Download - HfMDK Frankfurt
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<strong>Frankfurt</strong> in Takt<br />
Magazin der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />
Schwerpunktthema<br />
ZUKUNFT<br />
13. Jahrgang, Nr. 2 Wintersemester 2013/2014<br />
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INHALT<br />
2 Editorial<br />
Von Hochschulpräsident Thomas Rietschel<br />
6 Recherchen in einem Theaterland<br />
Von Sarah Wulf und Prof. Thomas Schmidt<br />
14 Krise und Kraft der Kunst sind eins<br />
Von Prof. Dr. Christoph Menke<br />
20 Das Theater als Barometer für den Zeitgeist<br />
Von Prof. Dr. Erika Fischer-Lichte<br />
24 Von der Unverwechselbarkeit der Musizierenden<br />
Von Prof. Dr. Peter Röbke<br />
30 Internationalität und Globalisierung in der Ausbildung<br />
Von Prof. Ingo Diehl<br />
32 Schon der Weg ist das Ziel<br />
Interview mit Dr. Sylvia Dennerle über den Leitbildprozess<br />
37 Interdisziplinarität – aktiv vernetzt handeln<br />
Von Prof. Sibylle Cada<br />
46 Inspiration hinter Klostermauern<br />
Die <strong>HfMDK</strong> zu Gast beim Rheingau Musik Festival<br />
48 Der frühe Funke zahlt sich aus<br />
Verschlungene Lebenswege unserer Alumni: Prof. Felix Koch<br />
50 Zehn Fragen an die Essers<br />
Zum Abschied von Jürgen und Barbara Esser<br />
Von Prof. Hedwig Fassbender<br />
52 Dirigent mit Herz und Wiener Charme<br />
Zum Abschied von Prof. Günther Bauer-Schenk<br />
54 Elegant, präzise, unaufgeregt<br />
Zum Abschied von Prof. Wojciech Rajski<br />
55 „Ich möchte immer lieber wagen“<br />
Interview mit dem Jan-Richard Kehl, dem neuen Professor<br />
für Szenischen Unterricht<br />
56 Impressum<br />
57 Erfolge unserer Studierenden<br />
STATEMENTS<br />
9 Ingrid Zur<br />
38 Sommer 2013 – Meisterkurse, Workshops und<br />
Summerschools<br />
39 Der Kick – ein Schauspielprojekt der <strong>HfMDK</strong><br />
startet mit Crowdfunding<br />
40 „Die Hochschule zu unterstützen, lohnt sich immer“<br />
Interview mit Peter Gatzemeier, Stiftungsvorstand der<br />
Dr. Marschner Stiftung<br />
42 Die Hochschule als Einfallstor für die<br />
Kunst von morgen<br />
Rückblick auf das Hochschuljubiläum<br />
10<br />
18<br />
18<br />
23<br />
28<br />
28<br />
31<br />
37<br />
49<br />
51<br />
51<br />
Anne Heinemann<br />
Maurice Lenhard<br />
Peter Michalzik<br />
Prof. Sophia Jaffé<br />
Fabian Sennholz<br />
Gertje Graef<br />
Prof. Axel Gremmelspacher<br />
Prof. Henrik Rabien<br />
Philippe Schwarz<br />
Imke Schoberwalter<br />
Max Reimer
F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />
Editorial<br />
Wie viele Musikstudierende braucheN WIr?<br />
In Baden-Württemberg will das Wissenschaftsministerium die<br />
„klassische“ Musikausbildung in zwei von fünf Musikhochschulen<br />
schließen. 500 Studienplätze werden gestrichen, um jährlich<br />
4 Millionen Euro einzusparen. Die Musikhochschule Mannheim<br />
soll in eine Hochschule für Jazz und Pop mit angeschlossener<br />
Tanzabteilung verwandelt werden, die MHS Trossingen will man<br />
zu einer musikalischen Bildungsstätte für die baden-württembergischen<br />
Musikhochschulen umfunktionieren und dort nur noch in<br />
Alter Musik und Elementarer Musikpädagogik ausbilden. Es gebe<br />
zu viele Musikstudierende, nachdem man so viele Orchester<br />
geschlossen habe, brauche man auch weniger Musiker. So lautet<br />
die Begründung des Rechnungshofes, der sich die zuständige<br />
Ministerin für Wissenschaft und Kunst angeschlossen hat.<br />
In <strong>Frankfurt</strong> müssen wir keine Sorgen haben geschlossen zu<br />
werden, wir sind die einzige Hochschule für Musik, Theater und<br />
Tanz in unserem Bundesland. Trotzdem ist der Fall für uns von<br />
Bedeutung: Zum einen ist Solidarität gefordert mit Mannheim<br />
und Trossingen, zum anderen ist es nicht unwahrscheinlich, dass<br />
die verwendete Argumentation auch auf uns angewendet werden<br />
könnte, also müssen wir uns mit ihr auseinandersetzen.<br />
GeringschätzuNG Gegenüber Kunst und Kultur<br />
Sollten die Pläne der baden-württembergischen Wissenschaftsministerin<br />
umgesetzt werden, dann schließt man nicht nur de facto<br />
zwei Hochschulen, dann werden gleichzeitig auch in Jahrzehnten<br />
gewachsene kulturelle Netzwerke zerstört. Hier drückt sich eine<br />
Geringschätzung gegenüber Kunst und Kultur aus, die wir an vielen<br />
Stellen wahrnehmen können. Mich erinnert dies an die <strong>Frankfurt</strong>er<br />
Debatte über die Finanzierung des Romantikmuseums. Hier wie<br />
dort wird an der Kultur ein Exempel statuiert, profiliert sich die<br />
Politik als durchsetzungs- und entscheidungsstark, will sie zeigen,<br />
dass sie bereit ist, im Interesse der Haushaltskonsolidierung auch<br />
schmerzhafte Schnitte zu setzen. Aber anstatt die zentralen<br />
Themen anzugehen, bei denen substanzielle Einsparungen erzielt<br />
werden könnten, wird der öffentlichkeitswirksame Schnitt in<br />
der Kultur vollzogen. Der avisierte Sparbeitrag von 4 Millionen<br />
Euro entspricht einem Zehntausendstel (0,01%) des badenwürttembergischen<br />
Landeshaushaltes. 1 km Autobahn kostet<br />
zwischen 7 und 26 Millionen Euro: 10 km Autobahn weniger<br />
gebaut, und man könnte die beiden Musikhochschulen 25 Jahre<br />
lang weiter betreiben. Die Kultur bietet sich anscheinend für<br />
solche Muskelspiele an, denn damit erregt man Aufsehen, und<br />
in der Vergangenheit konnte man sich auch sicher sein, dass<br />
der Aufschrei der wenigen „Kulturfreunde“ zwar hörbar, aber bei<br />
den am Ende entscheidenden Wählerstimmen nie richtig spürbar<br />
war. Die Entwicklung der letzten Wochen zeigt jedoch, dass sich<br />
die verantwortliche Ministerin für Wissenschaft und Kunst in<br />
Baden-Württemberg genau an diesem Punkt verkalkuliert hat –<br />
und das ist für uns alle ein positives Zeichen. Nicht nur Künstler,<br />
Musikverbände und Prominente des öffentlichen Lebens haben<br />
protestiert, sondern auch die örtliche Industrie- und Handelskammer<br />
(IHK), der Unternehmerverband, die Kirchen, die betroffenen<br />
Kommunen, sogar benachbarte Städte. Eine breite Front gesellschaftlicher<br />
Gruppen hat ihr Veto eingelegt und damit eine<br />
beachtliche politische Wirkung erzielt. Es gibt Hoffnung, dass<br />
die geplanten „Schließungen“ der beiden Hochschulen nicht<br />
umgesetzt werden können.<br />
Sparsamkeit ist selbstverständlich<br />
Der Hintergrund, vor dem diese Debatte stattfindet, ist die Schuldenbremse<br />
in den öffentlichen Haushalten. Und um das klarzustellen:<br />
Natürlich ist es selbstverständlich, dass auch wir im Kulturbereich<br />
der Ansicht sind, dass wir heute nicht auf Kosten der<br />
zukünftigen Generationen leben dürfen. Selbstverständlich wird<br />
bei uns jeder Cent umgedreht, jede Ausgabe sorgfältig geprüft.<br />
Wir planen langfristig und legen Wert auf eine transparente<br />
Haushaltsführung, und wir investieren sehr viel Kraft und Zeit, um<br />
die Abläufe in der Hochschule effizienter und damit auch sparsamer<br />
zu gestalten.<br />
2
Szene aus „La Colpa,<br />
Il Pentimento, La Grazia“<br />
in der Inszenierung der<br />
<strong>HfMDK</strong> in der Basilika von<br />
Kloster Eberbach im<br />
Rahmen des Rheingau<br />
Musik Festivals im Sommer<br />
2013<br />
Die Politik widerspricht sich selbst<br />
Uns muss jedoch die Begründung für die Pläne in Baden-Württemberg<br />
zu denken geben, dass angeblich im Musikbereich zu viele<br />
Studierende ausgebildet würden. Diese Behauptung wird vom<br />
dortigen Ministerium und dem Landesrechnungshof damit<br />
begründet, dass es zu wenige Orchesterstellen für die Absolventen<br />
gebe, man bilde „über den Bedarf“ aus. Zunächst einmal widerspricht<br />
die Politik sich selbst. Sie hat Milliarden in die Hochschulen<br />
gepumpt, an denen man in den letzten 10 Jahren neue Studienplätze<br />
in sechsstelliger Höhe geschaffen hat und weiter schaffen will.<br />
Jeder neue Studienplatz wurde und wird an den Fachhochschulen<br />
und Universitäten mit Zusatzmitteln von Bund und Ländern<br />
gefördert. Das will ich nicht kritisieren. Aber man betreibt ein<br />
Nullsummenspiel, wenn man in Trossingen und Mannheim 500<br />
Studienplätze streicht und gleichzeitig in Universitäten und<br />
Fachhochschulen neue Studienplätze aufbaut.<br />
Außerdem stehen an den Musikhochschulen den 500 Studienplätzen<br />
in der Regel bis zu zehnmal so viele Bewerber gegenüber, die<br />
sich lange und intensiv auf ihre Aufnahmeprüfung vorbereitet<br />
haben - hochmotivierte junge Menschen, die genau wissen, was sie<br />
studieren wollen -, die sich darauf lange Jahre vorbereitet haben.<br />
Die neuen Studienplätze an den Universitäten und Fachhochschulen<br />
dagegen werden zum Großteil nicht in den begehrten Fächern<br />
aufgebaut wie z.B. Medizin, das wäre zu teuer. Man vergrößert das<br />
Angebot in Massenfächern wie Jura, Germanistik, Romanistik usw.,<br />
die sich dann mit Studierenden füllen, die in den Numerus Clausus-<br />
Fächern keinen Studienplatz bekommen haben und dorthin<br />
strömen, wo Studienplätze frei sind.<br />
Künstlerisches Studium vermittelt<br />
umfangreiche Schlüsselkompetenzen<br />
Nach dem Bedarf für solche Absolventen wurde bei diesem<br />
Studienplatzaufbau übrigens nie richtig gefragt. Beim bundesweiten<br />
Ausbau der Studienplätze geht es um Akademisierung, um die<br />
Erhöhung der Studierquote. Man geht – sicherlich nicht zu Unrecht<br />
– davon aus, dass Studierende in ihrem Studium nicht nur Fachwissen,<br />
sondern auch sogenannte „Schlüsselkompetenzen“<br />
erwerben, die sie später im Berufsleben für viele anspruchsvolle<br />
Aufgaben qualifizieren. Das gleiche gilt aber auch für ein künstlerisches<br />
Studium, denn hier werden diese so sehr gefragten<br />
Schlüsselkompetenzen in besonderem Maße geschult: hohe<br />
Leistungsbereitschaft, Durchhaltevermögen, Kreativität, Teamfähigkeit,<br />
Selbstdisziplin oder gute Kommunikationsfähigkeiten.<br />
Musiker liebeN IHren Beruf<br />
Es gibt aber auch belastbare Zahlen, die man der Argumentation<br />
aus Baden-Württemberg entgegenhalten kann: zum einen die<br />
Ergebnisse der Absolventenstudie von Prof. Dr. Heiner Gembris<br />
„Von der Musikhochschule auf den Arbeitsmarkt“ 1 . In dieser Studie<br />
wurden die Absolventen von sieben deutschen Musikhochschulen<br />
über ihre berufliche Situation befragt; der Zeitpunkt der Befragung<br />
lag im Durchschnitt drei Jahre nach Abschluss des Studiums.<br />
83 Prozent der Absolventen der deutschen Musikhochschulen<br />
bleiben im Musikbereich und verdienen ihr Geld mit musikalischen<br />
Tätigkeiten, nur 6 Prozent sind nichtmusikalisch tätig. Damit liegen<br />
sie deutlich höher als die Absolventen anderer Fächer 2 . Nur 11<br />
Prozent der Musikhochschulabsolventen waren 3 Jahre nach ihrem<br />
Abschluss mit ihrer beruflichen Entwicklung und ihrer Lebenssituation<br />
unzufrieden 3 . Bemerkenswert übrigens, dass sich hier die<br />
Zahlen der Pianisten und Sänger nicht von den Zahlen der anderen<br />
Instrumentalfächer unterscheiden, obwohl gerade sie es besonders<br />
schwer auf dem Arbeitsmarkt haben. Natürlich wissen wir um die<br />
schwierige ökonomische Situation vieler junger Künstler, das sollte<br />
weder verschwiegen noch kleingeredet werden. Es ist ein Thema,<br />
1<br />
Gembris, Heiner/Langner, Diana: Von der Musikhochschule<br />
auf den Arbeitsmarkt. Augsburg 2005<br />
2<br />
Gembris/Langner 2005, S. 61<br />
3<br />
Gembris/Langner 2005, S. 68<br />
3
das uns und unsere Studierenden sehr bewegt. Aber unsere<br />
Studierenden wollen Musikerinnen und Musiker werden, weil ihnen<br />
die Sache wichtiger ist als Wohlstand, sie fürchten die unsicheren<br />
Verhältnisse nicht, weil sie von dem überzeugt sind, was sie tun.<br />
Gembris und Langner bestätigen diese Einstellung: „Musikalische<br />
Entfaltungsmöglichkeiten“ stehen für Musikstudierende bei der<br />
Frage nach ihrer Studienmotivation an erster Stelle mit einem Wert<br />
von 1,5 bei einer Skala von 1 („sehr wichtig“) bis 5 („völlig unwichtig“).<br />
Gute Verdienstmöglichkeiten spielen mit einem Wert von 3,2<br />
bis 3,9 (je nach Instrumentengruppe) eine untergeordnete Rolle 4 .<br />
Auch wenn die Studie keine Antwort auf den Bedarf von ausgebildeten<br />
Musikern gibt, so macht sie doch deutlich, dass die Absolventen<br />
von Musikhochschulen zu einem sehr hohen Prozentsatz als<br />
Musikerinnen und Musiker ihren Platz in der Gesellschaft finden<br />
und damit auch zufrieden sind.<br />
Gelebter Idealismus<br />
Und noch etwas wird an diesen Ergebnissen deutlich: Unsere<br />
Studierenden leben eine Haltung, die ich in vielen Bereichen<br />
unseres Landes sehr vermisse und die oft belächelt wird: Unsere<br />
Studierenden sind Idealisten. Sie stellen die Sache, für die sie<br />
brennen, höher als sich selbst, sie machen Musik um der Musik<br />
willen. Wie anders sähe unsere Gesellschaft aus, wenn es mehr<br />
solcher Idealisten gäbe – auch dies ein wichtiger Grund, warum<br />
Musikhochschulen wertvolle Institutionen sind, die wir uns leisten<br />
müssen.<br />
Das Musikleben braucHT fAchkräfte<br />
Aber schauen wir uns doch den Bedarf nach ausgebildeten<br />
Musikern etwas genauer an. Zunächst einmal wird die Behauptung<br />
der baden-württembergischen Ministerin und des dortigen<br />
Rechnungshofs, an den Musikhochschulen würden im wesentlichen<br />
zukünftige Arbeitslose ausgebildet, durch keinerlei Zahlen belegt.<br />
Die offizielle Arbeitslosenstatistik spricht eine andere Sprache:<br />
2011 waren 3,6 Prozent der Musikerinnen und Musiker arbeitslos<br />
gemeldet 5 , – das liegt deutlich unter dem deutschen Arbeitslosendurchschnitt.<br />
Auch ein Blick in das Musikleben zeigt uns, dass an vielen Stellen<br />
ausgebildete Musikerinnen und Musiker in unserem Land fehlen:<br />
Jeder, der seinen Kindern Musikunterricht erteilen lassen möchte,<br />
weiß, wie schwer es ist, geeignete Musikpädagogen zu finden.<br />
Chören und Laienorchestern fehlen qualifizierte Orchester- und<br />
Chorleiter, und in der Grundschule fallen 80 Prozent des Musikunterrichts<br />
aus oder werden fachfremd erteilt, – u.a. deswegen, weil<br />
es zu wenige ausgebildete Musiklehrer gibt.<br />
Die freie Szene wächst<br />
Vor allem aber in der sogenannten freien Szene haben sich neue<br />
Betätigungsfelder aufgetan, die für die Weiterentwicklung von<br />
Kunst und Kultur von großer Bedeutung sind. Wir erleben es<br />
zunehmend, dass neugierige, hervorragend ausgebildete und<br />
vielseitig qualifizierte junge Musiker gar nicht ins Orchester wollen.<br />
Sie suchen sich ihren Platz in der freien Szene, sie wollen selbstbestimmt<br />
über ihre künstlerische Arbeit entscheiden. Sie spielen in<br />
kleinen Ensembles, etablieren eigene Konzertreihen, entdecken<br />
ungewöhnliche Auftrittsorte und entwickeln neue Klang- und<br />
Ausdrucksformen, Produktionsmöglichkeiten oder Dramaturgien.<br />
Von dieser freien Szene gehen die wichtigen Impulse für die<br />
Weiterentwicklung der Kunst in unserer Gesellschaft aus. Wie<br />
fruchtbar sie ist, welch lebendige Ergebnisse sie hervorbringt, kann<br />
jeder erleben, der mit offenen Augen und Ohren das Kulturleben<br />
wahrnimmt oder Festivals wie die Ruhrtriennale besucht. Hier spielt<br />
die Musik der Zukunft, und die freie Szene wächst – nicht aus Not,<br />
sondern weil sie interessanter ist. Was sich auch in anderen<br />
Berufsfeldern abspielt, findet in gleichem Maße in der Kultur statt:<br />
Die feste Stelle bis zum Lebensende ist immer weniger der<br />
4
E d i t o r i a l<br />
Lebensentwurf, den junge Menschen anstreben. Sie haben keine<br />
Angst vor der sogenannten „Patchworkexistenz“, im Gegenteil:<br />
Ihnen erscheint diese erstrebenswerter als die lebenslange<br />
TVK-Stelle im Kulturorchester, und sie sind bereit, dafür Einschränkungen<br />
im Lebensstandard in Kauf zu nehmen. Wer also die prekäre<br />
Situation vieler Künstler ins Feld führt, um damit zu begründen,<br />
dass man keine Künstler mehr ausbilden solle, der redet an genau<br />
diesen Künstlern vorbei, die sich solche Schlussfolgerungen<br />
energisch verbitten würden.<br />
Kulturpolitiker sollten unsere Verbündeten sein<br />
Eine vorrausschauende und gestaltende Kulturpolitik, die den<br />
Beitrag der Künste für die Entwicklung und Reflexion unserer<br />
Gesellschaft ernst nimmt, sollte ihren Blick also dorthin richten,<br />
wo Neues entsteht, sie sollte für gute Rahmenbedingungen<br />
kämpfen, unter denen die Künste sich frei weiterentwickeln können.<br />
Kultur-politiker sollten unsere Verbündeten in den Regierungen<br />
sein, nicht unsere Gegner. Sie sollten sich gegen Rechnungshöfe<br />
und sonstige Ahnungslose wehren, die die Notwendigkeit einer<br />
Ausbildung in der Musik an einem Mehr oder Weniger von festen<br />
Stellen in Kulturorchestern festmachen wollen. Unsere Orchester<br />
und Opernhäuser sind wichtig als stabiles und jahrhundertelang<br />
gewachsenes Gerüst des Musiklebens, aber sie sind nur ein<br />
kleiner – wenn auch sehr sichtbarer – Teil desselben. Mehrere<br />
Millionen Menschen sind in Deutschland in Chören und Laienensembles<br />
aktiv und wollen musikalisch kompetent angeleitet werden.<br />
Wer organisiert und bestreitet denn die vielfältigen Konzerte auf<br />
dem Land, in Scheunen, bei Festivals oder in unseren Konzerthäusern?<br />
Wer komponiert all die Musik, die gespielt wird? Wer bildet<br />
all die Kinder und Jugendlichen aus, aus denen später dann<br />
professionelle MusikerInnen werden, und wer sorgt sich darum,<br />
dass all die Konzerte und Aufführungen unserer Orchester und<br />
Opernhäuser von vielen Menschen besucht werden? All dies leistet<br />
das breite Musikleben in unserem Land, und Aufgabe der Hochschulen<br />
ist es, dieses Musikleben lebendig zu halten, indem wir die<br />
Pädagogen und MusikerInnen ausbilden, die dafür notwendig sind.<br />
Die Argumentation isT HALTLos<br />
Ich unterstütze die Musikhochschulen in Baden-Württemberg, denn<br />
die Argumentation ist haltlos, mit der ihnen drastische Kürzungen<br />
aufgezwungen werden. 9 Prozent der Landesmittel sollen gestrichen<br />
werden, statt 45 Millionen sollen in Zukunft nur noch 41<br />
Millionen Euro für die Musikhochschulen ausgegeben werden. Da<br />
sei ein Blick ins benachbarte Österreich erlaubt, um zu zeigen, dass<br />
man auch andere Prioritäten setzen kann: Österreich hat 2 Millionen<br />
Einwohner weniger als unser reiches Nachbarbundesland, gibt aber<br />
mehr als drei Mal so viel Geld für seine Musikhochschulausbildung<br />
aus, 147 Millionen Euro im Jahr.<br />
UNSER AUFTRAG<br />
Vor dem Hintergrund solcher Vorgänge gewinnen unser Leitbildprozess<br />
und die Frage der Zukunft, der der Schwerpunkt dieser<br />
„FIT“-Ausgabe gewidmet ist, besondere Bedeutung. Wir positionieren<br />
uns durch den Leitbildprozess nicht nur intern, sondern auch in<br />
unserem gesellschaftlichen Umfeld. Die bisherigen Debatten haben<br />
gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die <strong>HfMDK</strong> ist<br />
bereits eine bestens vernetzte Institution, die ihren Auftrag ernst<br />
nimmt und lebt: Verantwortung zu übernehmen für ein auch in<br />
Zukunft vielfältiges und lebendiges Kulturleben.<br />
Thomas Rietschel<br />
Präsident der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />
Wer Musikhochschulen auf Ausbildungsinstitutionen für Orchester<br />
reduziert, hat den zentralen Teil ihrer Aufgaben nicht im Blick.<br />
Dazu eine Zahl, die diese Debatte in die richtigen Dimensionen<br />
rückt: In den Jahren 2004 bis 2006 wurden in den deutschen<br />
Kulturorchestern und Rundfunkchören altersbedingt pro Jahr<br />
ca. 135 Stellen frei 6 . Die Zahl der Orchesterplanstellen ist in der Zeit<br />
von 2002 bis 2012 um ca. 8 Prozent gesunken 7 . Wir können<br />
also davon ausgehen, dass heute pro Jahr gerade mal 10 Stellen<br />
weniger altersbedingt frei werden als vor 10 Jahren. 10 weggefallene<br />
Stellen dienen als Begründung für einen Studienplatzabbau<br />
von 500 Studienplätzen – quod erat demonstrandum.<br />
4 Gembris/Langner 2005, S. 55ff.<br />
5<br />
www.miz.org/intern/uoloads/statistik14.pdf – Sozialversicherungspflichtige<br />
Beschäftigung und Arbeitslosigkeit in Musikberufen<br />
6<br />
www.dov.org/pressereader/items/135.html – Presseerklärung der DOV<br />
vom 7.1.2005<br />
7<br />
www.miz.org/intern/uoloads/statistik16.pdf – Planstellen in deutschen<br />
Kulturorchestern<br />
5
F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />
RECHERCHEN IN EINEM THEATERLAND<br />
Der gefährdete Zustand der deutschen Theater- und Orchesterlandschaft,<br />
das Versagen der Kulturpolitik und deren Auswirkungen auf die Kunsthochschulen<br />
der Länder<br />
Von Sarah Wulf und Prof. Thomas Schmidt<br />
In den letzten 20 Jahren ist die Zahl der öffentlichen Theater und<br />
Orchester in Deutschland kontinuierlich zurückgegangen. Die<br />
Anzahl der Veranstaltungen hingegen hat sich vervielfacht, während<br />
sich die Besucherzahlen verringerten. Die Kosten für Personal sind,<br />
selbst unter Berücksichtigung eines vielerorts stattgefundenen<br />
Rückgangs des Personalstamms, tarifbedingt gestiegen, ebenso wie<br />
die Produktions- und Betriebskosten. Die Betriebszuschüsse der<br />
Länder und Kommunen, der Hauptfinanziers der öffentlichen<br />
Theater, steigen zwar, können aber die steigenden Kosten nur noch<br />
bedingt auffangen. Zunehmend sehen sich die Häuser gezwungen,<br />
alternative Mittel zu akquirieren – soweit dies im Wettbewerb<br />
um finanzielle Zuwendungen privater Geldgeber möglich ist.<br />
Es ist nicht zu verleugnen, dass die deutsche, mit ihrer Dichte und<br />
Vielzahl an Angeboten weltweit einmalige Theaterlandschaft<br />
vor wachsenden und auf den ersten Blick unlösbaren Herausforderungen<br />
steht.<br />
Welche Möglichkeiten hat die Theater- und Orchesterkultur in<br />
Deutschland vor dem Hintergrund gegenwärtiger gesellschaftlicher<br />
Herausforderungen wie dem sozialen Wandel oder der Finanznot<br />
der Länder und Kommunen, sich zu entwickeln? Welche Zukunft<br />
haben die Musik und die Darstellenden Künste in einem der<br />
theater- und orchesterreichsten Länder der Welt? Welche sind die<br />
Instrumente, die entwickelt werden müssen, um den genannten<br />
Negativ-Trends entgegen zu wirken, und wie werden sie am besten<br />
und nachhaltigsten eingesetzt? Dies sind wesentliche Fragestellungen,<br />
mit denen sich der Masterstudiengang Theater- und<br />
Orchestermanagement an der <strong>HfMDK</strong> auseinandersetzt. Die Dichte<br />
der öffentlichen Theater- und Orchesterinstitutionen bedingt nicht<br />
nur ein vielfältiges, breites Kulturangebot. Näher betrachtet, erweist<br />
sich das Theaterland Deutschland als äußerst differenziert strukturiert.<br />
So fällt es schwer, alle Theater und Orchester in ihrer<br />
Gesamtheit als ein einheitliches Theater- und Orchestersystem<br />
zu verifizieren.<br />
16 verschiedene Theatersysteme<br />
Vielmehr gehen aus der föderalen Struktur der Bundesrepublik<br />
nicht weniger als 16 verschiedene Theatersysteme hervor, von<br />
denen jedes für sich unterschiedliche Schwerpunkte setzt und<br />
letztlich sehr differenzierte Zukunftsaussichten aufweist. Das von<br />
der Hessischen Theaterakademie und der Gesellschaft der Freunde<br />
und Förderer der <strong>HfMDK</strong> geförderte Forschungsprojekt der<br />
Theater- und Orchestermanagement-Studentinnen des Jahrgangs<br />
2011 bis 2013 hatte in diesem Zusammenhang das Anliegen, die<br />
unterschiedlichen systemischen Gegebenheiten der deutschen<br />
Theaterlandschaft zu untersuchen. Dessen Ergebnis – die Bestandsaufnahme<br />
jedes einzelnen Bundeslandes hinsichtlich seines<br />
individuellen Theatersystems und seiner kulturpolitischen Rahmenbedingungen<br />
– ist im Juni 2013 unter dem Titel „Recherchen in<br />
einem Theaterland: Die sechzehn Theater- und Orchestersysteme<br />
der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich“ beim ConBrio-Verlag<br />
erschienen.<br />
Allen Bundesländern ist die Konfrontation mit steigenden Kosten<br />
in den Kulturinstitutionen bei etwa gleichbleibenden finanziellen<br />
Zuwendungen gemein, doch unterliegen die Länder unterschiedlichen<br />
wirtschaftlichen, kulturpolitischen und demografischen<br />
Voraussetzungen für die Ausgestaltung der jeweiligen Theaterlandschaft,<br />
sodass sich die gegenwärtigen Herausforderungen, Krisen<br />
und Reformoptionen äußerst unterschiedlich gestalten.<br />
6
Szene aus<br />
„Xeno – Figurinen“,<br />
theatralen Entwürfen<br />
von Regie- und<br />
Schauspielstudierenden,<br />
präsentiert in<br />
der <strong>HfMDK</strong>-Hochschulnacht.<br />
7
R e c h e r c h e n i m T h e a t e r l a n d<br />
Die Recherchen ergaben, dass vor allem die Städte von einer<br />
immensen Dichte an Kulturangeboten profitieren, wohingegen in<br />
ländlichen Räumen, in erster Linie in dünnbesiedelten Gebieten,<br />
wie man sie beispielsweise in Brandenburg vorfindet, von einer<br />
Unterversorgung gesprochen werden kann. In Hessen beispielsweise<br />
ist es das dicht besiedelte Rhein-Main-Gebiet, das von einer<br />
solchen kulturpolitischen Ausrichtung profitiert. Auch in Niedersachsen<br />
sind es vor allem die Staatstheater, die die größte<br />
finanzielle Unterstützung erfahren. Im Gegensatz zu Brandenburg<br />
haben sich die Niedersachsen jedoch eine kulturelle Infrastruktur<br />
im ländlicheren Raum erhalten. Besonders ist die Konzentration<br />
auf die urbanen Räume in Nordrhein-Westfalen zu erkennen –<br />
Beispiele hierfür sind das Ruhrgebiet und der Köln-Bonner Raum.<br />
Freie Szene geWINNT AN bedeutung<br />
Repräsentant der Hochkultur, wobei die lebendige Freie Theaterszene<br />
durch die Kulturpolitik nur sehr selten Erwähnung findet. Neben<br />
der Freien Szene sind es vor allem auch die breit gefächerten<br />
Festivals, die das Theatersystem in jedem Bundesland ergänzen.<br />
Die Problematik, die sich an dieser Stelle herauskristallisiert, betrifft<br />
vor allem kleinere Festivals und Sommerprogramme auf dem<br />
Land. Sie wachsen stetig, sind jedoch gleichzeitig von einem<br />
tendenziellen Besucherschwund betroffen, der unter anderem auch<br />
eine Auswirkung des Bevölkerungsrückgangs in den ländlichen<br />
Gebieten ist. Daneben fungieren wenige große Festivals nicht nur<br />
als Touristenmagnete, sondern auch als Konkurrenten der institutionellen<br />
Theater und Orchester um Finanzen, Zuschauer und<br />
politische Zuwendung.<br />
Regionales Gefälle deutlich erkennbar<br />
Berlin als Hauptstadt kommt in der Theater- und Musikszene eine<br />
Schlüsselrolle zu. Zu dem Impuls, der von ihr ausgeht, leistet die<br />
Freie Szene einen nicht zu unterschätzenden Beitrag. Es zeigt sich<br />
in den Analysen, dass die Freie Szene auch für die Theaterszene<br />
der restlichen Bundesländer immer mehr Bedeutung gewinnt und<br />
dies, beispielsweise auch in Rheinland-Pfalz, anhand einer sich<br />
im Ausbau befindlichen Förderpolitik aufgegriffen wird. Andere<br />
Bundesländer reagieren auf diese Entwicklungen verhaltener. Im<br />
Gegensatz zu Berlin pflegt Bayern in erster Linie das Image als<br />
Insgesamt zeigt sich ein deutliches regionales Gefälle zwischen den<br />
Theater- und Orchestersystemen. Während die Neuen Bundesländer<br />
in den 1990er Jahren umfangreiche Einschnitte in ihrer<br />
Theater- und Orchesterkultur wahrnehmen mussten, die sich unter<br />
anderem in Schließungen und Fusionen äußerten – Brandenburg<br />
besitzt heute nur noch eines von ehemals vier Drei-Sparten-Theatern<br />
– sich aber auch auf einen überdurchschnittlichen Besucherrückgang<br />
einstellen mussten, konnten sich die Kultureinrichtungen<br />
im Westen mehr oder weniger gut halten.<br />
Szene aus<br />
„Büchners<br />
Frauen“, einer<br />
Kammeroper von<br />
Paul Schäffer,<br />
im Sommersemester<br />
2013.<br />
Regie:<br />
Teresa Reiber.<br />
8
Daneben weisen die Recherchen einen Unterschied zwischen<br />
nördlichen und südlichen Bundesländern nach. So ist die Kulturlandschaft<br />
Mecklenburg-Vorpommerns stärker von finanziellen<br />
Einschnitten bedroht als beispielsweise in Sachsen, das mit dem<br />
sächsischen Kulturfinanzausgleichsgesetz 1994 ein vorübergehend<br />
nachhaltiges Fördersystem für Kultur entwickelt hat. Darüber<br />
hinaus sind Bayern, Baden-Württemberg und Hessen beispielsweise<br />
im Gegensatz zu Schleswig-Holstein im Norden des Landes nicht<br />
nur finanziell, sondern auch kulturell um einiges besser aufgestellt.<br />
Kürzungen bei den Musikhochschulen<br />
Es zeigt sich aber auch, dass sich die Zustände ändern und die gute<br />
finanzielle Unterfütterung von Theatern und Orchestern auch in den<br />
bisher besser gestellten Bundesländern auf Dauer nicht gesichert<br />
ist. Selbst Bayern wird spätestens 2020 vom demografischen<br />
Wandel eingeholt worden sein und mit dem Bevölkerungsrückgang<br />
zu kämpfen haben. Auch eine Anpassung an die sich verändernden<br />
gesellschaftlichen Kulturkonsumgewohnheiten, wie sie sich<br />
beispielsweise durch die Digitalisierung ergeben, findet bislang nur<br />
bedingt statt. In Baden-Württemberg weisen die angekündigten<br />
Kürzungen und Umstrukturierungsmaßnahmen bei den Musikhochschulen<br />
darauf hin, dass die Fusion der SWR-Sinfonieorchester<br />
kein einzelner Vorgang war, um Einsparungen im Kulturbereich<br />
vorzunehmen. In Sachsen prägen Einsparungen und Fusionen<br />
die Berichterstattung über die Theater- und Orchesterlandschaft.<br />
In Nordrhein-Westfalen wiederum werden mit dem Wuppertaler<br />
Schauspielhaus ganze Kunstsparten aufgegeben. Mittlerweile<br />
lassen sich über die ganze Republik verteilt Szenarien von Theaterschließungen<br />
und Orchesterzusammenschlüssen finden.<br />
Wie helfen Sie Ihren Studierenden,<br />
sich auf ihre berufliche<br />
Zukunft vorzubereiten?<br />
Ich versuche ihnen dabei zu<br />
helfen, Klarheit über die eigene<br />
berufliche Vision zu schaffen,<br />
eigene Stärken und Schwächen<br />
zu erkennen und daraus eine<br />
Strategie zur Persönlichkeitsbildung<br />
zu entwickeln. Die verbale<br />
Kommunikation in Kammermusik-<br />
und Orchesterensembles<br />
trainiere ich mit den Studenten<br />
und fördere ihre Teilnahme an<br />
Meisterkursen, Orchesterakademien<br />
und professionellen<br />
Ensembles.<br />
STATEMENT<br />
Ingrid Zur,<br />
Lehrbeauftragte für Viola<br />
Inwiefern ist die <strong>HfMDK</strong> für die<br />
Zukunft gerüstet?<br />
Gut ist die Vielzahl an Hochschulveranstaltungen,<br />
die<br />
reichlich Auftrittsmöglichkeiten<br />
bieten. Wichtig und richtig ist es,<br />
dass der Bachelor-Studiengang<br />
für Instrumentalmusiker eine<br />
pädagogische Ausbildung<br />
einschließt. Die Hochschule<br />
sollte ihre Zusammenarbeit mit<br />
professionellen Institutionen weiter<br />
verstärken, vor allem mit<br />
Orchestern und Spezialensembles.<br />
Daraus könnte sich eine<br />
neue Perspektive für die<br />
Orchesterarbeit an der Hochschule<br />
selbst entwickeln.<br />
Welche konkreten Zielsetzungen die Kulturpolitik hinsichtlich ihrer<br />
Theater- und Orchesterförderung verfolgt, kann für die meisten<br />
Bundesländer anhand politischer Leitlinien oder Bekenntnisse nicht<br />
greifbar gemacht werden, diese sind zumeist zu allgemein gefasst,<br />
werden kaum vermittelt und noch viel weniger gelebt. Mit Hilfe<br />
von externen Beratungsfirmen werden dagegen – wie in Mecklenburg-Vorpommern<br />
oder Hessen – neue Lösungswege gesucht,<br />
anstatt auf das Wissen der Institutionen zu bauen und entsprechende<br />
Arbeitsgruppen einzurichten, in denen die Beteiligten und<br />
die Betroffenen mitwirken können. Konkrete Konzepte und Strategien<br />
für die Zukunft lassen sich auf die vorgenannte Weise weder<br />
entwickeln noch umsetzen. Vielmehr beweist beispielsweise die<br />
erneute Diskussion des bereits für gescheitert erklärten Fusionsvorhabens<br />
der Theater Rostock und Schwerin durch die Politik in<br />
Mecklenburg-Vorpommern das Gegenteil. Unter diesen Umständen<br />
fehlt es vielen Theatern in der deutschen Theaterlandschaft an<br />
Planungssicherheit und an Rückhalt in der Politik. In anderen<br />
Bundesländern, wie zum Beispiel in Sachsen und Hamburg, wird<br />
Kultur zum Standortfaktor erhoben und ein entsprechend hoher<br />
Stellenwert eingeräumt, der neben künstlerischen und kulturellen<br />
auch ökonomische Faktoren einbezieht, die sich vor allem aus einer<br />
Integration der Theater und Orchester in touristische Strategien<br />
der Städte und Länder speist.<br />
GroSSer Rückhalt in der Bevölkerung<br />
Allen mehr oder minder krisengebeutelten Ländern ist jedoch der<br />
Rückhalt durch große Teile der Bevölkerung gemein, welchen die<br />
Theater- und Orchesterhäuser erfahren. Als Beispiel sei hier nur die<br />
jüngste „Volksinitiative Kulturland Sachsen-Anhalt“ genannt, die<br />
sich mit Unterschriftenaktionen gegen den angekündigten Sparkurs<br />
der Regierung zur Wehr zu setzen versucht.<br />
Wenn die Zukunftsaussichten vieler bereits heute in starker<br />
finanzieller Bedrängnis agierender Theater und Orchester so klar<br />
und deutlich aufgezeigt werden können, wenn aus den bisherigen<br />
Krisenszenarien und den daraus geschlussfolgerten Spartenschließungen<br />
und Fusionen keine Erfolgsmodelle geworden sind, wenn<br />
festgestellt wird, dass Kultur Jahr für Jahr gegen den Wunsch und<br />
9
Szene aus<br />
„Slapstick/Andere<br />
Handschriften“,<br />
einem Studienprojekt<br />
der<br />
Ausbildungsbereiche<br />
Regie und<br />
Schauspiel<br />
unter Leitung von<br />
Andreas<br />
Kriegenburg.<br />
STATEMENT<br />
Anne Heinemann,<br />
Trompeterin<br />
den Widerstand der Bevölkerung unumkehrbar abgebaut wird<br />
anstatt in nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklungsstrategien<br />
eingebettet zu werden: Warum reagiert die hierfür zuständige<br />
Kulturpolitik nicht? Und welche Kraft und Phantasie haben die<br />
Theater- und Orchester-Verbände und Vereine als Lobbyorganisationen,<br />
um diesen Entwicklungen nicht nur punktuell, sondern<br />
strategisch entgegen zu wirken?<br />
„Legislativ bedINGTe Trägheit“<br />
Wie fühlen Sie sich von der<br />
Hochschule auf Ihre berufliche<br />
Zukunft vorbereitet?<br />
Durch den Hauptfachunterricht,<br />
Klassenstunden, Probespieltraining<br />
und Vorspiele wird man auf<br />
viele Situationen des Berufslebens<br />
sehr gut vorbereitet. Einige<br />
Nebenfächer könnten aber<br />
noch praxisorientierter sein<br />
und mehr auf das Leben als<br />
Musiker – egal ob Orchestermusiker,<br />
Freiberufler oder Solist –<br />
vorbereiten.<br />
Wie sollte aus Ihrer Sicht<br />
eine Hochschule der Zukunft<br />
aussehen?<br />
Eine Hochschule der Zukunft<br />
sollte mit der Zeit gehen und<br />
sich auch den Veränderungen<br />
in der Medienwelt und Innovativem<br />
öffnen, ohne aber dabei<br />
die kulturellen Traditionen<br />
zu vernachlässigen. Sie sollte<br />
in studiengangübergreifenden<br />
Angeboten auch auf die verschiedenen<br />
Berufsmodelle<br />
eingehen, die sich für die<br />
Absolventen später ergeben.<br />
Man könnte diesen Zustand als den einer legislativ bedingten<br />
Trägheit beschreiben, die sich nicht nur durch die marginalisierte<br />
Rolle der Kulturpolitik im Kontext der politischen Hauptfelder<br />
Wirtschaft, Finanzen, Infrastruktur und Technologie definiert,<br />
sondern schlicht aus der Unkenntnis speist, dass jedes dieser<br />
primären Politikfelder explizit mit Kultur verbunden ist. Oder man<br />
könnte darin auch einfach nur die schlichte Ignoranz erkennen,<br />
die Rolle der Kultur und ihrer Einrichtungen als notwendigen<br />
Basisraum einer zukunftsfähigen gesellschaftlichen Entwicklung<br />
in den Städten und Ländern zu reflektieren.<br />
Hochschulen leiden unter ungeordneter KulturpoLITIK<br />
Das jüngste Beispiel der oben bereits angesprochenen Diskussion<br />
um die zukünftige Kürzung der Mittel für die fünf Musikhochschulen<br />
des zweitreichsten Bundeslandes Baden-Württemberg ist<br />
hierfür bezeichnend. Es steht im Kontext einer ungeordneten Kulturpolitik<br />
und umfasst darin inzwischen auch die Hochschulpolitik in<br />
ihrer Reflexion auf die künstlerischen Studiengänge. Dort, wo<br />
Länder Theater und Orchester abbauen, wo der Tanz kaum noch<br />
10
R e c h e r c h e n i m T h e a t e r l a n d<br />
Förderung erfährt und die hochproduktive wie künstlerisch<br />
renommierte Freie Szene viel zu wenig Unterstützung erhält, wird<br />
die Zukunft der Kunsthochschulen nicht mehr über außerordentliche<br />
künstlerische Leistungen, über die international erstklassige<br />
Ausbildung in den künstlerischen Hochschulen in Deutschland<br />
definiert, sondern über Quoten und Numerik, die uns sagen sollen,<br />
dass zukünftig – vermeintlich – weniger Künstler gebraucht<br />
werden, als die Hochschulen derzeit ausbilden. Aber dies kommt<br />
einer Milchmädchenrechnung gleich: Um eine hohe Qualität in der<br />
Ausbildung zu erzeugen, muss die Förderung ausgebaut werden,<br />
die es erlaubt, aus einer großen Auswahl sehr guter Musiker,<br />
Sänger, Schauspieler und Tänzer die Besten an das internationale<br />
Niveau heranzuführen. Leistung entsteht – erst einmal – in der<br />
Gruppe und formuliert sich erst später im Individualunterricht der<br />
Meisterklassen. Durch dieses Leistungsprinzip haben die Kunsthochschulen<br />
in den letzten Jahren mit hoher Kontinuität Spitzenkünstler<br />
ausgebildet, aber auch exzellenten Nachwuchs in der<br />
Breite, der den Nährboden für nachfolgende Generationen an<br />
Künstlern, Zuschauern und Zuhörern und letztlich einer gesellschaftlichen<br />
Kultur bereitet.<br />
USA-Hochschulen: Wissenschaftler und Künstler Tür AN Tür<br />
Lassen wir den Blick ein wenig weiter schweifen, zum Beispiel<br />
in die USA, wo nicht nur an den kleineren, spezialisierten Liberal<br />
Arts Colleges, sondern auch an den Eliteuniversitäten wie zum<br />
Beispiel Harvard, Princeton, Yale, Columbia, Stanford und Berkeley<br />
zunehmend künstlerische Fächer in den Kanon aufgenommen<br />
und verstärkt werden: Hier wurde erkannt, welchen Stellenwert die<br />
künstlerische Ausbildung für die Entwicklung der Gesellschaft hat.<br />
Auch die Einheit von Wissenschafts- und Kunstabteilungen in<br />
den Fakultäten für Arts und Sciences sind hierfür ein sprechendes<br />
Beispiel. Man kann sich ausrechnen, welche positiven und multiplikatorischen<br />
Effekte entstehen, wenn ein Theaterwissenschaftler<br />
Tür an Tür mit einem Schauspiel- und einem Managementprofessor<br />
arbeiten und gemeinsam Projekte mit und für ihre Studenten<br />
entwickeln. Natürlich ist die Finanzierung – kulturhistorisch bedingt<br />
– eine andere als die der deutschen Hochschulen. Aber es geht<br />
um die Herstellung eines Konsenses, der zugespitzt formuliert:<br />
Wie wichtig sind einer Gesellschaft ihre Kultureinrichtungen und<br />
Kunsthochschulen, und wie macht sie sich deren Innovationskraft<br />
nutzbar? Die Finanzierung dieser Einrichtungen – also eines<br />
essenziellen Kerns unserer Gesellschaft – die allzu gerne als<br />
Engpass vorgeschoben wird, um spannende Projekte frühzeitig<br />
auf Eis zu legen, ist hierbei eine politische und technokratische<br />
Aufgabe, die sich dem gesellschaftlichen Konsens unterordnen<br />
muss. Sie darf sich nicht über das Eigentliche erheben, dass<br />
ausreichend Mittel gerade für die sensiblen Bereiche der Kulturund<br />
Künste mobilisiert werden müssen, deren Effekte nicht auf<br />
den ersten Blick in Renditen und Steigerungen des Bruttoinlandsproduktes<br />
messbar sind.<br />
Hochschulen als Vordenker<br />
Die wichtigste Aufgabe der Kunsthochschulen ist deshalb heute,<br />
sich so aufzustellen, dass sie die rasante Entwicklung der Künste<br />
nicht nur begleiten, sondern darüber hinaus auch antizipieren, so<br />
dass sie selbst zu diesen Entwicklungsprozessen beitragen. Sie<br />
müssen ein Spiegel der internationalen Entwicklungen in den<br />
einzelnen künstlerischen Bereichen sein und gleichzeitig in ihren<br />
geschützten Lehr- und Unterrichtssituationen ähnlich wie in einem<br />
Labor oder einer großen Entwicklungsabteilung ein uneingeschränktes<br />
Vorausdenken zulassen. Das gilt für Sänger wie für<br />
Instrumentalisten, für Tänzer wie für Schauspieler. Innovation ist ein<br />
dringendes Erfordernis, um inspirierte und vorausdenkende Künstler<br />
in die künstlerische Praxis und Berufswelt zu „entlassen“. Eine<br />
praktisch orientierte, gut fundierte Ausbildung, die den klassischen<br />
Anforderungen genügt, reicht heute nicht mehr aus, um in den<br />
Künsten international wettbewerbsfähig zu sein. Als Lehrende und<br />
Studierende an Kunsthochschulen müssen wir über das Orchester,<br />
das Theater, das Festival, das Konzert, die Performance, das<br />
Ensemble und den Künstler der Zukunft nachdenken und hierfür<br />
bereits im Studienverlauf Instrumente und Fähigkeiten entwickeln,<br />
die über den klassischen Standard hinausgehen – weil es diesen<br />
klassischen Standard, so gern wir uns daran festhalten würden, in<br />
kürzester Zeit nicht mehr geben wird. Natürlich soll dies nicht die<br />
Vermittlung der künstlerischen Grundlagen in Frage stellen, aber es<br />
geht um darauf aufbauende Fragestellungen, auf die wir uns und<br />
unsere Studenten vorbereiten müssen: Wie sieht das Orchester<br />
oder Instrumentalensemble der Zukunft aus? Welche Fähigkeiten<br />
müssen der Instrumentalist, der musikalische Leiter oder der<br />
Manager mitbringen, um nicht nur dort hervorragend zu bestehen,<br />
sondern den Entwicklungsprozess weiter in Gang zu halten und<br />
aktiv mitzugestalten? Wie muss Gesangsausbildung heute angelegt<br />
werden für eine Konzert- und Theaterwelt, in der sich klassische<br />
Ensembles und Produktionsformen zunehmend verändern? Wie<br />
werden junge Regisseure und Schauspieler auf die sich rasant<br />
entwickelnden neuen künstlerischen Bühnenformate vorbereitet?<br />
Wie verfolgen, kommentieren, entwickeln wir dieses Momentum?<br />
Und wie überzeugen wir die Politik von der Dringlichkeit, diese<br />
Aufgaben zu fördern und zu begleiten?<br />
11
R e c h e r c h e n i m T h e a t e r l a n d<br />
Investieren heIssT zukunftsfäHIG machen<br />
Interdisziplinarität, internationale Vernetzung und vor allem<br />
Künstlerische Forschung dürfen uns nicht fremd sein. Hierfür<br />
müssen zusätzliche Gelder bereitgestellt oder eingeworben werden.<br />
Hierauf müssen wir unsere Lehre ausrichten, unsere Projekte,<br />
unsere Exkursionen. Heute in diese Bereiche zu investieren, heißt<br />
die Hochschulen zukunftsfähig zu machen, den Studierenden das<br />
Beste auf den Weg zu geben, die Lehre voranzutreiben und wo<br />
immer möglich mit der Forschung zu koppeln. Dabei geht es nicht,<br />
wie von Kritikern kolportiert, um Nachahmung akademischer<br />
Grundlagenforschung, sondern um bereits seit Jahren existierende<br />
Künstlerische Forschung, die nun stärker markiert und ausgestellt<br />
werden muss und die im besten Falle längst Bestandteil der<br />
innovativen künstlerischen Prozesse ist, wie dies beispielhaft in der<br />
Tanzabteilung unserer Hochschule geschieht.<br />
Wenn die Politik diesen Prozess künstlerischer Innovation an<br />
unseren Hochschulen unterstützt, wird er in den kulturellen<br />
Institutionen, in den Bildungseinrichtungen, in den Familien, in der<br />
gesamten Gesellschaft Früchte tragen. Die Theatergeschichte der<br />
Bundesrepublik Deutschland, um diesen Faden wieder aufzunehmen,<br />
hat seit ihrer Wiedervereinigung gezeigt, dass dort, wo<br />
mutig und innovativ in die Kultur investiert wurde, die Kulturlandschaft<br />
Früchte getragen hat, dass aber Schließungen, Fusionen<br />
oder Konzentrationen – als Schattenseite – zu kulturpolitischen<br />
Nachahmeffekten und Dammbrüchen geführt haben. Dies könnte<br />
auch der Landschaft der künstlerischen Hochschulen – und in<br />
diesem Moment in erster Linie der Musikhochschulen – widerfahren,<br />
wenn das Beispiel Baden-Württemberg, dessen Durch- und<br />
Umsetzung genauestens in den anderen Bundesländern verfolgt<br />
wird, Schule macht. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, den Stellenwert<br />
der Kunsthochschulen deutlich zu machen und ihre Position neu<br />
zu verorten.<br />
Das Forschungsprojekt und die Publikation „Recherchen in einem<br />
Theaterland“ sollen deshalb nicht nur als Bestandsaufnahme der<br />
gegenwärtigen Situation der Theater und Orchester in Deutschland,<br />
sondern der Kulturpolitik insgesamt verstanden werden. Aus der<br />
Analyse 16 verschiedener Kulturpolitiken in den 16 deutschen<br />
Bundesländern könnten nun in einem zweiten Schritt modellhaft<br />
Reformschritte und Entwicklungswege destilliert werden, die den<br />
Kulturstandort Deutschland mutig neu bewerten und mit ihm die<br />
Rolle aller Kulturinstitutionen und der ihnen vorgeschalteten<br />
Bildungseinrichtungen, insbesondere der Kunst- und Musikhochschulen,<br />
ohne die wir den dringenden Nachwuchs nicht in der<br />
Spitze, in der Qualität und auch nicht in der notwendigen Breite<br />
ausbilden können.<br />
Szene aus<br />
„Slapstick/Andere<br />
Handschriften“,<br />
einem Studienprojekt<br />
der<br />
Ausbildungsbereiche<br />
Regie und<br />
Schauspiel<br />
unter Leitung von<br />
Andreas<br />
Kriegenburg.<br />
Die Autoren:<br />
Sarah Wulf ist Masterstudentin des Studiengangs Theater- und Orchestermanagement,<br />
sie arbeitet bereits seit Februar 2013 als feste Mitarbeiterin des Künstlerischen<br />
Betriebsbüros des Schauspiels <strong>Frankfurt</strong>. Sie gehört zum Redaktionsteam des<br />
Publikationsprojektes „Recherchen in einem Theaterland“ und war wissenschaftliche<br />
Assistentin des gleichnamigen Forschungsprojektes.<br />
Professor Thomas Schmidt ist Leiter des Masterstudiengangs Theater- und Orchestermanagement.<br />
Er unterrichtet zudem ab Frühjahr 2014 als Gastprofessor an der Faculty<br />
of Arts and Sciences der Harvard University. Schmidt war Gründer verschiedener freier<br />
Theatergruppen, über zehn Jahre Geschäftsführender Direktor und schließlich Intendant<br />
des Deutschen Nationaltheaters Weimar. Seine Publikationen widmen sich der Analyse<br />
der Theatersysteme und der Zukunft des Theaters. In diesem Jahr erscheinen seine<br />
jüngsten Beiträge „Auf der Suche nach der zukünftigen Struktur – Für eine Transformation<br />
des deutschen Theatersystems“ sowie im Jahrbuch Kulturmanagement „Der kreative<br />
Produzent – Überlegungen zu einer Schnittstellenfunktion zwischen Kunst und<br />
Management“.<br />
Forschungsprojekt und Publikation:<br />
Der im Juni 2013 bei Con Brio publizierte Band „Recherchen in einem Theaterland“<br />
ist das Resultat eines Forschungsprojektes des Masterstudiengangs Theater- und<br />
Orchestermanagement der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am<br />
Main zum Thema „Theater der Zukunft“. Er versammelt 17 Essays, in denen ein Überblick<br />
über die gegenwärtige deutsche Theater- und Orchesterlandschaft und ihre kulturpolitischen<br />
Rahmenbedingungen gegeben und die Theatersysteme aller 16 Bundesländer<br />
im Hinblick auf ihre Zukunftspotenziale analysiert werden. Der Band unter Herausgeberschaft<br />
des Direktors des Studiengangs, Thomas Schmidt, wurde von den acht<br />
Masterstudentinnen geschrieben, die ihr Studium im Herbst 2013 beenden.<br />
12
Ein<br />
Füllhorn sEit<br />
2007!<br />
Die 2007 gegründete Gesellschaft<br />
der Freunde und Förderer der Hochschule<br />
für Musik und Darstellende Kunst<br />
<strong>Frankfurt</strong> am Main e. V. fördert die<br />
Studierenden der <strong>HfMDK</strong> und sorgt für<br />
exzellente Ausbildungsbedingungen.<br />
Sie finanziert Starterstipendien, DAAD-Stipendien<br />
und individuelle Stipendien, Gastprofessuren für<br />
Lied und Schauspiel, Gastdirigenten, seltene<br />
Instrumente, Opern- und Regieprojekte, Symposien,<br />
Spitzenschuhe, Exkursionen, Reisekosten,<br />
Publikationen, neue Saiten und vieles mehr!<br />
Werden Sie Mitglied<br />
und helfen Sie mit, die Ausbildung junger<br />
Musiker, Tänzer, Sänger und Schauspieler<br />
nachhaltig zu unterstützen!<br />
Mehr Informationen<br />
zu den Förderprojekten der GFF<br />
finden Sie hier:<br />
www.hfmdk-freunde.de<br />
Spendenkonto der Freunde<br />
und Förderer der <strong>HfMDK</strong>:<br />
Deutsche Bank <strong>Frankfurt</strong><br />
BLZ 500 700 24<br />
Kontonummer 806 50 70<br />
13
F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />
KRISE UND KRAFT der KUNST SIND EINS<br />
Die Kunst im gegenwärtigen Kapitalismus<br />
Auszüge aus dem Vortrag von<br />
Prof. Dr. Christoph Menke,<br />
Professor für Praktische Philhosophie<br />
an der Goethe-Universität<br />
<strong>Frankfurt</strong>, anlässlich des Symposiums<br />
„Zukunft der Künste – Kunstausbildung<br />
im Wandel“ an der<br />
<strong>HfMDK</strong> im April 2013<br />
Die gegenwärtige gesellschaftliche Lage der Kunst bildet ein<br />
Paradox: Die Kunst ist sozial und kulturell erfolgreich wie nie zuvor<br />
in der Moderne; eben deshalb ist ebenfalls wie nie zuvor in der<br />
Moderne völlig unklar, was die Kunst ist, ja, ob es sie überhaupt<br />
geben soll. Wohl noch nie in der Moderne war die Kunst so sichtbar<br />
und präsent wie heute. Die Kunst steht nicht am Rand der Gesellschaft,<br />
sondern Kunst steht überall, in ihren Zentren, herum, sie<br />
wird in allen Formen, an allen Orten und zu allen Zeiten gemacht.<br />
Dadurch aber ist die Kunst ein bloßer Teil des gesellschaftlichen<br />
Prozesses geworden, eine weitere der vielen Kommunikationsformen,<br />
die die Gesellschaft ausmachen: eine ökonomische Ware,<br />
ein Beitrag zur politischen Meinung, eine kulturelle Veranstaltung<br />
zur Unterhaltung, Entlastung und Erholung. Dem entspricht, dass<br />
für die Gesellschaft, in die sich die Kunst aufzulösen beginnt, die<br />
Werte und Einstellungen des Ästhetischen, die an den Bereich der<br />
Kunst gebunden waren, zu bestimmenden Mustern geworden sind.<br />
Das Ästhetische bezeichnet nicht mehr die kulturelle Gegenfigur<br />
oder Gegenbewegung, sie ist jetzt das Modell der Gesellschaft.<br />
Damit ist das Ästhetische zugleich ein Mittel im ökonomischen<br />
Verwertungsprozess geworden, auf den die Gesellschaft sich<br />
zunehmend reduziert. Die Krise der Kunst ist ihr Erfolg, der soziale<br />
und kulturelle Aufstieg des Ästhetischen zum Leitbild beraubt es<br />
seiner Kraft.<br />
Damit stehen die Kritik der Gesellschaft, und die Politik, die diese<br />
Kritik vorantreibt, vor einer ganz neuen Situation: Ihnen ist die<br />
Orientierung abhanden gekommen, als die libertären Ideale eines<br />
freien und glücklichen Lebens, die sich von der Romantik bis zu den<br />
Avantgarden stets am Bild des Ästhetischen orientierten, sich in<br />
ökonomische Imperative verwandelten. Eine Moral bloß der sozialen<br />
Gerechtigkeit und der Menschenrechte wird diese Auflösung des<br />
politischen Ideals sicherlich nicht kompensieren können. Wenn der<br />
Grund für den Verlust des politischen Ideals aber nicht einfach Mutund<br />
Phantasielosigkeit ist; wenn seine Auflösung ihren Grund darin<br />
hat, dass die Idee des Ästhetischen selbst, die seit dem Beginn der<br />
Moderne die Quelle der libertären Ideale eines freien und glücklichen<br />
Lebens bildete, sich zersetzt – weil sie von der Gesellschaft<br />
absorbiert wurde, der sie sich entgegensetzte –, dann betrifft der<br />
Orientierungsverlust von Kritik und Politik in verschärfter Weise<br />
auch die Künste. Denn die Künste sind die Praxis des Ästhetischen.<br />
Durch die postmoderne Ästhetisierung der Gesellschaft ist auch ihr<br />
lange gehegtes Selbstverständnis, also das Selbstverständnis der<br />
Künste, zur Partei der Kritik und der Emanzipation zu gehören,<br />
zuschanden geworden. Die Künste drohen, durch die einzige Macht<br />
zerstört zu werden, die dazu in der Lage ist – durch sich selbst; das<br />
ist die Ironie oder Tragik ihres Erfolgs.<br />
In der Situation der Gefahr hilft nur eins: die aufkommende Panik<br />
bekämpfen, der Flucht in den raschen Ausweg – also in die<br />
Resignation oder Nostalgie – die Tür versperren und in der<br />
„Eiswüste der Abstraktion“ (Adorno) die Abkühlung zu suchen, die<br />
einen wieder denken und vielleicht auch handeln läßt. Versuchen<br />
wir also zu begreifen, was ist.<br />
Worin besteht die Ästhetisierung der gegenwärtigen Kultur und<br />
Gesellschaft? Worin sind die postmoderne Kultur und die postindustrielle<br />
Gesellschaft „ästhetisch“? Sie besteht darin, dass<br />
14
Szene aus „Tanz hoch drei<br />
im Tiefgeschoss“,<br />
den Präsentationen der<br />
Abteilung Zeitgenössischer<br />
und Klassischer Tanz<br />
(ZuKT) im Rahmen der<br />
<strong>HfMDK</strong>-Hochschulnacht.<br />
15
ästhetische Handlungsweisen, die ihrem modernen Verständnis<br />
nach den sozialen Praktiken entgegengesetzt waren, jetzt selbst<br />
von diesen gefordert werden. Das Ästhetische der gegenwärtigen<br />
Gesellschaft betrifft nicht nur und nicht vor allem ihre Erscheinungsweise<br />
(das Diktat des schönen Scheins, dem alles in dieser<br />
Gesellschaft – von den Gesichtern und Körpern bis zu Waren und<br />
deren Produktionsstätten – unterworfen ist), sondern ihre Produktionsweise.<br />
Die Idee des Ästhetischen ist eine moderne Idee – eine Idee, die<br />
seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in der Ästhetik gedacht und<br />
in den Künsten verwirklicht worden ist. Diese Idee bringt eine<br />
Revolution in Verständnis und Vollzug des menschlichen Tuns zum<br />
Ausdruck: Das Ästhetische sind nicht Eigenschaften von Dingen<br />
(wie Schönheit oder Vollkommenheit), sondern das Ästhetische ist<br />
ein besonderer Zustand des Menschen. Dieser ästhetische Zustand<br />
besteht darin, in einer bestimmten Weise tätig zu sein. Das<br />
Ästhetische ist die Idee einer anderen, einer nicht-praktischen und<br />
daher nicht-sozialen Aktivität.<br />
Für diese neue, ästhetische Weise des Tuns ist entscheidend, dass<br />
es ein Tun ohne Regeln ist. Es ist also nicht nur ein Tun nach<br />
eigenen Gesetzen oder Regeln – ein Tun, das die Regeln befolgt,<br />
die man sich selbst gegeben hat –, sondern ein regelloses Tun.<br />
Ästhetisch ist daher ein Tun, das in jedem Moment erst selbst<br />
herausfinden muss, was es will und wie es vorgehen kann. Deshalb<br />
ist alles ästhetische Tun im modernen Verständnis ein Versuch,<br />
ein Experiment ohne Rückversicherung, in dem nicht weniger als<br />
die Möglichkeit des Gelingens dieses Tuns selber auf dem Spiel<br />
steht. Der ästhetisch Tätige, beispiel- oder vorbildhaft der Künstler,<br />
ist im modernen Verständnis einer, der alle Gewissheiten außer<br />
Kraft setzt und mit allem experimentiert – mit Materialien, Formen<br />
und Situationen und darin immer auch mit sich selbst: „Wir selber<br />
wollen unsere Experimente und Versuchs-Thiere sein“, lautet<br />
Nietzsches radikale Konsequenz aus der modernen Idee des<br />
Ästhetischen.<br />
Genau das, was nach dem Selbstverständnis der Moderne das<br />
Ästhetische auszeichnete – alle Gewissheiten und Regeln außer<br />
Kraft zu setzen und Experimente zu machen –, macht der postindustrielle<br />
Kapitalismus der Gegenwart zum ökonomischen Imperativ.<br />
Das Allesverändernde, ebenso Destruktive wie Kreative – also: die<br />
ästhetische Natur – des Kapitalismus haben schon Marx und<br />
Engels im Kommunistischen Manifest beschrieben. Aber das ging<br />
im industriellen Regime des Kapitalismus noch mit strikter<br />
Disziplinierung – mit der moralischen Selbstdisziplinierung des<br />
Bourgeois und der militärgleichen Disziplinierung der Arbeiterheere<br />
– einher. Unsere postindustrielle, postmoderne Gegenwart beginnt<br />
genau in dem Moment, in dem der Kapitalismus erkennt, dass es<br />
mit der ästhetischen Handlungsform des Experiments besser geht.<br />
Ja, dass die Parole „Keine Experimente!“, mit der die durch sich<br />
selbst verschreckten Bürger in der Nachkriegszeit beruhigt wurden,<br />
dem Wesen des Kapitalismus zutiefst fremd ist und er dem<br />
ästhetischen Handeln, das die moderne Kunst praktiziert hat,<br />
Szene aus<br />
„Büchners Frauen“,<br />
einer Kammeroper<br />
von Paul Schäffer,<br />
im Sommersemester<br />
2013.<br />
Regie: Teresa Reiber.<br />
zutiefst verwandt ist. Das ist die Einsicht, die der Ökonom und<br />
Jurist Franz Böhm in einem der wegweisenden Traktate des<br />
deutschen Neoliberalismus bereits im Jahr 1966 festgehalten hat:<br />
Als die weltweite studentische Protestbewegung die Idee des<br />
Ästhetischen gegen die bestehende Gesellschaft mobilisierte,<br />
erkennt Böhm, der Anti-Marcuse, dass das Ästhetische gar keine<br />
antikapitalistische Utopie, sondern ein gutes Modell für die<br />
Fortentwicklung der kapitalistischen Gesellschaft ist. Denn hier<br />
gilt für jeden, so Böhm: „Er muß experimentieren.“<br />
Damit ist die neue Rolle des Ästhetischen in der gegenwärtigen,<br />
postindustriellen oder nachdisziplinären Gesellschaft bestimmt.<br />
Die Rolle der Kunst in der klassischen bürgerlichen Gesellschaft<br />
bestand darin, dem Bürger ein Feld der Betätigung zu bieten, in<br />
dem er als versöhnt erfährt, was in seinem Alltag einander fremd<br />
gegenübersteht.<br />
Der neoliberale Imperativ „Du musst experimentieren!“ protokolliert<br />
einen fundamentalen Rollenwechsel des Ästhetischen in der<br />
bürgerlichen Gesellschaft: den Wechsel von der ästhetischen<br />
Ideologie der Harmonie und Versöhnung zur ästhetischen Produktivkraft<br />
von Flexibilität und Experiment, Innovation und Imagination.<br />
Der Künstler ist nicht das Gegen-, sondern das Urmodell des<br />
ökonomisch Produktiven. – Die gegenwärtige Krise der Kunst und<br />
des Ästhetischen ist selbst gemacht: eine Folge ihres Erfolgs.<br />
16
K r i s e u n d K r a f t d e r K u n s t s i n d e i n s<br />
Jedes Kunstwerk ist ein Experiment,<br />
weil jedes Kunstwerk bei Null beginnt –<br />
ein Kunstwerk, das nicht bei Null beginnt,<br />
sondern die Kunst für gesichert und<br />
gegeben hält, ist gar keins.<br />
Kann die Kunst dieser gesellschaftlichen Aneignung des Ästhetischen<br />
etwas entgegensetzen? Eignet der Kunst eine Gegenkraft zu<br />
ihrer Inanspruchnahme als Modell sozialer Produktivität? Worin liegt<br />
die Kraft der Kunst? „Daß nichts, was die Kunst betrifft, mehr<br />
selbstverständlich ist, weder in ihr noch im Verhältnis zum Ganzen,<br />
nicht einmal ihr Existenzrecht“ – diese grundsätzliche Infragestellung<br />
der Kunst, mit der Adorno vor über 40 Jahren seine Ästhetische<br />
Theorie eröffnet hat, hat sich heute noch einmal und<br />
entscheidend zugespitzt. Sie betrifft jetzt nicht mehr nur das<br />
Existenzrecht, sondern die schiere, bloße Existenz der Kunst: Gibt<br />
es noch Kunst? Das heißt, kann die Kunst in der nachdisziplinären<br />
Gesellschaft der Ästhetisierung noch die Kraft der Differenz, die<br />
Kraft zu Differenz und Distanz zur Gesellschaft, aufbieten?<br />
Die Frage so zu stellen, legt eine bestimmte Antwort nahe und<br />
schließt andere Antworten aus. Das ist zum einen die „kritische“<br />
Antwort, dass die Kunst zu einem Medium der sozialen Analyse und<br />
der politischen Aktion werden müsse; ebenso wie die „mimetische“<br />
Antwort, dass die Kunst die ästhetisierte Gesellschaft durch ihre<br />
bloße Verdopplung und Wiederholung vorführen könne. Und am<br />
allerwenigsten ist für die Kraft der Kunst von Nostalgien und<br />
Eskapismen zu erwarten, die die Kunst aus irgendwelchen spirituellen,<br />
religiösen oder mythischen Quellen wiederbeleben wollen.<br />
die Wiederaneignung der radikalen Grundidee des Ästhetischen<br />
und ihrer Mobilisierung als Gegenkraft zur gesellschaftlichen Ästhetisierung.<br />
Die Parole dieser Wiederaneignung lautet: Das Ästhetische<br />
gegen die Ästhetisierung.<br />
Aber dafür müssen wir sagen können, worin die moderne Idee des<br />
Ästhetischen sich von der gesellschaftlichen Ästhetisierung, die sich<br />
doch auf diese Idee beruft, unterscheidet. Dieser Unterschied ist<br />
zugleich klein und einer um’s Ganze. Die Idee des Ästhetischen ist<br />
die Idee einer anderen Weise des Tätigseins. „Anders“ ist dieses<br />
Tätigkeitsweise, weil sie nicht von einer (vor-)gegebenen Regel,<br />
einem schon bestehenden Muster oder Modell geleitet ist. Die ästhetische<br />
Tätigkeitsweise bringt sich erst in ihrem Vollzug selbst hervor,<br />
sie ist also (im Wortsinn) anarchisch: Sie hat keine arche, kein<br />
Prinzip oder Ursprung, der ihr vorweg geht und sie festlegt. Nichts<br />
anderes besagt, dass die ästhetische Tätigkeit experimentell ist.<br />
Zu experimentieren definiert die Tätigkeitsweise in der kapitalistischen<br />
Gesellschaft nicht weniger als in der Kunst: Beide gibt<br />
es nur als Experimente. Aber beide unterscheidet und scheidet,<br />
ja macht sie zu den schärfsten Gegnern, dass die Experimente in<br />
der kapitalistischen Gesellschaft unter einer Bedingung stehen,<br />
Die Antwort dagegen, die die Frage nach<br />
der Kraft der Kunst, nach ihrer Kraft<br />
zur Differenz zur Gesellschaft, nahelegt,<br />
ist – immer noch oder wieder einmal – die<br />
Antwort der Moderne; eine Antwort, die<br />
der modernen Idee des Ästhetischen treu<br />
bleibt. Ist es aber nicht exakt die moderne<br />
Bestimmung des Ästhetischen als einer<br />
regellos-experimentellen Tätigkeitsweise,<br />
die im postindustriellen Kapitalismus<br />
angeeignet und zur Produktionsweise<br />
geworden ist? Diese gesellschaftliche<br />
Aneignung des Ästhetischen ist in<br />
Wahrheit eine Enteignung. Es geht also<br />
um eine Enteignung der Enteigner, um<br />
Szene aus<br />
„Böse Märchen“,<br />
einem Regieund<br />
Schauspielprojekt,<br />
hier während einer<br />
Probe für die<br />
<strong>HfMDK</strong>-Hochschulnacht.<br />
17
K r i s e u n d K r a f t d e r K u n s t s i n d e i n s<br />
STATEMENT<br />
Maurice Lenhard,<br />
Sänger<br />
Wie fühlen Sie sich von der<br />
Hochschule auf Ihre berufliche<br />
Zukunft vorbereitet?<br />
Fachlich und inhaltlich sehe ich<br />
mich an der <strong>HfMDK</strong> weitgehend<br />
sehr gut unterrichtet. Ob das<br />
allerdings ausreicht, um auch<br />
erfolgreich in den Beruf zu<br />
starten, kann ich am jetzigen<br />
Punkt meiner Ausbildung noch<br />
nicht ausreichend beurteilen.<br />
Dennoch ist mir klar, dass eine<br />
Hochschule, und so auch unsere,<br />
nie in der Lage sein kann,<br />
Erfahrungen, die im Berufsfeld<br />
auf einen warten, zu ersetzen.<br />
Wenn man sich dessen bewusst<br />
ist und sich nicht blind ausschließlich<br />
auf die Studienangebote<br />
als Weg zur Berufsfähigkeit<br />
beschränkt, kann man an der<br />
<strong>HfMDK</strong> eine sehr gute Ausbildung<br />
erfahren.<br />
Wie helfen Sie Ihren Studierenden,<br />
sich auf ihre berufliche<br />
Zukunft vorzubereiten?<br />
Ich versuche den Studierenden<br />
einen klaren Begriff von Qualität<br />
zu vermitteln und bin der Meinung,<br />
dass dies das Wichtigste<br />
ist, um später im Beruf vor<br />
sich selbst und den anderen zu<br />
bestehen.<br />
Wie sollte aus Ihrer Sicht eine<br />
Hochschule der Zukunft<br />
aussehen?<br />
Jedem Kunstschaffenden steht<br />
derzeit einmal mehr eine<br />
ungewisse Zukunft bevor. Es gibt<br />
nicht mehr nur den einen Weg<br />
des singulären Künstlers.<br />
Diversität, Innovation und Mut<br />
zur Eigenwilligkeit werden dabei<br />
unabdingbar. In meinen Augen<br />
sollten Kunst- und Musikhochschulen<br />
auf diese strukturellen<br />
Veränderungen in der Kunstbranche<br />
und damit auch im Künstlerberuf<br />
dringend mehr eingehen.<br />
Kunst ist eigen und unangepasst,<br />
ein Studium, das gleich hobelt,<br />
was ungehobelt gehört, modularisiert<br />
statt polarisiert, kann<br />
nichts Neues hervorbringen. Was<br />
bleibt dann einer künstlerischen<br />
Hochschule, wenn sie keine<br />
Künstler mehr hat?<br />
STATEMENT<br />
Peter Michalzik,<br />
Lehrbeauftragter Schauspiel<br />
Wie sollte aus Ihrer Sicht eine<br />
Hochschule der Zukunft<br />
aussehen?<br />
Noch wichtiger als die Zukunft<br />
der <strong>HfMDK</strong> ist die Zukunft der<br />
Studierenden. Ich glaube, dass<br />
nach der Orientierung an der –<br />
unbekannten – Zukunft eine<br />
Orientierung an der – ebenso<br />
unbekannten – Vergangenheit<br />
neue Bedeutung gewinnen wird.<br />
die sie niemals in Frage stellen können; sie<br />
sind bedingte Experimente. All der Einsatz<br />
von Kreativität, Flexibilität, Phantasie und<br />
Engagement, den die postindustrielle<br />
Gesellschaft verlangt, untersteht immer<br />
weiter dem Kriterium sozialen Erfolgs, also<br />
dem Verwertungsimperativ des Kapitals, und damit der Drohung<br />
des Scheiterns. Um Experimente mit diesem Erfolgskriterium, mit<br />
dem Imperativ der Verwertung, geht es niemals.<br />
Die ästhetischen Experimente der Kunst dagegen sind unbedingte<br />
Experimente. Jedes Kunstwerk ist in seinem ästhetischen Vollzug,<br />
der Hervorbringung oder der Erfahrung, ein Experiment mit der<br />
Kunst selbst – ein Versuch nicht nur, ob man Kunst so, sondern ob<br />
man sie überhaupt machen kann (ob man sie überhaupt machen<br />
und sie überhaupt machen kann). Jedes Kunstwerk ist also ein<br />
Experiment, weil jedes Kunstwerk bei Null beginnt – ein Kunstwerk,<br />
das nicht bei Null beginnt, sondern die Kunst für gesichert und<br />
gegeben hält, ist gar keins. Alleine in dieser Unbedingtheit, in der<br />
sie nichts, nicht einmal sich selbst, voraussetzt, liegt die Freiheit der<br />
Kunst. Die Freiheit der Kunst besteht nicht darin (wie man so sagt),<br />
von äußeren Bedingungen und Vorschriften frei zu sein. Das ist die<br />
Kunst vielmehr nur dann und solange, wie sie in einem radikaleren<br />
Sinne frei ist: frei von sich selbst, sich selbst gegenüber. Solange<br />
also, wie die Kunst sich selbst nicht für gegeben hält; solange wie<br />
das Experiment, das jedes Kunstwerk ist, ein Experiment mit der<br />
Kunst selbst ist.<br />
So frei kann die ästhetische Tätigkeit der Kunst nur sein, wenn sie<br />
jedesmal in einen Zustand vor der Kunst zurückgeht: Die ästhetische<br />
Tätigkeit des Kunstmachens muss – buchstäblich – jedesmal<br />
wieder bei Null beginnen. Dieser Nullzustand, bei oder in dem das<br />
Kunstwerk beginnt, ist der ästhetische Zustand: der Zustand, in<br />
dem die Kräfte des Subjekts nicht zu Zwecken gebraucht werden,<br />
sondern zwecklos spielen; ein Zustand des Spiels der Kräfte – in<br />
dem die Kräfte des Selbst nicht durch einen Zweck, also das Gute<br />
bestimmt, sondern frei sind. Die ästhetische Tätigkeit der Kunst ist<br />
daher eine Hervorbringung von Formen aus dem und durch das<br />
freie Spiel der Kräfte. Die ästhetische Tätigkeit der Kunst besteht<br />
daher darin, Formen aus Formlosigkeit hervorzubringen. Das ist das<br />
Experiment, das die Tätigkeit der Kunst, will sie gelingen, stets<br />
wieder neu durchführen muss: Sie muss sich im Prozess der<br />
18
Szene aus „Tanz<br />
hoch drei im Tiefgeschoss“,<br />
den Präsentationen<br />
der Abteilung<br />
Zeitgenössischer<br />
und Klassischer Tanz<br />
(ZuKT) im Rahmen<br />
der <strong>HfMDK</strong>-Hochschulnacht.<br />
Formierung dem aussetzen, was ihr Ziel, die Form, aussetzt und in<br />
Frage stellt. Das künstlerische Experiment ist ein Experiment mit<br />
dem Bruch der Form – nicht durch eine andere, neue Form, sondern<br />
durch keine Form, durch die Formlosigkeit oder Unform als dem<br />
Grund aller Form.<br />
Jedes Kunstwerk ist also ein Experiment, weil es die Möglichkeit<br />
der Kunst selbst erprobt. Es erprobt die Möglichkeit, aus dem<br />
Zustand ästhetischer Freiheit etwas, ein Werk, zu schaffen. Weil<br />
diese Möglichkeit ebensosehr eine Unmöglichkeit ist – denn der<br />
ästhetische Zustand ist der Rausch entfesselter Kräfte (Nietzsche),<br />
die „Entwerkung“ (Foucault) aller Formen –, ist die Existenz des<br />
Kunstwerks und damit der Kunst grundsätzlich ungewiss. Während<br />
die ökonomischen und sozialen Experimente, zu denen die postindustrielle<br />
Gesellschaft jeden einzelnen zwingt, unter der Bedingung<br />
stehen, dass sie niemals diese Gesellschaft selbst, ihr Grundprinzip<br />
des Erfolgs, betreffen dürfen – sie sind keine Experimente<br />
mit der Gesellschaft; die Experimente in der kapitalistischen Gesellschaft<br />
sind Experimente der Notwendigkeit oder des Schicksals –,<br />
sind die ästhetischen Experimente der Kunst Experimente der<br />
Freiheit, weil sie unbedingt oder absolut sind: Sie stehen unter<br />
keiner Bedingung, nicht einmal der, dass es Kunst gibt (und geben<br />
soll). Die Krise der Kunst, das Infragestehen ihrer Existenz, ist also<br />
die Kraft der Kunst. Die Krise und die Kraft der Kunst sind eins.<br />
Stimmt!<br />
Was kann und soll die Kunst in einer Gesellschaft tun, die die<br />
Potenziale des Ästhetischen nicht mehr nur zu Spektakeln der<br />
Ablenkung und Erholung, sondern mehr und mehr als Produktivkraft<br />
nutzt, die sich also das Ästhetische, das ihr entgegengesetzt war,<br />
angeeignet hat? Wenn die Frage nach der Kunst in der gegenwärtigen<br />
Gesellschaft lautet: Was tun?, dann kann die Antwort auf die<br />
Frage nach dem Was nur im Wie liegen. Die Kunst widerstreitet der<br />
Ästhetisierung, der sozialen und ökonomischen Aneignung des<br />
Ästhetischen, indem sie der Idee des Ästhetischen treu bleibt.<br />
Deine musikalische<br />
Rundumversorgung.<br />
<strong>Frankfurt</strong> am Main<br />
Hanauer Landstraße 338<br />
www.session.de
F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />
DAS THEATER ALS BAromeTer für deN ZEITGEIST<br />
Spuren künstlerischer Forschung finden wir schon im 18. Jahrhundert<br />
Von Dr. Erika Fischer-Lichte, Professorin<br />
am Institut für Theaterwissenschaft<br />
an der Freien<br />
Universität Berlin, anlässlich des<br />
<strong>HfMDK</strong>-Symposiums „Zukunft<br />
der Künste – Kunstausbildung<br />
im Wandel“ im April 2013 – Auszüge<br />
ihres Beitrags.<br />
Noch in jüngster Vergangenheit lässt sich erkennen, dass<br />
allerorts der Wunsch nach gesellschaftlicher Partizipation gelebt<br />
wird – als zwei Beispiele erwähne ich die Demonstrationen gegen<br />
„Stuttgart 21“ oder die „Occupy“-Bewegung. Die repräsentative<br />
Demokratie wird in gewisser Weise als Marginalisierung von ganzen<br />
Bevölkerungsgruppen angesehen, und genau dagegen opponieren<br />
die Menschen. Und es ist nicht etwa so, dass Theater oder<br />
Darstellende Künste auf diese Entwicklung lediglich reagieren<br />
würden; sie sind vielmehr ein Teil dieser Entwicklung, haben sie<br />
sogar maßgeblich mit voran getrieben. Die Anfänge solcher<br />
Entwicklungen sind bereits in den 60er Jahren des vergangenen<br />
Jahrhunderts zu finden. Dabei ist das Theater am Turm, damals nur<br />
wenige Meter vom heutigen <strong>Frankfurt</strong>er Hochschulgebäude<br />
entfernt, eine wichtige Institution gewesen – dort fand die erste<br />
„Experimenta“ statt. Aus ihrem Anlass inszenierte der damals noch<br />
junge Regisseur Claus Peymann Handkes „Publikumsbeschimpfung“.<br />
Dies bedeutete in zweierlei Hinsicht eine bedeutende Zäsur:<br />
Die vier Schauspieler standen frontal zum Publikum und beschimpften<br />
das Publikum nach allen Regeln der Kunst. Daraufhin<br />
standen mehrere Zuschauer auf und protestierten – einer von ihnen<br />
drohte sogar, er würde jetzt den ganzen Abend protestierend<br />
stehenbleiben. Einer der Schauspieler, geschult im Improvisieren,<br />
brachte ihn mit gutem Zureden dazu, sich wieder hinzusetzen. Am<br />
zweiten Abend fruchteten allerdings derartige Beschwichtigungsmanöver<br />
nicht. Da standen Zuschauer nicht nur auf, sondern<br />
betraten auch die Bühne. Interessant erschien für mich damals die<br />
Reaktion des jungen Regisseurs: Er stürzte hinter der Bühne hervor<br />
und versuchte, die Zuschauer wieder auf ihre Plätze zu treiben. Dies<br />
war ein Schauspiel in sich. Was Peymann mit seiner Inszenierung<br />
damals unternahm, lässt sich als die Aufhebung<br />
der „vierten Wand“ beschreiben. In den 50er<br />
Jahren existierte diese Wand noch; die<br />
Zuschauer saßen im Dunkel und folgten<br />
mehr oder weniger andachtsvoll oder<br />
gelangweilt dem, was auf der Bühne<br />
passierte. Jetzt aber wurden die Zuschauer<br />
direkt angesprochen, und sie reagierten in<br />
der Tat. Peymann hingegen war der<br />
Auffassung, er habe mit der Inszenierung<br />
ein Kunstwerk geschaffen, in das die<br />
Zuschauer nicht einzugreifen hätten. Dass<br />
sie sich erdreisteten, in seine „Komposition“<br />
zu intervenieren, empfand er als Unverschämtheit.<br />
Die Zuschauer hingegen sagten:<br />
„Wir werden beleidigt, angesprochen und<br />
aufgefordert, uns auch zu äußern. Und das tun<br />
wir jetzt auch.“<br />
Was darf im Theater passieren?<br />
Was damals jedoch eigentlich zur Verhandlung stand,<br />
war die Frage: Ist das Theater eine Anstalt, in der eine<br />
Gruppe von Menschen anderen etwas vorführt, die dann nur<br />
klatschen dürfen oder auch nicht? Oder ist Theater ein Ort, an<br />
dem etwas zwischen beiden Parteien ausgehandelt wird? Nun lautet<br />
meine Theorie, dass im Theater immer etwas zwischen beiden<br />
Gruppen vor sich geht. Aber ganz klar ist, dass dies in den 50er<br />
Jahren bei den Zuschauern im Stillen und kontemplativ vor sich zu<br />
gehen hatte. Nun aber kochte die Frage hoch: Muss das so sein?<br />
Und dies immerhin noch vor Beginn der berühmten 68er-Bewegung.<br />
Dieses Beispiel offenbart, dass es das Theater und seine<br />
Zuschauer gewesen sind, die ganz maßgeblich gespürt haben, was<br />
für neue gesellschaftliche Entwicklungen aufbrachen. Ein Beweis<br />
dafür, dass das Theater nicht nur auf das reagiert, was in der<br />
Gesellschaft bereits präsent ist, sondern es teilweise antizipierend<br />
erspürt, vielleicht sogar mit hervorbringt.<br />
20
Szene aus dem<br />
Programm des Schauspiel-Diploms<br />
2013<br />
Dieses Phänomen können wir bis hin zu den Radioballetten der<br />
letzten Jahre verfolgen, wo diese Entwicklung immer stärker<br />
hervortritt und die Zuschauer zu Akteuren werden, die – allerdings<br />
geleitet durch einen Regisseur – irgendwo in der Öffentlichkeit wie<br />
in einer Shopping Mall oder am Hauptbahnhof bestimmte Bewegungen<br />
durchführen und so die eigentlichen Akteure werden.<br />
Meiner Meinung nach sollten Hochschulen in ihrer Ausbildung –<br />
in welcher Form auch immer – auf diese Entwicklung reagieren.<br />
Laien auf die Bühne<br />
Darüber hinaus ist ein immer stärker hervortretender Versuch<br />
zu beobachten, Laienakteure auf die Bühne zu bringen<br />
– jedem von uns fällt da sofort „Rimini Protokoll“ als<br />
berühmtes Beispiel ein. Solche Tendenzen sind aber<br />
auch im „klassischen“ Theater beobachtbar, zum<br />
Beispiel bei Aufführungen griechischer Tragödien.<br />
In diesen Aufführungen hat sich seit den<br />
80er Jahren – wieder mit <strong>Frankfurt</strong> als<br />
Speerspitze der Bewegung – etwas getan.<br />
Der Einsatz von gesellschaftlich marginalisierten<br />
Gruppen als Chöre sollte diesen<br />
größere Sichtbarkeit verschaffen. So<br />
bestand in Einar Schleefs Inszenierung<br />
„Die Mütter“ am <strong>Frankfurt</strong>er Schauspiel<br />
– einem Zusammenschnitt von<br />
zwei griechischen Tragödien – der<br />
Chor aus über 60 Migrantinnen.<br />
Diese Aufführung rief einen Riesenskandal<br />
hervor: Migrantinnen und<br />
Laien im Chor auf die Bühne zu holen,<br />
galt als skandalös – heute hingegen<br />
scheint es ganz normal zu sein. Dieses<br />
Phänomen offenbart sich jedoch als<br />
ein zweischneidiges Schwert: Auf der<br />
einen Seite wird solchen Gruppen<br />
dadurch „agency“ verliehen – sie sind<br />
handelnde Akteure auf der Bühne. Auf der<br />
anderen Seite werden sie dabei zur Schau<br />
gestellt. An dieser Doppeldeutigkeit kommt<br />
man nicht vorbei.<br />
Das Theaterkombinat Wien versuchte dieses<br />
Problem auf andere Weise zu lösen. Es brachte in Genf<br />
„Die Perser“ zur Aufführung, in der der Chor aus 500<br />
Genfer Bürgern bestehen sollte – es meldeten sich aber nur<br />
200. 100 Zuschauer waren anwesend, die sich frei im Raum<br />
bewegen konnten. Der Zuschauer hatte also nie die Möglichkeit,<br />
den Chor als Ganzes in den Blick zu nehmen. Bei der großen<br />
Totenklage im Finale hielten die Akteure das Textheft vor sich, so<br />
dass die Zuschauer die Totenklage mitsprechen konnten. Man<br />
wusste dabei nicht mehr, wer Zuschauer und wer Akteur war. Auch<br />
an diesem Beispiel sehen wir deutlich: Das Theater agiert nicht im<br />
Nachhinein, sondern nimmt vielmehr eine Vorreiterrolle ein, indem<br />
es Vorschläge macht, die weiter berücksichtigt werden können, und<br />
zwar im Sinne von Experimenten, die völlig offen sind.<br />
21
D a s T h e a t e r a l s B a r o m e t e r f ü r d e n Z e i t g e i s t<br />
Austausch der Kulturen<br />
In den 80er Jahren etablierte sich der Begriff des „interkulturellen<br />
Theaters“. Den Austausch von Theatern verschiedener Kulturen<br />
hatte es allerdings immer schon gegeben, und zwar zunächst<br />
zwischen benachbarten Kulturen. Molière gründete beispielsweise<br />
eine ganz neue Theaterform, indem er die französische „Farce“ mit<br />
Elementen der „Comedia dell`arte“ verband. Ein Austausch<br />
zwischen den Kulturen war also eigentlich nichts Besonderes, doch<br />
offenbar empfand man es in den 80er Jahren als so ungewöhnlich,<br />
dass man ihm einen neuen Namen geben musste. Damit ging – und<br />
das war in der Tat neuartig – eine Workshop-Welle einher: Die<br />
großen Gurus verschiedener Theaterbewegungen begannen<br />
umherzureisen. Dies war – auch im Hinblick auf die Frage der<br />
Ausbildung in den Darstellenden Künsten – ein wichtiges Phänomen.<br />
Was die Forscher ausmacht,<br />
ganz gleich, ob Wissenschaftler<br />
oder Künstler: Sie haben<br />
Fragen, die sie umtreiben und<br />
auf die sie Antworten finden<br />
wollen.<br />
1936 schrieb Marcel Mauss den vielbeachteten Aufsatz „Les<br />
techniques du corps“. Darin machte er deutlich, dass der Mensch<br />
aufgrund seiner biologischen Ausstattung zwar zu bestimmten<br />
Arten von Bewegungen fähig sei, dass deren spezifische Ausprägung<br />
aber durch die jeweilige Kultur geprägt sei. Daraus lässt sich<br />
allerdings nicht der Schluss ziehen, die Kultur würde Bewegungen<br />
determinieren. Dies belegte in den 80er Jahren die besagte<br />
Workshop-Kultur.<br />
Aus ihr ergibt sich ein neues Problem: Wenn die Mitglieder eines<br />
Ensembles aus verschiedenen Kulturen stammen und sich unterschiedliche<br />
Techniken aneignen, die sie dann kreativ weiterverwenden,<br />
kommt die Frage auf, wie weit sich diese Techniken jeweils aus<br />
ihrem ursprünglichen kulturellen Kontext lösen lassen – sind sie<br />
tatsächlich „transportable Techniken“, wie Brecht sie bereits zu<br />
Beginn der 20er Jahre bezeichnete? Wie lässt es sich begründen,<br />
sie aus dem kulturellen Kontext herauszunehmen und in einen<br />
neuen Zusammenhang einzupflanzen? Vor allem: Was sollen sie<br />
im neuen Kontext leisten?<br />
Künstlerische ForschuNG IsT NIcHT Neu<br />
Diese Überlegungen leiten über zum Stichwort Forschung an<br />
Hochschulen der Darstellenden Künste: Künstlerische Forschung ist<br />
ein eingeführtes Feld im United Kingdom. Da heißt es „Practice as<br />
research“, „Practice-based research“, „Performance as research“.<br />
Von diesem Modell halte ich allerdings nicht viel. Um es boshaft zu<br />
sagen: Ein mittelmäßiger Künstler macht eine mittelmäßige<br />
Inszenierung und schreibt darüber mittelmäßige 70 bis 100 Seiten.<br />
Dafür bekommt er den Ph. D., den „Doctor of Philosophy“. Und weil<br />
Schauspielausbildung dort Teil der „Theatre Studies“ an der<br />
Universität ist und nur Leute dort lehren dürfen, die einen Ph. D.<br />
haben, kann er nun Studierende unterrichten. Ich ziehe dieser<br />
Praxis die hierzulande gängige vor, wirklich bedeutenden Künstlern,<br />
die gezeigt haben, wie kreativ sie in ihrem eigenen Feld sind, den<br />
Professorentitel zu verleihen und sie an einer Kunsthochschule<br />
unterrichten zu lassen.<br />
Künstlerische Forschung von bedeutenden Protagonisten des<br />
Theaters gibt es schon seit vielen Jahrzehnten: Stanislawski,<br />
Meyerhold, Brecht, Grotowski oder Barba. Es ist aufschlussreich,<br />
welche Art von Forschung sie betrieben haben. Stanislawski,<br />
der Ende des 19. Jahrhunderts angefangen hat zu arbeiten,<br />
versuchte zu ergründen, was menschliche Gefühle sind und wie<br />
man sie am besten ausdrücken kann. Damit stand er in einer langen<br />
Tradition, die bereits im 18. Jahrhundert begann, als Philosophen<br />
und Physiologen sich mit diesem Problem herumschlugen. Im<br />
18. Jahrhundert verständigte man sich auf ein „Gesetz der<br />
Analogie“: Was in der Seele vor sich geht, findet demnach analog<br />
im Körper seinen Ausdruck. Mit dieser Antwort gab sich Stanislawski<br />
aber nicht zufrieden. Er versuchte Techniken zu entwickeln, wie<br />
man einen Schauspieler dazu bringen kann, in sich Erinnerungen<br />
wiederzubeleben, die ihm helfen, in dieser emotionalen Situation in<br />
seiner Rollenfigur den optimalen Ausdruck zu finden. Erst im Laufe<br />
seiner praktischen Arbeit gelangte er jedoch zu einer anderen<br />
Möglichkeit, nämlich zu den physischen Handlungen als Schienenweg<br />
zur Rolle, also zum umgekehrten Weg, der bedeutete: Wenn<br />
ich bestimmte Handlungen ausübe, dann werden diese in mir<br />
bestimmte Emotionen hervorrufen – das wiederum verstärkt den<br />
Ausdruck.<br />
Stanislawski hat also Forschung betrieben zu dem, was wir heute<br />
„Forschung zur psychophysischen Einheit des Menschen“ nennen<br />
– und das in einer ganz besonderen gesellschaftlichen Situation:<br />
Die Industrialisierung hatte in Russland eingesetzt, und es wurde<br />
ein Menschenbild propagiert, das durch eine gewisse Nützlichkeit<br />
gekennzeichnet war. In diesem Kontext wirkte es gewagt, ein<br />
Gegenbild zu setzen, was Stanislawski aber tat, indem er von der<br />
psychophysischen Einheit des Menschen ausging. Ganz anders<br />
hingegen Meyerhold, der ein Anhänger des Kommunismus war und<br />
nach der Revolution den biomechanischen Ansatz entwickelte. Es<br />
ist heute interessant zu sehen, welche Forschungsfragen er sich<br />
damals stellte und wie er mit ihnen umging. Zum einen erschien<br />
ihm wichtig, Schauspielkunst fortan als Arbeit zu definieren. Wie<br />
ließe sich der Körper so verwenden, dass Gesten effizient sind, also<br />
22
keine überflüssigen<br />
Gesten aufkommen? Um<br />
diese Frage beantworten<br />
zu können, hat er<br />
unendlich mit seinen<br />
Schauspielern experimentiert.<br />
Zudem suchte<br />
er nach einer Lösung,<br />
den Zuschauer „zu<br />
befreien“, und zwar in<br />
dem Sinne, dass er zum<br />
Erzeuger eines eigenen<br />
Sinnes wird. Nach diesem<br />
Ansatz hatte der Schauspieler<br />
dem Zuschauer also etwas so<br />
vorzuführen, dass der Ausdruck<br />
vieldeutig ausfiel, so dass der Rezipient<br />
ihm seinen eigenen Sinn zusprechen konnte.<br />
So kam Meyerhold auf die Biomechanik, die in<br />
seiner Umsetzung mehr oder weniger aus abstrakten<br />
Gesten bestand, die dem Zuschauer nicht nur erlaubten, diese<br />
Gesten imaginativ und reflexiv zu deuten, sondern ihn auch in einen<br />
Zustand der Erregung zu versetzen.<br />
Szene aus „Xeno<br />
– Figurinen“,<br />
theatralen<br />
Entwürfen von<br />
Regie- und<br />
Schauspielstudierenden,<br />
präsentiert<br />
in der <strong>HfMDK</strong>-<br />
Hochschulnacht.<br />
Am Anfang steht die Frage<br />
Was diese Beispiele zeigen, ist auch heute noch grundlegend für<br />
Forschung an Hochschulen für Darstellende Künste: Diese Künstler<br />
hatten bestimmte Fragen, die sie umtrieben. Ohne solche Fragen<br />
sollte man nie Forschung betreiben, schon gar nicht als schiere<br />
Pflichtaufgabe. Was die Forscher ausmacht, ganz gleich, ob<br />
Wissenschaftler oder Künstler: Sie haben Fragen, die sie umtreiben<br />
und auf die sie Antworten finden wollen.<br />
STATEMENT<br />
Sophia Jaffé,<br />
Professorin für Violine<br />
Was es für Sie als Lehrende an einer Hochschule in diesem Prozess<br />
zu beachten gilt, ist die Tatsache, dass Ihre Art von künstlerischer<br />
Forschung je nach Ausprägung eine Forschung am Menschen ist.<br />
Dabei gilt es zu definieren, ob Ihre Studierenden Testpersonen oder<br />
Mitforschende sind. Diese Frage muss vorher geklärt sein. Zudem<br />
kann seriöse Forschung nicht einfach nebenher zu dem laufen, was<br />
Lehrende im Semesteralltag ohnehin absolvieren müssen. Wichtige<br />
Forschungsfragen sollten so gut formuliert sein, dass deren<br />
Relevanz jedem einleuchtet. Aus einer transparenten Fragestellung<br />
geht folglich auch klar hervor, welche angemessene Ausstattung<br />
für die forscherische Lösung dieser Fragen nötig ist. So wird<br />
offensichtlich, dass zusätzliche Ressourcen gebraucht werden,<br />
die zusätzliche Arbeitsleistungen möglich machen. Forschung zum<br />
Nulltarif en passant neben dem Curriculum kann es nicht geben.<br />
Am Ende des Forschungsprozesses steht auch im Bereich der<br />
künstlerischen Forschung dessen Dokumentation und Ergebnissicherung,<br />
um damit einen allgemeinen Gewinn für alle zu garantieren.<br />
Dazu wünsche ich Ihnen viel Glück!<br />
Wie helfen Sie Ihren Studierenden,<br />
sich auf ihre berufliche<br />
Zukunft vorzubereiten?<br />
Die Studierenden brauchen<br />
Bestärkung des Vertrauens in<br />
den eigenen Weg, auch wenn er<br />
von der „Norm“ abweicht, und<br />
das Aufzeigen der verschiedenen<br />
Möglichkeiten, im Bereich Musik<br />
tätig zu sein. Eine wichtige Rolle<br />
spielen auch Hilfestellungen und<br />
Anregungen bei praktischen<br />
Fragen wie Bewerbungen für<br />
Orchesterstellen, Stiftungen und<br />
Wettbewerbe.<br />
Inwiefern ist die <strong>HfMDK</strong> für die<br />
Zukunft gerüstet?<br />
Da ich noch nicht so lange an<br />
der Hochschule tätig bin, kenne<br />
ich sicherlich noch nicht alle<br />
Einrichtungen und alle Strukturen.<br />
Sehr sinnvoll fänd ich es,<br />
wenn es eine Art „Career Center“<br />
gäbe, in dem die Funktionsweise<br />
musikalischer Institutionen und<br />
Marketingstrategien analysiert<br />
werden - auch, um das Handwerkszeug<br />
zur Realisierung<br />
eigener Ideen und Projekte zu<br />
erlernen.<br />
23
F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />
VON DER UNVERWECHSELBARKEIT der musIZIERENDEN<br />
Gedanken über eine Hochschule für Musikerinnen und Musiker<br />
Auszüge aus dem Symposiumsbeitrag<br />
von Prof. Dr. Peter Röbke,<br />
Leiter des Instituts für Musikpädagogik<br />
(IMP) an der Universität für<br />
Musik und Darstellende Kunst<br />
Wien (MDW), anlässlich des<br />
<strong>HfMDK</strong>-Jubiläumssymposiums<br />
„Zukunft der Künste – Kunstausbildung<br />
im Wandel“.<br />
Als ich vor einigen Jahren den Rahmenlehrplan der Konferenz<br />
österreichischer Musikschulwerke (mit-)verfasste, schien für<br />
das österreichische Musikschulwesen die Zielfrage geklärt. Pointiert<br />
und durchaus um die Provokation wissend formulierten wir: „Im<br />
Mittelpunkt der Musikschularbeit steht das qualifizierte und<br />
lebendige Musizieren … – vor allem jenes in der Gemeinschaft:<br />
elementares Musizieren, Improvisation, das Dirigieren oder Spielen<br />
von klassischen Werken, Musizieren in den verschiedenen Stilistiken<br />
von Rock, Pop und Jazz, …, volksmusikalische Praktiken,<br />
multimediale Musizierformen. So wichtig in der europäischen<br />
Musikentwicklung auch die musikalischen Kunstwerke sein mögen,<br />
und so sehr die Auseinandersetzung mit der Kunstmusik auch Teil<br />
einer Bildungsaufgabe sein mag: Ein weit gespannter Begriff des …<br />
Musizierens geht nicht allein in der Wiedergabe von Werken auf.“<br />
Ich erinnere mich gut an die ersten Reaktionen: Das Aufgeben einer<br />
musikalischen Wertehierarchie wurde durchaus als Befreiung<br />
empfunden …<br />
Und wie gerufen kam dann die Erklärung der Musikalischen<br />
(Menschen-)Rechte durch den Internationalen Musikrat, in der es<br />
u.a. heißt: „It is a basic right for all people to express themselves<br />
and communicate through music.”<br />
In meinen Lehrveranstaltungen versuche ich natürlich, meine<br />
Studierenden auf die oben angedeutete musikalische Offenheit<br />
einzuschwören, aber hin und wieder beschleichen mich Zweifel, ob<br />
die musikpädagogische Botschaft gegen die impliziten Wertehierarchien<br />
des ganzen Hauses ankommt: Natürlich sehen unsere<br />
Curricula auch die künstlerische Eigenerfahrung in vielen nicht-traditionellen<br />
Praktiken vor – die Studierenden fahren auf ein Volksmusikwochenende,<br />
sie befassen sich mit Elementarem Musizieren<br />
und Freier Improvisation, sie leben sich im afrikanischen Trommeln<br />
aus, sie machen umfangreiche Erfahrungen mit Rock, Pop und Jazz<br />
– aber ist das vielleicht alles nur additiv, nette Ergänzung oder<br />
allenfalls unausweichlich, weil man das ja im pädagogischen Alltag<br />
an Schule und Musikschule braucht? Zählen diese Praktiken<br />
wirklich an unserem Hause, werden sie künstlerisch ernst genommen,<br />
oder gibt es da noch ein musikalisch Eigentliches, das ganz<br />
unberührt bleibt? Also anders gefragt: Zählt auch im Kern der<br />
künstlerischen Ausbildung im Sinne der Musical Rights das Recht<br />
auf musikalischen Selbstausdruck, auf die eigene musikalische<br />
Sprache, auf die wirkliche Aneignung auch des Gegebenen durch<br />
die Studierenden?<br />
Der erfahrene und legendäre Musikethnologe Bruno Nettl näherte<br />
sich vor einigen Jahren den klassischen westlichen Musikuniversitäten<br />
so, wie er Feldforschung unter indischen Sängern oder<br />
24
Konzertexamens-<br />
Absolventin Chihiro Ishii<br />
bei der Orchesterprobe<br />
mit Tschaikowskys<br />
Violinkonzert im<br />
Großen Saal im<br />
Sommermester 2013.<br />
indianischen<br />
Musikern<br />
betrieb, und sein<br />
distanzierter Blick von<br />
außen auf die Selbstverständlichkeiten<br />
unseres universitären<br />
Betriebs förderte erstaunliche<br />
Wertmuster, Rituale oder Stammesbildungen<br />
zutage.<br />
„In the service of the masters“ überschreibt Nettl<br />
sein erstes Kapitel in seinem Buch „Heartland Excursions.<br />
Ethnological Reflections on Schools of Music?“: Der dort<br />
beschriebene „Dienst an den Meistern“ scheint das zentrale<br />
Anliegen zu sein, um das sich an der Musikuniversität alles dreht.<br />
Aber da, wie Sie wissen, im Englischen „service“ auch mit<br />
Gottesdienst übersetzt werden kann: Unsere Huldigung der großen<br />
Meister trägt durchaus sakrale Züge, und aus der Außensicht<br />
kann daran einiges buchstäblich fragwürdig werden:<br />
Ist es nicht erstaunlich – so fragte Nettl – , dass im Pantheon der<br />
Musikuniversität – gleich ob in Wien, Berlin, London, Bloomington<br />
und wohl auch in Singapur, Peking und Tokio – die gleichen<br />
Gottheiten sitzen?<br />
Und in diesem Götterhimmel<br />
gibt es weltweit die gleiche<br />
Hierarchie: Unumstritten regieren<br />
der apollinische Götterknabe Mozart,<br />
dessen vollkommene Werke gleichsam ein<br />
Himmelsgeschenk sind, und der prometheische<br />
Beethoven, der sich um Perfektion bis an die Grenzen<br />
des Menschenmöglichen mühen musste. Und beide<br />
dominieren einen Olymp, der zu weiten Teilen von Männern<br />
zumeist österreichischer Provenienz besiedelt ist, die seit langem<br />
tot sind. Und um deren Hinterlassenschaft, den Kanon der großen<br />
Werke, dreht sich alles: An erster Stelle sind es die Pianisten, die<br />
die heiligen Texte auslegen, etwa die 48 Präludien und Fugen des<br />
Wohltemperierten Klaviers oder die 24 Klaviersonaten Beethovens.<br />
Kaum können Streicher mit diesem Repertoire mithalten, immerhin<br />
aber qualifizieren sie sich – wie die Bläser – dafür, die wirklichen<br />
Manifestationen der Schöpferkraft, nämlich die große Symphonik,<br />
aufzuführen. Und das Symphoniekonzert gleicht dann vollends<br />
einer Weihehandlung, in der sich das Publikum strengen Verhaltensregeln<br />
zu unterwerfen hat, um der Verwandlung von Geist in<br />
Klang unter Anleitung des Maestros, des musikalischen Hohepriesters,<br />
beiwohnen zu dürfen, um anschließend geläutert von dannen<br />
zu gehen.<br />
Ist die Musikuniversität immer noch eine eigentümliche gesellschaftliche<br />
Parallelwelt, in der der Geist des 19. Jahrhunderts wie<br />
eingefroren erscheint und in der Werte vorherrschen, die wenig mit<br />
der pluralistischen, globalen und liberalen gesellschaftlichen<br />
Gegenwart zu tun haben? Und machen wir uns nichts vor: Nach wie<br />
vor kommen Pop und Jazz an der Musikuniversität durch die<br />
Hintertür (zumeist werden eh nur die sich akademisch gebärdenden<br />
Jazzer eingelassen – Wien nur IGP); nach wie vor fristet das<br />
zeitgenössische Musikschaffen ebenso ein randständiges Dasein<br />
wie jene Instrumentalisten, die für den „Service of the Masters“<br />
nicht so sehr geeignet sind: Gitarristen, Akkordeonisten usw..<br />
25
V o n d e r U n v e r w e c h s e l b a r k e i t d e r M u s i z i e r e n d e n<br />
Ich gebe gerne zu, dass das Bild, das ich hier mit Hilfe Nettls male,<br />
überspitzt und holzschnittartig ist. Und erlauben Sie mir eine<br />
Klarstellung: Ich mache mir Bruno Nettls ethnologische Perspektive<br />
deshalb zu eigen, um das Selbstverständliche dem Verstehen neu<br />
zu öffnen, um das nur allzu Vertraute aus Gründen des Erkenntnisgewinns<br />
zu verfremden, nicht aber, um die Musikuniversität, an<br />
der ich gerne und mit Überzeugung arbeite, zu diffamieren oder<br />
ins Lächerliche zu ziehen. Aber dennoch: Nettls Beschreibung der<br />
quasi-sakralen Aura, die viele unserer Handlungen an der Musikuniversität<br />
umgibt, macht mich sehr nachdenklich, und ich denke<br />
„The Age of Enlightment“ steht noch bevor – vielleicht bedarf es<br />
noch eines kräftigen Aufklärungs- und Säkularisierungsschubs,<br />
der den Musiker und die Musikerin ins Zentrum rückend, sie vom<br />
„Gottesdienst“ entlastet und sie auf einen künstlerischen Bildungsweg<br />
schickt, der die Entdeckung der musikalischen Eigen-Sprache<br />
erlaubt.<br />
Der Perfektion<br />
fehlt zur<br />
Vollkommenheit<br />
ein gewisser<br />
Mangel.<br />
Der Säkularisierungsschub, den ich hier anspreche, dieser<br />
Zuwachs an Verweltlichung, der die Musizierenden aus der<br />
dienenden Rolle heraustreten lässt und ihnen die Möglichkeit gibt,<br />
als Künstlerindividuen stärker erkennbar zu werden, hat aber auch<br />
vielleicht unmittelbare Konsequenzen für das berufliche Leben, für<br />
die viel beschworene „Employability“, denn die Frage muss schon<br />
erlaubt sein: „Wer mag unseren AbsolventInnen später eigentlich<br />
zuhören?“<br />
Wenn viele das gleiche Repertoire auf gleich hohem Niveau und mit<br />
der gleichen Perfektion und dann sogar in einer ähnlichen Weise<br />
darbieten, quasi in einem Interpretations-Mainstream, dann kann<br />
auf höchstem Level das zuschlagen, was der Wiener Molekulargenetiker<br />
Markus Hengstschläger die „Durchschnittsfalle“ nennt,<br />
d.h. die Darbietungen werden verwechselbar und das<br />
Interesse an ihnen erlahmt – Gehör findet hingegen wohl<br />
nur der, der etwas Eigenständiges zu sagen hat<br />
(Hengstschläger fordert daher für die Spitzenausbildung<br />
„Peaks“ und „Freaks“).<br />
Wettbewerbe können dabei eher<br />
nivellierend wirken und diesen<br />
Freak-Faktor beschädigen.<br />
26
„Service of the Masters“ zu Lasten der Eigensprache, das ist das<br />
eine, das Dilemma der technischen Perfektion ist das andere, jenes<br />
scheinbar unlösbare Problem, dass den technischen Anforderungen<br />
natürlich nicht ausgewichen werden kann, in dem Moment aber, wo<br />
Perfektion erreicht ist, die musikalische Aussage beschädigt oder<br />
verschwunden sein kann. Mir kommt auch Alfreds Brendels<br />
Bemerkung in den Sinn, er gehe kaum noch ins Konzert, weil er<br />
so viele richtige Töne, aber so wenig Musik höre.<br />
Vielleicht hilft uns ein weiser Satz des österreichischen Volksmusikers<br />
Andreas Salcher weiter, und ich bitte Sie, sich den auf<br />
der Zunge zergehen zu lassen:<br />
„Der Perfektion fehlt zur Vollkommenheit ein gewisser Mangel.“<br />
Wie wir an der Musikhochschule jenseits von Beliebigkeit oder<br />
Dilettantismus diesen „gewissen Mangel“ pflegen könnten,<br />
also ein Feld beackern, auf dem Sperriges und Kantiges und<br />
nicht nur Glattes und Abgeschliffenes wachsen kann, ein Feld<br />
der fragilen und gefährdeten, der spröden und rauen Klänge,<br />
das wäre ein Thema für einen ganz eigenen Vortrag.<br />
Erlauben Sie mir nur ein paar Vermutungen:<br />
• Ist die Beschäftigung mit historisch informierter Aufführungspraxis<br />
nicht auch eine Schule im Umgang mit dem<br />
Imperfekten, weil die alten Instrumente immer Überraschungen<br />
bereithalten und eben nicht so ansprechen wie<br />
die modernen und zudem eine Ästhetik der affektiven<br />
Wahrhaftigkeit herrscht und somit der schöne und runde<br />
Ton gar nicht das Ziel sein kann? Wie sagt Harnoncourt:<br />
Die historische informierte Praxis hat die klangliche<br />
Tendenz zum „Schärferen, Aggressiveren, Bunteren.“<br />
Und ganz nebenbei: „Service of the Masters“ würde die<br />
Rolle des Ausführenden bei einer Musik, die noch gar<br />
nicht der emphatischen Idee des Werkes verpflichtet<br />
ist, auch nicht wirklich beschreiben.<br />
• Kann die Befassung mit zeitgenössischer Musik, die<br />
den Musiker ins Zentrum setzt und ihn dazu verleitet,<br />
den Möglichkeiten seines Instruments und seines<br />
Spiels unbelastet von Klangidealen und Interpretationsstandards<br />
gegenüber zu treten, nicht Ähnliches<br />
leisten?<br />
• Und schließlich die Freie Improvisation, die eine Suche nach dem<br />
Unvorhersehbaren und Unberechenbaren ist, eine musikalische<br />
Praxis, die die klangliche Störung als Impuls für den Fortgang<br />
braucht: Es geht unabweisbar immer um musikalische Singularität,<br />
um die widerborstige Einzigartigkeit der ästhetischen<br />
Situation – ohne jede Intention auf Reproduzierbarkeit eines<br />
„glatten“ Produkts.<br />
Ich nenne diese musikalischen Praktiken raue Praktiken, und indem<br />
ich den Begriff der „Rauheit“ ins Spiel bringe, lehne ich mich an<br />
Roland Barthes an, der in dem Aufsatz „Die Rauheit der Stimme“<br />
im Jahr 1972 etwa den Gesang Dietrich Fischer-Dieskaus mit dem<br />
von Charles Panzeras vergleicht und etwa in Bezug auf den Ersteren<br />
feststellt: „Bei F.D. glaube ich nur die Lungen zu hören, niemals die<br />
Zunge, die Stimmritze, die Zähne, die Innenwände, die Nase“. Und<br />
Barthes fasst zusammen: „Die ‚Rauheit’ ist der Körper in der<br />
singenden Stimme, im ausführenden Körperteil“. Der Körper, der<br />
auch der Instrumentalmusik die Rauheit erhalten kann: „Ich höre<br />
mit Gewißheit – der Gewißheit des Körpers, der Wollust –, daß das<br />
Cembalo von Wanda Landowska aus ihrem Körperinneren kommt<br />
und nicht von dem kleinen Fingergestricke so vieler Cembalisten<br />
(und zwar so sehr, dass es zu einem anderen Instrument wird).“<br />
Und der Klang ist dann – so können wir fortsetzen –, wenn man<br />
den Körper in ihm hört, wahrhaft eine Klanggebärde: Er ist dann<br />
gewissermaßen schwer gezeichnet von der körperlichen Hervorbringung<br />
(„Stimmritze, Zunge, Zähne“), und zwar in physiologischer/physikalischer<br />
Hinsicht ebenso wie in psychologischer, und<br />
aufgrund der Dynamik und Intensität des Körpers klingt der Klang<br />
dann nicht flach, sondern die Klänge werden dreidimensional, sie<br />
wölben sich in den Raum hinein.<br />
Sie werden mir vielleicht zustimmen, dann etwa jemanden wie<br />
Nikolaus Harnoncourt weniger als Aufrührer, sondern als „Aufrauer“<br />
zu betrachten, ja, der arbeitet wirklich mit Leib und Seele am rauen<br />
Klang – mit der Bereitschaft zum Risiko, mit einer Hingabe an die<br />
Musik und das Musizieren, die sich der Möglichkeit des Scheiterns<br />
stellt. Und wenn ich mir einen weiteren gestischen Musiker<br />
vorstellen soll, dessen Leib sich unverwechselbare Klanggebärden<br />
entringen, dann kommt mir zum Beispiel der Wiener Trompeter<br />
Lorenz Raab in den Sinn, der ganz traditionell das Trompetenspiel in<br />
der Klasse des Wiener philharmonischen Solo-Trompeters erlernte,<br />
Solo-Trompeter des Orchesters der Wiener Volksoper wurde,<br />
weltweit gefragter Trompeter ist und schnell zum Einspringen jettet,<br />
wenn irgendwo auf der Welt der Solo-Trompeter für Mahlers Fünfte<br />
ausgefallen ist, den Hans-Koller-Preis für den besten Nachwuchsjazzer<br />
Österreichs verliehen bekam und zurzeit ein Bandprojekt mit<br />
zwei Bassisten, einem Drummer und einem E-Zitherspieler betreibt,<br />
die XY-Band, die eine Art Post-Punk-Jazz spielt.<br />
Bratschistin Jasmine<br />
Beams während eines<br />
Orchesterprojektes im<br />
Sommersemester 2013.<br />
27
Wie helfen Sie Ihren Studierenden,<br />
sich auf ihre berufliche<br />
Zukunft vorzubereiten?<br />
Zum einen versuche ich meine<br />
Studierenden dazu anzuleiten,<br />
alle musikalische und pädagogische<br />
„Arbeit“ mit Leidenschaft<br />
und Authentizität anzugehen und<br />
dadurch ihre Berufung zu finden.<br />
Genauso wichtig sind Neugier<br />
und Offenheit gegenüber allen<br />
Arten von Musik, die sie zu<br />
hoher Flexibilität befähigen und<br />
die ihnen ermöglichen, mehrere<br />
musikalische Standbeine<br />
aufzubauen.<br />
Wie fühlen Sie sich von der<br />
Hochschule auf Ihre berufliche<br />
Zukunft vorbereitet?<br />
Man kann sich eigentlich in der<br />
Regie nicht vorbereiten lassen<br />
auf irgendetwas, von irgendwem.<br />
Die Idee, ein „Handwerk“ zu erlernen,<br />
ist fragwürdig. Aber man<br />
kann Eindrücke und Erfahrungen<br />
sammeln, Meinungen austauschen,<br />
ausprobieren, und dafür<br />
gibt es hier schon genug Raum.<br />
STATEMENT<br />
Fabian Sennholz,<br />
Gastprofessor<br />
für Bandcoaching und<br />
Gruppenmusizieren<br />
STATEMENT<br />
Gertje Graef,<br />
Regie-Studentin<br />
Inwiefern ist die <strong>HfMDK</strong> für<br />
die Zukunft gerüstet?<br />
Zukünftige Absolventen der<br />
<strong>HfMDK</strong> brauchen sowohl für<br />
künstlerische als auch für<br />
pädagogische Berufe den Blick<br />
über den Tellerrand und die<br />
Vernetzung mit anderen<br />
Disziplinen. Die <strong>HfMDK</strong> sollte<br />
dafür durchlässigere Studienstrukturen<br />
schaffen und<br />
insbesondere in allen pädagogischen<br />
Studiengängen ein<br />
stilistisch breiteres Angebot<br />
machen, das auch Populäre<br />
Musik mit einbezieht und das<br />
„Schubladendenken“ beendet.<br />
Wie sollte aus Ihrer Sicht eine<br />
Hochschule der Zukunft<br />
aussehen?<br />
„Hochschule der Zukunft“ klingt<br />
immer, als würde man nur noch<br />
im Hof sitzen, Kaffee trinken und<br />
die Kunst generiere sich in einem<br />
weißen, sterilen Hinterzimmer<br />
vollautomatisch über irgendwelche<br />
ausgetüftelten Computerprogramme.<br />
Ja, man könnte mehr<br />
interdisziplinäre Unterrichte und<br />
Projekte einführen: Musik, Tanz,<br />
Theater, da gibt es schon viele<br />
Gründe, sich auszutauschen.<br />
Ob Harnoncourt oder Raab:<br />
• Ich erlebe eine manifeste Körperlichkeit oder besser noch: eine<br />
Leiblichkeit des Musizierens, die auch der Unberechenbarkeit und<br />
Nichtbeherrschbarkeit des Leibes Rechnung trägt,<br />
• ich spüre eine beinahe schmerzhafte Bühnenpräsenz,<br />
• ich fühle mich infiziert und hineingezogen in eine äußerst<br />
intensive Interaktion,<br />
• ich bemerke den produktiven Umgang mit dem Abweichenden<br />
und Überraschenden,<br />
• ich höre die raue Tongebung, das Spiel an der Grenze.<br />
Also wenden wir uns der Aufführungssituation zu, einer Situation,<br />
von der man ja zunächst sagen könnte, in ihr ginge es um die<br />
Vermittlung von Musik:<br />
• einem Publikum überhaupt erst zur Musik zu verhelfen,<br />
• eine Brücke zwischen dem Erklingenden und den Hörenden zu<br />
bauen und möglicherweise eine freundschaftliche Beziehung<br />
zwischen den musikalischen Objekten und den Hörersubjekten zu<br />
stiften bzw. – im Falle eines sperrigen oder spröden Werkes – das<br />
Verhältnis von Werk und Rezipient „einzurenken“,<br />
• einer Öffentlichkeit den Gehalt des Vorgeführten zu bezeugen und<br />
dieser Öffentlichkeit dann Verstehen zu ermöglichen.<br />
Und wenn Sie nun „Publikum“, „Hörer“ oder „Öffentlichkeit“ durch<br />
Schülerinnen und Schüler ersetzen, dann kommen Sie darauf, dass<br />
es auch im Unterricht – neben dem systematischen Aufbau von<br />
Kompetenzen – um Ähnliches geht: zu neuem musikalischem<br />
Besitz verhelfen, Beziehung stiften, Verstehen ermöglichen, also:<br />
die Aneiignung dieses Besitzes ermöglichen.<br />
Aber so triftig das alles auch zu sein scheint: Ich stelle die Selbstverständlichkeit<br />
der Denkfigur „Vermittlung“ prinzipiell in Frage.<br />
Ich stelle sie grundsätzlich in Frage, weil ich am Artefaktcharakter<br />
der Musik grundsätzlich zweifle; ich stelle sie in Frage, weil mich<br />
das flüchtige, ephemere Wesen des Musikalischen geradezu<br />
zwingt, mein Augenmerk auf das musikalische Handeln selbst zu<br />
richten, jenes Handeln, das Musik im Hier und Jetzt überhaupt<br />
erst hervorbringt, und zwar in je singulärer und unwiederholbarer<br />
Weise (und keine noch so präzise ausnotierte Partitur könnte die<br />
wirkliche Identität von Aufführungen je garantieren!).<br />
„Music is what people do“, sagt David Elliott – ich würde ergänzen,<br />
etwas, das Menschen in ästhetischer Absicht und Einstellung<br />
hervorbringen, und Musik wäre dann nicht etwas Gegebenes,<br />
Seiendes, an und für sich Existierendes, sondern etwas, das in der<br />
performativen Handlung überhaupt erst Wirklichkeit wird, etwas,<br />
28
V o n d e r U n v e r w e c h s e l b a r k e i t d e r M u s i z i e r e n d e n<br />
das von Musizierenden und Hörenden im Moment erzeugt wird.<br />
Und weit mehr als die Vorstellung von „Vermittlung“ umgreift<br />
jene vom Erzeugen, Verwirklichen, Hervorbringen von Musik<br />
sowohl die musikalische Handlung auf der Bühne wie jene in der<br />
pädagogischen Situation: Lassen Sie mich kurz an zwei Beispielen<br />
darstellen, warum ich glaube, dass auch Musikpädagogik am<br />
Hervorbringen von Musik teilhat.<br />
Erstens: zur so genannten Musikvermittlung<br />
Ich hoffe, Sie verzeihen mir meine zwiefache Radikalität oder gar<br />
Blasphemie: Ich stelle ja nicht nur die Verbindlichkeit des musikalischen<br />
Götterhimmels in Frage und versuche den Musizierenden<br />
in den Mittelpunkt zu rücken, sondern ich bezweifle auch, dass<br />
die heiligen Texte, die uns die musikalischen Götter hinterlassen<br />
haben, zu verbindlichen und eindeutigen musikalischen Praktiken<br />
führen, und versuche statt dessen, den Eigenwert der je einmaligen<br />
und augenblicksgebundenen musikalischen Handlungen herauszuarbeiten.<br />
• Mag es auch in dem, was man unpräzise „Musikvermittlung“<br />
nennt (oder noch problematischer: „Konzertpädagogik“), auch um<br />
den Bau von Zugängen und das Herstellen von Verstehensbrücken<br />
gehen: „Musikvermittlung“ scheint mir besonders dann erfolgreich<br />
zu sein, wenn sie gerade nicht Musikvermittlung ist, sondern wenn<br />
sie die leibhaftige und personale Begegnung mit Menschen<br />
herstellt. Die so genannte Musikvermittlung verflüssigt das (eher<br />
berechenbare) „Konzert“ zur (unberechenbaren) „Performance“.<br />
Zweitens: Zur Musikpädagogik im allgemeinen<br />
• Wenn die Musik im eigenwertigen künstlerischen Handeln von<br />
SchülerInnen und LehrerInnen nicht im Unterricht selbst zum<br />
Ereignis wird, dann fehlt dem Musikunterricht das ästhetische<br />
Kraftzentrum, jenes zentrale Feld, in dem etwa intensive Erfahrungen<br />
vom Eintauchen in den Klang, von der Hingabe an<br />
den Groove, von der wechselseitigen musikalischen Ansteckung,<br />
von einer spezifischen Körpererfahrung im Zusammenspiel aller<br />
Sinne, von Präsenz und Zeitvergessenheit, von musikalischer<br />
Trance und Ekstase möglich sind, ästhetische Erfahrungen, die<br />
den Erwerb von Kompetenzen oder die Verstehensbemühung<br />
überhaupt erst motivieren.<br />
Also wären für mich die Musikhochschulen der Zukunft aufgeklärte<br />
Orte, an denen nicht nur selbstlose Diener am Werk ausgebildet<br />
werden, sondern sich MusikerInnen bilden können, die sich ihrer<br />
selbst bewusst sind,<br />
• MusikerInnen, die sich nicht nur fremde Idiome aneignen, sondern<br />
die ihre eigene Sprache finden,<br />
• MusikerInnen, denen raue Praktiken helfen, ihre Unverwechselbarkeit<br />
zu bewahren und jenen „gewissen Mangel“ zu pflegen, der<br />
sie vor dem Dilemma der Perfektion bewahrt, jener ausweglosen<br />
Situation, in der sie zwar alles fehlerfrei spielen können, niemand<br />
aber mehr diesem Spiel zuhören mag,<br />
• MusikerInnen, die eine Leidenschaft dafür haben, sich und andere<br />
in die Erzeugung von Musik zu verstricken, d.h. in der Interaktion<br />
mit anderen faszinierende musikalische Wirklichkeiten zu<br />
erzeugen, gleich ob im Konzertsaal, im Workshopraum oder<br />
im Klassen- und Unterrichtszimmer.<br />
Wenn wir sowohl das konzertante wie das musikpädagogische<br />
Handeln performativ denken, dann lässt sich möglicherweise<br />
erreichen, dass das Schisma zwischen Konzertfach und<br />
Musikpädagogik überwindbar wird, dass jenem fatalen Satz von<br />
George Bernhard Shaw, wonach “those who can do” und<br />
“those who can’t teach” der Boden entzogen wird.<br />
Oboenstudentin Hannah Weisbach<br />
während einer Probe des<br />
Hochschulorchesters im<br />
Sommersemester<br />
2013.<br />
29
F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />
Internationalität und<br />
Globalisierung in der Ausbildung<br />
Von Ingo Diehl, Professor für Tanz, Leiter des Masterstudiengangs<br />
Zeitgenössische Tanzpädagogik (MAztp)<br />
„Der Bologna-Prozess modernisiert die Hochschulen auf ihrem Weg<br />
zu einem gemeinsamen Europäischen Hochschulraum (EHR).<br />
Die Reform verändert die Strukturen und Inhalte der Studiengänge.<br />
Sie wirkt sich positiv auf die Lehre und die Entscheidungen der<br />
Studierenden aus und beeinflusst die Organisationsabläufe in den<br />
Hochschulen.“<br />
(http://www.hrk-bologna.de/bologna/de/home/1916.php)<br />
Dies schreibt die Hochschulrektorenkonferenz auf ihrer Website<br />
zum Bologna-Prozess. Doch was heißt das konkret für den<br />
Studienalltag? Auch durch Austauschprogramme wie Erasmus, eine<br />
Reihe aktiver internationaler Netzwerke oder Stiftungen, die Länderpartnerschaften<br />
fördern, haben sich die inhaltlichen und organisatorischen<br />
Austauschmöglichkeiten in der künstlerischen Ausbildung<br />
enorm verändert. Die Positionierungen von Studienprogrammen<br />
bekommen heute über den europäischen Bildungsraum hinaus eine<br />
neue Sichtbarkeit und stellen eine enorme Herausforderung dar im<br />
Kampf um die besten Studierenden und einzigartige oder zukunftsweisende<br />
Studienprofile. Dadurch verändern sich auch die Anforderungen<br />
an eine Ausbildung, die sich in den verschiedenen künstlerischen<br />
Sparten an einer enormen Vielfalt und an dem ständigen<br />
Wandel in der künstlerischen Produktion messen lassen muss.<br />
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung schreibt auf<br />
seiner Website (http://www.bmbf.de/de/542.php): „Eine zukunftsorientierte<br />
Bildungspolitik kann heute nur unter Einbeziehung<br />
europäischer und internationaler Entwicklungen gestaltet werden.<br />
Der strategische Rahmen für die europäische Zusammenarbeit auf<br />
dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung definiert die<br />
Prioritäten und Zielsetzungen der europäischen Bildungszusammenarbeit.“<br />
Wie verhalten sich Hochschulen, Studienprogramme, Lehrende und<br />
Studierende zu diesem Wandel? Die politische Absicht und auch<br />
eine Formalisierung, die mit der Umsetzung in der „Institution“<br />
Ausbildung verbunden ist, könnte eine Egalisierung zur Folge<br />
haben, und auch der Austausch über internationale Modeerscheinungen<br />
könnte gar in den Berufssparten eine Verflachung nach sich<br />
ziehen. Ist die Anzahl der ausländischen Studierenden oder die<br />
Mobilität von Lehrenden bereits ein Nachweis gelungener Internationalität?<br />
Und wenn darüber hinaus eine Folge der veränderten<br />
Anforderungen die Selbstvermarktung von Studienprogrammen ist,<br />
wäre das nur ein vordergründiges Einlösen der politischen Vorgaben.<br />
Studiengänge an Kunsthochschulen stehen mit ihren spezifischen<br />
Profilen immer im Kontext von künstlerischen und institutionellen<br />
Entwicklungen. Diese Entwicklungen sind heute nicht mehr auf<br />
regionale Besonderheiten oder nationale Rahmungen zu reduzieren.<br />
Umso wichtiger ist es, für eine zielgerichtete Profilschärfung<br />
innerhalb der Studienprogramme klare Prioritäten zu setzen. Dies<br />
ist kein statischer Prozess, der abgeschlossen werden kann,<br />
sondern ein Lernprozess, in den sich ändernde Entwicklungen je<br />
nach Zielsetzung im Ausbildungsprofil einbezogen werden müssen.<br />
Dabei wird der eigene Maßstab durch internationale Entwicklungen<br />
immer wieder in Frage gestellt. In diesem Umfeld greift die <strong>HfMDK</strong><br />
gemeinsam mit ihren Studierenden sich anbahnende Tendenzen<br />
auf. Die verschiedenen auch internationalen Partnerschaften des<br />
Ausbildungsbereiches ZuKT und des MAztp 1 – sind entsprechend<br />
darauf ausgerichtet, verbindliche und breit aufgestellte Vernetzungen<br />
für Lehrende, Studierende und die Studiengänge zu<br />
ermöglichen bzw. überhaupt erst zu entwickeln.<br />
Im Austausch über Vorgaben und das Erreichen von selbstgesteckten<br />
Zielen konnte ich so als Gutachter in einem holländischen<br />
Akkreditierungsverfahren kürzlich mehr über Qualitätskriterien und<br />
internationale Standards lernen. Während einer Tagung mit<br />
Lehrenden in Schweden habe ich von neuesten nationalen Entwicklungen<br />
und Schwerpunktsetzungen in der künstlerischen Forschung<br />
erfahren. Durch die Etablierung neuer Stellen und eine substantielle<br />
Förderung wird dieser Forschungsansatz an dortigen Hochschulen<br />
zu einem festen Bestandteil von Ausbildung. In Diskussionen<br />
zwischen den MAztp-Studierenden und den Lehrenden einer<br />
grundständigen Tanzausbildung in Finnland wurde im vergangenen<br />
Semester die gesellschaftliche Relevanz von Tanzvermittlung auch<br />
jenseits einer künstlerisch-ideologischen Bildung diskutiert und in<br />
die konkrete Unterrichtspraxis vor Ort übertragen. Derartige<br />
Beispiele verändern meinen Blick auf die hiesige Ausbildung, sie<br />
stellen die gewohnten Abläufe im Curriculum und die entsprechenden<br />
Rahmenbedingungen in Frage. Der internationale Austausch<br />
liefert gleichzeitig Argumente für die Umsetzung eines<br />
30
Stine Fischer, Maren<br />
Schwier, Jana<br />
Baumeister und Vanessa<br />
Diny bei „Büchners<br />
Frauen“, einer Kammeroper<br />
von Paul Schäffer, im<br />
Sommersemester 2013.<br />
STATEMENT<br />
Axel Gremmelspacher,<br />
Professor für Klavier<br />
zeitgemäßen Studienprofils und die möglichen Entwicklungspotenziale<br />
in unseren Studiengängen. Im kommenden Jahr findet<br />
erstmals ein mehrwöchiger Austausch zwischen dem MAztp und<br />
Masterstudierenden der Hollins University aus den USA im<br />
Zusammenspiel mit The Forsythe Company hier an der <strong>HfMDK</strong> in<br />
<strong>Frankfurt</strong> statt. Ich bin schon heute auf den kritischen Blick der<br />
Studierenden auf die jüngsten europäischen Tanzentwicklungen<br />
gespannt.<br />
Die große Chance liegt meines Erachtens darin anzuerkennen, dass<br />
es keine bleibende Allgemeingültigkeit in der ideologischen<br />
Ausrichtung von Studienprofilen und handwerklichen Zielsetzungen<br />
mehr gibt. Eine Aufgabe liegt vielmehr im ständigen Überprüfen,<br />
Infragestellen und Neupositionieren der Ansprüche und damit der<br />
Gestaltung eines Studienganges. Wieweit vor diesem Hintergrund<br />
die zum Teil sehr engen und formalisierten Bolognavorgaben in<br />
Frage gestellt werden müssen, bleibt eine entscheidende Diskussion.<br />
Die Möglichkeit, aus der Ausbildung heraus zukünftige<br />
Entwicklungen in den künstlerischen Sparten zu gestalten, sollte<br />
nicht vertan werden. Hier als Hochschule oder einzelner Studiengang<br />
starke Akzente zu setzen, wird nur im internationalen Kontext<br />
möglich sein.<br />
1 Masterstudiengang Zeitgenössische Tanzpädagogik an der Hochschule für<br />
Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />
Die Arbeitsgruppen<br />
präsentierten am Ende<br />
des Symposiums ihre<br />
Gesprächsergebnisse<br />
– hier Prof. Ingo Diehl im<br />
Kleinen Saal.<br />
Wie helfen Sie Ihren Studierenden,<br />
sich auf ihre berufliche<br />
Zukunft vorzubereiten?<br />
Es gibt zahlreiche Kompetenzen,<br />
die in der Arbeit mit meinen<br />
Studierenden gewissermaßen<br />
„nebenbei“ thematisiert und<br />
entwickelt werden. Vortragsabende<br />
und andere Auftrittserfahrungen<br />
helfen beispielsweise,<br />
auch über die Konzertsituation<br />
hinaus die kommunikative<br />
Präsenz zu stärken und den<br />
Um-gang mit psychischen<br />
Belastungssituationen zu<br />
erlernen. Klassenstunden bieten<br />
Gelegenheit, in der gegenseitigen<br />
Diskussion der Beiträge<br />
einerseits den Umgang mit<br />
Kritik, andererseits die konstruktive<br />
und respektvolle Formulierung<br />
von Kritik zu schulen und<br />
dabei ein größeres Selbstbewusstsein<br />
zu entwickeln.<br />
Inwiefern ist die <strong>HfMDK</strong> für die<br />
Zukunft gerüstet?<br />
Grundlegend ist die <strong>HfMDK</strong><br />
durch zahlreiche Initiativen zum<br />
inneren Dialog und eine in vielen<br />
Bereichen offene Gesprächskultur<br />
entwicklungs-, wandlungsund<br />
somit zukunftsfähig<br />
aufgestellt. Es gibt einige<br />
Themen, die für die Hochschule<br />
in Zukunft von größerer Bedeutung<br />
sein werden. Die Nachwuchsförderung<br />
in verschiedenen<br />
Facetten scheint mir dabei<br />
ein besonders wichtiges zu sein<br />
– nicht zuletzt im Hinblick<br />
darauf, dass der Anteil inländischer<br />
Studienbewerberinnen<br />
und -bewerber in manchen<br />
Studiengängen relativ gering ist.<br />
In der Basisförderung hat die<br />
<strong>HfMDK</strong> mit „Primacanta“ bereits<br />
ein sehr wertvolles Projekt<br />
etabliert. In Zukunft wird es<br />
wichtig sein, Konzepte zu<br />
entwickeln, die den durch<br />
Ganztagsschule und G8-Gymnasium<br />
verringerten zeitlichen<br />
Freiräumen der Schülerinnen und<br />
Schüler Rechnung tragen, um<br />
Angebote für Instrumental- und<br />
Gesangsunterricht zu sichern<br />
und zu erweitern. Die <strong>HfMDK</strong><br />
kann dies sicher nicht direkt im<br />
schulischen Betrieb leisten,<br />
jedoch wird beispielsweise zu<br />
überlegen sein, in wieweit<br />
Schulmusiker erweiterte<br />
Kompetenzen erwerben können<br />
und sollen und welche Studienangebote<br />
im Bereich der<br />
Instrumental- und Gesangspädagogik<br />
dafür erforderlich sind.<br />
Wichtige Impulse hierfür wird<br />
mit Sicherheit auch die derzeit<br />
ausgeschriebene Professur für<br />
Instrumentalpädagogik geben.<br />
31
F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />
SCHON DER WEG IST DAS ZIEL<br />
Interview mit Dr. Sylvia Dennerle über die Aufbruchstimmung,<br />
die der noch laufende Leitbildprozess der Hochschule ausgelöst hat<br />
Seit November 2012 arbeitet die Hochschule in einem<br />
umfassenden Prozess an ihrem „Leitbild“. Sie möchte und muss<br />
ihre Position angesichts einer sich verändernden Kunst- und<br />
Hochschullandschaft und im Hinblick auf ihre zukünftigen<br />
Entwicklungen stets neu hinterfragen, sowohl Inhalte als auch<br />
Strukturen betreffend, und Fragen des menschlichen Miteinanders<br />
gehören ebenfalls dazu. Von vorneherein war klar, dass<br />
sich der Wert dieser Bemühungen nicht in einem abschließenden<br />
Text erschöpft, den der Senat voraussichtlich im<br />
Frühjahr 2014 beschließen wird: Gerade der Weg dorthin ist ein<br />
wesentlicher Teil des Zieles. Dieses Ziel haben wir jetzt schon<br />
erreicht: Lehrende, Studierende und Mitarbeiter haben sich<br />
gemeinsam in einen kommunikativen und konstruktiven,<br />
hochschulweiten Prozess über Ziele und Aufgaben der Hochschule<br />
begeben. Dr. Sylvia Dennerle, verantwortlich für die<br />
Öffentlichkeitsarbeit an der <strong>HfMDK</strong>, koordiniert den Leitbildprozess<br />
in Zusammenarbeit mit einer achtköpfigen Steuergruppe,<br />
die von dem externen Berater Peter Wattler-Kugler aus Köln<br />
moderiert wird. Im nachfolgenden Interview erläutert sie,<br />
warum die Arbeit an einem gemeinsamen Leitbild wahre<br />
Aufbruchstimmung erzeugt.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Frau Dennerle, wozu braucht eine Hochschule<br />
75 Jahre nach ihrer Gründung ein (neues) Leitbild – hatte sie nicht<br />
schon längst eines?<br />
Dr. Sylvia Dennerle „Leitgedanken“ gab es schon – auf der Grundlage<br />
eines Leitbildes, das Prof. Peter Iden im Jahr 2000 für die<br />
Hochschule formuliert hatte und das Präsident Thomas Rietschel<br />
nach seiner Amtsübernahme zu eigenen „Leitgedanken“ weiterentwickelt<br />
hatte. Ein Leitbild gilt aber ja nie für die Ewigkeit, es ist<br />
mitnichten in Stein gemeißelt. Wir haben heute völlig andere<br />
Rahmenbedingungen als selbst noch vor etwa zehn Jahren. Darum<br />
hing ein neues Leitbild quasi schon seit geraumer Zeit in der Luft.<br />
Aktuell macht vor allem ein elementarer Umbruch in der gesamten<br />
Hochschullandschaft eine neu formulierte Identität auch für unsere<br />
Hochschule unabdingbar: der Bologna-Prozess, d.h. die Umstrukturierung<br />
nahezu des gesamten Lehrangebotes in Bachelor- und<br />
Master-Studiengänge, die einen europaweiten Hochschulaustausch<br />
der Studierenden ermöglichen soll. Hinzu kommt, dass vor allem<br />
durch die Autonomisierung der Hochschulen deren Aufgaben und<br />
Verantwortungsbereiche in den letzten Jahren enorm gewachsen<br />
sind. Neue Studiengänge sind hinzugekommen, aber auch die<br />
Verwaltungsstrukturen ändern sich und zusätzliche Verantwortungsbereiche<br />
wie z.B. ein Qualitätsmanagement müssen bewältigt<br />
werden. Und nicht zuletzt verändert die gesellschaftspolitische<br />
Situation das Selbstverständnis unserer Institution – Stichwort<br />
Schuldenbremse und „Kulturabbau“. Gerade angesichts all dessen<br />
ist es wichtig, aufs Neue zu hinterfragen, wer wir sind und was wir<br />
wollen. Genau das sind ja die beiden zentralen Fragen unseres<br />
Leitbildprozesses. Damit soll das Leitbild allen Hochschulangehörigen<br />
Orientierung und Impulse für die weitere Hochschulentwicklung<br />
geben, ihnen die Identifikation mit ihrer Hochschule ermögli-<br />
32
Austausch allerorts – Eindrücke vom „open space“ und der „Zukunftskonferenz“<br />
im Rahmen des Leitbildprozesses. Linke Bilderreihe von oben:<br />
Arbeitsgruppe mit Prof. Jürgen Esser; Hochschulkanzlerin Angelika Gartner in<br />
der Diskussion; Dreiergespräch mit Prof. Werner Jank im Foyer; Fabian<br />
Sennholz und Annette Malsch. Rechte Bilderreihe: Philippe Schwarz, Julia<br />
Leukert-Stöhr und Prof. Axel Gremmelspacher; der designierte Darmstädter<br />
Intendant Karsten Wiegand; Mona Garadi.
Momentaufnahmen vom „kick off“ und „open space“. Beide Veranstaltungen im<br />
Rahmen des Leitbildprozesses haben offenbart, wie konstruktiv Lehrende,<br />
Studierende und Hochschulmitarbeiter über Kernthemen der Lehre, aber auch des<br />
menschlichen Miteinanders im Hochschulalltag gemeinsam diskutieren können.
S c h o n d e r W e g i s t d a s Z i e l<br />
chen; in zweiter Linie soll es natürlich auch nach außen die<br />
bildungspolitische Bedeutung einer Kunsthochschule wie der<br />
unseren für die Gesellschaft, aber auch die Einzigartigkeit unseres<br />
Hauses erkennbar machen.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Angesichts dieser ohnehin vorhandenen „Großbaustellen“<br />
könnte doch die Hochschulleitung einen weniger aufwändigen<br />
Weg gehen, indem sie im kleinen Kreis ein Leitbild erarbeitet<br />
und beschließen lässt.<br />
Dennerle Könnte sie durchaus, das wäre sogar legitim. Aber dem<br />
Präsidium ist es wichtig, das Leitbild mit möglichst vielen Menschen<br />
der Hochschule gemeinsam zu entwickeln, eben in einem<br />
hochschulöffentlichen Prozesses. Denn nur gemeinsame Überzeugungen<br />
motivieren und sind langfristig tragfähig.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Wie sieht der Prozess konkret aus?<br />
Dennerle Sehr lebendig, sehr abwechslungsreich und sehr arbeitsintensiv<br />
– für alle, die sich aktiv daran beteiligen. Ende November<br />
2012 nahmen über 150 Hochschulangehörige an der „kick off“-<br />
Veranstaltung im Kleinen Saal der Hochschule teil, die als „Türöffner“<br />
und atmosphärische Einstimmung auf den Prozess eine<br />
überwältigende Resonanz genoss. Sie diente vor allem dazu, bei<br />
vielen die anfängliche Skepsis abzubauen: Einige vermuteten, dass<br />
mit dem Leitbild nur ein weiteres Marketinginstrument ins Rennen<br />
gebracht werden sollte. Hier galt es zunächst, Lehrende, Studierende,<br />
aber auch Verwaltungsmitarbeiter von der Wichtigkeit dieses<br />
Leitbildprozesses zu überzeugen, von der Chance, gemeinsam<br />
etwas bewegen und erreichen zu können. Das war das primäre Ziel<br />
dieser Veranstaltung: die Hochschulangehörigen dafür zu begeistern,<br />
sich gemeinsam auf den Weg zu machen. Und das ist uns<br />
beim „kick off“ – nicht zuletzt durch die stimmungsvolle Rauminstallation<br />
von Dieter Heitkamp, aber auch durch die neuartige<br />
offene Arbeitsatmosphäre im Zukunftslabor – bei den Teilnehmern<br />
gelungen, die ja dann wiederum als Multiplikatoren in die Hochschule<br />
hinein gewirkt haben. Und die teilweise schon sehr in die<br />
Tiefe gehenden Diskussionsthemen des „kick off“ – wie z.B.<br />
„Interdisziplinarität und Vernetzung“, „Frage nach dem Kerngeschäft<br />
der Ausbildung“, „Andockmöglichkeit für den Berufseinstieg“,<br />
„Offenheit und Wertschätzung im Miteinander“– lieferten<br />
erste Anregungen für die zweite große Präsenzveranstaltung, den<br />
„open space“ Mitte Januar. Hier hatten sich die meisten der etwa<br />
250 Teilnehmer auf ein ganz neues Veranstaltungsformat eingelassen<br />
– eine ganztägige Denk- und Diskussionswerkstatt, in der<br />
parallel in über 20 unterschiedlichen Diskussionsgruppen und<br />
Räumen der Hochschule intensiv gearbeitet wurde. Allein diese Art<br />
des gemeinsamen hochschulweiten Austausches stieß auf große<br />
Begeisterung. Und inhaltlich kristallisierten sich hier bereits ganz<br />
zentrale Leitbild-Themen als besonders wichtig, brenzlig oder<br />
kontrovers heraus.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Welche waren dies?<br />
Dennerle Wir hatten ja aus den Ergebnissen des „kick off“ sieben<br />
Leitfragen als Diskussionsgrundlage vorgelegt; aus diesen haben<br />
die Teilnehmer dann insgesamt knapp 30 verschiedene Themen<br />
konkretisiert: u.a. „Kulturelle und Ästhetische Bildung“, „Zusammenarbeit<br />
zw. Lehre und Verwaltung“; „Standort <strong>Frankfurt</strong> – Image<br />
der Stadt“; „Bilden wir für den Markt, wie er ist?“; „Neue Unterrichtsmodelle<br />
erforschen?“; „Gesellschaftliche und politische<br />
Verantwortung der Hochschule“.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Waren und sind Sie mit der „Ausbeute“ dieses<br />
Tages zufrieden?<br />
Dennerle Zum Sammeln von Fragen und Themen, die die Hochschulangehörigen<br />
besonders bewegen, war der „open space“<br />
hervorragend und erfolgreich. Was im Anschluss daran jedoch so<br />
gut wie gar nicht angenommen wurde, war die Möglichkeit, sich<br />
online in einem Blog zu Wort zu melden und die Diskussion mit<br />
Anregungen und Kommentaren zu bereichern. Nur wenige haben<br />
bislang davon Gebrauch gemacht. Das ist eine wichtige Erkenntnis,<br />
dass das Internet in unserem Prozess als Diskussionsinstrument<br />
nicht der richtige Weg war und ist. Bei uns ist es die Präsenzveranstaltung,<br />
der direkte Austausch, die persönliche Auseinandersetzung,<br />
das wollen unsere Hochschulangehörigen! Dennoch bleibt<br />
das Internet ein wichtiges Instrument innerhalb unseres Leitbildprozesses:<br />
Hier ist der gesamte bisherige Prozessverlauf inklusive aller<br />
Ergebnisse dokumentiert und für jedermann detailliert einseh- und<br />
nachvollziehbar. Das schafft maximale Transparenz, die für solch<br />
einen Prozess „von unten nach oben“ sehr wichtig ist.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Welche Rolle spielte das Hochschuljubiläum im April<br />
für den Leitbildprozess?<br />
Dennerle Anlässlich unseres 75 jährigen Bestehens fand ein<br />
wissenschaftliches Symposium zum Thema „Zukunft der Künste –<br />
Kunstausbildung im Wandel“ statt. Neben den zentralen Vorträgen,<br />
die in dieser FiT-Ausgabe nachzulesen sind, tagten anschließend<br />
verschiedene Arbeitsgruppen und erarbeiteten Thesen, die auch in<br />
die Entwicklung unseres Leitbildes Eingang gefunden haben.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Danach entstand der erste Leitbildentwurf?<br />
Dennerle Ja – die Betonung liegt aber auf dem Begriff Entwurf.<br />
Was ein kleines Redaktionsteam auf der Grundlage aller bisherigen<br />
Anregungen innerhalb kürzester Zeit ausgesprochen strukturiert<br />
und detailliert formuliert hatte, wurde zur Arbeitsgrundlage der<br />
„Zukunftskonferenz“, die Anfang Juli mit 48 gezielt ausgesuchten<br />
Teilnehmern stattfand. Studierende, Lehrende, Vertreter der<br />
Verwaltung, der Hochschulleitung und zwölf Externe (Vertreter<br />
künftiger Beschäftigungsorte der Absolventen sowie Vertreter aus<br />
Wirtschaft, Politik und Medien) bildeten eine lebendige und sehr<br />
kritische Gemengelage, die dazu führte, dass wir deutlich von der<br />
geplanten Tagesordnung der Zukunftskonferenz abweichen<br />
mussten.<br />
35
S c h o n d e r W e g i s t d a s Z i e l<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Was ist passiert?<br />
Dennerle Ein Großteil der Teilnehmer, vor allem die externen Gäste,<br />
äußerten starke Zweifel an der Konsensorientierung der Veranstaltung<br />
und an der Haltbarkeit des ersten Entwurfs bis hin zur<br />
kompletten Ablehnung des Textes. Außerdem offenbarte sich, dass<br />
die Zeit in den bis zu zwölf Personen großen Diskussionsgruppen<br />
nicht ausreichte, um den ersten Leitbildentwurf ausführlich genug<br />
zu besprechen. Aus dieser Resonanz heraus haben wir den zweiten<br />
Teil der Zukunftskonferenz mehr oder weniger improvisiert, um die<br />
Kritik adäquat aufnehmen zu können.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Was waren denn inhaltliche Knackpunkte der<br />
Diskussionen?<br />
Dennerle Dass ein Leitbild nicht „glattgebügelt“ sein darf; Konsens<br />
und Kontroversen müssen gleichermaßen ausgehalten werden, weil<br />
„Verschiedenheit und Ambivalenz der Gegenwart, als wesentliche<br />
Merkmale und Impulse für Kunst und Kunstausbildung begriffen<br />
werden müssen“, wie es ein Teilnehmer treffend und unter großem<br />
Applaus formulierte. D.h. das Leitbild soll in knapper Form das<br />
unverwechselbare Profil der <strong>HfMDK</strong> widerspiegeln – dazu gehören<br />
eben auch bestehende Kontroversen. Konkret beinhaltet das zum<br />
Beispiel die Frage, ob Kunst und Wissenschaft an einer Kunsthochschule<br />
gleichberechtigt sind; oder ob die Hochschule eher für<br />
Traditionen steht oder für Visionen auf Zukünftiges; oder die Frage,<br />
wie die Balance zwischen Ausbildung und Bildung als Kernaufträge<br />
der Hochschule aussehen soll.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Wie hat die Erfahrung der Zukunftskonferenz den<br />
Leitbildprozess insgesamt beeinflusst?<br />
Dennerle Wir haben sehr viele wertvolle Anregungen erhalten, es<br />
wurden nochmals grundlegende Fragen aufgeworfen. Das war für<br />
unseren Prozess sehr wichtig und hilfreich. Diese Impulse haben<br />
wir aufgenommen und die „Neustarttaste“ gedrückt – also unseren<br />
ersten Leitbildentwurf beiseitegelegt und den Prozessverlauf<br />
geändert. Konkret heißt das: Wir haben eine externe Person<br />
gebeten, nach einem ausführlichen Briefing einen neuen zweiten<br />
Textentwurf zu erarbeiten. Dieser wird in den nächsten Wochen<br />
hochschulintern zur Diskussion vorliegen, bevor wir in einer<br />
hochschulweiten Diskussionsveranstaltung am 12. Dezember<br />
dessen kontroverse Kernthemen noch einmal öffentlich erörtern.<br />
Aus diesen Ergebnissen erstellt eine Redaktionsgruppe dann bis<br />
Ende Januar den dritten Leitbildentwurf, an dem in einer abschließenden<br />
Redaktionskonferenz nochmals hochschulöffentlich gefeilt<br />
werden soll, bevor er dann hoffentlich im Februar vom Senat<br />
verabschiedet wird.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Eine Menge Arbeit für einen Text, der erstmal „nur“<br />
eine Verschriftlichung ist.<br />
36<br />
Dennerle Aber eine Verschriftlichung von Überzeugungen und<br />
Anliegen der Menschen, die Teil dieser Hochschule sind. Die Kraft<br />
des Leitbildes steckt in der Gemeinsamkeit der Vision, wie Hochschule<br />
heute funktionieren kann und für morgen gerüstet sein soll.<br />
Doch jenseits des zu beschließenden Textes ist ja während des<br />
Prozesses schon so unglaublich viel passiert: In der Hochschule<br />
herrscht eine faszinierende Mobilität, unterschiedliche Hochschulgruppen<br />
sind miteinander intensiv im Gespräch; zentrale Fragen<br />
und grundlegende Themen, die im Leitbildprozess zur Sprache<br />
gekommen sind, wie z. B. zur künstlerischen Forschung, haben<br />
längst ihren Eingang in die Diskussion in viele Hochschulgremien<br />
gefunden und werden leitbildunabhängig z. B. in Fachbereich 1 und<br />
Fachbereich 3 diskutiert. Und was an Ideen nicht direkt in das<br />
Leitbild einfließt – das Leitbild ist etwas anderes als die Zielvereinbarungen<br />
–, das geht nicht verloren, sondern wird in einem<br />
Themenspeicher gesammelt, der wiederum im allgemeinen<br />
Hochschulentwicklungsprozess Berücksichtigung finden wird. Kurz:<br />
Der Leitbildprozess ist auf großer Ebene eine Initialzündung mit<br />
ganz vielen Folgeeffekten im Kleinen und ein Katalysator, der<br />
Kommunikation in Gang gebracht hat, die auch nach Abschluss des<br />
Prozesses weitergehen wird – zumal ja dann erst die Umsetzung<br />
des Leitbildes ansteht. Insofern kann man durchaus sagen: Schon<br />
der Weg ist das Ziel.<br />
bjh<br />
Leitbildprozess im Endspurt –<br />
wie es weitergeht<br />
Von Oktober bis Mitte November 2013 liegt der von einer<br />
externen Person erstellte und vom Präsidium überarbeitete neue<br />
Leitbildentwurf LB_2 hochschulöffentlich den Fachbereichen, der<br />
Verwaltung und dem AStA zur Diskussion vor. Darüber hinaus<br />
besteht die Möglichkeit der individuellen Bearbeitung des LB_2<br />
für jeden Hochschulangehörigen (per Mail an Sylvia.Dennerle@<br />
hfmdk-frankfurt.de oder über den Blog, der zeitnah auf der<br />
Leitbildunterseite der Hochschulwebsite zu finden ist).<br />
Am 12. Dezember (12 bis 17 Uhr) werden in einer hochschulweiten<br />
Diskussionsveranstaltung der LB_2 auf wenige noch strittige<br />
Kernthemen verdichtet und die bestehenden Kontroversen in den<br />
Foren lösungsorientiert noch einmal (hochschul-)öffentlich erörtert.<br />
Lösungsorientiert kann dabei auch heißen: Dissenz oder Koexistenz<br />
gegenläufiger Bestrebungen und Art des Umgangs damit feststellen.<br />
Aus den Ergebnissen dieser Veranstaltung erstellt eine Redaktionsgruppe<br />
bis Ende Januar 2014 den Leitbildentwurf 3 (LB_3).<br />
Am 5. und 6. Februar 2014 wird LB_3 in einer hochschulöffentlichen<br />
Redaktionskonferenz abschließend diskutiert und<br />
überarbeitet. Auch einzelne Hochschulangehörige haben die<br />
Möglichkeit, bei Bedarf durch die spezielle Wahl der Methodik<br />
(Fishbowl) in die Diskussion einzugreifen.<br />
In einer außerordentlichen Sitzung am 10. Februar soll LB_3<br />
vom Senat verabschiedet werden.
Interdisziplinarität —<br />
aktiv vernetzt handeln<br />
Von Prof. Sibylle Cada<br />
Die Arbeitsgruppe zum Thema „Interdisziplinarität – aktiv vernetzt<br />
handeln“ war – wie einige andere Arbeitsgruppen im Rahmen des<br />
Jubiläums-Symposiums auch – klein aber fein. Vertreten waren<br />
sowohl Studierende als auch haupt- und nebenamtliche Lehrende.<br />
Unsere Expertin war Frau Prof. Dr. Barbara Busch, Professorin für<br />
Musikpädagogik an der Musikhochschule Würzburg, bei der wir uns<br />
an dieser Stelle noch einmal für ihre bereits in der Vorbereitung<br />
ausgesprochen produktive Begleitung bedanken.<br />
STATEMENT<br />
Henrik Rabien,<br />
Professor für Fagott<br />
Ein Schwerpunkt unserer Überlegungen waren die Perspektiven<br />
eines verstärkten interdisziplinären Denkens und Handelns innerhalb<br />
des Hauses im Sinne einer engeren Verbindung künstlerischer<br />
Ausdrucksformen, pädagogischer Praxis und wissenschaftlicher<br />
Erkenntnis. (Nicht nur) die Lehrenden wünschen sich ein „Haus der<br />
offenen Türen“ – und leben dies auch bereits. Eine Reihe von<br />
KollegInnen setzen eigeninitiativ immer wieder auch Kooperations-<br />
Projekte in die Tat um. Sie tun dies aus Interesse und Freude an<br />
einer für alle Beteiligten produktiven Zusammenarbeit. Sie tun dies<br />
allerdings unter Bedingungen, die einem Anwachsen solcher<br />
Initiativen nicht eben förderlich sind. Die TeilnehmerInnen waren<br />
sich daher einig, dass sich diese nur dann in einem wünschenswerten<br />
Umfang etablieren können, wenn innerhalb des Hauses<br />
entsprechende – nicht zuletzt zeitliche sowie ökonomische – Rahmenbedingungen<br />
geschaffen werden. Wünschenswert sei auch,<br />
dass bei Neuberufungen eine ausdrückliche Bereitschaft der<br />
BewerberInnen zu interdisziplinärem Arbeiten erwartet werde.<br />
Das zweite Themenfeld beschäftigte sich mit der Studienstruktur<br />
und ihrer augenblicklichen Ausgestaltung. Selbstverständlich ist<br />
von Studierenden eine eigenständige Integrationsleistung in Bezug<br />
auf die von ihnen zu absolvierenden Fächer zu erwarten. Andererseits<br />
wünschen sie sich dringend weniger „Nebeneinander“ von<br />
Fächern, stattdessen eine inhaltlich und strukturell deutlich engere<br />
Verzahnung von künstlerischen, pädagogischen und wissenschaftlichen<br />
Lehrangeboten. Konkret stellen sie sich zum Beispiel<br />
häufigere Seminarveranstaltungen im Team-Teaching vor. Zum<br />
anderen halten sie es für geboten, die aktuellen Studiengänge im<br />
Sinne nicht nur einer besseren Studierbarkeit, sondern besonders<br />
gerade auch in Richtung einer verstärkten interdisziplinären<br />
Vernetzung zu überarbeiten.<br />
Die AG kam zu diesem Fazit: In das Leitbild der <strong>HfMDK</strong> sollte das<br />
Ideal eines integrierten Lernens und Lehrens Eingang finden.<br />
Das Haus verfügt dafür über ein immenses Potenzial an künstlerischen,<br />
pädagogischen, wissenschaftlichen und damit personellen<br />
Ressourcen. Die Offenheit und Bereitschaft der Lehrenden zu<br />
interdisziplinärem Handeln ist groß. Die Hochschule sollte dies<br />
wertschätzen und strukturell in jeder Hinsicht aktiv unterstützen.<br />
Wie helfen Sie Ihren Studierenden,<br />
sich jenseits des „rein“<br />
Fachlichen auf ihre berufliche<br />
Zukunft vorzubereiten? Welche<br />
weiteren Schlüsselkompetenzen<br />
und Erfahrungswerte<br />
versuchen Sie zu vermitteln?<br />
Es ist schwer, das rein Fachliche<br />
von weiteren Schlüsselkompetenzen<br />
zu trennen: Durch die<br />
enorme Konkurrenz wie durch<br />
die schwieriger gewordenen<br />
kulturellen Verhältnisse sind<br />
Künstler ohnehin gezwungen,<br />
ihre komplexen Fähigkeiten auf<br />
immer neue und geschicktere<br />
Weise zu erlernen und zu<br />
vermitteln. Geduld, Ruhe und<br />
Tiefenwirksamkeit sind dabei<br />
ebenso zentrale Voraussetzungen<br />
wie große geistige<br />
Wachheit, Aufgeschlossenheit<br />
und Flexibilität. Stets gilt es, sich<br />
beim Musizieren, Lernen und<br />
Lehren seiner Botschafterrolle als<br />
Individuum bewusst zu werden,<br />
durch welche man die immensen<br />
geistig-emotionalen Inhalte der<br />
kulturellen Tradition verständlich,<br />
persönlich, wahrhaftig und<br />
berührend auf die Zuhörer<br />
überträgt. Das ist nur möglich<br />
mit hoher persönlicher Anteilnahme<br />
und Identifikation. Nur,<br />
wenn man als Musiker eigene,<br />
zutiefst persönliche Resonanz<br />
empfindet, kann man dies auch<br />
auf die Zuhörer übertragen.<br />
Diese Einstellung kann bereits<br />
winzigste Prinzipien im „rein<br />
fachlichen“ Mikrokosmos des<br />
Übens betreffen, ebenso wie<br />
Phrasen-, Satz- oder Programmgestaltung.<br />
Inwiefern ist die <strong>HfMDK</strong> für<br />
die Zukunft gerüstet?<br />
In der <strong>HfMDK</strong> gibt es bereits<br />
eine Fülle von Ideen, Bewusstsein,<br />
Kollegen und Projekten,<br />
welche die vorhandenen Strukturen<br />
schon in sehr kreativer<br />
Weise mit frischem Leben<br />
und beständiger Selbsterneuerung<br />
füllen. Bei reiner Vergangenheitsreproduktion<br />
wäre die<br />
<strong>HfMDK</strong> schon längst zum<br />
Schlusslicht unter den Musikhochschulen<br />
geschrumpft.<br />
Die Hochschule kann sich dem<br />
permanenten Selbsterneuerungszwang<br />
ohnehin nicht entziehen.<br />
Sie muss dabei „wache<br />
Antennen“ für die vielen fragilen<br />
Gleichgewichte in der künstlerischen<br />
Ausbildung haben:<br />
zwischen Erneuerung und<br />
Werte-Vermittlung (statt<br />
Werte-Erosion), zwischen<br />
äußerer und innerer Erneuerung,<br />
zwischen Ruhe für fundierte<br />
Reifeprozesse und vitaler<br />
Flexibilität.<br />
37
F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />
Nora Dhom<br />
Sommer 2013 —<br />
Meisterkurse, Workshops und Summerschools<br />
Die Gesellschaft der Freunde und Förderer unterstützte Studierende finanziell<br />
Für die Teilnahme an Meisterkursen, Workshops und Summerschools<br />
stellten die Freunde und Förderer der Hochschule für Musik<br />
und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main im Sommer 5.000 Euro<br />
zur Verfügung. 15 Studierende, von der Jungstudentin über die<br />
Schulmusikerin bis zum Masterstudierenden, bewarben sich<br />
erfolgreich und erhielten Stipendien zwischen 200 und 500 Euro.<br />
Die begeisterten Rückmeldungen der Studierenden sprechen für<br />
sich, vier davon zitieren wir hier beispielhaft:<br />
Anne-Luise Kramb, Jungstudentin in der<br />
Violinklasse von Prof. Susanne Stoodt, berichtete von ihrem<br />
Meisterkurs im Rahmen der Musiktage der Olympiaregion Seefeld<br />
und ihrem dortigen Unterricht bei Geiger Rudens Turku, ehemaliger<br />
Schüler von Prof. Ana Chumachenco: „Frau Chumachenco war es<br />
auch, die mich im Rahmen der Meisterkurse an der Kronberg<br />
Academy auf den Meisterkurs in Seefeld aufmerksam machte und<br />
mir Herrn Prof. Turku sehr empfahl. Und sie hatte keineswegs<br />
übertrieben: Herr Turku macht einen sehr lebendigen und anschaulichen<br />
Unterricht auf sehr hohem Niveau, der neben der Vermittlung<br />
technischer Grundlagen primär das Ziel hat, die Freude an der<br />
Musik nahezubringen. Vielleicht beschreibt sich Rudens Turku<br />
selbst am besten mit folgendem Zitat: ‚Musik ist nicht nur die<br />
Aneinanderreihung von Noten, sondern auch eine Sprache der<br />
Seele, die Verständnis ohne Worte ermöglicht. Auf diese Weise<br />
schenkt Musik Hoffnung und verbindet Menschen miteinander, in<br />
guten wie in schlechten Zeiten.‘ Es hat mich sehr beeindruckt, wie<br />
scheinbar selbstverständlich jeder Fingersatz oder jeder Bogenstrich<br />
von Rudens Turku vorgespielt und begründet wurde, und man<br />
empfand es hinterher so, als könne es gar nicht anders sein. Und<br />
immer verrieten sein Gesicht und sein gesamter Ausdruck Freude<br />
und größte Zufriedenheit, die sich schon nach kurzer Zeit auf seine<br />
Schüler übertragen mussten. Insgesamt erwies sich der Kurs als<br />
sehr lohnend, anregend und fruchtbar! Da auch viele Gleichaltrige<br />
neben vor allem jüngeren Schülern an den Kursen teilnahmen,<br />
haben sich einige Bekanntschaften ergeben, so dass mich der Kurs<br />
nicht nur musikalisch, sondern auch persönlich bereichert hat.“<br />
Nora Dhom, Blockflötistin im Studium der Historischen<br />
Interpretationspraxis in der Klasse von Prof. Michael Schneider,<br />
bekundete ihre Begeisterung über ihre Teilnahme am Meisterkurs<br />
für historische Interpretations- und Aufführungspraxis, „XLV Corsi<br />
di Musica Antica della FIMA“, in Urbino, Italien, in ein paar Zeilen<br />
auf einer Postkarte von dort: „Der Kurs mit Michael Form und Han<br />
Tol ist wirklich unglaublich gut, und ich habe jetzt schon so viel<br />
Neues, an dem ich zuhause weiterarbeiten kann, dass es beinahe<br />
schon zu viel ist. Beide wissen so unglaublich viel, es ist sehr<br />
beeindruckend. Die Zeit hier wird mir auf jeden Fall im Gedächtnis<br />
bleiben und mein Lernen in den nächsten Semestern beeinflussen.“<br />
Leana Alkema studiert an der <strong>HfMDK</strong> Violoncello bei<br />
László Fenyõ und berichtet von ihrer Teilnahme am Crescendo<br />
Summer Institute Hungary in Sarospatak: „Während dieser zwei<br />
Wochen habe ich sowohl Einzelunterricht als auch Kammermusik-<br />
Unterricht bekommen. Da ‚Crescendo‘ mehr als Musik ist, haben<br />
wir auch Gottesdienste gefeiert und zusammen über Themen des<br />
Lebens gesprochen. Die Atmosphäre dieses Festivals ist sehr<br />
besonders, und viele Teilnehmer gingen ermutigt nach Hause. Mit<br />
vollem Herzen bin ich nach <strong>Frankfurt</strong> zurück gekommen.“<br />
Julia Huk, Schulmusikstudentin mit Hauptfach Klarinette,<br />
schildert Eindrücke ihres fünftägigen Klezmer-Workshops mit dem<br />
Klarinettisten Giora Feidman und dem Bandoneonisten Raul Jarena<br />
in Mainz: „Was genau in dieser Zeit mit uns passiert ist, lässt sich<br />
in Worten kaum fassen. Es war eine eindrucksvolle Zeit, die auch<br />
nicht immer leicht war. Die vielen bewegenden Eindrücke und der<br />
straffe Zeitplan von morgens um 9:30 Uhr bis abends um 23 Uhr<br />
oder sogar 0.30 Uhr mit einer Stunde Mittagspause haben einige<br />
der Teilnehmer bis an ihre Belastungsgrenze gebracht. Doch wurde<br />
in diesem Workshop viel Erfahrung gesammelt, die einem nicht<br />
mehr genommen werden kann, und ich wollte keine einzige davon<br />
missen. Giora Feidman hat eine unerschütterliche Lebensphilosophie,<br />
die den Workshop und die Teilnehmer erfüllt hat. ‚Wenn ihr<br />
spielt, dürft ihr nicht mit eurem Instrument spielen, ihre müsst eure<br />
Seele singen lassen!‘“<br />
38
Anne-Luise Kramb im Unterricht bei Geiger Rudens Turku.<br />
DER KICK —<br />
ein Schauspielprojekt<br />
der <strong>HfMDK</strong> startet ins Crowdfunding<br />
Die <strong>HfMDK</strong> bewirbt sich im Förderprogramm<br />
kulturMut der Aventis Foundation um 16.000 Euro.<br />
Das Besondere: Sie, unsere Leser, können unsere<br />
Bewerbung tatkräftig unterstützen!<br />
Es ist ganz einfach: Gehen Sie auf startnext.de/<br />
der-kick und werden Sie Fan, werden Sie Unterstützer!<br />
Und empfehlen Sie unser Projekt in Ihren<br />
Netzwerken weiter! Die Finanzierungsphase läuft vom<br />
14. Oktober bis 21. November. In diesem Zeitraum<br />
entscheidet sich, ob wir „Der Kick“ im vollen Umfang<br />
und unter besten Bedingungen realisieren können.<br />
Schenken Sie uns Ihre Neugier und einen Klick auf<br />
www.startnext.de/der-kick.<br />
Leana Alkema (rechts) im Kammermusik-Unterricht beim „Crescendo<br />
Summer Institute Hungary“.<br />
Worum geht’s? Der 3. Jahrgang Schauspiel der<br />
<strong>HfMDK</strong>, acht Studierende, probt derzeit „Der Kick“<br />
von Andres Veiel. „Der Kick“ ist ein modernes<br />
Doku-Drama mit einem stark zeit- und gesellschaftskritischen<br />
Bezug. Das Stück besteht ausschließlich<br />
aus Original-Interviews mit mittelbar und unmittelbar<br />
Beteiligten an einer Gewalttat, die vor einigen Jahren<br />
in einer ostdeutschen Kleinstadt passierte. Wie<br />
konnte es dazu kommen? Was trieb die Täter? War<br />
die Katastrophe absehbar? Und was hat das mit uns<br />
zu tun?<br />
Die Studierenden nähern sich durch eine im psychologisch-realistischen<br />
Ausdruck reduzierte und<br />
vorrangig formale Spielweise diesem schwierigen<br />
Themenkomplex: Jugendgewalt, Jugendarmut,<br />
Verwahrlosung. Das Projekt ist spielerisch und<br />
technisch sehr aufwändig; es hat eine intensive<br />
Probenphase und braucht besondere Bühnen- und<br />
Spielelemente sowie eine spezielle Licht- und<br />
Raumtechnik. Sechsmal wird es im Januar 2014 im<br />
Theater Willy Praml in den Naxoshallen gespielt.<br />
Julia Huk mit Raul Jarena (links) und Giora Feidman.<br />
Theater reflektiert und spiegelt in diesem Fall explizit<br />
die Gegenwart und wird dadurch greifbarer, sinnlicher<br />
und – im besten Sinne – gefährlicher.<br />
39
Über 80 Bläser kreuzten<br />
bei den „Maritime<br />
Rites“ den Holbeinsteg<br />
über dem Main.<br />
Die Dr. Marschner<br />
Stiftung hatte dieses<br />
ehrgeizige Hochschulprojekt<br />
maßgeblich<br />
gefördert.<br />
„Die Hochschule zu unterstützen, lohnt sich immer“<br />
Interview mit Peter Gatzemeier, dem Stiftungsvorstand der Dr. Marschner Stiftung,<br />
die Projekte der Hochschule maßgeblich fördert.<br />
Bereits im vierten Jahr unterstützt die Dr. Marschner Stiftung<br />
ausgesuchte musikalische Großprojekte der Hochschule mit<br />
wesentlichen Förderbeträgen. Mit den „Maritime Rites“ mit<br />
über 80 Bläsern am <strong>Frankfurt</strong>er Mainufer, den Musiktheater-<br />
Fragmenten „Mond.Finsternis.Asphalt“ im Bockenheimer Depot<br />
sowie den „Farben der Frühe“ mit sieben Flügeln im Großen<br />
Saal der Hochschule hat die Stiftung vor allem zeitgenössische<br />
Vorhaben gefördert. Dem Engagement des Stiftungsvorstands<br />
der Dr. Marschner Stiftung, Peter Gatzemeier, ist es zu verdanken,<br />
dass auch die Max von Grunelius-Stiftung und die Aventis<br />
Foundation zu wichtigen Förderern der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am<br />
Main geworden sind. In gleichen Anteilen ermöglichen alle drei<br />
Stiftungen die erste Stiftungsprofessur der Hochschule, die seit<br />
dem Sommersemester 2013 mit dem Cellisten Lucas Fels für<br />
„Interpretatorische Praxis und Vermittlung Neue Musik“ auf die<br />
Dauer von zunächst drei Jahren besetzt ist. <strong>Frankfurt</strong> in Takt<br />
sprach mit dem <strong>Frankfurt</strong>er Rechtsanwalt Peter Gatzemeier<br />
über die wichtigen Stiftungsaktivitäten, deren Motivation und<br />
seine Erfahrungen mit der Hochschule als Förderpartner.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Mit der finanziellen Hilfe Ihrer Stiftung musizierten<br />
im Mai 2010 80 Bläser am Ufer des Mains und traten dabei mit<br />
Signalhörnern und Elektronik von Schiffen in einen skurrilen<br />
musikalischen Dialog. Sie haben Mut bewiesen, ein dermaßen<br />
ausgefallenes Spektakel zu unterstützen.<br />
Peter Gatzemeier Ich fand es phänomenal, wie die Masse an Bläsern<br />
musizierend über den Holbeinsteg marschierte und dann am<br />
Mainufer Position bezog. Wir haben diese außergewöhnliche<br />
musikalische Performance der Hochschule unter der Gesamtleitung<br />
des Komponisten Alvin Curran gern unterstützt, aber das inhaltliche<br />
Konzept nicht selbst beeinflusst. Wenn sich die Dr. Marschner<br />
Stiftung zu einer Förderung entschließt, tut sie dies im Vertrauen<br />
auf die Zuverlässigkeit ihres jeweiligen Partners wie etwa der<br />
Hochschule. Bei aller Experimentierfreudigkeit innerhalb der<br />
Projekte mit Neuer Musik kann ich aber bestätigen, dass uns die<br />
Hochschule künstlerisch noch nie enttäuscht hat.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Was liegt der Dr. Marschner Stiftung daran, die<br />
Hochschule zu unterstützen?<br />
Peter Gatzemeier Die Hochschule ist eine der wesentlichen Kulturträger<br />
in der Stadt und eine Ausbildungsstätte auf hohem Niveau,<br />
die aus dem kulturellen Leben in <strong>Frankfurt</strong> nicht mehr wegzudenken<br />
ist – dort verbinden sich Ausbildung und Kunst beispielhaft und<br />
vorbildlich. Der Stiftungsgedanke von Dr. Jürgen Marschner sieht<br />
vor, mildtätige, kulturelle und wissenschaftliche Aktivitäten zu<br />
unterstützen, die sich auf den Raum <strong>Frankfurt</strong> und Offenbach<br />
beschränken. Mit unserer Unterstützung wollen wir den Studierenden<br />
Möglichkeiten bieten, sich in von uns geförderten Projekten<br />
auszuprobieren, mutig zu experimentieren, damit sie auch nach<br />
ihrem Hochschulstudium mutige Künstler sind, die sich ganz im<br />
Sinne der künstlerischen Freiheit in die Gesellschaft einbringen.<br />
40
F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Wer war Dr. Jürgen Marschner?<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Stoßen Sie als Stiftung auch auf Widerstände?<br />
Peter Gatzemeier Zusammen mit seiner Mutter Charlotte Marschner<br />
war er Hauptgesellschafter des traditionsreichen Kaufhauses<br />
M. Schneider auf der <strong>Frankfurt</strong>er Zeil und dem weiterhin bestehenden<br />
Kaufhaus M. Schneider in Offenbach. Die jahrzehntelange<br />
Verbundenheit der Kaufhäuser M. Schneider in <strong>Frankfurt</strong> und<br />
Offenbach wird der Grund dafür gewesen sein, dass Jürgen<br />
Marschner mit einem erheblichen Teil seines Vermögens von Todes<br />
wegen die Dr. Marschner Stiftung gründete, um das gesellschaftliche<br />
Leben in beiden Städten zu bereichern. Im Jahr 2004 ist<br />
Dr. Marschner im Alter von nur 65 Jahren verstorben. Mittlerweile<br />
fördert die Stiftung jährlich 60 bis 70 Projekte mit einem Volumen<br />
von rund einer Million Euro jährlich.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Und die Hochschule hat sich gleichsam zu einem<br />
dauerhaften Förderpartner Ihrer Stiftung entwickelt.<br />
Peter Gatzemeier Es gibt auf jeden Fall Menschen, die sich wünschen,<br />
dass der Einsatz von Stiftungsmitteln einer stärkeren<br />
staatlichen Kontrolle unterliegt. Doch dabei verkennen Kritiker, dass<br />
es sich bei Stiftungsvermögen um rein privates Vermögen handelt,<br />
über das die dafür Verantwortlichen autonom und unabhängig<br />
entscheiden können – jedenfalls im Rahmen der Stiftungssatzung.<br />
Ich bin davon überzeugt, dass Stiftungen öffentliche Mittel nicht<br />
ersetzen können und sollen – sie entlassen den Staat also nicht aus<br />
seinen Pflichten, beispielsweise die finanzielle Grundsicherung einer<br />
Hochschule zu gewährleisten. Stiftungen sind nach meinem<br />
Selbstverständnis eher dazu da, das Leben zu bereichern, also<br />
Vorhaben zu fördern, die man als „nice to have“ umschreiben<br />
könnte.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Wie laufen in Ihrer Stiftung die Entscheidungswege?<br />
Peter Gatzemeier Ja. Wir schätzen die offene und verbindliche Art<br />
sowie die Zuverlässigkeit, die wir im Miteinander mit dem Hochschulpräsidenten<br />
Thomas Rietschel, der Fundraising-Abteilung mit<br />
Beate Eichenberg und Heinke Poulsen sowie den Künstlern der<br />
Hochschule erlebt haben.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Mit der Einrichtung der Stiftungsprofessur hat sich<br />
Ihre Förderaktivität gegenüber unserer Hochschule noch einmal<br />
wesentlich intensiviert.<br />
Peter Gatzemeier Die Stiftungsprofessur fußt ja auf drei Säulen –<br />
durch stiftungsbedingte Bekanntschaften konnte ich zwei weitere<br />
Partner gewinnen: Eugen Müller als Geschäftsführender Vorstand<br />
der Aventis Foundation signalisierte nach meiner ersten Anfrage<br />
gleich Interesse an einer Beteiligung, und auch bei der Ernst Max<br />
von Grunelius-Stiftung bedurfte es keiner langwierigen Überzeugungsarbeit,<br />
sie für die Stiftungsprofessur zu interessieren. Auf<br />
dieser Basis haben wir schließlich einen Vertrag zwischen Förderern<br />
und Geförderten aufgesetzt, der ein überschaubares juristisches<br />
Gebilde darstellt, sich aber inhaltlich nicht in Fragen der Umsetzung<br />
einmischt. Wir wollen als Stiftungen nur die Förderzusagen erfüllen<br />
– selbstlos, gemeinnützig und unpolitisch.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Sie haben sich also auch nicht am Berufungsverfahren<br />
für die Stiftungsprofessur beteiligt?<br />
Peter Gatzemeier Der Stiftungsvorstand und sein Beirat tagen<br />
einmal im Quartal, um über rund 200 Anträge jährlich zu beraten.<br />
Über meinen Schreibtisch laufen alle Anfragen, die sich auf den<br />
Raum <strong>Frankfurt</strong> beziehen, während sich Wolfgang Rawer, der<br />
weitere Stiftungsvorstand, um Anträge aus Offenbach kümmert.<br />
Wir beide stellen die Förderprojekte auf den Sitzungen dem Beirat<br />
vor.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Mit der Stiftungsprofessur ist die Zusammenarbeit<br />
der Dr. Marschner Stiftung zumindest für die Dauer von weiteren drei<br />
Jahren garantiert. Wird es darüber hinaus eine weitere Zusammenarbeit<br />
geben?<br />
Peter Gatzemeier Wir sind immer für Projekte der Hochschule offen.<br />
Sie und ihre jungen Künstler zu fördern, lohnt sich erfahrungsgemäß<br />
immer. Die Hochschule und ihre Menschen wirken vor allem<br />
deshalb so sympathisch, weil dort alle mit enorm viel Herzblut bei<br />
der Sache sind. bjh<br />
Peter Gatzemeier (links) ist<br />
Stiftungsvorstand der<br />
Dr. Marschner Stiftung,<br />
Lucas Fels (rechts) erster<br />
Stiftungsprofessor der <strong>HfMDK</strong>.<br />
Peter Gatzemeier Nein, das haben wir voll und ganz den Experten<br />
der Hochschule überlassen. Aber ich kann bestätigen, dass die<br />
Hochschule mit dem Cellisten Lucas Fels eine hervorragende Wahl<br />
getroffen hat. Als ein Vordenker, der junge Künstler an Neue Musik<br />
heranführen möchte, ist der neue Professor ein ungemein sympathischer<br />
Typ mit einem bewegten Leben – zielgerichtet ehrgeizig,<br />
aber stets dem treu geblieben, was ihm seit Jahrzehnten an seiner<br />
Arbeit wichtig ist.<br />
41
F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />
Die Hochschule als Einfallstor für die Kunst von morgen<br />
Ein Rückblick auf die Festwoche zum 75 jährigen Bestehen der<br />
<strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />
Das Hochschuljubiläum endete, wie es begonnen hatte – würdevoll<br />
und auf künstlerisch hohem Niveau. Die Feierlichkeiten zum<br />
75-jährigen Bestehen der Staatlichen Hochschule für Musik, heute<br />
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main,<br />
waren facettenreich in der Art, des Gründungsdatums zu gedenken<br />
– mit historischer Perspektive auf Gewachsenes, mit einer aktionsreichen<br />
„Bestandsaufnahme“ dessen, was die Hochschule heute ist,<br />
und immer wieder mit der Perspektive auf die Veränderbarkeit ihrer<br />
Strukturen und zugleich der beruflichen Zukunft ihrer Absolventen.<br />
Die feierliche Mischung aus akademischer Rückschau, künstlerischer<br />
Reflexion und wissenschaftlicher Analyse im Gewand einer<br />
ganzen Festwoche wirkte schlüssig und echt.<br />
Mit authentischer Offenheit ging die Hochschule dabei mit den<br />
tiefen Schatten ihrer Gründungszeit um: Thomas Rietschel verlas zu<br />
Beginn des Festaktes im Großen Saal die Namen jener 14 Lehrenden,<br />
die im Gründungsjahr 1938 in nationalsozialistischer<br />
Verblendung und aus antisemitischer Motivation aus dem Haus<br />
gejagt worden waren – eine Geste, die bedeutsam schien und eine<br />
große Nachdenklichkeit hinterließ.<br />
In Anwesenheit vieler geladener Gäste – allen voran Eva Kühne-<br />
Hörmann, der Hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst<br />
– nutzte Thomas Rietschel seine Begrüßung als flammendes<br />
Plädoyer für seine Vision von Hochschule und künstlerischer<br />
Ausbildung für die nächsten Jahre: „Wir wollen schöpferische<br />
Persönlichkeiten ausbilden, die kreativ, eigenständig und mutig<br />
genug sind, eigene Wege zu gehen.“ Rietschel führte aus, wie<br />
vernetzt und kommunikativ die Hochschule dank vieler Kooperationen<br />
geworden sei, und schloss daraus konsequent: „Ohne diesen<br />
Geist der Kooperation wäre auch das große Zukunftsvorhaben<br />
unserer Hochschule nicht denkbar: der Kulturcampus am Bockenheimer<br />
Depot. Er ist ja viel viel mehr, als dass es hier nur darum<br />
geht, die Raumnot zu lindern, unter der wir täglich zu leiden haben.<br />
Der Kulturcampus ist die Vision für eine Struktur, in der eine<br />
zukunftsweisende künstlerische Ausbildung stattfinden kann.“ An<br />
die Stadt <strong>Frankfurt</strong> richtete er den Appell, den Kulturcampus als<br />
große Chance zu begreifen: „Ich vermisse im politischen Feld die<br />
leidenschaftlichen Kämpfer für dieses Thema – die ja <strong>Frankfurt</strong> mal<br />
hatte. Unterstützung in der Bürgerschaft für den Kulturcampus gibt<br />
es genug.“<br />
Festredner Heiner Goebbels, selbst Absolvent der <strong>HfMDK</strong> und heute<br />
als Gießener Professor für Angewandte Theaterwissenschaft<br />
zugleich Präsident der Hessischen Theaterakademie, formulierte<br />
seine Ideen einer „Ausbildung für eine Ästhetik, von der wir noch<br />
nicht wissen, wie sie aussehen wird“. Künstlerisches Handeln sei,<br />
den Philosophen Dieter Henrich zitierend, in seinem Verständnis<br />
„kein passives Aufnehmen von Weltgehalten, sondern aktive<br />
Aufmerksamkeit, bei der die Unmittelbarkeit, mit der wir uns die<br />
Welt aneignen, unterbrochen wird.“ Für diesen Kunstbegriff stehe<br />
partiell die „Neue Musik“, was Goebbels zum Anlass nahm, eine<br />
zukunftsweisende Ausbildung an ihr und dem Bereich der Komposition<br />
zu exemplifizieren: „Lassen Sie uns eine Hochschule denken,<br />
wie diese sympathische Hochschule mit dem unaussprechlichen<br />
Namen, die im Zentrum eine starke und stark nach innen wie nach<br />
außen ausstrahlende Abteilung für Komposition hat. Mit 3, 4, ach<br />
was sag ich, 5 Professuren – mit sehr offenen Ansätzen unterschiedlichster<br />
Provenienz: Medienkunst, Musiktheater, Elektronische<br />
Musik, Concept Scores, Interdisziplinäre Performative<br />
Formate – experimentell, international und unakademisch, mit<br />
ebenso internationalen, und natürlich cool aussehenden Studenten<br />
– vielleicht vom Städel abgewandert, weil sie hier mit Musikern,<br />
Tänzern, Schauspielern, Performern, Sängern, Dirigenten oder<br />
Maschinen an einem zeitgenössischen Kunstbegriff arbeiten<br />
können, bei dem Komposition sehr weit verstanden wird.“ So könne<br />
das Fach Komposition eine „Schlüsseldisziplin“ und ein „Einfallstor“<br />
42
Musikalisch umrahmten<br />
Studierende und<br />
Lehrende der<br />
Hochschule den Festakt<br />
im Großen Saal, unter<br />
anderem mit einer<br />
Komposition von<br />
<strong>HfMDK</strong>-Professor Ernst<br />
August Klötzke.<br />
Eine Momentaufnahme<br />
aus der ersten Reihe<br />
des Festakts (von links):<br />
Staatsministerin a.D.<br />
Ruth Wagner,<br />
<strong>HfMDK</strong>-Kanzlerin<br />
Angelika Gartner und<br />
Festredner Heiner<br />
Goebbels, Präsident<br />
der Hessischen<br />
Theaterakademie und<br />
Alumnus der Hochschule.<br />
43
Eva Kühne-Hörmann, die Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst –<br />
oben im Gespräch mit dem Vorsitzenden der Gesellschaft der Freunde<br />
und Förderer, Prof. Dr. Clemens Börsig, darunter im Gespräch mit Hochschulpräsident<br />
Thomas Rietschel, nahm am Festakt der <strong>HfMDK</strong> teil.<br />
sein für „aktuelles Nachdenken über das, was in Musik und<br />
darstellender Kunst im weitesten Sinne möglich sein kann... Daraus<br />
kann die Polyphonie eines Theaterbegriffs für das 21. Jahrhundert<br />
entstehen, der die Verhältnisse zwischen den Disziplinen und<br />
Abteilungen zum Tanzen bringt.“<br />
Minutiöse Vorplanungen und eine hohe Teilnahmebereitschaft von<br />
Studierenden und Lehrenden garantierten mit der abschließenden<br />
Hochschulnacht eine dichte Abfolge von Aufführungen und<br />
Präsentationen aller an der Hochschule vorhandenen Disziplinen.<br />
An neun Spielstätten im Hochschulgebäude verteilt boten 200<br />
Künstler einen Querschnitt durch das künstlerische Spektrum der<br />
Ausbildung. Ein über 20 Mitarbeiter starkes Team unter der<br />
künstlerischen Leitung von Prof. Angelika Merkle und der logistischen<br />
Verantwortung von Daniela Kabs vom Künstlerischen<br />
Betriebsbüro sorgten dafür, dass die 800 Gäste der Hochschulnacht<br />
ihre Mühe hatten, im Strudel der abendlichen Angebote<br />
nichts zu verpassen. Das Motto des Abends machte seiner<br />
Bedeutung alle Ehre: die „Unfassbare Romantik“ an diesem Abend<br />
blieb für jeden Besucher eine Herausforderung, sich das für ihn<br />
(zeitlich) Fassbare herauszusuchen. Doch die Hochschulnacht war<br />
mehr als ein geschäftiges Hin und Her zwischen Ballettsaal und<br />
Konzertsaal, Opernstudio und Schauspielbühne: Das in ein buntes<br />
Lichtermeer getauchte Foyer wurde an diesem Abend auch zum Ort<br />
vieler Gespräche und Begegnungen bei einem Glas echtem<br />
Hochschulwein.<br />
Ein hochkarätiges Benefizkonzert (Foto oben) bereicherte die Jubiläumswoche.<br />
Ruth Wagner, die Hessische Staatsministerin für Wissenschaft<br />
und Kunst a.D., würdigt das künstlerische Programm, das unter dem Titel<br />
„Erhabene Trümmer“ im Großen Saal der Hochschule stattfand:<br />
„Der Dank der ehemaligen Studenten der Hochschule, Udo Samel und<br />
Christoph Prégardien, sowie Michael Gees, als Hommage an<br />
J. W. v. Goethe, die Romantik und ihre Hochschule, war für uns Zuhörer<br />
und Zuschauer eine Begeisterung für die Künste, welche die Hochschule<br />
für Musik und Darstellende Kunst seit 75 Jahren vermittelt. Daran<br />
weiter mitzuwirken ist für mich und für viele Kunstliebhaber in der<br />
Rhein-Main-Region selbstgewählte Pflicht.“<br />
44
The Revolutionary New<br />
THE PASSION. THE PIANOS.<br />
THE REVOLUTION.<br />
Vor fast einem halben Jahrhundert haben wir mit dem ersten<br />
Flügel der C-Serie Geschichte geschrieben. Jetzt ist es Zeit für eine<br />
neue Revolution.<br />
19 Jahre lang haben unsere besten Klavierbauer ihr Wissen<br />
vereint, um gemeinsam mit Spitzenpianisten aus aller Welt einen<br />
einzigartigen Konzertflügel zu erschaffen, den CFX. Zum 125.<br />
Jubiläum unseres Unternehmens entstand mit dieser Expertise eine<br />
neue Serie atemberaubender Pianos. Yamaha präsentiert die CX-<br />
Serie. Die Exzellenz des CFX für Ihr Zuhause.<br />
Mit ihrem innovativen Resonanzboden und seiner perfekten<br />
Wölbung hat die CX-Serie die besten Eigenschaften ihres<br />
legendären Vorbilds geerbt. Die erstklassigen Saiten sowie der<br />
auserlesene Filz der Hämmer stammen aus deutscher Produktion.<br />
Entdecken Sie die Verbindung von Tradition und Innovation. Die<br />
Vereinigung von brillantem Klang und erstklassigem Spielgefühl.<br />
Leidenschaftlich. Inspirierend. Exzellent. Die Revolution beginnt bei<br />
ihrem Yamaha-Klavierhändler oder auf yamaha.de.<br />
“Die Yamaha Piano & Flügel Abteilung gratuliert der Hochschule<br />
für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> zum 75-jährigen<br />
Bestehen.”<br />
facebook.com/YamahaPianoGermany<br />
Follow us on Twitter / YamahaPianosEU<br />
45
F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />
Inspiration hinter Klostermauern<br />
Künstler der Hochschule waren mit Kammerkonzerten und einem inszenierten<br />
Oratorium erneut zu Gast beim Rheingau Musik Festival im Kloster Eberbach<br />
Als die Künstler der Hochschule zur Generalprobe in Kloster<br />
Eberbach einliefen, war mit allen Sinnen zu spüren, wie sie sich<br />
vom Ambiente der prominentesten Spielstätte des Rheingau<br />
Musik Festivals einfangen ließen. Der merkliche Respekt, den<br />
sie den mittelalterlichen Gemäuern mit ihren Jahrhunderte alten<br />
Geschichten, die sie zu erzählen schienen, entgegen brachten,<br />
bewies: Die Atmosphäre von Aufführungsorten inspiriert künstlerisches<br />
Schaffen ungemein.<br />
Die Voraussetzungen für ein erneutes Gastspiel der <strong>HfMDK</strong> beim<br />
renommiertesten Musikfestival der Region waren günstig: Mit der<br />
Deutsche Bank Stiftung als Partner, die – wie vor zwei Jahren – die<br />
Hochschulproduktion im Rheingau finanziell ermöglichte und im<br />
Gegenzug den Premierenabend für ihre geladenen Gäste vorhielt,<br />
konnte sich das Ensemble von Sängern und Instrumentalisten eines<br />
wohlwollenden und begeisterungsfähigen Premierenpublikums<br />
gewiss sein. Die Deutsche Bank Stiftung nahm den Abend mit<br />
mehreren Kurzkonzerten und einer abendfüllenden Oratorium-Inszenierung<br />
erneut zum Anlass, ihren Kunden und Mitarbeitern einen erlesenen<br />
Kunstgenuss zu bieten, der, flankiert von aufmerksamer<br />
Bewirtung, exklusiven Charakter hatte.<br />
Das „Bone Appetit Trombone<br />
Ensemble“ gehörte zu den<br />
Ensembles, die im Vorfeld des<br />
Oratoriums Konzerte in<br />
verschiedenen Räumen des<br />
mittelalterlichen Klosters gaben<br />
– hier im Bild im Hospitalkeller,<br />
flankiert von uralten Weinfässern.<br />
Professionelles Produktionsteam<br />
Das Produktionsteam der Hochschule konnte auf seine Erfahrungen<br />
des letzten Gastspiels im Rheingau vor zwei Jahren aufbauen:<br />
Dirigent Michael Schneider, Leiter der Abteilung Historische<br />
Interpretationspraxis an der <strong>HfMDK</strong>, hatte mit Alessandro Scarlattis<br />
„La Colpa, Il Pentimento, La Grazia“ ein barockes Oratorium für die<br />
Basilika des Klosters auserkoren, das den Regisseur Nils Cooper,<br />
selbst einstiger Gesangsstudent der <strong>HfMDK</strong> und zum zweiten Mal<br />
als Regisseur im Rheingau, vor die Herausforderung stellte, ein<br />
Werk ohne stringente Handlung zu inszenieren: Die Gesangssolistinnen<br />
Kateryna Kasper (La Colpa), Jana Baumeister (La Grazia)<br />
und Stine Fischer (Il Pentimento) als die allegorischen Verkörperungen<br />
von Schuld, Gnade und Reue ließen sich mit fesselnder<br />
Eindringlichkeit auf die intensiv inszenierte Verflechtung der Figuren<br />
ein, während sie unter akustisch anspruchsvollen Bedingungen den<br />
Kontakt zum Orchester hielten. Das wiederum garantierte auf<br />
historischen Instrumenten und mit exponierter Aufstellung von<br />
Blechbläsern in den Seitenschiffen ein stets transparentes Klangfundament.<br />
Zudem hatte Nils Cooper sieben Sänger eines Kammerchores<br />
der Hochschule als zunächst stumme Darsteller hinzu<br />
inszeniert, die symbolstark das menschliche Ringen um Schuld und<br />
Reue, das schließlich in der Gnadengewissheit des Gläubigen<br />
aufgehen kann, veranschaulichten. Flankierende Textrezitationen<br />
durch Sprecher Josia Krug und geradezu akrobatische Verdichtungen<br />
durch Tänzer Albi Gjikaj verstärkten diese Eindrücke. Irina<br />
Bartels, die für die Ausstattung verantwortlich zeichnete, hatte die<br />
drei Hauptdarstellerinnen zu exzentrisch verwegenen Charakteren<br />
stilisiert, die sich in schillernd grellen Farben von der kostümisch<br />
angedeuteten Nacktheit der „Menschen“ (die Sänger des Kammer-<br />
46
Jana Baumeister,<br />
Kateryna Kasper und<br />
Stine Fischer spielten<br />
die Hauptrollen in<br />
Scarlattis Oratorium,<br />
das die Hochschule in<br />
der Basilika auf eine<br />
eigens dafür installierte<br />
Bühne brachte.<br />
MetamorphoseN ALLerorts<br />
Schließlich galt es, für einen reibungslosen Gesamtablauf im<br />
Verbund mit mehreren Vorkonzerten auf dem Klostergelände an<br />
beiden Aufführungstagen zu sorgen. Die zehn Posaunisten des<br />
„Bone Appetit Trombone Ensemble“ platzierten ihre scharfkantig<br />
geschliffenen Bläserarrangements zwischen uralten Weinfässern im<br />
Hospitalkeller; die Kammermusiker Lukas Sieber, Sarah Hiller,<br />
Kathrin Lösch und Melanie Bähr musizierten Variationen dort, wo<br />
vor Jahrhunderten die Mönche zu nächtigen pflegten, und das<br />
Ensemble „l`autre mOnde“ wagte einen epochalen Brückenschlag,<br />
als es auf historischem Instrumentarium ein Werk von Kompositionsstudent<br />
Paul Schäffer interpretierte. Die im Programm angekündigten<br />
„Metamorphosen“ fanden also gleich auf mehreren Ebenen<br />
statt. Zwischen Wandelkonzerten und der abendlichen Inszenierung<br />
sorgten zudem weitere Spontanauftritte der Musiker im Klosterinnenhof<br />
für ungeplant kommunikative Momente zwischen Künstlern<br />
und Publikum.<br />
chors) absetzten. Sie führten schließlich den 80 köpfigen Laienchor<br />
an, der Scarlattis Schlussgesang schlicht, aber feierlich im<br />
zigfachen Kerzenschein vor und neben der Bühne anstimmte.<br />
Kraftakt auf mehreren Ebenen<br />
Dass Nils Cooper mit dem Technikteam unter der Leitung von<br />
Matthias Rößler erst in der Nacht vor der Premiere alle Lichtstimmungen<br />
final festlegen konnte, gehörte ebenfalls zu den kräftezehrenden<br />
Herausforderungen wie die Aufgabe des Technikerteams,<br />
in der Vorbereitung einen Altarraum in eine weithin wahrnehmbare<br />
Opern- bzw. Oratorienbühne zu verwandeln. Die Feinheiten des<br />
Zusammenspiels auf allen Ebenen koordinierten Produktionsleiterin<br />
Daniela Kabs und ihr Team vom Künstlerischen Betriebsbüro der<br />
<strong>HfMDK</strong> in enger Absprache mit einer gleichermaßen professionell<br />
arbeitenden Festivalorganisation.<br />
Welche Eindrücke des zweiten groß dimensionierten Gastspiels der<br />
<strong>HfMDK</strong> beim Rheingau Musik Festival haften bleiben? Zuvorderst<br />
sicher die erneute Einsicht, dass das künstlerische und konzeptionelle<br />
Potenzial der Hochschule den Ansprüchen eines renommierten<br />
internationalen Musikfestivals wieder voll und ganz gewachsen war;<br />
weiterhin die Erkenntnis, wie sehr ungewohnte Musizierbedingungen<br />
einer Produktion an exponierten Orten jenseits oft bespielter<br />
Hochschulmauern den künstlerischen Erfahrungshorizont<br />
aller Beteiligten erweitern; und sicher die Hoffnung, dass ein derart<br />
reibungsloses Zusammenspiel mit finanzstarken und dankbaren<br />
Förderern wie die Deutsche Bank Stiftung für weitere Kooperationen<br />
dieser Art beispielhaft sein möge. bjh<br />
Inspiration im Klostergarten:<br />
Notencheck<br />
vor der Generalprobe auf<br />
dem Rasen inmitten<br />
des Kreuzganges<br />
im Kloster Eberbach.<br />
47
F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />
Der frühe Funke zahlt sich aus<br />
Verschlungene Lebenswege unserer Alumni: Felix Koch<br />
Die Lebenswege unserer Hochschulabsolventen sind beste Beweise<br />
dafür, wie ein Studium an der <strong>HfMDK</strong> ein Baustein in einem<br />
biografischen Mosaik darstellen kann, das weit über die „Urbegabung“<br />
hinausreicht. Und sie zeigen, wie groß die Vielfalt an<br />
Schlüsselqualifikationen sein kann, die ein vermeintlich enges<br />
„Spezialisten“-Studium seinen Absolventen mit auf den Weg gibt.<br />
Grund genug für <strong>Frankfurt</strong> in Takt, sich von Alumni der <strong>HfMDK</strong><br />
erzählen zu lassen, wie sich ihre Lebenswege nach dem Hochschulabschluss<br />
weiterentwickelt haben. Den Anfang dieser Portrait-Reihe<br />
macht Felix Koch: Der 43-Jährige ist heute Professor für Alte<br />
Musik, Historische Aufführungspraxis und Musikvermittlung an der<br />
Hochschule für Musik Mainz sowie Leiter des Collegium Musicum<br />
an der Universität Mainz mit angegliederter Chor- und Orchesterakademie.<br />
Seine Cellostudien bei Michael Flaksman in Mannheim und Martin<br />
Ostertag in Karlsruhe nach dem Abitur im Saarland schienen<br />
Felix Kochs direkten Weg hin zu einer soliden Orchesterstelle zu<br />
ebnen. „Ich wollte unbedingt ins Orchester“, lautete sein eindeutiger<br />
Wille – bis ihn ein halbjähriges Orchesterpraktikum an der<br />
Karlsruher Oper ins Grübeln brachte: Die vielen „La Stagione<br />
<strong>Frankfurt</strong>“-Aufnahmen seiner CD-Sammlung hatten seine künstlerische<br />
Ehrfurcht vor dessen Leiter Michael Schneider schon vor<br />
der ersten Begegnung mit dem <strong>Frankfurt</strong>er Professor für Alte Musik<br />
ins Unermessliche steigen lassen – heute umschreibt Felix Koch<br />
Der kleine Felix war ein Zappelphilipp und schwer ruhig zu<br />
bekommen – es sei denn, er durfte seinen Vater, damals Lehrbeauftragter<br />
für Blockflöte, in den Unterricht und die Proben an der<br />
Saarbrücker Musikhochschule begleiten. Er liebte es nicht nur,<br />
in der dortigen Mensa zu speisen, sondern vor allem die Musiker<br />
bei ihrer Arbeit zu beobachten und ihnen zuzuhören. Heute ist<br />
sich Felix Koch sicher, dass er dabei „unterbewusst sehr viel<br />
gelernt“ hat. Klar hatten ihm die Eltern schon früh das Cellospiel<br />
nahegelegt – doch woher konnte er sich als 30-Jähriger jene<br />
Stücke auf der Gambe erarbeiten, deren Spiel er zwar als Kind<br />
unendlich oft gelauscht, die er aber selbst nie zu spielen gelernt<br />
hatte? Auch ohne die Kenntnis der fremden Griffkombinationen<br />
näherte er sich intuitiv dem, was er als kleiner Junge so oft gehört<br />
und bewundert hatte. Heute weiß Felix Koch: „Es ist so wahnsinnig<br />
wichtig, die Kinder in ihren ersten Lebensjahren für die Musik<br />
zu begeistern“ – sagt der, der im Jahr 2008 Gesamtkoordinator<br />
des erfolgreichen <strong>HfMDK</strong>-Singprojektes „Primacanta – Jedem<br />
Kind seine Stimme“ wurde und damit half, den Grundstein<br />
einer mittlerweile bundesweit beachteten Musizierbewegung zu<br />
legen – doch der Reihe nach.<br />
48
den Leiter der Abteilung für Historische Interpretationspraxis als<br />
seinen wichtigsten Mentor und Kollegen in der Musikwelt der<br />
Historischen Aufführungspraxis. Von 1999 bis 2003 studierte Felix<br />
Koch Barockvioloncello an der <strong>HfMDK</strong> – in einer Zeit, in der die<br />
Hochschule die Kinderkonzerte als neuen kulturellen Auftrag begriff<br />
und in die Tat umsetzte. Als kommunikativer Vermittler geschätzt,<br />
gehörte Felix Koch sofort zu deren Leitungsteam – er musizierte<br />
und moderierte sie und erkannte: „Das war ein Tätigkeitsbereich,<br />
der mir bis dahin noch gefehlt hatte – ich wusste vorher nicht, wie<br />
spannend die Begegnung mit Kindern sein könnte.“ Um für diese<br />
Vermittlungsarbeit auch pädagogisch exzellent zu werden, sattelte<br />
Felix Koch ein Lehramtsstudium für Primarstufe obendrauf – übrigens<br />
in der ersten Generation der angehenden Grundschullehrer,<br />
die dieses Studium als Kooperation von Universität und Hochschule<br />
absolvierten. „Ich habe auch dieses Studium geliebt“: Improvisierte<br />
Liedbegleitung am Klavier wurde für ihn ebenso zur spannenden<br />
Neuentdeckung wie das Dirigieren, pädagogisches Wissen zum<br />
Handwerkszeug einer ohnehin ausgeprägten Begabung, andere<br />
für das gemeinsame Musizieren zu begeistern. Koch hatte ohnehin<br />
lieber mit anderen gemeinsam Musik gemacht – Soloauftritte<br />
bereiteten ihm nur Lampenfieber.<br />
Kochs Netzwerk an Kooperationen wuchs und wuchs: Neben<br />
seinem Lehrauftrag für „Konzertpädagogik und Musikvermittlung“<br />
als offenes Seminarangebot an der <strong>HfMDK</strong>, stets verbunden mit<br />
gemeinsam erarbeiteten Kinderkonzerten, gründete er neue<br />
Formationen: 1999 das „Ensemble Mediolanum“, 2007 das<br />
„Neumeyer Consort“, ein Jahr später den „Neumeyer Kammerchor“.<br />
Bis 2008 engagierte er sich mehrere Jahre als Referent der<br />
„HIP“-Abteilung. Das Grundschul-Referendariat hatte er mittlerweile<br />
abgeschlossen, „Primacanta“ als praktisches Erfolgsmodell des<br />
„Aufbauenden Musikunterrichts“ den Musikpädagogen und Musiker<br />
längst zu dessen künstlerischem Leiter erkoren.<br />
STATEMENT<br />
Philippe Schwarz,<br />
Posaunist<br />
Wie fühlen Sie sich von der<br />
Hochschule auf Ihre berufliche<br />
Zukunft vorbereitet?<br />
Mit dem großes Spektrum an<br />
Angeboten für alle Studierenden<br />
ist eine breit aufgestellte, zukunftsorientierte<br />
Ausbildung an<br />
der <strong>HfMDK</strong> durchaus möglich.<br />
Leider fehlt im eigenen Stundenplan<br />
oft die Zeit, um an nicht<br />
verpflichtenden Projekten teilzunehmen.<br />
Allerdings würde ich<br />
mir einen stärkeren Fokus auf<br />
die eigentlichen musikalischen<br />
Fächer begleitende, beispielsweise<br />
mentale Inhalte wünschen,<br />
deren Wichtigkeit zwar immer<br />
präsenter wird, die sich aber<br />
im Angebot noch nicht dementsprechend<br />
niederschlagen.<br />
Wie sollte aus Ihrer Sicht eine<br />
Hochschule der Zukunft<br />
aussehen?<br />
Die Hochschule sollte in Zukunft<br />
gezielt den Ausbau von Strukturen,<br />
Angeboten und Projekten<br />
forcieren, die die verschiedenen<br />
Künstler unseres Hauses zusammenbringen,<br />
um einen tatsächlichen<br />
Austausch der verschiedenen<br />
Bereiche zu ermöglichen<br />
und damit den Horizont der<br />
Studierenden zu erweitern.<br />
Angesichts dieser breit gefächerten Ausbildung wirkt Felix Kochs<br />
jetziges Arbeitsgebiet wie ein perfekter Zuschnitt auf seine<br />
Fähigkeiten: Zum Wintersemester 2010 folgte er an der Musikhochschule<br />
Mainz dem Ruf zum Professor für Historische Aufführungspraxis<br />
und Musikvermittlung. Darin veranstaltet er Konzertprojekte<br />
mit angegliederten Seminaren und baut zugleich den Bereich der<br />
Konzertpädagogik im Rahmen der Kinderuniversität aus. Im Oktober<br />
2012 schließlich übertrug ihm die Johannes Gutenberg-Universität<br />
Mainz die halbe Professur als Leiter ihres Collegium Musicum, also<br />
von Chor und Orchester der Universität. Dem angeschlossen ist<br />
eine Orchester- und Chorakademie mit 16 Lehrbeauftragten, die<br />
Felix Koch künstlerisch koordiniert und leitet. Spätestens hier<br />
schließt sich für ihn ein biografischer Kreis: Schon mehrere seiner<br />
einstigen Mainzer Studenten haben mittlerweile ein Aufbaustudium<br />
an der <strong>HfMDK</strong> aufgenommen.<br />
Felix Koch lebt vor, dass hochkarätiges Künstlerdasein und pädagogisch<br />
erfolgreiches Arbeiten Hand in Hand gehen können. Auch<br />
und gerade in der Vermittlung von Musik, so weiß er heute, sind<br />
musikalische und pädagogische Exzellenz Grundbedingungen für<br />
erfolgreiche Vermittlungsarbeit.<br />
Auch die Öffentlichkeit ist mittlerweile auf das außergewöhnliche<br />
Engagement von Felix Koch aufmerksam geworden: Für seine<br />
„besonderen musikerzieherischen Leistungen“ erhielt er im Jahr<br />
2012 den „Schumann-Preis“ der Robert-Schumann-Gesellschaft<br />
<strong>Frankfurt</strong> am Main. bjh<br />
49
F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />
Zehn Fragen an die Essers<br />
Barbara und Jürgen Esser gehen nach 16 Jahren ihres Wirkens an der <strong>HfMDK</strong><br />
in den „<strong>Frankfurt</strong>er Ruhestand“<br />
Barbara und Jürgen Esser haben mit Ablauf des Sommersemesters<br />
2013 die Hochschule verlassen. Sie haben an der <strong>HfMDK</strong> 16 Jahre<br />
lang szenisch unterrichtet und Musiktheater inszeniert; im letzten<br />
Jahr seiner Tätigkeit an der <strong>HfMDK</strong> engagierte sich Jürgen Esser<br />
zudem als Professor und Ausbildungsdirektor der Gesangsabteilung.<br />
Ihre Kollegin Prof. Hedwig Fassbender bat im Rahmen der<br />
Vorbereitung dieses Abschiedsportraits die Studierenden um<br />
Adjektive, die „die Essers“ und ihre Arbeit umschreiben, und erhielt<br />
unter anderem als Antworten: „erfrischend uneitel, herzlich zugewandt,<br />
absolut ehrlich, vorurteilslos, realistisch, vertrauensvoll,<br />
lebendig, intelligent, erfrischend unerschrocken, lustig, kompetent,<br />
nett und locker, ein tolles Paar, sehr geduldig, ihr Unterricht ist<br />
unverzichtbar, Jürgen war als Ausbildungsdirektor unglaublich nett,<br />
verständnisvoll und achtsam“.<br />
In einem Gespräch stellte Hedwig Fassbender Barbara und Jürgen<br />
Esser zehn Fragen, die das Künstlerehepaar gemeinsam beantwortet<br />
hat. Beide nehmen ihren offiziellen Ruhestand zum Anlass, der<br />
Hochschule als Lehrende Lebewohl zu sagen.<br />
1. Kommen die Studierenden heute naiver oder wissender an<br />
diese Hochschule als vor zehn Jahren?<br />
Barbara und Jürgen Esser Das ist schwer zu sagen; sie sind<br />
vielleicht wissbegieriger, fordernder, zielstrebiger, vor allem<br />
kritischer und selbstbewusster. Sie starten ihre Berufsausbildung in<br />
einer krisenreichen Zeit und wollen sich behaupten. Also irgendwie<br />
auch politischer. Aber auch wieder anders politisch, als wir es<br />
gewesen sind.<br />
2. Was kann Theaterarbeit heute tun, um politisch auf sich<br />
aufmerksam zu machen? Nehmen Politiker Theaterarbeit<br />
überhaupt als relevante Impulsgeber wahr?<br />
Theater muss vor allen Dingen die Themen der Zeit aufgreifen, und<br />
zwar in seiner Darstellung. Die Funktion des Hofnarren als derjenige,<br />
der ungestraft offen die Wahrheit sagen darf, hat das Theater<br />
leider verloren, da Politiker kulturelle Institutionen in der Regel<br />
lediglich als Kostenfaktor begreifen.<br />
3. Sollte die Ausbildung an Hochschulen politisch sein, und<br />
wenn ja: Ist sie politisch genug?<br />
Ausbildung sollte nie politisch sein. Das gibt es nur in totalitären<br />
Systemen. Sie sollte allerdings die jeweils relevanten Probleme der<br />
Gesellschaft thematisieren, was sicherlich zur politischen Bildung<br />
beiträgt.<br />
4. Reagiert die Hochschulausbildung schnell genug auf die<br />
sich verändernde Theatersituation in Europa?<br />
Die Hochschule als Ganzes sicherlich nicht. Dafür sind die Ausbildungsziele<br />
der einzelnen Fachbereiche zu unterschiedlich. Sie<br />
versucht allerdings, die Diskussion zu initiieren. Der gesamte<br />
Leitbildprozess, den die <strong>HfMDK</strong> gerade durchläuft, ist ein sehr<br />
gutes Beispiel. Im Fachbereich Darstellende Kunst sind die Ausbildungsbereiche<br />
Zeitgenössischer und Klassischer Tanz, Schauspiel<br />
sowie Theater- und Orchestermanagement in dieser Hinsicht<br />
vorbildlich. Das Ganze ist abhängig vom Lehrkörper, der diese<br />
Veränderungen zunächst erkennen muss. Das setzt ein Interesse an<br />
der europäischen Theatersituation voraus sowie die Bereitschaft,<br />
diesen Veränderungen in der Ausbildung gerecht zu werden.<br />
5. Lieber Jürgen, hat sich während deiner Tätigkeit als<br />
Ausbildungsdirektor deine Sicht auf die Ausbildung und die<br />
Hochschule verändert?<br />
Selbstverständlich. Als Lehrbeauftragter müssen mich die Probleme<br />
dieser Abteilung nicht kümmern: Ich reise an, unterrichte und reise<br />
ab. Als Ausbildungsdirektor bin ich mit diesen Problemen unmittelbar<br />
konfrontiert. Und jeder, der dieses Amt einmal innehatte, weiß<br />
um die Menge dieser Themen, die einen rund um die Uhr beschäftigen.<br />
Das Grausame ist, dass mir ein großer Teil dieser Probleme<br />
als völlig überflüssig erscheinen. Trotzdem: Ich habe diese Arbeit<br />
sehr gern gemacht.<br />
6. Der Papageno Award<br />
ist die höchste Auszeichnung<br />
für Jugendtheater mit<br />
jugendlichen Protagonisten.<br />
Lieber Jürgen, was<br />
bedeutet die Nominierung<br />
deiner Inszenierung der<br />
„Dreigroschenoper“ für den<br />
Papageno Award 2013 für<br />
dich und deine Arbeit?<br />
Die Verleihung des Goldenen<br />
Vogels für die beste Produktion<br />
beim Papageno Award<br />
2013 bedeutet mir persönlich<br />
nicht so besonders<br />
viel. Ich freue mich über die<br />
Auszeichnung für die<br />
beteiligten Kinder und<br />
50
STATEMENT<br />
Imke Schoberwalter,<br />
Schulmusik-Studentin<br />
Jugendlichen des Jungen Spieltheaters Ludwigshafen und für die<br />
Institution, der solch eine Auszeichnung sicherlich für die Anwerbung<br />
von Mitteln hilfreich ist; dieses Theater finanziert sich nämlich<br />
ausschließlich aus Sponsorengeldern. Bezeichnend für die gute<br />
Arbeit des Jungen Spieltheaters ist, dass eine weitere Produktion,<br />
die nach meinem Ausscheiden entstand, außerdem den Papageno<br />
Award 2013, also den Hauptpreis, für die beste Arbeit erhielt.<br />
7. Wie schafft man es, als Ehepaar zusammen zu leben und zu<br />
arbeiten, ohne sich gegenseitig zu erdrücken? Woher nehmt ihr eure<br />
offensichtlich positive Energie?<br />
Wir sind einfach aufeinander angewiesen und schöpfen daraus<br />
alles, was wir in unsere Arbeit und unser Leben einbringen.<br />
8. Gibt es bei euren gemeinsamen Regie-Arbeiten eine<br />
Verteilung der Aufgaben?<br />
Nicht direkt. Der eine redet halt mehr, der andere beobachtet mehr<br />
und sagt dann das Richtige. Wichtig ist, dass die Ensembles, mit<br />
denen wir arbeiten, uns als gleichwertiges Team wahrnehmen.<br />
9. Seit einigen Jahren fahrt ihr regelmäßig nach Istanbul<br />
und spielt sogar mit dem Gedanken, euch dort niederzulassen.<br />
Was fasziniert euch an dieser Stadt so sehr?<br />
Mit dieser Stadt ist es wie mit ihren herumstreunenden Straßenkötern:<br />
Du wirfst einen Blick auf sie, und es ist um dich geschehen.<br />
Wie fühlen Sie sich von der<br />
Hochschule auf Ihre berufliche<br />
Zukunft vorbereitet?<br />
Obwohl ich sehr glücklich<br />
darüber bin, an der <strong>HfMDK</strong> als<br />
Schulmusikerin eine solch<br />
vielseitige und individuelle<br />
Ausbildung genießen zu dürfen,<br />
bedaure ich trotzdem die<br />
deutliche Dominanz der<br />
klassischen Musik gegenüber<br />
dem Bereich Jazz und Popularmusik.<br />
Wie sollte aus Ihrer Sicht<br />
eine Hochschule der Zukunft<br />
aussehen?<br />
Für die Zukunft der <strong>HfMDK</strong><br />
würde ich mir wünschen, dass<br />
der Bereich Jazz und Pop<br />
eine größere Beachtung in der<br />
Studienordnung der Schulmusiker<br />
findet.<br />
STATEMENT<br />
Max Reimer,<br />
Violine und Jazzgesang<br />
10. Warum bleibt ihr nicht noch ein wenig in <strong>Frankfurt</strong>?<br />
Unser Credo lautet: Man soll immer dann gehen, wenn man noch<br />
gewollt ist. Wir halten überhaupt nichts davon, Plätze zu belegen,<br />
bis man freundlich, aber massiv darum gebeten wird, diese doch<br />
freizugeben. Der Altersunterschied zu den Studierenden wird immer<br />
größer, und man sollte dies nicht bis zu einem unhaltbaren Zustand<br />
ausreizen. Außerdem sehen<br />
wir, dass unsere „Nachfolge“<br />
bestens besetzt ist und sind<br />
überzeugt, dass auch in<br />
Zukunft ein hervor-ragender<br />
Unterricht im Bereich Szene<br />
stattfinden wird. Wenn das<br />
kein Grund ist, guten<br />
Gewissens Lebewohl zu<br />
sagen ...<br />
Wie fühlen Sie sich von der<br />
Hochschule auf Ihre berufliche<br />
Zukunft vorbereitet?<br />
Als IGP-Student kann ich sagen,<br />
dass man gut auf die Lehrertätigkeit<br />
vorbereitet wird, wenn<br />
man den vorgegebenen Weg<br />
geht - und auch das Problem mit<br />
den zu wenigen Methodikdozenten<br />
wird zur Zeit behoben.<br />
Durch mein zweites Fach<br />
(Pop-und Jazzgesang) habe ich<br />
dennoch gemerkt, dass die<br />
Hochschule Grenzen hat, viele<br />
Themen nur anreißen kann und<br />
man sich selbst durchschlagen<br />
muss, was einen aber auch gut<br />
auf die Zukunft vorbereitet.<br />
Wie sollte aus Ihrer Sicht<br />
eine Hochschule der Zukunft<br />
aussehen?<br />
Die Hochschule sollte mehr Zeit<br />
damit verbringen, den Studenten<br />
alternative Wege zu zeigen, wie<br />
man sich als Musiker behaupten<br />
kann, auch wenn man keine<br />
Orchesterstelle bekommen hat<br />
(besonders als Bläser): Selbstvermarktung<br />
u.ä. sollte nicht nur<br />
als Exkurs angeboten, sondern<br />
fest ins Studium integriert<br />
werden. Außerdem empfinde ich<br />
die Umstellung zu Bachelor sehr<br />
fragwürdig, denn es ist nach wie<br />
vor ein Kunststudium, das<br />
möglichst individuell bleiben<br />
sollte.<br />
51
F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />
Dirigent mit Herz und Wiener Charme<br />
Günther Bauer-Schenk ging als Professor und Studienleiter der<br />
Gesangsabteilung in den Ruhestand<br />
Der Pianist und Dirigent Günther Bauer-Schenk<br />
war seit 1993 Professor und Studienleiter der<br />
Gesangsabteilung der <strong>HfMDK</strong>. Zum Ende des<br />
Wintersemesters 2012/2013 verabschiedete er<br />
sich in den Ruhestand.<br />
„Im Mittelpunkt stand für ihn immer der<br />
Student, nicht das Event!“, resümiert Gesangsprofessor<br />
Thomas Heyer die Arbeit seines<br />
bisherigen Hochschulkollegen Günther Bauer-<br />
Schenk; ‚der Sänger muss glänzen‘ war einer<br />
seiner wichtigsten Sätze als Hochschulprofessor.<br />
Ihn zeichnet seine unbändige Freude an der<br />
Musik aus, und das gepaart mit höchster<br />
Fachkompetenz. Das Besondere daran wussten<br />
auch wir Hochschulkollegen und die Studierenden<br />
zu schätzen: Er war nie egozentrisch. Diese sehr seltene Zutat<br />
in einer Dirigentenlaufbahn machen Günther Bauer-Schenk nicht<br />
nur außergewöhnlich, sondern auch zu einem unverwechselbaren<br />
Pädagogen. Wer einmal eine Probe bei ihm gehört hat, folgert<br />
richtig: So muss die Musik sein. Er hat so über viele Jahre den<br />
Gesangsstudierenden an der <strong>HfMDK</strong> Musik nicht nur näher<br />
gebracht, sondern regelrecht eingepflanzt.“<br />
Günther Bauer-Schenks einstiger Aufstieg auf’s Dirigentenpult<br />
klingt übrigens wie das Drehbuch eines Spielfilms: Als 24jähriger<br />
fertiger Ingenieur der Mathematik hatte er den Weg von Wien ins<br />
englische Reading aufgenommen, um an der dortigen Uni seine<br />
Kenntnisse in Mathematik, Ökonomie und Informatik zu vertiefen.<br />
Und wer weiß, ob er nicht irgendwo als Mathematikprofessor<br />
gelehrt hätte, hätte er in England nicht den pianistisch versierten<br />
Dominikanermönch getroffen, dessen Satz Günther Bauer-Schenks<br />
Lebensweg in neue Bahnen<br />
lenkte: „Du bist nicht Mathematiker<br />
– du bist Dirigent“, hatte der<br />
gute Freund an der Art von<br />
Günther Bauer-Schenks<br />
Klavierspiel zu erkennen<br />
geglaubt. Der Impuls, den er<br />
damit auslöste, reichte jedenfalls,<br />
um den Wiener Mathematiker zur<br />
Aufnahmeprüfung in Dirigieren<br />
an der Guildhall School of Music<br />
in London zu bewegen. Mit dem<br />
Taktstock vor dem Orchester<br />
hatte er bis dahin noch nicht<br />
gestanden, wohl aber als<br />
Klavier-Absolvent des Wiener<br />
Konservatoriums reichlich musiziert und als 13-Jähriger schon mit<br />
Orchester Beethovens G-Dur-Klavierkonzert gespielt. Und als<br />
echter Wiener natürlich 20 Jahre lang solche Pultlegenden wie<br />
Böhm und Karajan fast täglich erlebt. Wohl deswegen hatte er „den<br />
Beat schon immer gehabt“ und unter 150 Dirigieraspiranten einen<br />
von drei Studienplätzen beim ersten Anlauf sicher. „Von Haydn bis<br />
Sacre“ unter besten Praxisbedingungen mit Orchestern so ziemlich<br />
alles ausprobieren zu dürfen, was ihn derzeit musikalisch herausforderte,<br />
hatte seinen Preis: Die Finanzierung seines Studiums brachte<br />
ihm Erfahrungen als Kellner und Totengräber auf den Londoner<br />
Friedhöfen. Mit dem selbst gegründeten Orchester „New London<br />
Concertante“ brachte es Bauer-Schenk immerhin auf einen<br />
achtteiligen Konzertzyklus im Jahr, während er sich privat bei<br />
Bernhard Haitink und Sir Adrian Boult den letzten Schliff holte,<br />
um sich ab 1979 auf dem deutschen Musikmarkt umzuschauen.<br />
Das Pfalztheater Kaiserslautern konnte ihn nur ein Jahr als<br />
Korrepetitor halten, das Bremer Theater am Goetheplatz immerhin<br />
vier Jahre als Korrepetitor mit Dirigierverpflichtung, bevor er ab<br />
52
1984 als zweiter Kapellmeister in Darmstadt arbeitete, erster<br />
Kapellmeister in Aachen wurde und nach Mainz als stellvertretender<br />
Generalmusikdirektor berufen wurde. Gerade, als er sich als<br />
Freischaffender wieder mehr Zeit für Gastdirigate wie beim<br />
BBC-Orchester nehmen wollte, lockte ihn 1992 die Arbeit im<br />
Opernstudio der <strong>HfMDK</strong> nach <strong>Frankfurt</strong>, wo er ein Jahr später<br />
zum Professor ernannt wurde.<br />
Bis zu seinem Ruhestand ließ er es sich als Studienleiter nicht<br />
nehmen, die Semesterstundenpläne auf seiner mechanischen<br />
Schreibmaschine selbst zu tippen, die szenischen Abende der<br />
Opernklasse vorzubereiten und die Produktionen der Abteilung<br />
künstlerisch zu lenken. „Lust am Unterrichten hatte ich immer“,<br />
beteuert er, schätzt die Gesangsabteilung der <strong>HfMDK</strong> als „absolute<br />
Wonne“ und ist dankbar für das tägliche Arbeiten mit jungen Künstlern<br />
– „weil man da selbst bei knusprig bleibt“. Musikalische<br />
Ausflüge als Dirigent mit 70 Opern im Repertoire gönnt er sich<br />
unter anderem mit dem Bournemouth Symphony Orchestra, dem<br />
tschechischen Rundfunksinfonie-Orchester und dem „Youth<br />
Orchestra of Great Britain“.<br />
Mit Günther Bauer-Schenk hat übrigens auch ein begnadeter<br />
Erzähler von Geschichten aus der Musikwelt und seinem eigenen<br />
Leben die Hochschule verlassen – inklusive des unverwechselbaren<br />
wienerischen Akzents. Thomas Heyer bringt die Summe von<br />
Bauer-Schenks Begabungen, von der die Hochschule profitierte,<br />
charmant auf den Punkt: „Er hat viel Gespür für den Menschen, vor<br />
allem für den Sänger unter seiner Leitung – eben ein Dirigent mit<br />
Herz!“ bjh<br />
Grundversorgung<br />
53
F r a n k f u r t i n Ta k t 13 / 2 – Z u k u n f t<br />
Elegant, präzise, unaufgeregt<br />
Wojciech Rajski geht als Dirigierprofessor und Chefdirigent des<br />
Hochschulorchesters in den Ruhestand<br />
Mit einem Sinfoniekonzert verabschiedete sich Wojciech Rajski im<br />
Mai 2013 als Professor für Orchesterdirigieren und Chefdirigent des<br />
<strong>HfMDK</strong>-Hochschulorchesters in den Ruhestand.<br />
Ganz hat ihn die Hochschule noch nicht verloren: Bis sein Nachfolger<br />
an der <strong>HfMDK</strong> seine Arbeit aufgenommen hat, steht Wojciech<br />
Rajski für Proben und Projekte weiterhin zur Verfügung. Das<br />
letzte Konzert im Amt des Chefdirigenten des <strong>HfMDK</strong>-Hochschulorchesters<br />
hat er im Mai 2013 im Großen Saal der Hochschule<br />
gegeben – mit Tschaikowskys Violinkonzert und César Francks<br />
d-Moll-Sinfonie – auswendig, versteht sich. Und als er beim<br />
donnernden Schlussapplaus dem Publikum beim Abschied<br />
freundschaftlich zuwinkte, spürten die Zuhörer auch nach der<br />
Musik, dass mit Wojciech Rajski ein Künstler das Dirigierpult der<br />
Hochschule verlässt, der so gar keine maestro-typischen Attitüden<br />
an sich hat, sich nicht selbstverliebt mit dem Taktstock zu feiern<br />
pflegt. Würde man sein dirigentisches Auftreten bescheiden<br />
nennen, stimmte dies nur im Hinblick auf seine uneitle Zurückhaltung:<br />
Im Anspruch an sich selbst blieb Wojciech Rajski unbescheiden<br />
und verkörperte damit eine Arbeitshaltung, die er auch seinen<br />
Dirigierstudenten weiter gab: Genug ist niemals genug, zumindest<br />
nicht beim Studieren von Partituren. Er lebte und lehrte, Partituren<br />
sowohl in analytischer Genauigkeit als auch in ihrer großen<br />
musikalischen Idee zu erfassen: „Erst, was Sie musikalisch wirklich<br />
verstanden haben, können Sie gestisch auch vermitteln.“ Da konnte<br />
es im Dirigierunterricht auch einmal Wochen dauern, bis Rajski bei<br />
einem Studenten jüngeren Semesters mit der schlagtechnischen<br />
Umsetzung der langsamen Einleitung von Beethovens Erster<br />
zufrieden war. Nicht, weil es ihm allein um ästhetische Schönheit<br />
der Bewegung ging, sondern vielmehr um intelligente Präzision.<br />
Die lebte er selbst am Pult mit jeder Faser seines Bewegungsapparats:<br />
Jede Schlagnuance wirkte durchdacht platziert, das Ganze<br />
aber eben doch elegant und nicht schulmeisterlich. Bei aller<br />
Forderung nach gestischer Klarheit wusste Wojciech Rajski seinen<br />
Dirigierstudenten zu vermitteln: Schlagtechnik zu erlernen komme<br />
eigentlich nur dem Erwerb der „Fahrerlaubnis“ für ein Orchester<br />
gleich; ein guter Fahrer sei man deshalb aber noch lange nicht.<br />
Polnische Kammerphilharmonie Sopot, wovon viele Studierende der<br />
<strong>HfMDK</strong> über 15 Jahre profitierten: Als deren Chefdirigent ermöglichte<br />
Rajski seinen Dirigierstudenten und ausgesuchten Solisten der<br />
Instrumentalklassen Konzerte mit der Polnischen Kammerphilharmonie<br />
mit vorausgehenden Probenphasen. Vor seinem Ruf an die<br />
<strong>HfMDK</strong> war Wojciech Rajski 1993 zum Chefdirigenten des Radio<br />
Sinfonieorchesters Warschau ernannt worden. Über 50 CD-Aufnahmen<br />
hat er mit Orchestern eingespielt.<br />
Dass Rajski seinen polnischen Orchestern auch während seiner<br />
<strong>Frankfurt</strong>er Professur künstlerisch verbunden blieb, sorgte für einen<br />
engen Terminkalender, garantierte seinen Studierenden aber<br />
zugleich einen Professor, der die Herausforderungen eines Kapellmeisters<br />
auf allen Ebenen nach wie vor aus täglicher Praxis zu<br />
benennen wusste. Zudem engagierte sich Wojciech Rajski über<br />
mehrere Jahre als stellvertretender Ausbildungsdirektor im<br />
Studienzweig „Instrumentalausbildung und Dirigieren“ des<br />
Fachbereichs 1 sowie als dessen Prodekan.<br />
In Rajskis Amtszeit als Chefdirigent des Hochschulorchesters fielen<br />
neben den von ihm selbst geleiteten Orchesterprojekten auch<br />
Arbeitsphasen mit Gastdirigenten wie Lothar Zagrosek, Krzysztof<br />
Penderecki und Sebastian Weigle sowie eine Konzerttournee des<br />
Hochschulorchesters nach China mit Konzerten in der <strong>Frankfurt</strong>er<br />
Partnerstadt Guangzhou. Zudem etablierten sich unter Rajskis<br />
musikalischer Leitung die „Familienkonzerte“ mit dem Hochschulorchester<br />
in der Alten Oper <strong>Frankfurt</strong>, die vor allem die junge<br />
Generation in moderierten Programmen für die Klassik begeistern.<br />
Mit Wojciech Rajski verlässt ein absoluter Routinier das Dirigierpodium<br />
der Hochschule. Es geht ein eher stiller Meister mit subtilem<br />
Humor und einem gewinnenden Lächeln – menschlich zurückhaltend,<br />
aber mit großer künstlerischer Präsenz. bjh<br />
Der 1948 in Warschau geborene Pole Wojciech Rajski war 1998 an<br />
der <strong>HfMDK</strong> in der Nachfolge von Jiri Starek zum Dirigierprofessor<br />
ernannt worden und schon zu dieser Zeit ein welterfahrener<br />
Dirigent, der mit den „großen“ Solisten der internationalen<br />
Konzertszene und zahlreichen Orchestern auf den berühmten<br />
Bühnen zusammengearbeitet hatte: Von 1971 bis 1978 war er<br />
Kapellmeister am Großen Theater Warschau, parallel dazu von 1974<br />
bis 1980 (ab 1978 als deren Chefdirigent) bei der Posener Philharmonie.<br />
Von 1978 bis 1981 wirkte Wojciech Rajski als 1. Kapellmeister<br />
des Orchesters der Beethovenhalle Bonn. 1982 gründete er die<br />
54
Foto: Henrik Matzen<br />
„Ich möchte immer lieber wagen“<br />
Jan-Richard Kehl ist zum Professor für Szenischen Unterricht berufen worden und<br />
zugleich Ausbildungsdirektor der Gesangsabteilung<br />
Mit Beginn des Wintersemesters 2013/2014 hat Jan-Richard<br />
Kehl an der <strong>HfMDK</strong> seine Professur für Szenischen Unterricht<br />
angetreten. Zugleich hat er die Ausbildungsdirektion der<br />
Gesangsabteilung übernommen. <strong>Frankfurt</strong> in Takt bat den aus<br />
Leipzig stammenden Regisseur zum Interview. Daran beteiligte<br />
sich auch Dr. Julia Cloot, bisherige Leiterin des Instituts für<br />
zeitgenössische Musik an der <strong>HfMDK</strong>: Während ihrer Zeit als<br />
Chefdramaturgin am Theater Görlitz erlebte sie Jan-Richard<br />
Kehl als Leitenden Regisseur des Hauses.<br />
Dr. Julia Cloot Mir ist in Erinnerung geblieben, dass du, Jan-Richard,<br />
damals als Regisseur alle Genres gleichermaßen ernsthaft hast<br />
bedienen können – von der Operette über Oper bis zum Musical.<br />
Dabei gelang es dir immer, die Essenz des Werkes zu erfassen und<br />
umzusetzen. Auch als Hochschullehrer gehört es zu deiner Aufgabe,<br />
aus allem und jedem das Maximum herauszuholen.<br />
Prof. Jan-Richard Kehl Ich habe mir auf die Fahne geschrieben,<br />
aus allem etwas machen zu wollen, das mir angetragen wird, selbst<br />
wenn nicht jeder Stoff so existenziell wirkt wie „Tosca“. Ich habe<br />
mir vorgenommen, beharrlich und konsequent zu arbeiten, alles<br />
dafür zu tun, damit das Wesentliche in einer Inszenierung erkennbar<br />
wird. Das bedeutet in der Arbeit mit den Sängern, ihnen einen<br />
Weg aufzuzeigen, der sie zum existentiellen Kern ihrer Figuren<br />
vordringen lässt, was wiederum einer Durchdringlichkeit und<br />
Offenheit bedarf, um dahin zu gelangen.<br />
Cloot Ich weiß, dass dir eine gute Kommunikationshaltung in der<br />
Arbeit wichtig ist – was hat es damit auf sich?<br />
Kehl Kommunikation ist ein Schlüsselwort für meine Arbeit. Mir<br />
geht es darum, ein Bewusstsein für die Wechselwirkungen<br />
zwischen den Beteiligten zu schärfen, sowohl zwischen Spielenden<br />
untereinander, aber auch in der Interaktion mit dem Publikum.<br />
Dieses ständige Wahrnehmen dessen, was gerade stattfindet, und<br />
adäquates Reagieren in der Konsequenz sind Prinzipien, die ich<br />
schon im Grundlagenunterricht vermitteln möchte.<br />
Cloot Des öfteren hätte ich mir im Musiktheater unserer Hochschule<br />
mehr Mut zum Wagnis gewünscht. Wird sich das mit dir ändern?<br />
Kehl Ich möchte immer lieber wagen und suche das Ungewöhnliche.<br />
Mein Selbstverständnis ist wie das des Regisseurs George<br />
Tabori, der frei nach Beckett gesagt hat: „Scheitern, wieder<br />
scheitern, besser scheitern.“ Mutig auch mit wenigen Mitteln große<br />
Produktionen zu stemmen, habe ich mehrfach als lohnendes<br />
Wagnis erlebt. An der <strong>HfMDK</strong> möchte ich zumindest eine große<br />
Produktion pro Jahr auf die Bühne bringen.<br />
Cloot Wirst du denn außerhalb der Hochschule weiterhin als<br />
Regisseur erkennbar bleiben? Immerhin war deine „Tannhäuser“-<br />
Inszenierung im Jahr 2009 für den Deutschen Theaterpreis „Der<br />
Faust“ nominiert.<br />
55
IMPRESSUM<br />
Kehl Natürlich – die Hochschule fördert ja sogar die Haltung, dass<br />
ihre Professoren weiter die Verbindung zur Praxis nicht verlieren. Im<br />
Moment nimmt sie natürlich viel Platz ein, aber ich freue mich auch<br />
da auf neue, spannende Aufgaben.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Was bedeutet es für Sie, mit jungen Künstlern zu<br />
arbeiten, die noch wenig Bühnenerfahrung haben?<br />
Kehl Ich schätze die ungeheure Offenheit, die sie mir entgegenbringen.<br />
Auf dieser Basis ist sehr viel möglich – da ist sinnlich noch<br />
alles auf Schwamm gestellt. Hier behutsame, aber konsequente<br />
Arbeit zu leisten, macht Spaß.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Von 2006 bis 2010 waren Sie Operndirektor in<br />
Flensburg, jetzt sind Sie Ausbildungsdirektor der <strong>HfMDK</strong>-Gesangsabteilung.<br />
Ein Zufall?<br />
Kehl Ich bevorzuge es jedenfalls, neben der rein künstlerischen<br />
Arbeit auch selbst zu managen und zu organisieren, also die<br />
Rahmenbedingungen für mein eigentliches Handwerk mit zu<br />
gestalten.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Das verlangt viel Empathie im Umgang mit den<br />
Kollegen Ihrer Abteilung.<br />
Kehl Ja, und ich hatte im Aufnahmeprüfungs-Marathon im Sommer<br />
reichlich Gelegenheit, mit den Kollegen eng zusammenzuarbeiten<br />
und sie näher kennenzulernen. Das fand ich sehr wohltuend. Und<br />
jetzt haben wir in der Gesangsabteilung knackvolle Studiengänge<br />
und können uns gemeinsam auf tolle junge Künstler freuen.<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt Junge Künstler, denen auch Sie einen Weg in die<br />
Zukunft weisen sollen.<br />
Kehl Und das geht nur, indem wir sie zur Selbstständigkeit<br />
erziehen. Dabei sollen sie lernen, nicht nur auf sich selbst zu<br />
schauen, sondern auch auf ihr Umfeld. Diese Selbstständigkeit<br />
gilt auch für das Erarbeiten ihrer Rollen. Dann brauchen sich<br />
die zukünftigen Sängerdarsteller nicht auf einen anderen zu<br />
verlassen und sind ein aktiver und produktiver Partner. bjh<br />
<strong>Frankfurt</strong> in Takt – Magazin der<br />
Hochschule für Musik und<br />
Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />
Eschersheimer Landstraße 29–39<br />
60322 <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />
www.hfmdk-frankfurt.de<br />
Herausgeber<br />
Thomas Rietschel, Präsident der <strong>HfMDK</strong><br />
Idee und Konzept<br />
Dr. Sylvia Dennerle<br />
sylvia.dennerle@hfmdk-frankfurt.de<br />
Telefon 069/154 007 170<br />
Redaktion<br />
Björn Hadem (bjh) bhadem@arcor.de<br />
Autoren<br />
Leana Alkema, Prof. Sibylle Cada, Prof. Ingo<br />
Diehl, Nora Dhom, Prof. Hedwig Fassbender,<br />
Prof. Dr. Erika Fischer-Lichte, Katrin Flüs,<br />
Gertje Graef, Prof. Axel Gremmelspacher,<br />
Björn Hadem (bjh), Anne Heinemann,<br />
Julia Huk, Prof. Sophia Jaffé, Anne-Luise<br />
Kramb, Maurice Lenhard, Prof. Dr. Christoph<br />
Menke, Peter Michalzik, Prof. Henrik Rabien,<br />
Thomas Rietschel, Prof. Dr. Peter Röbke,<br />
Prof. Thomas Schmidt, Imke Schoberwalter,<br />
Philippe Schwarz, Fabian Sennholz, Sarah<br />
Wulf, Ingrid Zur<br />
Fotos<br />
Björn Hadem (59), Henrik Matzen (1),<br />
Andreas Reeg (1)<br />
Titelfoto: Schauspielstudentin Sidonie von<br />
Krosigk bei einer Probe zu „Böse Märchen“<br />
im Sommersemester 2013<br />
Layout<br />
Opak Werbeagentur GmbH,<br />
Münchener Str. 45, 60329 <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />
Anzeigen<br />
Björn Hadem (es gilt die Preisliste 2011)<br />
Erscheinungsweise<br />
jeweils zu Beginn des Semesters<br />
Druck<br />
k+e druck<br />
Flinschstr. 61, 60388 <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />
Drittmittelkonto Account for Private funds<br />
Konto 200 138 090, BLZ 500 502 01,<br />
Fraspa 1822<br />
Überweisungen aus dem Ausland<br />
International Payments<br />
IBAN: DE71 5005 0201 0200 1380 90<br />
SWIFT-BIC: HELADEF1822<br />
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Erfolge unserer Studierenden<br />
Das Notos Quartett mit Sindri Tanja Zhou, Klavier (Jungstudentin<br />
Klasse Prof. Catherine Vickers),<br />
Lederer (Violine), Matan<br />
Gilitchensky (Viola), Florian hat einen ersten Preis beim Rotary<br />
Streich (Violoncello, Absolvent Jugendwettbewerb<br />
Prof. Michael Sanderling, jetzt in Essen gewonnen.<br />
Kammermusik bei Prof. Angelika<br />
Merkle), und Antonia Köster Solenn Grand, Harfe (Klasse<br />
(Klavier) errang den dritten Preis Prof. Françoise Friedrich), hat<br />
beim Internationalen Schumann den zweiten Preis beim „North<br />
Kammermusikpreis 2013. Beim London Harp Competition“<br />
Internationalen Kammermusik- gewonnen, ebenso den zweiten<br />
Wettbewerb „Città di Pinerolo“ Preis beim „18. Petar Konjovic<br />
in Italien errang das Quartett Competition in Belgrad“ sowie den<br />
den zweiten Preis, zusätzlich „Special Prize von HarpMasters“.<br />
den Sonderpreis für die beste<br />
Brahms-Interpretation sowie Tomas Trnka, Posaune (Klasse<br />
den Publikumspreis.<br />
Prof. Oliver Siefert), hat beim<br />
9. Internationalen Wettbewerb für<br />
Richard Gläser, Schlagzeug Bläser in Brünn den zweiten<br />
(Klasse Prof. Rainer Römer), Preis im Fach Posaune gewonnen.<br />
und Christoph Nonnweiler,<br />
Gitarre (Klasse Prof. Christopher Lukas Sieber, Violoncello (Klasse<br />
Brandt), haben den ersten Preis Prof. Michael Sanderling), und<br />
beim internationalen „Gerhard- Sarah Hiller, Klavier-Kammermusik<br />
(Klasse Prof. Angelika Merkle),<br />
Vogt-Kammermusikwettbewerb<br />
Gitarre+1“ in Schweinfurt haben beim Internationalen<br />
gewonnen. Mit einer Komposition<br />
von <strong>HfMDK</strong>-Professor „Salieri-Zinetti“ in Verona den<br />
Kammermusikwettbewerb<br />
Christopher Brandt haben sie ersten Preis sowie den Sonderpreis<br />
„New York Recital Debut“<br />
zusätzlich den Sonderpreis für<br />
die beste Interpretation eines gewonnen.<br />
zeitgenössischen Werks<br />
erhalten.<br />
Björn Bürger, Bariton (Klasse<br />
Prof. Hedwig Fassbender,<br />
Everett Hopfner, Klavier Diplom 2013), gewann den<br />
(Absolvent Klasse Prof. Catherine 1. Preis beim „8. Anneliese<br />
Vickers), hat den ersten Preis Rothenberger-Wettbewerb“.<br />
beim Eckhardt-Gramatté<br />
Wettbewerb für zeitgenössische Felix Eberle, Fagott (Klasse Prof.<br />
Musik in Kanada gewonnen. Henrik Rabien), absolvierte ein<br />
erfolgreiches Solofagott-<br />
Luisa Hoberg, Klarinette Probespiel im London Symphony<br />
(Klasse Anton Hollich), hat einen Orchestra und erhielt daraufhin<br />
Zeitvertrag als Soloklarinettistin vom LSO Einladungen zu den in<br />
am Theater Magdeburg bis 2015 England üblichen „Trials“ .<br />
bekommen.<br />
Stéphanie Proot, Klavier<br />
(Konzertexamen bei Prof. Lev<br />
Natochenny), errang den ersten<br />
Preis beim internationalen<br />
Klavier-Wettbewerb „Neue<br />
Sterne“, den ersten Preis beim<br />
Massarosa International Piano<br />
Competition im italienischen<br />
Lucca, den ersten Preis beim<br />
internationalen Wettbewerb<br />
„Maria Herrero“ im spanischen<br />
Granada, den ersten Preis<br />
beim Klavierwettbewerb „André<br />
Dumortier“ im belgischen<br />
Leuzeen-Hainaut sowie den<br />
Halbfinalpreis beim International<br />
Piano Competition „Queen<br />
Elisabeth“ in Brüssel.<br />
Julia Hechler und Christian<br />
Zielinski, Gitarre (Klasse Prof.<br />
Michael Teuchert), haben als<br />
Artis-Gitarrenduo beim<br />
wichtigsten internationalen<br />
Gitarrenduowettbewerb des<br />
Jahres 2012 in Liechtenstein<br />
anlässlich des 20 jährigen<br />
Bestehens der LIGITA (Liechtensteiner<br />
Gitarrentage) den 2. Preis<br />
gewonnen.<br />
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(Ecke Schulstraße)<br />
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Telefax 069 627405<br />
E-Mail musikhaus-cleve@gmx.de<br />
www.musikhaus-cleve.de<br />
Annika Gerhards, Sopran<br />
(Klasse Katharina Kutsch, Diplom<br />
2013), ist ab Dezember 2013 im<br />
Rahmen eines Stipendiatenvertrages<br />
Mitglied des Ensembles<br />
der Wiener Staatsoper. Beim<br />
Internationalen Gesangswettbewerb<br />
„Das Lied“ in Berlin erhielt<br />
sie im Februar den Förderpreis<br />
als größtes Nachwuchstalent.<br />
Yeseul Kim, Klavier (Konzertexamen<br />
Klasse Prof. Oliver Kern),<br />
gewann den Internationalen<br />
Mauro Paolo Monopoli-Klavierwettbewerb<br />
im italienischen<br />
Barletta.<br />
Kristin Wömmel, Absolventin<br />
Schulmusik sowie Theater- und<br />
Orchestermanagement und<br />
Doktorandin bei Prof. Dr. Maria<br />
Spychiger, hat einen Festvertrag<br />
als Assistenz des Orchestervorstands<br />
der Berliner Philharmoniker<br />
erhalten.<br />
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