nicht aus).<br />
Und schließlich: nicht selber sehen aber<br />
gesehen werden. Fassaden scheinbarer<br />
Bewegung. Moralischer Verschleiß.<br />
So viel Haut – und dennoch entsteht<br />
keine Erotik, nichts Amouröses. Es sind<br />
Oberflächen und diese werden zu<br />
Markte getragen; sie sind glatt, steril,<br />
aseptisch. Hinter den Scheiben Atmosphären<br />
von lauwarm bis kalt.<br />
Die Fantasie der Hersteller trifft auf die<br />
Fantasie der Werbegestalter, die nicht<br />
zwangsläufig eine freiwillige sein muss.<br />
Es wird nicht denunziert. Die Abhängigkeiten<br />
sind zu klar. Meinung ist nicht<br />
gefragt. Spannend wäre es allerdings.<br />
Alle funktionieren – und das sieht man<br />
- bis zum nächsten Mal.<br />
Die Fotografien deuten an, dass diese<br />
Räume ein Gegenüber haben; es muss<br />
irgendwo eine Gesellschaft geben. Bestenfalls<br />
ist sie es, die diesen Stillstand<br />
aufhebt und die dem Schein ein Ende<br />
macht. Uwe Warnke, Mai <strong>2013</strong><br />
© Lutz Matschke, »CHANEL Berlin«, June 2011, LM 0128, (Original in Farbe)<br />
© Lutz Matschke, »STOFFHAUS Berlin«,<br />
Friedrichshain, March 2011, LM 0126,<br />
(Original in Farbe)<br />
bis 18. Juli <strong>2013</strong><br />
unterwegs<br />
Antiquariat & Galerie<br />
Torstraße 93<br />
10119 Berlin-Mitte<br />
Di – Fr<br />
Sa<br />
15 – 19 Uhr<br />
12 – 15 Uhr<br />
8 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galerien<br />
AnnA J. Franken<br />
»Versunken«<br />
AnnA J. Franken begann während ihres<br />
Stipendiums vom Fonds voor Podiumkunsten<br />
für Tangogesang in Buenos Aires<br />
(2011-2012) die Arbeit ihrer Musikerkollegen<br />
fotografisch zu dokumentieren.<br />
Ihr Fokus lag hierbei auf dem Einfangen<br />
der faszinierenden Atmosphäre von<br />
Konzerten: geprägt von den schummrig<br />
bis grellen Lichtverhältnissen der Theater,<br />
Bars, Spelunken und Wohnzimmer<br />
der Tangueros, dem Lebensgefühl der<br />
Menschen die den Tango erleben und<br />
dieses durch individuelle Mimiken und<br />
Gesten ausdrücken.<br />
© AnnA J. Franken<br />
© AnnA J. Franken, (Original in Farbe)<br />
© AnnA J. Franken<br />
Gesichter waren und sind der Schwerpunkt<br />
ihres fotografischen Tuns. Die<br />
Sängerin sucht das Gespräch mit der<br />
Person die sie portraitiert, sei es der<br />
Violaspieler im Café bei Probenpausen,<br />
die Journalistikstudentin inmitten<br />
ihrer viel zu kleinen Einzimmerwohung<br />
oder das Liebespaar das den Moment<br />
ihrer ersten Begegnung Revue passieren<br />
lässt. Es entstehen intieme Momentaufnahmen<br />
von Menschen die Geschichten<br />
aus ihrem Leben erzählen.<br />
© AnnA J. Franken, (Original in Farbe)<br />
bis 6. September <strong>2013</strong><br />
Caritas Galerie Berlin<br />
Residenzstraße 90<br />
13409 Berlin-Wedding<br />
Mo – Do 8 – 17 Uhr<br />
Fr 8 – 15 Uhr<br />
und nach Vereinbarung<br />
Telefon 030 666 331 044<br />
www.caritas-spenden-berlin.de<br />
www.facebook.com/caritas.<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
9
Galerien<br />
Janos Frecot<br />
»Die Jahre mit der<br />
Kamera«<br />
© Janos Frecot, Berlin 1965/66<br />
Manche Wunden des Krieges in Berlin<br />
waren bereits geheilt, als Janos Frecot<br />
zwischen 1964 und 1966 mit seiner<br />
Kamera durch die Stadt flanierte, ganz<br />
im Geiste Franz Hessels. Er interessierte<br />
sich für die steinernen Brachen, für die<br />
Denkmäler auf der leeren Bühne, die der<br />
Bombenkrieg und die Trümmerbeseitigung<br />
geschaffen hatten. In dieser Zeit<br />
entwickelte Frecot einen genauen und<br />
sachlichen Blick für die Berliner Architektur<br />
und stadtplanerische Details. So<br />
entstand in kürzester Zeit ein autonomes,<br />
konzeptionelles Werk einer provisorischen<br />
Stadtlandschaft fast ohne<br />
Menschen. Dabei konzentrierte er sich<br />
auf einen Teil Berlins rund um die südliche<br />
Friedrichstadt sowie auf Hausfassaden<br />
und Brandwände, die er mit<br />
all ihren Zeitspuren und großflächigen<br />
Schattenwürfen in unvergleichlichen<br />
Grauwertabstufungen wiedergab. Eine<br />
genaue Lokalisierung der Aufnahmestandpunkte<br />
ist für den heutigen Bildbetrachter<br />
schwer, mitunter unmöglich,<br />
zumal alle Bilder der Serie pauschal<br />
den schlichten Titel »Berlin 1965/66«<br />
tragen.<br />
Janos Frecot wurde im Nachkriegsberlin<br />
geprägt, nicht nur visuell. Dem jungen<br />
Mann, geboren 1937 in Freidorf, einem<br />
Stadtteil des westrumänischen Timisoara,<br />
und aufgewachsen in Erkner bei<br />
Berlin, wurde die Handhabung einer<br />
Kamera von seinem Vater vermittelt.<br />
Doch bis zu den ersten relevanten Aufnahmen<br />
war es noch ein weiter Weg.<br />
1957, kurz nach dem Abitur, kaufte er<br />
sich eine gebrauchte Balgenkamera und<br />
richtete sich bald danach eine eigene<br />
Dunkelkammer ein. Doch erst die Aufnahmen<br />
des Bildhauersymposiums<br />
im österreichischen St. Margarethen<br />
von 1964 bewertet er selbst als erste<br />
inhaltlich und künstlerisch akzeptierte<br />
Sequenz im eigenen Werk. Sie stehen<br />
formal den etwa gleichzeitig entstandenen<br />
Stadtaufnahmen in Berlin nahe. Eine<br />
Auswahl von 20 Berlin-Motiven publizierte<br />
er bereits 1965 unter dem schlichten<br />
Titel »Mauern« in kleiner Auflage im<br />
Berliner Madgalinski Verlag.<br />
Janos Frecot war in den wenigen Jahren<br />
als Fotograf nicht am schnellen, politischen<br />
Tagesgeschehen interessiert, sondern<br />
an den langsamen, schleichenden<br />
Veränderungen im Gefüge der Stadt. So<br />
fokussierte er seinen Blick auf die häufig<br />
ruinöse Gründerzeitarchitektur, gleichsam<br />
auf das Skelett der kriegsversehrten<br />
Stadt. Wir entdecken nur marginale<br />
Hinweise auf das sich langsam normalisierende<br />
Leben in dieser aufgeräumten<br />
Trümmerwelt, etwa auf den Zirkus Sarrasani,<br />
eine Tankstelle oder das winzige<br />
Schild eines Fotoateliers, das als einziges<br />
inmitten von Kriegsruinen zahlende<br />
Kunden anlocken sollte. Mauern und<br />
die Lücken zwischen den Ruinen mit<br />
all ihren Zeitspuren blieben bei Frecot<br />
in den meisten Fällen Hauptmotive: So<br />
wird auch die Leere zum Motiv, vielleicht<br />
zum Symbol für die Hoffnung<br />
auf den visionären Architekturentwurf.<br />
Frecot nimmt mit seiner Fotografie keine<br />
Wertung vor, sondern zeigt schlicht den<br />
Ist-Zustand – und legt mit seinen Bildern<br />
der stummen, steinernen Zeugen den<br />
Finger in die noch offene Wunde der<br />
schwierigen, lange währenden Kriegsbewältigung.<br />
Viele der Aufnahmen zeigen fleckige<br />
Oberflächen der Brandwände, die auch<br />
Zeitzeichen und Zeitschichten sind, wei-<br />
10 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galerien<br />
© Janos Frecot, Berlin 1965/66<br />
terhin Risse, an manchen Stellen abgeplatzter<br />
Putz, wodurch das Ziegelmauerwerk<br />
sichtbar wird, oder verwitterte<br />
Werbeschriften, mit denen für Waschmittel,<br />
Leihhäuser und Beerdigungsinstitute<br />
geworben wird. An manche<br />
Hauswände haben Kinder mit Kreide<br />
ein Fußballtor aufgezeichnet; die freie<br />
Fläche zwischen den Häusern wird zu<br />
einem Rückzugsort kindlichen Spiels,<br />
es kommt zu einer Rückeroberung und<br />
Umwidmung städtischen Raumes.<br />
Stets ist es ein Spiel mit Oberflächen, mit<br />
hermetischen und blickdichten Wänden<br />
und architektonischen Außenhäuten,<br />
die keinen Blick auf das Dahinterliegende<br />
zulässt. Manche urbane Freifläche<br />
verwandelt sich trotz ihrer Weite in<br />
eine klaustrophobische Enge.<br />
Verblüffend bleibt, dass die Berliner<br />
Mauer, die für nahezu alle damals nach<br />
West-Berlin reisenden Fotografen zu<br />
einem wichtigen Bildmotiv wurde, bei<br />
Frecot überhaupt keine Rolle spielte,<br />
ebenso wenig die Architektur der Grenzanlagen<br />
mit Stacheldraht und Wachtürmen.<br />
Dabei war Frecot immer wieder<br />
auch in der Nähe der Mauer unterwegs;<br />
er unterschied nicht zwischen Hauptwegen<br />
und Nebenwegen auf seinen Streifzügen<br />
über die Insel West-Berlin. Ihm<br />
ging es nicht um eine lückenlose und<br />
beispielhafte Charakterisierung seines<br />
Hauptaufnahmeortes, vielmehr um eine<br />
teilweise kaum zu lokalisierende, aber<br />
typische Architektur der Stadt. Auf diese<br />
Weise verschob er traditionelle Charakteristika<br />
der Stadtfotografie.<br />
Seine fotografische Position bleibt ungewöhnlich<br />
und solitär. Die legendäre<br />
Aufnahme des einflussreichen Grenzgängers<br />
Arno Fischer, der »Riss in der<br />
Mauer« eines Wohnhauses in Berlin-<br />
Wedding von 1953, steht am Anfang<br />
dieses grundsätzlichen wie sinnbildhaften<br />
Mauer-Themas – und wird 1965 von<br />
Frecot mit ähnlicher Radikalität einer<br />
Detailansicht unbewusst paraphrasiert.<br />
Das was wir auf seinen Bildern nicht<br />
sehen (können), ist die Begeisterung für<br />
das Werk einiger Kollegen, stattdessen<br />
äußerte er seine Zuneigung in Gesprächen<br />
mit Studenten oder in Form von<br />
Essays: Die Freude etwa mit Blick auf<br />
manche Aufnahmen von Herbert Tobias,<br />
mit denen dieser eine zugleich freudige<br />
und melancholische Stimmung einfing,<br />
die wohl nur derjenige verstehen und<br />
erspüren konnte, der damals in ähnlichen<br />
Verhältnissen in Berlin lebte und<br />
auf diese Stadt schaute. Wer Frecot<br />
bei seinen Vorträgen oder Seminaren<br />
erlebte, kam in den Genuss eines tiefen<br />
Verständnisses und einer grundlegenden<br />
Kenntnis um das Medium Fotografie<br />
– jenseits kunsthistorischer oder bildwissenschaftlicher<br />
Terminologie.<br />
Nach den Stationen Werkbund-Archiv<br />
© Janos Frecot, Berlin 1965/66<br />
und Akademie der Künste folgte 1978<br />
eine Position, die indirekt auch die<br />
Beschäftigung mit der eigenen Fotografie<br />
weiterführte, die er zwölf Jahre zuvor<br />
aufgegeben hatte: Für die Berlinische<br />
Galerie, das Landesmuseum für Bildende<br />
Kunst, baute er unter den Direktoren<br />
Eberhard Roters und Jörn Merkert<br />
eine fotografische Sammlung auf, die<br />
nicht nur in Berlin ihresgleichen suchte<br />
und die er bis zur Pensionierung im Jahr<br />
2002 leitete. Die immer weiter wachsende<br />
Sammlung wurde in zahlreichen<br />
thematischen oder monografischen<br />
Ausstellungen im Martin-Gropius-Bau,<br />
dem früheren Kunstgewerbemuseum,<br />
gezeigt – und zwar zu einem Zeitpunkt,<br />
als es für die Fotografie in Berlin kaum<br />
andere Ausstellungsorte gab.<br />
So entstand ein bedeutendes Lebenswerk,<br />
aktiv und vermittelnd, von dem<br />
ein wichtiges Kapitel, eine in nur drei<br />
Jahren entstandene subjektive Zeitgeschichte<br />
Berlins in Bildern, nun endlich<br />
wiederzuentdecken ist.<br />
Matthias Harder<br />
Zur Ausstellung erscheint ein Katalogbuch<br />
im Nicolai-Verlag:<br />
Janos Frecot<br />
Die Jahre mit der Kamera<br />
Fotografien aus Berlin 1964–1966<br />
ca. 120 Seiten, ca. 75 Abbildungen im<br />
Duotone, ca. Euro 39,95<br />
25. August bis 29. September <strong>2013</strong><br />
Kommunale Galerie<br />
Hohenzollerndamm 176<br />
10713 Berlin-Wilmersdorf<br />
Di – Fr<br />
Mi<br />
So<br />
10 – 17 Uhr<br />
10 – 19 Uhr<br />
11 – 17 Uhr<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
11
Galerien<br />
Arnd Weider<br />
»Foucault’sche<br />
Interieurs«<br />
Die Räume, die Arnd Weider in Berlin<br />
und anderswo in Szene setzt, haben es<br />
(im wahrsten Sinne des Wortes) in sich:<br />
Denn sie tragen etwas in sich oder auf<br />
den sie begrenzenden Wänden, etwas<br />
Auratisches, Metaphysisches. Weider<br />
ist mit seiner Architekturphotographie<br />
auf der Suche nach dem Foucault’schen<br />
Begriff der Heterotypien. Dies sind, so<br />
der französische Philosoph Michel Foucault,<br />
wirksame Orte, in die die Gesellschaft<br />
hineingezeichnet ist – es seien tatsächlich<br />
realisierte Utopien.<br />
Und Weider wird auf dieser Suche immer<br />
wieder fündig. Der Flughafen Tempelhof<br />
entspricht beispielsweise diesem<br />
Schema. Ausgestattet mit dem »Tempelhof-Schöneberger<br />
Fotostipendium«<br />
fotografierte er dort vor zwei Jahren<br />
ausgiebig – und nennt die Bildserie<br />
»Das Provisorium«. Vieles in der Berliner<br />
Architektur (aber nicht nur hier)<br />
gleicht einem Provisorium. »Zwischennutzung«<br />
ist nicht nur zu einem geläufigen,<br />
ja inflationären Begriff geworden,<br />
faktisch ist sie eine aus der Not<br />
geborene Tugend. Und Flughäfen sind<br />
genuin transitorische Orte, Schleusen<br />
zwischen den kaum fassbaren Zeitstufen<br />
Nicht-Mehr und Noch-Nicht.<br />
Der Tempelhofer Flughafen hat bekanntlich<br />
eine wechselvolle Geschichte: Er<br />
war nach seiner Eröffnung 1923 einer<br />
der ersten großen Flughäfen in Europa,<br />
steht aber auch für die verbrecherische<br />
Ideologie der Nationalsozialisten sowie<br />
später, zu Zeiten der so genannten Luftbrücke,<br />
für die Hoffnung einer ganzen<br />
Stadt. In mehreren Bauabschnitten,<br />
zuletzt während des NS-Regimes, entstand<br />
eines der größten Gebäude der<br />
Welt. Der zivile Luftverkehr lief dort (auf<br />
recht niedrigem Niveau) immer weiter<br />
und wurde erst vor fünf Jahren eingestellt.<br />
Inzwischen gastiert dort in einigen<br />
Gebäudeteilen mal eine Modemesse,<br />
mal eine Kunstmesse. Es gibt viele Vorschläge<br />
für eine zukünftige Nutzung<br />
© Arnd Weider, Flughafen Tempelhof, Eingangsbereich, aus der Serie: Das Provisorium,<br />
Berlin 2011, (O.i.F. )<br />
(oder Zwischennutzung), vielleicht wird<br />
auch das Alliiertenmuseum dort eines<br />
Tages untergebracht.<br />
Arnd Weider sucht in den Gebäuden<br />
und Räumen des ehemaligen Flughafens<br />
nach Zeitspuren, die die unterschiedlichen<br />
politischen Systeme, die<br />
unterschiedlichen Gebäudefunktionen<br />
und die vielen Menschen dort hinterlassen<br />
haben. Im Idealfall existiert im<br />
finalen Bild nicht nur das Provisorische<br />
oder Zeitspezifische sondern auch ein<br />
Nebeneinander der Zeiten.<br />
Zeitspuren und Zeitschichten existieren<br />
fast überall, in Kirchen und Bürgerhäusern,<br />
in Sportstadien oder Arbeitsämtern.<br />
Doch Arnd Weider spürt mit<br />
seinem Werk besondere Orte auf, in<br />
denen eine besondere atmosphärische<br />
Stimmung herrscht, die er kongenial ins<br />
Bild übersetzt. Möglicherweise würden<br />
wir diese Stimmung, die wir in der Aufnahme<br />
spüren können, im realen Raum<br />
nicht empfinden. In diesem Fall wäre<br />
Weiders photographischer Blick mehr<br />
als eine Übersetzung, vielmehr eine<br />
Stilisierung oder Inszenierung.<br />
12 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galerien<br />
Mal besticht in seinen Aufnahmen die<br />
kühle Funktionalität in Axel Schultes<br />
Krematorium, mal die klinische Reinheit<br />
im Krankenhaus Moabit – Räume<br />
mit zartem Lichteinfall oder überstrahlten<br />
Fenstern. Dann wiederum begegnet<br />
uns das noch heute erhaltene propagandistische<br />
Menschenbild in Form<br />
eines Flachreliefs im Berliner Olympiapark<br />
und schließlich immer wieder auch<br />
pure, schlichte Räume, nach mehreren<br />
Renovierungsschritten zeitlos, ohne<br />
Verortung. Der leere, schmucklose<br />
Raum ist dann nurmehr bloße Hülle.<br />
Der Flughafen Tempelhof wird von<br />
Weider hingegen in überraschenden,<br />
unterschiedlichen Blickwinkeln porträtiert:<br />
Dem Photo der Glasfassade im<br />
Eingangsbereich sieht man keineswegs<br />
die enorme Größe der dahinter liegenden<br />
repräsentativen Halle an und in den<br />
technischen Räumen des Flugzeugbaus<br />
entdeckt man an den Wänden zahlreiche<br />
Schleifspuren oder Staubablagerungen.<br />
Dieses flächige Bild besteht eigentlich<br />
nur aus der rückliegenden Wand,<br />
einem Stück Boden und Decke; eine<br />
raumkonstituierende Ecke existiert hier<br />
nicht. Die Funktionalität des Stahlträgers,<br />
jenseits seiner statischen Bedeutung,<br />
erschließt sich uns nicht mehr, und<br />
das angeschnittene Verkehrsschild am<br />
rechten Bildrand lässt den Ort weder<br />
eindeutig als Außen- oder Innenraum<br />
erscheinen. Weider zwingt uns grundsätzlich<br />
zum genauen Hinschauen und<br />
Nachdenken.<br />
Die völlige Aufhebung früherer Funktionen<br />
fällt schließlich auch beim Bild des<br />
ehemaligen Flughafenhotels ins Auge:<br />
Weider wählt ein einfaches Zimmer und<br />
blickt dort in eine Raumecke mit halbzugezogenem<br />
Fenster. So entsteht auch<br />
hier unweigerlich ein Dualismus zwischen<br />
Innen und Außen, selbst wenn<br />
die freiliegende Fensterhälfte hell überstrahlt<br />
und insofern blind bleibt. Die früheren<br />
Nutzer des Hotelzimmers sind<br />
kaum mehr zu imaginieren. Alle diese<br />
Orte sind aufgegeben, verblasst, vergessen<br />
und haben höchstens in einer radikalen<br />
Umnutzung eine Zukunft. Durch<br />
das Bild wird der Ort dem Vergessen<br />
entrissen, jedoch nur exemplarisch und<br />
nur für einen kurzen Moment.<br />
© Arnd Weider, Flughafenhotel, aus der Serie:<br />
Das Provisorium, Berlin 2011, (O.i.F.)<br />
Der Photograph arbeitet in Serien, und<br />
er arbeitet mit seinen Mittel- und Großformatkameras<br />
formal und inhaltlich auf<br />
sehr hohem Niveau. Es sind auch soziologische<br />
Studien, kritische Bestandsaufnahmen,<br />
die wie jede Photographie<br />
zugegebenermaßen subjektiv bleiben.<br />
Weider untersucht unsere Lebensräume<br />
inklusive ihrer Effizienzkriterien,<br />
dies wird besonders deutlich in der<br />
Sequenz mit dem Titel »Aisthesis«, entstanden<br />
über einen Zeitraum von sechs<br />
Jahren, zwischen 2005 und 2011. Er<br />
zeigt dort Außenräume und Naturelemente,<br />
etwa blickdichte Hausfassaden<br />
und einzeln stehende Bäume. Auch hier<br />
fehlt der Mensch, der die Architektur<br />
gebaut und die Natur domestiziert hat:<br />
Es sind Abwesenheitsnotizen, gemeinhin<br />
Stellvertreter.<br />
Mitunter überrascht, ja verstört die radikale<br />
Leere und Stille der menschenleeren<br />
Räume. Photographieren ist für ihn<br />
ein kontemplativer Moment, ein Verschmelzen<br />
äußerer und innerer Wahrnehmung;<br />
insofern spiegeln seine Aufnahmen<br />
auch eine innere Weltsicht<br />
wieder – und entsprechen vielleicht<br />
einer Art Selbstportrait.<br />
Mit bewusst gewählten Kameraperspektiven<br />
und im Wechselspiel zwischen<br />
Dokumentation und Inszenierung kreiert<br />
Weider diese Räume erst für unsere<br />
Rezeption. Insbesondere mit der Aisthesis-Bildserie<br />
thematisiert er Wahrnehmung,<br />
eine Verbindung sinnlichen und<br />
kognitiven Erfassens. Vor seiner Photographieausbildung<br />
unter anderem an<br />
der Ostkreuzschule studierte er unter<br />
anderem Philosophie – und inzwischen<br />
verbindet er konsequent und intelligent<br />
diese unterschiedlichen Interessensgebiete.<br />
Dem eigentlichen photographischen<br />
Werk vorgeschaltet ist die Suche nach<br />
einem geeigneten Ort sowie die Recherche<br />
und Analyse dieses Ortes als Untersuchungsgegenstand.<br />
Die jüngste Bildserie<br />
entstand in Prora unter dem Titel<br />
»Schichtungen« – noch ein Relikt aus<br />
der NS-Zeit mit ihrer damaligen architektonischen<br />
Großmannssucht. Heute<br />
gleicht dieses völlig überdimensionierte<br />
Ferienlager an der Ostsee, dessen Bau<br />
zu Kriegsbeginn gestoppt und dennoch<br />
später unterschiedlich genutzt wurde,<br />
einer Märchenlandschaft, wie Weider<br />
es nennt. Es sind Häuser, die langsam<br />
zerfallen, eingebettet in einen geradezu<br />
mystischen Wald. So entsteht in seinen<br />
Aufnahmen eine unentwirrbare Melange<br />
aus Vergangenheit und Gegenwart, aus<br />
Wirklichkeit und Illusion, kurzum: die<br />
Verdichtung deutscher Geschichte und<br />
der unterschiedlichen Ideologien der<br />
vergangenen acht Jahrzehnte.<br />
Arnd Weider ist natürlich nicht der erste<br />
Photograph, der sich selbst, ohne Auftrag,<br />
solche gesellschaftlich relevanten<br />
Themen setzt, aber er formuliert es mit<br />
seiner Kamera autonom, ungewöhnlich<br />
und überzeugend.<br />
Matthias Harder<br />
bis 26. Juli <strong>2013</strong><br />
Rathaus Tempelhof<br />
Tempelhofer Damm 165<br />
12099 Berlin-Tempelhof<br />
Mo – Fr<br />
9 – 18 Uhr<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
13
Galerien<br />
Marek Požniak<br />
»Berlin – London –<br />
New York«<br />
Photographien<br />
von 1985 bis 2010<br />
Lichtstrahlen fallen durch ein Loch in<br />
einen dunklen Kasten und erzeugen<br />
auf der gegenüber liegenden Fläche ein<br />
Abbild der Außenwelt. Das Prinzip der<br />
»Camera obscura« war lange bekannt,<br />
bevor es den Pionieren der Photographie<br />
gelang, diese Zeichnungen des<br />
Lichts auf Bildträgern zu fixieren. Joseph<br />
Nicéphore Niépce hielt 1826 den Blick<br />
aus seinem Arbeitszimmer in Le Gras<br />
auf die umliegenden Gebäude und<br />
die Landschaft fest. Das früheste erhaltene<br />
Papiernegativ aus dem Jahre 1835<br />
von Sir William Henry Fox Talbot zeigt<br />
ein Erkerfenster in Lacock Abbey, und<br />
Louis Jacques Mandé Daguerre gelang<br />
schließlich 1838 eine detailreiche Photographie<br />
vom Boulevard du Temple<br />
in Paris. Aufgrund der langen Belichtungszeit<br />
werden die bewegten Fußgänger<br />
und Pferdekutschen in Daguerres<br />
Aufnahme unsichtbar, nur zwei Personen<br />
sind dank ihrer ruhigen Körperhaltung<br />
sichtbar geblieben: ein Schuhputzer<br />
und sein Kunde. Marek Požniaks<br />
Photographien erinnern an diese Magie<br />
der Anfänge. Wo Dauerhaftigkeit und<br />
flüchtiger Moment zusammenkommen,<br />
Formen sich hier verdichten und dort<br />
im Licht vergehen, entstehen Kompositionen<br />
von faszinierender Schönheit.<br />
Požniak verführt uns zum Sehen. Er<br />
zeigt was wir zu kennen glauben, Menschen<br />
mit Rucksäcken und Sonnenbrillen,<br />
die flanieren, zur Arbeit gehen, telefonieren<br />
oder in den Straßencafés sitzen.<br />
Zugleich erscheinen die Protagonisten<br />
seiner Bilder herausgelöst aus dem Fluss<br />
der Zeit; der Musikant auf der Brücke,<br />
die Wartenden an den Bahnsteigen<br />
ebenso wie die Skulptur im Park, das<br />
abgestellte Fahrrad, die Zuckerdose auf<br />
dem Tisch – Spuren menschlicher Präsenz,<br />
die in Požniaks Aufnahmen wie<br />
in unserem Gedächtnis Abdrücke hinterlassen.<br />
© Marek Požniak, Berlin-Schöneberg<br />
Berlin, London, New York: Tausendfach<br />
sind uns die Ansichten dieser Metropolen<br />
vertraut, in denen das Leben vermeintlich<br />
nie stillsteht. Požniak durchwandert<br />
sie mit dem Blick eines guten<br />
Freundes, der ihre maskierten und<br />
unmaskierten Gesichter kennt – und<br />
beide Seiten liebt. Er folgt den alltäglichen<br />
Wegen der Menschen, den belebten<br />
Straßen, dem Verlauf der Stadtbahnen,<br />
Brücken und Tunnels, den gläsernen<br />
Gewölben der Bahnhofshallen<br />
und Shopping Malls. Leise Melancholie<br />
schwingt mit, wenn er unscheinbare<br />
und doch eigenwillige Orte aufspürt,<br />
den verlassenen Vergnügungspark,<br />
den versteckten Winkel zwischen<br />
Graffiti und Ziegelmauern. Der Photograph<br />
nimmt sich Zeit, um die Motive<br />
in seinem Inneren sichtbar werden zu<br />
lassen, bevor er die Kamera einsetzt.<br />
Dem Aspekt des Offensichtlichen, des<br />
schnellen Zugriffs setzt er ein Moment<br />
der Verzögerung entgegen, den subtilen<br />
Einsatz der künstlerischen Mittel,<br />
der auch den kleinen und beiläufigen<br />
Dingen Bedeutung zugesteht. Unter<br />
dem Deckmantel des Vertrauten führen<br />
Marek Požniaks Bilder ein zauberisches<br />
Eigenleben.<br />
14 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galerien<br />
© Marek Požniak, The Museum of Modern Art, New York<br />
© Marek Požniak, Flatiron Building<br />
Er arbeitet mit Unschärfen und Spiegelungen,<br />
mit den Wirkungen des Lichts,<br />
das Strukturen schafft und Räume öffnet,<br />
das einerseits präzisiert und beleuchtet,<br />
andererseits verbirgt und verwischt.<br />
Mit Bedacht wählt er Standort und Ausrichtung<br />
seiner Kamera, bestimmt die<br />
Komposition durch räumliche Tiefenwirkung,<br />
perspektivische Linienführung<br />
oder angeschnittene Gegenstände.<br />
Andere Motive sind in verschiedenen<br />
Bildebenen gestaffelt, geometrisch flächenhaft<br />
gestaltet oder ziehen an uns<br />
vorüber, während wir aus dem Fenster<br />
eines fahrenden Zuges schauen.<br />
Die Wirklichkeit ist auch eine Frage<br />
der persönlichen Wahrnehmung, und<br />
Požniaks Photographien machen dies<br />
deutlich. Wenn die im Schaufenster<br />
eines Ladens ausgestellten Schuhe<br />
scheinbar zu laufen beginnen, wenn<br />
die Stammkneipe zu einem geheimnisvollen<br />
Ort wird, dann spiegelt sich in<br />
diesen Bildern das Staunen über eine<br />
Welt, die es neu zu entdecken gilt, eine<br />
Welt voller Codes, an denen wir uns orientieren,<br />
ohne uns dessen bewusst zu<br />
sein. Požniak macht diese Regeln sichtbar,<br />
indem er sie bricht. In ungewohnter<br />
Untersicht richtet er im New Yorker<br />
Museum of Modern Art sein Kamera-<br />
Auge auf Andy Warhols weltberühmte<br />
Pop Art Sequenz der Campbell-Suppendosen.<br />
Schon der Verlust der bekannten<br />
plakativen Farbigkeit bewirkt Erstaunliches,<br />
unsere Seh-Erwartungen werden<br />
© Marek Požniak, Berlin-Kurfürstendamm<br />
ebenso außer Kraft gesetzt wie die von<br />
Warhol intendierte Gleichförmigkeit.<br />
Die einfache photographische Technik,<br />
die Ungleichmäßigkeit des Lichts<br />
und die Schatten der vorübergehenden<br />
Museumsbesucher verleihen dem<br />
Kunstwerk, dem wir bereits einen festen<br />
Platz zugewiesen haben, ein neues<br />
Dasein in der Zeit.<br />
Požniak nutzt abstrahierende und vereinfachende<br />
wie verfremdende und<br />
irritierende Elemente, um sowohl die<br />
Realität, als auch deren Transformation<br />
ins Bild zu setzen. All dies geschieht<br />
in unmittelbarer Nähe zum Betrachter,<br />
alles steht zu ihm in Beziehung, denn<br />
letztlich ist es unsere Vorstellungskraft,<br />
die hier auf besondere Weise aktiviert<br />
wird. Indem er auf photographische<br />
Urformen zurückgreift, berührt Marek<br />
Požniak verborgene Erinnerungsbilder,<br />
angedeutete Erzählungen, die zur individuellen<br />
Fortsetzung freigegeben sind.<br />
Susanne Schmid<br />
© Marek Požniak, London<br />
Zur Ausstellung erscheint ein<br />
Katalog:<br />
Marek Požniak<br />
»Berlin - London - New York«<br />
Photographien von 1985 - 2010<br />
Hrsg. Johanna Breede<br />
PHOTOKUNST<br />
mit Textbeiträgen von Enno Kaufhold<br />
und Susanne Schmid<br />
Berlin <strong>2013</strong><br />
bis 11. August <strong>2013</strong><br />
Johanna Breede<br />
PHOTOKUNST<br />
Fasanenstraße 69<br />
10719 Berlin-Charlottenburg<br />
Di – Fr<br />
Sa<br />
11 – 18 Uhr<br />
11 – 16 Uhr<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
15
Galerien<br />
Christian Reister<br />
»BERLIN TRILOGIE«<br />
Berlin kann ganz still sein. Auch wenn<br />
alle so tun, als befinde sich die Stadt<br />
in einem ewigen Bedeutungsrausch aus<br />
Kreativität, Party und Umsturz, finden<br />
sich doch immer genug Nischen, in<br />
denen eigentlich gar nichts wichtiges<br />
passiert. In diesen Ecken stöbert Christian<br />
Reister die ganz normalen Menschen<br />
auf: Alte und Junge, Tagträumer und<br />
Nachtschwärmer, graue Mäuschen und<br />
affektierte Selbstdarsteller. Sie bewegen<br />
sich am Rande des Geschehens, tun oft<br />
nichts und verfangen sich doch immer<br />
wieder in Situationen von wunderbar<br />
abseitiger Skurrilität. So werden sie<br />
auf Reisters Fotos festgehalten, die<br />
unter ihrer oft humorvollen Oberfläche<br />
immer auch ein wenig Melancholie<br />
in sich tragen und einen besonderen,<br />
subjektiven Blick auf das Leben im<br />
heutigen Berlin werfen.<br />
Die Ausstellung »Berlin Trilogie« in<br />
der traditionsreichen Photogalerie im<br />
Café Aroma vereint Fotografien der<br />
Arbeiten ALEX (Berlin, Alexanderplatz<br />
2008-2010), NACHT (seit 2001, work<br />
in progress) und Straßenfotografie aus<br />
den letzten acht Jahren.<br />
Das Interview ist in seiner ursprünglichen<br />
und ungekürzten Fassung im Mai<br />
<strong>2013</strong> auf http://blog.pepperproject.de<br />
erschienen.<br />
Christian Reister im Gespräch mit<br />
Pepper.<br />
Pepper: Du hast Dich in Deiner Arbeit<br />
als Fotograf vor allem auf die Street<br />
Photography konzentriert. Wie hat sich<br />
das entwickelt?<br />
Christian Reister: Ich kam zur Fotografie<br />
in einer Zeit in der ich sehr stark in<br />
meinen Brotjob als Webdesigner eingebunden<br />
war. Ende der Neunziger war<br />
ich Ende zwanzig und saß quasi Tag und<br />
Nacht am Computer. Da haben sich als<br />
© Christian Reister, Berlin 2010, (Original in Farbe)<br />
analoge Gegenbewegung drei Dinge<br />
in mein Leben geschlichen: die Lust an<br />
langen Spaziergängen, vor allem auch<br />
nachts, häufiger eine Reise in irgendeine<br />
Stadt und die Fotografie als künstlerisches<br />
Ausdrucksmittel. Alles drei passt<br />
ja wunderbar zusammen. Mit der Zeit<br />
habe ich begonnen, mich ernsthafter<br />
mit Fotografie zu beschäftigen. Aus der<br />
spaßigen Freizeitbeschäftigung wurde<br />
Passion und da ich diese schon immer<br />
hauptsächlich auf der Straße betrieben<br />
habe, haben mich dann auch bald<br />
die Meister dieses Genres am meisten<br />
beeindruckt: Frank, Winogrand, Klein,<br />
Erwitt... all diese New Yorker Fotografen.<br />
Aber auch Martin Parr war für mich<br />
damals eine ganz große Entdeckung.<br />
Bis ich mich selbst an Menschen rangetraut<br />
habe, hat es einige Zeit gedauert<br />
und letztlich habe ich mir das auch<br />
alles nicht überlegt sondern habe in<br />
erster Linie immer einfach gemacht.<br />
Irgendwann wurde der Begriff »Street<br />
Photography« dann wieder populär und<br />
ich dachte, super, da kannste dich einreihen,<br />
da haste nen Label, das passt<br />
schon irgendwie, Erklärung ende. Auch<br />
wenn ich mich im Detail wenig für die<br />
Definition oder Abgrenzung zu anderen<br />
Genres interessiere und ich vieles,<br />
was unter »Street Photography« läuft,<br />
gähnend langweilig finde, glaube ich<br />
doch, dass in den ungestellten, spontan<br />
erfassten Momenten aus dem öffentlichen<br />
Leben einen gewisse Urkraft der<br />
Fotografie liegt, die mir so unendlich<br />
mehr gibt und über unsere Gesellschaft<br />
verrät, als die aufwändigsten Inszenierungen.<br />
Einfach weil nichts planbar ist<br />
und ich am Ende des Tages – wenn es gut<br />
läuft – ein Bild mit nach Hause nehme,<br />
das mir die Welt ein bisschen anders<br />
zeigt, als ich sie bisher gesehen habe.<br />
Pepper: Du hast in London und New<br />
York Einheimische fotografiert, aber<br />
eher im klassischen Portraitbereich, in<br />
Berlin hast Du Dich intensiv mit dem<br />
Treiben der Menschen auf dem Alexanderplatz<br />
beschäftigt. Sind es bestimmte<br />
Städte und dort bestimmte Orte, die<br />
Dich vor allem anziehen, oder hast Du<br />
Deine Kamera grundsätzlich bei Dir<br />
und benutzt sie auch tagtäglich; ist es<br />
also eher ein Zufall, dass durch Deine<br />
aktuellen Publikationen und Ausstellungen<br />
der Eindruck einer sehr gezielten<br />
Location-Suche entsteht?<br />
Christian Reister: Nun, es ist schon so,<br />
dass ich die Kamera immer dabei habe<br />
und laufend am »einsammeln« bin. Eine<br />
gezielte Locationsuche gibt es daher<br />
eher nicht. Die Projekte entstehen da,<br />
wo ich eben bin. Meistens ist das Berlin.<br />
New York und London sind Städte, die<br />
mir von mehreren Aufenthalten und<br />
wahrscheinlich auch von der Mentalität<br />
her recht vertraut sind. Die Grundlagen<br />
für die angesprochenen Arbeiten<br />
16 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galerien<br />
Christian Reister: Beides.<br />
Pepper: Gibt es Situationen, Motive, in<br />
bzw. bei denen Du eine Technik bevorzugst?<br />
Was sind die jeweiligen Vorteile<br />
der einen Technik gegenüber der<br />
anderen, wenn man Street Photography<br />
betreibt?<br />
© Christian Reister, Berlin 2012<br />
sind alle mehr oder weniger spontan auf<br />
der Straße entstanden. Wobei die Straßenportraitserien<br />
jeweils in drei Tagen<br />
fertig waren, ALEX hat mich dann zwei<br />
Jahre beschäftigt.<br />
Pepper: Was hat Dich am Alexanderplatz<br />
gereizt?<br />
Christian Reister: Seit ich 1997 nach<br />
Berlin gekommen bin, bin ich meist<br />
mehrmals die Woche am Alex, meist<br />
einfach nur um von der einen Bahn<br />
in die andere umzusteigen, kurz eine<br />
Erledigung zu machen oder sonst wie<br />
durchzuhuschen. So wie es alle anderen<br />
in aller Regel auch machen. Bemerkenswert<br />
an diesem Platz ist ja, dass er<br />
allgemein als ziemlich hässlich und<br />
unwirtlich wahrgenommen wird. Städtebauliche<br />
Maßnahmen haben zumeist<br />
zur Folge, dass er danach noch unschöner,<br />
grauer und grauseliger daherkommt<br />
als vorher. Das sind so Phänomene, die<br />
mich staunen lassen. Wie kann das<br />
denn eigentlich sein, dass in der Mitte<br />
von Berlin-Mitte, die gerne für das trendigste<br />
und yuppihafteste gehalten wird,<br />
was die Haupststadt zu bieten hat, der<br />
größte und bekannteste Platz derart unelegant<br />
daherkommt? Mit allerhand Festivitäten<br />
wird immer mal wieder versucht,<br />
ein wenig Gemütlichkeit auf den Platz<br />
zu zaubern. Dann werden die immergleichen<br />
Buden notdürftig dem jeweiligen<br />
Anlass entsprechend umdekoriert –<br />
ob Oktoberfest oder Weihnachtsmarkt<br />
macht kaum Unterschied... Kurz: das ist<br />
dort alles irgendwie so uncharmant mit<br />
all seiner Antiästhetik, dass es bei mir<br />
ein gewisses »jetzt erst recht« hervorruft.<br />
Wer sind die Menschen da? Was<br />
machen die da? Und siehe da – ich habe<br />
mich dann auch immer mal wieder<br />
dabei ertappt, wie ich dort fröhlich zur<br />
Bulette mein Bier getrunken habe und<br />
durchaus auch mal zu dem ein oder<br />
anderen Schlager mitgesummt habe,<br />
der dort über die Betonplatten weht. Na<br />
also, geht doch.<br />
Pepper: Mir gefällt Dein Buch mit den<br />
Alex-Fotos ziemlich gut. Mit was für<br />
einer Kamera hast Du hier gearbeitet?<br />
Christian Reister: Mit einer recht unspektakulären<br />
Kompaktknipse. Neu für mich<br />
war damals die 24 mm Brennweite und<br />
die Bildproportion 16:9. Beides benutze<br />
ich sonst nicht und hat der Arbeit einen<br />
besonderen Stempel aufgedrückt.<br />
Pepper: Was benutzt Du denn sonst?<br />
Also, was für Kameras.<br />
Christian Reister: Kommt aufs Projekt<br />
an. Meist Kameras, die in die Jackentasche<br />
passen. 35 mm, nichts ungewöhnliches.<br />
Pepper: Analog, digital, oder beides?<br />
Christian Reister: Farbarbeiten digital,<br />
die neue Serie NACHT allerdings war<br />
von vornherein als schwarz/weiss und<br />
grobkörnig angedacht, da arbeite ich<br />
dann lieber mit Film als Digitalbilder<br />
umzuwandeln. Obwohl das natürlich<br />
auch ein völlig legitimes Mittel ist, ich<br />
bin da kein Dogmatiker. An der Arbeit<br />
mit Film schätze ich u. a. auch, dass<br />
man das Ergebnis nicht immer gleich<br />
sieht und ich lasse die Filme gerne lange<br />
liegen, bevor sie entwickelt werden.<br />
Das entschleunigt die Arbeitsweise und<br />
trennt die Bilder besser vom persönlich<br />
Erlebten zum Zeitpunkt der Aufnahme.<br />
Pepper: Was heißt, lange liegen lassen?<br />
Gleich mehrere Monate oder einfach<br />
nur ein paar Tage?<br />
Christian Reister: Ruhig ein paar<br />
Monate.<br />
Pepper: Wieso denkst Du, dass der<br />
noch vorhandene Eindruck des gerade<br />
erst Erlebten Dich in einer objektiven<br />
Beurteilung der gemachten Aufnahmen<br />
beeinflussen könnte? Als Seherfahrener<br />
Mensch kannst Du doch die Spreu<br />
vom Weizen trennen.<br />
Christian Reister: Naja, kühne Behauptung.<br />
Ich kenne keinen Fotografen, der<br />
bei der Beurteilung der eigenen Arbeit<br />
nicht seine Schwierigkeiten hat, das Bild<br />
von der erlebten Realität zu trennen. Das<br />
ganze Drumrum, die Geräusche, die<br />
Gerüche, die Atmosphäre eines Ortes,<br />
die eigene Verfassung etc. schwingen ja<br />
aus der Erinnerung mit, wenn ich mein<br />
eigenes Bild betrachte. Das Bild selbst<br />
klingt und riecht aber nicht. Hat noch<br />
nicht mal eine dritte Dimension. Das ist<br />
einfach nur ein flaches Oberflächenabbild,<br />
bei dem es ja auf ganz andere Kriterien<br />
ankommt als im »richtigen« Leben.<br />
Um das klarer sehen zu können, hilft<br />
es mir, die Bilder zeitlich getrennt vom<br />
Geschehen zu betrachten. Das habe ich<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
17
Galerien<br />
ja aber nicht erfunden, Henry Wessel<br />
z.b. ist ein bekannter Vertreter dieser<br />
Methode.<br />
Pepper: In dem bisher Gesagten<br />
beziehst Du Dich ausschließlich auf<br />
Amerikaner, die in der Street Photography<br />
aktiv waren oder es im hohen Alter<br />
eventuell noch sind. William Klein allerdings<br />
lebt und arbeitet in Paris. Was<br />
aber ist mit deutschen Fotografen? Da<br />
gibt es niemanden, der Dich interessiert?<br />
Hier gab und gibt es doch auch<br />
Straßenfotografen - klingt merkwürdig<br />
auf Deutsch, ich weiß - die einiges<br />
geleistet haben. Ist es, weil die deutschen<br />
Fotografen eher mit einem dokumentarischen<br />
Ansatz an die Sache ran<br />
gegangen sind, und nicht mit diesem<br />
experimentellen Ansatz, wie er beispielsweise<br />
von Winogrand und Klein<br />
gepflegt wurde?<br />
Christian Reister: Ja – das mit dem<br />
»eher dokumentarischen Ansatz« trifft<br />
es sicherlich. Trotzdem gibt es natürlich<br />
auch hier viel zu entdecken. Friedrich<br />
Seidenstücker mag ich für seinen<br />
liebevollen Humor, Harald Hauswand<br />
schätze ich wegen seiner authentischen<br />
Geradlinigkeit und Gundula Schulzes<br />
frühe Arbeiten – Berlin in einer Hundenacht<br />
– sind großartig. Letztere würde<br />
man gemeinhin aber nicht als Straßenfotografin<br />
bezeichnen. Vielleicht sind die<br />
Deutschen einfach auf anderen Bereichen<br />
erfolgreicher. Becher, Gursky etc.<br />
- das ist ja eine völlig andere Welt. Und<br />
sehr deutsch.<br />
Pepper: Meinst Du, die Deutschen sind<br />
eher für die Verwaltung und geordnete<br />
Archivierung von Motiven gut? Die<br />
Bechers mit ihren Wassertürmen, Candida<br />
Höfer, die die Pariser Oper oder<br />
Bibliotheken dokumentiert, usw.?<br />
Christian Reister: Deine Formulierung<br />
ist lustig. Da grinse ich mir eins und<br />
lasse das gerne so stehen.<br />
Pepper: Wenn die deutsche Fotografie<br />
in Deinen Augen ihre ganz speziellen<br />
Eigenarten hat, wie sieht es dann<br />
mit der Rezeption von Fotografie in<br />
Deutschland aus. Ist diese nach Deinen<br />
Erfahrungen auch anders als beispielsweise<br />
in den USA, also vor allem im<br />
© Christian Reister, Berlin-Mitte, 2011<br />
Bereich Street Photography, um wieder<br />
auf unser eigentliches Thema zurückzukommen?<br />
Gibt es hier andere Interessen<br />
seitens der Kritik, der Galerien,<br />
der Medien etc. Was für Erfahrungen<br />
hast Du hier?<br />
Christian Reister: Sicher - die Fotografie<br />
und vor allem die Straßenfotografie hat<br />
in Amerika seit je her einen ganz anderen<br />
Stellenwert. Die gehört da einfach<br />
zur Kultur und war ja auch schon viel<br />
früher eine anerkannte Kunstform.<br />
Ich beklage das aber nicht. Es gibt in<br />
Deutschland, besonders in Berlin, genug<br />
Raum, das auszuleben, sowohl was das<br />
Fotografieren angeht als auch die Ausstellungsmöglichkeiten.<br />
Im ersten Halbjahr<br />
<strong>2013</strong> habe/hatte ich Ausstellungen<br />
in Kneipen, Off-Galerien, einem Hotel,<br />
einem italienischen Restaurant und – in<br />
Wien – in einen »Schauraum für Mode<br />
und Fotografie«. Das sind alles keine<br />
subventionierten Kunstadressen und<br />
das ist doch großartig! In gewisser Weise<br />
hängen die Bilder dort wo sie herkommen.<br />
Ich würde mich nicht gegen eine<br />
Ausstellung in einem Museum wehren,<br />
aber notwendig ist das nicht. Neue<br />
Wege der Zurschaustellung der eigenen<br />
Arbeit bietet das Internet und es ist<br />
immer einfacher, selbst Künstlerbücher<br />
zu produzieren und auch ein Publikum<br />
dafür zu finden.<br />
Pepper: Wie benutzt Du das Internet<br />
um Deine Arbeit zu verbreiten?<br />
Christian Reister: Ich habe eine Website<br />
mit den wichtigsten Arbeiten darauf<br />
(reister-images.de) und betreibe ich<br />
einen Blog (blog61.com), auf dem ich<br />
hin und wieder Fotos poste, ein bisschen<br />
aus dem Nähkästchen plaudere<br />
und auf Fotografen, Veröffentlichungen<br />
oder Ausstellunge hinweise, die<br />
ich gerade bemerkenswert finde. Nach<br />
langer Verweigerungshaltung nutze ich<br />
mittlerweile auch Facebook.<br />
Und: Ich vertreibe meine Bücher über<br />
meine Website. Ohne Verlag, ohne<br />
Dealer, alles direkt vom Erzeuger. Dafür<br />
gibt es ein weltweit überschaubares<br />
aber sehr interessiertes Publikum.<br />
bis 6. Oktober <strong>2013</strong><br />
Café Aroma Photogalerie<br />
Hochkirchstraße 8<br />
10829 Berlin-Schöneberg<br />
Mo – Fr 18 – 24 Uhr<br />
Sa + So 14 – 24 Uhr<br />
und nach Vereinbarung<br />
18 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galerien<br />
125 Jahre NATIONAL<br />
GEOGRAPHIC<br />
Der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus<br />
und National Geographic Deutschland<br />
präsentieren im Berliner Willy-Brandt-<br />
Haus eine Auswahl der faszinierendsten<br />
Fotografien aus der 125-jährigen<br />
Geschichte des legendären Magazins<br />
mit dem gelben Rahmen: 55 außergewöhnliche<br />
Bilder, die Exp<strong>edition</strong>en und<br />
Reportagen des Magazins der National<br />
Geographic Society von der Gründung<br />
im Jahr 1888 bis heute widerspiegeln.<br />
© Dieter Schonlau, Wurzel eines Urwaldbaums, Borneo, 2011, Original in Farbe<br />
© Steve McCurry, Afghanisches Mädchen in<br />
einem pakistanischen Flüchtlingslager, 1984,<br />
Original in Farbe<br />
© George Steinmetz, Karawane in der Wüste, Niger, 1999, Original in Farbe<br />
Zu sehen ist unter anderem das wohl<br />
bekannteste National Geographic -<br />
Titelmotiv: das berührende Porträt<br />
eines afghanischen Flüchtlingsmädchens,<br />
fotografiert von Steve McCurry.<br />
National Geographic-Fotograf Carsten<br />
Peter entführt die Betrachter in bizarre<br />
mexikanische Kristallhöhlen, mit Emory<br />
Kristof geht es zum Wrack der Titanic.<br />
Außerdem umfasst die Jubiläumsausstellung<br />
Bilder von Jodi Cobb, David<br />
Doubilet, Annie Griffiths, Paul Nicklen,<br />
Joanna Pinneo, Norbert Rosing, Chris<br />
Johns und vielen weiteren Fotografen.<br />
National Geographic Deutschland ist<br />
das Magazin der National Geographic<br />
Society, einer der größten gemeinnützigen<br />
Wissenschaftsorganisationen weltweit.<br />
Die US-amerikanische Gesellschaft,<br />
die <strong>2013</strong> ihr 125-jähriges Bestehen<br />
feiert, hat seit ihrer Gründung mehr<br />
als 10.000 Forschungsprojekte gefördert.<br />
Unter dem Motto »Inspiring people<br />
to care about the planet« berichtet das<br />
Magazin mit dem gelben Rahmen fundiert,<br />
authentisch und unterhaltsam<br />
über Naturwissenschaften und Astronomie,<br />
Geschichte und Archäologie, ferne<br />
Länder, Klimawandel und Nachhaltigkeit.<br />
Das Magazin erscheint seit 1999<br />
auch in Deutschland.<br />
Eröffnung:<br />
11. Juli <strong>2013</strong>, um 19:30 Uhr<br />
12. Juli bis 14. August <strong>2013</strong><br />
Freundeskreis Willy-Brandt-Haus<br />
Willy-Brandt-Haus<br />
Stresemannstraße 28<br />
10963 Berlin-Kreuzberg<br />
Di – So<br />
12 – 18 Uhr<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
19
Galerien<br />
Kristin Maria<br />
Hachenberg<br />
»WASSER - SPIEGEL«<br />
Fotografische Impressionen aus Berlin,<br />
Potsdam, Mali, Taiwan und Venedig<br />
Durch wechselnde Lichtintensität, Wind<br />
oder Fließbewegung wird die Wasseroberfläche<br />
zur Projektionsebene für ungewöhnliche<br />
Bildschöpfungen.<br />
Neue flüchtige sich ständig verändernde<br />
Reflexionen entstehen, die durch ihre<br />
grafische Wirkung oder die unerwartete<br />
Farbigkeit faszinieren.<br />
Sie existieren jedoch nur für einen<br />
kurzen Moment und schaffen einmalige<br />
verfremdete Abbilder der Realität.<br />
© Kristin Maria Hachenberg, »Aufstrebend«, Taschkent 2012, Original in Farbe)<br />
© Kristin Maria Hachenberg, »Sich auflösend V«,<br />
Venedig 2011, Original in Farbe)<br />
Geboren und aufgewachsen in Berlin.<br />
Architekturstudium TU Berlin, Freiberufliche<br />
Tätigkeit im Bereich Städtebau<br />
/ Architektur in Berlin, Essen, Hannover<br />
und Stuttgart, Fotografie, Freihandzeichnen<br />
sowie Verfassen von<br />
Prosa als berufsbegleitende künstlerische<br />
Tätigkeiten,seit 1990 Vertiefung<br />
der künstlerischen Fotografie, Mitglied<br />
im Stuttgarter Künstlerbund e.V.,<br />
im Württembergischen Kunstverein,<br />
im Deutschen Verband für Fotografie<br />
(DVF) und der Gesellschaft für Fotografie<br />
(GfF).<br />
20 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
Lebt in Berlin und Stuttgart, seit 2007<br />
zahlreiche Fotografieausstellungen<br />
(Einzel- und Gruppenausstellungen in<br />
Berlin, Plochingen, Solingen, Stuttgart,<br />
Tübingen, Zürich)<br />
© Kristin Maria Hachenberg, »Nur ein Moment I«,<br />
Berlin 2008, Original in Farbe)<br />
bis 31. August <strong>2013</strong><br />
Galerie Altes Rathaus Steglitz<br />
Schlossstraße 37<br />
2. OG<br />
10165 Berlin-Steglitz<br />
Mo – Fr<br />
8 – 18 Uhr<br />
www.fotokunst-kristinhachenberg.de
Galerien<br />
Lutz Müller-Bohlen<br />
» Faces of Rock«<br />
Lutz Müller-Bohlen genannt Gramm,<br />
geboren am 21.1.1962 in Flensburg<br />
mit dänisch/polnisch/deutschen Wurzeln<br />
lebt seit 10 Jahren in Berlin, Prenzlauer<br />
Berg.<br />
Das Abseitige, Ungewöhnliche, aus<br />
dem Strom des alltäglichen Herausstechende<br />
ist es, was sowohl den Künstler<br />
als auch den sozial engagierten Menschen<br />
Müller-Bohlen interessiert, reizt,<br />
herausfordert.<br />
Schnell und handwerklich sicher arbeitet<br />
der gelernte Fotograf. Hier wirken<br />
sich auch 20 jährige leitende Tätigkeiten<br />
im psychiatrischen Bereich (»wir<br />
heilen eigentlich durch Liebe«) und als<br />
langjähriger sozialmedizinischer Sachverständiger<br />
unmittelbar aus: der intensive<br />
Umgang mit Menschen, die Beobachtung<br />
von Gefühlen, Gesten, Betonungen,<br />
Nuancen und seine unverrückbare<br />
Überzeugung, dass jedem Menschen<br />
eine einzigartige Schönheit zu<br />
eigen ist..<br />
Die Fähigkeit zum würdevollen Raumlassen,<br />
trotz intensivster Nähe, ist das<br />
unverwechselbare Markenzeichen<br />
seiner Portraits: alle Details der Gesichtslandschaften<br />
– Hautporen, Falten, Tränensäcke<br />
– sind messerscharf gezeichnet<br />
und überdeutlich zu erkennen. Und<br />
fügen sich doch zu einem ausdrucksstarken<br />
menschlichen Antlitz von Schönheit<br />
zusammen. Und so ergänzen sich<br />
in idealer Weise die menschlichen, die<br />
künstlerischen, sowie die handwerklichen<br />
Qualitäten Müller-Bohlens Er<br />
findet das Besondere und hat die Fähigkeit,<br />
den Betrachter in seine Sicht auf<br />
Menschen einzufangen.<br />
© Lutz Müller-Bohlen, Les Holroyd - Barclay James Harvest, (O. i. F.)<br />
© Lutz Müller-Bohlen, Nigel Kennedy, (Original in Farbe)<br />
Lutz Müller-Bohlen erstellt seine<br />
Künstler-Portraits und Bühnenfotos für<br />
online-portale, Radio- und Fernsehsender,<br />
sowie die Deutsche Presseagentur,<br />
die seine Arbeiten weltweit vermarktet.<br />
Der zweite Schwerpunkt seiner künstlerischen<br />
Tätigkeit ist die klare, eindeutige<br />
Positionierung gegen Ausgrenzung,<br />
Unterdrückung und Ausbeutung<br />
des Individuums. Große Anerkennung<br />
finden seine Arbeiten zum Thema Antifaschismus<br />
und seine seit inzwischen<br />
7 Jahren laufende fotografische Dokumentation<br />
von Konzenterationslagern<br />
Kai Müller<br />
Vernissage<br />
5. September <strong>2013</strong>, 19 Uhr<br />
6. September bis 4. Oktober <strong>2013</strong><br />
Fotogalerie Friedrichshain<br />
Helsingforser Platz 1<br />
10243 Berlin-Friedrichshain<br />
Di, Mi, Fr, Sa<br />
Do<br />
14 – 18 Uhr<br />
10 – 18 Uhr<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
21
Galerien<br />
Frank Machalowski<br />
Thomas Graichen<br />
»laut & leise – zwei<br />
Sichten auf Berlin«<br />
Die Stadt schläft nicht. Sie schweigt<br />
nicht. Sie gibt sich stets lärmend, lebhaft<br />
und ruhelos. Sie wird beherrscht von der<br />
Geräuschkulisse des urbanen Lebens,<br />
von Stimmen, Schritten und Motoren.<br />
Doch gibt es in der Stadt auch verschwiegene<br />
Winkel, versteckte Oasen<br />
der Stille, Orte, die sich dem hektischen<br />
Treiben entziehen, Orte, an denen die<br />
Stadt schlummert und ruht.<br />
Diesen Blickwinkeln folgend präsentieren<br />
Frank Machalowski und Thomas<br />
Graichen unter dem Titel »Laut & Leise«<br />
ihre zwei Sichten auf Berlin.<br />
Die Fotografien Frank Machalowskis<br />
konzentrieren sich auf das laute Berlin,<br />
auf Orte und Plätze mit regem Geschehen.<br />
Nicht selten sind seine Motive über<br />
die Stadtgrenzen hinaus bekannt und als<br />
touristische Attraktionen das Ziel zahlloser<br />
Besucher. Die Menschen werden<br />
in seinen Bildern jedoch zu bloßen<br />
Schatten. Sie überlagern und vervielfachen<br />
sich zu einem stetigen Strom, zu<br />
einer fließenden Spur in der Zeit. Was<br />
bleibt sind die Bauwerke. Sie bilden die<br />
Konstanten. Die Gebäude, Gebilde und<br />
Skulpturen sind aus verschiedenen Perspektiven<br />
aufgenommen, ebenso wie die<br />
unterschiedlichen Besucher sie betrachten,<br />
deren Blicken Frank Machalowski<br />
fotografisch folgt. Die Multiplikation<br />
und Intensivierung der Positionen und<br />
Blickfelder scheint die Bauwerke zu verzerren<br />
und auf ihren Kern zu reduzieren.<br />
Sie vibrieren regelrecht unter dem<br />
Versuch, die Zeit selbst in den Bildern<br />
einzufangen.<br />
Die Fotografien Thomas Graichens hingegen<br />
beleuchten die leisen Seiten der<br />
Stadt. Es sind versteckte und unbekannte<br />
Orte, manchmal nicht weit vom pulsierenden<br />
Leben der Stadt entfernt, manchmal<br />
nur über lange und labyrinthische<br />
Spaziergänge zu erreichen. Jeder<br />
© Thomas Graichen<br />
© Frank Machalowski<br />
dieser stillen abgelegenen Orte wurde<br />
von Menschenhand geformt, bearbeitet,<br />
betoniert, bebaut, beschnitten, umzäunt,<br />
beschriftet, begrenzt, in sein Regelwerk<br />
gezwungen und schließlich sich selbst<br />
und der Zeit überlassen. Das vermeintliche<br />
Schweigen des Raumes und der<br />
Objekte birgt somit seine ganz eigenen<br />
Geheimnisse. Es wirft unausgesprochene<br />
Fragen auf – nach den menschlichen<br />
Abdrücken, nach ihren Spuren<br />
vielleicht und nach den Geschichten,<br />
die diese Orte erzählen wollen. Diese<br />
Fragen, Geheimnisse und Geschichten<br />
sind die Fährten, denen Thomas Graichens<br />
Bilder folgen und den Betrachter<br />
mitnehmen auf eine Reise zur stillen<br />
Seite der Stadt.<br />
Vernissage:<br />
9. August <strong>2013</strong>, 19 Uhr<br />
© Frank Machalowski<br />
© Thomas Graichen<br />
© Thomas Graichen<br />
10. August bis 1. September <strong>2013</strong><br />
aff Galerie<br />
Kochhannstraße 14<br />
10249 Berlin-Friedrichshain<br />
Sa + So 14 – 17 Uhr<br />
www.aff-galerie.de<br />
22 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galerien<br />
Arno Schidlowski<br />
Kim Sperling<br />
Jens Sundheim<br />
Kathrin Tschirner<br />
Marco Warmuth<br />
Masterklasse Ute Mahler und Vincent<br />
Kohlbecher<br />
Im September <strong>2013</strong> zeigt die aff-Galerie<br />
Arbeiten der ersten Masterklasse von<br />
Ute Mahler und Vincent Kohlbecher an<br />
der HAW Hamburg. Die Ausstellung<br />
vereint die unterschiedlichen Positionen<br />
von fünf Fotografen, alle mit differenzierter<br />
Herangehensweise und Bildsprache<br />
aber dem Drang und Bestreben,<br />
selbst frühere Arbeiten in Frage zu<br />
stellen und dem kuratorischen Blick der<br />
Ostkreuz-Fotografin Ute Mahler und der<br />
Erfahrung des früheren STERN- Fotografen<br />
Vincent Kohlbecher auszusetzen.<br />
Die Ergebnisse dieser mehr als zweijährigen<br />
Zusammenarbeit spiegeln die<br />
Vielfalt, Standpunkte und Sichtweisen<br />
der Teilnehmer wider. So reicht das<br />
Spektrum der ausgestellten Themen von<br />
naturphilosophischer Tierfotografie über<br />
die Entwicklung städtischer Räume bis<br />
hin zu fantastischen Modewelten.<br />
© Jens Sundheim, (Original in Farbe)<br />
© Arno Schidlowski, (Original in Farbe)<br />
© Jens Sundheim (Original in Farbe)<br />
© Kathrin Tschirner, (Original in Farbe)<br />
© Kathrin Tschirner (Original in Farbe)<br />
Vernissage:<br />
14. September <strong>2013</strong>, 19 Uhr<br />
© Marco Warmuth (Original in Farbe)<br />
Dieses spannende Zusammenspiel führt<br />
dem Betrachter sowohl die Möglichkeiten<br />
moderner Ablichtung als auch traditionell<br />
analogen Ausdrucks vor Augen,<br />
lässt ihm Raum für Interpretationen und<br />
überrascht mit neuen künstlerischen<br />
Ansätzen. So stellt die von Ute Mahler<br />
© Marco Warmuth (Original in Farbe)<br />
kuratierte Ausstellung ein eindrucksvolles<br />
Beispiel selbstbewusster und kreativer<br />
deutscher Nachwuchsfotografie<br />
dar.<br />
15. September bis 6. Oktober <strong>2013</strong><br />
aff Galerie<br />
Kochhannstraße 14<br />
10249 Berlin-Friedrichshain<br />
Sa + So 14 – 17 Uhr<br />
www.aff-galerie.de<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
23
Galerien<br />
Efraim Habermann<br />
«Berlin und auch<br />
Wilmersdorf«<br />
In dem Film »Hitchcock« von 2012,<br />
in dem es um die Entstehung des Psychothrillers<br />
»Psycho« geht, sagt Alfred<br />
Hitchcock alias Sir Anthony Hopkins<br />
über sich selbst: »Ich bin nur der<br />
Mann in der Ecke mit der Kamera, der<br />
zusieht«.<br />
Der Mann, den ich Ihnen heute vorstellen<br />
will, ist kein Regisseur, sondern<br />
ein Fotograf, der seit fast einem halben<br />
Jahrhundert mit der Fotokamera zusieht:<br />
einem Berlin, wie es keiner kennt, Venedig,<br />
wenn die Gondeln Trauer tragen,<br />
oder Jerusalem, wenn die Sonne ihre<br />
gleißenden Strahlen auf die Holocaust-<br />
Gedenkstätte Yad Vashem wirft. Am 19.<br />
Juni 1933 in Berlin geboren, floh Efraim<br />
Habermann wegen seiner jüdischen<br />
Abstammung 1939 mit seinen Eltern<br />
über Triest nach Palästina und lebte<br />
dann in Jerusalem. 1957 kehrte er an<br />
die Spree zurück, seit ca. 1970 wohnt<br />
er im Ortsteil Wilmersdorf, der zu seiner<br />
zweiten Heimat wurde. Zunächst war<br />
er bei Berliner Senatsbehörden als graphisch-technischer<br />
Zeichner tätig und<br />
fand dann den Weg zur Fotografie, für<br />
die er sich schon immer interessiert hat:<br />
Ende der sechziger Jahre war er einer der<br />
Ersten im Westen der Spree-Metropole,<br />
der Kunstfotografien an Tageszeitungen<br />
verkaufte. Seine Arbeiten erschienen in<br />
Tageszeitungen, Fachzeitschriften und<br />
Büchern, einige befinden sich in privatem<br />
wie öffentlichem Besitz. Auch Ausstellungen<br />
haben sein Schaffen gewürdigt,<br />
so 1975 im Jüdischen Gemeindehaus<br />
an der Fasanenstraße, 1976 in Paris<br />
im Maison de la France, 1983 in der<br />
Berliner Neuen Nationalgalerie oder<br />
2011/2012 hier in der Kommunalen<br />
Galerie.<br />
Die knapp 50 Fotografien, die Sie<br />
heute erleben, waren bis jetzt noch<br />
nicht öffentlich zu sehen. Sie entstanden<br />
1982, als das Kunstamt Wilmersdorf<br />
Efraim Habermann los schickte,<br />
© Efraim Habermann, » Fahrrad vor der Neuen<br />
Nationalgalerie«, Berlin<br />
(Anm. der Redaktion: Mit diesem Fahrrad<br />
unternahm der Fotograf seine Fototouren durch<br />
Berlin)<br />
um den Bezirk zu fotografieren. Doch<br />
heraus kamen keine touristenfreundlichen<br />
oder dokumentarisch exakten<br />
Fotos von markanten Orten und Architekturen,<br />
keine um Glamour und Effekt<br />
bemühten Bilder von einer Stadt, die<br />
mit etwa zwei Millionen Einwohnern<br />
bis 1989 eine Insel für politische Utopisten,<br />
Wehrdienstverweigerer, Glücksritter,<br />
gesellschaftliche Losers und Outsiders<br />
inmitten eines feindlich gesonnen<br />
Landes war, das aber die gleiche Sprache<br />
sprach. Den Fall der Mauer hielt<br />
damals noch kaum einer für möglich.<br />
Habermann suchte nicht nach Motiven,<br />
er fand sie - auf den Straßen von Wilmersdorf,<br />
das damals knapp 140.000<br />
Einwohner hatte und 2001 mit den Ortsteilen<br />
Halensee, Schmargendorf und<br />
Grunewald zum Bezirk Charlottenburg-<br />
Wilmersdorf fusionierte. Ursprünglich<br />
eine Ansiedlung von Bauern und<br />
Fischern durch die Markgrafen von Brandenburg,<br />
entwickelte sich das Dorf Ende<br />
des 19. Jahrhunderts im wirtschaftlichen<br />
Boom der Gründerzeit zum Wohnort<br />
und zur Sommerfrische für betuchte<br />
Berliner und Stadtflüchtlinge und erhielt<br />
1906 das Stadtrecht. 1920 nach Groß-<br />
Berlin eingemeindet, lebten in Wilmersdorf<br />
auch viele Intellektuelle und Künstler<br />
wie Harry Graf Kessler, Walter Benjamin,<br />
Rilke, Stefan George, Heinrich<br />
Mann, Walter Leistikow oder Max Pechstein;<br />
der Anteil der jüdischen Bewohner<br />
war bis 1933 relativ hoch.<br />
Habermann fotografierte 1982 Wilmersdorf<br />
als eine Art von überzeitlichem<br />
Berlin, das er, der gebürtige Berliner<br />
und Heimkehrer, aus einer ihm eigentümlichen<br />
Distanz beobachtete: einer<br />
Distanz, die weder verurteilt noch glorifiziert,<br />
sondern Vorgefundenes nochmals<br />
neu entdeckt. Es ist ein Berlin, das<br />
aber auch nur hier, in Berlin, stattfinden<br />
kann. So gibt es auf seinen Bildern<br />
die berlintypischen maroden Mauern,<br />
auf denen er in einer leeren Kartusche<br />
neben den Graffitis ironisch seine Signatur<br />
setzt, oder die er zur Sehdiagonalen<br />
einer Aufnahme macht, die in einem<br />
der damals für Wilmersdorf noch charakteristischen<br />
Hinterhöfe mit Kleingewerbe<br />
mündet – heute sind sie weitgehend<br />
wegsaniert. Es gibt bei Habermann<br />
die prunkvollen Architekturen des<br />
Viertels wie den neobarocken Palast der<br />
Universität der Künste, dessen einstiger<br />
Glanz mittels der Kamera durch Licht-<br />
Schatten-Wirkungen zum Mythos wird.<br />
Oder es gibt die verwunschenen Winkel,<br />
wie die unter Schnee begrabene Figur<br />
des Hasen für die Hasensprungbrücke<br />
zwischen Diana- und Königssee<br />
in Grunewald, oder den noch nicht<br />
von Hunden und ihren Herren irritierten<br />
Grunewaldsee, den Habermann in<br />
einem traumvollen Schwarz-Weiß versinken<br />
ließ. Stets treten seine Fotografien<br />
leise auf, auch, wenn der Mensch, meist<br />
als Einzelperson, innerhalb der Historie<br />
der Stadt ins Blickfeld gerät: die junge<br />
Frau, die auf den nackten Bänken eines<br />
Gartenlokals, womöglich ein Vorgänger<br />
des heutigen Parkcafés am Fehrbelliner<br />
Platz, die Sonnenstrahlen genießt, stört<br />
nicht die Idylle, die Licht und Schatten<br />
auf das Holz zaubern.<br />
Eine Habermannsche Spezialität sind<br />
die Brechungen des Motivs in Fenstern<br />
und Verglasungen, war doch sein<br />
erstes wichtiges Foto 1968 die Spiegelung<br />
der Matthäuskirche in den Scheiben<br />
der Neuen Nationalgalerie Berlin.<br />
Vor dem Museum stand sein Fahrrad,<br />
mit dem er seine Streifzüge durch die<br />
Stadt unternahm.<br />
24 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galerien<br />
Fotografie ist für Habermann nicht reine<br />
Ablichtung des Gesehenen, sondern<br />
wird zur Frage nach Realität und Abbild,<br />
letztendlich nach dem, was hinter den<br />
Dingen steckt, die für uns scheinbar<br />
die Wirklichkeit bedeuten. Seine Aufnahmen<br />
entschleunigen eine immer<br />
schneller werdenden Welt, gefrieren<br />
sie ein zum Moment eines Stilllebens,<br />
das - auch im Sinne der alten »Vanitas«<br />
- an die Vergänglichkeit allen irdischen<br />
Seins erinnert. So spontan die Aufnahmen<br />
wirken, so sind sie doch entstanden<br />
durch bewusstes Kalkül hinsichtlich<br />
Komposition, Ausschnitt und Lichtwirkung,<br />
die im Prozess der Filmentwicklung<br />
nochmals gefiltert wurden. Indirekt<br />
lehrt Habermann den Betrachter dabei<br />
ein neues Sehen, gerne auch ironisch:<br />
was schon allzu bekannt erscheint, wird<br />
durch seine Linse verfremdet, um so<br />
auch die Historie des Ortes nochmals<br />
unter die Lupe zu nehmen und - bloß<br />
zustellen. Oft muss man genau hinsehen,<br />
um das Motiv zu dechiffrieren –<br />
was manchmal spannend wird: Michelangelos<br />
muskelstrotzender »David«,<br />
zwar zur Statuette einer Schaufensterauslage<br />
im Dämmerlicht reduziert, aber<br />
immer noch David genug, verweist nur<br />
durch die hingekritzelte Telefonnummer<br />
auf eine Adresse, über die vielleicht<br />
Auskunft zu erlangen ist über den Herrn<br />
im Adamskostüm.<br />
© Efraim Habermann<br />
Kaum lassen sich Vorbilder aus der Fotografiegeschichte<br />
ausmachen. Eher entdeckt<br />
Efraim Habermann Analogien zu<br />
bereits bekannten Motiven: so erinnert<br />
die im spitzen Winkel aufgenomme<br />
Ansicht des Gebäudes an der U-Bahnstation<br />
Spichernstraße, in den 1970ern<br />
errichtet, damals Sitz der Wohnungsbaukreditanstalt,<br />
heute der Investitionsbank<br />
Berlin, an New York, nämlich an<br />
das Flat Iron Building. Wie Sie sehen,<br />
kann, wenn wir mit Efraim Habermanns<br />
Augen denken, Manhatten auch an der<br />
Spree liegen. Lassen wir außer Acht, dass<br />
heute der Tiergarten bei den Skycrapers<br />
des Potsdamer Platzes auch Ähnlichkeit<br />
zum Central Park in Manhattan aufweist,<br />
aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet,<br />
nur mit dem historischen Unterschied,<br />
dass der Tiergarten älter ist als<br />
der New Yorker Rasen.<br />
Fazit: der Mann mit der Kamera, der<br />
zusieht und am liebsten sich selbst<br />
fotografieren würde, hat keine Vorbilder,<br />
nur eines vielleicht, wie er zugibt:<br />
Paul Cézanne, für ihn der »Verdi der<br />
Malerei«. Begonnen hat Habermann<br />
seine fotografische Karriere mit einer<br />
Kodak Retina Reflex, seit 1978 benützt<br />
er bevorzugt die Leica Spiegelreflexkamera,<br />
doch ist das Modell für ihn nicht<br />
so wichtig: »es ist ja auch egal, ob ein<br />
Schriftsteller mit der Feder oder der<br />
Schreibmaschine schreibt«, sagt er. Zu<br />
seinen Motiven zählen neben seinen<br />
Lieblingsstädten Venedig und Berlin<br />
© Efraim Habermann<br />
auch Frauen, die, um seinen Ansprüchen<br />
an die Frau als Frau zu genügen,<br />
alle Efraim Habermann heißen müssten.<br />
Feind der Raffinessen und Rapiditäten<br />
der heutigen digitalisierten Bilderwelt,<br />
fotografiert Habermann ausschließlich<br />
in Schwarz-Weiß und entwickelte<br />
bis vor Kurzem seine Aufnahmen<br />
noch selbst, jetzt überlässt er es<br />
einem Fachlabor. Dafür hat er seit einigen<br />
Jahren begonnen zu malen - kleinformatige<br />
Aquarelle, die mit den konstruktivistisch-suprematistischen<br />
Bildwirklichkeiten<br />
eines Piet Mondrian<br />
oder Kasimir Malewitsch ein ironischbuntes<br />
Spiel treiben. Sie sind derzeit in<br />
der Galerie Carlos Hulsch zu sehen.<br />
Habermann ist einer jener Stadtflaneure<br />
der Wirklichkeit, die schon im Aussterben<br />
begriffen sind. Korrekt gekleidet mit<br />
Anzug und Krawatte, das Kavalierstuch<br />
von passender Farbe in der Brusttasche<br />
und die Hornbrille als Markenzeichen,<br />
tritt der avancierte Tee- und Kaffeetrinkerr<br />
gegen eine gewisse Unkultur von<br />
Heute an, die sich dem City-Cycling<br />
und dem Coffee-to-Go verschrieben hat<br />
und nicht daran denkt, für den Abend<br />
noch einmal das T-Shirt oder Hemd zu<br />
wechseln. Auch plädiert der passionierter<br />
Raucher für separierte Smoking-<br />
Areas in seinen Stammlokalen, in denen<br />
der Fotograf, der ursprünglich einmal<br />
Maler oder Opernsänger werden wollte,<br />
auch gerne Verdi-Arien singt - oft zum<br />
Ergötzen der Gäste. Hoch versiert in der<br />
jüdischen Geschichte, ist Efraim Habermann<br />
auch zu Gesprächen über die<br />
Frauenquote, die Ähnlichkeit zwischen<br />
Jazz und Renaissance-Musik, den Preisboom<br />
auf dem Kunstmarkt oder Fußball<br />
bereit und wettert als bekennender<br />
Cineast über das Fernsehprogramm, das<br />
er gerne eintauscht gegen DVDs aus der<br />
Traumfabrik Hollywood.<br />
Sein nächstes Ziel? Die in Berlin lebende<br />
Literaturnobelpreisträgerin Hertha<br />
Müller im close-up. Zum 80. Geburtstag:<br />
nochmals: alles Gute! - Und Ihnen<br />
viel Vergnügen mit einem Wilmersdorf,<br />
wie es keiner kennt.<br />
Dr. Angelika Leitzke, Berlin, Juli <strong>2013</strong><br />
siehe auch Seite 64 / 65<br />
Galerie Carlos Hulsch<br />
80 Jahre Erfraim Habermann<br />
7. Juli bis 29. September <strong>2013</strong><br />
Kommunale Galerie<br />
Hohenzollerndamm 176<br />
10713 Berlin-Wilmersdorf<br />
Di – Fr<br />
Mi<br />
10 – 17 Uhr<br />
10 – 19 Uhr<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
25
Galerien<br />
Shooting Kitty –<br />
neun Fotografen, ein<br />
Model<br />
Der Sommer ist immer gut für Experimente.<br />
So hält es auch die Carpentier<br />
Galerie in Berlin, die im August neun<br />
Fotografen und Fotografinnen bzw.<br />
Künstler eingeladen hat, gemeinsam<br />
eine Ausstellung zu bestreiten mit Fotos,<br />
die sie von dem Berliner Model Kitty<br />
Wild gemacht haben.<br />
Es ist ja kein neues Phänomen, dass sich<br />
mehrere Kreative unabhängig voneinander<br />
dazu entscheiden, mit ein und<br />
demselben Model zusammenzuarbeiten.<br />
Man denke da nur an Kiki aus Paris,<br />
die vor allem in den 1920er und 1930er<br />
Jahren viele Künstlerfreundschaften<br />
pflegte, einigen Künstlern Muse und<br />
Geliebte war und sich unter anderem<br />
von Man Ray, Berenice Abbott, André<br />
Kertesz und Jean Cocteau fotografieren<br />
ließ. In heutiger Zeit könnte man Kate<br />
Moss als Beispiel anführen, die freilich<br />
berufsbedingt vor vielen Kameralinsen<br />
stand, aber einigen Fotografen wohl<br />
ebenfalls Muse war.<br />
Kitty Wild ist nun kein Weltstar wie die<br />
Moss und auch noch nicht Kunstgeschichte<br />
wie Kiki, aber sie lebt in Berlin,<br />
das nach wie vor Kreativhauptstadt<br />
Deutschlands ist und in dem Menschen,<br />
die künstlerisch arbeiten, die experimentieren<br />
und sich ausleben wollen<br />
ein fruchtbares Gelände finden. Unter<br />
anderem als Burlesquetänzerin tätig ist<br />
Kitty in den vergangenen Jahren zahlreichen<br />
Fotografen und Künstlern begegnet,<br />
von denen einige darum baten, sie<br />
fotografieren zu dürfen. So wurde sie<br />
auch Model und hat inzwischen etliche<br />
Fotoshootings absolviert. Eine Auswahl<br />
der Fotografen, die in den vergangenen<br />
zwei Jahren mit ihre gearbeitet<br />
haben, stellt die Carpentier Galerie<br />
jetzt aus und präsentiert so ein Spektrum<br />
von Bildern das von Glamour über<br />
Portrait und Akt bis hin zu frei inszenierten<br />
Themen reicht. Insgesamt neun<br />
Fotografen und Fotografinnen sind so in<br />
dieser aufregenden Sommerausstellung<br />
zu sehen. In alphabetischer Reihenfolge<br />
© Jan Sobottka, (Original in Farbe)<br />
© Philipp Hille, (Original in Farbe)<br />
sind dies: Julija Goyd, Philipp Hille, Fay<br />
Nolan, pepper, Wolfgang Petrick, Rio<br />
Schmidt, Jan Sobottka, Benita Suchodrev<br />
und Ivan Toskanelli.<br />
Zwei von ihnen hatten gerade erst Einzelausstellungen<br />
in der Carpentier Galerie<br />
gehabt; so Jan Sobottka, der vor allem<br />
als Chronist der Berliner Kunstszene<br />
bekannt geworden ist und seit nunmehr<br />
acht Jahren auf seiner Homepage catonbed.de<br />
Aufnahmen von Künstlern, Ausstellungen<br />
und anderen Veranstaltungen<br />
publiziert, als auch der auf erotische<br />
Portraits spezialisierte Neuling in<br />
der Szene pepper, der bevorzugt einfache<br />
analoge und digitale Kameras<br />
für seine Arbeit verwendet. Der Maler,<br />
Zeichner und Bildhauer Wolfgang<br />
Petrick ist der wohl ungewöhnlichste<br />
Teilnehmer dieser Ausstellung, denn<br />
seine Aufnahmen von Kitty und anderen<br />
Models dienten ihm zunächst lediglich<br />
als Material für seine Arbeit. Seit<br />
einiger Zeit werden diese wild inszenierten<br />
Fotografien allerdings auch als<br />
eigenständige Werke in Ausstellungen<br />
26 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galerien<br />
© Pepper, (Original in Farbe)<br />
Suchodrev, die in letzter Zeit vor allem<br />
mit ihrer Bildserie Woman in Heat, Portraits<br />
und Akte von Frauen über 40, in<br />
Ausstellungen und Medien präsent war,<br />
sowie die ehemalige Finanzmanagerin<br />
und jetzt erfolgreiche Fotografin und<br />
Filmemacherin Julija Goyd runden mit<br />
ihren Studio- beziehungsweise Außenaufnahmen<br />
von Kitty diese Ausstellung<br />
in perfekter Weise ab.<br />
Es macht Spaß zu sehen, wie<br />
unterschiedlich neun Menschen ein und<br />
dasselbe Model sehen und ins Bild<br />
setzen. Shooting Kitty ist ein Must-See<br />
für jeden Fotoenthusiasten im August.<br />
© Wolfgang Petrick, (Original in Farbe)<br />
© Julija Goyd, (Original in Farbe)<br />
und Publikationen gewürdigt und neuerdings<br />
von dem Kurator und Sammler<br />
Rik Reinking promoted.<br />
Fay Nolan und Rio Schmidt gehören<br />
zu den jüngeren Teilnehmern der<br />
Schau und stehen kurz vor der Beendigung<br />
ihrer Ausbildung zum Fotografen<br />
am Berliner Lette Verein. Beide haben<br />
bereits mit eindrücklichen Werkzyklen<br />
berechtigte Aufmerksamkeit auf<br />
sich gelenkt und entwickelten zusammen<br />
mit Kitty Wild extra für die Ausstellung<br />
extra neue Portraitideen. Philipp<br />
Hille aus Dresden hingegen ist bereits<br />
seit langer Zeit mit Kitty Wild befreundet<br />
und begleitet diese Freundschaft seit<br />
jeher auch mit der Kamera.<br />
Der in Toyko lebende Werbe- und<br />
Modefotograf Ivan Toskanelli, der<br />
bereits mehrfach mit Kitty zusammengearbeitet<br />
hat, deckt den Glamourbereich<br />
in dieser Ausstellung ab. Benita<br />
Vernissage:<br />
9. August <strong>2013</strong>, ab 19 Uhr<br />
traditionelles Sommerfest<br />
10. August bis 31. August <strong>2013</strong><br />
Carpentier Galerie<br />
Meinekestraße 13<br />
10719 Berlin-Wilmersdorf<br />
Do – Fr 14 – 18 Uhr<br />
und nach Vereinbarung<br />
www.carpentier-galerie.de<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
27
Galerien<br />
Ingo Porschien<br />
»Someone’s going to<br />
win the Lottery.<br />
Just not you.«<br />
Die Fenster sehen aus wie Türen, wie<br />
die Austritte aus Waben, und der Platz<br />
davor mit den ansteigenden Treppen und<br />
den wie Schneckenmuster eingerollten<br />
Enden der Handläufe an den Geländern<br />
wirkt wie leer gefegt. Zwei altertümliche<br />
Laternen ragen auf, zwei fünfstöckige<br />
Häuser stehen im rechten Winkel<br />
vor der großen, nach oben auslaufenden<br />
Fassade und gleichen zwei seitlich<br />
aufgestellten Schuhkartons. »City Hall«<br />
heißt das Bild, eine Schwarz-Weiß-<br />
Fotografie als Barytabzug im Format 50<br />
x 60 cm, die aus der Serie »New York<br />
City 1999« stammt. Die Aufnahme ist<br />
menschenleer, doch das Plakat, das<br />
die Wand einer der beiden Hauskästen<br />
bespannt, spricht alle an: »Someone‘s<br />
going to win the Lottery. Just not you.«<br />
Seitdem er während eines mehrmonatigen<br />
Aufenthalts in New York City dieses<br />
Motiv entdeckte, zieht es sich wie ein<br />
Motto durch das fotografische Werk des<br />
Schriftstellers und Fotografen Ingo Porschien,<br />
so dass auch die Ausstellung in<br />
der Galerie Carpentier konsequenterweise<br />
diesen und keinen anderen Titel<br />
trägt, obschon neben der beschriebenen<br />
Aufnahme keine weiteren Bilder aus der<br />
New Yorker Serie gezeigt werden. Der<br />
Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf<br />
neueren Aufnahmen aus Berlin, wo der<br />
Autor seit drei Jahren überwiegend lebt,<br />
ergänzt um eine kleine Auswahl aus<br />
dem Südwesten der USA.<br />
Ingo Porschien arbeitet analog und<br />
schwarz-weiß. Bei seinen Arbeiten handelt<br />
es sich um klassische streetphotography,<br />
dem Dokumentarischen verpflichtet,<br />
auch wenn er nach dem Besonderen<br />
sucht, das die Fotografie aus der Bilderflut<br />
und dem Zeitfluss heraushebt. Im<br />
Motiv, im Ausschnitt und in der Perspektive<br />
fokussiert sich das Uferlose. ‚Epiphanie‘<br />
habe Joyce eine solche Verdichtung<br />
des Alltäglichen genannt, meint der<br />
Autor, und so treffen sich Literatur und<br />
Fotografie dann doch, die er ansonsten<br />
© Ingo Porschien, »City Hall«, New York City, 1999<br />
© Ingo Porschien, »Die Tram«, Berlin, 2012<br />
scharf voneinander getrennt betrachtet<br />
wissen möchte. Teilweise ist der fotografische<br />
Blick ironisch, teilweise fragend,<br />
doch immer deckt er etwas auf.<br />
Der Lebensraum bestimmt die Suche<br />
der Abgebildeten und oft scheinen sie<br />
etwas zu erwarten oder etwas verloren<br />
zu haben.<br />
Während der Ausstellung wird Ingo Porschien<br />
an zwei Tagen aus seinem jüngsten<br />
Roman »Judith« lesen. Dies erklärt<br />
die kleine Auswahl an Bildern aus USA<br />
Südwest. Die Auszüge, die Porschien<br />
für diese Lesungen ausgewählt hat, sind<br />
dort angesiedelt.<br />
Die Lesungen finden statt am:<br />
15. und 29. Septrember <strong>2013</strong> jeweils<br />
ab 16 Uhr.<br />
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog als<br />
Band Nr. 9 in der ‚Edition Carpentier‘.<br />
Eröffnung:<br />
Freitag, 6. September <strong>2013</strong>, 19 Uhr<br />
7. September bis 12. Oktober <strong>2013</strong><br />
Carpentier Galerie<br />
Meinekestraße 13<br />
10719 Berlin-Wilmersdorf<br />
Do – Fr 14 – 18 Uhr<br />
und nach Vereinbarung<br />
www.carpentier-galerie.de<br />
28 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galerien<br />
Calin Kruse<br />
»Raunen«<br />
Calin Kruse ist in der Fotografie- und<br />
Kunstszene der vergangenen Jahre vor<br />
allem durch sein bemerkenswertes<br />
Magazin »dienacht« in Erscheinung<br />
getreten. Mit außerordentlichem verlegerischen<br />
Mut hat er darüber hinaus in<br />
dem gleichnamigen Verlag zahlreiche<br />
weitere Publikationen, vor allem mit<br />
zeitgenössischer Fotografie herausgegeben.<br />
Kleine anspruchsvolle Auflagen,<br />
bei denen er oft auch das Layout und<br />
den kuratorischen Prozess verantwortete.<br />
Das Gespür für das Medium Fotografie<br />
findet gewiss auch in den eigenen<br />
fotografischen Arbeiten Impulse, mit<br />
denen Kruse zunehmend die Öffentlichkeit<br />
findet.<br />
Wir zeigen in unserer Galerie unter dem<br />
Titel »Raunen« Fotografien von Calin<br />
Kruse, die wie die Ränder eines Tagebuches<br />
von Begegnungen mit jungen<br />
Frauen erzählen. Es sind Frauen, die sich<br />
dem Fotografen auf teils intime Weise<br />
in Porträts und Aktportraits offenbaren,<br />
an Orten, die in ihrer vermeintlichen<br />
Unwirtlichkeit einen weiteren Kontext<br />
von Vertrautheit und Hingabe erzeugen.<br />
Kruse fotografiert oft aus kurzer Distanz,<br />
als trüge er die Kamera fortwährend am<br />
Kopf. Die abgebildeten Frauen spielen<br />
mit der Nähe in subtilen Provokationen.<br />
Ein Geschmack von ewiger Jugend und<br />
Abschied klebt an den Sujets. Doch alles<br />
ist unaufgeregt. Kruse, ein ernster Flaneur,<br />
bleibt durch die passiv wirkende<br />
Kommunikation mit den Models sichtbar<br />
ohne etwas zu inszenieren. Es ist<br />
eine Bildsprache, die ein wenig an die<br />
Arbeiten von Nobuyoshi Araki erinnert:<br />
intime Nähe auf der einen Seite,<br />
fortwährende innere Distanz auf der<br />
anderen. Die ausgestellten Fotografien<br />
könnten durchaus als Solitäre stehen.<br />
Sie sind gleichwohl durch die Aura der<br />
analogen Farbigkeit und durch die Wiederkehr<br />
der Sujets atmosphärisch miteinander<br />
verwoben.<br />
© Calin Kruse<br />
Vernissage:<br />
19. Juli <strong>2013</strong>, ab 19 Uhr<br />
19. Juli bis 5. September <strong>2013</strong><br />
Galerie »Alles Mögliche«<br />
Odenwaldstraße 21<br />
12161 Berlin-Friedenau<br />
täglich außer Mittwoch und Donnerstag<br />
und nach Vereinbarung:<br />
0173 342 80 83<br />
www.alles-moegliche.de<br />
www.cargocollective.com/calin<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
29
Galerien<br />
Klassenausstellung<br />
»9Blickwinkel«<br />
Abschlussarbeiten der<br />
imagofotoklasse 32, unter der Leitung<br />
von Oliver S.Scholten<br />
Diese Jahresabschlussausstellung der<br />
nun bereits sage und schreibe zweiunddreissigsten<br />
Fotografieklasse insgesamt,<br />
der nunmehr zehnten unter meiner Leitung<br />
bei imago Fotokunst, zeigt wieder<br />
einmal, wie breit gefächert das Medium<br />
Fotografie sich darstellen kann. Natürlich<br />
ist dabei noch lange nicht Alles ausgereizt.Wichtig<br />
dabei ist mir jedoch zu<br />
vermitteln, dass anspruchsvolle Fotografie<br />
eben nicht das schnelle Handeln<br />
und das abgleichen mit vorgefertigten<br />
allgemeinen Bildvorstellungen ist, angelehnt<br />
an lediglich immer perfektioniertere<br />
Technik.<br />
Manchmal sogar das Gegenteil. Aktuell<br />
scheint sich häufiger eine Sehnsucht<br />
nach der einfachen Handlung jenseits<br />
von immer weiterentwickelteren Photoshopmutationen<br />
zu formulieren.<br />
Die Technik ist nie mehr als Mittel zum<br />
Zweck und das Medium eben nur das<br />
Medium, um einen Inhalt oder einer<br />
ästhetische Position zu vertreten. Niemals<br />
Selbstzweck. Das unterscheidet<br />
das aussagekräftige Bild von reiner<br />
Dekoration oder vom Klischee.<br />
Inwieweit die Teilnehmer sich dem<br />
annähern konnten, soll dem geneigten<br />
Betrachter wie immer zur Diskussion<br />
verführen. Was oft unterschätzt wird,<br />
auch beim Betrachten von Fotografie,<br />
ist ein Faktor, der durch nichts zu ersetzen<br />
ist, weder durch Informationsüberlastung,<br />
noch durch beschleunigende<br />
Technik: Zeit.<br />
Denn sich Zeit nehmen beim Fotografieren<br />
ebenso, wie beim Betrachten heißt,<br />
sich mit den Dingen auseinanderzusetzen.<br />
Und das ist immer auch eine Auseinandersetzung<br />
mit sich selbst. Manchmal<br />
gelingt dies.<br />
Oliver S. Scholten<br />
© Myrja Thal, (Original in Farbe)<br />
© Thorsten Behrend<br />
© Nadja Siegl, (Original in Farbe)<br />
© Maren Glockner, (Original in Farbe)<br />
30 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galerien<br />
© Anna Schatt<br />
© Detlef Eckardt, (Original in Farbe)<br />
© Anke Wilde<br />
© Anke Wilde, (Original in Farbe)<br />
© Nicolas Balcazar<br />
17. August bis 14. September <strong>2013</strong><br />
imago fotokunst<br />
Linienstraße 145<br />
10115 Berlin-Mitte<br />
© Aline Vater<br />
Vernissage:<br />
16. August <strong>2013</strong>, ab 19 Uhr<br />
Di – Fr<br />
Sa<br />
12 – 19 Uhr<br />
14 – 18 Uhr<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
31
Galerien<br />
Harakiri / alles wird<br />
gut.<br />
Aktueller Anlass zum Titel ist die<br />
Vertreibung aus dem erst vor zwei<br />
Jahren im Wedding mit großem<br />
Aufwand ausgebauten Werkatelier<br />
von position.fotografie. Nun schlägt<br />
Ausbauwahn und Gentrifizierung auch<br />
hier zu und zeigt das neu geschminkte,<br />
doch unschöne Gesicht dieser Stadt,<br />
die Künstlern nur noch wenig Platz zu<br />
beständiger Arbeit lässt, entgegen aller<br />
offizieller Verbalisierungen. Temporär<br />
scheint das neue Zauberwort leerer<br />
Versprechen zu sein.<br />
© O.S.Scholten, »Harakiri«, (Original in Farbe)<br />
© O.S.Scholten, »O Credit«, (Original in Farbe)<br />
Dementgegen steht die Prasxis Stolze &<br />
Schönberg mit Ihrem Anliegen, der Kunst<br />
über längere Zeit einen präsentablen<br />
anderen Ort zu bieten und zeigt mit<br />
Harakiri/Alles wird gut in einer eigens<br />
für diesen Ort zusammengestellten<br />
vorläufigen Dauerausstellung einen<br />
streiflichtartigen Überblick über das<br />
vielfältige fotografische Schaffen<br />
O.S.Scholtens der letzten zehn Jahre.<br />
Kritik an inneren und äusseren<br />
Zuständen ist bei O.S.Scholten wie<br />
immer Programm.<br />
Humor inclusive.<br />
Lee Revos<br />
© O.S.Scholten, »EGO Blumen an mich selbst (bye, bye)«, (Original in Farbe)<br />
Vernissage:<br />
13. Juni <strong>2013</strong>, 19 Uhr<br />
14. Juni <strong>2013</strong> bis 30. Juni 2014<br />
Praxis Schönberg & Stolze<br />
im Forum Köpenick<br />
Bahnhofstraße 33<br />
12555 Berlin-Köpenick<br />
Mo – Fr 7 – 20 Uhr<br />
Sa 9 – 16 Uhr<br />
32 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galerien<br />
Dietmar Bührer<br />
»Grauzone Knast«<br />
Ein Fotograf – ein Ort in Berlin! So lautet<br />
das Konzept des Berliner Salons für<br />
Fotokunst. Hier werden Arbeiten von<br />
Fotografen gezeigt, die weit über konventionelle<br />
Dokumentarfotografie hinausgehen,<br />
sonder den Betrachtern vielmehr<br />
subjektive Perspektiven aufzeigen<br />
und neue Blickwinkel eröffnen.<br />
© Dietmar Bührer<br />
© Dietmar Bührer<br />
Dietmar Bührer arbeitete als Werkmeister<br />
in der Druckerei/Setzerei der JVA Berlin-<br />
Tegel. Mit diesen Bildern beschreibt er<br />
auf eindringliche, intensive Weise den<br />
Ort: Gefängnis.<br />
Die Schwarzweißfotos des Autors sind<br />
von einer kühlen Schönheit, die lange<br />
nachwirkt. Sie zeigen Gefängnisflure, -<br />
gänge, -treppen, Zellentüren, Mauern<br />
mit Schriftzeichen versehene Wände,<br />
Fassaden des Gefängnisses, Ausblicke<br />
aus Fenstern, hin und wieder einen Baum.<br />
Und Menschen in ihrer nichtalltäglichen<br />
Umgebung. Nüchtern, schnörkellos sind<br />
die Fotos, die die Stille einer Justizanstalt<br />
vermitteln.<br />
Alle Bilder entstanden zwischen 1990-<br />
1992 in der Justizanstalt Berlin-Tegel<br />
Dr. Elvira Schönow<br />
Vernissage: 6. September <strong>2013</strong><br />
19 Uhr<br />
© Dietmar Bührer<br />
© Dietmar Bührer<br />
11. September bis 24. Oktober <strong>2013</strong><br />
Berliner Salon für Fotokunst<br />
Kulturhaus Schöneberg<br />
Kyffhäuserstraße 23<br />
10781 Berlin-Schöneberg<br />
Mi 14 – 19 Uhr<br />
Do 12 – 17 Uhr<br />
und nach Vereinbarung<br />
Telefon 0179 591 351 6<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
33
Galerien<br />
Bastienne Schmidt<br />
»Rituale«<br />
1961 geboren in München als Tochter<br />
eines Archäologen.<br />
1969-79 lebt mit ihrer Familie in Athen,<br />
Griechenland, besucht dort die Schule<br />
1980 Studium der Ethnologie an der<br />
Ludwig Maximilian Universität, München;<br />
Arbeit an der psychiatrischen<br />
Abteilung eines Krankenhauses.<br />
© Bastienne Schmidt, Florida, 1993<br />
© Bastienne Schmidt, Cleveland, Ohio<br />
© Bastienne Schmidt, Guatemala, 1991 © Bastienne Schmidt, New York City, 1987 © Bastienne Schmidt, Bogota, Kolumbien, 1991<br />
1983 Studium der Malerei und der Fotografie<br />
an der Accademia di Belle Arti in<br />
Perugia, Italien.<br />
1987 Bachelor of Fine Arts Degree;<br />
Umzug nach New York City, arbeitet<br />
am International Center of Photography<br />
und für den Fotografen Ralph Gibson.<br />
1989-95 Reisen nach Guatemala,<br />
Mexiko, Kolumbien, Bolivien, Peru,<br />
Brasilien, Kuba, beginnt ihre Arbeit am<br />
Buchprojekt »Vivir la Muerte« (Stemmle<br />
Verlag, Zürich), regelmäßige Beiträge<br />
für Magazine, z.B. Frankfurter Allgemeine<br />
Zeitung, New York Times, The<br />
New Yorker, New York Magazine.<br />
1992-97 USA-Reisen; Arbeit an ihrem<br />
Projekt: »American Dreams«.<br />
1998 Grant der George Soros Foundation<br />
für »American Dreams«, Stemmle<br />
Verlag, Zürich.<br />
2004 ihr drittes Buch – »Schatten-<br />
Heimat / Shadow Home« Jovis Verlag,<br />
Berlin erhält div. Preise, u.a.: den Deutschen<br />
Fotobuch Preis, div. Ausstellungen.<br />
Int. Fotoforum Frankfurt, Deutsches<br />
Haus, New York und University<br />
of Austin, Texas.<br />
34 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galerien<br />
© Bastienne Schmidt, Bogota, Kolumbien, 1991<br />
2011 Das Buch »Home Stills« erscheint<br />
im Jovis Verlag, Berlin.<br />
Ihr neuestes Buch- und Ausstellungsprojekt<br />
trägt den Titel »Topography of<br />
Quiet« (Die Topography der Stille). Es<br />
ist ein vielschichtiges Projekt mit Mitteln<br />
der Fotografie und Malerei.<br />
Bastienne Schmidts fotografische Arbeiten<br />
wurden in über 60 Ausstellungen<br />
präsentiert, wie z.B. 2010 im Houston<br />
Center of Photography und 2012 im<br />
Manege Museum in St. Petersburg.<br />
Ihre Fotografien sind in zahlreichen<br />
internationalen Sammlungen vertreten<br />
Bastienne Schmidt lebt und arbeitet in<br />
Bridgehampton, New York.<br />
bis 10. August <strong>2013</strong><br />
Galerie argus fotokunst<br />
Marienstraße 26<br />
10117 Berlin-Mitte<br />
Mi – Sa<br />
14 – 18 Uhr<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
35
Galerien<br />
Sameer Makarius<br />
»Buenos Aires in the<br />
Sixties«<br />
Bildender Künstler und einer der bekanntesten<br />
Fotografen Argentiniens, wurde<br />
1924 als Sohn eines ägyptischen Vaters<br />
und einer deutschen Mutter in Kairo<br />
geboren. Seine Kindheit und Jugend<br />
verbrachte er in Ägypten, Deutschland<br />
(Berlin) und Ungarn. Dort studierte er<br />
Malerei und Bildhauerei.<br />
Als abstrakter Maler der geometrischkonstruktivistischen<br />
Schule engagierte<br />
er sich in der Budapester Kunstszene<br />
und stellte als Gründungsmitglied der<br />
ungarischen Gruppe konkreter Kunst<br />
1944 seine Bilder in der ersten Ausstellung<br />
nicht-figurativer Kunst in Budapest<br />
aus.<br />
Er lebte in der Schweiz und in Paris. Als<br />
Dreißigjähriger wanderte er 1953 nach<br />
Buenos Aires aus und wurde dort Teil der<br />
abstrakt-avantgardistischen Kunstbewegung<br />
der fünfziger Jahre. 1956 gründete<br />
er die Gruppe AFNA Artistas No Figurativas<br />
Argentinos und die Gruppe der<br />
zeitgenössischen Fotografen (Grupo de<br />
fotógrafos contemporáneos).<br />
Der Schwerpunkt seiner Arbeit lag seit<br />
Beginn der 50er Jahre auf dem Gebiet<br />
der Fotografie. In zahlreichen Artikeln<br />
und Essays beleuchtete er die vielfältigen<br />
Aspekte der Fotografie und recherchierte<br />
ihre Geschichte. Sein herausragendes<br />
Werk »La fotografia en la Argentina,<br />
1840 - 81« gilt als Pionier-Arbeit.<br />
Besonders bekannt sind seine Fotobücher<br />
über Buenos Aires, die Stadt<br />
und ihre Menschen: Buenos Aires y<br />
su gente, 1960, und Buenos Aires mi<br />
ciudad, 1961.<br />
Seine Fotografien - insbesondere seine<br />
herausragenden Portraits und seriellen<br />
Arbeiten über Buenos Aires - wurden<br />
in zahlreichen Ausstellungen gezeigt, in<br />
Buenos Aires, Zürich, New York, Budapest,<br />
Madrid u.a. (Academia Nacional<br />
de Bellas Artes, Mueseo Arte Moderno,<br />
Museo de Bellas Artes, Museo de Arte<br />
Decorativo, Kunsthaus Zürich, Foto<br />
Forum, New York)<br />
Sameer Makarius starb 2009 in Buenos<br />
Aires.<br />
© Sameer Makarius<br />
© Sameer Makarius<br />
© Sameer Makarius<br />
© Sameer Makarius<br />
© Sameer Makarius<br />
Vernissage<br />
6. September <strong>2013</strong>, 19 – 21 Uhr<br />
7. September bis 26. Oktober <strong>2013</strong><br />
Galerie argus fotokunst<br />
Marienstraße 26<br />
10117 Berlin-Mitte<br />
Mi – Sa<br />
14 – 18 Uhr<br />
36 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galerien<br />
The Flood Wall II<br />
Projektion und<br />
Ausstellung um das<br />
Fotobuch<br />
Die im letzten Jahr bei exp12 – Raum für<br />
Fotografie - erfolgreich gestartete Slide-<br />
Show-Reihe »The Flood Wall« wurde<br />
auch in diesem Jahr mit einer Projektion<br />
am 21. Juni fortgesetzt, verbunden mit<br />
einer Ausstellung. Neben den Bildern<br />
liegt der Schwerpunkt diesmal auf der<br />
Präsentation von Künstlerbüchern und<br />
anderen Veröffentlichungen der zahlreichen<br />
internationalen Gäste und der<br />
exp12-Fotografen.<br />
Nüchtern und ungewöhnlich sind die<br />
Orte und Themen auf den ersten Blick,<br />
mit denen sich die Künstler auseinandergesetzt<br />
haben: bei Grégoire Eloy ist<br />
es ein Labor für Astrophysik; bei Marina<br />
Gadonneix und Sarah Pickering sind es<br />
Übungsräume der Feuerwehr, bei Alexandre<br />
Maubert ein ehemaliges Gefangenenlager.<br />
Dorothee Baumann widmet<br />
sich der Gehirnforschung, Alexander<br />
Gehring nimmt sich ein Fotolabor vor<br />
und Hélène Schmitz einen Ort, wo<br />
Schmetterlinge gezüchtet werden. Mit<br />
ihrer minimalistischen Herangehensweise<br />
gelingt es diesen Fotografen pure<br />
Abbildungen der Wirklichkeit in Poesie<br />
zu verwandeln.<br />
Um die persönliche Auseinandersetzung<br />
mit der eigenen Identität als Frau<br />
geht es sowohl bei Anni Leppalä und<br />
ihren märchenhaft farbigen Bildern<br />
als auch bei Virginie Otth, die mit Bildern<br />
ein Tagebuch zusammenstellt. Die<br />
Schwarzweiß-Serie »Exuvies« von Anais<br />
Boudot ist eine Metapher auf den Prozess<br />
der Häutung. Cristina Nunez vereint<br />
Selbstporträts aus verschiedenen<br />
Phasen ihres Lebens. Bei Zhe Chen sind<br />
die Spuren auf der Haut, seien es Pickel<br />
oder Wunden, ein Spiegel der Seele.<br />
Die Beziehung des Menschen zu seiner<br />
Umgebung bildet einen weiteren Themenkomplex.<br />
Isabelle Pateer befasst<br />
sich metaphorisch mit den Konsequenzen<br />
industrieller Expansion am Beispiel<br />
junger Menschen. Sasha Rudensky zeigt<br />
© Anni Leppälä, (Original in Farbe)<br />
© Pierre Liebaert, (O. i. F.)<br />
eine ernüchternde Reportage aus dem<br />
heutigen Russland. Pierre Libaert erzählt<br />
von der engen Beziehung eines Sohnes<br />
zu seinen Eltern in einem Landhaus.<br />
Martina Hoogland Iwanow besticht<br />
durch ihre dunklen poetischen Aufnahmen.<br />
Bei André Cepeda findet sich<br />
Nacktheit neben grauen Detailansichten<br />
von Objekten und urbanen Orten.<br />
Die Auswahl erfolgte unter der Prämisse,<br />
neue Arbeiten von anerkannten Künstlern<br />
neben Newcomern unterschiedlicher<br />
kultureller Herkunft und mit unterschiedlichen<br />
fotografischen Herangehensweisen<br />
zu präsentieren. So ist auch<br />
der eher dokumentarische Ansatz vertreten<br />
wie bei den Bergen von Richard<br />
Petit, der Kirche von Anne Guillin und<br />
den Orten von Anna Leader. Mit der<br />
© Anais Boudot<br />
© André Cepeda<br />
Ästhetik der Farbe befassen sich Dominique<br />
Dubois und Arno Schidlowski.<br />
Emil Salto erschafft abstrakte und geometrische<br />
Bilder. Nelli Palömaki zeigt in<br />
ihrem kürzlich bei Hatje Cantz erschienenen<br />
Buch »Breathing the same air«<br />
stille Schwarzweiß-Porträts.<br />
Zu sehen sind auch neue Arbeiten der<br />
Mitglieder des exp12-Kollektivs, nämlich<br />
von Isabel Kiesewetter, Dagmar<br />
Kolatschny, Claire Laude, Anna Meschiari,<br />
George Papacharalambus, Ulrike<br />
Schmitz und Nicole Woischwill.<br />
bis 28. Juli <strong>2013</strong><br />
exp 12 / exposure twelve<br />
Greifswalder Straße 217<br />
10405 Berlin-Prenzlauer Berg<br />
Sa 16 – 20 Uhr<br />
So 14 – 18 Uhr<br />
www.exp12.com<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
37
Galerien<br />
Karin Idelson &<br />
Anke Schüttler<br />
»Privado« / »Book of<br />
Life«<br />
»Book of Life« und »Privado« sind die im<br />
Dialog entstandenen Arbeiten von Anke<br />
Schüttler in Berlin und Karin Idelson in<br />
Buenos Aires. Im Laufe des Jahres 2011<br />
haben die Künstlerinnen gemeinsam<br />
und durch die räumliche Distanz doch<br />
jede für sich ihr Projekt entwickelt. Sie<br />
haben dabei Bilder und Ideen ausgetauscht<br />
und jeweils in Bezugnahme auf<br />
ihre Heimatstädte erarbeitet. Die Fotografien<br />
sind speziell für dieses gemeinsame<br />
Ausstellungsprojekt entstanden<br />
und wurden erstmals im Dezember<br />
2011 in der Galerie La Ira de Dios in<br />
Buenos Aires gezeigt.<br />
Die argentinische Fotografin und Videokünstlerin<br />
Karin Idelson erkundete in<br />
Buenos Aires die intime Seite des öffentlichen<br />
und urbanen Raumes der Cybercafés.<br />
Erklärende Panoramaansichten<br />
bewusst vermeidend tauchte sie in die<br />
Details ein, folgte dem schummrigen<br />
Licht der Bildschirme, beschäftigte sich<br />
mit der Farbe der Wände und dem Blickfeld<br />
der Webcam. Ihre abstrahierenden,<br />
atmosphärisch dichten Bilder erzählen<br />
vom privaten Erleben im öffentlichen<br />
Raum und von dem, was von flüchtigen<br />
Begegnungen übrig bleibt. Die Berliner<br />
Fotografin Anke Schüttler ließ sich auf<br />
der Suche nach ihrer eigenen Erzählung<br />
über Berlin mit dem Ausgangspunkt der<br />
Kartografie von visuellen Codes leiten.<br />
Sie beschäftigte sich mit einer Sprache<br />
bestehend aus Buchstaben, Ziffern und<br />
Symbolen. Mit der Kamera die eigene<br />
Stadt kartierend trug sie die einzelnen<br />
Seiten zu einem ungewöhnlichen Lexikon<br />
zusammen, das dem Unverständlichen<br />
eine Stimme gibt.<br />
In der Ausstellung »Privado« / »Book of<br />
Life« verbinden sich diese persönlichen<br />
Bereiche.<br />
Beide Künstlerinnen haben sich dabei<br />
bewusst für die analoge Technik entschieden,<br />
gewissermaßen um den Akt<br />
des Fotografierens zu zelebrieren und<br />
der Flüchtigkeit der digitalen Welt entgegenzuwirken.<br />
© Karin Idelson, (Original in Farbe)<br />
© Anke Schüttler, (Original in Farbe) © Anke Schüttler, (Original in Farbe)<br />
Vernissage:<br />
10. August <strong>2013</strong>, 19 Uhr<br />
www.ankeschuettler.com<br />
www.karinidelson.com<br />
11. August bis 7. September <strong>2013</strong><br />
exp 12 / exposure twelve<br />
Greifswalder Straße 217<br />
10405 Berlin-Prenzlauer Berg<br />
Sa 16 – 20 Uhr<br />
So 14 – 18 Uhr<br />
www.exp12.com<br />
38 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galeriebericht<br />
Mixed Pixels<br />
Gemeinhin vergeht in Berlin kaum ein<br />
Quartal ohne die Präsentation eines<br />
bedeutenden fotografischen Lebenswerks.<br />
Diesmal waren Gruppenevents<br />
angesagt, jeweils unter einem Motto,<br />
und auch die Solisten widmeten sich<br />
begrenzten Themen. Im Vergleich mit<br />
Mauerzeiten genießen wir jetzt eine<br />
schillernde Vielfalt, einmal durch das<br />
deutsch-deutsche Zusammenwachsen,<br />
zum anderen durch den globalen<br />
Austausch. Die »zerstörte Vielfalt«<br />
durch die Nazis nach 1933 ist gerade<br />
Gegenstand des Themenjahres <strong>2013</strong>.<br />
Mir scheint, dass wir auf gutem Wege<br />
sind sie wieder herzustellen. Die inflationäre<br />
Verbreitung der digitalen Fotografie<br />
trägt sicher dazu bei, allerdings oft<br />
auf einem Niveau, das vielen Galeristen<br />
und Kuratoren Sorge macht. So Norbert<br />
Bunge von der galerie argus fotokunst:<br />
»Die jungen Leute wissen ja gar nicht<br />
mehr, was ein gutes Foto ist«.<br />
Einer, der es wusste und dieses Wissen<br />
als Lehrer und Mentor mit großer Achtsamkeit<br />
weitergab, war Arno Fischer.<br />
Sein legendäres Urteil »Siehste, jeht<br />
doch« war Anerkennung und Ansporn<br />
für seine Schüler, die in ihm auch einen<br />
großen Menschen verehrten. Er starb am<br />
13. 9. 20011. Sein Name taucht immer<br />
wieder auf in den Lebensläufen aus Ost<br />
und West. Der eigene führte ihn in den<br />
Fünfzigern aus Westberlin in die DDR.<br />
Er wurde der vielleicht bedeutendste<br />
Fotograf der DDR. Thomas Honickel<br />
sagt im Katalog zur Kölner Ausstellung<br />
von 2004 »Utopie und Wirklichkeit«:<br />
»Für Fotografen war die DDR ein verstecktes<br />
Paradies, wäre alles so reich<br />
und vielfältig gewesen wie ihre fotografische<br />
Kultur, wäre sie nicht untergegangen«.<br />
Zweiunddreißig Meisterschüler seines<br />
letzten Jahrgangs an der Ostkreuzschule<br />
haben sich zusammen getan,<br />
und Fischers langjähriger Kurator Matthias<br />
Flügge hat ihre Ausstellung und den<br />
schönen Katalog betreut. Flügge schreibt<br />
darin: »Wenn nun der letzte Jahrgang<br />
seiner Meisterschüler eine gemeinsame<br />
Ausstellung eröffnet, so ist das zuerst<br />
eine Hommage an Arno Fischer. Es ist<br />
zugleich aber auch ein Nachweis dafür,<br />
wie viele originäre Begabungen sich<br />
um ihn versammelt haben, die mittlerweile<br />
selbst unser Bildgedächtnis und<br />
die Diskurse um die Fotografie bereichern«.<br />
Für diese Begabungen ist der<br />
Respekt für das Medium Fotografie mit<br />
seiner 174-jährigen Geschichte und<br />
seiner künstlerischen und gesellschaftlichen<br />
Relevanz selbstverständlich. Das<br />
unterscheidet sie wohltuend von der<br />
verbreiteten Verflachung und Beliebigkeit,<br />
die wir tagtäglich ertragen müssen,<br />
von der digitalen »Verwurstung« ganz<br />
zu schweigen. Arno Fischer hatte dafür<br />
einen schlichten Ausdruck: »Ich sticke<br />
nicht«. Pauschal abgelehnt hat er die<br />
digitale Fotografie keineswegs, hat sie<br />
auch gelehrt.<br />
© Eva Brunner<br />
Bei dem hohen fotografischen Niveau<br />
der Ausstellung will ich nur einige<br />
Autoren nennen, deren Botschaft mich<br />
besonders berührt hat. Es sind die, die<br />
mir vom Menschen erzählen, seinen<br />
Spuren, Erinnerungen und Sehnsüchten.<br />
So der Schweizer Mischa Christen mit<br />
der mutigen Geschichte vom Alleinsein,<br />
Eva Brunner mit Erinnerungsräumen, in<br />
denen wir unsere eigene Story in und<br />
hinter den Bildern finden können, Uta<br />
Protzmann mit einem zarten Gespinst<br />
von Nostalgie, Birgit Krause, deren<br />
»unbewusste Wirklichkeiten« in ihrem<br />
Heute nach der Jugend suchen, und sehr<br />
viel konkreter Eric Schütt, der in unseren<br />
Landen die letzten »Frauen in Tracht«<br />
© Birgit Krause<br />
© Janine Fritsch<br />
besucht hat mit Tonband und Kamera.<br />
Anna Thiele beobachtet die Menschen<br />
in den übermächtigen Architekturen des<br />
Regierungsviertels. In unserem Portfolio<br />
im Heft 4 – 2012 haben wir ihre Farbbilder<br />
mit dem Titel »Verdichtung/Verortung«<br />
in schwarzweiß vorgestellt. Im<br />
Mai gehörte Anna Thiele zu den achtundzwanzig<br />
Siegern des »Architekturbild<br />
<strong>2013</strong>« in Frankfurt/Main.<br />
Auch Joern Dudek ist durch Arno<br />
Fischers Schule gegangen und zeigte<br />
im AXEL- Hotel seine großen SW-Prints<br />
vom Neuen Berlin, edel auf Baryt.<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
39
Galeriebericht<br />
An einem märchenhaften Lehrgangsthema<br />
haben sich fünf Frauen<br />
und ein Mann an der Neuen Schule für<br />
Fotografie versucht: »Rotkäppchen«. In<br />
den »grimmigen« Hausmärchen steckt<br />
ja viel Zündstoff, Gewalt, Angst, der<br />
Kampf von Gut und Böse. Die Eleven<br />
lüpften das rote Käppchen in ihren Beiträgen<br />
nur zaghaft. Meike Sieverking<br />
und Janine Fritsch fanden am ehesten<br />
den Zugang.<br />
Um bei den Schulen zu bleiben: imago<br />
fotokunst (www.imago-fotokunst.de)<br />
hat sich seit vielen Jahren bestens eingeführt,<br />
mit Dozenten wie Ulla Kelm,,<br />
Torsten Andreas Hoffmann, Enno Kaufhold<br />
und vielen anderen. Dass sie keine<br />
Schlagzeilen macht, hat, so scheint mir,<br />
einen sympathischen Grund: Den Leitern<br />
Manuela Schäwe und Mathias<br />
Richter ist die Fotografie eine Herzensangelegenheit.<br />
Der wirtschaftliche<br />
Erfolg zählt erst in zweiter Linie.<br />
Im Mai hingen im alten Kellergewölbe<br />
der Galerie die musikalischen Straßenszenen<br />
von Matthias Klages (Jahrgang<br />
59), analog fotografiert und aufs Feinste<br />
handvergrößert.<br />
© Matthias Klages<br />
Auch Oliver S. Scholten lehrt noch klassische<br />
Labortechnik und unterhält ein<br />
Werkatelier (www.position-fotografie.<br />
de). Er ist sehr vielseitig und hat Marotten,<br />
die einem Künstler wohl anstehen.<br />
Eine davon ist eine ganz gegenständliche<br />
Versuchsanordnung, kürzlich in der<br />
Gruppenausstellung EGO in der Fotogalerie<br />
am Friedrichshain zu bewundern.<br />
Da verkabelt er leibhaftig seinen<br />
Schädel mit einer monströsen Plattenkamera.<br />
Das ist Philosophie zum Anfassen,<br />
ebenso anschaulich wie humorvoll. Mit<br />
von der lustigen Partie: Katja Schrader,<br />
deren schrille Selbstdarstellungen auf<br />
ihre Tätigkeit am Theater und im Journalismus<br />
verweisen. Fotografisch ist das<br />
alles eine Augenweide.<br />
Noch ein paar Perlen säumten meinen<br />
Weg durch die Galerien, so die Porträts<br />
aus der Berliner Kunstszene von Jan<br />
Sobottka bei Manfred Carpentier. Mehr<br />
im letzten »<strong>brennpunkt</strong>« und unter<br />
www.catonbed.de. Nicht weit davon,<br />
in der Fasanenstraße, Johanna Breedes<br />
»Frauen«, eine wunderbare Auswahl der<br />
bekanntesten Fotografen aus den letzten<br />
50 Jahren. Herbert Lists schöne Studie<br />
von Anna Magnani zierte unsere letzte<br />
Ausgabe.<br />
Bei Pavlov’s Dog waren die Wände vollgehängt<br />
mit 50 x Berlin von 50 Fotokünstlern,<br />
allzu viel Vielfalt auf engstem<br />
Raum. Das Auge kommt nicht zur<br />
Ruhe.<br />
Klar gegliedert hat Christian Reister<br />
seine Berlin-Trilogie für das Café<br />
Aroma.<br />
Ein bunter Fries mit quicklebendigen<br />
Streiflichtern vom Alex führt wie ein<br />
Film um den ersten Raum, im zweiten<br />
sind es gerahmte Stadtlandschaften, alle<br />
mit einem gewissen Pfiff, und im dritten<br />
frönt Reister seinem schwarzweißen<br />
Faible für das Berliner Nachtleben,<br />
das er uns schon im Kabinett des Hotels<br />
Bogotá näher gebracht hat. Hier waren<br />
im Saal die nicht eben aufregenden<br />
Werke von Bernadette Ypso und Charlotte<br />
K zu sehen, die mit ihrer Anonymität<br />
kokettieren, obwohl Joachim Rissmanns<br />
Photoplatz bisher von der Aura<br />
der großen Namen gelebt hat. Leider<br />
wurde ihm zum 30. März 2014 gekündigt,<br />
und die wechselvolle Kulturgeschichte<br />
des Hauses seit Yva und ihrem<br />
Schüler Helmut Newton wird damit<br />
wohl in Vergessenheit geraten. Da wird<br />
auch das Engagement von Harald Martenstein<br />
im Tagesspiegel nicht helfen.<br />
Rissmann kann es kaum trösten, dass<br />
demnächst c/o Berlin im alten Amerikahaus<br />
am Zoo die City West aufwerten<br />
wird.<br />
Da ist er wieder, der lange Schatten der<br />
Berliner Mauer. Die Galerie Camera<br />
Work versucht ein Spagat. Ihre glamourösen<br />
Stars amerikanischer Prägung vor<br />
und hinter der Kamera sind in der Kantstraße<br />
genau richtig, immer spektakulär<br />
und selten unter 10.000.- zu haben.<br />
Bei Michel Comtes Meisterstücken<br />
steigert sich das für die splitternackte<br />
Carla Bruni von 1993 auf 36.000.- Euro.<br />
Besser gefällt mir das Konterfei von Geraldine<br />
Chaplin, die in Clownspose ihren<br />
Papa Charlie herrlich treffend karikiert<br />
und ihm dabei so verblüffend ähnlich<br />
© Michael Comte<br />
sieht, dass man an einen fröhlichen<br />
Spuk aus dem Jenseits denkt. Bewegend<br />
ein intimes Porträt der Louise Bourgois<br />
aus New York 1996, deren kluge klare<br />
Augen in einem Meer von Falten das<br />
ganze Jahrhundert spiegeln.<br />
In der Dependance Ost, CWC in der<br />
Auguststraße, triumphiert mit Jean Baptiste<br />
Huynh die reine Form. Fast alle<br />
Motive sind exakt mittig ausgerichtet<br />
im Quadrat, die betenden Hände, ein<br />
Messer, eine Lotusknospe, eine Kerzenflamme,<br />
exotische Porträts. Cool. Nein,<br />
das ist eiskalte Ästhetik. Man muss das<br />
mögen. Muss man?<br />
Die Alfred Ehrhardt Stiftung, schräg<br />
gegenüber von CWC, hat es auch mit der<br />
Ästhetik, aber im Geiste ihres Namenspatrons<br />
mit der biologischen. Hier fragt<br />
Frank Darius mit der Serie »Low« verwegen:<br />
»Was ist Natur wirklich?«<br />
und reduziert sie auf haarfeine schwarze<br />
Linien auf großer weißer Fläche.<br />
40 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Galeriebericht<br />
© Frank Darius © Lutz Dille<br />
Der Philosoph Andreas Weber sieht<br />
darin ihre poetische Dimension. Auf die<br />
verstanden sich die Romantiker besser.<br />
Bei Darius denkt man eher aktuell, an<br />
ihr Verschwinden.<br />
Am selben Ort als starker Kontrast die<br />
bunten Wasserlandschaften »nach der<br />
Natur« von Hanns Zischler, aus der<br />
Rigby-pin-hole 4 x 5 inch, einer Lochkamera<br />
also, mit Blende 164. Dieses<br />
Eichenholzmöbel liefert recht malerische<br />
Bilder, mit dem typischen Lichtabfall<br />
zu den Rändern. Ein Loch kann man<br />
nicht korrigieren, das Ergebnis aber<br />
mit einem lyrischen Titel verklären wie<br />
»Rauchquast über Schreberland«. Zischler<br />
ist als preisgekrönter Publizist und<br />
Schauspieler bekannt. Wir verdanken<br />
ihm den brillant boshaften Text »Berlin<br />
ist zu groß für Berlin« über das Werden<br />
der Hauptstadt aus Sumpf und Sand (bei<br />
Galiani).<br />
Der Pole Marek Pozniak hat immerhin<br />
eine einfache Linse in seiner Black Box<br />
von 1887. Schon kurios, was die digitale<br />
Perfektion an Gegenstrom erzeugt.<br />
Bei ihm steht ein künstlerisches Konzept<br />
dahinter, das den Ablauf von Zeit auf<br />
mehreren Ebenen sichtbar und begreifbar<br />
macht. Enno Kaufhold und Susanne<br />
Schmid haben das im Katalog klug analysiert.<br />
Schmids Text ist auch in unserem<br />
letzten Heft abgedruckt, zu einigen<br />
Bildern. Die bei Johanna Breede bis<br />
24. August ausgestellten Originale sind<br />
zum Teil Unikate, weil die zugehörigen<br />
Negative vernichtet wurden. Ein echter<br />
Kunst-Griff zur Wertsteigerung, neben<br />
der aufwendigen Lith-Entwicklung und<br />
Tonung der speziellen Papiere. Dabei<br />
arbeitet Pozniak im »richtigen Leben«<br />
durchaus digital.<br />
Die Liebe zur analogen Technik ist<br />
auch für Norbert Bunge Programm.<br />
Für seine Galerie argus fotokunst hat<br />
er lauter Kostbarkeiten zur »Faszination<br />
Paris« zusammengetragen. Mit<br />
dabei Sibylle Bergemann, René Burri,<br />
Bunge selbst, Paul Almasy und George<br />
Friedmann, der uns zuvor daselbst mit<br />
seinen »Novelas Argentinas« amüsiert<br />
hat. Mit »Paris« feiert Bunge seine hundertste<br />
Ausstellung seit 1996. Ein Foto<br />
muss für den erfahrenen Dokumentarfilmer<br />
eine Geschichte erzählen, und<br />
zwar möglichst als Handvergrößerung<br />
auf Barytpapier.<br />
Besonders liegt ihm die ostdeutsche<br />
Fotografie am Herzen, auch die Wiederentdeckung<br />
fast vergessener Autoren<br />
des 20. Jahrhunderts.<br />
Einer, der sich seine Landschaften selbst<br />
erfindet, ist Thomas Wrede. Die großen<br />
Tableaus in der Galerie Wagner + Partner<br />
nennt er »Katastrophe und Idylle«,<br />
nicht zu verwechseln mit »Idylle und<br />
Desaster« des unsäglichen Bogomir<br />
Ecker im letzten Monat der Fotografie.<br />
Wrede versetzt schon länger typische<br />
Merkmale unserer modernen Zivilisation<br />
in urtümliche Gegenden für seine<br />
»Real Landscapes«, mit verblüffender<br />
Wirkung. Diesmal stellt er die Verwüstungen<br />
von Fukushima und New<br />
Orleans modellhaft nach und lässt die<br />
Bauruinen an der Costa im Meer versinken.<br />
Die Preisliste weist für so ein grandioses<br />
»Lambdaprint Diasec« in 140 x<br />
200 cm 12.600.- Euro aus, bei einer Auflage<br />
von 5 Stück.<br />
Mit Arnd Weider kehren wir zur relativen<br />
Wahrheit in der Fotografie zurück. Er<br />
gibt uns eher mit der Wahl seiner Räume<br />
Rätsel auf. Am Rathaus Tempelhof sind<br />
seine »Heterotopien« noch bis 27. Juli<br />
zu sehen. Weider meint damit – in Anlehnung<br />
an den Philosophen Michel Foucault<br />
– »andere« Orte, die in besonderer<br />
Weise für Situationen stehen, die wir im<br />
Alltag verdrängen oder nicht auf unsere<br />
Person beziehen. Er findet sie in Kliniken,<br />
Anstalten, Gefängnissen und im<br />
Krematorium, Lokalitäten, deren Betreten<br />
an bestimmte Rituale gebunden ist,<br />
und schöpft nach eigener Aussage aus<br />
»erlebtem Umgang mit Krankheit und<br />
Tod«. Groß-und Mittelformat unterstützen<br />
mit ihrem Detailreichtum die eindringliche<br />
Aufforderung des Autors, die<br />
innere Abwehr zu überwinden und sich<br />
seinem Thema zu öffnen. 2010 war er<br />
Preisträger am Haus am Kleistpark und<br />
erhielt ein Arbeitsstipendium. Sein Rüstzeug<br />
holte er sich bei Arno Fischer an<br />
der fas und an der Ostkreuzschule.<br />
Die engagierteste Arbeit des Quartals<br />
fand ich in der kleinen aff-Galerie in<br />
Friedrichshain: Helena Schätzles »9645<br />
Kilometer Erinnerung«. Für die junge<br />
Autorin (Jahrgang 83) waren es vier<br />
Jahre anstrengender Reisen und intensiver<br />
Beschäftigung mit der selbstgestellten<br />
Aufgabe, der Suche nach den Spuren<br />
des schrecklichen 2. Weltkriegs in Osteuropa,<br />
in den Fußtapfen des Großvaters,<br />
der als deutscher Soldat in neun<br />
Ländern gekämpft hat. Fast erdrückt<br />
wurde sie von Hunger, Leid und Tod in<br />
den Erinnerungen der Menschen, die sie<br />
aufsuchte.<br />
Ihre sensiblen Porträts erzählen davon,<br />
aber auch von Momenten großer Vertrautheit<br />
und Dankbarkeit für die Anteilnahme.<br />
Die Landschaftsbilder von<br />
heute, karg, winterlich, manchmal noch<br />
mit den Wunden des Krieges,<br />
verstärken die mahnende Wirkung<br />
dieser ergreifenden Reportage.<br />
Zum Schluss aber zwei heitere Tipps für<br />
den Rest des Sommers:<br />
Bis 20. Juli bei Petra Rietz am Koppenplatz<br />
die reizvollen »Kleider aus Licht«,<br />
die Heinrich Heidersberger in den 40-er<br />
Jahren auf bloße Körper zauberte (siehe<br />
<strong>brennpunkt</strong> 2/13), und die vielen meist<br />
malerisch oder neckisch inszenierten<br />
Nackedeis beiderlei Geschlechts von<br />
der vorletzten Jahrhundertwende, unter<br />
dem dummen Titel »Die nackte Wahrheit<br />
und anderes«, bis 25. August im<br />
alten Kaisersaal des Museums für Fotografie,<br />
über Helmut Newtons auch nicht<br />
gerade prüder Bilderwelt.<br />
Klaus Rabien<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
41
Fotoszene<br />
UPON PAPER<br />
magazine #03<br />
LOVERS<br />
Als definiertes »objet de désir« ist das<br />
UPON PAPER magazine prädestiniert<br />
dafür, diese Leidenschaft in seiner dritten<br />
Ausgabe wörtlich zu nehmen und<br />
das Thema Lovers bildmächtig umzusetzen.<br />
So zeigt UPON PAPER #03 ein<br />
herausragendes Line-up an internationalen<br />
Kontributoren wie James Franco,<br />
Jeff Burton, Larry Clark, James Gallagher,<br />
René Groebli, Rosa Loy und<br />
Hans Peter Adamski. Viele der gezeigten<br />
Arbeiten sind speziell für UPON<br />
PAPER #03 entstanden. Sie erzählen<br />
von den unterschiedlichsten Formen<br />
menschlicher Zuneigung, emotionaler<br />
Bindung und Zweisamkeit. Auch das<br />
Lieben und geliebt werden, die Amour<br />
Fou, Selbstliebe (bis hin zum Narzissmus),<br />
First Love, die Liebe zur Kunst und<br />
zur Architektur sowie die Abwesenheit<br />
und das Enden von Liebe sind Themen,<br />
die die neueste Ausgabe des UPON<br />
PAPER magazine behandelt und damit<br />
berührt, erinnert und mitfühlt.<br />
Es geht um Ver- und Geliebte wie z.B.<br />
in Groeblis Serie Das Auge der Liebe,<br />
welche er in den 1950er Jahren während<br />
der Hochzeitsreise mit seiner Frau<br />
inszenierte oder Kate Bellms Zyklus<br />
Lover, der ihren Freund Edgar Lopez<br />
auf den verschiedensten Stationen<br />
einer gemeinsamen Weltreise zeigt. Des<br />
Weiteren öffnete der Berliner Künstler<br />
Hans Peter Adamski sein Archiv erotischer<br />
Papierarbeiten, die von historischen<br />
asiatischen Zeichnungen inspiriert<br />
wurden, und teilt diese intimen<br />
Einblicke mit dem Leser. Und auch mit<br />
den Malereipositionen Rosa Loy und<br />
James Franco überzeugt die neue Ausgabe<br />
des Magazins: Während Loy mit<br />
ihren Werken an die pure Weiblichkeit,<br />
Fürsorge und Poesie appelliert, zelebriert<br />
das Multitalent Franco die eigene<br />
Persönlichkeit mit selbstreflektorischen<br />
und oftmals selbstironischen Zitaten.<br />
Neben etablierten Künstlerpositionen<br />
sind auch junge Talente wie die erst 19-<br />
jährige New Yorker Fotografie-Studentin<br />
Jordan Tiberio und die Wahlberlinerin<br />
Kandis Williams wichtiger Bestandteil<br />
René Groebli, Untitled, 1953, © René Groebli,<br />
courtesy PINTER & MILCH, Galerie für<br />
Fotografie<br />
des Portfolios von UPON PAPER #03.<br />
»Once upon a Trip«: UPON PAPER präsentiert<br />
erstmalig eine Kollektion von 8<br />
Fotografien und Malereien des künstlerischen<br />
Zusammenwirkens von Maler und<br />
Filmemacher Julian Schnabel und May<br />
Andersen, Model und Fotografin. Speziell<br />
für die dritte Ausgabe von UPON<br />
PAPER magazine haben sie jeweils 4<br />
ihrer Arbeiten, die auf einem gemeinsamen<br />
Ausflug nach Ocracoke in North<br />
Carolina, USA, entstanden sind, zusammengestellt<br />
und editiert - als ein Manifest<br />
der Liebe für: »LOVERS«!<br />
Upon Paper steht im Allgemeinen für<br />
das Zelebrieren von Farbe, Form und<br />
Text. In der dritten Ausgabe des Upon<br />
Paper magazines gewährt die sogenannte<br />
Dunkelkammer Einblick in die<br />
dunklen Seiten des Themas Liebe: abgesetzt<br />
auf schwarzem Hintergrund stehen<br />
erotische Zeichnungen von Francisco<br />
de Goya Seite an Seite mit der Fotografie<br />
eines zärtlichen Moments zwischen<br />
John Lennon und Yoko Ono, während<br />
eine klassische Aktfotografie von Frank<br />
Eugene durch die Szenerie eines Sexkinos<br />
kontrastiert wird. Die Dunkelkammer<br />
befindet sich, einem Kleinod<br />
gleichend, in der Mitte/im Inneren des<br />
Heftes und hebt sich nicht nur durch ihr<br />
spezielles, besonders haptisches Papier<br />
vom restlichen Heft ab.<br />
GRUPPENAUSSTELLUNG LOVERS<br />
Die Ausstellung begreift sich als Überführung<br />
des Leitthemas LOVERS in<br />
den dreidimensionalen Raum. Über<br />
die bereits im Heft vertretenen Künstler<br />
hinaus präsentiert LOVERS weitere<br />
Kreative und ihre Positionen zu diesem<br />
Thema. Bis zum 27. Juli werden Arbeiten<br />
von Hans Peter Adamski, Kate Bellm<br />
& Edgar Lopez, Larry Clark, James<br />
Franco, James Gallagher, Bill Henson,<br />
Claire Kurylwoski, Matt Lambert, Philip<br />
Loersch, Jordan Tiberio, Camille Vivier,<br />
Gavin Watson und Kandis Williams<br />
gezeigt.<br />
DAS UPON PAPER PROJECT<br />
UPON PAPER besteht aus drei sich<br />
ergänzenden Bereichen: Das großformatige<br />
UPON PAPER magazine (490<br />
x 690 mm) ist zweisprachig Deutsch/<br />
Englisch und widmet sich in jeder Ausgabe<br />
einem Leitthema. Das international<br />
mehrfach ausgezeichnete Design<br />
und die aufwändige Produktion machen<br />
das Magazin von Chefredakteur Holger<br />
Homann, Creative Director Helder Suffenplan<br />
und Editorial Director Paul Hetherington<br />
zu einem Sammler-Objekt mit<br />
starker physischer Präsenz. Der UPON<br />
PAPER space in Berlin-Mitte inszeniert<br />
Ausstellungen im Raum und die thematisch<br />
korrelierende Websitewww.uponpaper.com<br />
begleitet die Ausstellungen<br />
und Magazine im Netz.<br />
UPON PAPER ist eine Initiative von<br />
Hahnemühle FineArt. Ausgangspunkt<br />
ist die Leidenschaft für Papier als ein<br />
die Zeiten überdauerndes Medium,<br />
um Ideen, Träume und Visionen fest zu<br />
halten und Diskussionen anzustoßen:<br />
Die 1584 gegründete Hahnemühle<br />
FineArt ist ein weltweit führender Anbieter<br />
hochwertiger Papiere für Künstler,<br />
Fotografen und das grafische Gewerbe,<br />
sowohl für traditionelle Kunsttechniken<br />
wie Aquarell oder Zeichnung (Traditional<br />
FineArt) als auch für digitale Verarbeitung<br />
von Fotografie (Digital Fine-<br />
Art). Hahnemühle hat über die Jahrhunderte<br />
eine ausgeprägte Firmenkultur von<br />
Qualität und Innovation entwickelt und<br />
bedient aus der kleinen Stadt Dassel in<br />
Niedersachsen heraus mit seinen 150<br />
Mitarbeitern Künstler und Kreative auf<br />
fünf Kontinenten.<br />
bis 27. Juli <strong>2013</strong><br />
UPON PAPER space<br />
Max-Beer-Straße 25<br />
10119 Berlin-Mitte<br />
Di – Fr 12– 18 Uhr, Sa 12–16 Uhr<br />
42 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Ausstellungen<br />
Museum für Fotografie<br />
27. Sept. <strong>2013</strong> bis 5. Januar 2014<br />
Brasiliens Moderne 1945-1961<br />
Thomaz Farkas, Hans Gunter Fleig,<br />
Marcel Gautherot, Jose Medeiros<br />
Jebensstraße 2<br />
10623 Berlin-Charlottenburg<br />
Di–So 10–18 Uhr<br />
Do 10–22 Uhr<br />
ifa-Galerie<br />
27. September bis 22. Dezember <strong>2013</strong><br />
Kulturtranfers #7:<br />
The Space between us<br />
Fotografie Afrika<br />
Linienstraße 139/140<br />
10115 Berlin-Mitte<br />
Di–So 14–19 Uhr<br />
Haus am Kleistpark<br />
bis 11. August <strong>2013</strong><br />
Torsten Warmuth<br />
»Die Rückeroberung der Freiheit«<br />
Grunewaldstraße 6-7<br />
10823 Berlin-Schöneberg<br />
Di–So 10–19 Uhr<br />
Berlinische Galerie<br />
bis 30. September <strong>2013</strong><br />
Tobias Zielony<br />
»Fotografien 2008–2012«<br />
Alte Jakobstraße 124-129<br />
10969 Berlin-Kreuzberg<br />
Mi–Mo 10–18 Uhr<br />
Galerie Jette Rudolph<br />
25. Oktober bis 30. November <strong>2013</strong><br />
Samuel Henne<br />
Strausberger Platz 4<br />
10243 Berlin-Friedrichshain<br />
Di–Sa 12–18 Uhr<br />
Podbielski<br />
Contemporary<br />
14. September bis 9. November <strong>2013</strong><br />
Thomas Jorion<br />
Koppenplatz 5<br />
10115 Berlin-Mitte<br />
Di–Sa 12–18 Uhr<br />
Instituto Cervantes<br />
bis 6. September <strong>2013</strong><br />
Leopoldo Pomés<br />
Carlos Sauro<br />
»Porträts«<br />
Rosenstraße 18-19<br />
10178 Berlin-Mitte<br />
Mo–Do 9–13 Uhr, 14–18 Uhr<br />
Fr<br />
9–13 Uhr<br />
KICKEN Berlin<br />
bis 31. August <strong>2013</strong><br />
Martin Kippenberger<br />
Linienstraße 161a<br />
10115 Berlin-Mitte<br />
Di–Sa 14–18 Uhr<br />
Deutsches<br />
Historisches Museum<br />
13. Dezember <strong>2013</strong> bis 4. Mai 2014<br />
Farbe für die Republik<br />
Fotoreportagen aus dem Alltagsleben<br />
der DDR<br />
Ausstellungshalle I. M. Pei<br />
Hinter dem Zeughaus<br />
Unter den Linden 2<br />
10117 Berlin-Mitte<br />
täglich 10–18 Uhr<br />
Wagner + Partner<br />
bis 27. Juli <strong>2013</strong><br />
Natascha Stellmach<br />
»I dont´t have a Gun«<br />
Strausberger Platz 8<br />
10243 Berlin-Friedrichshain<br />
Di–Sa 13–18 Uhr<br />
CWC Gallery<br />
bis 24. August <strong>2013</strong><br />
»Selection«<br />
Nick Brandt, Jean-Baptiste Huynh, Helmut<br />
Newton, Herb Ritts, Yoram Roth,<br />
Camera Work CWC Gallery<br />
Auguststraße 11-13<br />
10117 Berlin-Mitte<br />
Di–Sa 11–19 Uhr<br />
Swedish Photography<br />
bis 20. Juli <strong>2013</strong><br />
DIFFERENT DISTANCES<br />
Denise Grünstein, Julia Hetta, Martina<br />
Hoogland Ivanov, Julia Peirone, Elizabeth<br />
Toll<br />
7. September bis 19. Oktober <strong>2013</strong><br />
Inka Lindergard & Niclas Holmström<br />
»Becoming Wilderneso«<br />
Karl-Marx-Allee 62<br />
10243 Berlin-Friedrichshain<br />
Mi–Sa 12–18 Uhr<br />
Helmut Newton<br />
Stiftung<br />
bis 19. Oktober <strong>2013</strong><br />
Helmut Newton<br />
»World without Men / Archives de<br />
Nuit«<br />
François-Marie Banier<br />
»Porträts«<br />
Jebensstraße 2<br />
10623 Berlin-Charlottenburg<br />
Di–So 10–18 Uhr<br />
Do 10–20 Uhr<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
43
Ausstellungen<br />
Justine Wodtke<br />
»Jenseits der Schärfe«<br />
Fotografische Impressionen<br />
Irritation wird das Erste sein, das<br />
Sie empfinden. Aber dann gewöhnt<br />
sich das Auge an das Gebotene, die<br />
Befremdlichkeit verschwindet und Sie<br />
beginnen, das Gesehene zu interpretieren,<br />
mit Ihrer Phantasie zu füllen, zu<br />
gestalten und schließlich in das Bild<br />
einzutauchen, Ihren Gefühlen Raum<br />
zu geben und die gegenständliche<br />
Welt für einen Augenblick zu verlassen,<br />
vielleicht sogar zu träumen.<br />
Und genau das ist die Intention der<br />
Fotografin Justine Wodtke: Abbildungs-,<br />
Betrachtungs- und Wahrnehmungsgewohnheiten<br />
infrage zu stellen.<br />
»Fotografieren bedeutet für mich<br />
seit meiner Kindheit, die Welt so abzubilden<br />
wie ich sie wahrnehme, empfinde<br />
und erlebe«.<br />
In den fotografischen Impressionen<br />
»Jenseits der Schärfe« werden Formen<br />
vereinfacht, teilweise aufgebrochen,<br />
aufgelöst, Farbnuancen verschwinden<br />
zugunsten intensiverer Farbgebung<br />
einzelner Objekte. Hierdurch entstehen<br />
Überzeichnungen bzw. Hervorhebungen<br />
wichtiger Bildelemente<br />
und somit auch gleichzeitig Reduzierungen<br />
auf Wesentliches. Unwesentliches<br />
wird vernachlässigt bzw. gar<br />
nicht mehr abgebildet.<br />
Die vermeintlich objektive Betrachtungsweise<br />
wird zugunsten einer<br />
bewußt subjektiven und somit emotionaleren<br />
Wahrnehmung ersetzt, da<br />
das fotografierte Objekt erst seitens<br />
der Betrachtenden anhand der reduzierten<br />
und somit verfälschten Bildinformationen<br />
wieder entstehen muß.<br />
Dieser Prozeß ist eine aktive Interaktion<br />
zwischen dem Interpreten und der<br />
Fotografie.<br />
© Justine Wodtke, (Original in Farbe) © Justine Wodtke, (Original in Farbe)<br />
© Justine Wodtke, (Original in Farbe)<br />
Diese intensive Auseinandersetzung<br />
mit minimalistischen, teils uneindeutigen<br />
Bildelementen, die erst durch die<br />
Phantasie und Kreativität der betrachtenden<br />
Person zu einem ganz eigenen,<br />
privaten Bild zusammengefügt<br />
werden - ist nichts anderes wie das,<br />
was wir tagtäglich aufgrund minimalistischer<br />
Informationen machen: Wir<br />
schaffen uns jeweils unsere eigene<br />
Realität, unseren ureigenen Blick auf<br />
die Welt.<br />
Faszinierend bei dieser Form der<br />
Rezeption ist, daß bei jedem erneuten<br />
Betrachten des Dargestellten immer<br />
wieder neue Bilder entstehen können<br />
und sich somit auch ein wesentlich<br />
intensiverer Kontakt zum Bild aufbaut.<br />
© Justine Wodtke, (Original in Farbe)<br />
Justine Wodtke<br />
»Zwar schon im Ruhestand, aber alles<br />
andere als ruhig. Immer noch hibbelig,<br />
immer noch neugierig auf das Leben<br />
und die Welt«.<br />
Fotografin aus Leidenschaft, Autodidaktin,<br />
Absolventin der Fotoklasse 23 von<br />
Ursula Kelm bei imago-fotokunst Berlin.<br />
Unternehmensberaterin, IT-Systementwicklerin<br />
Vernissage:<br />
2. Juli <strong>2013</strong>, 17 Uhr<br />
2. Juli bis 31. Juli <strong>2013</strong><br />
Rathaus Würzburg<br />
Rückermainstraße 2<br />
97070 Würzburg<br />
täglich von Montag bis Freitag<br />
www.justine-wodtke.com<br />
justine.foto@web.de<br />
44 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Ausstellungen<br />
Ursula Kelm<br />
»weit draußen und tief<br />
drinnen«<br />
Bilder der Nacht<br />
Dunkelheit oder Mangel an (natürlichem)<br />
Licht hat Künstler stets fasziniert.<br />
Die Nacht ist ein Zustand, aber gewissermaßen<br />
auch eine Haltung, sie ist<br />
Mythos und Sehnsucht, Einschränkung<br />
und Option, Stille und Rausch. Sie ist<br />
dort - weit draußen - und hier - tief drinnen,<br />
u.a. aus »Apollo Theatre«, Harlem<br />
<strong>2013</strong>.<br />
© Ursula Kelm, Original in Farbe<br />
© Ursula Kelm, Original in Farbe<br />
© Ursula Kelm, Original in Farbe<br />
Teilnehmer:<br />
Claire Hooper, London (Video), Esther<br />
Horn, Berlin (site specific painting),<br />
Gabriele Horndasch, Düsseldorf<br />
(Video), Ursula Kelm, Berlin (Fotografie),<br />
Johannes Kersting, Nürnberg (Fotografie),<br />
Mathias Otto, Nürnberg (Malerei),<br />
Gerhard Rießbeck, Bad Windsheim<br />
(Malerei), Yukara Shimizu, München<br />
(Fotografie)<br />
Es erscheint ein Katalog von Ursula<br />
Kelm.<br />
© Ursula Kelm, Original in Farbe<br />
© Ursula Kelm, Original in Farbe<br />
15. September bis 27. Oktober <strong>2013</strong><br />
kunst galerie fürth<br />
Königsplatz 1<br />
90762 Fürth<br />
Mi – Sa<br />
So<br />
13 – 18 Uhr<br />
11 – 17 Uhr<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
45
Ausstellungen<br />
Weegee<br />
»The Famous«<br />
Fotografie<br />
Arthur Fellig (1899-1968), der sich selbstbewusst<br />
Weegee – The Famous nannte,<br />
gehört zu den ungewöhnlichen Positionen<br />
der amerikanischen Fotografie der<br />
1930er, 40er und 50er Jahre. Er wurde<br />
berühmt durch seine nächtlichen Fotos<br />
zu Brandkatastrophen, Unfällen und<br />
Morden sowie seinen Beobachtungen<br />
von Obdachlosen und Outlaws. Eine<br />
harte Lichtführung mit erschreckender<br />
Unmittelbarkeit und drastischem Realismus<br />
zeichnet die Bilder aus. »The<br />
Critic« (1943) zählt zu den meist publizierten<br />
Fotografien und stellt in überzeichneter<br />
Weise eines seiner zentralen<br />
Themen - die Klassenunterschiede<br />
zwischen der New Yorker High Society<br />
und der Arbeiterbevölkerung dar. Ironischerweise<br />
wird das Bild im Zweiten<br />
Weltkrieg auch von den Nazis zu Propagandazwecken<br />
genutzt.<br />
Zehn Jahre arbeitet Weegee in den Manhattan<br />
Headquarters und macht nach<br />
eigenen Angaben über 5.000 Fotografien<br />
von den Randgruppen der Gesellschaft.<br />
Diese Arbeit lässt ihn zu einem<br />
der berühmtesten Bildchronisten dieser<br />
- noch schwarz-weißen - brutalen Epoche<br />
werden. 1945 erscheint sein erstes Buch<br />
Naked City, das ihm auch internationalen<br />
Ruhm einbringt und das zwei Jahre<br />
später in Hollywood verfilmt wird.<br />
Den Namen Weegee verdankt er laut<br />
eigener Aussage dem Gerücht, er habe<br />
telepathische Fähigkeiten. Denn ausgestattet<br />
mit dem Polizeifunk ist er meist<br />
der erste am Unfallort und so sind seine<br />
Fotos schon in der Zeitung, da ist die<br />
Nachricht ansonsten noch niemandem<br />
bekannt. So gab man ihm den Spitznamen<br />
nach einer damals sehr populären<br />
spiritistischen Alphabettafel, dem<br />
»Ouija«-Board. Er selbst überlegte<br />
hierzu die »englische« Schreibweise<br />
Weegee und bemerkte selbstbewusst:<br />
»Ein besserer Name oder ein besserer<br />
Photograph ist mir nie begegnet«.<br />
Straßenhändler, o.J. © Weegee / Institut für Kulturaustausch, Tübingen <strong>2013</strong><br />
In über 100 Fotografien stellt die<br />
Ausstellung diesen für viele nachfolgende<br />
Fotografen sowie Regisseure und Filmer<br />
vorbildhaften und prägenden Realisten<br />
vor. Die Oberhausener Schau vereint<br />
neben den Bildern zu Tatorten und<br />
Tätern auch solche zu Celebrities und<br />
Stars wie Jackie Kennedy oder Salvador<br />
Dali.<br />
Die Ausstellung entsteht in Kooperation<br />
mit dem Institut für Kulturaustausch<br />
Tübingen. Sie wird gefördert<br />
durch die Peter und Irene Ludwig Stiftung,<br />
die Stadtsparkasse Oberhausen<br />
und WDR3.<br />
Ostersonntag in Harlem, 1940<br />
© Weegee / Institut für Kulturaustausch,<br />
Tübingen <strong>2013</strong><br />
46 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Ausstellungen<br />
Santana in G-Strings, 1950 © Weegee / Institut für Kulturaustausch, Tübingen <strong>2013</strong><br />
Charles Sodokoff und Arthur Webber, 1942<br />
© Weegee / Institut für Kulturaustausch,<br />
Tübingen <strong>2013</strong><br />
bis 8. September <strong>2013</strong><br />
Ludwiggalerie - Schloss Oberhausen<br />
Konrad-Adenauer-Allee 46<br />
46042 Oberhaus<br />
Kritik, 1943 © Weegee / Institut für Kulturaustausch, Tübingen <strong>2013</strong><br />
Di – So<br />
11 – 18 Uhr<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
47
Ausstellungen<br />
Ono Ludwig<br />
»Ikonen und<br />
Helden Werkschau<br />
15 Jahre analoge<br />
Portraitfotografie«<br />
»The Divinity«<br />
Bei der analogen Fotoserie »Divinity«<br />
frönt der Berliner Kunstfotograf Ono<br />
Ludwig dem Terrain der inszenierten<br />
Fotografie und antichambriert damit alle<br />
anderen Serien aus den letzten Jahren.<br />
Interessanter Weise handelt es sich bei<br />
den Modellen ausnahmslos um Freundinnen<br />
und Freunde oder Bekannte aus<br />
dem persönlichen Umfeld des Künstlers.<br />
Es geht ihm dabei weniger um die Menschen,<br />
die aufgrund ihres Bekanntheitsgrades<br />
bereits in irgendeiner Form prominent<br />
sind, genau die interessieren ihn<br />
hier weniger. Vielmehr versetzt er wie<br />
zufällig die Personen in eine Euphorie<br />
und bringt sie dazu aus sich herauszugehen,<br />
ohne grotesk und albern zu<br />
wirken. Die Authentizität der Abgebildeten<br />
bleibt erhalten – gerade wegen<br />
ihres Ausdrucks, der sich speist aus einer<br />
inneren Spannung oder Zerrissenheit<br />
oder einem unbequemen Lebensentwurf<br />
entspringt.<br />
© Ono Ludwig, Chloé, (Original in Farbe)<br />
Die Lebensfreude steckt an, die Situationen<br />
sind energetisch aufgeladen. Der<br />
Selbstdarstellung folgt der Fotograf mit<br />
dem Objektiv und erhöht sie mit den<br />
Mitteln der Fotografie auf sehr subtile<br />
Weise. Im realistischen Ausdruck erinnern<br />
die Fotografien an einen Meister<br />
des italienischen Frühbarocks: Caravaggio<br />
hätte seine helle Freude daran<br />
gehabt.<br />
Franz Werner, Berlin 2010<br />
»Heroes«<br />
Angesichts der inflationären Suche in<br />
den Massenmedien nach Superlativen,<br />
egal ob Stars und Sternchen, Nannys<br />
und Dschungelkönige und der einhergehenden<br />
Armada von allzu selbstsicheren<br />
und peinlichen Dilletanten, die<br />
die Warholsche Halbwertszeit von fünf<br />
Minuten meist über Gebühr überschreiten,<br />
ist es eine reine Wohltat, wenn der<br />
Berliner Fotograf Ono Ludwig einen<br />
ganz anderen Weg geht. Er widersetzt<br />
sich den Gesetzen des durchschaubaren<br />
Marktes, indem der Marktwert eines<br />
Fotografen mit der Anzahl der Celebrity-Portraits<br />
und der Veröffentlichungen<br />
steigt.<br />
Seine Helden und Heldinnen sind von<br />
einem ganz anderen Kaliber, vielleicht<br />
nicht konsumierbar für die Masse, aber<br />
dafür mit umso größerer sozialer Kompetenz.<br />
Alle haben eine Geschichte zu<br />
erzählen, hinter allen stecken persönliche<br />
Geschichten, alle hat er – auch<br />
um eine Objektivität zu erhalten – mit<br />
dem gleichen handwerklichen Können<br />
inszeniert, ohne die subjektive Wirkung<br />
der Portraits abzuschwächen.<br />
Glamour, Protz und aufgemotzte<br />
Gefühlsduselei sucht man bei seinen<br />
analogen Bildern vergebens und wer<br />
sich darauf einlassen kann, für deren<br />
oder dessen Augen werden diese stillen<br />
fast impressionistischen Bildwerke eine<br />
Wohltat in ihrer Poesie und Ernsthaftigkeit<br />
sein. Vielleicht sogar den reizüberfluteten<br />
Blick schärfen für noch weitere<br />
Heldinnen und Helden – es gibt sie tatsächlich!<br />
Da muss man oft nicht lange<br />
suchen.<br />
Franz Werner, Berlin 2008<br />
© Ono Ludwig, Joe, (Original in Farbe)<br />
© Ono Ludwig, Nadja, (Original in Farbe)<br />
»Attitude«<br />
Ich definiere, das Portrait über die Einbettung<br />
des Individuums in bestimmte<br />
Kontexte: räumliche und zeitliche, historische<br />
oder politische, mediale oder<br />
wirtschaftliche. Das Portrait ist ein Spiegel:<br />
von individuellen Wünschen bist zu<br />
gesellschaftlichen Visionen zeigt es uns,<br />
was wir waren, wer wir sind und wie<br />
wir werden können. Ich habe bewußt<br />
diese Männner in Dreiviertelprofil fotografiert.<br />
Immigranten, politisch Verfolgte, anders<br />
Denkende, jegliche Gesellschaftsschichten.<br />
Das Leben hat mehrere<br />
Abschnitte, wir verwandeln uns immer<br />
wieder aufs Neue. Haltung zum Leben,<br />
Haltung zur Freiheit, Haltung in Rand-<br />
48 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Ausstellungen<br />
© Ono Ludwig, Claudia<br />
gruppen. Wie sieht die nächste Generation<br />
aus die sich zur Politik und der<br />
Gesellschaft stellt.<br />
Gibt es eine Freiheit zu denken, sagen<br />
und zutun was man will? Kann man dies<br />
schon an der Kleidung erkennen oder an<br />
den Gesichtszügen junger Männer? Was<br />
sagen Portraits von jungen Männern<br />
aus? Mit der Kamera kommentiere ich<br />
und fordere heraus, Männlichkeit als<br />
eine Form der Identität. Die kulturelle<br />
Sehnsüchte und Gegebenheiten<br />
spiegeln: Fragen nach Identität, nach<br />
Lebensweisen oder - Möglichkeiten<br />
oder nach dem Wunsch einer besseren<br />
Welt.<br />
One Ludwig, Berlin 2008<br />
»Ikonen im leeren Raum«<br />
Thema meiner analogen fotografischen<br />
Arbeit ist die Auseinandersetzung<br />
mit den Menschen als »Ikonen im<br />
leeren Raum«. Ikonen sollen inspirieren.<br />
Ikonen sind anbetungswürdig. Zu<br />
Ikonen schaut man hoch. Mein kreatives<br />
Input entwickelte sich aus der Portraitierung.<br />
Die Pose, als Stellung des Körpers<br />
zum Raum und zum Gegenüber, ist ein<br />
elementares Instrument der Selbstdarstellung.<br />
Unter diesem Titel verstehe ich<br />
die Reduzierung auf das Wesentliche.<br />
Meine Protagonisten sind das Wichtigste.<br />
Ich erzeuge eine fokussierte Konzentration<br />
auf sie selbst als Personen.<br />
Sie haben einerseits eine stark ästhetische<br />
Komponente und sind andererseits<br />
eine persönliche Kommunikationsform.<br />
Die Protagonisten sind keine Stars, sie<br />
© Ono Ludwig, Der blinde Indianer<br />
sind keine prominenten Persönlichkeiten,<br />
und sie haben auch im Leben nicht<br />
immer den Status des Besonderen. Es<br />
sind Menschen, die ich auf der Straße<br />
treffe und die mich magisch anziehen.<br />
Hinter der sichtbaren Fassade steckt<br />
mehr als nur ein fremdes unbekanntes<br />
Individuum. Die Pose, so egozentrisch<br />
sie auch manchmal erscheinen mag, ist<br />
dabei immer angewiesen auf den Blick,<br />
von mir als Fotograf oder dem Betrachter.<br />
Die Pose kann sowohl Schutzschild als<br />
auch Offenbarung von Wunsch, Traum<br />
und Wirklichkeit sein. Ohne die Spiegelung<br />
im Auge des Anderen und die<br />
damit einhergehende gesteigerte narzisstische<br />
Selbstwahrnehmung, bleibt<br />
die Pose bedeutungslos für das Modell.<br />
Ono Ludwig, Berlin 2005<br />
»Die Auserwählten«<br />
Der Darstellung von Heiligen/Helden in<br />
der Kunst und im Kultbild gehe ich mit<br />
meiner analogen Kamera nach. Über<br />
die ursprünglichen Namenspatronen<br />
oder deren Geschichten und Legenden<br />
weiß man oft wenig. Auch die Darstellung<br />
vieler dieser Heiligen in der Kunst<br />
bleiben oft rätselhaft für den Betrachter.<br />
Normalen Sterblichen bleibt die Gedanken-<br />
und Gefühlswelt seliger und heiliger<br />
Menschen mitunter verschlossen.<br />
Der Mensch und sein Streben nach<br />
Ewigkeit. Wie das Streben nach Ewigkeit<br />
sich in den Religionen und in der<br />
Kunst ausdrückt wird in meiner Kunst<br />
visuell angedeuetet. Eine Annäherung<br />
in analogen schwarz/weiß Fotografien<br />
sollen meine Heiligen Ikonen visuell<br />
neu Interpretiert werden. Durch meine<br />
eigene Bildprache werden meine Heiligen<br />
in den Mittelpunkt gehoben.<br />
Ich verfolge die unterschiedlichsten<br />
Ausprägungen dieser universalen<br />
Figuen und spüre diese in allen Weltkulturen<br />
und Epochen nach. Meine Protagonisten,<br />
gehören allesamt zu diesen<br />
Grenzgängern, leben in einer besonderen<br />
Sphäre und bringen Menschliches<br />
mit Übermenschlichem in Verbindung.<br />
Während die absolute Notwendigkeit<br />
des Andersseins für das Funktionieren<br />
menschlichen Lebens in der alltäglichen<br />
Betrachtung häufig aus dem Blickfeld<br />
gerät, rücken meine Fotografien die<br />
Randfiguren ins Licht und unterstreicht<br />
die vitale Bedeutung ihrer Aufgabe.<br />
Ono Ludwig, Berlin 2011<br />
Vernissage:<br />
Sonntag, 7. Juli <strong>2013</strong>, 16 Uhr<br />
Die Friedrich-Hundt-Gesellschaft e.V.<br />
präsentiert in einer Einzelausstellung,<br />
angelegt als Werkschau der vergangenen<br />
15 Jahre, Portraits verschiedener<br />
Serien.<br />
bis 8. September <strong>2013</strong><br />
Stadtmuseum Münster<br />
Salzstraße 28<br />
48143 Münster (Westfalen)<br />
Di – Fr<br />
Sa + So<br />
10 –18 Uhr<br />
11 – 18 Uhr<br />
Website:<br />
http://www.ono-ludwig.de<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
49
Ausstellungen<br />
about - 16 fotografische<br />
Positionen<br />
Am 31. Oktober 2010 starb der Fotograf<br />
und Hochschullehrer Prof. Heinrich<br />
Riebesehl. Auf der Trauerfeier<br />
begegneten sich viele seiner Studentinnen<br />
und Studenten. Manche sahen<br />
sich zum ersten Mal, andere erinnerten<br />
sich gemeinsamer Projekte; alle teilen<br />
die Freude daran, Heinrich Riebesehl<br />
als Vorbild und unbestechlichen Begleiter<br />
der eigenen Entwicklung erlebt zu<br />
haben. Ein Lehrer, der seinen künstlerischen<br />
Prozess offen zeigte- seine<br />
Position war klar und eindeutig, aber nie<br />
dogmatisch. Qualität konnte ihn immer<br />
begeistern.<br />
© Godehard Erichlandwehr, (O.i.F.) © Gunnar Bernskötter, (O.i.F.)<br />
Mit großem Respekt vor diesem Menschen<br />
und seinem Werk zeigen 16 Riebesehl-<br />
Schülerinnen und -Schüler eine<br />
Übersicht, einen farbenreichen Großakkord<br />
fotografischer Sichtweisen.<br />
16 Fotokünstlerinnen und -künstler<br />
bezeugen mit eigenwilliger Fotografie<br />
die Qualität der 24 jährigen Lehrtätigkeit<br />
eines der großen deutschen Fotografen<br />
unserer Zeit und präsentieren<br />
einen Ausschnitt aus ihrem Schaffen:<br />
Die städtische Galerie KUBUS zeigt<br />
Fotoarbeiten von Aenne Langhorst,<br />
Antonia Jacobsen, Anja Teske, Christoph<br />
Bartolosch, Dido Baxevanidis, Godehard<br />
Erichlandwehr, Gunnar Bernskötter,<br />
Kai Wetzel, Kurt Schapper, Kwanho<br />
Yuh, Ludger Paffrath, Michael Plümer,<br />
Matthias Koch, Mathias Philipp, Petra<br />
Kaltenmorgen und Raimund Zakowski.<br />
© Aenne Langhorst, (Original in Farbe) © Dido Baxevanidis, (Original in Farbe)<br />
© Kai Wetzel, (Original in Farbe)<br />
© Kurt Schapper © Matthias Koch, (Original in Farbe)<br />
50 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Ausstellungen<br />
© Michael Plümer, (Original in Farbe)<br />
© Anja Teske, (Original in Farbe)<br />
© Ludger Paffrath, (Original in Farbe)<br />
© Raimund Zakowski, (Original in Farbe)<br />
© Christoph Bartolosch, (Original in Farbe)<br />
© Kwanho Yuh<br />
© Petra Kaltenmorgen, (Original in Farbe)<br />
7. September bis 6. Oktober <strong>2013</strong><br />
Galerie KUBUS<br />
Theodor-Lessing-Platz 2<br />
30001 Hannover<br />
© Antonia Jacobsen, (Original in Farbe)<br />
Vernissage:<br />
7. September <strong>2013</strong>, 11 Uhr<br />
Di – Fr<br />
Sa, So, feiertags<br />
11 – 18 Uhr<br />
11 – 16 Uhr<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
51
Portfolio Nadine Dinter<br />
Nadine Dinter<br />
Ihre erste Kamera bekam die in Berlin<br />
lebende Fotografin Nadine Dinter<br />
(*1975) von ihrem Großvater geschenkt.<br />
Inspiriert durch Isolde Ohlbaum, folgen<br />
Reisen durch Europas Metropolen. Es<br />
sind insbesondere die Skulpturen der<br />
dortigen Friedhöfe, die ihr fotografisches<br />
Interesse wecken.<br />
Mit der Zeit entwickelt Nadine Dinter<br />
eine ganz spezielle Art, den in Wahrheit<br />
unbeweglichen Statuen eine<br />
verstörende, teilweise erschreckende<br />
Lebendigkeit zu verleihen. Spuren der<br />
Zeit wie verwitterte Stellen oder Rost<br />
wirken dabei auf den Betrachter wie<br />
Tränen oder Verletzungen, während die<br />
aufgenommenen Körper durch ungewöhnliche<br />
Perspektiven und Bildkompositionen<br />
aus dem Stein herauszutreten<br />
scheinen. Beinahe schwebend und<br />
ohne Bindung zur Umgebung erlangen<br />
sie ein Eigenleben.<br />
»Pere Lachaise«, Paris, 2012,<br />
© nadine dinter - photography<br />
»Douglas Gordon«, Schottischer Multi-Media Künstler, Berlin, 2008, © nadine dinter - photography<br />
Parallel zur Skulptur-Fotografie<br />
spezialisierte sich Nadine Dinter auf<br />
das Portraitieren von internationalen<br />
Künstlern, wie beispielsweise Douglas<br />
Gordon, Damián Ortega und Mathilde<br />
ter Heijne. Eine Verbindung beider<br />
fotografischer Genres, Skulptur- und<br />
Portraitfotografie, gelang ihr 2012<br />
während der Zusammenarbeit mit<br />
dem bekannten amerikanischen Modell<br />
Benjamin Godfre. Die entstandenen<br />
Aufnahmen sind eine Hommage und<br />
zugleich Neuinterpretation von Warhols<br />
»Torso Series« aus den 1970er- Jahren.<br />
Weitere Informationen unter:<br />
www.nadine-dinter.de<br />
52 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Portfolio Nadine Dinter<br />
»Ives Maes«, Belgischer Konzeptkünstler, Berlin, 2008, © nadine dinter - photography<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
53
Portfolio Nadine Dinter<br />
»Benjamin Godfre«, Amerikanisches Modell und Performance Artist, Berlin, 2012, © nadine dinter - photography<br />
»Audubon Park«, New Orleans, 2002, © nadine dinter - photography<br />
54 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Portfolio Nadine Dinter<br />
»Marco Nizzoli«, Italienischer Illustrator und Comiczeichner, Berlin, 2012, © nadine dinter - photography<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
55
Portfolio Nadine Dinter<br />
Stoned Immaculate<br />
»I‘ll tell you this...<br />
No eternal reward will forgive us now<br />
For wasting the dawn.<br />
Back in those days everything was simpler and more confused<br />
One summer night, going to the pier<br />
I ran into two young girls<br />
The blonde one was called Freedom<br />
The dark one, Enterprise<br />
We talked and they told me this story<br />
Now listen to this...<br />
I’ll tell you about Texas radio and the big beat<br />
Soft driven, slow and mad<br />
Like some new language<br />
Reaching your head with the cold, sudden fury of a divine<br />
messenger<br />
Let me tell you about heartache and the loss of god<br />
Wandering, wandering in hopeless night<br />
Out here in the perimeter there are no stars<br />
Out here we IS stoned<br />
Immaculate.«<br />
Homage to Warhol´s »torso series«, featuring Benjamin<br />
Godfre, Berlin, 2012, © nadine dinter - photography<br />
the doors<br />
56 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Portfolio Nadine Dinter<br />
»Alte Nationalgalerie«, Berlin, 2005,<br />
© nadine dinter - photography<br />
»Pere Lachaise«, Paris, 2012,<br />
© nadine dinter - photography<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
57
Buchbesprechung Harald Hauswald<br />
Harald Hauswald<br />
»Ferner Osten«<br />
Die letzten Jahre der<br />
DDR<br />
Fotografien 1986-1990<br />
Herausgegeben von Mathias Bertram<br />
Mit einem Vorwort von<br />
Christoph Dieckmann<br />
176 Seiten mit 155 Farbfotografien<br />
24 x 27 cm, Festeinband,<br />
Schutzumschlag, Fadenheftung<br />
ISBN 978-3-942473-50-7<br />
29,90 Euro (D), 30,90 Euro (A), 39,90 sFr<br />
Lehmstedt Verlag, Hainstraße 1<br />
Barthels Hof, 04109 Leipzig<br />
Fon: 0341-4927366<br />
Mail: info@lehmstedt.de<br />
Wie nahezu alle ostdeutschen Fotorealisten<br />
verdankt auch Harald Hauswald<br />
seinen Ruf ungeschönten und eindringlichen<br />
Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Um<br />
so mehr erstaunt, daß er – bedingt durch<br />
seine »illegale« Arbeit für westliche<br />
Medien – schon in den letzten Jahren<br />
der DDR mehrere tausend Farbaufnahmen<br />
machte. Wie die von Mathias Bertram<br />
ausgewählten Fotografien erkennen<br />
lassen, erweist er sich dabei nicht nur<br />
einmal mehr als genauer, oft sarkastischer<br />
Chronist des Alltags, sondern auch<br />
als ein bislang kaum wahrgenommener<br />
Meister der Farbkomposition. Die<br />
stimmungsvollen Bilder vergegenwärtigen<br />
die »Welt von gestern« stärker und<br />
intensiver als die vertrauten Aufnahmen<br />
in Schwarz und Weiß, lassen sie aber<br />
gerade dadurch auch fremder und ferner<br />
denn je erscheinen.<br />
»Wo Anspruch und Wirklichkeit des SED-<br />
Staats bildkräftig zusammenstießen, fing<br />
Hauswald diese Kollisionen ein, mit sarkastischer<br />
Sensibilität. Er blickte in die<br />
Risse und Klüfte der Gesellschaft. Oft<br />
zeigte er Schattengeschöpfe des Lebens,<br />
doch er schoß die Menschen nicht ab.<br />
Seinen Spott reservierte er für die Narrheit<br />
und den Pomp der Macht. Harald<br />
Buchcover, Friedrichstraße, Berlin-Mitte<br />
Hauswalds Bilder hüten unsere Welt<br />
von gestern. Das freie, ungelogene Erinnern<br />
sei unsere eigene Kunst.«<br />
(Aus dem Vorwort von Christoph Dieckmann)<br />
»Es gilt hinzusehen, wenn man das erste<br />
Erstaunen über die bunte Welt des Sozialismus,<br />
die wir als Grau in Grau abgespeichert<br />
hatten, hinter sich hat«.<br />
(Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine<br />
Zeitung, 30. März <strong>2013</strong>)<br />
»Jetzt kann das Land noch einmal in<br />
Farbe begutachtet werden. Farbecht.<br />
Ein Glücksfall. Die Fotos sind eine Wiederentdeckung.<br />
Die Wiederentdeckung<br />
auch einer Zeit, die anders tickte - auch<br />
wenn sie schon längst aus den Fugen<br />
war. Manche Fotos wirken wie Gemälde,<br />
durchkomponiert wie ein echter Liebermann,<br />
ein Spiel mit Nuancen, wie es<br />
heute gar nicht mehr möglich wäre, weil<br />
schrille Werbung auch noch in den letzten<br />
Winkel vordringt«.<br />
(Ralf Julke, Leipziger Internetzeitung,<br />
1. März <strong>2013</strong>)<br />
»Eindrucksvolle Bilder in einer Qualität,<br />
als sei es erst gestern gewesen. Fotos, die<br />
den Betrachter auf eine spannende Zeitreise<br />
mitnehmen«.<br />
(SuperIllu, 21. März <strong>2013</strong>)<br />
»Der Titel des Bildbandes ist gut gewählt.<br />
Denn dieses Land DDR ist inzwischen<br />
tatsächlich fern, besetzt mit den verschiedensten<br />
Erinnerungen und Erzählungen,<br />
die Menschen mitunter weniger<br />
verbinden als trennen. Es mag in<br />
© Harald Hauswald, Kastanienallee,<br />
Berlin-Prenzlauer Berg (Original in Farbe)<br />
© Harald Hauswald, Die Sängerin und Bassistin<br />
Tatjana Besson der Punkband »Die Firma« bei<br />
einem Auftritt auf dem Gelände »Am Zirkus«,<br />
Berlin-Mitte (Original in Farbe)<br />
des auch an der Farbigkeit der Fotos<br />
liegen, dass die versunkene Welt dieses<br />
Gemeinwesens hier überaus lebendig<br />
wirkt«.<br />
(Irmtraut Gutschke, Neues Deutschland,<br />
14. März <strong>2013</strong>)<br />
»Hauswald, der landauf, landab fahrende<br />
Reporter, ein Jack Kerouac der<br />
Ost-Fotografie. Motto: »On the Road«.<br />
Er zeigt, was ihm auffällt: Poesie und<br />
Gegen-Politik. Unverstellte Wirklichkeiten.<br />
Im Nachhinein malerisch schön«.<br />
(Christian Eger, Mitteldeutsche Zeitung,<br />
9. März <strong>2013</strong>)<br />
Der Fotograf und Autor:<br />
Harald Hauswald (geboren 1954) kam<br />
nach der Ausbildung zum Fotografen<br />
1977 nach Berlin. Er arbeitete in verschiedenen<br />
Jobs und ab 1983 als Fotograf<br />
für die evangelische Stephanus-Stiftung.<br />
Seine Aufnahmen vom DDR-Alltag<br />
entstanden alle im Eigenauftrag bzw. ab<br />
1986 auch für westliche Medien.<br />
1989 gehörte er zu den Gründern der<br />
Agentur Ostkreuz.<br />
1997 erhielt er das Bundesverdienstkreuz.<br />
www.harald-hauswald.de<br />
58 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Buchbesprechung<br />
© Harald Hauswald, Pferdemarkt in Havelberg, Brandenburg, (Original in Farbe)<br />
© Harald Hauswald, Pferdemarkt in Havelberg, Brandenburg, (Original in Farbe)<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
59
Buchbesprechung Harald Hauswald<br />
© Harald Hauswald, Warteschlangen von beiden Seiten vor der Fleischerei Dufft in der Oderberger Straße, Berlin-Prenzlauer Berg (O.i.F.)<br />
© Harald Hauswald, Landstraße in Brandenburg, (Original in Farbe)<br />
60 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Buchbesprechung<br />
© Harald Hauswald, Im Oderbruch (Original in Farbe)<br />
© Harald Hauswald, Im Oderbruch (Original in Farbe)<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
61
Fotoszene<br />
» Afrikanische Portraits«.<br />
Ein Gespräch mit dem<br />
Fotografen Winfried<br />
Bullinger über seine<br />
Arbeit.<br />
Pepper: Zum Jahreswechsel warst Du<br />
zum wiederholten Mal in Äthiopien um<br />
dort beheimatete Volksgruppen aufzusuchen<br />
und die Menschen und ihr<br />
Leben fotografisch zu dokumentieren.<br />
Was interessiert Dich an Äthiopien?<br />
Winfried Bullinger: Äthiopien beherbergt<br />
völlig unterschiedliche Kulturräume.<br />
Mich interessieren dabei für<br />
meine Arbeit gerade die Grenzgebiete.<br />
Das Wüstenvolk der Afar im Nordosten<br />
an der Grenze zu Eritrea oder die Völker<br />
im Westen an der Grenze zu Sudan und<br />
Südsudan. Die Menschen leben dort in<br />
autonomen Gesellschaften, die sich<br />
jetzt teils im Umbruch befinden. Sieben<br />
Aufenthalte dort und im Sudan haben<br />
es mir ermöglicht, meine Portraits zu<br />
konzentrieren und eine Entwicklung zu<br />
verfolgen.<br />
Pepper: Welche Entwicklung hast Du<br />
beobachten können?<br />
Winfried Bullinger: Das Interesse verlagert<br />
sich hin zu einem Kernbereich, auf<br />
den sich die photographische Arbeit<br />
dann konzentriert. Nach den vielen Aufenthalten<br />
lenkt mich wenig ab. Ich konzentriere<br />
mich auf die Person – ich portraitiere<br />
sie wie ich dich portraitieren<br />
würde. Alles »exotische« geht verloren.<br />
Die Bildfolgen werden so stringent.<br />
Pepper: Damit unterscheidest du dich<br />
auch wohltuend von Fotografen die<br />
eben nur wegen der Exotik afrikanische<br />
Volksgruppen aufsuchen. Deine Arbeit<br />
hat, so wie du sie machst, eine ethnologische<br />
Komponente. Das gefällt mir.<br />
Winfried Bullinger: Im Mittelpunkt<br />
steht ein reichhaltiges Portrait, das über<br />
Spuren kulturelle Verknüpfungen offen<br />
legt. Das ist in der Tat ein ethnologischer<br />
Aspekt. Das Bild einer Nuer Frau aus<br />
dem Süden beispielsweise verrät die<br />
Verbindung zum arabischen Nordsudan,<br />
aus dem ihr Kleid stammt. Zugleich<br />
müssen die Bilder eine abstrakte Qualität<br />
aufweisen – sie müssen losgelöst<br />
von ihrem Kontext als Werk “funktionieren”.<br />
Pepper: Hattest du bei den portraitierten<br />
Personen durch Vorgespräche auch<br />
Zugang zu deren privatem Schicksal, so<br />
dass die Fotos nicht nur geografische<br />
und historische Korrelationen aufzeigen,<br />
sondern ganz explizit auch Ausdruck<br />
individueller Lebensumstände<br />
sind ?<br />
»Nuer«, 2011<br />
Winfried Bullinger: Es bleibt das Bild<br />
selbst, das über den Lebensweg der<br />
portraitierten Person etwas aussagt. Ich<br />
konzentriere mich auf das Bild. Mein<br />
Gegenüber gibt mir für die Begegnung<br />
ein bestimmtes Maß an Zeit. Die Aufnahme<br />
mit der Großformatkamera unter<br />
Feldbedingen braucht meine ganze Aufmerksamkeit.<br />
Manchmal folgt dem Portrait<br />
ein Gespräch, übersetzt durch den<br />
lokalen Guide, manchmal zieht die<br />
Person beschäftigt weiter. Immer recherchiere<br />
ich für ein anstehendes Projekt<br />
die Lebensbedingungen und politischen<br />
Zusammenhänge. Vor Ort ergeben<br />
sich Gespräche meist zwischendurch.<br />
Ich fertige aber über die portraitierte<br />
Person keinen Text an.<br />
Pepper: Wie offen sind die Menschen<br />
in den Regionen, die du bereist deinem<br />
Ansinnen gegenüber sie zu portraitieren?<br />
Winfried Bullinger: Fast immer besteht<br />
die Bereitschaft, meiner Einladung zu<br />
einer Portraitsitzung zu folgen. Der Aufnahmeprozess<br />
mit der Großformatkamera<br />
hat etwas rituelles, wofür die Portraitierten<br />
empfindlich sind. Sie behalten<br />
die Kontrolle über ihr Selbstbild. Schwierig<br />
war es für mich, in Ruanda und Ostkongo<br />
Portraitaufnahmen zu machen.<br />
Die Menschen dort waren gegenüber<br />
Portrait-Fotografie skeptisch.<br />
Pepper: Ach, warum das? Angst vor<br />
Okkultismus?<br />
Winfried Bullinger: Die Skepsis hängt<br />
dort mit dem Völkermord in Ruanda<br />
im Jahr 1994 und den nachfolgenden<br />
Konflikten zusammen. Die Bevölkerung<br />
scheut jede Form der Registrierung. Ich<br />
habe das respektiert.<br />
Pepper: Kannst du mir erzählen, wie<br />
dein Interesse daran in Afrika zu fotografieren<br />
entstanden ist? Du hast Ende<br />
der 1980er Jahre in Kapstadt studiert.<br />
Ist das der Beginn deiner Leidenschaft<br />
für diesen Kontinent?<br />
Winfried Bullinger: Das Interesse reicht<br />
lange zurück. Mich hat zunächst die<br />
Radikalität afrikanischer Skulpturen<br />
berührt. Hinzu kamen Filme und Fotografien,<br />
die ich in den achtziger Jahren<br />
gesehen habe. 1987 habe ich dann ein<br />
Jahr lang Kunst an der UCT in Kapstadt<br />
studiert. In der Malereiklasse waren<br />
Schwarze und Weiße zusammen. Die<br />
Apartheid in Südafrika ging ihrem Ende<br />
zu. Es war eine Zeit des Umbruchs und<br />
die Reisen in die Nachbarländer Südafrikas<br />
haben damals meinen Plan wachsen<br />
lassen, künftig an einer Aggregation<br />
von Bildnissen zu arbeiten. Ich<br />
fühle mich mit dem afrikanischen Kontinent<br />
und den Menschen dort verbunden<br />
– ich denke, das ist eine wichtige<br />
Voraussetzung für meine bildnerische<br />
Arbeit.<br />
Pepper: Was veranlasst dich in digitalen<br />
Zeiten analog und in schwarz/weiß<br />
zu arbeiten?<br />
62 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Fotoszene<br />
»Nomade mit Gewehr«, 2009<br />
Winfried Bullinger: Am Ende der Kette<br />
steht der analog vom 4 mal 5 inch Negativ<br />
gefertigte Print mit der Größe 180<br />
cm mal 145 cm auf Barytpapier, dessen<br />
Qualität ich liebe. Ich halte die Entscheidung,<br />
die Bildnisse schwarz/weiß aufzunehmen,<br />
nicht für anachronistisch.<br />
Es ist eine Form, die Bilder zu gestalten.<br />
Ich benutze bei meiner Produktion übrigens<br />
stets moderne Technik.<br />
Pepper: Fotografen wie Sebastiao Salgado<br />
oder James Nachtwey bevorzugen<br />
ebenfalls den analogen Schwarz/<br />
Weiß-Film. Zumindest Salgado bedauert<br />
allerdings, dass sich das analoge<br />
Filmmaterial verändert, schlechter<br />
wird. Ich meine mich zu erinnern, dass<br />
er den geringeren Silberanteil genannt<br />
hat, wodurch er nicht mehr die von ihm<br />
gewünschten Grauabstufungen erzielt.<br />
Was für Erfahrungen hast du mit dem<br />
von dir verwendeten Filmmaterial?<br />
Winfried Bullinger: Ich benutze Fuji<br />
Acros 100 Film, der bisher in unveränderter<br />
Form hergestellt wird. Der 4 mal<br />
5 inch Film ist aber in Europa nicht zu<br />
haben. Ich decke mich deshalb in New<br />
York damit ein. Klassische Schwarz/<br />
Weiß-Filme wie der Kodak TriX sind<br />
aber am verschwinden.<br />
Pepper: Könntest du dir vorstellen in<br />
Farbe zu fotografieren?<br />
Winfried Bullinger: Ja, andere Bildfolgen<br />
nehme ich in Farbe auf. In den neunziger<br />
Jahren habe ich überwiegend Farbfilm<br />
benutzt. Allerdings verwende ich in<br />
den letzten Jahren vorwiegend Schwarz/<br />
Weiß-Planfilm. Die Filmwahl folgt dem<br />
bildnerischen Plan. Es gibt aber keinerlei<br />
dogmatische Festlegung.<br />
Pepper: Welche Kamera bzw. welche<br />
Kameras benutzt du?<br />
Winfried Bullinger: Ich benutze eine<br />
Linhof Technika Master 2000, zwei Hasselblads<br />
(503 und 501), eine Leica MP<br />
und eine Nikon F3, letztere seit 1989.<br />
Pepper: Für die Portraits über die wir<br />
eingangs sprachen nimmst du die<br />
Linhof, oder?<br />
Winfried Bullinger: Ja, die Portraitserie<br />
entsteht mit der Linhof-Kamera.<br />
Pepper: Hast du Unterstützung von<br />
Assistenten, wenn du deine Reisen<br />
unternimmst?<br />
Winfried Bullinger: Die Fotoprojekte<br />
führe ich wie eine kleine Filmproduktion<br />
durch. Es gibt stets einen Guide,<br />
der die Exp<strong>edition</strong> leitet und Englisch<br />
spricht. Es gibt dann immer einen lokalen<br />
Guide, der sich mit den Personen,<br />
die ich portraitieren möchte, verständigen<br />
kann. Es gibt einen Koch und teilweise<br />
einen oder mehrere Begleiter, die<br />
für die Sicherheit sorgen. Hilfe brauche<br />
ich für das Licht: ich benutze einen<br />
großen weißen Reflektor, um Schatten<br />
milde aufzuhellen. Ich vermeide Blitzlicht,<br />
das die Figur herauslöst.<br />
Pepper: Wie viele gültige Fotos hast du<br />
von deiner letzten Reise mitgebracht,<br />
also Fotos, von denen du Prints machen<br />
wirst?<br />
Winfried Bullinger: Die Zahl ist noch<br />
offen. Der Projektaufenthalt endete<br />
am 9. Januar, so dass sich die Auswahl<br />
immer noch weiter verdichtet. Rund 15<br />
Portraits sind jetzt in der näheren Auswahl.<br />
Die Planfilmnegative werden für<br />
die Auswahl und Archivierung digitalisiert<br />
und anschließend auf etwa A4-<br />
Größe gedruckt. Weiter projiziere ich<br />
die Bilder mit einem Beamer in der späteren<br />
Originalgröße. Der letzte Schritt<br />
sind dann Probestreifen quer durch das<br />
gesamte Bild, die Jochen Rohner, mit<br />
dem ich bei den endgültigen, analogen<br />
Prints zusammenarbeite, herstellt.<br />
Alles muss stimmen. Bei einem analogen<br />
Print dieser Größe lässt sich nichts<br />
verbergen – schummeln ist ausgeschlossen.<br />
Vom Projekt bis zum ersten großen<br />
Print vergehen ein bis zwei Jahre.<br />
Pepper: Du legst dich auf eine ja recht<br />
große Printgröße fest. Die Wirkung ist<br />
bei dem beinahe lebensgroßen Format<br />
natürlich phantastisch. Aber der Kundenkreis<br />
für deine Arbeit ist dadurch<br />
auch begrenzt. Deine Fotografien in<br />
unterschiedlichen Größen herzustellen<br />
widerstrebt dir aus künstlerischen<br />
Gesichtspunkten?<br />
Winfried Bullinger: Die Größe der Bilder<br />
ist wichtig und Teil des Konzepts. Der<br />
Betrachter kann das Portrait als Ganzes<br />
nahezu lebensgroß erfassen. Es gibt aber<br />
auch die Nahsicht: Strukturen, Materialien,<br />
Narben von Wunden oder Skarifaktionen<br />
– das sind erhabene Narbentätowierungen<br />
die durch Ritzen und<br />
anschließendes, bewusstes Verschmutzen<br />
der Wunden entstehen – werden<br />
sichtbar und lassen sich erfahren.<br />
Pepper: Du verwendest Metallrahmen,<br />
damit die Wirkung der Bilder sich bestmöglich<br />
entfaltet.<br />
Winfried Bullinger: Ja, der Rahmen ist für<br />
die Portraitbilder festgelegt. Ich benutze<br />
einen an den Ecken geschweißten Aluminiumrahmen.<br />
Das Bild als dreidimensionales<br />
Objekt wird auch durch den<br />
Rahmen geprägt.<br />
Pepper: Du hast deine Arbeiten zuletzt<br />
in einer Einzelausstellung in der Schweiz<br />
gezeigt. Wo werden sie als nächstes zu<br />
sehen sein?<br />
Winfried Bullinger: Von mir waren<br />
gerade drei Portraitbilder in einer von<br />
Christoph Tannert im Berliner Künstlerhaus<br />
Bethanien kuratierten Gruppenausstellung<br />
zu sehen. Und dann wird<br />
es in diesem Jahr eine Ausstellung in der<br />
Galerie von Sassa Trülzsch geben.<br />
© Pepper<br />
Weitere Informationen:<br />
www.winfried-bullinger.com<br />
http://blog.pepperproject.de/?p=190<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
63
Fotoszene<br />
Efraim Habermann<br />
»zum 80.«<br />
Schwarzweiß-Fotografien & Aquarelle<br />
Nicht immer hat eine Galerie das Glück,<br />
einen Künstler doppelt auszustellen: als<br />
Maler und als Fotografen.<br />
Charles Baudelaire war vor gut 150<br />
Jahren der Ansicht, dass die Fotografie<br />
zu Unrecht als Kunst eingeschätzt<br />
wird. Für den französischen Kritikerpapst<br />
bedrohte sie die Malerei, zumal<br />
ein technisches Gerät wie die Kamera<br />
die Fantasie verhindere. Fanatsie war<br />
für ihn aber die Voraussetzung für echte<br />
Kunst.<br />
Hier sehen Sie heute Abend anhand<br />
von knapp 25 Fotografien und mehreren<br />
Aquarellserien von Efraim Habermann,<br />
dass Malerei und Fotografie einander<br />
nicht ausschließen, vielmehr<br />
Baudelaires These aushebeln, dass die<br />
Fotografie die Zuflucht der verkrachten<br />
bzw. schlechten Maler sei. Immerhin<br />
darf Efraim Habermann in seinem 80.<br />
Lebensjahr auf eine fotografische Karriere<br />
von fast einem halben Jahrhundert<br />
zurückblicken, auch wenn er ursprünglich<br />
lieber Maler oder Sänger geworden<br />
wäre. Seine Biografie hatte aber anderes<br />
mit ihm vor.<br />
Am 19. Juni 1933 in Berlin geboren,<br />
floh er wegen seiner jüdischen Abstammung<br />
1939 mit seinen Eltern über Triest<br />
nach Palästina und lebte dann in Jerusalem.<br />
1957 kehrte er an die Spree<br />
zurück; in West-Berlin war er zunächst<br />
bei Senatsbehörden als graphisch-technischer<br />
Zeichner tätig und fand dann<br />
den Weg zur Fotografie, für die er sich<br />
schon immer interessiert hat: Ende der<br />
sechziger Jahre war er einer der Ersten<br />
in West-Berlin, der Kunstfotografien an<br />
Tageszeitungen verkaufte. Seine Arbeiten<br />
erschienen in Tageszeitungen, Fachzeitschriften<br />
und Büchern, einige befinden<br />
sich in privatem wie öffentlichem<br />
Besitz. Auch Ausstellungen haben sein<br />
Schaffen gewürdigt, so 1975 im Jüdischen<br />
Gemeindehaus an der Fasanenstraße<br />
in Berlin, 1976 in Paris im Maison<br />
de la France oder 1983 in der Berliner<br />
© Efraim Habermann<br />
Neuen Nationalgalerie, in den letzten<br />
Jahren in den Galerien Raab, Carpentier<br />
und Carlos Hulsch. Ab Juli sind seine<br />
Fotografien von Berlin-Wilmersdorf in<br />
der Kommunalen Galerie am Fehrbelliner<br />
Platz zu sehen.<br />
Carlos Hulsch zeigt Ihnen heute in den<br />
Jahren von ca. 1980 bis 2006 entstandene<br />
Aufnahmen von Berlin, Venedig<br />
und last not but least vom weiblichen<br />
Geschlecht: es wurde für Habermann<br />
bevorzugt als »Frau im Bild« zum Modell<br />
vor Werken aus Berliner Museen. Aufgenommen<br />
mit einer Leica Spiegelreflexkamera<br />
und auf Aqua-Papier abgezogen,<br />
gibt es von jedem Foto eine Auflage von<br />
maximal drei Stück.<br />
In Venedig portätierte sich der Lebensund<br />
Überlebenskünstler Efraim Habermann<br />
selbst vor der historischen Architekturkulisse;<br />
ebenfalls in den 1980ern<br />
kreierte er in seiner Berliner Wohnung<br />
an der Fasanenstraße ein Selbstporträt<br />
in Gary Cooper-Pose, indem er ein Foto<br />
von sich ausschnitt, es in ein Glas auf<br />
dem Fensterbrett mit Blick auf die Berliner<br />
Baumlandschaft stellte und dieses<br />
Szenario ablichtete. Die Ironie ist nicht<br />
zu verkennen, die auch in anderen<br />
seiner Arbeiten ihre Früchte trug. Sie<br />
potenziert sich gewissermaßen, weiß<br />
man um eine von Habermanns Lieblingssentenzen<br />
Bescheid: »Der Vorzug<br />
des Fotografen ist es, von einem Negativ<br />
ein positives Bild zu machen«.<br />
In Venedig schuf Habermann »positive<br />
Bilder« von der Stadt mit den tausend<br />
Gesichtern: von den Kanälen und den<br />
alten Hausfassaden, deren Rustika und<br />
Baudekor wie den Maskarons (Fratzenmasken)<br />
über den Tür- und Fensterbögen<br />
er durch die Wahl seines Standortes,<br />
durch Licht-Schatten-Wirkung und eine<br />
entsprechende eigenhändige Bildbearbeitung<br />
zu einem fast gespenstischen<br />
Eigenleben verhalf. Er zeichnete mit<br />
der Kamera die Fluten unter Venedigs<br />
Brücken nach und ließ Gondeln hinter<br />
dem Anlegesteg im Wasser verschwinden.<br />
Abbröckelndes Mauerwerk wurde<br />
ihm zur Tiara für den Surrealisten-Papst<br />
Salvador Dali, der auf einem Ausstellungsplakat<br />
posiert. Man beachte: der<br />
Schwung des Dali-Schnurrbartes und<br />
des Stockknaufes treten in kompositorische<br />
Beziehung zur Rundung der steinernen<br />
Krone.<br />
Neben Venedig wurde Berlin für Habermann<br />
Lieblingsschauplatz: doch auch<br />
hier ist es ein Berlin, das nicht jeder kennt:<br />
der Blick über den Rand der Großen<br />
Granitschale auf das Alte Museum am<br />
Lustgarten macht aus dem Schinkel-Bau<br />
mit seiner antikisierenden Säulenfront<br />
64 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Fotoszene<br />
Variante eines Konstruktivismus in der<br />
Art von Piet Mondrian bzw. der niederländischen<br />
Künstlergruppe De Stijl oder<br />
von einigen Bauhaus-Künstlern. Hier<br />
sei noch anzumerken, dass Mondrian<br />
selbst ein Verehrer von Cézanne war.<br />
© Efraim Habermann © Efraim Habermann<br />
ein Rätsel, das der Erklärung hinsichtlich<br />
seines Standortes bedarf. Das bronzene<br />
Reiterstandbild für König Friedrich<br />
Wilhelm IV. von Preußen auf der Freitreppe<br />
der Alten Nationalgalerie Berlin<br />
erhält, betrachtet zwischen den Säulen<br />
der Kolonnaden am Rande des Museums,<br />
ein geradezu martialisches Aussehen.<br />
Die Kunst des Sehens, d. h. Vorhandenes<br />
neu und anders zu betrachten,<br />
ist, wie Habermann auch beteuert, eben<br />
nicht erlernbar, sie ist das Charakteristikum<br />
des Fotografen, der zwar nur das<br />
aufnimmt, was er leibhaftig sehen kann,<br />
aber durch das Gesehene zu Neuem<br />
inspiriert wird wie der Maler durch<br />
eine schöne Frau, einen Blumenstrauß<br />
oder eine besondere Lichtstimmung zu<br />
einem Gemälde.<br />
Fast schon Ikone ist bei den Berliner<br />
Fotos und für Habermann-Fans die<br />
1968 entstandene Aufnahme des eigenen<br />
Fahrrades vor der Glasfront der<br />
Neuen Nationalgalerie am Kulturforum,<br />
in deren Scheiben sich die Silhouette<br />
der St. Matthäuskirche spiegelt.<br />
Aber auch stilllebenhafte Arrangements<br />
im urbanen Milieu gehören zum Berliner<br />
Themenkreis: eine Rose im Glas<br />
auf einem Vorsprung, dessen steinerne<br />
Struktur unter Habermanns fotografischem<br />
Auge zum Leben erwacht. Ein<br />
Obststillleben auf einem Steinplateau<br />
gerät zum Bild à la Cézanne, für<br />
Habermann als »Verdi der Malerei« ein<br />
großes Vorbild. Eine Postkarte von Vermeers<br />
berühmtem Gemälde »Mädchen<br />
mit dem Perlenohrring« (1666, Mauritshuis<br />
in Den Haag) wird vor die leere<br />
Kartusche einer Mauerfront gesetzt, die<br />
plötzlich die Funktion eines Bildrahmens<br />
erhält. In Habermanns open-air-<br />
Museum wird Kleines, Unbedeutendes<br />
groß und bedeutsam, Bekanntes, Vertrautes<br />
erscheint in neuem Gewand.<br />
Zugleich erzeugt Efraim Habermann<br />
mit den technischen Mitteln der Bildentwicklung<br />
eine Ton-Malerei, die den<br />
ästhetischen Effekt der reinen Erscheinung<br />
der Dinge akzentuiert, wenn<br />
nicht gar zum Thema macht. So wirken<br />
seine Motive materiell und immateriell<br />
zugleich, versöhnen ihre Vergänglichkeit<br />
mit ihrer gegenwärtigen Präsenz.<br />
Schließlich wurde es auch eine weitere<br />
Spezialität von Efraim Habermann,<br />
Frauen vor Gemälden abzulichten,<br />
wobei neue Sinnzusammenhänge entstehen<br />
können. Das junge Mädchen mit<br />
dem verführerischen Rückendekolleté<br />
scheint 2002 den Sprung in Gustave<br />
Courbets »Welle« (1870) aus der Alten<br />
Nationalgalerie Berlin zu wagen, die<br />
wie eine Urgewalt auf den Betrachter<br />
zurollt. Die Frau und nicht der Mann<br />
als Voyeur betrachtet 1979 in der Neuen<br />
Nationalgalerie Berlin-West kritisch das<br />
edle Hinterteil des nackten »Orangenpflückers«<br />
- eine lebensgroße Ölstudie,<br />
die der Deutschrömer Hans von Marées<br />
1876 für die berühmten Fresken in der<br />
Bibliothek der »Zoologischen Station«<br />
von Neapel malte. Warum Habermann<br />
den Kopf des jungen Adonis aussparte,<br />
bleibt der individuellen Interpretation<br />
des Betrachters überlassen.<br />
Von der Fotografie, deren Aufnahmen<br />
er in seinem selbst eingerichteten Labor<br />
in seiner Berliner Wohnung bis vor<br />
Kurzem selbst entwickelte, kam Habermann<br />
in den letzten Jahren zur Malerei:<br />
wie kleine Meditationen wirken seine<br />
postkartengroßen Aquarelle, in denen<br />
er, einzeln oder als Serie, geometrische<br />
bunte Konstruktionen auf weißes<br />
Papier applizierte: eine spielerische<br />
Efraim Habermann kombinierte Kreise<br />
und Halbkreise, Quadrate, Recht- und<br />
Vierecke, Rhomben, Balken und Punkte<br />
zu kleinen delikaten Kompositionen, in<br />
denen die Primärfarben Rot, Gelb und<br />
Blau eine tragende Rolle spielen. Dabei<br />
beließ er es je nach Einfall und Laune<br />
bei einer rein flächigen Konstruktion<br />
oder weitete diese aus zu Anordnungen,<br />
die durchaus eine plastische Wirkung<br />
zeigen bzw. eine gewisse Gegenständlichkeit<br />
suggerieren können. Diese<br />
Aquarelle halten sorgsam und auf witzige<br />
Weise alles in der Schwebe, sie<br />
laden den Betrachter unaufgeregt dazu<br />
ein, mitzupielen im bunten Baukasten<br />
der konstruktivistischen Malerei. Fotografie<br />
kann hier auch nicht, um nochmals<br />
zu Baudelaire zurückzukehren,<br />
die Malerei bedrohen, hat sie doch eher<br />
auf Habermanns Schwarz-Weiß-Aquarelle<br />
vielleicht retour gewirkt. Und auch<br />
die stille Poetik von Habermanns »positiven<br />
Bilder«, seiner Fotografien, findet<br />
sich in diesen Miniaturen, die zu nichts<br />
lautstark aufrufen und dem Beschauer<br />
keine intellektuelle Dechiffrierungsarbeit<br />
aufbürden. Sie wollen einfach da<br />
sein und betrachtet werden.<br />
Zum achtzigsten Geburtstag: nochmals<br />
Happy Birthday! Und Ihnen, liebe<br />
Freunde der Galerie Carlos Hulsch, viel<br />
Freude bei Efraim Habermanns Kunst!<br />
Dr. Angelika Leitzke, Rede zur Ausstellung<br />
»Efraim Habermann zum 80.<br />
Geburtstag«, Galerie Carlos Hulsch,<br />
Berlin, Juni <strong>2013</strong><br />
bis 16. August <strong>2013</strong><br />
Galerie Carlos Hulsch<br />
KUDAMM-KARREE<br />
Eingang: Lietzenburger Straße 80<br />
10719 Berlin-Charlottenburg<br />
Di – Fr 15 – 19 Uhr<br />
und nach Vereinbarung<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
65
Fotoszene<br />
<strong>brennpunkt</strong><br />
AWARD <strong>2013</strong><br />
Anlässlich des jährlichen browse fotofestival<br />
findet der <strong>brennpunkt</strong> AWARD<br />
statt.<br />
Der <strong>brennpunkt</strong>, renomiertes Fotomagazin<br />
seit 29 Jahren, verlieh Auszeichnungen<br />
für die beste per Mal eingesandte<br />
Schwarz-Weiß-Serie. Der Preis ist ein<br />
Portfolioabdruck im Magazin <strong>brennpunkt</strong><br />
<strong>2013</strong>/2014. Ziel des AWARDS<br />
ist es, dass der Fotograf eine Serie mit<br />
zehn thematisch zusammenhängenden<br />
Fotos einreicht. Alle Bilder müssen<br />
akzeptabel sein, mit nur wenigen guten<br />
Bildern erreicht der Autor sein Klassenziel<br />
nicht. Es zählt die Gesamtleistung<br />
jedes Fotografen.<br />
Auch in diesem Jahr erreichten uns aus<br />
aller Welt sehr interessante Portfolios.<br />
Leider auch Einsendungen, die den Teilnahmebedingungen<br />
nicht entsprachen.<br />
Sei es Einsendungen von nur fünf Bildern<br />
oder weniger und gemischt mit<br />
Farbbildern.<br />
Die <strong>brennpunkt</strong> Jury suchte aus den<br />
zahlreichen Einsendungen acht Portfolios<br />
aus. Wir haben auf eine Platzierung<br />
verzichtet, alle kommenden Veröffentlichungen<br />
sind gleichgestellt.<br />
© Annette Lofy, »citykids«<br />
© Christian Werner, »Charoal Children«<br />
© Klaus Lundi, »blanco y negro«<br />
© Nils Stelte, »breathing deeply«<br />
© Manfred Carpentier, »cuban-coffee«<br />
© Yan Boechat, »Taken in Angola«<br />
© Birgit Bergmann, »Maybachufermarkt«<br />
© Charlotte Thömmes, »Memory & Imagination«<br />
Herzlichen<br />
Glückwunsch<br />
und vielen Dank<br />
66 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Fotoszene<br />
Michael Gebur<br />
Ulrich Meyer<br />
»Leben am Mekong«<br />
Am 8. September wird im Rahmen<br />
des Mekong-Ländertages in der Albert-<br />
Einstein Volkshochschule Tempelhof-<br />
Schöneberg auch eine Fotoausstellung<br />
eröffnet. Die beiden asienerfahrenen<br />
Fotografen Michael Gebur und Ulrich<br />
Meyer zeigen dokumentaristische Fotos,<br />
die Einblicke in das Leben der Menschen<br />
am Mekong außerhalb der touristischen<br />
Höhepunkte geben. Zu sehen<br />
sind Fotos aus den Ländern Vietnam,<br />
Kambodscha, Laos, Thailand, Myanmar<br />
und China, die auf verschiedenen<br />
Reisen der Fotografen entstanden.<br />
bis 25. Oktober <strong>2013</strong><br />
Albert Einstein Volkshochschule<br />
Barbarossaplatz 5<br />
10718 Berlin-Schöneberg<br />
© Michael Gebur, (Original in Farbe)<br />
© Michael Gebur, (Original in Farbe)<br />
© Ulrich Meyer, (Original in Farbe)<br />
Mo – Fr 8 – 21 Uhr<br />
(in den Ferien 9 bis 16 Uhr)<br />
Sa + So 10 – 14 Uhr © Michael Gebur, (Original in Farbe)<br />
© Ulrich Meyer, (Original in Farbe)<br />
Dietrich Oltmanns<br />
»Arche bauen – Lauben & Gärten in<br />
Leipzig 1990«<br />
mit einem Text von Katrin Arrieta<br />
ISBN 978-3-925935-69-5 (<strong>2013</strong>)<br />
132 Seiten, 17 x 21 cm,<br />
127 Farb-Abbildungen, Fadenheftung,<br />
Klappenbroschur<br />
Euro 24,90<br />
»In Leipzig hat das Schrebergartenwesen<br />
als Teil der europäischen Kleingartenbewegung<br />
seinen Anfang genommen.<br />
Die ältesten und sonderbarsten Blüten<br />
dieser Bewegung werden bis heute fortwährend<br />
mit stillem Stolz gehegt. Es<br />
lohnt sich, nach ihnen zu suchen – nicht<br />
zuletzt, um sich den Quellen jener Lust<br />
zu nähern, die die Menschen in solch<br />
ein labyrinthisches Diesseits und Jenseits<br />
von Zäunen, Umfriedungen, Mäuerchen<br />
und Bretterwänden zieht, wo<br />
ein winziger Mikrokosmos neben dem<br />
Buchcover<br />
anderen sich in einer Unzahl ähnlicher<br />
zu verlieren droht«. (Katrin Arrieta)<br />
Dietrich Oltmanns hat die Fotografien<br />
1990 aufgenommen. Heute sieht er in<br />
ihnen seine persönliche Erfassung des<br />
damaligen Zustands, dessen faszinierende<br />
Ausstrahlung sich durch den Einfluss<br />
der westlichen Konsumgesellschaft<br />
schnell zu verändern begann.<br />
Edition Carpentier<br />
Anläßlich des 80sten Geburtstags von<br />
Efraim Habermann erscheint in der<br />
Edition Carpentier das Heft Nr. 8<br />
Efraim Habermann<br />
»Venedig«<br />
24 Fotografien<br />
Hrsg. von Manfred Carpentier<br />
und Franziska Rutishauser<br />
Berlin : Das Foto, <strong>2013</strong><br />
(Edition Carpentier : 8)<br />
ISBN 978-3-944637-08-2<br />
Efraim Habermann<br />
»Berliner Stilleben«<br />
Hrsg. von Manfred Carpentier<br />
Leipzig : Lehmstedt, 2011<br />
ISBN 978-3-942473-13-2<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
67
Fotoszene<br />
Kann man einem Bild<br />
trauen?<br />
Na ja, kommt darauf an, was Sie erwarten<br />
liebe Leser.<br />
Wenn es zum Beispiel um Authentizität<br />
geht, würde ich die Erwartung nicht<br />
zu hoch schrauben.<br />
Das Gewinnerfoto von Paul Hansen<br />
beim World Press Photo Award <strong>2013</strong><br />
hat mich sehr beeindruckt. Es ist einfach<br />
perfekt - zu perfekt?<br />
Das Bild besitzt ein Traumlicht, eigentlich<br />
zu schön um wahr zu sein...<br />
In seiner Ausgabe 19 vom 6. Mai <strong>2013</strong><br />
hat sich auch »DER SPIEGEL« dieses<br />
Themas angenommen und äußert seine<br />
Bedenken über den Grad der Nachbearbeitung<br />
bei diesem Siegerbild. Süffisant<br />
weisen die Autoren des Artikels<br />
darauf hin, dass Hansen nicht wie versprochen,<br />
die Original RAW Datei zum<br />
Vergleich vorweisen konnte - angeblich<br />
vergessen...<br />
Vergleichsweise eine Enthüllung dagegen<br />
ist der Slogan an der Eingangstür:<br />
»You press the button. We do the rest -<br />
better«. Sie erinnern sich jetzt sicherlich<br />
auch an die alte KODAK-Werbung.<br />
Wenn man den Recherchen des SPIE-<br />
GEL-Artikels glauben darf, so werden<br />
die Dienste von Herrn Palmisano von<br />
der internationalen Journalistenbranche<br />
gerne und häufig in Anspruch genommen...<br />
Ich will das jetzt gar nicht werten. Die<br />
Geschichte der technischen Entwicklung<br />
zeigt aber, daß das was möglich<br />
ist, auch gemacht wird.<br />
Da sind moralische oder ethische<br />
Bedenken allenfalls Anfangshürden -<br />
die werden in der Regel aber schnell<br />
überwunden!<br />
Wenn wir mal ehrlich sind, Photographie<br />
war doch noch nie authentisch. Es<br />
wurde beim Entwickeln und Belichten<br />
in der Dunkelkammer gemogelt und<br />
manipuliert was das Zeug hielt. Ich<br />
erinnere mich noch selbst an abenteuerliche<br />
Konstruktionen aus Draht und<br />
zu tun, sie sind photographische Kunstwerke<br />
- im eigentlichen Wortsinn.<br />
Man sieht die Welt eben nicht in<br />
schwarz/weiß - es sei denn, man hat<br />
einen massiven Augenfehler!<br />
Schon immer hat das Gehirn des<br />
Betrachters die Wirklichkeit in Bildern<br />
interpoliert, es fiel nur niemandem auf.<br />
Es muss ja nicht nur die Schwarz/Weiß-<br />
Reduktion der analogen Zeit oder das<br />
»Post-Processing« (irgendwie gefällt mir<br />
das Wort) der heutigen Zeit sein, was<br />
die Authentizität der Photographie in<br />
Frage stellt, nein alleine der künstlerische<br />
Anspruch des Photographen führt<br />
doch schon zu einer Interpretation der<br />
Realität!<br />
Setzen Sie drei gute Photographen auf<br />
das gleiche Objekt an - Sie werden drei<br />
verschiedene Bilder bekommen. Und<br />
das ist auch selbstverständlich, weil<br />
jeder Photograph seine eigene Handschrift<br />
hat.<br />
»Photographie ist Subjektivierung der<br />
Umwelt«. Und da wir alle unterschiedliche<br />
Individuen sind, werden unsere<br />
»Schwäne«: Trauen Sie diesem Bild? Na ja, zumindest Ihr erster Gedanke ist falsch - keiner der Schwäne ist reinkopiert. Aber ansonsten...<br />
Interessant ist im weiteren Verlauf des<br />
Beitrages der Hinweis auf Herrn Palmisano,<br />
ein Meister des so genannten »Post-<br />
Processing« - so wird in journalistischen<br />
Fachkreisen die digitale Bearbeitung der<br />
Bilder etwas kryptisch umschrieben.<br />
Das Geschäft von jenem Herrn Palmisano<br />
residiert in Rom und trägt den<br />
unauffälligen Namen »10b Photography«<br />
- was mehr über die Hausnummer<br />
des Firmensitzes, als über deren<br />
Tätigkeit aussagt.<br />
Pappe, die zum Zwecke der Manipulation<br />
in dem Lichtstrahl des Vergrößerungsgerätes<br />
bewegt wurden.<br />
Bei einer Diskussion über dieses Thema,<br />
bedauerte neulich ein Kunsthistoriker<br />
mir gegenüber den Verlust von »Wahrheit«<br />
in der Photographie und verwies<br />
auf die gute alte analoge Photographie<br />
zu Zeiten Ansel Adams.<br />
Na also, nun ausgerechnet der!<br />
Ansel Adams, zugegebenermaßen hervorragende<br />
Landschaftsbilder haben ja<br />
mit der Wirklichkeit nun absolut nichts<br />
Umgebung auch unterschiedlich interpretieren<br />
und zu unterschiedlichen Bildern<br />
des gleichen Motives kommen.<br />
Wollen Sie wissen, welche Photographie<br />
noch am authentischten ist?<br />
Die ganz banale Urlaubs-und Familienknipserei,<br />
Blitz an, raufhalten und<br />
anschließend printen beim Supermarkt<br />
- führt garantiert zum »Aha« des Wiedererkennungseffektes!<br />
Manfred Kriegelstein<br />
68 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Buchbesprechung<br />
Der große Fotokurs<br />
Besser fotografieren lernen<br />
Jacqueline Esen<br />
Verlag: Galileo Design<br />
ISBN: 978-3-8362-2030-9<br />
439 S. Komplett in Farbe,<br />
2. Aktualisierte Auflage<br />
19,90 Euro<br />
Fotografie als Meditation<br />
Eine Reise zur Quelle der Kreativität<br />
Torsten Andreas Hoffmann<br />
Verlag: dpunkt.verlag<br />
ISBN: 978-3-86490-031-0<br />
260 Seiten, komplett in Farbe,<br />
Festeinband<br />
36,90 Euro<br />
Naturfotografie - Die große<br />
Fotoschule<br />
Naturmotive gekonnt in Szene setzen<br />
Hans-Peter Schaub<br />
Verlag: Galileo Design<br />
ISBN: 978-3-8362-1936-5<br />
397 S. Komplett in Farbe,<br />
2. Aktualisierte Auflage<br />
39,90 Euro<br />
Nun mal wieder etwas für Anfänger -<br />
sorry, politisch korrekt: Einsteiger!<br />
Frau Esen ist freiberufliche Fotografin<br />
und Autorin diverser Werke zu Fotografie<br />
und Fototechnik. Schon aus der Tatsache,<br />
dass dieses Werk jetzt schon für die<br />
zweite Auflage aktualisiert wurde kann<br />
man ablesen, dass ein großer Bedarf an<br />
dieser kompakten Wissensvermittlung<br />
vorhanden ist. Mir ist auch schon bei<br />
diversen Fototreffen in der Amateurszene<br />
aufgefallen, dass es in den letzten<br />
Monaten viele gibt, die Ihr Interesse an<br />
der Fotografie entdeckt haben. Für diese<br />
Zielgruppe ist das Buch eine absolute<br />
Empfehlung.<br />
Ohne viel Schnickschnack kommt die<br />
Autorin auf den Punkt und vermittelt<br />
alles was man als Grundlage zur Fototechnik,<br />
Bildgestaltung und digitaler<br />
Bearbeitung wissen sollte.<br />
Übrigens auch sehr informativ und dennoch<br />
kurzweilig stellt sich die Internetpräsentation<br />
der Autorin dar. Werfen Sie<br />
mal einen Blick darauf:<br />
www.fotonanny.de<br />
Manfred Kriegelstein<br />
Warum fotografieren wir eigentlich?<br />
Na klar, um zu guten Bildern zu kommen<br />
- so werden jedenfalls die meisten antworten.<br />
Aber ist nicht der Akt des Fotografierens<br />
an sich schon ein sinnliches<br />
Erlebnis?<br />
Oder umgekehrt, hat nicht jeder schon<br />
einmal bemerkt, dass Fotos nicht gelingen,<br />
wenn man »nicht gut drauf ist«?<br />
In diesem Zusammenhang hat mich das<br />
Buch »Fotografie als Meditation« von<br />
Torsten Andreas Hoffman fasziniert.<br />
Der Autor zeigt uns den engen Zusammenhang<br />
zwischen japanischer Zen-<br />
Philosophie und der künstlerischen<br />
Fotografie. Er weist an Hand von vielen<br />
Bildbeispielen nach, wie wichtig der<br />
Seelenzustand des Fotografen für das<br />
Gelingen seiner Bilder ist.<br />
Der geneigte Leser dieses Magazins<br />
wird mich sicherlich nicht verdächtigen<br />
besonders esoterisch zu sein, dennoch<br />
hat mich diese andere Sichtweise<br />
von Herrn Hoffman doch sehr beeindruckt<br />
- insbesondere durch seine philosphischen<br />
Bildanalysen.<br />
Manfred Kriegelstein<br />
Wir kommen nicht daran vorbei, dass<br />
Landschafts-und Naturbilder sicherlich<br />
einen großen, wenn nicht sogar den<br />
größten Teil der deutschen Fotoszene<br />
beherrschen. Das liegt sicherlich zum<br />
einen Teil daran, dass insbesondere für<br />
Anfänger das Ablichten von Personen<br />
noch eine gewisse Hemmschwelle darstellt.<br />
Ich denke aber, dass die innere<br />
Naturverbundenheit vieler Menschen<br />
der Hauptgrund für diese große fotografische<br />
Affinität ist. Wie auch immer,<br />
das aktualisierte Werk von Schaub hilft<br />
allen Naturfotografen zu besseren Bildern<br />
zu kommen.<br />
Von Makroaufnahmen über Landschaftsund<br />
Tierfotografie wird alles gut erklärt<br />
und mit diversen tollen Bildbeispielen<br />
untermauert.<br />
Mir ist besonders sympathisch, dass<br />
der Autor in seinen Lektionen nicht auf<br />
perfekte aber langweilige Biologiebuch-<br />
Illustrationen zielt, sondern sich auch<br />
umfassend der kreativen Umsetzung<br />
dieses Themas widmet.<br />
Für Naturfotografen eine absolute Empfehlung!<br />
Manfred Kriegelstein<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
69
Vorschau 4/<strong>2013</strong><br />
<strong>brennpunkt</strong> 4-<strong>2013</strong><br />
erscheint am<br />
4. Oktober <strong>2013</strong><br />
Leserfotos<br />
Browse Fotofestival<br />
<strong>2013</strong><br />
Foto-Marathon Berlin<br />
<strong>2013</strong><br />
© Thomas Lingens, »Rudolf Holtappel«, <strong>2013</strong><br />
© Thomas Lingens, »Thomas Hoepker«, <strong>2013</strong><br />
Portfolio<br />
Beide Fotografinnen leben und arbeiten<br />
in Berlin. Mit unterschiedlicher<br />
Sichtweise gehen sie an die Fotografie<br />
heran.<br />
Diese beiden Portfolios sind das Ergebnis<br />
des <strong>brennpunkt</strong> AWARDS <strong>2013</strong>, anlässlich<br />
des »browse Fotofestival Berlin«.<br />
In den nächsten <strong>brennpunkt</strong> Ausgaben<br />
werden wir weitere Portfolios der<br />
Gewinner veröffentlichen.<br />
© Birgit Bergmann © Charlotte Thömmes<br />
Birgit Bergmann<br />
»Maybachufermarkt«<br />
Was bedeutet die Fotografie für mich?<br />
Fotografieren ähnelt in meinen Augen<br />
einem Gespräch. Statt zuzuhören, beobachte<br />
ich. Statt zu reden, fotografiere<br />
ich.<br />
Gute Fotografie entsteht nur im Dialog<br />
zwischen Fotograf und Fotomotiv. Die<br />
Kunst dabei ist es zu beobachten und<br />
zuzuhören – im richtigen Moment zu<br />
reden … und im richtigen Moment zu<br />
schweigen und zu fotografieren.<br />
Charlotte Thömmes<br />
»Memory & Imagination«<br />
In meiner Serie »Memory & Imagination«<br />
zeige ich fragmentarische Momente,<br />
Bruchteile von Sekunden, die sich vor<br />
meinem Auge ausdehnten. Traumartige<br />
Sequenzen, in denen ich die Flüchtigkeit<br />
des Lebens festzuhalte.<br />
Fotografie ist Abbild der Vergangenheit,<br />
gelebte Zeit, dennoch versuche ich in<br />
meinen Bildern nicht mein subjektives<br />
Konstrukt der Realität einzufangen,<br />
sondern möchte den Betrachter anregen,<br />
seine Wahrnehmung zu hinterfragen.<br />
Absichtlich jeder Verortung entrissen,<br />
gebe ich dem Rezipienten die Möglichkeit<br />
eigenen Assoziationen hervorzurufen.<br />
70 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>
Vorschau 4/<strong>2013</strong><br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
71
Galerien<br />
72 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>