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<strong>Frankfurt</strong> in Takt<br />

Magazin der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

Schwerpunktthema<br />

ZUKUNFT<br />

13. Jahrgang, Nr. 2 Wintersemester 2013/2014<br />

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INHALT<br />

2 Editorial<br />

Von Hochschulpräsident Thomas Rietschel<br />

6 Recherchen in einem Theaterland<br />

Von Sarah Wulf und Prof. Thomas Schmidt<br />

14 Krise und Kraft der Kunst sind eins<br />

Von Prof. Dr. Christoph Menke<br />

20 Das Theater als Barometer für den Zeitgeist<br />

Von Prof. Dr. Erika Fischer-Lichte<br />

24 Von der Unverwechselbarkeit der Musizierenden<br />

Von Prof. Dr. Peter Röbke<br />

30 Internationalität und Globalisierung in der Ausbildung<br />

Von Prof. Ingo Diehl<br />

32 Schon der Weg ist das Ziel<br />

Interview mit Dr. Sylvia Dennerle über den Leitbildprozess<br />

37 Interdisziplinarität – aktiv vernetzt handeln<br />

Von Prof. Sibylle Cada<br />

46 Inspiration hinter Klostermauern<br />

Die <strong>HfMDK</strong> zu Gast beim Rheingau Musik Festival<br />

48 Der frühe Funke zahlt sich aus<br />

Verschlungene Lebenswege unserer Alumni: Prof. Felix Koch<br />

50 Zehn Fragen an die Essers<br />

Zum Abschied von Jürgen und Barbara Esser<br />

Von Prof. Hedwig Fassbender<br />

52 Dirigent mit Herz und Wiener Charme<br />

Zum Abschied von Prof. Günther Bauer-Schenk<br />

54 Elegant, präzise, unaufgeregt<br />

Zum Abschied von Prof. Wojciech Rajski<br />

55 „Ich möchte immer lieber wagen“<br />

Interview mit dem Jan-Richard Kehl, dem neuen Professor<br />

für Szenischen Unterricht<br />

56 Impressum<br />

57 Erfolge unserer Studierenden<br />

STATEMENTS<br />

9 Ingrid Zur<br />

38 Sommer 2013 – Meisterkurse, Workshops und<br />

Summerschools<br />

39 Der Kick – ein Schauspielprojekt der <strong>HfMDK</strong><br />

startet mit Crowdfunding<br />

40 „Die Hochschule zu unterstützen, lohnt sich immer“<br />

Interview mit Peter Gatzemeier, Stiftungsvorstand der<br />

Dr. Marschner Stiftung<br />

42 Die Hochschule als Einfallstor für die<br />

Kunst von morgen<br />

Rückblick auf das Hochschuljubiläum<br />

10<br />

18<br />

18<br />

23<br />

28<br />

28<br />

31<br />

37<br />

49<br />

51<br />

51<br />

Anne Heinemann<br />

Maurice Lenhard<br />

Peter Michalzik<br />

Prof. Sophia Jaffé<br />

Fabian Sennholz<br />

Gertje Graef<br />

Prof. Axel Gremmelspacher<br />

Prof. Henrik Rabien<br />

Philippe Schwarz<br />

Imke Schoberwalter<br />

Max Reimer


F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />

Editorial<br />

Wie viele Musikstudierende braucheN WIr?<br />

In Baden-Württemberg will das Wissenschaftsministerium die<br />

„klassische“ Musikausbildung in zwei von fünf Musikhochschulen<br />

schließen. 500 Studienplätze werden gestrichen, um jährlich<br />

4 Millionen Euro einzusparen. Die Musikhochschule Mannheim<br />

soll in eine Hochschule für Jazz und Pop mit angeschlossener<br />

Tanzabteilung verwandelt werden, die MHS Trossingen will man<br />

zu einer musikalischen Bildungsstätte für die baden-württembergischen<br />

Musikhochschulen umfunktionieren und dort nur noch in<br />

Alter Musik und Elementarer Musikpädagogik ausbilden. Es gebe<br />

zu viele Musikstudierende, nachdem man so viele Orchester<br />

geschlossen habe, brauche man auch weniger Musiker. So lautet<br />

die Begründung des Rechnungshofes, der sich die zuständige<br />

Ministerin für Wissenschaft und Kunst angeschlossen hat.<br />

In <strong>Frankfurt</strong> müssen wir keine Sorgen haben geschlossen zu<br />

werden, wir sind die einzige Hochschule für Musik, Theater und<br />

Tanz in unserem Bundesland. Trotzdem ist der Fall für uns von<br />

Bedeutung: Zum einen ist Solidarität gefordert mit Mannheim<br />

und Trossingen, zum anderen ist es nicht unwahrscheinlich, dass<br />

die verwendete Argumentation auch auf uns angewendet werden<br />

könnte, also müssen wir uns mit ihr auseinandersetzen.<br />

GeringschätzuNG Gegenüber Kunst und Kultur<br />

Sollten die Pläne der baden-württembergischen Wissenschaftsministerin<br />

umgesetzt werden, dann schließt man nicht nur de facto<br />

zwei Hochschulen, dann werden gleichzeitig auch in Jahrzehnten<br />

gewachsene kulturelle Netzwerke zerstört. Hier drückt sich eine<br />

Geringschätzung gegenüber Kunst und Kultur aus, die wir an vielen<br />

Stellen wahrnehmen können. Mich erinnert dies an die <strong>Frankfurt</strong>er<br />

Debatte über die Finanzierung des Romantikmuseums. Hier wie<br />

dort wird an der Kultur ein Exempel statuiert, profiliert sich die<br />

Politik als durchsetzungs- und entscheidungsstark, will sie zeigen,<br />

dass sie bereit ist, im Interesse der Haushaltskonsolidierung auch<br />

schmerzhafte Schnitte zu setzen. Aber anstatt die zentralen<br />

Themen anzugehen, bei denen substanzielle Einsparungen erzielt<br />

werden könnten, wird der öffentlichkeitswirksame Schnitt in<br />

der Kultur vollzogen. Der avisierte Sparbeitrag von 4 Millionen<br />

Euro entspricht einem Zehntausendstel (0,01%) des badenwürttembergischen<br />

Landeshaushaltes. 1 km Autobahn kostet<br />

zwischen 7 und 26 Millionen Euro: 10 km Autobahn weniger<br />

gebaut, und man könnte die beiden Musikhochschulen 25 Jahre<br />

lang weiter betreiben. Die Kultur bietet sich anscheinend für<br />

solche Muskelspiele an, denn damit erregt man Aufsehen, und<br />

in der Vergangenheit konnte man sich auch sicher sein, dass<br />

der Aufschrei der wenigen „Kulturfreunde“ zwar hörbar, aber bei<br />

den am Ende entscheidenden Wählerstimmen nie richtig spürbar<br />

war. Die Entwicklung der letzten Wochen zeigt jedoch, dass sich<br />

die verantwortliche Ministerin für Wissenschaft und Kunst in<br />

Baden-Württemberg genau an diesem Punkt verkalkuliert hat –<br />

und das ist für uns alle ein positives Zeichen. Nicht nur Künstler,<br />

Musikverbände und Prominente des öffentlichen Lebens haben<br />

protestiert, sondern auch die örtliche Industrie- und Handelskammer<br />

(IHK), der Unternehmerverband, die Kirchen, die betroffenen<br />

Kommunen, sogar benachbarte Städte. Eine breite Front gesellschaftlicher<br />

Gruppen hat ihr Veto eingelegt und damit eine<br />

beachtliche politische Wirkung erzielt. Es gibt Hoffnung, dass<br />

die geplanten „Schließungen“ der beiden Hochschulen nicht<br />

umgesetzt werden können.<br />

Sparsamkeit ist selbstverständlich<br />

Der Hintergrund, vor dem diese Debatte stattfindet, ist die Schuldenbremse<br />

in den öffentlichen Haushalten. Und um das klarzustellen:<br />

Natürlich ist es selbstverständlich, dass auch wir im Kulturbereich<br />

der Ansicht sind, dass wir heute nicht auf Kosten der<br />

zukünftigen Generationen leben dürfen. Selbstverständlich wird<br />

bei uns jeder Cent umgedreht, jede Ausgabe sorgfältig geprüft.<br />

Wir planen langfristig und legen Wert auf eine transparente<br />

Haushaltsführung, und wir investieren sehr viel Kraft und Zeit, um<br />

die Abläufe in der Hochschule effizienter und damit auch sparsamer<br />

zu gestalten.<br />

2


Szene aus „La Colpa,<br />

Il Pentimento, La Grazia“<br />

in der Inszenierung der<br />

<strong>HfMDK</strong> in der Basilika von<br />

Kloster Eberbach im<br />

Rahmen des Rheingau<br />

Musik Festivals im Sommer<br />

2013<br />

Die Politik widerspricht sich selbst<br />

Uns muss jedoch die Begründung für die Pläne in Baden-Württemberg<br />

zu denken geben, dass angeblich im Musikbereich zu viele<br />

Studierende ausgebildet würden. Diese Behauptung wird vom<br />

dortigen Ministerium und dem Landesrechnungshof damit<br />

begründet, dass es zu wenige Orchesterstellen für die Absolventen<br />

gebe, man bilde „über den Bedarf“ aus. Zunächst einmal widerspricht<br />

die Politik sich selbst. Sie hat Milliarden in die Hochschulen<br />

gepumpt, an denen man in den letzten 10 Jahren neue Studienplätze<br />

in sechsstelliger Höhe geschaffen hat und weiter schaffen will.<br />

Jeder neue Studienplatz wurde und wird an den Fachhochschulen<br />

und Universitäten mit Zusatzmitteln von Bund und Ländern<br />

gefördert. Das will ich nicht kritisieren. Aber man betreibt ein<br />

Nullsummenspiel, wenn man in Trossingen und Mannheim 500<br />

Studienplätze streicht und gleichzeitig in Universitäten und<br />

Fachhochschulen neue Studienplätze aufbaut.<br />

Außerdem stehen an den Musikhochschulen den 500 Studienplätzen<br />

in der Regel bis zu zehnmal so viele Bewerber gegenüber, die<br />

sich lange und intensiv auf ihre Aufnahmeprüfung vorbereitet<br />

haben - hochmotivierte junge Menschen, die genau wissen, was sie<br />

studieren wollen -, die sich darauf lange Jahre vorbereitet haben.<br />

Die neuen Studienplätze an den Universitäten und Fachhochschulen<br />

dagegen werden zum Großteil nicht in den begehrten Fächern<br />

aufgebaut wie z.B. Medizin, das wäre zu teuer. Man vergrößert das<br />

Angebot in Massenfächern wie Jura, Germanistik, Romanistik usw.,<br />

die sich dann mit Studierenden füllen, die in den Numerus Clausus-<br />

Fächern keinen Studienplatz bekommen haben und dorthin<br />

strömen, wo Studienplätze frei sind.<br />

Künstlerisches Studium vermittelt<br />

umfangreiche Schlüsselkompetenzen<br />

Nach dem Bedarf für solche Absolventen wurde bei diesem<br />

Studienplatzaufbau übrigens nie richtig gefragt. Beim bundesweiten<br />

Ausbau der Studienplätze geht es um Akademisierung, um die<br />

Erhöhung der Studierquote. Man geht – sicherlich nicht zu Unrecht<br />

– davon aus, dass Studierende in ihrem Studium nicht nur Fachwissen,<br />

sondern auch sogenannte „Schlüsselkompetenzen“<br />

erwerben, die sie später im Berufsleben für viele anspruchsvolle<br />

Aufgaben qualifizieren. Das gleiche gilt aber auch für ein künstlerisches<br />

Studium, denn hier werden diese so sehr gefragten<br />

Schlüsselkompetenzen in besonderem Maße geschult: hohe<br />

Leistungsbereitschaft, Durchhaltevermögen, Kreativität, Teamfähigkeit,<br />

Selbstdisziplin oder gute Kommunikationsfähigkeiten.<br />

Musiker liebeN IHren Beruf<br />

Es gibt aber auch belastbare Zahlen, die man der Argumentation<br />

aus Baden-Württemberg entgegenhalten kann: zum einen die<br />

Ergebnisse der Absolventenstudie von Prof. Dr. Heiner Gembris<br />

„Von der Musikhochschule auf den Arbeitsmarkt“ 1 . In dieser Studie<br />

wurden die Absolventen von sieben deutschen Musikhochschulen<br />

über ihre berufliche Situation befragt; der Zeitpunkt der Befragung<br />

lag im Durchschnitt drei Jahre nach Abschluss des Studiums.<br />

83 Prozent der Absolventen der deutschen Musikhochschulen<br />

bleiben im Musikbereich und verdienen ihr Geld mit musikalischen<br />

Tätigkeiten, nur 6 Prozent sind nichtmusikalisch tätig. Damit liegen<br />

sie deutlich höher als die Absolventen anderer Fächer 2 . Nur 11<br />

Prozent der Musikhochschulabsolventen waren 3 Jahre nach ihrem<br />

Abschluss mit ihrer beruflichen Entwicklung und ihrer Lebenssituation<br />

unzufrieden 3 . Bemerkenswert übrigens, dass sich hier die<br />

Zahlen der Pianisten und Sänger nicht von den Zahlen der anderen<br />

Instrumentalfächer unterscheiden, obwohl gerade sie es besonders<br />

schwer auf dem Arbeitsmarkt haben. Natürlich wissen wir um die<br />

schwierige ökonomische Situation vieler junger Künstler, das sollte<br />

weder verschwiegen noch kleingeredet werden. Es ist ein Thema,<br />

1<br />

Gembris, Heiner/Langner, Diana: Von der Musikhochschule<br />

auf den Arbeitsmarkt. Augsburg 2005<br />

2<br />

Gembris/Langner 2005, S. 61<br />

3<br />

Gembris/Langner 2005, S. 68<br />

3


das uns und unsere Studierenden sehr bewegt. Aber unsere<br />

Studierenden wollen Musikerinnen und Musiker werden, weil ihnen<br />

die Sache wichtiger ist als Wohlstand, sie fürchten die unsicheren<br />

Verhältnisse nicht, weil sie von dem überzeugt sind, was sie tun.<br />

Gembris und Langner bestätigen diese Einstellung: „Musikalische<br />

Entfaltungsmöglichkeiten“ stehen für Musikstudierende bei der<br />

Frage nach ihrer Studienmotivation an erster Stelle mit einem Wert<br />

von 1,5 bei einer Skala von 1 („sehr wichtig“) bis 5 („völlig unwichtig“).<br />

Gute Verdienstmöglichkeiten spielen mit einem Wert von 3,2<br />

bis 3,9 (je nach Instrumentengruppe) eine untergeordnete Rolle 4 .<br />

Auch wenn die Studie keine Antwort auf den Bedarf von ausgebildeten<br />

Musikern gibt, so macht sie doch deutlich, dass die Absolventen<br />

von Musikhochschulen zu einem sehr hohen Prozentsatz als<br />

Musikerinnen und Musiker ihren Platz in der Gesellschaft finden<br />

und damit auch zufrieden sind.<br />

Gelebter Idealismus<br />

Und noch etwas wird an diesen Ergebnissen deutlich: Unsere<br />

Studierenden leben eine Haltung, die ich in vielen Bereichen<br />

unseres Landes sehr vermisse und die oft belächelt wird: Unsere<br />

Studierenden sind Idealisten. Sie stellen die Sache, für die sie<br />

brennen, höher als sich selbst, sie machen Musik um der Musik<br />

willen. Wie anders sähe unsere Gesellschaft aus, wenn es mehr<br />

solcher Idealisten gäbe – auch dies ein wichtiger Grund, warum<br />

Musikhochschulen wertvolle Institutionen sind, die wir uns leisten<br />

müssen.<br />

Das Musikleben braucHT fAchkräfte<br />

Aber schauen wir uns doch den Bedarf nach ausgebildeten<br />

Musikern etwas genauer an. Zunächst einmal wird die Behauptung<br />

der baden-württembergischen Ministerin und des dortigen<br />

Rechnungshofs, an den Musikhochschulen würden im wesentlichen<br />

zukünftige Arbeitslose ausgebildet, durch keinerlei Zahlen belegt.<br />

Die offizielle Arbeitslosenstatistik spricht eine andere Sprache:<br />

2011 waren 3,6 Prozent der Musikerinnen und Musiker arbeitslos<br />

gemeldet 5 , – das liegt deutlich unter dem deutschen Arbeitslosendurchschnitt.<br />

Auch ein Blick in das Musikleben zeigt uns, dass an vielen Stellen<br />

ausgebildete Musikerinnen und Musiker in unserem Land fehlen:<br />

Jeder, der seinen Kindern Musikunterricht erteilen lassen möchte,<br />

weiß, wie schwer es ist, geeignete Musikpädagogen zu finden.<br />

Chören und Laienorchestern fehlen qualifizierte Orchester- und<br />

Chorleiter, und in der Grundschule fallen 80 Prozent des Musikunterrichts<br />

aus oder werden fachfremd erteilt, – u.a. deswegen, weil<br />

es zu wenige ausgebildete Musiklehrer gibt.<br />

Die freie Szene wächst<br />

Vor allem aber in der sogenannten freien Szene haben sich neue<br />

Betätigungsfelder aufgetan, die für die Weiterentwicklung von<br />

Kunst und Kultur von großer Bedeutung sind. Wir erleben es<br />

zunehmend, dass neugierige, hervorragend ausgebildete und<br />

vielseitig qualifizierte junge Musiker gar nicht ins Orchester wollen.<br />

Sie suchen sich ihren Platz in der freien Szene, sie wollen selbstbestimmt<br />

über ihre künstlerische Arbeit entscheiden. Sie spielen in<br />

kleinen Ensembles, etablieren eigene Konzertreihen, entdecken<br />

ungewöhnliche Auftrittsorte und entwickeln neue Klang- und<br />

Ausdrucksformen, Produktionsmöglichkeiten oder Dramaturgien.<br />

Von dieser freien Szene gehen die wichtigen Impulse für die<br />

Weiterentwicklung der Kunst in unserer Gesellschaft aus. Wie<br />

fruchtbar sie ist, welch lebendige Ergebnisse sie hervorbringt, kann<br />

jeder erleben, der mit offenen Augen und Ohren das Kulturleben<br />

wahrnimmt oder Festivals wie die Ruhrtriennale besucht. Hier spielt<br />

die Musik der Zukunft, und die freie Szene wächst – nicht aus Not,<br />

sondern weil sie interessanter ist. Was sich auch in anderen<br />

Berufsfeldern abspielt, findet in gleichem Maße in der Kultur statt:<br />

Die feste Stelle bis zum Lebensende ist immer weniger der<br />

4


E d i t o r i a l<br />

Lebensentwurf, den junge Menschen anstreben. Sie haben keine<br />

Angst vor der sogenannten „Patchworkexistenz“, im Gegenteil:<br />

Ihnen erscheint diese erstrebenswerter als die lebenslange<br />

TVK-Stelle im Kulturorchester, und sie sind bereit, dafür Einschränkungen<br />

im Lebensstandard in Kauf zu nehmen. Wer also die prekäre<br />

Situation vieler Künstler ins Feld führt, um damit zu begründen,<br />

dass man keine Künstler mehr ausbilden solle, der redet an genau<br />

diesen Künstlern vorbei, die sich solche Schlussfolgerungen<br />

energisch verbitten würden.<br />

Kulturpolitiker sollten unsere Verbündeten sein<br />

Eine vorrausschauende und gestaltende Kulturpolitik, die den<br />

Beitrag der Künste für die Entwicklung und Reflexion unserer<br />

Gesellschaft ernst nimmt, sollte ihren Blick also dorthin richten,<br />

wo Neues entsteht, sie sollte für gute Rahmenbedingungen<br />

kämpfen, unter denen die Künste sich frei weiterentwickeln können.<br />

Kultur-politiker sollten unsere Verbündeten in den Regierungen<br />

sein, nicht unsere Gegner. Sie sollten sich gegen Rechnungshöfe<br />

und sonstige Ahnungslose wehren, die die Notwendigkeit einer<br />

Ausbildung in der Musik an einem Mehr oder Weniger von festen<br />

Stellen in Kulturorchestern festmachen wollen. Unsere Orchester<br />

und Opernhäuser sind wichtig als stabiles und jahrhundertelang<br />

gewachsenes Gerüst des Musiklebens, aber sie sind nur ein<br />

kleiner – wenn auch sehr sichtbarer – Teil desselben. Mehrere<br />

Millionen Menschen sind in Deutschland in Chören und Laienensembles<br />

aktiv und wollen musikalisch kompetent angeleitet werden.<br />

Wer organisiert und bestreitet denn die vielfältigen Konzerte auf<br />

dem Land, in Scheunen, bei Festivals oder in unseren Konzerthäusern?<br />

Wer komponiert all die Musik, die gespielt wird? Wer bildet<br />

all die Kinder und Jugendlichen aus, aus denen später dann<br />

professionelle MusikerInnen werden, und wer sorgt sich darum,<br />

dass all die Konzerte und Aufführungen unserer Orchester und<br />

Opernhäuser von vielen Menschen besucht werden? All dies leistet<br />

das breite Musikleben in unserem Land, und Aufgabe der Hochschulen<br />

ist es, dieses Musikleben lebendig zu halten, indem wir die<br />

Pädagogen und MusikerInnen ausbilden, die dafür notwendig sind.<br />

Die Argumentation isT HALTLos<br />

Ich unterstütze die Musikhochschulen in Baden-Württemberg, denn<br />

die Argumentation ist haltlos, mit der ihnen drastische Kürzungen<br />

aufgezwungen werden. 9 Prozent der Landesmittel sollen gestrichen<br />

werden, statt 45 Millionen sollen in Zukunft nur noch 41<br />

Millionen Euro für die Musikhochschulen ausgegeben werden. Da<br />

sei ein Blick ins benachbarte Österreich erlaubt, um zu zeigen, dass<br />

man auch andere Prioritäten setzen kann: Österreich hat 2 Millionen<br />

Einwohner weniger als unser reiches Nachbarbundesland, gibt aber<br />

mehr als drei Mal so viel Geld für seine Musikhochschulausbildung<br />

aus, 147 Millionen Euro im Jahr.<br />

UNSER AUFTRAG<br />

Vor dem Hintergrund solcher Vorgänge gewinnen unser Leitbildprozess<br />

und die Frage der Zukunft, der der Schwerpunkt dieser<br />

„FIT“-Ausgabe gewidmet ist, besondere Bedeutung. Wir positionieren<br />

uns durch den Leitbildprozess nicht nur intern, sondern auch in<br />

unserem gesellschaftlichen Umfeld. Die bisherigen Debatten haben<br />

gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die <strong>HfMDK</strong> ist<br />

bereits eine bestens vernetzte Institution, die ihren Auftrag ernst<br />

nimmt und lebt: Verantwortung zu übernehmen für ein auch in<br />

Zukunft vielfältiges und lebendiges Kulturleben.<br />

Thomas Rietschel<br />

Präsident der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

Wer Musikhochschulen auf Ausbildungsinstitutionen für Orchester<br />

reduziert, hat den zentralen Teil ihrer Aufgaben nicht im Blick.<br />

Dazu eine Zahl, die diese Debatte in die richtigen Dimensionen<br />

rückt: In den Jahren 2004 bis 2006 wurden in den deutschen<br />

Kulturorchestern und Rundfunkchören altersbedingt pro Jahr<br />

ca. 135 Stellen frei 6 . Die Zahl der Orchesterplanstellen ist in der Zeit<br />

von 2002 bis 2012 um ca. 8 Prozent gesunken 7 . Wir können<br />

also davon ausgehen, dass heute pro Jahr gerade mal 10 Stellen<br />

weniger altersbedingt frei werden als vor 10 Jahren. 10 weggefallene<br />

Stellen dienen als Begründung für einen Studienplatzabbau<br />

von 500 Studienplätzen – quod erat demonstrandum.<br />

4 Gembris/Langner 2005, S. 55ff.<br />

5<br />

www.miz.org/intern/uoloads/statistik14.pdf – Sozialversicherungspflichtige<br />

Beschäftigung und Arbeitslosigkeit in Musikberufen<br />

6<br />

www.dov.org/pressereader/items/135.html – Presseerklärung der DOV<br />

vom 7.1.2005<br />

7<br />

www.miz.org/intern/uoloads/statistik16.pdf – Planstellen in deutschen<br />

Kulturorchestern<br />

5


F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />

RECHERCHEN IN EINEM THEATERLAND<br />

Der gefährdete Zustand der deutschen Theater- und Orchesterlandschaft,<br />

das Versagen der Kulturpolitik und deren Auswirkungen auf die Kunsthochschulen<br />

der Länder<br />

Von Sarah Wulf und Prof. Thomas Schmidt<br />

In den letzten 20 Jahren ist die Zahl der öffentlichen Theater und<br />

Orchester in Deutschland kontinuierlich zurückgegangen. Die<br />

Anzahl der Veranstaltungen hingegen hat sich vervielfacht, während<br />

sich die Besucherzahlen verringerten. Die Kosten für Personal sind,<br />

selbst unter Berücksichtigung eines vielerorts stattgefundenen<br />

Rückgangs des Personalstamms, tarifbedingt gestiegen, ebenso wie<br />

die Produktions- und Betriebskosten. Die Betriebszuschüsse der<br />

Länder und Kommunen, der Hauptfinanziers der öffentlichen<br />

Theater, steigen zwar, können aber die steigenden Kosten nur noch<br />

bedingt auffangen. Zunehmend sehen sich die Häuser gezwungen,<br />

alternative Mittel zu akquirieren – soweit dies im Wettbewerb<br />

um finanzielle Zuwendungen privater Geldgeber möglich ist.<br />

Es ist nicht zu verleugnen, dass die deutsche, mit ihrer Dichte und<br />

Vielzahl an Angeboten weltweit einmalige Theaterlandschaft<br />

vor wachsenden und auf den ersten Blick unlösbaren Herausforderungen<br />

steht.<br />

Welche Möglichkeiten hat die Theater- und Orchesterkultur in<br />

Deutschland vor dem Hintergrund gegenwärtiger gesellschaftlicher<br />

Herausforderungen wie dem sozialen Wandel oder der Finanznot<br />

der Länder und Kommunen, sich zu entwickeln? Welche Zukunft<br />

haben die Musik und die Darstellenden Künste in einem der<br />

theater- und orchesterreichsten Länder der Welt? Welche sind die<br />

Instrumente, die entwickelt werden müssen, um den genannten<br />

Negativ-Trends entgegen zu wirken, und wie werden sie am besten<br />

und nachhaltigsten eingesetzt? Dies sind wesentliche Fragestellungen,<br />

mit denen sich der Masterstudiengang Theater- und<br />

Orchestermanagement an der <strong>HfMDK</strong> auseinandersetzt. Die Dichte<br />

der öffentlichen Theater- und Orchesterinstitutionen bedingt nicht<br />

nur ein vielfältiges, breites Kulturangebot. Näher betrachtet, erweist<br />

sich das Theaterland Deutschland als äußerst differenziert strukturiert.<br />

So fällt es schwer, alle Theater und Orchester in ihrer<br />

Gesamtheit als ein einheitliches Theater- und Orchestersystem<br />

zu verifizieren.<br />

16 verschiedene Theatersysteme<br />

Vielmehr gehen aus der föderalen Struktur der Bundesrepublik<br />

nicht weniger als 16 verschiedene Theatersysteme hervor, von<br />

denen jedes für sich unterschiedliche Schwerpunkte setzt und<br />

letztlich sehr differenzierte Zukunftsaussichten aufweist. Das von<br />

der Hessischen Theaterakademie und der Gesellschaft der Freunde<br />

und Förderer der <strong>HfMDK</strong> geförderte Forschungsprojekt der<br />

Theater- und Orchestermanagement-Studentinnen des Jahrgangs<br />

2011 bis 2013 hatte in diesem Zusammenhang das Anliegen, die<br />

unterschiedlichen systemischen Gegebenheiten der deutschen<br />

Theaterlandschaft zu untersuchen. Dessen Ergebnis – die Bestandsaufnahme<br />

jedes einzelnen Bundeslandes hinsichtlich seines<br />

individuellen Theatersystems und seiner kulturpolitischen Rahmenbedingungen<br />

– ist im Juni 2013 unter dem Titel „Recherchen in<br />

einem Theaterland: Die sechzehn Theater- und Orchestersysteme<br />

der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich“ beim ConBrio-Verlag<br />

erschienen.<br />

Allen Bundesländern ist die Konfrontation mit steigenden Kosten<br />

in den Kulturinstitutionen bei etwa gleichbleibenden finanziellen<br />

Zuwendungen gemein, doch unterliegen die Länder unterschiedlichen<br />

wirtschaftlichen, kulturpolitischen und demografischen<br />

Voraussetzungen für die Ausgestaltung der jeweiligen Theaterlandschaft,<br />

sodass sich die gegenwärtigen Herausforderungen, Krisen<br />

und Reformoptionen äußerst unterschiedlich gestalten.<br />

6


Szene aus<br />

„Xeno – Figurinen“,<br />

theatralen Entwürfen<br />

von Regie- und<br />

Schauspielstudierenden,<br />

präsentiert in<br />

der <strong>HfMDK</strong>-Hochschulnacht.<br />

7


R e c h e r c h e n i m T h e a t e r l a n d<br />

Die Recherchen ergaben, dass vor allem die Städte von einer<br />

immensen Dichte an Kulturangeboten profitieren, wohingegen in<br />

ländlichen Räumen, in erster Linie in dünnbesiedelten Gebieten,<br />

wie man sie beispielsweise in Brandenburg vorfindet, von einer<br />

Unterversorgung gesprochen werden kann. In Hessen beispielsweise<br />

ist es das dicht besiedelte Rhein-Main-Gebiet, das von einer<br />

solchen kulturpolitischen Ausrichtung profitiert. Auch in Niedersachsen<br />

sind es vor allem die Staatstheater, die die größte<br />

finanzielle Unterstützung erfahren. Im Gegensatz zu Brandenburg<br />

haben sich die Niedersachsen jedoch eine kulturelle Infrastruktur<br />

im ländlicheren Raum erhalten. Besonders ist die Konzentration<br />

auf die urbanen Räume in Nordrhein-Westfalen zu erkennen –<br />

Beispiele hierfür sind das Ruhrgebiet und der Köln-Bonner Raum.<br />

Freie Szene geWINNT AN bedeutung<br />

Repräsentant der Hochkultur, wobei die lebendige Freie Theaterszene<br />

durch die Kulturpolitik nur sehr selten Erwähnung findet. Neben<br />

der Freien Szene sind es vor allem auch die breit gefächerten<br />

Festivals, die das Theatersystem in jedem Bundesland ergänzen.<br />

Die Problematik, die sich an dieser Stelle herauskristallisiert, betrifft<br />

vor allem kleinere Festivals und Sommerprogramme auf dem<br />

Land. Sie wachsen stetig, sind jedoch gleichzeitig von einem<br />

tendenziellen Besucherschwund betroffen, der unter anderem auch<br />

eine Auswirkung des Bevölkerungsrückgangs in den ländlichen<br />

Gebieten ist. Daneben fungieren wenige große Festivals nicht nur<br />

als Touristenmagnete, sondern auch als Konkurrenten der institutionellen<br />

Theater und Orchester um Finanzen, Zuschauer und<br />

politische Zuwendung.<br />

Regionales Gefälle deutlich erkennbar<br />

Berlin als Hauptstadt kommt in der Theater- und Musikszene eine<br />

Schlüsselrolle zu. Zu dem Impuls, der von ihr ausgeht, leistet die<br />

Freie Szene einen nicht zu unterschätzenden Beitrag. Es zeigt sich<br />

in den Analysen, dass die Freie Szene auch für die Theaterszene<br />

der restlichen Bundesländer immer mehr Bedeutung gewinnt und<br />

dies, beispielsweise auch in Rheinland-Pfalz, anhand einer sich<br />

im Ausbau befindlichen Förderpolitik aufgegriffen wird. Andere<br />

Bundesländer reagieren auf diese Entwicklungen verhaltener. Im<br />

Gegensatz zu Berlin pflegt Bayern in erster Linie das Image als<br />

Insgesamt zeigt sich ein deutliches regionales Gefälle zwischen den<br />

Theater- und Orchestersystemen. Während die Neuen Bundesländer<br />

in den 1990er Jahren umfangreiche Einschnitte in ihrer<br />

Theater- und Orchesterkultur wahrnehmen mussten, die sich unter<br />

anderem in Schließungen und Fusionen äußerten – Brandenburg<br />

besitzt heute nur noch eines von ehemals vier Drei-Sparten-Theatern<br />

– sich aber auch auf einen überdurchschnittlichen Besucherrückgang<br />

einstellen mussten, konnten sich die Kultureinrichtungen<br />

im Westen mehr oder weniger gut halten.<br />

Szene aus<br />

„Büchners<br />

Frauen“, einer<br />

Kammeroper von<br />

Paul Schäffer,<br />

im Sommersemester<br />

2013.<br />

Regie:<br />

Teresa Reiber.<br />

8


Daneben weisen die Recherchen einen Unterschied zwischen<br />

nördlichen und südlichen Bundesländern nach. So ist die Kulturlandschaft<br />

Mecklenburg-Vorpommerns stärker von finanziellen<br />

Einschnitten bedroht als beispielsweise in Sachsen, das mit dem<br />

sächsischen Kulturfinanzausgleichsgesetz 1994 ein vorübergehend<br />

nachhaltiges Fördersystem für Kultur entwickelt hat. Darüber<br />

hinaus sind Bayern, Baden-Württemberg und Hessen beispielsweise<br />

im Gegensatz zu Schleswig-Holstein im Norden des Landes nicht<br />

nur finanziell, sondern auch kulturell um einiges besser aufgestellt.<br />

Kürzungen bei den Musikhochschulen<br />

Es zeigt sich aber auch, dass sich die Zustände ändern und die gute<br />

finanzielle Unterfütterung von Theatern und Orchestern auch in den<br />

bisher besser gestellten Bundesländern auf Dauer nicht gesichert<br />

ist. Selbst Bayern wird spätestens 2020 vom demografischen<br />

Wandel eingeholt worden sein und mit dem Bevölkerungsrückgang<br />

zu kämpfen haben. Auch eine Anpassung an die sich verändernden<br />

gesellschaftlichen Kulturkonsumgewohnheiten, wie sie sich<br />

beispielsweise durch die Digitalisierung ergeben, findet bislang nur<br />

bedingt statt. In Baden-Württemberg weisen die angekündigten<br />

Kürzungen und Umstrukturierungsmaßnahmen bei den Musikhochschulen<br />

darauf hin, dass die Fusion der SWR-Sinfonieorchester<br />

kein einzelner Vorgang war, um Einsparungen im Kulturbereich<br />

vorzunehmen. In Sachsen prägen Einsparungen und Fusionen<br />

die Berichterstattung über die Theater- und Orchesterlandschaft.<br />

In Nordrhein-Westfalen wiederum werden mit dem Wuppertaler<br />

Schauspielhaus ganze Kunstsparten aufgegeben. Mittlerweile<br />

lassen sich über die ganze Republik verteilt Szenarien von Theaterschließungen<br />

und Orchesterzusammenschlüssen finden.<br />

Wie helfen Sie Ihren Studierenden,<br />

sich auf ihre berufliche<br />

Zukunft vorzubereiten?<br />

Ich versuche ihnen dabei zu<br />

helfen, Klarheit über die eigene<br />

berufliche Vision zu schaffen,<br />

eigene Stärken und Schwächen<br />

zu erkennen und daraus eine<br />

Strategie zur Persönlichkeitsbildung<br />

zu entwickeln. Die verbale<br />

Kommunikation in Kammermusik-<br />

und Orchesterensembles<br />

trainiere ich mit den Studenten<br />

und fördere ihre Teilnahme an<br />

Meisterkursen, Orchesterakademien<br />

und professionellen<br />

Ensembles.<br />

STATEMENT<br />

Ingrid Zur,<br />

Lehrbeauftragte für Viola<br />

Inwiefern ist die <strong>HfMDK</strong> für die<br />

Zukunft gerüstet?<br />

Gut ist die Vielzahl an Hochschulveranstaltungen,<br />

die<br />

reichlich Auftrittsmöglichkeiten<br />

bieten. Wichtig und richtig ist es,<br />

dass der Bachelor-Studiengang<br />

für Instrumentalmusiker eine<br />

pädagogische Ausbildung<br />

einschließt. Die Hochschule<br />

sollte ihre Zusammenarbeit mit<br />

professionellen Institutionen weiter<br />

verstärken, vor allem mit<br />

Orchestern und Spezialensembles.<br />

Daraus könnte sich eine<br />

neue Perspektive für die<br />

Orchesterarbeit an der Hochschule<br />

selbst entwickeln.<br />

Welche konkreten Zielsetzungen die Kulturpolitik hinsichtlich ihrer<br />

Theater- und Orchesterförderung verfolgt, kann für die meisten<br />

Bundesländer anhand politischer Leitlinien oder Bekenntnisse nicht<br />

greifbar gemacht werden, diese sind zumeist zu allgemein gefasst,<br />

werden kaum vermittelt und noch viel weniger gelebt. Mit Hilfe<br />

von externen Beratungsfirmen werden dagegen – wie in Mecklenburg-Vorpommern<br />

oder Hessen – neue Lösungswege gesucht,<br />

anstatt auf das Wissen der Institutionen zu bauen und entsprechende<br />

Arbeitsgruppen einzurichten, in denen die Beteiligten und<br />

die Betroffenen mitwirken können. Konkrete Konzepte und Strategien<br />

für die Zukunft lassen sich auf die vorgenannte Weise weder<br />

entwickeln noch umsetzen. Vielmehr beweist beispielsweise die<br />

erneute Diskussion des bereits für gescheitert erklärten Fusionsvorhabens<br />

der Theater Rostock und Schwerin durch die Politik in<br />

Mecklenburg-Vorpommern das Gegenteil. Unter diesen Umständen<br />

fehlt es vielen Theatern in der deutschen Theaterlandschaft an<br />

Planungssicherheit und an Rückhalt in der Politik. In anderen<br />

Bundesländern, wie zum Beispiel in Sachsen und Hamburg, wird<br />

Kultur zum Standortfaktor erhoben und ein entsprechend hoher<br />

Stellenwert eingeräumt, der neben künstlerischen und kulturellen<br />

auch ökonomische Faktoren einbezieht, die sich vor allem aus einer<br />

Integration der Theater und Orchester in touristische Strategien<br />

der Städte und Länder speist.<br />

GroSSer Rückhalt in der Bevölkerung<br />

Allen mehr oder minder krisengebeutelten Ländern ist jedoch der<br />

Rückhalt durch große Teile der Bevölkerung gemein, welchen die<br />

Theater- und Orchesterhäuser erfahren. Als Beispiel sei hier nur die<br />

jüngste „Volksinitiative Kulturland Sachsen-Anhalt“ genannt, die<br />

sich mit Unterschriftenaktionen gegen den angekündigten Sparkurs<br />

der Regierung zur Wehr zu setzen versucht.<br />

Wenn die Zukunftsaussichten vieler bereits heute in starker<br />

finanzieller Bedrängnis agierender Theater und Orchester so klar<br />

und deutlich aufgezeigt werden können, wenn aus den bisherigen<br />

Krisenszenarien und den daraus geschlussfolgerten Spartenschließungen<br />

und Fusionen keine Erfolgsmodelle geworden sind, wenn<br />

festgestellt wird, dass Kultur Jahr für Jahr gegen den Wunsch und<br />

9


Szene aus<br />

„Slapstick/Andere<br />

Handschriften“,<br />

einem Studienprojekt<br />

der<br />

Ausbildungsbereiche<br />

Regie und<br />

Schauspiel<br />

unter Leitung von<br />

Andreas<br />

Kriegenburg.<br />

STATEMENT<br />

Anne Heinemann,<br />

Trompeterin<br />

den Widerstand der Bevölkerung unumkehrbar abgebaut wird<br />

anstatt in nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklungsstrategien<br />

eingebettet zu werden: Warum reagiert die hierfür zuständige<br />

Kulturpolitik nicht? Und welche Kraft und Phantasie haben die<br />

Theater- und Orchester-Verbände und Vereine als Lobbyorganisationen,<br />

um diesen Entwicklungen nicht nur punktuell, sondern<br />

strategisch entgegen zu wirken?<br />

„Legislativ bedINGTe Trägheit“<br />

Wie fühlen Sie sich von der<br />

Hochschule auf Ihre berufliche<br />

Zukunft vorbereitet?<br />

Durch den Hauptfachunterricht,<br />

Klassenstunden, Probespieltraining<br />

und Vorspiele wird man auf<br />

viele Situationen des Berufslebens<br />

sehr gut vorbereitet. Einige<br />

Nebenfächer könnten aber<br />

noch praxisorientierter sein<br />

und mehr auf das Leben als<br />

Musiker – egal ob Orchestermusiker,<br />

Freiberufler oder Solist –<br />

vorbereiten.<br />

Wie sollte aus Ihrer Sicht<br />

eine Hochschule der Zukunft<br />

aussehen?<br />

Eine Hochschule der Zukunft<br />

sollte mit der Zeit gehen und<br />

sich auch den Veränderungen<br />

in der Medienwelt und Innovativem<br />

öffnen, ohne aber dabei<br />

die kulturellen Traditionen<br />

zu vernachlässigen. Sie sollte<br />

in studiengangübergreifenden<br />

Angeboten auch auf die verschiedenen<br />

Berufsmodelle<br />

eingehen, die sich für die<br />

Absolventen später ergeben.<br />

Man könnte diesen Zustand als den einer legislativ bedingten<br />

Trägheit beschreiben, die sich nicht nur durch die marginalisierte<br />

Rolle der Kulturpolitik im Kontext der politischen Hauptfelder<br />

Wirtschaft, Finanzen, Infrastruktur und Technologie definiert,<br />

sondern schlicht aus der Unkenntnis speist, dass jedes dieser<br />

primären Politikfelder explizit mit Kultur verbunden ist. Oder man<br />

könnte darin auch einfach nur die schlichte Ignoranz erkennen,<br />

die Rolle der Kultur und ihrer Einrichtungen als notwendigen<br />

Basisraum einer zukunftsfähigen gesellschaftlichen Entwicklung<br />

in den Städten und Ländern zu reflektieren.<br />

Hochschulen leiden unter ungeordneter KulturpoLITIK<br />

Das jüngste Beispiel der oben bereits angesprochenen Diskussion<br />

um die zukünftige Kürzung der Mittel für die fünf Musikhochschulen<br />

des zweitreichsten Bundeslandes Baden-Württemberg ist<br />

hierfür bezeichnend. Es steht im Kontext einer ungeordneten Kulturpolitik<br />

und umfasst darin inzwischen auch die Hochschulpolitik in<br />

ihrer Reflexion auf die künstlerischen Studiengänge. Dort, wo<br />

Länder Theater und Orchester abbauen, wo der Tanz kaum noch<br />

10


R e c h e r c h e n i m T h e a t e r l a n d<br />

Förderung erfährt und die hochproduktive wie künstlerisch<br />

renommierte Freie Szene viel zu wenig Unterstützung erhält, wird<br />

die Zukunft der Kunsthochschulen nicht mehr über außerordentliche<br />

künstlerische Leistungen, über die international erstklassige<br />

Ausbildung in den künstlerischen Hochschulen in Deutschland<br />

definiert, sondern über Quoten und Numerik, die uns sagen sollen,<br />

dass zukünftig – vermeintlich – weniger Künstler gebraucht<br />

werden, als die Hochschulen derzeit ausbilden. Aber dies kommt<br />

einer Milchmädchenrechnung gleich: Um eine hohe Qualität in der<br />

Ausbildung zu erzeugen, muss die Förderung ausgebaut werden,<br />

die es erlaubt, aus einer großen Auswahl sehr guter Musiker,<br />

Sänger, Schauspieler und Tänzer die Besten an das internationale<br />

Niveau heranzuführen. Leistung entsteht – erst einmal – in der<br />

Gruppe und formuliert sich erst später im Individualunterricht der<br />

Meisterklassen. Durch dieses Leistungsprinzip haben die Kunsthochschulen<br />

in den letzten Jahren mit hoher Kontinuität Spitzenkünstler<br />

ausgebildet, aber auch exzellenten Nachwuchs in der<br />

Breite, der den Nährboden für nachfolgende Generationen an<br />

Künstlern, Zuschauern und Zuhörern und letztlich einer gesellschaftlichen<br />

Kultur bereitet.<br />

USA-Hochschulen: Wissenschaftler und Künstler Tür AN Tür<br />

Lassen wir den Blick ein wenig weiter schweifen, zum Beispiel<br />

in die USA, wo nicht nur an den kleineren, spezialisierten Liberal<br />

Arts Colleges, sondern auch an den Eliteuniversitäten wie zum<br />

Beispiel Harvard, Princeton, Yale, Columbia, Stanford und Berkeley<br />

zunehmend künstlerische Fächer in den Kanon aufgenommen<br />

und verstärkt werden: Hier wurde erkannt, welchen Stellenwert die<br />

künstlerische Ausbildung für die Entwicklung der Gesellschaft hat.<br />

Auch die Einheit von Wissenschafts- und Kunstabteilungen in<br />

den Fakultäten für Arts und Sciences sind hierfür ein sprechendes<br />

Beispiel. Man kann sich ausrechnen, welche positiven und multiplikatorischen<br />

Effekte entstehen, wenn ein Theaterwissenschaftler<br />

Tür an Tür mit einem Schauspiel- und einem Managementprofessor<br />

arbeiten und gemeinsam Projekte mit und für ihre Studenten<br />

entwickeln. Natürlich ist die Finanzierung – kulturhistorisch bedingt<br />

– eine andere als die der deutschen Hochschulen. Aber es geht<br />

um die Herstellung eines Konsenses, der zugespitzt formuliert:<br />

Wie wichtig sind einer Gesellschaft ihre Kultureinrichtungen und<br />

Kunsthochschulen, und wie macht sie sich deren Innovationskraft<br />

nutzbar? Die Finanzierung dieser Einrichtungen – also eines<br />

essenziellen Kerns unserer Gesellschaft – die allzu gerne als<br />

Engpass vorgeschoben wird, um spannende Projekte frühzeitig<br />

auf Eis zu legen, ist hierbei eine politische und technokratische<br />

Aufgabe, die sich dem gesellschaftlichen Konsens unterordnen<br />

muss. Sie darf sich nicht über das Eigentliche erheben, dass<br />

ausreichend Mittel gerade für die sensiblen Bereiche der Kulturund<br />

Künste mobilisiert werden müssen, deren Effekte nicht auf<br />

den ersten Blick in Renditen und Steigerungen des Bruttoinlandsproduktes<br />

messbar sind.<br />

Hochschulen als Vordenker<br />

Die wichtigste Aufgabe der Kunsthochschulen ist deshalb heute,<br />

sich so aufzustellen, dass sie die rasante Entwicklung der Künste<br />

nicht nur begleiten, sondern darüber hinaus auch antizipieren, so<br />

dass sie selbst zu diesen Entwicklungsprozessen beitragen. Sie<br />

müssen ein Spiegel der internationalen Entwicklungen in den<br />

einzelnen künstlerischen Bereichen sein und gleichzeitig in ihren<br />

geschützten Lehr- und Unterrichtssituationen ähnlich wie in einem<br />

Labor oder einer großen Entwicklungsabteilung ein uneingeschränktes<br />

Vorausdenken zulassen. Das gilt für Sänger wie für<br />

Instrumentalisten, für Tänzer wie für Schauspieler. Innovation ist ein<br />

dringendes Erfordernis, um inspirierte und vorausdenkende Künstler<br />

in die künstlerische Praxis und Berufswelt zu „entlassen“. Eine<br />

praktisch orientierte, gut fundierte Ausbildung, die den klassischen<br />

Anforderungen genügt, reicht heute nicht mehr aus, um in den<br />

Künsten international wettbewerbsfähig zu sein. Als Lehrende und<br />

Studierende an Kunsthochschulen müssen wir über das Orchester,<br />

das Theater, das Festival, das Konzert, die Performance, das<br />

Ensemble und den Künstler der Zukunft nachdenken und hierfür<br />

bereits im Studienverlauf Instrumente und Fähigkeiten entwickeln,<br />

die über den klassischen Standard hinausgehen – weil es diesen<br />

klassischen Standard, so gern wir uns daran festhalten würden, in<br />

kürzester Zeit nicht mehr geben wird. Natürlich soll dies nicht die<br />

Vermittlung der künstlerischen Grundlagen in Frage stellen, aber es<br />

geht um darauf aufbauende Fragestellungen, auf die wir uns und<br />

unsere Studenten vorbereiten müssen: Wie sieht das Orchester<br />

oder Instrumentalensemble der Zukunft aus? Welche Fähigkeiten<br />

müssen der Instrumentalist, der musikalische Leiter oder der<br />

Manager mitbringen, um nicht nur dort hervorragend zu bestehen,<br />

sondern den Entwicklungsprozess weiter in Gang zu halten und<br />

aktiv mitzugestalten? Wie muss Gesangsausbildung heute angelegt<br />

werden für eine Konzert- und Theaterwelt, in der sich klassische<br />

Ensembles und Produktionsformen zunehmend verändern? Wie<br />

werden junge Regisseure und Schauspieler auf die sich rasant<br />

entwickelnden neuen künstlerischen Bühnenformate vorbereitet?<br />

Wie verfolgen, kommentieren, entwickeln wir dieses Momentum?<br />

Und wie überzeugen wir die Politik von der Dringlichkeit, diese<br />

Aufgaben zu fördern und zu begleiten?<br />

11


R e c h e r c h e n i m T h e a t e r l a n d<br />

Investieren heIssT zukunftsfäHIG machen<br />

Interdisziplinarität, internationale Vernetzung und vor allem<br />

Künstlerische Forschung dürfen uns nicht fremd sein. Hierfür<br />

müssen zusätzliche Gelder bereitgestellt oder eingeworben werden.<br />

Hierauf müssen wir unsere Lehre ausrichten, unsere Projekte,<br />

unsere Exkursionen. Heute in diese Bereiche zu investieren, heißt<br />

die Hochschulen zukunftsfähig zu machen, den Studierenden das<br />

Beste auf den Weg zu geben, die Lehre voranzutreiben und wo<br />

immer möglich mit der Forschung zu koppeln. Dabei geht es nicht,<br />

wie von Kritikern kolportiert, um Nachahmung akademischer<br />

Grundlagenforschung, sondern um bereits seit Jahren existierende<br />

Künstlerische Forschung, die nun stärker markiert und ausgestellt<br />

werden muss und die im besten Falle längst Bestandteil der<br />

innovativen künstlerischen Prozesse ist, wie dies beispielhaft in der<br />

Tanzabteilung unserer Hochschule geschieht.<br />

Wenn die Politik diesen Prozess künstlerischer Innovation an<br />

unseren Hochschulen unterstützt, wird er in den kulturellen<br />

Institutionen, in den Bildungseinrichtungen, in den Familien, in der<br />

gesamten Gesellschaft Früchte tragen. Die Theatergeschichte der<br />

Bundesrepublik Deutschland, um diesen Faden wieder aufzunehmen,<br />

hat seit ihrer Wiedervereinigung gezeigt, dass dort, wo<br />

mutig und innovativ in die Kultur investiert wurde, die Kulturlandschaft<br />

Früchte getragen hat, dass aber Schließungen, Fusionen<br />

oder Konzentrationen – als Schattenseite – zu kulturpolitischen<br />

Nachahmeffekten und Dammbrüchen geführt haben. Dies könnte<br />

auch der Landschaft der künstlerischen Hochschulen – und in<br />

diesem Moment in erster Linie der Musikhochschulen – widerfahren,<br />

wenn das Beispiel Baden-Württemberg, dessen Durch- und<br />

Umsetzung genauestens in den anderen Bundesländern verfolgt<br />

wird, Schule macht. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, den Stellenwert<br />

der Kunsthochschulen deutlich zu machen und ihre Position neu<br />

zu verorten.<br />

Das Forschungsprojekt und die Publikation „Recherchen in einem<br />

Theaterland“ sollen deshalb nicht nur als Bestandsaufnahme der<br />

gegenwärtigen Situation der Theater und Orchester in Deutschland,<br />

sondern der Kulturpolitik insgesamt verstanden werden. Aus der<br />

Analyse 16 verschiedener Kulturpolitiken in den 16 deutschen<br />

Bundesländern könnten nun in einem zweiten Schritt modellhaft<br />

Reformschritte und Entwicklungswege destilliert werden, die den<br />

Kulturstandort Deutschland mutig neu bewerten und mit ihm die<br />

Rolle aller Kulturinstitutionen und der ihnen vorgeschalteten<br />

Bildungseinrichtungen, insbesondere der Kunst- und Musikhochschulen,<br />

ohne die wir den dringenden Nachwuchs nicht in der<br />

Spitze, in der Qualität und auch nicht in der notwendigen Breite<br />

ausbilden können.<br />

Szene aus<br />

„Slapstick/Andere<br />

Handschriften“,<br />

einem Studienprojekt<br />

der<br />

Ausbildungsbereiche<br />

Regie und<br />

Schauspiel<br />

unter Leitung von<br />

Andreas<br />

Kriegenburg.<br />

Die Autoren:<br />

Sarah Wulf ist Masterstudentin des Studiengangs Theater- und Orchestermanagement,<br />

sie arbeitet bereits seit Februar 2013 als feste Mitarbeiterin des Künstlerischen<br />

Betriebsbüros des Schauspiels <strong>Frankfurt</strong>. Sie gehört zum Redaktionsteam des<br />

Publikationsprojektes „Recherchen in einem Theaterland“ und war wissenschaftliche<br />

Assistentin des gleichnamigen Forschungsprojektes.<br />

Professor Thomas Schmidt ist Leiter des Masterstudiengangs Theater- und Orchestermanagement.<br />

Er unterrichtet zudem ab Frühjahr 2014 als Gastprofessor an der Faculty<br />

of Arts and Sciences der Harvard University. Schmidt war Gründer verschiedener freier<br />

Theatergruppen, über zehn Jahre Geschäftsführender Direktor und schließlich Intendant<br />

des Deutschen Nationaltheaters Weimar. Seine Publikationen widmen sich der Analyse<br />

der Theatersysteme und der Zukunft des Theaters. In diesem Jahr erscheinen seine<br />

jüngsten Beiträge „Auf der Suche nach der zukünftigen Struktur – Für eine Transformation<br />

des deutschen Theatersystems“ sowie im Jahrbuch Kulturmanagement „Der kreative<br />

Produzent – Überlegungen zu einer Schnittstellenfunktion zwischen Kunst und<br />

Management“.<br />

Forschungsprojekt und Publikation:<br />

Der im Juni 2013 bei Con Brio publizierte Band „Recherchen in einem Theaterland“<br />

ist das Resultat eines Forschungsprojektes des Masterstudiengangs Theater- und<br />

Orchestermanagement der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am<br />

Main zum Thema „Theater der Zukunft“. Er versammelt 17 Essays, in denen ein Überblick<br />

über die gegenwärtige deutsche Theater- und Orchesterlandschaft und ihre kulturpolitischen<br />

Rahmenbedingungen gegeben und die Theatersysteme aller 16 Bundesländer<br />

im Hinblick auf ihre Zukunftspotenziale analysiert werden. Der Band unter Herausgeberschaft<br />

des Direktors des Studiengangs, Thomas Schmidt, wurde von den acht<br />

Masterstudentinnen geschrieben, die ihr Studium im Herbst 2013 beenden.<br />

12


Ein<br />

Füllhorn sEit<br />

2007!<br />

Die 2007 gegründete Gesellschaft<br />

der Freunde und Förderer der Hochschule<br />

für Musik und Darstellende Kunst<br />

<strong>Frankfurt</strong> am Main e. V. fördert die<br />

Studierenden der <strong>HfMDK</strong> und sorgt für<br />

exzellente Ausbildungsbedingungen.<br />

Sie finanziert Starterstipendien, DAAD-Stipendien<br />

und individuelle Stipendien, Gastprofessuren für<br />

Lied und Schauspiel, Gastdirigenten, seltene<br />

Instrumente, Opern- und Regieprojekte, Symposien,<br />

Spitzenschuhe, Exkursionen, Reisekosten,<br />

Publikationen, neue Saiten und vieles mehr!<br />

Werden Sie Mitglied<br />

und helfen Sie mit, die Ausbildung junger<br />

Musiker, Tänzer, Sänger und Schauspieler<br />

nachhaltig zu unterstützen!<br />

Mehr Informationen<br />

zu den Förderprojekten der GFF<br />

finden Sie hier:<br />

www.hfmdk-freunde.de<br />

Spendenkonto der Freunde<br />

und Förderer der <strong>HfMDK</strong>:<br />

Deutsche Bank <strong>Frankfurt</strong><br />

BLZ 500 700 24<br />

Kontonummer 806 50 70<br />

13


F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />

KRISE UND KRAFT der KUNST SIND EINS<br />

Die Kunst im gegenwärtigen Kapitalismus<br />

Auszüge aus dem Vortrag von<br />

Prof. Dr. Christoph Menke,<br />

Professor für Praktische Philhosophie<br />

an der Goethe-Universität<br />

<strong>Frankfurt</strong>, anlässlich des Symposiums<br />

„Zukunft der Künste – Kunstausbildung<br />

im Wandel“ an der<br />

<strong>HfMDK</strong> im April 2013<br />

Die gegenwärtige gesellschaftliche Lage der Kunst bildet ein<br />

Paradox: Die Kunst ist sozial und kulturell erfolgreich wie nie zuvor<br />

in der Moderne; eben deshalb ist ebenfalls wie nie zuvor in der<br />

Moderne völlig unklar, was die Kunst ist, ja, ob es sie überhaupt<br />

geben soll. Wohl noch nie in der Moderne war die Kunst so sichtbar<br />

und präsent wie heute. Die Kunst steht nicht am Rand der Gesellschaft,<br />

sondern Kunst steht überall, in ihren Zentren, herum, sie<br />

wird in allen Formen, an allen Orten und zu allen Zeiten gemacht.<br />

Dadurch aber ist die Kunst ein bloßer Teil des gesellschaftlichen<br />

Prozesses geworden, eine weitere der vielen Kommunikationsformen,<br />

die die Gesellschaft ausmachen: eine ökonomische Ware,<br />

ein Beitrag zur politischen Meinung, eine kulturelle Veranstaltung<br />

zur Unterhaltung, Entlastung und Erholung. Dem entspricht, dass<br />

für die Gesellschaft, in die sich die Kunst aufzulösen beginnt, die<br />

Werte und Einstellungen des Ästhetischen, die an den Bereich der<br />

Kunst gebunden waren, zu bestimmenden Mustern geworden sind.<br />

Das Ästhetische bezeichnet nicht mehr die kulturelle Gegenfigur<br />

oder Gegenbewegung, sie ist jetzt das Modell der Gesellschaft.<br />

Damit ist das Ästhetische zugleich ein Mittel im ökonomischen<br />

Verwertungsprozess geworden, auf den die Gesellschaft sich<br />

zunehmend reduziert. Die Krise der Kunst ist ihr Erfolg, der soziale<br />

und kulturelle Aufstieg des Ästhetischen zum Leitbild beraubt es<br />

seiner Kraft.<br />

Damit stehen die Kritik der Gesellschaft, und die Politik, die diese<br />

Kritik vorantreibt, vor einer ganz neuen Situation: Ihnen ist die<br />

Orientierung abhanden gekommen, als die libertären Ideale eines<br />

freien und glücklichen Lebens, die sich von der Romantik bis zu den<br />

Avantgarden stets am Bild des Ästhetischen orientierten, sich in<br />

ökonomische Imperative verwandelten. Eine Moral bloß der sozialen<br />

Gerechtigkeit und der Menschenrechte wird diese Auflösung des<br />

politischen Ideals sicherlich nicht kompensieren können. Wenn der<br />

Grund für den Verlust des politischen Ideals aber nicht einfach Mutund<br />

Phantasielosigkeit ist; wenn seine Auflösung ihren Grund darin<br />

hat, dass die Idee des Ästhetischen selbst, die seit dem Beginn der<br />

Moderne die Quelle der libertären Ideale eines freien und glücklichen<br />

Lebens bildete, sich zersetzt – weil sie von der Gesellschaft<br />

absorbiert wurde, der sie sich entgegensetzte –, dann betrifft der<br />

Orientierungsverlust von Kritik und Politik in verschärfter Weise<br />

auch die Künste. Denn die Künste sind die Praxis des Ästhetischen.<br />

Durch die postmoderne Ästhetisierung der Gesellschaft ist auch ihr<br />

lange gehegtes Selbstverständnis, also das Selbstverständnis der<br />

Künste, zur Partei der Kritik und der Emanzipation zu gehören,<br />

zuschanden geworden. Die Künste drohen, durch die einzige Macht<br />

zerstört zu werden, die dazu in der Lage ist – durch sich selbst; das<br />

ist die Ironie oder Tragik ihres Erfolgs.<br />

In der Situation der Gefahr hilft nur eins: die aufkommende Panik<br />

bekämpfen, der Flucht in den raschen Ausweg – also in die<br />

Resignation oder Nostalgie – die Tür versperren und in der<br />

„Eiswüste der Abstraktion“ (Adorno) die Abkühlung zu suchen, die<br />

einen wieder denken und vielleicht auch handeln läßt. Versuchen<br />

wir also zu begreifen, was ist.<br />

Worin besteht die Ästhetisierung der gegenwärtigen Kultur und<br />

Gesellschaft? Worin sind die postmoderne Kultur und die postindustrielle<br />

Gesellschaft „ästhetisch“? Sie besteht darin, dass<br />

14


Szene aus „Tanz hoch drei<br />

im Tiefgeschoss“,<br />

den Präsentationen der<br />

Abteilung Zeitgenössischer<br />

und Klassischer Tanz<br />

(ZuKT) im Rahmen der<br />

<strong>HfMDK</strong>-Hochschulnacht.<br />

15


ästhetische Handlungsweisen, die ihrem modernen Verständnis<br />

nach den sozialen Praktiken entgegengesetzt waren, jetzt selbst<br />

von diesen gefordert werden. Das Ästhetische der gegenwärtigen<br />

Gesellschaft betrifft nicht nur und nicht vor allem ihre Erscheinungsweise<br />

(das Diktat des schönen Scheins, dem alles in dieser<br />

Gesellschaft – von den Gesichtern und Körpern bis zu Waren und<br />

deren Produktionsstätten – unterworfen ist), sondern ihre Produktionsweise.<br />

Die Idee des Ästhetischen ist eine moderne Idee – eine Idee, die<br />

seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in der Ästhetik gedacht und<br />

in den Künsten verwirklicht worden ist. Diese Idee bringt eine<br />

Revolution in Verständnis und Vollzug des menschlichen Tuns zum<br />

Ausdruck: Das Ästhetische sind nicht Eigenschaften von Dingen<br />

(wie Schönheit oder Vollkommenheit), sondern das Ästhetische ist<br />

ein besonderer Zustand des Menschen. Dieser ästhetische Zustand<br />

besteht darin, in einer bestimmten Weise tätig zu sein. Das<br />

Ästhetische ist die Idee einer anderen, einer nicht-praktischen und<br />

daher nicht-sozialen Aktivität.<br />

Für diese neue, ästhetische Weise des Tuns ist entscheidend, dass<br />

es ein Tun ohne Regeln ist. Es ist also nicht nur ein Tun nach<br />

eigenen Gesetzen oder Regeln – ein Tun, das die Regeln befolgt,<br />

die man sich selbst gegeben hat –, sondern ein regelloses Tun.<br />

Ästhetisch ist daher ein Tun, das in jedem Moment erst selbst<br />

herausfinden muss, was es will und wie es vorgehen kann. Deshalb<br />

ist alles ästhetische Tun im modernen Verständnis ein Versuch,<br />

ein Experiment ohne Rückversicherung, in dem nicht weniger als<br />

die Möglichkeit des Gelingens dieses Tuns selber auf dem Spiel<br />

steht. Der ästhetisch Tätige, beispiel- oder vorbildhaft der Künstler,<br />

ist im modernen Verständnis einer, der alle Gewissheiten außer<br />

Kraft setzt und mit allem experimentiert – mit Materialien, Formen<br />

und Situationen und darin immer auch mit sich selbst: „Wir selber<br />

wollen unsere Experimente und Versuchs-Thiere sein“, lautet<br />

Nietzsches radikale Konsequenz aus der modernen Idee des<br />

Ästhetischen.<br />

Genau das, was nach dem Selbstverständnis der Moderne das<br />

Ästhetische auszeichnete – alle Gewissheiten und Regeln außer<br />

Kraft zu setzen und Experimente zu machen –, macht der postindustrielle<br />

Kapitalismus der Gegenwart zum ökonomischen Imperativ.<br />

Das Allesverändernde, ebenso Destruktive wie Kreative – also: die<br />

ästhetische Natur – des Kapitalismus haben schon Marx und<br />

Engels im Kommunistischen Manifest beschrieben. Aber das ging<br />

im industriellen Regime des Kapitalismus noch mit strikter<br />

Disziplinierung – mit der moralischen Selbstdisziplinierung des<br />

Bourgeois und der militärgleichen Disziplinierung der Arbeiterheere<br />

– einher. Unsere postindustrielle, postmoderne Gegenwart beginnt<br />

genau in dem Moment, in dem der Kapitalismus erkennt, dass es<br />

mit der ästhetischen Handlungsform des Experiments besser geht.<br />

Ja, dass die Parole „Keine Experimente!“, mit der die durch sich<br />

selbst verschreckten Bürger in der Nachkriegszeit beruhigt wurden,<br />

dem Wesen des Kapitalismus zutiefst fremd ist und er dem<br />

ästhetischen Handeln, das die moderne Kunst praktiziert hat,<br />

Szene aus<br />

„Büchners Frauen“,<br />

einer Kammeroper<br />

von Paul Schäffer,<br />

im Sommersemester<br />

2013.<br />

Regie: Teresa Reiber.<br />

zutiefst verwandt ist. Das ist die Einsicht, die der Ökonom und<br />

Jurist Franz Böhm in einem der wegweisenden Traktate des<br />

deutschen Neoliberalismus bereits im Jahr 1966 festgehalten hat:<br />

Als die weltweite studentische Protestbewegung die Idee des<br />

Ästhetischen gegen die bestehende Gesellschaft mobilisierte,<br />

erkennt Böhm, der Anti-Marcuse, dass das Ästhetische gar keine<br />

antikapitalistische Utopie, sondern ein gutes Modell für die<br />

Fortentwicklung der kapitalistischen Gesellschaft ist. Denn hier<br />

gilt für jeden, so Böhm: „Er muß experimentieren.“<br />

Damit ist die neue Rolle des Ästhetischen in der gegenwärtigen,<br />

postindustriellen oder nachdisziplinären Gesellschaft bestimmt.<br />

Die Rolle der Kunst in der klassischen bürgerlichen Gesellschaft<br />

bestand darin, dem Bürger ein Feld der Betätigung zu bieten, in<br />

dem er als versöhnt erfährt, was in seinem Alltag einander fremd<br />

gegenübersteht.<br />

Der neoliberale Imperativ „Du musst experimentieren!“ protokolliert<br />

einen fundamentalen Rollenwechsel des Ästhetischen in der<br />

bürgerlichen Gesellschaft: den Wechsel von der ästhetischen<br />

Ideologie der Harmonie und Versöhnung zur ästhetischen Produktivkraft<br />

von Flexibilität und Experiment, Innovation und Imagination.<br />

Der Künstler ist nicht das Gegen-, sondern das Urmodell des<br />

ökonomisch Produktiven. – Die gegenwärtige Krise der Kunst und<br />

des Ästhetischen ist selbst gemacht: eine Folge ihres Erfolgs.<br />

16


K r i s e u n d K r a f t d e r K u n s t s i n d e i n s<br />

Jedes Kunstwerk ist ein Experiment,<br />

weil jedes Kunstwerk bei Null beginnt –<br />

ein Kunstwerk, das nicht bei Null beginnt,<br />

sondern die Kunst für gesichert und<br />

gegeben hält, ist gar keins.<br />

Kann die Kunst dieser gesellschaftlichen Aneignung des Ästhetischen<br />

etwas entgegensetzen? Eignet der Kunst eine Gegenkraft zu<br />

ihrer Inanspruchnahme als Modell sozialer Produktivität? Worin liegt<br />

die Kraft der Kunst? „Daß nichts, was die Kunst betrifft, mehr<br />

selbstverständlich ist, weder in ihr noch im Verhältnis zum Ganzen,<br />

nicht einmal ihr Existenzrecht“ – diese grundsätzliche Infragestellung<br />

der Kunst, mit der Adorno vor über 40 Jahren seine Ästhetische<br />

Theorie eröffnet hat, hat sich heute noch einmal und<br />

entscheidend zugespitzt. Sie betrifft jetzt nicht mehr nur das<br />

Existenzrecht, sondern die schiere, bloße Existenz der Kunst: Gibt<br />

es noch Kunst? Das heißt, kann die Kunst in der nachdisziplinären<br />

Gesellschaft der Ästhetisierung noch die Kraft der Differenz, die<br />

Kraft zu Differenz und Distanz zur Gesellschaft, aufbieten?<br />

Die Frage so zu stellen, legt eine bestimmte Antwort nahe und<br />

schließt andere Antworten aus. Das ist zum einen die „kritische“<br />

Antwort, dass die Kunst zu einem Medium der sozialen Analyse und<br />

der politischen Aktion werden müsse; ebenso wie die „mimetische“<br />

Antwort, dass die Kunst die ästhetisierte Gesellschaft durch ihre<br />

bloße Verdopplung und Wiederholung vorführen könne. Und am<br />

allerwenigsten ist für die Kraft der Kunst von Nostalgien und<br />

Eskapismen zu erwarten, die die Kunst aus irgendwelchen spirituellen,<br />

religiösen oder mythischen Quellen wiederbeleben wollen.<br />

die Wiederaneignung der radikalen Grundidee des Ästhetischen<br />

und ihrer Mobilisierung als Gegenkraft zur gesellschaftlichen Ästhetisierung.<br />

Die Parole dieser Wiederaneignung lautet: Das Ästhetische<br />

gegen die Ästhetisierung.<br />

Aber dafür müssen wir sagen können, worin die moderne Idee des<br />

Ästhetischen sich von der gesellschaftlichen Ästhetisierung, die sich<br />

doch auf diese Idee beruft, unterscheidet. Dieser Unterschied ist<br />

zugleich klein und einer um’s Ganze. Die Idee des Ästhetischen ist<br />

die Idee einer anderen Weise des Tätigseins. „Anders“ ist dieses<br />

Tätigkeitsweise, weil sie nicht von einer (vor-)gegebenen Regel,<br />

einem schon bestehenden Muster oder Modell geleitet ist. Die ästhetische<br />

Tätigkeitsweise bringt sich erst in ihrem Vollzug selbst hervor,<br />

sie ist also (im Wortsinn) anarchisch: Sie hat keine arche, kein<br />

Prinzip oder Ursprung, der ihr vorweg geht und sie festlegt. Nichts<br />

anderes besagt, dass die ästhetische Tätigkeit experimentell ist.<br />

Zu experimentieren definiert die Tätigkeitsweise in der kapitalistischen<br />

Gesellschaft nicht weniger als in der Kunst: Beide gibt<br />

es nur als Experimente. Aber beide unterscheidet und scheidet,<br />

ja macht sie zu den schärfsten Gegnern, dass die Experimente in<br />

der kapitalistischen Gesellschaft unter einer Bedingung stehen,<br />

Die Antwort dagegen, die die Frage nach<br />

der Kraft der Kunst, nach ihrer Kraft<br />

zur Differenz zur Gesellschaft, nahelegt,<br />

ist – immer noch oder wieder einmal – die<br />

Antwort der Moderne; eine Antwort, die<br />

der modernen Idee des Ästhetischen treu<br />

bleibt. Ist es aber nicht exakt die moderne<br />

Bestimmung des Ästhetischen als einer<br />

regellos-experimentellen Tätigkeitsweise,<br />

die im postindustriellen Kapitalismus<br />

angeeignet und zur Produktionsweise<br />

geworden ist? Diese gesellschaftliche<br />

Aneignung des Ästhetischen ist in<br />

Wahrheit eine Enteignung. Es geht also<br />

um eine Enteignung der Enteigner, um<br />

Szene aus<br />

„Böse Märchen“,<br />

einem Regieund<br />

Schauspielprojekt,<br />

hier während einer<br />

Probe für die<br />

<strong>HfMDK</strong>-Hochschulnacht.<br />

17


K r i s e u n d K r a f t d e r K u n s t s i n d e i n s<br />

STATEMENT<br />

Maurice Lenhard,<br />

Sänger<br />

Wie fühlen Sie sich von der<br />

Hochschule auf Ihre berufliche<br />

Zukunft vorbereitet?<br />

Fachlich und inhaltlich sehe ich<br />

mich an der <strong>HfMDK</strong> weitgehend<br />

sehr gut unterrichtet. Ob das<br />

allerdings ausreicht, um auch<br />

erfolgreich in den Beruf zu<br />

starten, kann ich am jetzigen<br />

Punkt meiner Ausbildung noch<br />

nicht ausreichend beurteilen.<br />

Dennoch ist mir klar, dass eine<br />

Hochschule, und so auch unsere,<br />

nie in der Lage sein kann,<br />

Erfahrungen, die im Berufsfeld<br />

auf einen warten, zu ersetzen.<br />

Wenn man sich dessen bewusst<br />

ist und sich nicht blind ausschließlich<br />

auf die Studienangebote<br />

als Weg zur Berufsfähigkeit<br />

beschränkt, kann man an der<br />

<strong>HfMDK</strong> eine sehr gute Ausbildung<br />

erfahren.<br />

Wie helfen Sie Ihren Studierenden,<br />

sich auf ihre berufliche<br />

Zukunft vorzubereiten?<br />

Ich versuche den Studierenden<br />

einen klaren Begriff von Qualität<br />

zu vermitteln und bin der Meinung,<br />

dass dies das Wichtigste<br />

ist, um später im Beruf vor<br />

sich selbst und den anderen zu<br />

bestehen.<br />

Wie sollte aus Ihrer Sicht eine<br />

Hochschule der Zukunft<br />

aussehen?<br />

Jedem Kunstschaffenden steht<br />

derzeit einmal mehr eine<br />

ungewisse Zukunft bevor. Es gibt<br />

nicht mehr nur den einen Weg<br />

des singulären Künstlers.<br />

Diversität, Innovation und Mut<br />

zur Eigenwilligkeit werden dabei<br />

unabdingbar. In meinen Augen<br />

sollten Kunst- und Musikhochschulen<br />

auf diese strukturellen<br />

Veränderungen in der Kunstbranche<br />

und damit auch im Künstlerberuf<br />

dringend mehr eingehen.<br />

Kunst ist eigen und unangepasst,<br />

ein Studium, das gleich hobelt,<br />

was ungehobelt gehört, modularisiert<br />

statt polarisiert, kann<br />

nichts Neues hervorbringen. Was<br />

bleibt dann einer künstlerischen<br />

Hochschule, wenn sie keine<br />

Künstler mehr hat?<br />

STATEMENT<br />

Peter Michalzik,<br />

Lehrbeauftragter Schauspiel<br />

Wie sollte aus Ihrer Sicht eine<br />

Hochschule der Zukunft<br />

aussehen?<br />

Noch wichtiger als die Zukunft<br />

der <strong>HfMDK</strong> ist die Zukunft der<br />

Studierenden. Ich glaube, dass<br />

nach der Orientierung an der –<br />

unbekannten – Zukunft eine<br />

Orientierung an der – ebenso<br />

unbekannten – Vergangenheit<br />

neue Bedeutung gewinnen wird.<br />

die sie niemals in Frage stellen können; sie<br />

sind bedingte Experimente. All der Einsatz<br />

von Kreativität, Flexibilität, Phantasie und<br />

Engagement, den die postindustrielle<br />

Gesellschaft verlangt, untersteht immer<br />

weiter dem Kriterium sozialen Erfolgs, also<br />

dem Verwertungsimperativ des Kapitals, und damit der Drohung<br />

des Scheiterns. Um Experimente mit diesem Erfolgskriterium, mit<br />

dem Imperativ der Verwertung, geht es niemals.<br />

Die ästhetischen Experimente der Kunst dagegen sind unbedingte<br />

Experimente. Jedes Kunstwerk ist in seinem ästhetischen Vollzug,<br />

der Hervorbringung oder der Erfahrung, ein Experiment mit der<br />

Kunst selbst – ein Versuch nicht nur, ob man Kunst so, sondern ob<br />

man sie überhaupt machen kann (ob man sie überhaupt machen<br />

und sie überhaupt machen kann). Jedes Kunstwerk ist also ein<br />

Experiment, weil jedes Kunstwerk bei Null beginnt – ein Kunstwerk,<br />

das nicht bei Null beginnt, sondern die Kunst für gesichert und<br />

gegeben hält, ist gar keins. Alleine in dieser Unbedingtheit, in der<br />

sie nichts, nicht einmal sich selbst, voraussetzt, liegt die Freiheit der<br />

Kunst. Die Freiheit der Kunst besteht nicht darin (wie man so sagt),<br />

von äußeren Bedingungen und Vorschriften frei zu sein. Das ist die<br />

Kunst vielmehr nur dann und solange, wie sie in einem radikaleren<br />

Sinne frei ist: frei von sich selbst, sich selbst gegenüber. Solange<br />

also, wie die Kunst sich selbst nicht für gegeben hält; solange wie<br />

das Experiment, das jedes Kunstwerk ist, ein Experiment mit der<br />

Kunst selbst ist.<br />

So frei kann die ästhetische Tätigkeit der Kunst nur sein, wenn sie<br />

jedesmal in einen Zustand vor der Kunst zurückgeht: Die ästhetische<br />

Tätigkeit des Kunstmachens muss – buchstäblich – jedesmal<br />

wieder bei Null beginnen. Dieser Nullzustand, bei oder in dem das<br />

Kunstwerk beginnt, ist der ästhetische Zustand: der Zustand, in<br />

dem die Kräfte des Subjekts nicht zu Zwecken gebraucht werden,<br />

sondern zwecklos spielen; ein Zustand des Spiels der Kräfte – in<br />

dem die Kräfte des Selbst nicht durch einen Zweck, also das Gute<br />

bestimmt, sondern frei sind. Die ästhetische Tätigkeit der Kunst ist<br />

daher eine Hervorbringung von Formen aus dem und durch das<br />

freie Spiel der Kräfte. Die ästhetische Tätigkeit der Kunst besteht<br />

daher darin, Formen aus Formlosigkeit hervorzubringen. Das ist das<br />

Experiment, das die Tätigkeit der Kunst, will sie gelingen, stets<br />

wieder neu durchführen muss: Sie muss sich im Prozess der<br />

18


Szene aus „Tanz<br />

hoch drei im Tiefgeschoss“,<br />

den Präsentationen<br />

der Abteilung<br />

Zeitgenössischer<br />

und Klassischer Tanz<br />

(ZuKT) im Rahmen<br />

der <strong>HfMDK</strong>-Hochschulnacht.<br />

Formierung dem aussetzen, was ihr Ziel, die Form, aussetzt und in<br />

Frage stellt. Das künstlerische Experiment ist ein Experiment mit<br />

dem Bruch der Form – nicht durch eine andere, neue Form, sondern<br />

durch keine Form, durch die Formlosigkeit oder Unform als dem<br />

Grund aller Form.<br />

Jedes Kunstwerk ist also ein Experiment, weil es die Möglichkeit<br />

der Kunst selbst erprobt. Es erprobt die Möglichkeit, aus dem<br />

Zustand ästhetischer Freiheit etwas, ein Werk, zu schaffen. Weil<br />

diese Möglichkeit ebensosehr eine Unmöglichkeit ist – denn der<br />

ästhetische Zustand ist der Rausch entfesselter Kräfte (Nietzsche),<br />

die „Entwerkung“ (Foucault) aller Formen –, ist die Existenz des<br />

Kunstwerks und damit der Kunst grundsätzlich ungewiss. Während<br />

die ökonomischen und sozialen Experimente, zu denen die postindustrielle<br />

Gesellschaft jeden einzelnen zwingt, unter der Bedingung<br />

stehen, dass sie niemals diese Gesellschaft selbst, ihr Grundprinzip<br />

des Erfolgs, betreffen dürfen – sie sind keine Experimente<br />

mit der Gesellschaft; die Experimente in der kapitalistischen Gesellschaft<br />

sind Experimente der Notwendigkeit oder des Schicksals –,<br />

sind die ästhetischen Experimente der Kunst Experimente der<br />

Freiheit, weil sie unbedingt oder absolut sind: Sie stehen unter<br />

keiner Bedingung, nicht einmal der, dass es Kunst gibt (und geben<br />

soll). Die Krise der Kunst, das Infragestehen ihrer Existenz, ist also<br />

die Kraft der Kunst. Die Krise und die Kraft der Kunst sind eins.<br />

Stimmt!<br />

Was kann und soll die Kunst in einer Gesellschaft tun, die die<br />

Potenziale des Ästhetischen nicht mehr nur zu Spektakeln der<br />

Ablenkung und Erholung, sondern mehr und mehr als Produktivkraft<br />

nutzt, die sich also das Ästhetische, das ihr entgegengesetzt war,<br />

angeeignet hat? Wenn die Frage nach der Kunst in der gegenwärtigen<br />

Gesellschaft lautet: Was tun?, dann kann die Antwort auf die<br />

Frage nach dem Was nur im Wie liegen. Die Kunst widerstreitet der<br />

Ästhetisierung, der sozialen und ökonomischen Aneignung des<br />

Ästhetischen, indem sie der Idee des Ästhetischen treu bleibt.<br />

Deine musikalische<br />

Rundumversorgung.<br />

<strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

Hanauer Landstraße 338<br />

www.session.de


F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />

DAS THEATER ALS BAromeTer für deN ZEITGEIST<br />

Spuren künstlerischer Forschung finden wir schon im 18. Jahrhundert<br />

Von Dr. Erika Fischer-Lichte, Professorin<br />

am Institut für Theaterwissenschaft<br />

an der Freien<br />

Universität Berlin, anlässlich des<br />

<strong>HfMDK</strong>-Symposiums „Zukunft<br />

der Künste – Kunstausbildung<br />

im Wandel“ im April 2013 – Auszüge<br />

ihres Beitrags.<br />

Noch in jüngster Vergangenheit lässt sich erkennen, dass<br />

allerorts der Wunsch nach gesellschaftlicher Partizipation gelebt<br />

wird – als zwei Beispiele erwähne ich die Demonstrationen gegen<br />

„Stuttgart 21“ oder die „Occupy“-Bewegung. Die repräsentative<br />

Demokratie wird in gewisser Weise als Marginalisierung von ganzen<br />

Bevölkerungsgruppen angesehen, und genau dagegen opponieren<br />

die Menschen. Und es ist nicht etwa so, dass Theater oder<br />

Darstellende Künste auf diese Entwicklung lediglich reagieren<br />

würden; sie sind vielmehr ein Teil dieser Entwicklung, haben sie<br />

sogar maßgeblich mit voran getrieben. Die Anfänge solcher<br />

Entwicklungen sind bereits in den 60er Jahren des vergangenen<br />

Jahrhunderts zu finden. Dabei ist das Theater am Turm, damals nur<br />

wenige Meter vom heutigen <strong>Frankfurt</strong>er Hochschulgebäude<br />

entfernt, eine wichtige Institution gewesen – dort fand die erste<br />

„Experimenta“ statt. Aus ihrem Anlass inszenierte der damals noch<br />

junge Regisseur Claus Peymann Handkes „Publikumsbeschimpfung“.<br />

Dies bedeutete in zweierlei Hinsicht eine bedeutende Zäsur:<br />

Die vier Schauspieler standen frontal zum Publikum und beschimpften<br />

das Publikum nach allen Regeln der Kunst. Daraufhin<br />

standen mehrere Zuschauer auf und protestierten – einer von ihnen<br />

drohte sogar, er würde jetzt den ganzen Abend protestierend<br />

stehenbleiben. Einer der Schauspieler, geschult im Improvisieren,<br />

brachte ihn mit gutem Zureden dazu, sich wieder hinzusetzen. Am<br />

zweiten Abend fruchteten allerdings derartige Beschwichtigungsmanöver<br />

nicht. Da standen Zuschauer nicht nur auf, sondern<br />

betraten auch die Bühne. Interessant erschien für mich damals die<br />

Reaktion des jungen Regisseurs: Er stürzte hinter der Bühne hervor<br />

und versuchte, die Zuschauer wieder auf ihre Plätze zu treiben. Dies<br />

war ein Schauspiel in sich. Was Peymann mit seiner Inszenierung<br />

damals unternahm, lässt sich als die Aufhebung<br />

der „vierten Wand“ beschreiben. In den 50er<br />

Jahren existierte diese Wand noch; die<br />

Zuschauer saßen im Dunkel und folgten<br />

mehr oder weniger andachtsvoll oder<br />

gelangweilt dem, was auf der Bühne<br />

passierte. Jetzt aber wurden die Zuschauer<br />

direkt angesprochen, und sie reagierten in<br />

der Tat. Peymann hingegen war der<br />

Auffassung, er habe mit der Inszenierung<br />

ein Kunstwerk geschaffen, in das die<br />

Zuschauer nicht einzugreifen hätten. Dass<br />

sie sich erdreisteten, in seine „Komposition“<br />

zu intervenieren, empfand er als Unverschämtheit.<br />

Die Zuschauer hingegen sagten:<br />

„Wir werden beleidigt, angesprochen und<br />

aufgefordert, uns auch zu äußern. Und das tun<br />

wir jetzt auch.“<br />

Was darf im Theater passieren?<br />

Was damals jedoch eigentlich zur Verhandlung stand,<br />

war die Frage: Ist das Theater eine Anstalt, in der eine<br />

Gruppe von Menschen anderen etwas vorführt, die dann nur<br />

klatschen dürfen oder auch nicht? Oder ist Theater ein Ort, an<br />

dem etwas zwischen beiden Parteien ausgehandelt wird? Nun lautet<br />

meine Theorie, dass im Theater immer etwas zwischen beiden<br />

Gruppen vor sich geht. Aber ganz klar ist, dass dies in den 50er<br />

Jahren bei den Zuschauern im Stillen und kontemplativ vor sich zu<br />

gehen hatte. Nun aber kochte die Frage hoch: Muss das so sein?<br />

Und dies immerhin noch vor Beginn der berühmten 68er-Bewegung.<br />

Dieses Beispiel offenbart, dass es das Theater und seine<br />

Zuschauer gewesen sind, die ganz maßgeblich gespürt haben, was<br />

für neue gesellschaftliche Entwicklungen aufbrachen. Ein Beweis<br />

dafür, dass das Theater nicht nur auf das reagiert, was in der<br />

Gesellschaft bereits präsent ist, sondern es teilweise antizipierend<br />

erspürt, vielleicht sogar mit hervorbringt.<br />

20


Szene aus dem<br />

Programm des Schauspiel-Diploms<br />

2013<br />

Dieses Phänomen können wir bis hin zu den Radioballetten der<br />

letzten Jahre verfolgen, wo diese Entwicklung immer stärker<br />

hervortritt und die Zuschauer zu Akteuren werden, die – allerdings<br />

geleitet durch einen Regisseur – irgendwo in der Öffentlichkeit wie<br />

in einer Shopping Mall oder am Hauptbahnhof bestimmte Bewegungen<br />

durchführen und so die eigentlichen Akteure werden.<br />

Meiner Meinung nach sollten Hochschulen in ihrer Ausbildung –<br />

in welcher Form auch immer – auf diese Entwicklung reagieren.<br />

Laien auf die Bühne<br />

Darüber hinaus ist ein immer stärker hervortretender Versuch<br />

zu beobachten, Laienakteure auf die Bühne zu bringen<br />

– jedem von uns fällt da sofort „Rimini Protokoll“ als<br />

berühmtes Beispiel ein. Solche Tendenzen sind aber<br />

auch im „klassischen“ Theater beobachtbar, zum<br />

Beispiel bei Aufführungen griechischer Tragödien.<br />

In diesen Aufführungen hat sich seit den<br />

80er Jahren – wieder mit <strong>Frankfurt</strong> als<br />

Speerspitze der Bewegung – etwas getan.<br />

Der Einsatz von gesellschaftlich marginalisierten<br />

Gruppen als Chöre sollte diesen<br />

größere Sichtbarkeit verschaffen. So<br />

bestand in Einar Schleefs Inszenierung<br />

„Die Mütter“ am <strong>Frankfurt</strong>er Schauspiel<br />

– einem Zusammenschnitt von<br />

zwei griechischen Tragödien – der<br />

Chor aus über 60 Migrantinnen.<br />

Diese Aufführung rief einen Riesenskandal<br />

hervor: Migrantinnen und<br />

Laien im Chor auf die Bühne zu holen,<br />

galt als skandalös – heute hingegen<br />

scheint es ganz normal zu sein. Dieses<br />

Phänomen offenbart sich jedoch als<br />

ein zweischneidiges Schwert: Auf der<br />

einen Seite wird solchen Gruppen<br />

dadurch „agency“ verliehen – sie sind<br />

handelnde Akteure auf der Bühne. Auf der<br />

anderen Seite werden sie dabei zur Schau<br />

gestellt. An dieser Doppeldeutigkeit kommt<br />

man nicht vorbei.<br />

Das Theaterkombinat Wien versuchte dieses<br />

Problem auf andere Weise zu lösen. Es brachte in Genf<br />

„Die Perser“ zur Aufführung, in der der Chor aus 500<br />

Genfer Bürgern bestehen sollte – es meldeten sich aber nur<br />

200. 100 Zuschauer waren anwesend, die sich frei im Raum<br />

bewegen konnten. Der Zuschauer hatte also nie die Möglichkeit,<br />

den Chor als Ganzes in den Blick zu nehmen. Bei der großen<br />

Totenklage im Finale hielten die Akteure das Textheft vor sich, so<br />

dass die Zuschauer die Totenklage mitsprechen konnten. Man<br />

wusste dabei nicht mehr, wer Zuschauer und wer Akteur war. Auch<br />

an diesem Beispiel sehen wir deutlich: Das Theater agiert nicht im<br />

Nachhinein, sondern nimmt vielmehr eine Vorreiterrolle ein, indem<br />

es Vorschläge macht, die weiter berücksichtigt werden können, und<br />

zwar im Sinne von Experimenten, die völlig offen sind.<br />

21


D a s T h e a t e r a l s B a r o m e t e r f ü r d e n Z e i t g e i s t<br />

Austausch der Kulturen<br />

In den 80er Jahren etablierte sich der Begriff des „interkulturellen<br />

Theaters“. Den Austausch von Theatern verschiedener Kulturen<br />

hatte es allerdings immer schon gegeben, und zwar zunächst<br />

zwischen benachbarten Kulturen. Molière gründete beispielsweise<br />

eine ganz neue Theaterform, indem er die französische „Farce“ mit<br />

Elementen der „Comedia dell`arte“ verband. Ein Austausch<br />

zwischen den Kulturen war also eigentlich nichts Besonderes, doch<br />

offenbar empfand man es in den 80er Jahren als so ungewöhnlich,<br />

dass man ihm einen neuen Namen geben musste. Damit ging – und<br />

das war in der Tat neuartig – eine Workshop-Welle einher: Die<br />

großen Gurus verschiedener Theaterbewegungen begannen<br />

umherzureisen. Dies war – auch im Hinblick auf die Frage der<br />

Ausbildung in den Darstellenden Künsten – ein wichtiges Phänomen.<br />

Was die Forscher ausmacht,<br />

ganz gleich, ob Wissenschaftler<br />

oder Künstler: Sie haben<br />

Fragen, die sie umtreiben und<br />

auf die sie Antworten finden<br />

wollen.<br />

1936 schrieb Marcel Mauss den vielbeachteten Aufsatz „Les<br />

techniques du corps“. Darin machte er deutlich, dass der Mensch<br />

aufgrund seiner biologischen Ausstattung zwar zu bestimmten<br />

Arten von Bewegungen fähig sei, dass deren spezifische Ausprägung<br />

aber durch die jeweilige Kultur geprägt sei. Daraus lässt sich<br />

allerdings nicht der Schluss ziehen, die Kultur würde Bewegungen<br />

determinieren. Dies belegte in den 80er Jahren die besagte<br />

Workshop-Kultur.<br />

Aus ihr ergibt sich ein neues Problem: Wenn die Mitglieder eines<br />

Ensembles aus verschiedenen Kulturen stammen und sich unterschiedliche<br />

Techniken aneignen, die sie dann kreativ weiterverwenden,<br />

kommt die Frage auf, wie weit sich diese Techniken jeweils aus<br />

ihrem ursprünglichen kulturellen Kontext lösen lassen – sind sie<br />

tatsächlich „transportable Techniken“, wie Brecht sie bereits zu<br />

Beginn der 20er Jahre bezeichnete? Wie lässt es sich begründen,<br />

sie aus dem kulturellen Kontext herauszunehmen und in einen<br />

neuen Zusammenhang einzupflanzen? Vor allem: Was sollen sie<br />

im neuen Kontext leisten?<br />

Künstlerische ForschuNG IsT NIcHT Neu<br />

Diese Überlegungen leiten über zum Stichwort Forschung an<br />

Hochschulen der Darstellenden Künste: Künstlerische Forschung ist<br />

ein eingeführtes Feld im United Kingdom. Da heißt es „Practice as<br />

research“, „Practice-based research“, „Performance as research“.<br />

Von diesem Modell halte ich allerdings nicht viel. Um es boshaft zu<br />

sagen: Ein mittelmäßiger Künstler macht eine mittelmäßige<br />

Inszenierung und schreibt darüber mittelmäßige 70 bis 100 Seiten.<br />

Dafür bekommt er den Ph. D., den „Doctor of Philosophy“. Und weil<br />

Schauspielausbildung dort Teil der „Theatre Studies“ an der<br />

Universität ist und nur Leute dort lehren dürfen, die einen Ph. D.<br />

haben, kann er nun Studierende unterrichten. Ich ziehe dieser<br />

Praxis die hierzulande gängige vor, wirklich bedeutenden Künstlern,<br />

die gezeigt haben, wie kreativ sie in ihrem eigenen Feld sind, den<br />

Professorentitel zu verleihen und sie an einer Kunsthochschule<br />

unterrichten zu lassen.<br />

Künstlerische Forschung von bedeutenden Protagonisten des<br />

Theaters gibt es schon seit vielen Jahrzehnten: Stanislawski,<br />

Meyerhold, Brecht, Grotowski oder Barba. Es ist aufschlussreich,<br />

welche Art von Forschung sie betrieben haben. Stanislawski,<br />

der Ende des 19. Jahrhunderts angefangen hat zu arbeiten,<br />

versuchte zu ergründen, was menschliche Gefühle sind und wie<br />

man sie am besten ausdrücken kann. Damit stand er in einer langen<br />

Tradition, die bereits im 18. Jahrhundert begann, als Philosophen<br />

und Physiologen sich mit diesem Problem herumschlugen. Im<br />

18. Jahrhundert verständigte man sich auf ein „Gesetz der<br />

Analogie“: Was in der Seele vor sich geht, findet demnach analog<br />

im Körper seinen Ausdruck. Mit dieser Antwort gab sich Stanislawski<br />

aber nicht zufrieden. Er versuchte Techniken zu entwickeln, wie<br />

man einen Schauspieler dazu bringen kann, in sich Erinnerungen<br />

wiederzubeleben, die ihm helfen, in dieser emotionalen Situation in<br />

seiner Rollenfigur den optimalen Ausdruck zu finden. Erst im Laufe<br />

seiner praktischen Arbeit gelangte er jedoch zu einer anderen<br />

Möglichkeit, nämlich zu den physischen Handlungen als Schienenweg<br />

zur Rolle, also zum umgekehrten Weg, der bedeutete: Wenn<br />

ich bestimmte Handlungen ausübe, dann werden diese in mir<br />

bestimmte Emotionen hervorrufen – das wiederum verstärkt den<br />

Ausdruck.<br />

Stanislawski hat also Forschung betrieben zu dem, was wir heute<br />

„Forschung zur psychophysischen Einheit des Menschen“ nennen<br />

– und das in einer ganz besonderen gesellschaftlichen Situation:<br />

Die Industrialisierung hatte in Russland eingesetzt, und es wurde<br />

ein Menschenbild propagiert, das durch eine gewisse Nützlichkeit<br />

gekennzeichnet war. In diesem Kontext wirkte es gewagt, ein<br />

Gegenbild zu setzen, was Stanislawski aber tat, indem er von der<br />

psychophysischen Einheit des Menschen ausging. Ganz anders<br />

hingegen Meyerhold, der ein Anhänger des Kommunismus war und<br />

nach der Revolution den biomechanischen Ansatz entwickelte. Es<br />

ist heute interessant zu sehen, welche Forschungsfragen er sich<br />

damals stellte und wie er mit ihnen umging. Zum einen erschien<br />

ihm wichtig, Schauspielkunst fortan als Arbeit zu definieren. Wie<br />

ließe sich der Körper so verwenden, dass Gesten effizient sind, also<br />

22


keine überflüssigen<br />

Gesten aufkommen? Um<br />

diese Frage beantworten<br />

zu können, hat er<br />

unendlich mit seinen<br />

Schauspielern experimentiert.<br />

Zudem suchte<br />

er nach einer Lösung,<br />

den Zuschauer „zu<br />

befreien“, und zwar in<br />

dem Sinne, dass er zum<br />

Erzeuger eines eigenen<br />

Sinnes wird. Nach diesem<br />

Ansatz hatte der Schauspieler<br />

dem Zuschauer also etwas so<br />

vorzuführen, dass der Ausdruck<br />

vieldeutig ausfiel, so dass der Rezipient<br />

ihm seinen eigenen Sinn zusprechen konnte.<br />

So kam Meyerhold auf die Biomechanik, die in<br />

seiner Umsetzung mehr oder weniger aus abstrakten<br />

Gesten bestand, die dem Zuschauer nicht nur erlaubten, diese<br />

Gesten imaginativ und reflexiv zu deuten, sondern ihn auch in einen<br />

Zustand der Erregung zu versetzen.<br />

Szene aus „Xeno<br />

– Figurinen“,<br />

theatralen<br />

Entwürfen von<br />

Regie- und<br />

Schauspielstudierenden,<br />

präsentiert<br />

in der <strong>HfMDK</strong>-<br />

Hochschulnacht.<br />

Am Anfang steht die Frage<br />

Was diese Beispiele zeigen, ist auch heute noch grundlegend für<br />

Forschung an Hochschulen für Darstellende Künste: Diese Künstler<br />

hatten bestimmte Fragen, die sie umtrieben. Ohne solche Fragen<br />

sollte man nie Forschung betreiben, schon gar nicht als schiere<br />

Pflichtaufgabe. Was die Forscher ausmacht, ganz gleich, ob<br />

Wissenschaftler oder Künstler: Sie haben Fragen, die sie umtreiben<br />

und auf die sie Antworten finden wollen.<br />

STATEMENT<br />

Sophia Jaffé,<br />

Professorin für Violine<br />

Was es für Sie als Lehrende an einer Hochschule in diesem Prozess<br />

zu beachten gilt, ist die Tatsache, dass Ihre Art von künstlerischer<br />

Forschung je nach Ausprägung eine Forschung am Menschen ist.<br />

Dabei gilt es zu definieren, ob Ihre Studierenden Testpersonen oder<br />

Mitforschende sind. Diese Frage muss vorher geklärt sein. Zudem<br />

kann seriöse Forschung nicht einfach nebenher zu dem laufen, was<br />

Lehrende im Semesteralltag ohnehin absolvieren müssen. Wichtige<br />

Forschungsfragen sollten so gut formuliert sein, dass deren<br />

Relevanz jedem einleuchtet. Aus einer transparenten Fragestellung<br />

geht folglich auch klar hervor, welche angemessene Ausstattung<br />

für die forscherische Lösung dieser Fragen nötig ist. So wird<br />

offensichtlich, dass zusätzliche Ressourcen gebraucht werden,<br />

die zusätzliche Arbeitsleistungen möglich machen. Forschung zum<br />

Nulltarif en passant neben dem Curriculum kann es nicht geben.<br />

Am Ende des Forschungsprozesses steht auch im Bereich der<br />

künstlerischen Forschung dessen Dokumentation und Ergebnissicherung,<br />

um damit einen allgemeinen Gewinn für alle zu garantieren.<br />

Dazu wünsche ich Ihnen viel Glück!<br />

Wie helfen Sie Ihren Studierenden,<br />

sich auf ihre berufliche<br />

Zukunft vorzubereiten?<br />

Die Studierenden brauchen<br />

Bestärkung des Vertrauens in<br />

den eigenen Weg, auch wenn er<br />

von der „Norm“ abweicht, und<br />

das Aufzeigen der verschiedenen<br />

Möglichkeiten, im Bereich Musik<br />

tätig zu sein. Eine wichtige Rolle<br />

spielen auch Hilfestellungen und<br />

Anregungen bei praktischen<br />

Fragen wie Bewerbungen für<br />

Orchesterstellen, Stiftungen und<br />

Wettbewerbe.<br />

Inwiefern ist die <strong>HfMDK</strong> für die<br />

Zukunft gerüstet?<br />

Da ich noch nicht so lange an<br />

der Hochschule tätig bin, kenne<br />

ich sicherlich noch nicht alle<br />

Einrichtungen und alle Strukturen.<br />

Sehr sinnvoll fänd ich es,<br />

wenn es eine Art „Career Center“<br />

gäbe, in dem die Funktionsweise<br />

musikalischer Institutionen und<br />

Marketingstrategien analysiert<br />

werden - auch, um das Handwerkszeug<br />

zur Realisierung<br />

eigener Ideen und Projekte zu<br />

erlernen.<br />

23


F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />

VON DER UNVERWECHSELBARKEIT der musIZIERENDEN<br />

Gedanken über eine Hochschule für Musikerinnen und Musiker<br />

Auszüge aus dem Symposiumsbeitrag<br />

von Prof. Dr. Peter Röbke,<br />

Leiter des Instituts für Musikpädagogik<br />

(IMP) an der Universität für<br />

Musik und Darstellende Kunst<br />

Wien (MDW), anlässlich des<br />

<strong>HfMDK</strong>-Jubiläumssymposiums<br />

„Zukunft der Künste – Kunstausbildung<br />

im Wandel“.<br />

Als ich vor einigen Jahren den Rahmenlehrplan der Konferenz<br />

österreichischer Musikschulwerke (mit-)verfasste, schien für<br />

das österreichische Musikschulwesen die Zielfrage geklärt. Pointiert<br />

und durchaus um die Provokation wissend formulierten wir: „Im<br />

Mittelpunkt der Musikschularbeit steht das qualifizierte und<br />

lebendige Musizieren … – vor allem jenes in der Gemeinschaft:<br />

elementares Musizieren, Improvisation, das Dirigieren oder Spielen<br />

von klassischen Werken, Musizieren in den verschiedenen Stilistiken<br />

von Rock, Pop und Jazz, …, volksmusikalische Praktiken,<br />

multimediale Musizierformen. So wichtig in der europäischen<br />

Musikentwicklung auch die musikalischen Kunstwerke sein mögen,<br />

und so sehr die Auseinandersetzung mit der Kunstmusik auch Teil<br />

einer Bildungsaufgabe sein mag: Ein weit gespannter Begriff des …<br />

Musizierens geht nicht allein in der Wiedergabe von Werken auf.“<br />

Ich erinnere mich gut an die ersten Reaktionen: Das Aufgeben einer<br />

musikalischen Wertehierarchie wurde durchaus als Befreiung<br />

empfunden …<br />

Und wie gerufen kam dann die Erklärung der Musikalischen<br />

(Menschen-)Rechte durch den Internationalen Musikrat, in der es<br />

u.a. heißt: „It is a basic right for all people to express themselves<br />

and communicate through music.”<br />

In meinen Lehrveranstaltungen versuche ich natürlich, meine<br />

Studierenden auf die oben angedeutete musikalische Offenheit<br />

einzuschwören, aber hin und wieder beschleichen mich Zweifel, ob<br />

die musikpädagogische Botschaft gegen die impliziten Wertehierarchien<br />

des ganzen Hauses ankommt: Natürlich sehen unsere<br />

Curricula auch die künstlerische Eigenerfahrung in vielen nicht-traditionellen<br />

Praktiken vor – die Studierenden fahren auf ein Volksmusikwochenende,<br />

sie befassen sich mit Elementarem Musizieren<br />

und Freier Improvisation, sie leben sich im afrikanischen Trommeln<br />

aus, sie machen umfangreiche Erfahrungen mit Rock, Pop und Jazz<br />

– aber ist das vielleicht alles nur additiv, nette Ergänzung oder<br />

allenfalls unausweichlich, weil man das ja im pädagogischen Alltag<br />

an Schule und Musikschule braucht? Zählen diese Praktiken<br />

wirklich an unserem Hause, werden sie künstlerisch ernst genommen,<br />

oder gibt es da noch ein musikalisch Eigentliches, das ganz<br />

unberührt bleibt? Also anders gefragt: Zählt auch im Kern der<br />

künstlerischen Ausbildung im Sinne der Musical Rights das Recht<br />

auf musikalischen Selbstausdruck, auf die eigene musikalische<br />

Sprache, auf die wirkliche Aneignung auch des Gegebenen durch<br />

die Studierenden?<br />

Der erfahrene und legendäre Musikethnologe Bruno Nettl näherte<br />

sich vor einigen Jahren den klassischen westlichen Musikuniversitäten<br />

so, wie er Feldforschung unter indischen Sängern oder<br />

24


Konzertexamens-<br />

Absolventin Chihiro Ishii<br />

bei der Orchesterprobe<br />

mit Tschaikowskys<br />

Violinkonzert im<br />

Großen Saal im<br />

Sommermester 2013.<br />

indianischen<br />

Musikern<br />

betrieb, und sein<br />

distanzierter Blick von<br />

außen auf die Selbstverständlichkeiten<br />

unseres universitären<br />

Betriebs förderte erstaunliche<br />

Wertmuster, Rituale oder Stammesbildungen<br />

zutage.<br />

„In the service of the masters“ überschreibt Nettl<br />

sein erstes Kapitel in seinem Buch „Heartland Excursions.<br />

Ethnological Reflections on Schools of Music?“: Der dort<br />

beschriebene „Dienst an den Meistern“ scheint das zentrale<br />

Anliegen zu sein, um das sich an der Musikuniversität alles dreht.<br />

Aber da, wie Sie wissen, im Englischen „service“ auch mit<br />

Gottesdienst übersetzt werden kann: Unsere Huldigung der großen<br />

Meister trägt durchaus sakrale Züge, und aus der Außensicht<br />

kann daran einiges buchstäblich fragwürdig werden:<br />

Ist es nicht erstaunlich – so fragte Nettl – , dass im Pantheon der<br />

Musikuniversität – gleich ob in Wien, Berlin, London, Bloomington<br />

und wohl auch in Singapur, Peking und Tokio – die gleichen<br />

Gottheiten sitzen?<br />

Und in diesem Götterhimmel<br />

gibt es weltweit die gleiche<br />

Hierarchie: Unumstritten regieren<br />

der apollinische Götterknabe Mozart,<br />

dessen vollkommene Werke gleichsam ein<br />

Himmelsgeschenk sind, und der prometheische<br />

Beethoven, der sich um Perfektion bis an die Grenzen<br />

des Menschenmöglichen mühen musste. Und beide<br />

dominieren einen Olymp, der zu weiten Teilen von Männern<br />

zumeist österreichischer Provenienz besiedelt ist, die seit langem<br />

tot sind. Und um deren Hinterlassenschaft, den Kanon der großen<br />

Werke, dreht sich alles: An erster Stelle sind es die Pianisten, die<br />

die heiligen Texte auslegen, etwa die 48 Präludien und Fugen des<br />

Wohltemperierten Klaviers oder die 24 Klaviersonaten Beethovens.<br />

Kaum können Streicher mit diesem Repertoire mithalten, immerhin<br />

aber qualifizieren sie sich – wie die Bläser – dafür, die wirklichen<br />

Manifestationen der Schöpferkraft, nämlich die große Symphonik,<br />

aufzuführen. Und das Symphoniekonzert gleicht dann vollends<br />

einer Weihehandlung, in der sich das Publikum strengen Verhaltensregeln<br />

zu unterwerfen hat, um der Verwandlung von Geist in<br />

Klang unter Anleitung des Maestros, des musikalischen Hohepriesters,<br />

beiwohnen zu dürfen, um anschließend geläutert von dannen<br />

zu gehen.<br />

Ist die Musikuniversität immer noch eine eigentümliche gesellschaftliche<br />

Parallelwelt, in der der Geist des 19. Jahrhunderts wie<br />

eingefroren erscheint und in der Werte vorherrschen, die wenig mit<br />

der pluralistischen, globalen und liberalen gesellschaftlichen<br />

Gegenwart zu tun haben? Und machen wir uns nichts vor: Nach wie<br />

vor kommen Pop und Jazz an der Musikuniversität durch die<br />

Hintertür (zumeist werden eh nur die sich akademisch gebärdenden<br />

Jazzer eingelassen – Wien nur IGP); nach wie vor fristet das<br />

zeitgenössische Musikschaffen ebenso ein randständiges Dasein<br />

wie jene Instrumentalisten, die für den „Service of the Masters“<br />

nicht so sehr geeignet sind: Gitarristen, Akkordeonisten usw..<br />

25


V o n d e r U n v e r w e c h s e l b a r k e i t d e r M u s i z i e r e n d e n<br />

Ich gebe gerne zu, dass das Bild, das ich hier mit Hilfe Nettls male,<br />

überspitzt und holzschnittartig ist. Und erlauben Sie mir eine<br />

Klarstellung: Ich mache mir Bruno Nettls ethnologische Perspektive<br />

deshalb zu eigen, um das Selbstverständliche dem Verstehen neu<br />

zu öffnen, um das nur allzu Vertraute aus Gründen des Erkenntnisgewinns<br />

zu verfremden, nicht aber, um die Musikuniversität, an<br />

der ich gerne und mit Überzeugung arbeite, zu diffamieren oder<br />

ins Lächerliche zu ziehen. Aber dennoch: Nettls Beschreibung der<br />

quasi-sakralen Aura, die viele unserer Handlungen an der Musikuniversität<br />

umgibt, macht mich sehr nachdenklich, und ich denke<br />

„The Age of Enlightment“ steht noch bevor – vielleicht bedarf es<br />

noch eines kräftigen Aufklärungs- und Säkularisierungsschubs,<br />

der den Musiker und die Musikerin ins Zentrum rückend, sie vom<br />

„Gottesdienst“ entlastet und sie auf einen künstlerischen Bildungsweg<br />

schickt, der die Entdeckung der musikalischen Eigen-Sprache<br />

erlaubt.<br />

Der Perfektion<br />

fehlt zur<br />

Vollkommenheit<br />

ein gewisser<br />

Mangel.<br />

Der Säkularisierungsschub, den ich hier anspreche, dieser<br />

Zuwachs an Verweltlichung, der die Musizierenden aus der<br />

dienenden Rolle heraustreten lässt und ihnen die Möglichkeit gibt,<br />

als Künstlerindividuen stärker erkennbar zu werden, hat aber auch<br />

vielleicht unmittelbare Konsequenzen für das berufliche Leben, für<br />

die viel beschworene „Employability“, denn die Frage muss schon<br />

erlaubt sein: „Wer mag unseren AbsolventInnen später eigentlich<br />

zuhören?“<br />

Wenn viele das gleiche Repertoire auf gleich hohem Niveau und mit<br />

der gleichen Perfektion und dann sogar in einer ähnlichen Weise<br />

darbieten, quasi in einem Interpretations-Mainstream, dann kann<br />

auf höchstem Level das zuschlagen, was der Wiener Molekulargenetiker<br />

Markus Hengstschläger die „Durchschnittsfalle“ nennt,<br />

d.h. die Darbietungen werden verwechselbar und das<br />

Interesse an ihnen erlahmt – Gehör findet hingegen wohl<br />

nur der, der etwas Eigenständiges zu sagen hat<br />

(Hengstschläger fordert daher für die Spitzenausbildung<br />

„Peaks“ und „Freaks“).<br />

Wettbewerbe können dabei eher<br />

nivellierend wirken und diesen<br />

Freak-Faktor beschädigen.<br />

26


„Service of the Masters“ zu Lasten der Eigensprache, das ist das<br />

eine, das Dilemma der technischen Perfektion ist das andere, jenes<br />

scheinbar unlösbare Problem, dass den technischen Anforderungen<br />

natürlich nicht ausgewichen werden kann, in dem Moment aber, wo<br />

Perfektion erreicht ist, die musikalische Aussage beschädigt oder<br />

verschwunden sein kann. Mir kommt auch Alfreds Brendels<br />

Bemerkung in den Sinn, er gehe kaum noch ins Konzert, weil er<br />

so viele richtige Töne, aber so wenig Musik höre.<br />

Vielleicht hilft uns ein weiser Satz des österreichischen Volksmusikers<br />

Andreas Salcher weiter, und ich bitte Sie, sich den auf<br />

der Zunge zergehen zu lassen:<br />

„Der Perfektion fehlt zur Vollkommenheit ein gewisser Mangel.“<br />

Wie wir an der Musikhochschule jenseits von Beliebigkeit oder<br />

Dilettantismus diesen „gewissen Mangel“ pflegen könnten,<br />

also ein Feld beackern, auf dem Sperriges und Kantiges und<br />

nicht nur Glattes und Abgeschliffenes wachsen kann, ein Feld<br />

der fragilen und gefährdeten, der spröden und rauen Klänge,<br />

das wäre ein Thema für einen ganz eigenen Vortrag.<br />

Erlauben Sie mir nur ein paar Vermutungen:<br />

• Ist die Beschäftigung mit historisch informierter Aufführungspraxis<br />

nicht auch eine Schule im Umgang mit dem<br />

Imperfekten, weil die alten Instrumente immer Überraschungen<br />

bereithalten und eben nicht so ansprechen wie<br />

die modernen und zudem eine Ästhetik der affektiven<br />

Wahrhaftigkeit herrscht und somit der schöne und runde<br />

Ton gar nicht das Ziel sein kann? Wie sagt Harnoncourt:<br />

Die historische informierte Praxis hat die klangliche<br />

Tendenz zum „Schärferen, Aggressiveren, Bunteren.“<br />

Und ganz nebenbei: „Service of the Masters“ würde die<br />

Rolle des Ausführenden bei einer Musik, die noch gar<br />

nicht der emphatischen Idee des Werkes verpflichtet<br />

ist, auch nicht wirklich beschreiben.<br />

• Kann die Befassung mit zeitgenössischer Musik, die<br />

den Musiker ins Zentrum setzt und ihn dazu verleitet,<br />

den Möglichkeiten seines Instruments und seines<br />

Spiels unbelastet von Klangidealen und Interpretationsstandards<br />

gegenüber zu treten, nicht Ähnliches<br />

leisten?<br />

• Und schließlich die Freie Improvisation, die eine Suche nach dem<br />

Unvorhersehbaren und Unberechenbaren ist, eine musikalische<br />

Praxis, die die klangliche Störung als Impuls für den Fortgang<br />

braucht: Es geht unabweisbar immer um musikalische Singularität,<br />

um die widerborstige Einzigartigkeit der ästhetischen<br />

Situation – ohne jede Intention auf Reproduzierbarkeit eines<br />

„glatten“ Produkts.<br />

Ich nenne diese musikalischen Praktiken raue Praktiken, und indem<br />

ich den Begriff der „Rauheit“ ins Spiel bringe, lehne ich mich an<br />

Roland Barthes an, der in dem Aufsatz „Die Rauheit der Stimme“<br />

im Jahr 1972 etwa den Gesang Dietrich Fischer-Dieskaus mit dem<br />

von Charles Panzeras vergleicht und etwa in Bezug auf den Ersteren<br />

feststellt: „Bei F.D. glaube ich nur die Lungen zu hören, niemals die<br />

Zunge, die Stimmritze, die Zähne, die Innenwände, die Nase“. Und<br />

Barthes fasst zusammen: „Die ‚Rauheit’ ist der Körper in der<br />

singenden Stimme, im ausführenden Körperteil“. Der Körper, der<br />

auch der Instrumentalmusik die Rauheit erhalten kann: „Ich höre<br />

mit Gewißheit – der Gewißheit des Körpers, der Wollust –, daß das<br />

Cembalo von Wanda Landowska aus ihrem Körperinneren kommt<br />

und nicht von dem kleinen Fingergestricke so vieler Cembalisten<br />

(und zwar so sehr, dass es zu einem anderen Instrument wird).“<br />

Und der Klang ist dann – so können wir fortsetzen –, wenn man<br />

den Körper in ihm hört, wahrhaft eine Klanggebärde: Er ist dann<br />

gewissermaßen schwer gezeichnet von der körperlichen Hervorbringung<br />

(„Stimmritze, Zunge, Zähne“), und zwar in physiologischer/physikalischer<br />

Hinsicht ebenso wie in psychologischer, und<br />

aufgrund der Dynamik und Intensität des Körpers klingt der Klang<br />

dann nicht flach, sondern die Klänge werden dreidimensional, sie<br />

wölben sich in den Raum hinein.<br />

Sie werden mir vielleicht zustimmen, dann etwa jemanden wie<br />

Nikolaus Harnoncourt weniger als Aufrührer, sondern als „Aufrauer“<br />

zu betrachten, ja, der arbeitet wirklich mit Leib und Seele am rauen<br />

Klang – mit der Bereitschaft zum Risiko, mit einer Hingabe an die<br />

Musik und das Musizieren, die sich der Möglichkeit des Scheiterns<br />

stellt. Und wenn ich mir einen weiteren gestischen Musiker<br />

vorstellen soll, dessen Leib sich unverwechselbare Klanggebärden<br />

entringen, dann kommt mir zum Beispiel der Wiener Trompeter<br />

Lorenz Raab in den Sinn, der ganz traditionell das Trompetenspiel in<br />

der Klasse des Wiener philharmonischen Solo-Trompeters erlernte,<br />

Solo-Trompeter des Orchesters der Wiener Volksoper wurde,<br />

weltweit gefragter Trompeter ist und schnell zum Einspringen jettet,<br />

wenn irgendwo auf der Welt der Solo-Trompeter für Mahlers Fünfte<br />

ausgefallen ist, den Hans-Koller-Preis für den besten Nachwuchsjazzer<br />

Österreichs verliehen bekam und zurzeit ein Bandprojekt mit<br />

zwei Bassisten, einem Drummer und einem E-Zitherspieler betreibt,<br />

die XY-Band, die eine Art Post-Punk-Jazz spielt.<br />

Bratschistin Jasmine<br />

Beams während eines<br />

Orchesterprojektes im<br />

Sommersemester 2013.<br />

27


Wie helfen Sie Ihren Studierenden,<br />

sich auf ihre berufliche<br />

Zukunft vorzubereiten?<br />

Zum einen versuche ich meine<br />

Studierenden dazu anzuleiten,<br />

alle musikalische und pädagogische<br />

„Arbeit“ mit Leidenschaft<br />

und Authentizität anzugehen und<br />

dadurch ihre Berufung zu finden.<br />

Genauso wichtig sind Neugier<br />

und Offenheit gegenüber allen<br />

Arten von Musik, die sie zu<br />

hoher Flexibilität befähigen und<br />

die ihnen ermöglichen, mehrere<br />

musikalische Standbeine<br />

aufzubauen.<br />

Wie fühlen Sie sich von der<br />

Hochschule auf Ihre berufliche<br />

Zukunft vorbereitet?<br />

Man kann sich eigentlich in der<br />

Regie nicht vorbereiten lassen<br />

auf irgendetwas, von irgendwem.<br />

Die Idee, ein „Handwerk“ zu erlernen,<br />

ist fragwürdig. Aber man<br />

kann Eindrücke und Erfahrungen<br />

sammeln, Meinungen austauschen,<br />

ausprobieren, und dafür<br />

gibt es hier schon genug Raum.<br />

STATEMENT<br />

Fabian Sennholz,<br />

Gastprofessor<br />

für Bandcoaching und<br />

Gruppenmusizieren<br />

STATEMENT<br />

Gertje Graef,<br />

Regie-Studentin<br />

Inwiefern ist die <strong>HfMDK</strong> für<br />

die Zukunft gerüstet?<br />

Zukünftige Absolventen der<br />

<strong>HfMDK</strong> brauchen sowohl für<br />

künstlerische als auch für<br />

pädagogische Berufe den Blick<br />

über den Tellerrand und die<br />

Vernetzung mit anderen<br />

Disziplinen. Die <strong>HfMDK</strong> sollte<br />

dafür durchlässigere Studienstrukturen<br />

schaffen und<br />

insbesondere in allen pädagogischen<br />

Studiengängen ein<br />

stilistisch breiteres Angebot<br />

machen, das auch Populäre<br />

Musik mit einbezieht und das<br />

„Schubladendenken“ beendet.<br />

Wie sollte aus Ihrer Sicht eine<br />

Hochschule der Zukunft<br />

aussehen?<br />

„Hochschule der Zukunft“ klingt<br />

immer, als würde man nur noch<br />

im Hof sitzen, Kaffee trinken und<br />

die Kunst generiere sich in einem<br />

weißen, sterilen Hinterzimmer<br />

vollautomatisch über irgendwelche<br />

ausgetüftelten Computerprogramme.<br />

Ja, man könnte mehr<br />

interdisziplinäre Unterrichte und<br />

Projekte einführen: Musik, Tanz,<br />

Theater, da gibt es schon viele<br />

Gründe, sich auszutauschen.<br />

Ob Harnoncourt oder Raab:<br />

• Ich erlebe eine manifeste Körperlichkeit oder besser noch: eine<br />

Leiblichkeit des Musizierens, die auch der Unberechenbarkeit und<br />

Nichtbeherrschbarkeit des Leibes Rechnung trägt,<br />

• ich spüre eine beinahe schmerzhafte Bühnenpräsenz,<br />

• ich fühle mich infiziert und hineingezogen in eine äußerst<br />

intensive Interaktion,<br />

• ich bemerke den produktiven Umgang mit dem Abweichenden<br />

und Überraschenden,<br />

• ich höre die raue Tongebung, das Spiel an der Grenze.<br />

Also wenden wir uns der Aufführungssituation zu, einer Situation,<br />

von der man ja zunächst sagen könnte, in ihr ginge es um die<br />

Vermittlung von Musik:<br />

• einem Publikum überhaupt erst zur Musik zu verhelfen,<br />

• eine Brücke zwischen dem Erklingenden und den Hörenden zu<br />

bauen und möglicherweise eine freundschaftliche Beziehung<br />

zwischen den musikalischen Objekten und den Hörersubjekten zu<br />

stiften bzw. – im Falle eines sperrigen oder spröden Werkes – das<br />

Verhältnis von Werk und Rezipient „einzurenken“,<br />

• einer Öffentlichkeit den Gehalt des Vorgeführten zu bezeugen und<br />

dieser Öffentlichkeit dann Verstehen zu ermöglichen.<br />

Und wenn Sie nun „Publikum“, „Hörer“ oder „Öffentlichkeit“ durch<br />

Schülerinnen und Schüler ersetzen, dann kommen Sie darauf, dass<br />

es auch im Unterricht – neben dem systematischen Aufbau von<br />

Kompetenzen – um Ähnliches geht: zu neuem musikalischem<br />

Besitz verhelfen, Beziehung stiften, Verstehen ermöglichen, also:<br />

die Aneiignung dieses Besitzes ermöglichen.<br />

Aber so triftig das alles auch zu sein scheint: Ich stelle die Selbstverständlichkeit<br />

der Denkfigur „Vermittlung“ prinzipiell in Frage.<br />

Ich stelle sie grundsätzlich in Frage, weil ich am Artefaktcharakter<br />

der Musik grundsätzlich zweifle; ich stelle sie in Frage, weil mich<br />

das flüchtige, ephemere Wesen des Musikalischen geradezu<br />

zwingt, mein Augenmerk auf das musikalische Handeln selbst zu<br />

richten, jenes Handeln, das Musik im Hier und Jetzt überhaupt<br />

erst hervorbringt, und zwar in je singulärer und unwiederholbarer<br />

Weise (und keine noch so präzise ausnotierte Partitur könnte die<br />

wirkliche Identität von Aufführungen je garantieren!).<br />

„Music is what people do“, sagt David Elliott – ich würde ergänzen,<br />

etwas, das Menschen in ästhetischer Absicht und Einstellung<br />

hervorbringen, und Musik wäre dann nicht etwas Gegebenes,<br />

Seiendes, an und für sich Existierendes, sondern etwas, das in der<br />

performativen Handlung überhaupt erst Wirklichkeit wird, etwas,<br />

28


V o n d e r U n v e r w e c h s e l b a r k e i t d e r M u s i z i e r e n d e n<br />

das von Musizierenden und Hörenden im Moment erzeugt wird.<br />

Und weit mehr als die Vorstellung von „Vermittlung“ umgreift<br />

jene vom Erzeugen, Verwirklichen, Hervorbringen von Musik<br />

sowohl die musikalische Handlung auf der Bühne wie jene in der<br />

pädagogischen Situation: Lassen Sie mich kurz an zwei Beispielen<br />

darstellen, warum ich glaube, dass auch Musikpädagogik am<br />

Hervorbringen von Musik teilhat.<br />

Erstens: zur so genannten Musikvermittlung<br />

Ich hoffe, Sie verzeihen mir meine zwiefache Radikalität oder gar<br />

Blasphemie: Ich stelle ja nicht nur die Verbindlichkeit des musikalischen<br />

Götterhimmels in Frage und versuche den Musizierenden<br />

in den Mittelpunkt zu rücken, sondern ich bezweifle auch, dass<br />

die heiligen Texte, die uns die musikalischen Götter hinterlassen<br />

haben, zu verbindlichen und eindeutigen musikalischen Praktiken<br />

führen, und versuche statt dessen, den Eigenwert der je einmaligen<br />

und augenblicksgebundenen musikalischen Handlungen herauszuarbeiten.<br />

• Mag es auch in dem, was man unpräzise „Musikvermittlung“<br />

nennt (oder noch problematischer: „Konzertpädagogik“), auch um<br />

den Bau von Zugängen und das Herstellen von Verstehensbrücken<br />

gehen: „Musikvermittlung“ scheint mir besonders dann erfolgreich<br />

zu sein, wenn sie gerade nicht Musikvermittlung ist, sondern wenn<br />

sie die leibhaftige und personale Begegnung mit Menschen<br />

herstellt. Die so genannte Musikvermittlung verflüssigt das (eher<br />

berechenbare) „Konzert“ zur (unberechenbaren) „Performance“.<br />

Zweitens: Zur Musikpädagogik im allgemeinen<br />

• Wenn die Musik im eigenwertigen künstlerischen Handeln von<br />

SchülerInnen und LehrerInnen nicht im Unterricht selbst zum<br />

Ereignis wird, dann fehlt dem Musikunterricht das ästhetische<br />

Kraftzentrum, jenes zentrale Feld, in dem etwa intensive Erfahrungen<br />

vom Eintauchen in den Klang, von der Hingabe an<br />

den Groove, von der wechselseitigen musikalischen Ansteckung,<br />

von einer spezifischen Körpererfahrung im Zusammenspiel aller<br />

Sinne, von Präsenz und Zeitvergessenheit, von musikalischer<br />

Trance und Ekstase möglich sind, ästhetische Erfahrungen, die<br />

den Erwerb von Kompetenzen oder die Verstehensbemühung<br />

überhaupt erst motivieren.<br />

Also wären für mich die Musikhochschulen der Zukunft aufgeklärte<br />

Orte, an denen nicht nur selbstlose Diener am Werk ausgebildet<br />

werden, sondern sich MusikerInnen bilden können, die sich ihrer<br />

selbst bewusst sind,<br />

• MusikerInnen, die sich nicht nur fremde Idiome aneignen, sondern<br />

die ihre eigene Sprache finden,<br />

• MusikerInnen, denen raue Praktiken helfen, ihre Unverwechselbarkeit<br />

zu bewahren und jenen „gewissen Mangel“ zu pflegen, der<br />

sie vor dem Dilemma der Perfektion bewahrt, jener ausweglosen<br />

Situation, in der sie zwar alles fehlerfrei spielen können, niemand<br />

aber mehr diesem Spiel zuhören mag,<br />

• MusikerInnen, die eine Leidenschaft dafür haben, sich und andere<br />

in die Erzeugung von Musik zu verstricken, d.h. in der Interaktion<br />

mit anderen faszinierende musikalische Wirklichkeiten zu<br />

erzeugen, gleich ob im Konzertsaal, im Workshopraum oder<br />

im Klassen- und Unterrichtszimmer.<br />

Wenn wir sowohl das konzertante wie das musikpädagogische<br />

Handeln performativ denken, dann lässt sich möglicherweise<br />

erreichen, dass das Schisma zwischen Konzertfach und<br />

Musikpädagogik überwindbar wird, dass jenem fatalen Satz von<br />

George Bernhard Shaw, wonach “those who can do” und<br />

“those who can’t teach” der Boden entzogen wird.<br />

Oboenstudentin Hannah Weisbach<br />

während einer Probe des<br />

Hochschulorchesters im<br />

Sommersemester<br />

2013.<br />

29


F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />

Internationalität und<br />

Globalisierung in der Ausbildung<br />

Von Ingo Diehl, Professor für Tanz, Leiter des Masterstudiengangs<br />

Zeitgenössische Tanzpädagogik (MAztp)<br />

„Der Bologna-Prozess modernisiert die Hochschulen auf ihrem Weg<br />

zu einem gemeinsamen Europäischen Hochschulraum (EHR).<br />

Die Reform verändert die Strukturen und Inhalte der Studiengänge.<br />

Sie wirkt sich positiv auf die Lehre und die Entscheidungen der<br />

Studierenden aus und beeinflusst die Organisationsabläufe in den<br />

Hochschulen.“<br />

(http://www.hrk-bologna.de/bologna/de/home/1916.php)<br />

Dies schreibt die Hochschulrektorenkonferenz auf ihrer Website<br />

zum Bologna-Prozess. Doch was heißt das konkret für den<br />

Studienalltag? Auch durch Austauschprogramme wie Erasmus, eine<br />

Reihe aktiver internationaler Netzwerke oder Stiftungen, die Länderpartnerschaften<br />

fördern, haben sich die inhaltlichen und organisatorischen<br />

Austauschmöglichkeiten in der künstlerischen Ausbildung<br />

enorm verändert. Die Positionierungen von Studienprogrammen<br />

bekommen heute über den europäischen Bildungsraum hinaus eine<br />

neue Sichtbarkeit und stellen eine enorme Herausforderung dar im<br />

Kampf um die besten Studierenden und einzigartige oder zukunftsweisende<br />

Studienprofile. Dadurch verändern sich auch die Anforderungen<br />

an eine Ausbildung, die sich in den verschiedenen künstlerischen<br />

Sparten an einer enormen Vielfalt und an dem ständigen<br />

Wandel in der künstlerischen Produktion messen lassen muss.<br />

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung schreibt auf<br />

seiner Website (http://www.bmbf.de/de/542.php): „Eine zukunftsorientierte<br />

Bildungspolitik kann heute nur unter Einbeziehung<br />

europäischer und internationaler Entwicklungen gestaltet werden.<br />

Der strategische Rahmen für die europäische Zusammenarbeit auf<br />

dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung definiert die<br />

Prioritäten und Zielsetzungen der europäischen Bildungszusammenarbeit.“<br />

Wie verhalten sich Hochschulen, Studienprogramme, Lehrende und<br />

Studierende zu diesem Wandel? Die politische Absicht und auch<br />

eine Formalisierung, die mit der Umsetzung in der „Institution“<br />

Ausbildung verbunden ist, könnte eine Egalisierung zur Folge<br />

haben, und auch der Austausch über internationale Modeerscheinungen<br />

könnte gar in den Berufssparten eine Verflachung nach sich<br />

ziehen. Ist die Anzahl der ausländischen Studierenden oder die<br />

Mobilität von Lehrenden bereits ein Nachweis gelungener Internationalität?<br />

Und wenn darüber hinaus eine Folge der veränderten<br />

Anforderungen die Selbstvermarktung von Studienprogrammen ist,<br />

wäre das nur ein vordergründiges Einlösen der politischen Vorgaben.<br />

Studiengänge an Kunsthochschulen stehen mit ihren spezifischen<br />

Profilen immer im Kontext von künstlerischen und institutionellen<br />

Entwicklungen. Diese Entwicklungen sind heute nicht mehr auf<br />

regionale Besonderheiten oder nationale Rahmungen zu reduzieren.<br />

Umso wichtiger ist es, für eine zielgerichtete Profilschärfung<br />

innerhalb der Studienprogramme klare Prioritäten zu setzen. Dies<br />

ist kein statischer Prozess, der abgeschlossen werden kann,<br />

sondern ein Lernprozess, in den sich ändernde Entwicklungen je<br />

nach Zielsetzung im Ausbildungsprofil einbezogen werden müssen.<br />

Dabei wird der eigene Maßstab durch internationale Entwicklungen<br />

immer wieder in Frage gestellt. In diesem Umfeld greift die <strong>HfMDK</strong><br />

gemeinsam mit ihren Studierenden sich anbahnende Tendenzen<br />

auf. Die verschiedenen auch internationalen Partnerschaften des<br />

Ausbildungsbereiches ZuKT und des MAztp 1 – sind entsprechend<br />

darauf ausgerichtet, verbindliche und breit aufgestellte Vernetzungen<br />

für Lehrende, Studierende und die Studiengänge zu<br />

ermöglichen bzw. überhaupt erst zu entwickeln.<br />

Im Austausch über Vorgaben und das Erreichen von selbstgesteckten<br />

Zielen konnte ich so als Gutachter in einem holländischen<br />

Akkreditierungsverfahren kürzlich mehr über Qualitätskriterien und<br />

internationale Standards lernen. Während einer Tagung mit<br />

Lehrenden in Schweden habe ich von neuesten nationalen Entwicklungen<br />

und Schwerpunktsetzungen in der künstlerischen Forschung<br />

erfahren. Durch die Etablierung neuer Stellen und eine substantielle<br />

Förderung wird dieser Forschungsansatz an dortigen Hochschulen<br />

zu einem festen Bestandteil von Ausbildung. In Diskussionen<br />

zwischen den MAztp-Studierenden und den Lehrenden einer<br />

grundständigen Tanzausbildung in Finnland wurde im vergangenen<br />

Semester die gesellschaftliche Relevanz von Tanzvermittlung auch<br />

jenseits einer künstlerisch-ideologischen Bildung diskutiert und in<br />

die konkrete Unterrichtspraxis vor Ort übertragen. Derartige<br />

Beispiele verändern meinen Blick auf die hiesige Ausbildung, sie<br />

stellen die gewohnten Abläufe im Curriculum und die entsprechenden<br />

Rahmenbedingungen in Frage. Der internationale Austausch<br />

liefert gleichzeitig Argumente für die Umsetzung eines<br />

30


Stine Fischer, Maren<br />

Schwier, Jana<br />

Baumeister und Vanessa<br />

Diny bei „Büchners<br />

Frauen“, einer Kammeroper<br />

von Paul Schäffer, im<br />

Sommersemester 2013.<br />

STATEMENT<br />

Axel Gremmelspacher,<br />

Professor für Klavier<br />

zeitgemäßen Studienprofils und die möglichen Entwicklungspotenziale<br />

in unseren Studiengängen. Im kommenden Jahr findet<br />

erstmals ein mehrwöchiger Austausch zwischen dem MAztp und<br />

Masterstudierenden der Hollins University aus den USA im<br />

Zusammenspiel mit The Forsythe Company hier an der <strong>HfMDK</strong> in<br />

<strong>Frankfurt</strong> statt. Ich bin schon heute auf den kritischen Blick der<br />

Studierenden auf die jüngsten europäischen Tanzentwicklungen<br />

gespannt.<br />

Die große Chance liegt meines Erachtens darin anzuerkennen, dass<br />

es keine bleibende Allgemeingültigkeit in der ideologischen<br />

Ausrichtung von Studienprofilen und handwerklichen Zielsetzungen<br />

mehr gibt. Eine Aufgabe liegt vielmehr im ständigen Überprüfen,<br />

Infragestellen und Neupositionieren der Ansprüche und damit der<br />

Gestaltung eines Studienganges. Wieweit vor diesem Hintergrund<br />

die zum Teil sehr engen und formalisierten Bolognavorgaben in<br />

Frage gestellt werden müssen, bleibt eine entscheidende Diskussion.<br />

Die Möglichkeit, aus der Ausbildung heraus zukünftige<br />

Entwicklungen in den künstlerischen Sparten zu gestalten, sollte<br />

nicht vertan werden. Hier als Hochschule oder einzelner Studiengang<br />

starke Akzente zu setzen, wird nur im internationalen Kontext<br />

möglich sein.<br />

1 Masterstudiengang Zeitgenössische Tanzpädagogik an der Hochschule für<br />

Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

Die Arbeitsgruppen<br />

präsentierten am Ende<br />

des Symposiums ihre<br />

Gesprächsergebnisse<br />

– hier Prof. Ingo Diehl im<br />

Kleinen Saal.<br />

Wie helfen Sie Ihren Studierenden,<br />

sich auf ihre berufliche<br />

Zukunft vorzubereiten?<br />

Es gibt zahlreiche Kompetenzen,<br />

die in der Arbeit mit meinen<br />

Studierenden gewissermaßen<br />

„nebenbei“ thematisiert und<br />

entwickelt werden. Vortragsabende<br />

und andere Auftrittserfahrungen<br />

helfen beispielsweise,<br />

auch über die Konzertsituation<br />

hinaus die kommunikative<br />

Präsenz zu stärken und den<br />

Um-gang mit psychischen<br />

Belastungssituationen zu<br />

erlernen. Klassenstunden bieten<br />

Gelegenheit, in der gegenseitigen<br />

Diskussion der Beiträge<br />

einerseits den Umgang mit<br />

Kritik, andererseits die konstruktive<br />

und respektvolle Formulierung<br />

von Kritik zu schulen und<br />

dabei ein größeres Selbstbewusstsein<br />

zu entwickeln.<br />

Inwiefern ist die <strong>HfMDK</strong> für die<br />

Zukunft gerüstet?<br />

Grundlegend ist die <strong>HfMDK</strong><br />

durch zahlreiche Initiativen zum<br />

inneren Dialog und eine in vielen<br />

Bereichen offene Gesprächskultur<br />

entwicklungs-, wandlungsund<br />

somit zukunftsfähig<br />

aufgestellt. Es gibt einige<br />

Themen, die für die Hochschule<br />

in Zukunft von größerer Bedeutung<br />

sein werden. Die Nachwuchsförderung<br />

in verschiedenen<br />

Facetten scheint mir dabei<br />

ein besonders wichtiges zu sein<br />

– nicht zuletzt im Hinblick<br />

darauf, dass der Anteil inländischer<br />

Studienbewerberinnen<br />

und -bewerber in manchen<br />

Studiengängen relativ gering ist.<br />

In der Basisförderung hat die<br />

<strong>HfMDK</strong> mit „Primacanta“ bereits<br />

ein sehr wertvolles Projekt<br />

etabliert. In Zukunft wird es<br />

wichtig sein, Konzepte zu<br />

entwickeln, die den durch<br />

Ganztagsschule und G8-Gymnasium<br />

verringerten zeitlichen<br />

Freiräumen der Schülerinnen und<br />

Schüler Rechnung tragen, um<br />

Angebote für Instrumental- und<br />

Gesangsunterricht zu sichern<br />

und zu erweitern. Die <strong>HfMDK</strong><br />

kann dies sicher nicht direkt im<br />

schulischen Betrieb leisten,<br />

jedoch wird beispielsweise zu<br />

überlegen sein, in wieweit<br />

Schulmusiker erweiterte<br />

Kompetenzen erwerben können<br />

und sollen und welche Studienangebote<br />

im Bereich der<br />

Instrumental- und Gesangspädagogik<br />

dafür erforderlich sind.<br />

Wichtige Impulse hierfür wird<br />

mit Sicherheit auch die derzeit<br />

ausgeschriebene Professur für<br />

Instrumentalpädagogik geben.<br />

31


F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />

SCHON DER WEG IST DAS ZIEL<br />

Interview mit Dr. Sylvia Dennerle über die Aufbruchstimmung,<br />

die der noch laufende Leitbildprozess der Hochschule ausgelöst hat<br />

Seit November 2012 arbeitet die Hochschule in einem<br />

umfassenden Prozess an ihrem „Leitbild“. Sie möchte und muss<br />

ihre Position angesichts einer sich verändernden Kunst- und<br />

Hochschullandschaft und im Hinblick auf ihre zukünftigen<br />

Entwicklungen stets neu hinterfragen, sowohl Inhalte als auch<br />

Strukturen betreffend, und Fragen des menschlichen Miteinanders<br />

gehören ebenfalls dazu. Von vorneherein war klar, dass<br />

sich der Wert dieser Bemühungen nicht in einem abschließenden<br />

Text erschöpft, den der Senat voraussichtlich im<br />

Frühjahr 2014 beschließen wird: Gerade der Weg dorthin ist ein<br />

wesentlicher Teil des Zieles. Dieses Ziel haben wir jetzt schon<br />

erreicht: Lehrende, Studierende und Mitarbeiter haben sich<br />

gemeinsam in einen kommunikativen und konstruktiven,<br />

hochschulweiten Prozess über Ziele und Aufgaben der Hochschule<br />

begeben. Dr. Sylvia Dennerle, verantwortlich für die<br />

Öffentlichkeitsarbeit an der <strong>HfMDK</strong>, koordiniert den Leitbildprozess<br />

in Zusammenarbeit mit einer achtköpfigen Steuergruppe,<br />

die von dem externen Berater Peter Wattler-Kugler aus Köln<br />

moderiert wird. Im nachfolgenden Interview erläutert sie,<br />

warum die Arbeit an einem gemeinsamen Leitbild wahre<br />

Aufbruchstimmung erzeugt.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Frau Dennerle, wozu braucht eine Hochschule<br />

75 Jahre nach ihrer Gründung ein (neues) Leitbild – hatte sie nicht<br />

schon längst eines?<br />

Dr. Sylvia Dennerle „Leitgedanken“ gab es schon – auf der Grundlage<br />

eines Leitbildes, das Prof. Peter Iden im Jahr 2000 für die<br />

Hochschule formuliert hatte und das Präsident Thomas Rietschel<br />

nach seiner Amtsübernahme zu eigenen „Leitgedanken“ weiterentwickelt<br />

hatte. Ein Leitbild gilt aber ja nie für die Ewigkeit, es ist<br />

mitnichten in Stein gemeißelt. Wir haben heute völlig andere<br />

Rahmenbedingungen als selbst noch vor etwa zehn Jahren. Darum<br />

hing ein neues Leitbild quasi schon seit geraumer Zeit in der Luft.<br />

Aktuell macht vor allem ein elementarer Umbruch in der gesamten<br />

Hochschullandschaft eine neu formulierte Identität auch für unsere<br />

Hochschule unabdingbar: der Bologna-Prozess, d.h. die Umstrukturierung<br />

nahezu des gesamten Lehrangebotes in Bachelor- und<br />

Master-Studiengänge, die einen europaweiten Hochschulaustausch<br />

der Studierenden ermöglichen soll. Hinzu kommt, dass vor allem<br />

durch die Autonomisierung der Hochschulen deren Aufgaben und<br />

Verantwortungsbereiche in den letzten Jahren enorm gewachsen<br />

sind. Neue Studiengänge sind hinzugekommen, aber auch die<br />

Verwaltungsstrukturen ändern sich und zusätzliche Verantwortungsbereiche<br />

wie z.B. ein Qualitätsmanagement müssen bewältigt<br />

werden. Und nicht zuletzt verändert die gesellschaftspolitische<br />

Situation das Selbstverständnis unserer Institution – Stichwort<br />

Schuldenbremse und „Kulturabbau“. Gerade angesichts all dessen<br />

ist es wichtig, aufs Neue zu hinterfragen, wer wir sind und was wir<br />

wollen. Genau das sind ja die beiden zentralen Fragen unseres<br />

Leitbildprozesses. Damit soll das Leitbild allen Hochschulangehörigen<br />

Orientierung und Impulse für die weitere Hochschulentwicklung<br />

geben, ihnen die Identifikation mit ihrer Hochschule ermögli-<br />

32


Austausch allerorts – Eindrücke vom „open space“ und der „Zukunftskonferenz“<br />

im Rahmen des Leitbildprozesses. Linke Bilderreihe von oben:<br />

Arbeitsgruppe mit Prof. Jürgen Esser; Hochschulkanzlerin Angelika Gartner in<br />

der Diskussion; Dreiergespräch mit Prof. Werner Jank im Foyer; Fabian<br />

Sennholz und Annette Malsch. Rechte Bilderreihe: Philippe Schwarz, Julia<br />

Leukert-Stöhr und Prof. Axel Gremmelspacher; der designierte Darmstädter<br />

Intendant Karsten Wiegand; Mona Garadi.


Momentaufnahmen vom „kick off“ und „open space“. Beide Veranstaltungen im<br />

Rahmen des Leitbildprozesses haben offenbart, wie konstruktiv Lehrende,<br />

Studierende und Hochschulmitarbeiter über Kernthemen der Lehre, aber auch des<br />

menschlichen Miteinanders im Hochschulalltag gemeinsam diskutieren können.


S c h o n d e r W e g i s t d a s Z i e l<br />

chen; in zweiter Linie soll es natürlich auch nach außen die<br />

bildungspolitische Bedeutung einer Kunsthochschule wie der<br />

unseren für die Gesellschaft, aber auch die Einzigartigkeit unseres<br />

Hauses erkennbar machen.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Angesichts dieser ohnehin vorhandenen „Großbaustellen“<br />

könnte doch die Hochschulleitung einen weniger aufwändigen<br />

Weg gehen, indem sie im kleinen Kreis ein Leitbild erarbeitet<br />

und beschließen lässt.<br />

Dennerle Könnte sie durchaus, das wäre sogar legitim. Aber dem<br />

Präsidium ist es wichtig, das Leitbild mit möglichst vielen Menschen<br />

der Hochschule gemeinsam zu entwickeln, eben in einem<br />

hochschulöffentlichen Prozesses. Denn nur gemeinsame Überzeugungen<br />

motivieren und sind langfristig tragfähig.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Wie sieht der Prozess konkret aus?<br />

Dennerle Sehr lebendig, sehr abwechslungsreich und sehr arbeitsintensiv<br />

– für alle, die sich aktiv daran beteiligen. Ende November<br />

2012 nahmen über 150 Hochschulangehörige an der „kick off“-<br />

Veranstaltung im Kleinen Saal der Hochschule teil, die als „Türöffner“<br />

und atmosphärische Einstimmung auf den Prozess eine<br />

überwältigende Resonanz genoss. Sie diente vor allem dazu, bei<br />

vielen die anfängliche Skepsis abzubauen: Einige vermuteten, dass<br />

mit dem Leitbild nur ein weiteres Marketinginstrument ins Rennen<br />

gebracht werden sollte. Hier galt es zunächst, Lehrende, Studierende,<br />

aber auch Verwaltungsmitarbeiter von der Wichtigkeit dieses<br />

Leitbildprozesses zu überzeugen, von der Chance, gemeinsam<br />

etwas bewegen und erreichen zu können. Das war das primäre Ziel<br />

dieser Veranstaltung: die Hochschulangehörigen dafür zu begeistern,<br />

sich gemeinsam auf den Weg zu machen. Und das ist uns<br />

beim „kick off“ – nicht zuletzt durch die stimmungsvolle Rauminstallation<br />

von Dieter Heitkamp, aber auch durch die neuartige<br />

offene Arbeitsatmosphäre im Zukunftslabor – bei den Teilnehmern<br />

gelungen, die ja dann wiederum als Multiplikatoren in die Hochschule<br />

hinein gewirkt haben. Und die teilweise schon sehr in die<br />

Tiefe gehenden Diskussionsthemen des „kick off“ – wie z.B.<br />

„Interdisziplinarität und Vernetzung“, „Frage nach dem Kerngeschäft<br />

der Ausbildung“, „Andockmöglichkeit für den Berufseinstieg“,<br />

„Offenheit und Wertschätzung im Miteinander“– lieferten<br />

erste Anregungen für die zweite große Präsenzveranstaltung, den<br />

„open space“ Mitte Januar. Hier hatten sich die meisten der etwa<br />

250 Teilnehmer auf ein ganz neues Veranstaltungsformat eingelassen<br />

– eine ganztägige Denk- und Diskussionswerkstatt, in der<br />

parallel in über 20 unterschiedlichen Diskussionsgruppen und<br />

Räumen der Hochschule intensiv gearbeitet wurde. Allein diese Art<br />

des gemeinsamen hochschulweiten Austausches stieß auf große<br />

Begeisterung. Und inhaltlich kristallisierten sich hier bereits ganz<br />

zentrale Leitbild-Themen als besonders wichtig, brenzlig oder<br />

kontrovers heraus.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Welche waren dies?<br />

Dennerle Wir hatten ja aus den Ergebnissen des „kick off“ sieben<br />

Leitfragen als Diskussionsgrundlage vorgelegt; aus diesen haben<br />

die Teilnehmer dann insgesamt knapp 30 verschiedene Themen<br />

konkretisiert: u.a. „Kulturelle und Ästhetische Bildung“, „Zusammenarbeit<br />

zw. Lehre und Verwaltung“; „Standort <strong>Frankfurt</strong> – Image<br />

der Stadt“; „Bilden wir für den Markt, wie er ist?“; „Neue Unterrichtsmodelle<br />

erforschen?“; „Gesellschaftliche und politische<br />

Verantwortung der Hochschule“.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Waren und sind Sie mit der „Ausbeute“ dieses<br />

Tages zufrieden?<br />

Dennerle Zum Sammeln von Fragen und Themen, die die Hochschulangehörigen<br />

besonders bewegen, war der „open space“<br />

hervorragend und erfolgreich. Was im Anschluss daran jedoch so<br />

gut wie gar nicht angenommen wurde, war die Möglichkeit, sich<br />

online in einem Blog zu Wort zu melden und die Diskussion mit<br />

Anregungen und Kommentaren zu bereichern. Nur wenige haben<br />

bislang davon Gebrauch gemacht. Das ist eine wichtige Erkenntnis,<br />

dass das Internet in unserem Prozess als Diskussionsinstrument<br />

nicht der richtige Weg war und ist. Bei uns ist es die Präsenzveranstaltung,<br />

der direkte Austausch, die persönliche Auseinandersetzung,<br />

das wollen unsere Hochschulangehörigen! Dennoch bleibt<br />

das Internet ein wichtiges Instrument innerhalb unseres Leitbildprozesses:<br />

Hier ist der gesamte bisherige Prozessverlauf inklusive aller<br />

Ergebnisse dokumentiert und für jedermann detailliert einseh- und<br />

nachvollziehbar. Das schafft maximale Transparenz, die für solch<br />

einen Prozess „von unten nach oben“ sehr wichtig ist.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Welche Rolle spielte das Hochschuljubiläum im April<br />

für den Leitbildprozess?<br />

Dennerle Anlässlich unseres 75 jährigen Bestehens fand ein<br />

wissenschaftliches Symposium zum Thema „Zukunft der Künste –<br />

Kunstausbildung im Wandel“ statt. Neben den zentralen Vorträgen,<br />

die in dieser FiT-Ausgabe nachzulesen sind, tagten anschließend<br />

verschiedene Arbeitsgruppen und erarbeiteten Thesen, die auch in<br />

die Entwicklung unseres Leitbildes Eingang gefunden haben.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Danach entstand der erste Leitbildentwurf?<br />

Dennerle Ja – die Betonung liegt aber auf dem Begriff Entwurf.<br />

Was ein kleines Redaktionsteam auf der Grundlage aller bisherigen<br />

Anregungen innerhalb kürzester Zeit ausgesprochen strukturiert<br />

und detailliert formuliert hatte, wurde zur Arbeitsgrundlage der<br />

„Zukunftskonferenz“, die Anfang Juli mit 48 gezielt ausgesuchten<br />

Teilnehmern stattfand. Studierende, Lehrende, Vertreter der<br />

Verwaltung, der Hochschulleitung und zwölf Externe (Vertreter<br />

künftiger Beschäftigungsorte der Absolventen sowie Vertreter aus<br />

Wirtschaft, Politik und Medien) bildeten eine lebendige und sehr<br />

kritische Gemengelage, die dazu führte, dass wir deutlich von der<br />

geplanten Tagesordnung der Zukunftskonferenz abweichen<br />

mussten.<br />

35


S c h o n d e r W e g i s t d a s Z i e l<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Was ist passiert?<br />

Dennerle Ein Großteil der Teilnehmer, vor allem die externen Gäste,<br />

äußerten starke Zweifel an der Konsensorientierung der Veranstaltung<br />

und an der Haltbarkeit des ersten Entwurfs bis hin zur<br />

kompletten Ablehnung des Textes. Außerdem offenbarte sich, dass<br />

die Zeit in den bis zu zwölf Personen großen Diskussionsgruppen<br />

nicht ausreichte, um den ersten Leitbildentwurf ausführlich genug<br />

zu besprechen. Aus dieser Resonanz heraus haben wir den zweiten<br />

Teil der Zukunftskonferenz mehr oder weniger improvisiert, um die<br />

Kritik adäquat aufnehmen zu können.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Was waren denn inhaltliche Knackpunkte der<br />

Diskussionen?<br />

Dennerle Dass ein Leitbild nicht „glattgebügelt“ sein darf; Konsens<br />

und Kontroversen müssen gleichermaßen ausgehalten werden, weil<br />

„Verschiedenheit und Ambivalenz der Gegenwart, als wesentliche<br />

Merkmale und Impulse für Kunst und Kunstausbildung begriffen<br />

werden müssen“, wie es ein Teilnehmer treffend und unter großem<br />

Applaus formulierte. D.h. das Leitbild soll in knapper Form das<br />

unverwechselbare Profil der <strong>HfMDK</strong> widerspiegeln – dazu gehören<br />

eben auch bestehende Kontroversen. Konkret beinhaltet das zum<br />

Beispiel die Frage, ob Kunst und Wissenschaft an einer Kunsthochschule<br />

gleichberechtigt sind; oder ob die Hochschule eher für<br />

Traditionen steht oder für Visionen auf Zukünftiges; oder die Frage,<br />

wie die Balance zwischen Ausbildung und Bildung als Kernaufträge<br />

der Hochschule aussehen soll.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Wie hat die Erfahrung der Zukunftskonferenz den<br />

Leitbildprozess insgesamt beeinflusst?<br />

Dennerle Wir haben sehr viele wertvolle Anregungen erhalten, es<br />

wurden nochmals grundlegende Fragen aufgeworfen. Das war für<br />

unseren Prozess sehr wichtig und hilfreich. Diese Impulse haben<br />

wir aufgenommen und die „Neustarttaste“ gedrückt – also unseren<br />

ersten Leitbildentwurf beiseitegelegt und den Prozessverlauf<br />

geändert. Konkret heißt das: Wir haben eine externe Person<br />

gebeten, nach einem ausführlichen Briefing einen neuen zweiten<br />

Textentwurf zu erarbeiten. Dieser wird in den nächsten Wochen<br />

hochschulintern zur Diskussion vorliegen, bevor wir in einer<br />

hochschulweiten Diskussionsveranstaltung am 12. Dezember<br />

dessen kontroverse Kernthemen noch einmal öffentlich erörtern.<br />

Aus diesen Ergebnissen erstellt eine Redaktionsgruppe dann bis<br />

Ende Januar den dritten Leitbildentwurf, an dem in einer abschließenden<br />

Redaktionskonferenz nochmals hochschulöffentlich gefeilt<br />

werden soll, bevor er dann hoffentlich im Februar vom Senat<br />

verabschiedet wird.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Eine Menge Arbeit für einen Text, der erstmal „nur“<br />

eine Verschriftlichung ist.<br />

36<br />

Dennerle Aber eine Verschriftlichung von Überzeugungen und<br />

Anliegen der Menschen, die Teil dieser Hochschule sind. Die Kraft<br />

des Leitbildes steckt in der Gemeinsamkeit der Vision, wie Hochschule<br />

heute funktionieren kann und für morgen gerüstet sein soll.<br />

Doch jenseits des zu beschließenden Textes ist ja während des<br />

Prozesses schon so unglaublich viel passiert: In der Hochschule<br />

herrscht eine faszinierende Mobilität, unterschiedliche Hochschulgruppen<br />

sind miteinander intensiv im Gespräch; zentrale Fragen<br />

und grundlegende Themen, die im Leitbildprozess zur Sprache<br />

gekommen sind, wie z. B. zur künstlerischen Forschung, haben<br />

längst ihren Eingang in die Diskussion in viele Hochschulgremien<br />

gefunden und werden leitbildunabhängig z. B. in Fachbereich 1 und<br />

Fachbereich 3 diskutiert. Und was an Ideen nicht direkt in das<br />

Leitbild einfließt – das Leitbild ist etwas anderes als die Zielvereinbarungen<br />

–, das geht nicht verloren, sondern wird in einem<br />

Themenspeicher gesammelt, der wiederum im allgemeinen<br />

Hochschulentwicklungsprozess Berücksichtigung finden wird. Kurz:<br />

Der Leitbildprozess ist auf großer Ebene eine Initialzündung mit<br />

ganz vielen Folgeeffekten im Kleinen und ein Katalysator, der<br />

Kommunikation in Gang gebracht hat, die auch nach Abschluss des<br />

Prozesses weitergehen wird – zumal ja dann erst die Umsetzung<br />

des Leitbildes ansteht. Insofern kann man durchaus sagen: Schon<br />

der Weg ist das Ziel.<br />

bjh<br />

Leitbildprozess im Endspurt –<br />

wie es weitergeht<br />

Von Oktober bis Mitte November 2013 liegt der von einer<br />

externen Person erstellte und vom Präsidium überarbeitete neue<br />

Leitbildentwurf LB_2 hochschulöffentlich den Fachbereichen, der<br />

Verwaltung und dem AStA zur Diskussion vor. Darüber hinaus<br />

besteht die Möglichkeit der individuellen Bearbeitung des LB_2<br />

für jeden Hochschulangehörigen (per Mail an Sylvia.Dennerle@<br />

hfmdk-frankfurt.de oder über den Blog, der zeitnah auf der<br />

Leitbildunterseite der Hochschulwebsite zu finden ist).<br />

Am 12. Dezember (12 bis 17 Uhr) werden in einer hochschulweiten<br />

Diskussionsveranstaltung der LB_2 auf wenige noch strittige<br />

Kernthemen verdichtet und die bestehenden Kontroversen in den<br />

Foren lösungsorientiert noch einmal (hochschul-)öffentlich erörtert.<br />

Lösungsorientiert kann dabei auch heißen: Dissenz oder Koexistenz<br />

gegenläufiger Bestrebungen und Art des Umgangs damit feststellen.<br />

Aus den Ergebnissen dieser Veranstaltung erstellt eine Redaktionsgruppe<br />

bis Ende Januar 2014 den Leitbildentwurf 3 (LB_3).<br />

Am 5. und 6. Februar 2014 wird LB_3 in einer hochschulöffentlichen<br />

Redaktionskonferenz abschließend diskutiert und<br />

überarbeitet. Auch einzelne Hochschulangehörige haben die<br />

Möglichkeit, bei Bedarf durch die spezielle Wahl der Methodik<br />

(Fishbowl) in die Diskussion einzugreifen.<br />

In einer außerordentlichen Sitzung am 10. Februar soll LB_3<br />

vom Senat verabschiedet werden.


Interdisziplinarität —<br />

aktiv vernetzt handeln<br />

Von Prof. Sibylle Cada<br />

Die Arbeitsgruppe zum Thema „Interdisziplinarität – aktiv vernetzt<br />

handeln“ war – wie einige andere Arbeitsgruppen im Rahmen des<br />

Jubiläums-Symposiums auch – klein aber fein. Vertreten waren<br />

sowohl Studierende als auch haupt- und nebenamtliche Lehrende.<br />

Unsere Expertin war Frau Prof. Dr. Barbara Busch, Professorin für<br />

Musikpädagogik an der Musikhochschule Würzburg, bei der wir uns<br />

an dieser Stelle noch einmal für ihre bereits in der Vorbereitung<br />

ausgesprochen produktive Begleitung bedanken.<br />

STATEMENT<br />

Henrik Rabien,<br />

Professor für Fagott<br />

Ein Schwerpunkt unserer Überlegungen waren die Perspektiven<br />

eines verstärkten interdisziplinären Denkens und Handelns innerhalb<br />

des Hauses im Sinne einer engeren Verbindung künstlerischer<br />

Ausdrucksformen, pädagogischer Praxis und wissenschaftlicher<br />

Erkenntnis. (Nicht nur) die Lehrenden wünschen sich ein „Haus der<br />

offenen Türen“ – und leben dies auch bereits. Eine Reihe von<br />

KollegInnen setzen eigeninitiativ immer wieder auch Kooperations-<br />

Projekte in die Tat um. Sie tun dies aus Interesse und Freude an<br />

einer für alle Beteiligten produktiven Zusammenarbeit. Sie tun dies<br />

allerdings unter Bedingungen, die einem Anwachsen solcher<br />

Initiativen nicht eben förderlich sind. Die TeilnehmerInnen waren<br />

sich daher einig, dass sich diese nur dann in einem wünschenswerten<br />

Umfang etablieren können, wenn innerhalb des Hauses<br />

entsprechende – nicht zuletzt zeitliche sowie ökonomische – Rahmenbedingungen<br />

geschaffen werden. Wünschenswert sei auch,<br />

dass bei Neuberufungen eine ausdrückliche Bereitschaft der<br />

BewerberInnen zu interdisziplinärem Arbeiten erwartet werde.<br />

Das zweite Themenfeld beschäftigte sich mit der Studienstruktur<br />

und ihrer augenblicklichen Ausgestaltung. Selbstverständlich ist<br />

von Studierenden eine eigenständige Integrationsleistung in Bezug<br />

auf die von ihnen zu absolvierenden Fächer zu erwarten. Andererseits<br />

wünschen sie sich dringend weniger „Nebeneinander“ von<br />

Fächern, stattdessen eine inhaltlich und strukturell deutlich engere<br />

Verzahnung von künstlerischen, pädagogischen und wissenschaftlichen<br />

Lehrangeboten. Konkret stellen sie sich zum Beispiel<br />

häufigere Seminarveranstaltungen im Team-Teaching vor. Zum<br />

anderen halten sie es für geboten, die aktuellen Studiengänge im<br />

Sinne nicht nur einer besseren Studierbarkeit, sondern besonders<br />

gerade auch in Richtung einer verstärkten interdisziplinären<br />

Vernetzung zu überarbeiten.<br />

Die AG kam zu diesem Fazit: In das Leitbild der <strong>HfMDK</strong> sollte das<br />

Ideal eines integrierten Lernens und Lehrens Eingang finden.<br />

Das Haus verfügt dafür über ein immenses Potenzial an künstlerischen,<br />

pädagogischen, wissenschaftlichen und damit personellen<br />

Ressourcen. Die Offenheit und Bereitschaft der Lehrenden zu<br />

interdisziplinärem Handeln ist groß. Die Hochschule sollte dies<br />

wertschätzen und strukturell in jeder Hinsicht aktiv unterstützen.<br />

Wie helfen Sie Ihren Studierenden,<br />

sich jenseits des „rein“<br />

Fachlichen auf ihre berufliche<br />

Zukunft vorzubereiten? Welche<br />

weiteren Schlüsselkompetenzen<br />

und Erfahrungswerte<br />

versuchen Sie zu vermitteln?<br />

Es ist schwer, das rein Fachliche<br />

von weiteren Schlüsselkompetenzen<br />

zu trennen: Durch die<br />

enorme Konkurrenz wie durch<br />

die schwieriger gewordenen<br />

kulturellen Verhältnisse sind<br />

Künstler ohnehin gezwungen,<br />

ihre komplexen Fähigkeiten auf<br />

immer neue und geschicktere<br />

Weise zu erlernen und zu<br />

vermitteln. Geduld, Ruhe und<br />

Tiefenwirksamkeit sind dabei<br />

ebenso zentrale Voraussetzungen<br />

wie große geistige<br />

Wachheit, Aufgeschlossenheit<br />

und Flexibilität. Stets gilt es, sich<br />

beim Musizieren, Lernen und<br />

Lehren seiner Botschafterrolle als<br />

Individuum bewusst zu werden,<br />

durch welche man die immensen<br />

geistig-emotionalen Inhalte der<br />

kulturellen Tradition verständlich,<br />

persönlich, wahrhaftig und<br />

berührend auf die Zuhörer<br />

überträgt. Das ist nur möglich<br />

mit hoher persönlicher Anteilnahme<br />

und Identifikation. Nur,<br />

wenn man als Musiker eigene,<br />

zutiefst persönliche Resonanz<br />

empfindet, kann man dies auch<br />

auf die Zuhörer übertragen.<br />

Diese Einstellung kann bereits<br />

winzigste Prinzipien im „rein<br />

fachlichen“ Mikrokosmos des<br />

Übens betreffen, ebenso wie<br />

Phrasen-, Satz- oder Programmgestaltung.<br />

Inwiefern ist die <strong>HfMDK</strong> für<br />

die Zukunft gerüstet?<br />

In der <strong>HfMDK</strong> gibt es bereits<br />

eine Fülle von Ideen, Bewusstsein,<br />

Kollegen und Projekten,<br />

welche die vorhandenen Strukturen<br />

schon in sehr kreativer<br />

Weise mit frischem Leben<br />

und beständiger Selbsterneuerung<br />

füllen. Bei reiner Vergangenheitsreproduktion<br />

wäre die<br />

<strong>HfMDK</strong> schon längst zum<br />

Schlusslicht unter den Musikhochschulen<br />

geschrumpft.<br />

Die Hochschule kann sich dem<br />

permanenten Selbsterneuerungszwang<br />

ohnehin nicht entziehen.<br />

Sie muss dabei „wache<br />

Antennen“ für die vielen fragilen<br />

Gleichgewichte in der künstlerischen<br />

Ausbildung haben:<br />

zwischen Erneuerung und<br />

Werte-Vermittlung (statt<br />

Werte-Erosion), zwischen<br />

äußerer und innerer Erneuerung,<br />

zwischen Ruhe für fundierte<br />

Reifeprozesse und vitaler<br />

Flexibilität.<br />

37


F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />

Nora Dhom<br />

Sommer 2013 —<br />

Meisterkurse, Workshops und Summerschools<br />

Die Gesellschaft der Freunde und Förderer unterstützte Studierende finanziell<br />

Für die Teilnahme an Meisterkursen, Workshops und Summerschools<br />

stellten die Freunde und Förderer der Hochschule für Musik<br />

und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main im Sommer 5.000 Euro<br />

zur Verfügung. 15 Studierende, von der Jungstudentin über die<br />

Schulmusikerin bis zum Masterstudierenden, bewarben sich<br />

erfolgreich und erhielten Stipendien zwischen 200 und 500 Euro.<br />

Die begeisterten Rückmeldungen der Studierenden sprechen für<br />

sich, vier davon zitieren wir hier beispielhaft:<br />

Anne-Luise Kramb, Jungstudentin in der<br />

Violinklasse von Prof. Susanne Stoodt, berichtete von ihrem<br />

Meisterkurs im Rahmen der Musiktage der Olympiaregion Seefeld<br />

und ihrem dortigen Unterricht bei Geiger Rudens Turku, ehemaliger<br />

Schüler von Prof. Ana Chumachenco: „Frau Chumachenco war es<br />

auch, die mich im Rahmen der Meisterkurse an der Kronberg<br />

Academy auf den Meisterkurs in Seefeld aufmerksam machte und<br />

mir Herrn Prof. Turku sehr empfahl. Und sie hatte keineswegs<br />

übertrieben: Herr Turku macht einen sehr lebendigen und anschaulichen<br />

Unterricht auf sehr hohem Niveau, der neben der Vermittlung<br />

technischer Grundlagen primär das Ziel hat, die Freude an der<br />

Musik nahezubringen. Vielleicht beschreibt sich Rudens Turku<br />

selbst am besten mit folgendem Zitat: ‚Musik ist nicht nur die<br />

Aneinanderreihung von Noten, sondern auch eine Sprache der<br />

Seele, die Verständnis ohne Worte ermöglicht. Auf diese Weise<br />

schenkt Musik Hoffnung und verbindet Menschen miteinander, in<br />

guten wie in schlechten Zeiten.‘ Es hat mich sehr beeindruckt, wie<br />

scheinbar selbstverständlich jeder Fingersatz oder jeder Bogenstrich<br />

von Rudens Turku vorgespielt und begründet wurde, und man<br />

empfand es hinterher so, als könne es gar nicht anders sein. Und<br />

immer verrieten sein Gesicht und sein gesamter Ausdruck Freude<br />

und größte Zufriedenheit, die sich schon nach kurzer Zeit auf seine<br />

Schüler übertragen mussten. Insgesamt erwies sich der Kurs als<br />

sehr lohnend, anregend und fruchtbar! Da auch viele Gleichaltrige<br />

neben vor allem jüngeren Schülern an den Kursen teilnahmen,<br />

haben sich einige Bekanntschaften ergeben, so dass mich der Kurs<br />

nicht nur musikalisch, sondern auch persönlich bereichert hat.“<br />

Nora Dhom, Blockflötistin im Studium der Historischen<br />

Interpretationspraxis in der Klasse von Prof. Michael Schneider,<br />

bekundete ihre Begeisterung über ihre Teilnahme am Meisterkurs<br />

für historische Interpretations- und Aufführungspraxis, „XLV Corsi<br />

di Musica Antica della FIMA“, in Urbino, Italien, in ein paar Zeilen<br />

auf einer Postkarte von dort: „Der Kurs mit Michael Form und Han<br />

Tol ist wirklich unglaublich gut, und ich habe jetzt schon so viel<br />

Neues, an dem ich zuhause weiterarbeiten kann, dass es beinahe<br />

schon zu viel ist. Beide wissen so unglaublich viel, es ist sehr<br />

beeindruckend. Die Zeit hier wird mir auf jeden Fall im Gedächtnis<br />

bleiben und mein Lernen in den nächsten Semestern beeinflussen.“<br />

Leana Alkema studiert an der <strong>HfMDK</strong> Violoncello bei<br />

László Fenyõ und berichtet von ihrer Teilnahme am Crescendo<br />

Summer Institute Hungary in Sarospatak: „Während dieser zwei<br />

Wochen habe ich sowohl Einzelunterricht als auch Kammermusik-<br />

Unterricht bekommen. Da ‚Crescendo‘ mehr als Musik ist, haben<br />

wir auch Gottesdienste gefeiert und zusammen über Themen des<br />

Lebens gesprochen. Die Atmosphäre dieses Festivals ist sehr<br />

besonders, und viele Teilnehmer gingen ermutigt nach Hause. Mit<br />

vollem Herzen bin ich nach <strong>Frankfurt</strong> zurück gekommen.“<br />

Julia Huk, Schulmusikstudentin mit Hauptfach Klarinette,<br />

schildert Eindrücke ihres fünftägigen Klezmer-Workshops mit dem<br />

Klarinettisten Giora Feidman und dem Bandoneonisten Raul Jarena<br />

in Mainz: „Was genau in dieser Zeit mit uns passiert ist, lässt sich<br />

in Worten kaum fassen. Es war eine eindrucksvolle Zeit, die auch<br />

nicht immer leicht war. Die vielen bewegenden Eindrücke und der<br />

straffe Zeitplan von morgens um 9:30 Uhr bis abends um 23 Uhr<br />

oder sogar 0.30 Uhr mit einer Stunde Mittagspause haben einige<br />

der Teilnehmer bis an ihre Belastungsgrenze gebracht. Doch wurde<br />

in diesem Workshop viel Erfahrung gesammelt, die einem nicht<br />

mehr genommen werden kann, und ich wollte keine einzige davon<br />

missen. Giora Feidman hat eine unerschütterliche Lebensphilosophie,<br />

die den Workshop und die Teilnehmer erfüllt hat. ‚Wenn ihr<br />

spielt, dürft ihr nicht mit eurem Instrument spielen, ihre müsst eure<br />

Seele singen lassen!‘“<br />

38


Anne-Luise Kramb im Unterricht bei Geiger Rudens Turku.<br />

DER KICK —<br />

ein Schauspielprojekt<br />

der <strong>HfMDK</strong> startet ins Crowdfunding<br />

Die <strong>HfMDK</strong> bewirbt sich im Förderprogramm<br />

kulturMut der Aventis Foundation um 16.000 Euro.<br />

Das Besondere: Sie, unsere Leser, können unsere<br />

Bewerbung tatkräftig unterstützen!<br />

Es ist ganz einfach: Gehen Sie auf startnext.de/<br />

der-kick und werden Sie Fan, werden Sie Unterstützer!<br />

Und empfehlen Sie unser Projekt in Ihren<br />

Netzwerken weiter! Die Finanzierungsphase läuft vom<br />

14. Oktober bis 21. November. In diesem Zeitraum<br />

entscheidet sich, ob wir „Der Kick“ im vollen Umfang<br />

und unter besten Bedingungen realisieren können.<br />

Schenken Sie uns Ihre Neugier und einen Klick auf<br />

www.startnext.de/der-kick.<br />

Leana Alkema (rechts) im Kammermusik-Unterricht beim „Crescendo<br />

Summer Institute Hungary“.<br />

Worum geht’s? Der 3. Jahrgang Schauspiel der<br />

<strong>HfMDK</strong>, acht Studierende, probt derzeit „Der Kick“<br />

von Andres Veiel. „Der Kick“ ist ein modernes<br />

Doku-Drama mit einem stark zeit- und gesellschaftskritischen<br />

Bezug. Das Stück besteht ausschließlich<br />

aus Original-Interviews mit mittelbar und unmittelbar<br />

Beteiligten an einer Gewalttat, die vor einigen Jahren<br />

in einer ostdeutschen Kleinstadt passierte. Wie<br />

konnte es dazu kommen? Was trieb die Täter? War<br />

die Katastrophe absehbar? Und was hat das mit uns<br />

zu tun?<br />

Die Studierenden nähern sich durch eine im psychologisch-realistischen<br />

Ausdruck reduzierte und<br />

vorrangig formale Spielweise diesem schwierigen<br />

Themenkomplex: Jugendgewalt, Jugendarmut,<br />

Verwahrlosung. Das Projekt ist spielerisch und<br />

technisch sehr aufwändig; es hat eine intensive<br />

Probenphase und braucht besondere Bühnen- und<br />

Spielelemente sowie eine spezielle Licht- und<br />

Raumtechnik. Sechsmal wird es im Januar 2014 im<br />

Theater Willy Praml in den Naxoshallen gespielt.<br />

Julia Huk mit Raul Jarena (links) und Giora Feidman.<br />

Theater reflektiert und spiegelt in diesem Fall explizit<br />

die Gegenwart und wird dadurch greifbarer, sinnlicher<br />

und – im besten Sinne – gefährlicher.<br />

39


Über 80 Bläser kreuzten<br />

bei den „Maritime<br />

Rites“ den Holbeinsteg<br />

über dem Main.<br />

Die Dr. Marschner<br />

Stiftung hatte dieses<br />

ehrgeizige Hochschulprojekt<br />

maßgeblich<br />

gefördert.<br />

„Die Hochschule zu unterstützen, lohnt sich immer“<br />

Interview mit Peter Gatzemeier, dem Stiftungsvorstand der Dr. Marschner Stiftung,<br />

die Projekte der Hochschule maßgeblich fördert.<br />

Bereits im vierten Jahr unterstützt die Dr. Marschner Stiftung<br />

ausgesuchte musikalische Großprojekte der Hochschule mit<br />

wesentlichen Förderbeträgen. Mit den „Maritime Rites“ mit<br />

über 80 Bläsern am <strong>Frankfurt</strong>er Mainufer, den Musiktheater-<br />

Fragmenten „Mond.Finsternis.Asphalt“ im Bockenheimer Depot<br />

sowie den „Farben der Frühe“ mit sieben Flügeln im Großen<br />

Saal der Hochschule hat die Stiftung vor allem zeitgenössische<br />

Vorhaben gefördert. Dem Engagement des Stiftungsvorstands<br />

der Dr. Marschner Stiftung, Peter Gatzemeier, ist es zu verdanken,<br />

dass auch die Max von Grunelius-Stiftung und die Aventis<br />

Foundation zu wichtigen Förderern der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am<br />

Main geworden sind. In gleichen Anteilen ermöglichen alle drei<br />

Stiftungen die erste Stiftungsprofessur der Hochschule, die seit<br />

dem Sommersemester 2013 mit dem Cellisten Lucas Fels für<br />

„Interpretatorische Praxis und Vermittlung Neue Musik“ auf die<br />

Dauer von zunächst drei Jahren besetzt ist. <strong>Frankfurt</strong> in Takt<br />

sprach mit dem <strong>Frankfurt</strong>er Rechtsanwalt Peter Gatzemeier<br />

über die wichtigen Stiftungsaktivitäten, deren Motivation und<br />

seine Erfahrungen mit der Hochschule als Förderpartner.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Mit der finanziellen Hilfe Ihrer Stiftung musizierten<br />

im Mai 2010 80 Bläser am Ufer des Mains und traten dabei mit<br />

Signalhörnern und Elektronik von Schiffen in einen skurrilen<br />

musikalischen Dialog. Sie haben Mut bewiesen, ein dermaßen<br />

ausgefallenes Spektakel zu unterstützen.<br />

Peter Gatzemeier Ich fand es phänomenal, wie die Masse an Bläsern<br />

musizierend über den Holbeinsteg marschierte und dann am<br />

Mainufer Position bezog. Wir haben diese außergewöhnliche<br />

musikalische Performance der Hochschule unter der Gesamtleitung<br />

des Komponisten Alvin Curran gern unterstützt, aber das inhaltliche<br />

Konzept nicht selbst beeinflusst. Wenn sich die Dr. Marschner<br />

Stiftung zu einer Förderung entschließt, tut sie dies im Vertrauen<br />

auf die Zuverlässigkeit ihres jeweiligen Partners wie etwa der<br />

Hochschule. Bei aller Experimentierfreudigkeit innerhalb der<br />

Projekte mit Neuer Musik kann ich aber bestätigen, dass uns die<br />

Hochschule künstlerisch noch nie enttäuscht hat.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Was liegt der Dr. Marschner Stiftung daran, die<br />

Hochschule zu unterstützen?<br />

Peter Gatzemeier Die Hochschule ist eine der wesentlichen Kulturträger<br />

in der Stadt und eine Ausbildungsstätte auf hohem Niveau,<br />

die aus dem kulturellen Leben in <strong>Frankfurt</strong> nicht mehr wegzudenken<br />

ist – dort verbinden sich Ausbildung und Kunst beispielhaft und<br />

vorbildlich. Der Stiftungsgedanke von Dr. Jürgen Marschner sieht<br />

vor, mildtätige, kulturelle und wissenschaftliche Aktivitäten zu<br />

unterstützen, die sich auf den Raum <strong>Frankfurt</strong> und Offenbach<br />

beschränken. Mit unserer Unterstützung wollen wir den Studierenden<br />

Möglichkeiten bieten, sich in von uns geförderten Projekten<br />

auszuprobieren, mutig zu experimentieren, damit sie auch nach<br />

ihrem Hochschulstudium mutige Künstler sind, die sich ganz im<br />

Sinne der künstlerischen Freiheit in die Gesellschaft einbringen.<br />

40


F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Wer war Dr. Jürgen Marschner?<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Stoßen Sie als Stiftung auch auf Widerstände?<br />

Peter Gatzemeier Zusammen mit seiner Mutter Charlotte Marschner<br />

war er Hauptgesellschafter des traditionsreichen Kaufhauses<br />

M. Schneider auf der <strong>Frankfurt</strong>er Zeil und dem weiterhin bestehenden<br />

Kaufhaus M. Schneider in Offenbach. Die jahrzehntelange<br />

Verbundenheit der Kaufhäuser M. Schneider in <strong>Frankfurt</strong> und<br />

Offenbach wird der Grund dafür gewesen sein, dass Jürgen<br />

Marschner mit einem erheblichen Teil seines Vermögens von Todes<br />

wegen die Dr. Marschner Stiftung gründete, um das gesellschaftliche<br />

Leben in beiden Städten zu bereichern. Im Jahr 2004 ist<br />

Dr. Marschner im Alter von nur 65 Jahren verstorben. Mittlerweile<br />

fördert die Stiftung jährlich 60 bis 70 Projekte mit einem Volumen<br />

von rund einer Million Euro jährlich.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Und die Hochschule hat sich gleichsam zu einem<br />

dauerhaften Förderpartner Ihrer Stiftung entwickelt.<br />

Peter Gatzemeier Es gibt auf jeden Fall Menschen, die sich wünschen,<br />

dass der Einsatz von Stiftungsmitteln einer stärkeren<br />

staatlichen Kontrolle unterliegt. Doch dabei verkennen Kritiker, dass<br />

es sich bei Stiftungsvermögen um rein privates Vermögen handelt,<br />

über das die dafür Verantwortlichen autonom und unabhängig<br />

entscheiden können – jedenfalls im Rahmen der Stiftungssatzung.<br />

Ich bin davon überzeugt, dass Stiftungen öffentliche Mittel nicht<br />

ersetzen können und sollen – sie entlassen den Staat also nicht aus<br />

seinen Pflichten, beispielsweise die finanzielle Grundsicherung einer<br />

Hochschule zu gewährleisten. Stiftungen sind nach meinem<br />

Selbstverständnis eher dazu da, das Leben zu bereichern, also<br />

Vorhaben zu fördern, die man als „nice to have“ umschreiben<br />

könnte.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Wie laufen in Ihrer Stiftung die Entscheidungswege?<br />

Peter Gatzemeier Ja. Wir schätzen die offene und verbindliche Art<br />

sowie die Zuverlässigkeit, die wir im Miteinander mit dem Hochschulpräsidenten<br />

Thomas Rietschel, der Fundraising-Abteilung mit<br />

Beate Eichenberg und Heinke Poulsen sowie den Künstlern der<br />

Hochschule erlebt haben.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Mit der Einrichtung der Stiftungsprofessur hat sich<br />

Ihre Förderaktivität gegenüber unserer Hochschule noch einmal<br />

wesentlich intensiviert.<br />

Peter Gatzemeier Die Stiftungsprofessur fußt ja auf drei Säulen –<br />

durch stiftungsbedingte Bekanntschaften konnte ich zwei weitere<br />

Partner gewinnen: Eugen Müller als Geschäftsführender Vorstand<br />

der Aventis Foundation signalisierte nach meiner ersten Anfrage<br />

gleich Interesse an einer Beteiligung, und auch bei der Ernst Max<br />

von Grunelius-Stiftung bedurfte es keiner langwierigen Überzeugungsarbeit,<br />

sie für die Stiftungsprofessur zu interessieren. Auf<br />

dieser Basis haben wir schließlich einen Vertrag zwischen Förderern<br />

und Geförderten aufgesetzt, der ein überschaubares juristisches<br />

Gebilde darstellt, sich aber inhaltlich nicht in Fragen der Umsetzung<br />

einmischt. Wir wollen als Stiftungen nur die Förderzusagen erfüllen<br />

– selbstlos, gemeinnützig und unpolitisch.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Sie haben sich also auch nicht am Berufungsverfahren<br />

für die Stiftungsprofessur beteiligt?<br />

Peter Gatzemeier Der Stiftungsvorstand und sein Beirat tagen<br />

einmal im Quartal, um über rund 200 Anträge jährlich zu beraten.<br />

Über meinen Schreibtisch laufen alle Anfragen, die sich auf den<br />

Raum <strong>Frankfurt</strong> beziehen, während sich Wolfgang Rawer, der<br />

weitere Stiftungsvorstand, um Anträge aus Offenbach kümmert.<br />

Wir beide stellen die Förderprojekte auf den Sitzungen dem Beirat<br />

vor.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Mit der Stiftungsprofessur ist die Zusammenarbeit<br />

der Dr. Marschner Stiftung zumindest für die Dauer von weiteren drei<br />

Jahren garantiert. Wird es darüber hinaus eine weitere Zusammenarbeit<br />

geben?<br />

Peter Gatzemeier Wir sind immer für Projekte der Hochschule offen.<br />

Sie und ihre jungen Künstler zu fördern, lohnt sich erfahrungsgemäß<br />

immer. Die Hochschule und ihre Menschen wirken vor allem<br />

deshalb so sympathisch, weil dort alle mit enorm viel Herzblut bei<br />

der Sache sind. bjh<br />

Peter Gatzemeier (links) ist<br />

Stiftungsvorstand der<br />

Dr. Marschner Stiftung,<br />

Lucas Fels (rechts) erster<br />

Stiftungsprofessor der <strong>HfMDK</strong>.<br />

Peter Gatzemeier Nein, das haben wir voll und ganz den Experten<br />

der Hochschule überlassen. Aber ich kann bestätigen, dass die<br />

Hochschule mit dem Cellisten Lucas Fels eine hervorragende Wahl<br />

getroffen hat. Als ein Vordenker, der junge Künstler an Neue Musik<br />

heranführen möchte, ist der neue Professor ein ungemein sympathischer<br />

Typ mit einem bewegten Leben – zielgerichtet ehrgeizig,<br />

aber stets dem treu geblieben, was ihm seit Jahrzehnten an seiner<br />

Arbeit wichtig ist.<br />

41


F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />

Die Hochschule als Einfallstor für die Kunst von morgen<br />

Ein Rückblick auf die Festwoche zum 75 jährigen Bestehen der<br />

<strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

Das Hochschuljubiläum endete, wie es begonnen hatte – würdevoll<br />

und auf künstlerisch hohem Niveau. Die Feierlichkeiten zum<br />

75-jährigen Bestehen der Staatlichen Hochschule für Musik, heute<br />

Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main,<br />

waren facettenreich in der Art, des Gründungsdatums zu gedenken<br />

– mit historischer Perspektive auf Gewachsenes, mit einer aktionsreichen<br />

„Bestandsaufnahme“ dessen, was die Hochschule heute ist,<br />

und immer wieder mit der Perspektive auf die Veränderbarkeit ihrer<br />

Strukturen und zugleich der beruflichen Zukunft ihrer Absolventen.<br />

Die feierliche Mischung aus akademischer Rückschau, künstlerischer<br />

Reflexion und wissenschaftlicher Analyse im Gewand einer<br />

ganzen Festwoche wirkte schlüssig und echt.<br />

Mit authentischer Offenheit ging die Hochschule dabei mit den<br />

tiefen Schatten ihrer Gründungszeit um: Thomas Rietschel verlas zu<br />

Beginn des Festaktes im Großen Saal die Namen jener 14 Lehrenden,<br />

die im Gründungsjahr 1938 in nationalsozialistischer<br />

Verblendung und aus antisemitischer Motivation aus dem Haus<br />

gejagt worden waren – eine Geste, die bedeutsam schien und eine<br />

große Nachdenklichkeit hinterließ.<br />

In Anwesenheit vieler geladener Gäste – allen voran Eva Kühne-<br />

Hörmann, der Hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst<br />

– nutzte Thomas Rietschel seine Begrüßung als flammendes<br />

Plädoyer für seine Vision von Hochschule und künstlerischer<br />

Ausbildung für die nächsten Jahre: „Wir wollen schöpferische<br />

Persönlichkeiten ausbilden, die kreativ, eigenständig und mutig<br />

genug sind, eigene Wege zu gehen.“ Rietschel führte aus, wie<br />

vernetzt und kommunikativ die Hochschule dank vieler Kooperationen<br />

geworden sei, und schloss daraus konsequent: „Ohne diesen<br />

Geist der Kooperation wäre auch das große Zukunftsvorhaben<br />

unserer Hochschule nicht denkbar: der Kulturcampus am Bockenheimer<br />

Depot. Er ist ja viel viel mehr, als dass es hier nur darum<br />

geht, die Raumnot zu lindern, unter der wir täglich zu leiden haben.<br />

Der Kulturcampus ist die Vision für eine Struktur, in der eine<br />

zukunftsweisende künstlerische Ausbildung stattfinden kann.“ An<br />

die Stadt <strong>Frankfurt</strong> richtete er den Appell, den Kulturcampus als<br />

große Chance zu begreifen: „Ich vermisse im politischen Feld die<br />

leidenschaftlichen Kämpfer für dieses Thema – die ja <strong>Frankfurt</strong> mal<br />

hatte. Unterstützung in der Bürgerschaft für den Kulturcampus gibt<br />

es genug.“<br />

Festredner Heiner Goebbels, selbst Absolvent der <strong>HfMDK</strong> und heute<br />

als Gießener Professor für Angewandte Theaterwissenschaft<br />

zugleich Präsident der Hessischen Theaterakademie, formulierte<br />

seine Ideen einer „Ausbildung für eine Ästhetik, von der wir noch<br />

nicht wissen, wie sie aussehen wird“. Künstlerisches Handeln sei,<br />

den Philosophen Dieter Henrich zitierend, in seinem Verständnis<br />

„kein passives Aufnehmen von Weltgehalten, sondern aktive<br />

Aufmerksamkeit, bei der die Unmittelbarkeit, mit der wir uns die<br />

Welt aneignen, unterbrochen wird.“ Für diesen Kunstbegriff stehe<br />

partiell die „Neue Musik“, was Goebbels zum Anlass nahm, eine<br />

zukunftsweisende Ausbildung an ihr und dem Bereich der Komposition<br />

zu exemplifizieren: „Lassen Sie uns eine Hochschule denken,<br />

wie diese sympathische Hochschule mit dem unaussprechlichen<br />

Namen, die im Zentrum eine starke und stark nach innen wie nach<br />

außen ausstrahlende Abteilung für Komposition hat. Mit 3, 4, ach<br />

was sag ich, 5 Professuren – mit sehr offenen Ansätzen unterschiedlichster<br />

Provenienz: Medienkunst, Musiktheater, Elektronische<br />

Musik, Concept Scores, Interdisziplinäre Performative<br />

Formate – experimentell, international und unakademisch, mit<br />

ebenso internationalen, und natürlich cool aussehenden Studenten<br />

– vielleicht vom Städel abgewandert, weil sie hier mit Musikern,<br />

Tänzern, Schauspielern, Performern, Sängern, Dirigenten oder<br />

Maschinen an einem zeitgenössischen Kunstbegriff arbeiten<br />

können, bei dem Komposition sehr weit verstanden wird.“ So könne<br />

das Fach Komposition eine „Schlüsseldisziplin“ und ein „Einfallstor“<br />

42


Musikalisch umrahmten<br />

Studierende und<br />

Lehrende der<br />

Hochschule den Festakt<br />

im Großen Saal, unter<br />

anderem mit einer<br />

Komposition von<br />

<strong>HfMDK</strong>-Professor Ernst<br />

August Klötzke.<br />

Eine Momentaufnahme<br />

aus der ersten Reihe<br />

des Festakts (von links):<br />

Staatsministerin a.D.<br />

Ruth Wagner,<br />

<strong>HfMDK</strong>-Kanzlerin<br />

Angelika Gartner und<br />

Festredner Heiner<br />

Goebbels, Präsident<br />

der Hessischen<br />

Theaterakademie und<br />

Alumnus der Hochschule.<br />

43


Eva Kühne-Hörmann, die Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst –<br />

oben im Gespräch mit dem Vorsitzenden der Gesellschaft der Freunde<br />

und Förderer, Prof. Dr. Clemens Börsig, darunter im Gespräch mit Hochschulpräsident<br />

Thomas Rietschel, nahm am Festakt der <strong>HfMDK</strong> teil.<br />

sein für „aktuelles Nachdenken über das, was in Musik und<br />

darstellender Kunst im weitesten Sinne möglich sein kann... Daraus<br />

kann die Polyphonie eines Theaterbegriffs für das 21. Jahrhundert<br />

entstehen, der die Verhältnisse zwischen den Disziplinen und<br />

Abteilungen zum Tanzen bringt.“<br />

Minutiöse Vorplanungen und eine hohe Teilnahmebereitschaft von<br />

Studierenden und Lehrenden garantierten mit der abschließenden<br />

Hochschulnacht eine dichte Abfolge von Aufführungen und<br />

Präsentationen aller an der Hochschule vorhandenen Disziplinen.<br />

An neun Spielstätten im Hochschulgebäude verteilt boten 200<br />

Künstler einen Querschnitt durch das künstlerische Spektrum der<br />

Ausbildung. Ein über 20 Mitarbeiter starkes Team unter der<br />

künstlerischen Leitung von Prof. Angelika Merkle und der logistischen<br />

Verantwortung von Daniela Kabs vom Künstlerischen<br />

Betriebsbüro sorgten dafür, dass die 800 Gäste der Hochschulnacht<br />

ihre Mühe hatten, im Strudel der abendlichen Angebote<br />

nichts zu verpassen. Das Motto des Abends machte seiner<br />

Bedeutung alle Ehre: die „Unfassbare Romantik“ an diesem Abend<br />

blieb für jeden Besucher eine Herausforderung, sich das für ihn<br />

(zeitlich) Fassbare herauszusuchen. Doch die Hochschulnacht war<br />

mehr als ein geschäftiges Hin und Her zwischen Ballettsaal und<br />

Konzertsaal, Opernstudio und Schauspielbühne: Das in ein buntes<br />

Lichtermeer getauchte Foyer wurde an diesem Abend auch zum Ort<br />

vieler Gespräche und Begegnungen bei einem Glas echtem<br />

Hochschulwein.<br />

Ein hochkarätiges Benefizkonzert (Foto oben) bereicherte die Jubiläumswoche.<br />

Ruth Wagner, die Hessische Staatsministerin für Wissenschaft<br />

und Kunst a.D., würdigt das künstlerische Programm, das unter dem Titel<br />

„Erhabene Trümmer“ im Großen Saal der Hochschule stattfand:<br />

„Der Dank der ehemaligen Studenten der Hochschule, Udo Samel und<br />

Christoph Prégardien, sowie Michael Gees, als Hommage an<br />

J. W. v. Goethe, die Romantik und ihre Hochschule, war für uns Zuhörer<br />

und Zuschauer eine Begeisterung für die Künste, welche die Hochschule<br />

für Musik und Darstellende Kunst seit 75 Jahren vermittelt. Daran<br />

weiter mitzuwirken ist für mich und für viele Kunstliebhaber in der<br />

Rhein-Main-Region selbstgewählte Pflicht.“<br />

44


The Revolutionary New<br />

THE PASSION. THE PIANOS.<br />

THE REVOLUTION.<br />

Vor fast einem halben Jahrhundert haben wir mit dem ersten<br />

Flügel der C-Serie Geschichte geschrieben. Jetzt ist es Zeit für eine<br />

neue Revolution.<br />

19 Jahre lang haben unsere besten Klavierbauer ihr Wissen<br />

vereint, um gemeinsam mit Spitzenpianisten aus aller Welt einen<br />

einzigartigen Konzertflügel zu erschaffen, den CFX. Zum 125.<br />

Jubiläum unseres Unternehmens entstand mit dieser Expertise eine<br />

neue Serie atemberaubender Pianos. Yamaha präsentiert die CX-<br />

Serie. Die Exzellenz des CFX für Ihr Zuhause.<br />

Mit ihrem innovativen Resonanzboden und seiner perfekten<br />

Wölbung hat die CX-Serie die besten Eigenschaften ihres<br />

legendären Vorbilds geerbt. Die erstklassigen Saiten sowie der<br />

auserlesene Filz der Hämmer stammen aus deutscher Produktion.<br />

Entdecken Sie die Verbindung von Tradition und Innovation. Die<br />

Vereinigung von brillantem Klang und erstklassigem Spielgefühl.<br />

Leidenschaftlich. Inspirierend. Exzellent. Die Revolution beginnt bei<br />

ihrem Yamaha-Klavierhändler oder auf yamaha.de.<br />

“Die Yamaha Piano & Flügel Abteilung gratuliert der Hochschule<br />

für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> zum 75-jährigen<br />

Bestehen.”<br />

facebook.com/YamahaPianoGermany<br />

Follow us on Twitter / YamahaPianosEU<br />

45


F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />

Inspiration hinter Klostermauern<br />

Künstler der Hochschule waren mit Kammerkonzerten und einem inszenierten<br />

Oratorium erneut zu Gast beim Rheingau Musik Festival im Kloster Eberbach<br />

Als die Künstler der Hochschule zur Generalprobe in Kloster<br />

Eberbach einliefen, war mit allen Sinnen zu spüren, wie sie sich<br />

vom Ambiente der prominentesten Spielstätte des Rheingau<br />

Musik Festivals einfangen ließen. Der merkliche Respekt, den<br />

sie den mittelalterlichen Gemäuern mit ihren Jahrhunderte alten<br />

Geschichten, die sie zu erzählen schienen, entgegen brachten,<br />

bewies: Die Atmosphäre von Aufführungsorten inspiriert künstlerisches<br />

Schaffen ungemein.<br />

Die Voraussetzungen für ein erneutes Gastspiel der <strong>HfMDK</strong> beim<br />

renommiertesten Musikfestival der Region waren günstig: Mit der<br />

Deutsche Bank Stiftung als Partner, die – wie vor zwei Jahren – die<br />

Hochschulproduktion im Rheingau finanziell ermöglichte und im<br />

Gegenzug den Premierenabend für ihre geladenen Gäste vorhielt,<br />

konnte sich das Ensemble von Sängern und Instrumentalisten eines<br />

wohlwollenden und begeisterungsfähigen Premierenpublikums<br />

gewiss sein. Die Deutsche Bank Stiftung nahm den Abend mit<br />

mehreren Kurzkonzerten und einer abendfüllenden Oratorium-Inszenierung<br />

erneut zum Anlass, ihren Kunden und Mitarbeitern einen erlesenen<br />

Kunstgenuss zu bieten, der, flankiert von aufmerksamer<br />

Bewirtung, exklusiven Charakter hatte.<br />

Das „Bone Appetit Trombone<br />

Ensemble“ gehörte zu den<br />

Ensembles, die im Vorfeld des<br />

Oratoriums Konzerte in<br />

verschiedenen Räumen des<br />

mittelalterlichen Klosters gaben<br />

– hier im Bild im Hospitalkeller,<br />

flankiert von uralten Weinfässern.<br />

Professionelles Produktionsteam<br />

Das Produktionsteam der Hochschule konnte auf seine Erfahrungen<br />

des letzten Gastspiels im Rheingau vor zwei Jahren aufbauen:<br />

Dirigent Michael Schneider, Leiter der Abteilung Historische<br />

Interpretationspraxis an der <strong>HfMDK</strong>, hatte mit Alessandro Scarlattis<br />

„La Colpa, Il Pentimento, La Grazia“ ein barockes Oratorium für die<br />

Basilika des Klosters auserkoren, das den Regisseur Nils Cooper,<br />

selbst einstiger Gesangsstudent der <strong>HfMDK</strong> und zum zweiten Mal<br />

als Regisseur im Rheingau, vor die Herausforderung stellte, ein<br />

Werk ohne stringente Handlung zu inszenieren: Die Gesangssolistinnen<br />

Kateryna Kasper (La Colpa), Jana Baumeister (La Grazia)<br />

und Stine Fischer (Il Pentimento) als die allegorischen Verkörperungen<br />

von Schuld, Gnade und Reue ließen sich mit fesselnder<br />

Eindringlichkeit auf die intensiv inszenierte Verflechtung der Figuren<br />

ein, während sie unter akustisch anspruchsvollen Bedingungen den<br />

Kontakt zum Orchester hielten. Das wiederum garantierte auf<br />

historischen Instrumenten und mit exponierter Aufstellung von<br />

Blechbläsern in den Seitenschiffen ein stets transparentes Klangfundament.<br />

Zudem hatte Nils Cooper sieben Sänger eines Kammerchores<br />

der Hochschule als zunächst stumme Darsteller hinzu<br />

inszeniert, die symbolstark das menschliche Ringen um Schuld und<br />

Reue, das schließlich in der Gnadengewissheit des Gläubigen<br />

aufgehen kann, veranschaulichten. Flankierende Textrezitationen<br />

durch Sprecher Josia Krug und geradezu akrobatische Verdichtungen<br />

durch Tänzer Albi Gjikaj verstärkten diese Eindrücke. Irina<br />

Bartels, die für die Ausstattung verantwortlich zeichnete, hatte die<br />

drei Hauptdarstellerinnen zu exzentrisch verwegenen Charakteren<br />

stilisiert, die sich in schillernd grellen Farben von der kostümisch<br />

angedeuteten Nacktheit der „Menschen“ (die Sänger des Kammer-<br />

46


Jana Baumeister,<br />

Kateryna Kasper und<br />

Stine Fischer spielten<br />

die Hauptrollen in<br />

Scarlattis Oratorium,<br />

das die Hochschule in<br />

der Basilika auf eine<br />

eigens dafür installierte<br />

Bühne brachte.<br />

MetamorphoseN ALLerorts<br />

Schließlich galt es, für einen reibungslosen Gesamtablauf im<br />

Verbund mit mehreren Vorkonzerten auf dem Klostergelände an<br />

beiden Aufführungstagen zu sorgen. Die zehn Posaunisten des<br />

„Bone Appetit Trombone Ensemble“ platzierten ihre scharfkantig<br />

geschliffenen Bläserarrangements zwischen uralten Weinfässern im<br />

Hospitalkeller; die Kammermusiker Lukas Sieber, Sarah Hiller,<br />

Kathrin Lösch und Melanie Bähr musizierten Variationen dort, wo<br />

vor Jahrhunderten die Mönche zu nächtigen pflegten, und das<br />

Ensemble „l`autre mOnde“ wagte einen epochalen Brückenschlag,<br />

als es auf historischem Instrumentarium ein Werk von Kompositionsstudent<br />

Paul Schäffer interpretierte. Die im Programm angekündigten<br />

„Metamorphosen“ fanden also gleich auf mehreren Ebenen<br />

statt. Zwischen Wandelkonzerten und der abendlichen Inszenierung<br />

sorgten zudem weitere Spontanauftritte der Musiker im Klosterinnenhof<br />

für ungeplant kommunikative Momente zwischen Künstlern<br />

und Publikum.<br />

chors) absetzten. Sie führten schließlich den 80 köpfigen Laienchor<br />

an, der Scarlattis Schlussgesang schlicht, aber feierlich im<br />

zigfachen Kerzenschein vor und neben der Bühne anstimmte.<br />

Kraftakt auf mehreren Ebenen<br />

Dass Nils Cooper mit dem Technikteam unter der Leitung von<br />

Matthias Rößler erst in der Nacht vor der Premiere alle Lichtstimmungen<br />

final festlegen konnte, gehörte ebenfalls zu den kräftezehrenden<br />

Herausforderungen wie die Aufgabe des Technikerteams,<br />

in der Vorbereitung einen Altarraum in eine weithin wahrnehmbare<br />

Opern- bzw. Oratorienbühne zu verwandeln. Die Feinheiten des<br />

Zusammenspiels auf allen Ebenen koordinierten Produktionsleiterin<br />

Daniela Kabs und ihr Team vom Künstlerischen Betriebsbüro der<br />

<strong>HfMDK</strong> in enger Absprache mit einer gleichermaßen professionell<br />

arbeitenden Festivalorganisation.<br />

Welche Eindrücke des zweiten groß dimensionierten Gastspiels der<br />

<strong>HfMDK</strong> beim Rheingau Musik Festival haften bleiben? Zuvorderst<br />

sicher die erneute Einsicht, dass das künstlerische und konzeptionelle<br />

Potenzial der Hochschule den Ansprüchen eines renommierten<br />

internationalen Musikfestivals wieder voll und ganz gewachsen war;<br />

weiterhin die Erkenntnis, wie sehr ungewohnte Musizierbedingungen<br />

einer Produktion an exponierten Orten jenseits oft bespielter<br />

Hochschulmauern den künstlerischen Erfahrungshorizont<br />

aller Beteiligten erweitern; und sicher die Hoffnung, dass ein derart<br />

reibungsloses Zusammenspiel mit finanzstarken und dankbaren<br />

Förderern wie die Deutsche Bank Stiftung für weitere Kooperationen<br />

dieser Art beispielhaft sein möge. bjh<br />

Inspiration im Klostergarten:<br />

Notencheck<br />

vor der Generalprobe auf<br />

dem Rasen inmitten<br />

des Kreuzganges<br />

im Kloster Eberbach.<br />

47


F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />

Der frühe Funke zahlt sich aus<br />

Verschlungene Lebenswege unserer Alumni: Felix Koch<br />

Die Lebenswege unserer Hochschulabsolventen sind beste Beweise<br />

dafür, wie ein Studium an der <strong>HfMDK</strong> ein Baustein in einem<br />

biografischen Mosaik darstellen kann, das weit über die „Urbegabung“<br />

hinausreicht. Und sie zeigen, wie groß die Vielfalt an<br />

Schlüsselqualifikationen sein kann, die ein vermeintlich enges<br />

„Spezialisten“-Studium seinen Absolventen mit auf den Weg gibt.<br />

Grund genug für <strong>Frankfurt</strong> in Takt, sich von Alumni der <strong>HfMDK</strong><br />

erzählen zu lassen, wie sich ihre Lebenswege nach dem Hochschulabschluss<br />

weiterentwickelt haben. Den Anfang dieser Portrait-Reihe<br />

macht Felix Koch: Der 43-Jährige ist heute Professor für Alte<br />

Musik, Historische Aufführungspraxis und Musikvermittlung an der<br />

Hochschule für Musik Mainz sowie Leiter des Collegium Musicum<br />

an der Universität Mainz mit angegliederter Chor- und Orchesterakademie.<br />

Seine Cellostudien bei Michael Flaksman in Mannheim und Martin<br />

Ostertag in Karlsruhe nach dem Abitur im Saarland schienen<br />

Felix Kochs direkten Weg hin zu einer soliden Orchesterstelle zu<br />

ebnen. „Ich wollte unbedingt ins Orchester“, lautete sein eindeutiger<br />

Wille – bis ihn ein halbjähriges Orchesterpraktikum an der<br />

Karlsruher Oper ins Grübeln brachte: Die vielen „La Stagione<br />

<strong>Frankfurt</strong>“-Aufnahmen seiner CD-Sammlung hatten seine künstlerische<br />

Ehrfurcht vor dessen Leiter Michael Schneider schon vor<br />

der ersten Begegnung mit dem <strong>Frankfurt</strong>er Professor für Alte Musik<br />

ins Unermessliche steigen lassen – heute umschreibt Felix Koch<br />

Der kleine Felix war ein Zappelphilipp und schwer ruhig zu<br />

bekommen – es sei denn, er durfte seinen Vater, damals Lehrbeauftragter<br />

für Blockflöte, in den Unterricht und die Proben an der<br />

Saarbrücker Musikhochschule begleiten. Er liebte es nicht nur,<br />

in der dortigen Mensa zu speisen, sondern vor allem die Musiker<br />

bei ihrer Arbeit zu beobachten und ihnen zuzuhören. Heute ist<br />

sich Felix Koch sicher, dass er dabei „unterbewusst sehr viel<br />

gelernt“ hat. Klar hatten ihm die Eltern schon früh das Cellospiel<br />

nahegelegt – doch woher konnte er sich als 30-Jähriger jene<br />

Stücke auf der Gambe erarbeiten, deren Spiel er zwar als Kind<br />

unendlich oft gelauscht, die er aber selbst nie zu spielen gelernt<br />

hatte? Auch ohne die Kenntnis der fremden Griffkombinationen<br />

näherte er sich intuitiv dem, was er als kleiner Junge so oft gehört<br />

und bewundert hatte. Heute weiß Felix Koch: „Es ist so wahnsinnig<br />

wichtig, die Kinder in ihren ersten Lebensjahren für die Musik<br />

zu begeistern“ – sagt der, der im Jahr 2008 Gesamtkoordinator<br />

des erfolgreichen <strong>HfMDK</strong>-Singprojektes „Primacanta – Jedem<br />

Kind seine Stimme“ wurde und damit half, den Grundstein<br />

einer mittlerweile bundesweit beachteten Musizierbewegung zu<br />

legen – doch der Reihe nach.<br />

48


den Leiter der Abteilung für Historische Interpretationspraxis als<br />

seinen wichtigsten Mentor und Kollegen in der Musikwelt der<br />

Historischen Aufführungspraxis. Von 1999 bis 2003 studierte Felix<br />

Koch Barockvioloncello an der <strong>HfMDK</strong> – in einer Zeit, in der die<br />

Hochschule die Kinderkonzerte als neuen kulturellen Auftrag begriff<br />

und in die Tat umsetzte. Als kommunikativer Vermittler geschätzt,<br />

gehörte Felix Koch sofort zu deren Leitungsteam – er musizierte<br />

und moderierte sie und erkannte: „Das war ein Tätigkeitsbereich,<br />

der mir bis dahin noch gefehlt hatte – ich wusste vorher nicht, wie<br />

spannend die Begegnung mit Kindern sein könnte.“ Um für diese<br />

Vermittlungsarbeit auch pädagogisch exzellent zu werden, sattelte<br />

Felix Koch ein Lehramtsstudium für Primarstufe obendrauf – übrigens<br />

in der ersten Generation der angehenden Grundschullehrer,<br />

die dieses Studium als Kooperation von Universität und Hochschule<br />

absolvierten. „Ich habe auch dieses Studium geliebt“: Improvisierte<br />

Liedbegleitung am Klavier wurde für ihn ebenso zur spannenden<br />

Neuentdeckung wie das Dirigieren, pädagogisches Wissen zum<br />

Handwerkszeug einer ohnehin ausgeprägten Begabung, andere<br />

für das gemeinsame Musizieren zu begeistern. Koch hatte ohnehin<br />

lieber mit anderen gemeinsam Musik gemacht – Soloauftritte<br />

bereiteten ihm nur Lampenfieber.<br />

Kochs Netzwerk an Kooperationen wuchs und wuchs: Neben<br />

seinem Lehrauftrag für „Konzertpädagogik und Musikvermittlung“<br />

als offenes Seminarangebot an der <strong>HfMDK</strong>, stets verbunden mit<br />

gemeinsam erarbeiteten Kinderkonzerten, gründete er neue<br />

Formationen: 1999 das „Ensemble Mediolanum“, 2007 das<br />

„Neumeyer Consort“, ein Jahr später den „Neumeyer Kammerchor“.<br />

Bis 2008 engagierte er sich mehrere Jahre als Referent der<br />

„HIP“-Abteilung. Das Grundschul-Referendariat hatte er mittlerweile<br />

abgeschlossen, „Primacanta“ als praktisches Erfolgsmodell des<br />

„Aufbauenden Musikunterrichts“ den Musikpädagogen und Musiker<br />

längst zu dessen künstlerischem Leiter erkoren.<br />

STATEMENT<br />

Philippe Schwarz,<br />

Posaunist<br />

Wie fühlen Sie sich von der<br />

Hochschule auf Ihre berufliche<br />

Zukunft vorbereitet?<br />

Mit dem großes Spektrum an<br />

Angeboten für alle Studierenden<br />

ist eine breit aufgestellte, zukunftsorientierte<br />

Ausbildung an<br />

der <strong>HfMDK</strong> durchaus möglich.<br />

Leider fehlt im eigenen Stundenplan<br />

oft die Zeit, um an nicht<br />

verpflichtenden Projekten teilzunehmen.<br />

Allerdings würde ich<br />

mir einen stärkeren Fokus auf<br />

die eigentlichen musikalischen<br />

Fächer begleitende, beispielsweise<br />

mentale Inhalte wünschen,<br />

deren Wichtigkeit zwar immer<br />

präsenter wird, die sich aber<br />

im Angebot noch nicht dementsprechend<br />

niederschlagen.<br />

Wie sollte aus Ihrer Sicht eine<br />

Hochschule der Zukunft<br />

aussehen?<br />

Die Hochschule sollte in Zukunft<br />

gezielt den Ausbau von Strukturen,<br />

Angeboten und Projekten<br />

forcieren, die die verschiedenen<br />

Künstler unseres Hauses zusammenbringen,<br />

um einen tatsächlichen<br />

Austausch der verschiedenen<br />

Bereiche zu ermöglichen<br />

und damit den Horizont der<br />

Studierenden zu erweitern.<br />

Angesichts dieser breit gefächerten Ausbildung wirkt Felix Kochs<br />

jetziges Arbeitsgebiet wie ein perfekter Zuschnitt auf seine<br />

Fähigkeiten: Zum Wintersemester 2010 folgte er an der Musikhochschule<br />

Mainz dem Ruf zum Professor für Historische Aufführungspraxis<br />

und Musikvermittlung. Darin veranstaltet er Konzertprojekte<br />

mit angegliederten Seminaren und baut zugleich den Bereich der<br />

Konzertpädagogik im Rahmen der Kinderuniversität aus. Im Oktober<br />

2012 schließlich übertrug ihm die Johannes Gutenberg-Universität<br />

Mainz die halbe Professur als Leiter ihres Collegium Musicum, also<br />

von Chor und Orchester der Universität. Dem angeschlossen ist<br />

eine Orchester- und Chorakademie mit 16 Lehrbeauftragten, die<br />

Felix Koch künstlerisch koordiniert und leitet. Spätestens hier<br />

schließt sich für ihn ein biografischer Kreis: Schon mehrere seiner<br />

einstigen Mainzer Studenten haben mittlerweile ein Aufbaustudium<br />

an der <strong>HfMDK</strong> aufgenommen.<br />

Felix Koch lebt vor, dass hochkarätiges Künstlerdasein und pädagogisch<br />

erfolgreiches Arbeiten Hand in Hand gehen können. Auch<br />

und gerade in der Vermittlung von Musik, so weiß er heute, sind<br />

musikalische und pädagogische Exzellenz Grundbedingungen für<br />

erfolgreiche Vermittlungsarbeit.<br />

Auch die Öffentlichkeit ist mittlerweile auf das außergewöhnliche<br />

Engagement von Felix Koch aufmerksam geworden: Für seine<br />

„besonderen musikerzieherischen Leistungen“ erhielt er im Jahr<br />

2012 den „Schumann-Preis“ der Robert-Schumann-Gesellschaft<br />

<strong>Frankfurt</strong> am Main. bjh<br />

49


F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />

Zehn Fragen an die Essers<br />

Barbara und Jürgen Esser gehen nach 16 Jahren ihres Wirkens an der <strong>HfMDK</strong><br />

in den „<strong>Frankfurt</strong>er Ruhestand“<br />

Barbara und Jürgen Esser haben mit Ablauf des Sommersemesters<br />

2013 die Hochschule verlassen. Sie haben an der <strong>HfMDK</strong> 16 Jahre<br />

lang szenisch unterrichtet und Musiktheater inszeniert; im letzten<br />

Jahr seiner Tätigkeit an der <strong>HfMDK</strong> engagierte sich Jürgen Esser<br />

zudem als Professor und Ausbildungsdirektor der Gesangsabteilung.<br />

Ihre Kollegin Prof. Hedwig Fassbender bat im Rahmen der<br />

Vorbereitung dieses Abschiedsportraits die Studierenden um<br />

Adjektive, die „die Essers“ und ihre Arbeit umschreiben, und erhielt<br />

unter anderem als Antworten: „erfrischend uneitel, herzlich zugewandt,<br />

absolut ehrlich, vorurteilslos, realistisch, vertrauensvoll,<br />

lebendig, intelligent, erfrischend unerschrocken, lustig, kompetent,<br />

nett und locker, ein tolles Paar, sehr geduldig, ihr Unterricht ist<br />

unverzichtbar, Jürgen war als Ausbildungsdirektor unglaublich nett,<br />

verständnisvoll und achtsam“.<br />

In einem Gespräch stellte Hedwig Fassbender Barbara und Jürgen<br />

Esser zehn Fragen, die das Künstlerehepaar gemeinsam beantwortet<br />

hat. Beide nehmen ihren offiziellen Ruhestand zum Anlass, der<br />

Hochschule als Lehrende Lebewohl zu sagen.<br />

1. Kommen die Studierenden heute naiver oder wissender an<br />

diese Hochschule als vor zehn Jahren?<br />

Barbara und Jürgen Esser Das ist schwer zu sagen; sie sind<br />

vielleicht wissbegieriger, fordernder, zielstrebiger, vor allem<br />

kritischer und selbstbewusster. Sie starten ihre Berufsausbildung in<br />

einer krisenreichen Zeit und wollen sich behaupten. Also irgendwie<br />

auch politischer. Aber auch wieder anders politisch, als wir es<br />

gewesen sind.<br />

2. Was kann Theaterarbeit heute tun, um politisch auf sich<br />

aufmerksam zu machen? Nehmen Politiker Theaterarbeit<br />

überhaupt als relevante Impulsgeber wahr?<br />

Theater muss vor allen Dingen die Themen der Zeit aufgreifen, und<br />

zwar in seiner Darstellung. Die Funktion des Hofnarren als derjenige,<br />

der ungestraft offen die Wahrheit sagen darf, hat das Theater<br />

leider verloren, da Politiker kulturelle Institutionen in der Regel<br />

lediglich als Kostenfaktor begreifen.<br />

3. Sollte die Ausbildung an Hochschulen politisch sein, und<br />

wenn ja: Ist sie politisch genug?<br />

Ausbildung sollte nie politisch sein. Das gibt es nur in totalitären<br />

Systemen. Sie sollte allerdings die jeweils relevanten Probleme der<br />

Gesellschaft thematisieren, was sicherlich zur politischen Bildung<br />

beiträgt.<br />

4. Reagiert die Hochschulausbildung schnell genug auf die<br />

sich verändernde Theatersituation in Europa?<br />

Die Hochschule als Ganzes sicherlich nicht. Dafür sind die Ausbildungsziele<br />

der einzelnen Fachbereiche zu unterschiedlich. Sie<br />

versucht allerdings, die Diskussion zu initiieren. Der gesamte<br />

Leitbildprozess, den die <strong>HfMDK</strong> gerade durchläuft, ist ein sehr<br />

gutes Beispiel. Im Fachbereich Darstellende Kunst sind die Ausbildungsbereiche<br />

Zeitgenössischer und Klassischer Tanz, Schauspiel<br />

sowie Theater- und Orchestermanagement in dieser Hinsicht<br />

vorbildlich. Das Ganze ist abhängig vom Lehrkörper, der diese<br />

Veränderungen zunächst erkennen muss. Das setzt ein Interesse an<br />

der europäischen Theatersituation voraus sowie die Bereitschaft,<br />

diesen Veränderungen in der Ausbildung gerecht zu werden.<br />

5. Lieber Jürgen, hat sich während deiner Tätigkeit als<br />

Ausbildungsdirektor deine Sicht auf die Ausbildung und die<br />

Hochschule verändert?<br />

Selbstverständlich. Als Lehrbeauftragter müssen mich die Probleme<br />

dieser Abteilung nicht kümmern: Ich reise an, unterrichte und reise<br />

ab. Als Ausbildungsdirektor bin ich mit diesen Problemen unmittelbar<br />

konfrontiert. Und jeder, der dieses Amt einmal innehatte, weiß<br />

um die Menge dieser Themen, die einen rund um die Uhr beschäftigen.<br />

Das Grausame ist, dass mir ein großer Teil dieser Probleme<br />

als völlig überflüssig erscheinen. Trotzdem: Ich habe diese Arbeit<br />

sehr gern gemacht.<br />

6. Der Papageno Award<br />

ist die höchste Auszeichnung<br />

für Jugendtheater mit<br />

jugendlichen Protagonisten.<br />

Lieber Jürgen, was<br />

bedeutet die Nominierung<br />

deiner Inszenierung der<br />

„Dreigroschenoper“ für den<br />

Papageno Award 2013 für<br />

dich und deine Arbeit?<br />

Die Verleihung des Goldenen<br />

Vogels für die beste Produktion<br />

beim Papageno Award<br />

2013 bedeutet mir persönlich<br />

nicht so besonders<br />

viel. Ich freue mich über die<br />

Auszeichnung für die<br />

beteiligten Kinder und<br />

50


STATEMENT<br />

Imke Schoberwalter,<br />

Schulmusik-Studentin<br />

Jugendlichen des Jungen Spieltheaters Ludwigshafen und für die<br />

Institution, der solch eine Auszeichnung sicherlich für die Anwerbung<br />

von Mitteln hilfreich ist; dieses Theater finanziert sich nämlich<br />

ausschließlich aus Sponsorengeldern. Bezeichnend für die gute<br />

Arbeit des Jungen Spieltheaters ist, dass eine weitere Produktion,<br />

die nach meinem Ausscheiden entstand, außerdem den Papageno<br />

Award 2013, also den Hauptpreis, für die beste Arbeit erhielt.<br />

7. Wie schafft man es, als Ehepaar zusammen zu leben und zu<br />

arbeiten, ohne sich gegenseitig zu erdrücken? Woher nehmt ihr eure<br />

offensichtlich positive Energie?<br />

Wir sind einfach aufeinander angewiesen und schöpfen daraus<br />

alles, was wir in unsere Arbeit und unser Leben einbringen.<br />

8. Gibt es bei euren gemeinsamen Regie-Arbeiten eine<br />

Verteilung der Aufgaben?<br />

Nicht direkt. Der eine redet halt mehr, der andere beobachtet mehr<br />

und sagt dann das Richtige. Wichtig ist, dass die Ensembles, mit<br />

denen wir arbeiten, uns als gleichwertiges Team wahrnehmen.<br />

9. Seit einigen Jahren fahrt ihr regelmäßig nach Istanbul<br />

und spielt sogar mit dem Gedanken, euch dort niederzulassen.<br />

Was fasziniert euch an dieser Stadt so sehr?<br />

Mit dieser Stadt ist es wie mit ihren herumstreunenden Straßenkötern:<br />

Du wirfst einen Blick auf sie, und es ist um dich geschehen.<br />

Wie fühlen Sie sich von der<br />

Hochschule auf Ihre berufliche<br />

Zukunft vorbereitet?<br />

Obwohl ich sehr glücklich<br />

darüber bin, an der <strong>HfMDK</strong> als<br />

Schulmusikerin eine solch<br />

vielseitige und individuelle<br />

Ausbildung genießen zu dürfen,<br />

bedaure ich trotzdem die<br />

deutliche Dominanz der<br />

klassischen Musik gegenüber<br />

dem Bereich Jazz und Popularmusik.<br />

Wie sollte aus Ihrer Sicht<br />

eine Hochschule der Zukunft<br />

aussehen?<br />

Für die Zukunft der <strong>HfMDK</strong><br />

würde ich mir wünschen, dass<br />

der Bereich Jazz und Pop<br />

eine größere Beachtung in der<br />

Studienordnung der Schulmusiker<br />

findet.<br />

STATEMENT<br />

Max Reimer,<br />

Violine und Jazzgesang<br />

10. Warum bleibt ihr nicht noch ein wenig in <strong>Frankfurt</strong>?<br />

Unser Credo lautet: Man soll immer dann gehen, wenn man noch<br />

gewollt ist. Wir halten überhaupt nichts davon, Plätze zu belegen,<br />

bis man freundlich, aber massiv darum gebeten wird, diese doch<br />

freizugeben. Der Altersunterschied zu den Studierenden wird immer<br />

größer, und man sollte dies nicht bis zu einem unhaltbaren Zustand<br />

ausreizen. Außerdem sehen<br />

wir, dass unsere „Nachfolge“<br />

bestens besetzt ist und sind<br />

überzeugt, dass auch in<br />

Zukunft ein hervor-ragender<br />

Unterricht im Bereich Szene<br />

stattfinden wird. Wenn das<br />

kein Grund ist, guten<br />

Gewissens Lebewohl zu<br />

sagen ...<br />

Wie fühlen Sie sich von der<br />

Hochschule auf Ihre berufliche<br />

Zukunft vorbereitet?<br />

Als IGP-Student kann ich sagen,<br />

dass man gut auf die Lehrertätigkeit<br />

vorbereitet wird, wenn<br />

man den vorgegebenen Weg<br />

geht - und auch das Problem mit<br />

den zu wenigen Methodikdozenten<br />

wird zur Zeit behoben.<br />

Durch mein zweites Fach<br />

(Pop-und Jazzgesang) habe ich<br />

dennoch gemerkt, dass die<br />

Hochschule Grenzen hat, viele<br />

Themen nur anreißen kann und<br />

man sich selbst durchschlagen<br />

muss, was einen aber auch gut<br />

auf die Zukunft vorbereitet.<br />

Wie sollte aus Ihrer Sicht<br />

eine Hochschule der Zukunft<br />

aussehen?<br />

Die Hochschule sollte mehr Zeit<br />

damit verbringen, den Studenten<br />

alternative Wege zu zeigen, wie<br />

man sich als Musiker behaupten<br />

kann, auch wenn man keine<br />

Orchesterstelle bekommen hat<br />

(besonders als Bläser): Selbstvermarktung<br />

u.ä. sollte nicht nur<br />

als Exkurs angeboten, sondern<br />

fest ins Studium integriert<br />

werden. Außerdem empfinde ich<br />

die Umstellung zu Bachelor sehr<br />

fragwürdig, denn es ist nach wie<br />

vor ein Kunststudium, das<br />

möglichst individuell bleiben<br />

sollte.<br />

51


F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />

Dirigent mit Herz und Wiener Charme<br />

Günther Bauer-Schenk ging als Professor und Studienleiter der<br />

Gesangsabteilung in den Ruhestand<br />

Der Pianist und Dirigent Günther Bauer-Schenk<br />

war seit 1993 Professor und Studienleiter der<br />

Gesangsabteilung der <strong>HfMDK</strong>. Zum Ende des<br />

Wintersemesters 2012/2013 verabschiedete er<br />

sich in den Ruhestand.<br />

„Im Mittelpunkt stand für ihn immer der<br />

Student, nicht das Event!“, resümiert Gesangsprofessor<br />

Thomas Heyer die Arbeit seines<br />

bisherigen Hochschulkollegen Günther Bauer-<br />

Schenk; ‚der Sänger muss glänzen‘ war einer<br />

seiner wichtigsten Sätze als Hochschulprofessor.<br />

Ihn zeichnet seine unbändige Freude an der<br />

Musik aus, und das gepaart mit höchster<br />

Fachkompetenz. Das Besondere daran wussten<br />

auch wir Hochschulkollegen und die Studierenden<br />

zu schätzen: Er war nie egozentrisch. Diese sehr seltene Zutat<br />

in einer Dirigentenlaufbahn machen Günther Bauer-Schenk nicht<br />

nur außergewöhnlich, sondern auch zu einem unverwechselbaren<br />

Pädagogen. Wer einmal eine Probe bei ihm gehört hat, folgert<br />

richtig: So muss die Musik sein. Er hat so über viele Jahre den<br />

Gesangsstudierenden an der <strong>HfMDK</strong> Musik nicht nur näher<br />

gebracht, sondern regelrecht eingepflanzt.“<br />

Günther Bauer-Schenks einstiger Aufstieg auf’s Dirigentenpult<br />

klingt übrigens wie das Drehbuch eines Spielfilms: Als 24jähriger<br />

fertiger Ingenieur der Mathematik hatte er den Weg von Wien ins<br />

englische Reading aufgenommen, um an der dortigen Uni seine<br />

Kenntnisse in Mathematik, Ökonomie und Informatik zu vertiefen.<br />

Und wer weiß, ob er nicht irgendwo als Mathematikprofessor<br />

gelehrt hätte, hätte er in England nicht den pianistisch versierten<br />

Dominikanermönch getroffen, dessen Satz Günther Bauer-Schenks<br />

Lebensweg in neue Bahnen<br />

lenkte: „Du bist nicht Mathematiker<br />

– du bist Dirigent“, hatte der<br />

gute Freund an der Art von<br />

Günther Bauer-Schenks<br />

Klavierspiel zu erkennen<br />

geglaubt. Der Impuls, den er<br />

damit auslöste, reichte jedenfalls,<br />

um den Wiener Mathematiker zur<br />

Aufnahmeprüfung in Dirigieren<br />

an der Guildhall School of Music<br />

in London zu bewegen. Mit dem<br />

Taktstock vor dem Orchester<br />

hatte er bis dahin noch nicht<br />

gestanden, wohl aber als<br />

Klavier-Absolvent des Wiener<br />

Konservatoriums reichlich musiziert und als 13-Jähriger schon mit<br />

Orchester Beethovens G-Dur-Klavierkonzert gespielt. Und als<br />

echter Wiener natürlich 20 Jahre lang solche Pultlegenden wie<br />

Böhm und Karajan fast täglich erlebt. Wohl deswegen hatte er „den<br />

Beat schon immer gehabt“ und unter 150 Dirigieraspiranten einen<br />

von drei Studienplätzen beim ersten Anlauf sicher. „Von Haydn bis<br />

Sacre“ unter besten Praxisbedingungen mit Orchestern so ziemlich<br />

alles ausprobieren zu dürfen, was ihn derzeit musikalisch herausforderte,<br />

hatte seinen Preis: Die Finanzierung seines Studiums brachte<br />

ihm Erfahrungen als Kellner und Totengräber auf den Londoner<br />

Friedhöfen. Mit dem selbst gegründeten Orchester „New London<br />

Concertante“ brachte es Bauer-Schenk immerhin auf einen<br />

achtteiligen Konzertzyklus im Jahr, während er sich privat bei<br />

Bernhard Haitink und Sir Adrian Boult den letzten Schliff holte,<br />

um sich ab 1979 auf dem deutschen Musikmarkt umzuschauen.<br />

Das Pfalztheater Kaiserslautern konnte ihn nur ein Jahr als<br />

Korrepetitor halten, das Bremer Theater am Goetheplatz immerhin<br />

vier Jahre als Korrepetitor mit Dirigierverpflichtung, bevor er ab<br />

52


1984 als zweiter Kapellmeister in Darmstadt arbeitete, erster<br />

Kapellmeister in Aachen wurde und nach Mainz als stellvertretender<br />

Generalmusikdirektor berufen wurde. Gerade, als er sich als<br />

Freischaffender wieder mehr Zeit für Gastdirigate wie beim<br />

BBC-Orchester nehmen wollte, lockte ihn 1992 die Arbeit im<br />

Opernstudio der <strong>HfMDK</strong> nach <strong>Frankfurt</strong>, wo er ein Jahr später<br />

zum Professor ernannt wurde.<br />

Bis zu seinem Ruhestand ließ er es sich als Studienleiter nicht<br />

nehmen, die Semesterstundenpläne auf seiner mechanischen<br />

Schreibmaschine selbst zu tippen, die szenischen Abende der<br />

Opernklasse vorzubereiten und die Produktionen der Abteilung<br />

künstlerisch zu lenken. „Lust am Unterrichten hatte ich immer“,<br />

beteuert er, schätzt die Gesangsabteilung der <strong>HfMDK</strong> als „absolute<br />

Wonne“ und ist dankbar für das tägliche Arbeiten mit jungen Künstlern<br />

– „weil man da selbst bei knusprig bleibt“. Musikalische<br />

Ausflüge als Dirigent mit 70 Opern im Repertoire gönnt er sich<br />

unter anderem mit dem Bournemouth Symphony Orchestra, dem<br />

tschechischen Rundfunksinfonie-Orchester und dem „Youth<br />

Orchestra of Great Britain“.<br />

Mit Günther Bauer-Schenk hat übrigens auch ein begnadeter<br />

Erzähler von Geschichten aus der Musikwelt und seinem eigenen<br />

Leben die Hochschule verlassen – inklusive des unverwechselbaren<br />

wienerischen Akzents. Thomas Heyer bringt die Summe von<br />

Bauer-Schenks Begabungen, von der die Hochschule profitierte,<br />

charmant auf den Punkt: „Er hat viel Gespür für den Menschen, vor<br />

allem für den Sänger unter seiner Leitung – eben ein Dirigent mit<br />

Herz!“ bjh<br />

Grundversorgung<br />

53


F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />

Elegant, präzise, unaufgeregt<br />

Wojciech Rajski geht als Dirigierprofessor und Chefdirigent des<br />

Hochschulorchesters in den Ruhestand<br />

Mit einem Sinfoniekonzert verabschiedete sich Wojciech Rajski im<br />

Mai 2013 als Professor für Orchesterdirigieren und Chefdirigent des<br />

<strong>HfMDK</strong>-Hochschulorchesters in den Ruhestand.<br />

Ganz hat ihn die Hochschule noch nicht verloren: Bis sein Nachfolger<br />

an der <strong>HfMDK</strong> seine Arbeit aufgenommen hat, steht Wojciech<br />

Rajski für Proben und Projekte weiterhin zur Verfügung. Das<br />

letzte Konzert im Amt des Chefdirigenten des <strong>HfMDK</strong>-Hochschulorchesters<br />

hat er im Mai 2013 im Großen Saal der Hochschule<br />

gegeben – mit Tschaikowskys Violinkonzert und César Francks<br />

d-Moll-Sinfonie – auswendig, versteht sich. Und als er beim<br />

donnernden Schlussapplaus dem Publikum beim Abschied<br />

freundschaftlich zuwinkte, spürten die Zuhörer auch nach der<br />

Musik, dass mit Wojciech Rajski ein Künstler das Dirigierpult der<br />

Hochschule verlässt, der so gar keine maestro-typischen Attitüden<br />

an sich hat, sich nicht selbstverliebt mit dem Taktstock zu feiern<br />

pflegt. Würde man sein dirigentisches Auftreten bescheiden<br />

nennen, stimmte dies nur im Hinblick auf seine uneitle Zurückhaltung:<br />

Im Anspruch an sich selbst blieb Wojciech Rajski unbescheiden<br />

und verkörperte damit eine Arbeitshaltung, die er auch seinen<br />

Dirigierstudenten weiter gab: Genug ist niemals genug, zumindest<br />

nicht beim Studieren von Partituren. Er lebte und lehrte, Partituren<br />

sowohl in analytischer Genauigkeit als auch in ihrer großen<br />

musikalischen Idee zu erfassen: „Erst, was Sie musikalisch wirklich<br />

verstanden haben, können Sie gestisch auch vermitteln.“ Da konnte<br />

es im Dirigierunterricht auch einmal Wochen dauern, bis Rajski bei<br />

einem Studenten jüngeren Semesters mit der schlagtechnischen<br />

Umsetzung der langsamen Einleitung von Beethovens Erster<br />

zufrieden war. Nicht, weil es ihm allein um ästhetische Schönheit<br />

der Bewegung ging, sondern vielmehr um intelligente Präzision.<br />

Die lebte er selbst am Pult mit jeder Faser seines Bewegungsapparats:<br />

Jede Schlagnuance wirkte durchdacht platziert, das Ganze<br />

aber eben doch elegant und nicht schulmeisterlich. Bei aller<br />

Forderung nach gestischer Klarheit wusste Wojciech Rajski seinen<br />

Dirigierstudenten zu vermitteln: Schlagtechnik zu erlernen komme<br />

eigentlich nur dem Erwerb der „Fahrerlaubnis“ für ein Orchester<br />

gleich; ein guter Fahrer sei man deshalb aber noch lange nicht.<br />

Polnische Kammerphilharmonie Sopot, wovon viele Studierende der<br />

<strong>HfMDK</strong> über 15 Jahre profitierten: Als deren Chefdirigent ermöglichte<br />

Rajski seinen Dirigierstudenten und ausgesuchten Solisten der<br />

Instrumentalklassen Konzerte mit der Polnischen Kammerphilharmonie<br />

mit vorausgehenden Probenphasen. Vor seinem Ruf an die<br />

<strong>HfMDK</strong> war Wojciech Rajski 1993 zum Chefdirigenten des Radio<br />

Sinfonieorchesters Warschau ernannt worden. Über 50 CD-Aufnahmen<br />

hat er mit Orchestern eingespielt.<br />

Dass Rajski seinen polnischen Orchestern auch während seiner<br />

<strong>Frankfurt</strong>er Professur künstlerisch verbunden blieb, sorgte für einen<br />

engen Terminkalender, garantierte seinen Studierenden aber<br />

zugleich einen Professor, der die Herausforderungen eines Kapellmeisters<br />

auf allen Ebenen nach wie vor aus täglicher Praxis zu<br />

benennen wusste. Zudem engagierte sich Wojciech Rajski über<br />

mehrere Jahre als stellvertretender Ausbildungsdirektor im<br />

Studienzweig „Instrumentalausbildung und Dirigieren“ des<br />

Fachbereichs 1 sowie als dessen Prodekan.<br />

In Rajskis Amtszeit als Chefdirigent des Hochschulorchesters fielen<br />

neben den von ihm selbst geleiteten Orchesterprojekten auch<br />

Arbeitsphasen mit Gastdirigenten wie Lothar Zagrosek, Krzysztof<br />

Penderecki und Sebastian Weigle sowie eine Konzerttournee des<br />

Hochschulorchesters nach China mit Konzerten in der <strong>Frankfurt</strong>er<br />

Partnerstadt Guangzhou. Zudem etablierten sich unter Rajskis<br />

musikalischer Leitung die „Familienkonzerte“ mit dem Hochschulorchester<br />

in der Alten Oper <strong>Frankfurt</strong>, die vor allem die junge<br />

Generation in moderierten Programmen für die Klassik begeistern.<br />

Mit Wojciech Rajski verlässt ein absoluter Routinier das Dirigierpodium<br />

der Hochschule. Es geht ein eher stiller Meister mit subtilem<br />

Humor und einem gewinnenden Lächeln – menschlich zurückhaltend,<br />

aber mit großer künstlerischer Präsenz. bjh<br />

Der 1948 in Warschau geborene Pole Wojciech Rajski war 1998 an<br />

der <strong>HfMDK</strong> in der Nachfolge von Jiri Starek zum Dirigierprofessor<br />

ernannt worden und schon zu dieser Zeit ein welterfahrener<br />

Dirigent, der mit den „großen“ Solisten der internationalen<br />

Konzertszene und zahlreichen Orchestern auf den berühmten<br />

Bühnen zusammengearbeitet hatte: Von 1971 bis 1978 war er<br />

Kapellmeister am Großen Theater Warschau, parallel dazu von 1974<br />

bis 1980 (ab 1978 als deren Chefdirigent) bei der Posener Philharmonie.<br />

Von 1978 bis 1981 wirkte Wojciech Rajski als 1. Kapellmeister<br />

des Orchesters der Beethovenhalle Bonn. 1982 gründete er die<br />

54


Foto: Henrik Matzen<br />

„Ich möchte immer lieber wagen“<br />

Jan-Richard Kehl ist zum Professor für Szenischen Unterricht berufen worden und<br />

zugleich Ausbildungsdirektor der Gesangsabteilung<br />

Mit Beginn des Wintersemesters 2013/2014 hat Jan-Richard<br />

Kehl an der <strong>HfMDK</strong> seine Professur für Szenischen Unterricht<br />

angetreten. Zugleich hat er die Ausbildungsdirektion der<br />

Gesangsabteilung übernommen. <strong>Frankfurt</strong> in Takt bat den aus<br />

Leipzig stammenden Regisseur zum Interview. Daran beteiligte<br />

sich auch Dr. Julia Cloot, bisherige Leiterin des Instituts für<br />

zeitgenössische Musik an der <strong>HfMDK</strong>: Während ihrer Zeit als<br />

Chefdramaturgin am Theater Görlitz erlebte sie Jan-Richard<br />

Kehl als Leitenden Regisseur des Hauses.<br />

Dr. Julia Cloot Mir ist in Erinnerung geblieben, dass du, Jan-Richard,<br />

damals als Regisseur alle Genres gleichermaßen ernsthaft hast<br />

bedienen können – von der Operette über Oper bis zum Musical.<br />

Dabei gelang es dir immer, die Essenz des Werkes zu erfassen und<br />

umzusetzen. Auch als Hochschullehrer gehört es zu deiner Aufgabe,<br />

aus allem und jedem das Maximum herauszuholen.<br />

Prof. Jan-Richard Kehl Ich habe mir auf die Fahne geschrieben,<br />

aus allem etwas machen zu wollen, das mir angetragen wird, selbst<br />

wenn nicht jeder Stoff so existenziell wirkt wie „Tosca“. Ich habe<br />

mir vorgenommen, beharrlich und konsequent zu arbeiten, alles<br />

dafür zu tun, damit das Wesentliche in einer Inszenierung erkennbar<br />

wird. Das bedeutet in der Arbeit mit den Sängern, ihnen einen<br />

Weg aufzuzeigen, der sie zum existentiellen Kern ihrer Figuren<br />

vordringen lässt, was wiederum einer Durchdringlichkeit und<br />

Offenheit bedarf, um dahin zu gelangen.<br />

Cloot Ich weiß, dass dir eine gute Kommunikationshaltung in der<br />

Arbeit wichtig ist – was hat es damit auf sich?<br />

Kehl Kommunikation ist ein Schlüsselwort für meine Arbeit. Mir<br />

geht es darum, ein Bewusstsein für die Wechselwirkungen<br />

zwischen den Beteiligten zu schärfen, sowohl zwischen Spielenden<br />

untereinander, aber auch in der Interaktion mit dem Publikum.<br />

Dieses ständige Wahrnehmen dessen, was gerade stattfindet, und<br />

adäquates Reagieren in der Konsequenz sind Prinzipien, die ich<br />

schon im Grundlagenunterricht vermitteln möchte.<br />

Cloot Des öfteren hätte ich mir im Musiktheater unserer Hochschule<br />

mehr Mut zum Wagnis gewünscht. Wird sich das mit dir ändern?<br />

Kehl Ich möchte immer lieber wagen und suche das Ungewöhnliche.<br />

Mein Selbstverständnis ist wie das des Regisseurs George<br />

Tabori, der frei nach Beckett gesagt hat: „Scheitern, wieder<br />

scheitern, besser scheitern.“ Mutig auch mit wenigen Mitteln große<br />

Produktionen zu stemmen, habe ich mehrfach als lohnendes<br />

Wagnis erlebt. An der <strong>HfMDK</strong> möchte ich zumindest eine große<br />

Produktion pro Jahr auf die Bühne bringen.<br />

Cloot Wirst du denn außerhalb der Hochschule weiterhin als<br />

Regisseur erkennbar bleiben? Immerhin war deine „Tannhäuser“-<br />

Inszenierung im Jahr 2009 für den Deutschen Theaterpreis „Der<br />

Faust“ nominiert.<br />

55


IMPRESSUM<br />

Kehl Natürlich – die Hochschule fördert ja sogar die Haltung, dass<br />

ihre Professoren weiter die Verbindung zur Praxis nicht verlieren. Im<br />

Moment nimmt sie natürlich viel Platz ein, aber ich freue mich auch<br />

da auf neue, spannende Aufgaben.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Was bedeutet es für Sie, mit jungen Künstlern zu<br />

arbeiten, die noch wenig Bühnenerfahrung haben?<br />

Kehl Ich schätze die ungeheure Offenheit, die sie mir entgegenbringen.<br />

Auf dieser Basis ist sehr viel möglich – da ist sinnlich noch<br />

alles auf Schwamm gestellt. Hier behutsame, aber konsequente<br />

Arbeit zu leisten, macht Spaß.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Von 2006 bis 2010 waren Sie Operndirektor in<br />

Flensburg, jetzt sind Sie Ausbildungsdirektor der <strong>HfMDK</strong>-Gesangsabteilung.<br />

Ein Zufall?<br />

Kehl Ich bevorzuge es jedenfalls, neben der rein künstlerischen<br />

Arbeit auch selbst zu managen und zu organisieren, also die<br />

Rahmenbedingungen für mein eigentliches Handwerk mit zu<br />

gestalten.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Das verlangt viel Empathie im Umgang mit den<br />

Kollegen Ihrer Abteilung.<br />

Kehl Ja, und ich hatte im Aufnahmeprüfungs-Marathon im Sommer<br />

reichlich Gelegenheit, mit den Kollegen eng zusammenzuarbeiten<br />

und sie näher kennenzulernen. Das fand ich sehr wohltuend. Und<br />

jetzt haben wir in der Gesangsabteilung knackvolle Studiengänge<br />

und können uns gemeinsam auf tolle junge Künstler freuen.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Junge Künstler, denen auch Sie einen Weg in die<br />

Zukunft weisen sollen.<br />

Kehl Und das geht nur, indem wir sie zur Selbstständigkeit<br />

erziehen. Dabei sollen sie lernen, nicht nur auf sich selbst zu<br />

schauen, sondern auch auf ihr Umfeld. Diese Selbstständigkeit<br />

gilt auch für das Erarbeiten ihrer Rollen. Dann brauchen sich<br />

die zukünftigen Sängerdarsteller nicht auf einen anderen zu<br />

verlassen und sind ein aktiver und produktiver Partner. bjh<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt – Magazin der<br />

Hochschule für Musik und<br />

Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

Eschersheimer Landstraße 29–39<br />

60322 <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

www.hfmdk-frankfurt.de<br />

Herausgeber<br />

Thomas Rietschel, Präsident der <strong>HfMDK</strong><br />

Idee und Konzept<br />

Dr. Sylvia Dennerle<br />

sylvia.dennerle@hfmdk-frankfurt.de<br />

Telefon 069/154 007 170<br />

Redaktion<br />

Björn Hadem (bjh) bhadem@arcor.de<br />

Autoren<br />

Leana Alkema, Prof. Sibylle Cada, Prof. Ingo<br />

Diehl, Nora Dhom, Prof. Hedwig Fassbender,<br />

Prof. Dr. Erika Fischer-Lichte, Katrin Flüs,<br />

Gertje Graef, Prof. Axel Gremmelspacher,<br />

Björn Hadem (bjh), Anne Heinemann,<br />

Julia Huk, Prof. Sophia Jaffé, Anne-Luise<br />

Kramb, Maurice Lenhard, Prof. Dr. Christoph<br />

Menke, Peter Michalzik, Prof. Henrik Rabien,<br />

Thomas Rietschel, Prof. Dr. Peter Röbke,<br />

Prof. Thomas Schmidt, Imke Schoberwalter,<br />

Philippe Schwarz, Fabian Sennholz, Sarah<br />

Wulf, Ingrid Zur<br />

Fotos<br />

Björn Hadem (59), Henrik Matzen (1),<br />

Andreas Reeg (1)<br />

Titelfoto: Schauspielstudentin Sidonie von<br />

Krosigk bei einer Probe zu „Böse Märchen“<br />

im Sommersemester 2013<br />

Layout<br />

Opak Werbeagentur GmbH,<br />

Münchener Str. 45, 60329 <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

Anzeigen<br />

Björn Hadem (es gilt die Preisliste 2011)<br />

Erscheinungsweise<br />

jeweils zu Beginn des Semesters<br />

Druck<br />

k+e druck<br />

Flinschstr. 61, 60388 <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

Drittmittelkonto Account for Private funds<br />

Konto 200 138 090, BLZ 500 502 01,<br />

Fraspa 1822<br />

Überweisungen aus dem Ausland<br />

International Payments<br />

IBAN: DE71 5005 0201 0200 1380 90<br />

SWIFT-BIC: HELADEF1822<br />

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Erfolge unserer Studierenden<br />

Das Notos Quartett mit Sindri Tanja Zhou, Klavier (Jungstudentin<br />

Klasse Prof. Catherine Vickers),<br />

Lederer (Violine), Matan<br />

Gilitchensky (Viola), Florian hat einen ersten Preis beim Rotary<br />

Streich (Violoncello, Absolvent Jugendwettbewerb<br />

Prof. Michael Sanderling, jetzt in Essen gewonnen.<br />

Kammermusik bei Prof. Angelika<br />

Merkle), und Antonia Köster Solenn Grand, Harfe (Klasse<br />

(Klavier) errang den dritten Preis Prof. Françoise Friedrich), hat<br />

beim Internationalen Schumann den zweiten Preis beim „North<br />

Kammermusikpreis 2013. Beim London Harp Competition“<br />

Internationalen Kammermusik- gewonnen, ebenso den zweiten<br />

Wettbewerb „Città di Pinerolo“ Preis beim „18. Petar Konjovic<br />

in Italien errang das Quartett Competition in Belgrad“ sowie den<br />

den zweiten Preis, zusätzlich „Special Prize von HarpMasters“.<br />

den Sonderpreis für die beste<br />

Brahms-Interpretation sowie Tomas Trnka, Posaune (Klasse<br />

den Publikumspreis.<br />

Prof. Oliver Siefert), hat beim<br />

9. Internationalen Wettbewerb für<br />

Richard Gläser, Schlagzeug Bläser in Brünn den zweiten<br />

(Klasse Prof. Rainer Römer), Preis im Fach Posaune gewonnen.<br />

und Christoph Nonnweiler,<br />

Gitarre (Klasse Prof. Christopher Lukas Sieber, Violoncello (Klasse<br />

Brandt), haben den ersten Preis Prof. Michael Sanderling), und<br />

beim internationalen „Gerhard- Sarah Hiller, Klavier-Kammermusik<br />

(Klasse Prof. Angelika Merkle),<br />

Vogt-Kammermusikwettbewerb<br />

Gitarre+1“ in Schweinfurt haben beim Internationalen<br />

gewonnen. Mit einer Komposition<br />

von <strong>HfMDK</strong>-Professor „Salieri-Zinetti“ in Verona den<br />

Kammermusikwettbewerb<br />

Christopher Brandt haben sie ersten Preis sowie den Sonderpreis<br />

„New York Recital Debut“<br />

zusätzlich den Sonderpreis für<br />

die beste Interpretation eines gewonnen.<br />

zeitgenössischen Werks<br />

erhalten.<br />

Björn Bürger, Bariton (Klasse<br />

Prof. Hedwig Fassbender,<br />

Everett Hopfner, Klavier Diplom 2013), gewann den<br />

(Absolvent Klasse Prof. Catherine 1. Preis beim „8. Anneliese<br />

Vickers), hat den ersten Preis Rothenberger-Wettbewerb“.<br />

beim Eckhardt-Gramatté<br />

Wettbewerb für zeitgenössische Felix Eberle, Fagott (Klasse Prof.<br />

Musik in Kanada gewonnen. Henrik Rabien), absolvierte ein<br />

erfolgreiches Solofagott-<br />

Luisa Hoberg, Klarinette Probespiel im London Symphony<br />

(Klasse Anton Hollich), hat einen Orchestra und erhielt daraufhin<br />

Zeitvertrag als Soloklarinettistin vom LSO Einladungen zu den in<br />

am Theater Magdeburg bis 2015 England üblichen „Trials“ .<br />

bekommen.<br />

Stéphanie Proot, Klavier<br />

(Konzertexamen bei Prof. Lev<br />

Natochenny), errang den ersten<br />

Preis beim internationalen<br />

Klavier-Wettbewerb „Neue<br />

Sterne“, den ersten Preis beim<br />

Massarosa International Piano<br />

Competition im italienischen<br />

Lucca, den ersten Preis beim<br />

internationalen Wettbewerb<br />

„Maria Herrero“ im spanischen<br />

Granada, den ersten Preis<br />

beim Klavierwettbewerb „André<br />

Dumortier“ im belgischen<br />

Leuzeen-Hainaut sowie den<br />

Halbfinalpreis beim International<br />

Piano Competition „Queen<br />

Elisabeth“ in Brüssel.<br />

Julia Hechler und Christian<br />

Zielinski, Gitarre (Klasse Prof.<br />

Michael Teuchert), haben als<br />

Artis-Gitarrenduo beim<br />

wichtigsten internationalen<br />

Gitarrenduowettbewerb des<br />

Jahres 2012 in Liechtenstein<br />

anlässlich des 20 jährigen<br />

Bestehens der LIGITA (Liechtensteiner<br />

Gitarrentage) den 2. Preis<br />

gewonnen.<br />

Musikhaus<br />

Werner Cleve<br />

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E-Mail musikhaus-cleve@gmx.de<br />

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Annika Gerhards, Sopran<br />

(Klasse Katharina Kutsch, Diplom<br />

2013), ist ab Dezember 2013 im<br />

Rahmen eines Stipendiatenvertrages<br />

Mitglied des Ensembles<br />

der Wiener Staatsoper. Beim<br />

Internationalen Gesangswettbewerb<br />

„Das Lied“ in Berlin erhielt<br />

sie im Februar den Förderpreis<br />

als größtes Nachwuchstalent.<br />

Yeseul Kim, Klavier (Konzertexamen<br />

Klasse Prof. Oliver Kern),<br />

gewann den Internationalen<br />

Mauro Paolo Monopoli-Klavierwettbewerb<br />

im italienischen<br />

Barletta.<br />

Kristin Wömmel, Absolventin<br />

Schulmusik sowie Theater- und<br />

Orchestermanagement und<br />

Doktorandin bei Prof. Dr. Maria<br />

Spychiger, hat einen Festvertrag<br />

als Assistenz des Orchestervorstands<br />

der Berliner Philharmoniker<br />

erhalten.<br />

57


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Ein erfolgreiches Team braucht wie jedes Orchester mehr als nur hervorragende Solisten:<br />

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