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Nikolai Podak: Kokain in Deutschland (PDF) - Hanser Literaturverlage

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HANSER VON NIKOLAI PODAK<br />

KOKAIN IN<br />

DEUTSCHLAND<br />

INFORMATIONEN<br />

DATEN, FAKTEN<br />

,


<strong>Koka<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>:<br />

Informationen, Daten, Fakten<br />

Von <strong>Nikolai</strong> <strong>Podak</strong><br />

Nach Schätzungen des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung<br />

(UNDOC) haben 2012 weltweit 17 Millionen<br />

Menschen zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>mal <strong>Koka<strong>in</strong></strong> konsumiert. Aus den<br />

Anbauländern der Anden werden jährlich 150 bis 170 Tonnen<br />

<strong>Koka<strong>in</strong></strong> nach Europa geschmuggelt. Der Europäische Drogenbericht<br />

2013 zeigt, dass <strong>Koka<strong>in</strong></strong> »das am häufigsten konsumierte<br />

illegale Stimulans <strong>in</strong> Europa« ist.<br />

Der Ruf von <strong>Koka<strong>in</strong></strong> als Leistungsdroge der Künstler, Politiker<br />

und Manager verschleiert den Blick auf die Verbreitung<br />

und Gefahr von <strong>Koka<strong>in</strong></strong>. In e<strong>in</strong>em Interview der Tageszeitung<br />

Die Welt vom 26. Mai 2013 sagte der italienische Schriftsteller<br />

Roberto Saviano: »<strong>Koka<strong>in</strong></strong> wird nicht als Droge wahrgenommen.<br />

Es wird als e<strong>in</strong>e Art Aperitif gesehen, als Mittel gegen<br />

Müdigkeit und Erschöpfung. Der LKW-Fahrer nimmt es,<br />

um weiter zu fahren, der Koch, um schneller zu arbeiten, der<br />

Chirurg, um länger zu operieren. Dabei lässt Koks de<strong>in</strong> Herz<br />

explodieren, es macht dich impotent und neurotisch, aber das<br />

merken die Menschen nicht.«<br />

Das Bundeskrim<strong>in</strong>alamt (BKA) erwähnt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bundeslagebericht<br />

2012 zur Rauschgiftkrim<strong>in</strong>alität, dass im Jahr<br />

2012 <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> 1258 Kilogramm <strong>Koka<strong>in</strong></strong> sichergestellt


wurden (2011: 1942 Kilogramm). Die größte beschlagnahmte<br />

E<strong>in</strong>zelmenge an <strong>Koka<strong>in</strong></strong> betrug 268 Kilogramm und kam auf<br />

dem Seeweg nach Hamburg. Wesentlich häufiger gelangte die<br />

Droge per Luftpost oder über Flugkuriere aus Südamerika<br />

nach <strong>Deutschland</strong>. Die Anzahl der <strong>Koka<strong>in</strong></strong>delikte stieg nach<br />

vorherigen Rückgängen 2012 auf 12 017 Straftaten, was e<strong>in</strong>er<br />

Steigerung von 5 % entspricht. Insgesamt wurden 19 559 erstauffällige<br />

Konsumenten harter Drogen gezählt. Mit 15,4 %<br />

steht <strong>Koka<strong>in</strong></strong> damit an zweiter Stelle nach Amphetam<strong>in</strong> und<br />

Methamphetam<strong>in</strong> (64,8 %). Von den 944 Drogentoten, immerh<strong>in</strong><br />

der niedrigste Stand seit Ende der 1980er Jahre, starben<br />

14 % an <strong>Koka<strong>in</strong></strong> oder Crack.<br />

In se<strong>in</strong>er Gesamtbewertung kommt der Bundeslagebericht<br />

des BKA zu dem Schluss, dass der <strong>Koka<strong>in</strong></strong>schmuggel weiterh<strong>in</strong><br />

von hoher Bedeutung ist. Im Oktober 2012 wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Legal-Ladung Bananen im Hafen von Antwerpen acht Tonnen<br />

<strong>Koka<strong>in</strong></strong> gefunden. Insgesamt konnten laut aktuellem Europäischen<br />

Drogenbericht 2012 im Rahmen von 85 700 Sicherstellungen<br />

62 Tonnen <strong>Koka<strong>in</strong></strong> sichergestellt werden.<br />

Saviano geht davon aus, dass durch den Handel mit <strong>Koka<strong>in</strong></strong><br />

jährlich 400 Milliarden Dollar Umsatz gemacht werden. »Wenn<br />

Sie Anfang 2012 1000 Euro <strong>in</strong> Apple <strong>in</strong>vestiert hätten, dann<br />

würden Sie heute 1600 haben. Aber wenn Sie 1000 Euro <strong>in</strong><br />

<strong>Koka<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong>vestiert hätten, dann besäßen Sie heute 182 000.«<br />

Das <strong>Koka<strong>in</strong></strong> wird aus den Blättern des Cocastrauchs hergestellt,<br />

der vor allem <strong>in</strong> Peru, Bolivien, Kolumbien und Ecuador<br />

wächst. Die getrockneten Blätter werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Lösung aus<br />

Keros<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>er alkalischen Base, Sodakarbonat und Schwefelsäure<br />

e<strong>in</strong>geweicht. Aus dieser Flüssigkeit entsteht die rauchbare<br />

Kokapaste. Vermischt mit Salzsäure, kann das Alkaloid<br />

<strong>Koka<strong>in</strong></strong>, e<strong>in</strong> weißes Pulver, extrahiert werden. Zur Herstellung


von e<strong>in</strong>em Kilogramm <strong>Koka<strong>in</strong></strong> werden circa 100 Kilogramm<br />

Cocablätter benötigt.<br />

Grundlage für die Herstellung von Crack ist die Kokapaste<br />

oder das <strong>Koka<strong>in</strong></strong>hydrochlorid. Der Paste müssen bestimmte<br />

Basen zugeführt werden. Das <strong>Koka<strong>in</strong></strong>hydrochlorid wird mit<br />

Bikarbonat vermischt und gekocht, bis e<strong>in</strong>e dunkle Kristallform,<br />

das Crack, entsteht. Zudem enthalten Crack und <strong>Koka<strong>in</strong></strong><br />

diverse Streck- und Verdünnungsmittel. Die <strong>Koka<strong>in</strong></strong>konzentration<br />

der im Straßenverkauf erhältlichen Produkte liegt bei<br />

10 bis 50 %. Die Schwarzmarktpreise im E<strong>in</strong>zelverkauf liegen<br />

ungefähr bei 40 bis 90 Euro pro Gramm. <strong>Koka<strong>in</strong></strong> und Crack<br />

s<strong>in</strong>d illegale Drogen und fallen unter das Betäubungsmittelgesetz,<br />

das heißt, dass der Anbau, Erwerb, Handel, die Verabreichung<br />

und der Besitz strafbar s<strong>in</strong>d.<br />

Die Droge kann geschnupft oder geraucht werden. Ebenso<br />

ist e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>travenöse, orale oder <strong>in</strong>travag<strong>in</strong>ale Verabreichung<br />

möglich. Gelegentlich wird die Substanz auch über den Penisschaft<br />

<strong>in</strong>jiziert.<br />

Der Wirkungse<strong>in</strong>tritt und die Wirkungslänge hängen von<br />

der jeweiligen Darreichungsform ab. Das Rauchen von Crack<br />

führt zu e<strong>in</strong>em vergleichsweise raschen Wirkungse<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong>nerhalb<br />

von zehn Sekunden. Bei der <strong>in</strong>travenösen Injektion ist<br />

die Wirkung nach 30 bis 45 Sekunden spürbar. Bei der oralen<br />

E<strong>in</strong>nahme tritt die Wirkung nach 5 bis 10 M<strong>in</strong>uten e<strong>in</strong>.<br />

<strong>Koka<strong>in</strong></strong> wirkt stark euphorisierend, verbunden mit gesteigerter<br />

S<strong>in</strong>neswahrnehmung, erhöhter Herzfrequenz, Blutdruckanstieg,<br />

Appetithemmung, Atemstimulierung, verm<strong>in</strong>dertem<br />

Schlafbedürfnis und Libidoerhöhung. Die Stimulierung<br />

der Psyche wird durch die verzögerte Wiederaufnahme der<br />

Neurotransmitter Dopam<strong>in</strong>, Noradrenal<strong>in</strong> und Seroton<strong>in</strong> hervorgerufen.<br />

Bei e<strong>in</strong>er <strong>Koka<strong>in</strong></strong>vergiftung s<strong>in</strong>d die Pupillen stark


geweitet, und es kann zu kardiovaskulären und neurologischen<br />

Störungen mit Wahnvorstellungen und Halluz<strong>in</strong>ationen kommen.<br />

Todesfolgen s<strong>in</strong>d durchaus möglich. Das Nachlassen der<br />

Wirkung führt zu e<strong>in</strong>em verm<strong>in</strong>derten Energieniveau, depressiver<br />

Verstimmung und Angstgefühlen, die <strong>in</strong> den folgenden<br />

Stunden an Intensität gew<strong>in</strong>nen, bis es zu e<strong>in</strong>em erhöhten<br />

Schlafbedürfnis kommt. Die psychischen Symptome können<br />

über Tage oder gar Wochen anhalten. Der regelmäßige Konsum<br />

von <strong>Koka<strong>in</strong></strong>, obwohl er körperlich nicht abhängig macht, führt<br />

zur psychischen Abhängigkeit und schweren körperlichen Schäden.<br />

Durch die Aufnahme über die Nase ist die Nasenschleimhaut<br />

häufig gereizt, und es kann zu e<strong>in</strong>er Zerstörung der<br />

Nasenscheidewand kommen. Geraucht, führt der regelmäßige<br />

Konsum zu e<strong>in</strong>er Schädigung der Lungenbläschen, Sauerstoffarmut<br />

im Blut und Lungenblutungen. Häufig treten schwere<br />

Leberschäden, Schlaganfälle und Sehstörungen auf.<br />

Der Begriff »Coca« stammt aus der Sprache der Aymara,<br />

e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>digenen Volks <strong>in</strong> Südamerika, und bedeutet »Baum«.<br />

Archäologische Befunde belegen, dass bereits 3000 v. Chr. Cocablätter<br />

gekaut wurden. Sie wurden als Mediz<strong>in</strong>, Heilmittel,<br />

Aphrodisiakum, rituelles Rauschmittel und für diverse Tauschgeschäfte<br />

verwendet. In Peru und Bolivien werden die Blätter<br />

heutzutage häufig konsumiert, um Schmerzen, Kältegefühle<br />

und Müdigkeit zu unterdrücken. 1859 konnte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em deutschen<br />

Labor erstmals chemisch <strong>Koka<strong>in</strong></strong> isoliert werden und fand<br />

mediz<strong>in</strong>isch Verwendung als Lokalanästhetikum. 1886 wurden<br />

Extrakte aus Koka und der Cola-Nuss für die Herstellung von<br />

Coca-Cola verwendet. Nach Bekanntwerden des Suchtpotentials<br />

der Substanz ist der Stoff 1903 durch Koffe<strong>in</strong> ersetzt worden.<br />

Ab circa 1870 wurde <strong>Koka<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong> Europa auch zur Entwöhnung<br />

bei Alkoholismus und Morph<strong>in</strong>abhängigkeit e<strong>in</strong>gesetzt. Sig-


mund Freud verwies auf die aphrodisierende und euphorisierende<br />

Wirkung des <strong>Koka<strong>in</strong></strong>s, nahm von dem verme<strong>in</strong>tlichen<br />

Therapeutikum jedoch Abstand, als er e<strong>in</strong>en Freund behandelte,<br />

der an den Folgen der <strong>Koka<strong>in</strong></strong>sucht starb. Die negativen Auswirkungen<br />

des <strong>Koka<strong>in</strong></strong>konsums führten schließlich <strong>in</strong> den USA<br />

(1914) und <strong>Deutschland</strong> (1920) zum Verbot der Droge. Deutsche<br />

Soldaten konsumierten die Substanz während des Ersten<br />

Weltkriegs massenhaft. In den Goldenen Zwanzigern war<br />

<strong>Koka<strong>in</strong></strong>, vor allem <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> und Italien, äußerst beliebt.<br />

Trotz der Prohibition Ende der zwanziger Jahre wurde das weiße<br />

Gold gerade von Künstlern, Musikern, Literaten und Politikern<br />

sehnsüchtig gewollt und glorifiziert. In den achtziger Jahren<br />

avancierte <strong>Koka<strong>in</strong></strong> zur Liebl<strong>in</strong>gsstimulans der Yuppies und<br />

Werber. Der höchste Pro-Kopf-Verbrauch wird heute an der<br />

Wall Street und im Silicon Valley vermutet.<br />

Aufgrund ausgebauter Produktions- und Liefertechniken<br />

und der damit verbundenen Preissenkung ist <strong>Koka<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong> allen<br />

gesellschaftlichen Schichten angekommen. Uwe Kemmesies<br />

und Bernd Wiese schrieben bereits 2004 <strong>in</strong> dem Buch <strong>Koka<strong>in</strong></strong><br />

und Crack: »Die Vorliebe für diese Substanz sche<strong>in</strong>t die Gesamtgesellschaft<br />

zu durchkreuzen, wobei wir höchst unterschiedliche<br />

Gebrauchsmuster beobachten können. Es hat den<br />

Ansche<strong>in</strong>, als lebten wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Koka<strong>in</strong></strong>-Gesellschaft, und zwar<br />

fast ganz wie zu Zeiten vor der Prohibition des <strong>Koka<strong>in</strong></strong>s zu<br />

Beg<strong>in</strong>n des 20. Jahrhunderts.«<br />

Wie wir dieser Entwicklung begegnen können, ist e<strong>in</strong>e<br />

offene Frage. Roberto Saviano hat mit se<strong>in</strong>em Buch Zero Zero<br />

Zero e<strong>in</strong>e Antwort gewagt.<br />

<strong>Nikolai</strong> <strong>Podak</strong> ist als Redakteur für das politische Kulturmagaz<strong>in</strong><br />

Die Gazette tätig und arbeitet als freier Lektor <strong>in</strong> München.

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