Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)

Editorial 355
Faßt man alle Erkenntnisse zusammen, die diese Untersuchungen
vermitteln, so läßt sich sagen: Die gesellschaftlichen Widersprüche
und die Logik der Klassenauseinandersetzungen erziehen überall die
Arbeiterorganisationen und erzwingen zunehmend eine Politik der
Aktionseinheit. Weiter: Immer weniger wird es möglich sein, sich in
Gewerkschaftsfragen innerhalb der BRD zu orientieren," ohne Bezug
auf entsprechende Entwicklungen in den anderen EG-Ländern. Der
im folgenden veröffentlichte Bericht von Steinhaus zeigt jedenfalls
eines unmittelbar: Wo es noch nicht geschehen ist, wird sich die
Diskussion der politischen Linken endgültig trennen müssen vom
Bild der saturierten, „apolitischen" westdeutschen Arbeiterklasse.
Solche Pauschalbehauptungen verstellen mehr denn je den analytischen
Zugang zur Realität, wie umgekehrt auch jene politischen
Intellektuellengruppen objektiv Ablenkungs- und Verwirrungsfunktion
haben, die sich — dem Wesen nach ebenso resignativ — aufrichten
an simpler Kopie der Formensprache kommunistischer Organisationen
der Weimarer Republik.
Demgegenüber sind weiter die wirklichen Probleme zu untersuchen,
die auch in der nächsten Phase der Klassenkämpfe bestimmend
sein werden. Der Vergleich mit der Studie von 1970 zeigt, daß
die weltweite Tendenz, den Lohnkampf zu verbinden mit der Forderung
nach Mitbestimmung und Kontrolle über die Produktionsbedingungen,
heute auch in der Bundesrepublik zunimmt. Zugleich scheint
es schwieriger geworden zu sein, Teile der Arbeiterklasse voneinander
zu isolieren und sie gegeneinander auszuspielen. Von der Entwicklung
der zu verzeichnenden Ansätze von Solidarität und Erkenntnis
der Interessenübereinstimmung zwischen westdeutscher
Arbeiterklasse und ausländischen Arbeitskräften wird auch der
Erfolg eines Vorgehens gegen das imperialistische Ausländerrecht
abhängen. Welche Machtmittel die bürgerliche Rechtsordnung hier
bereitstellt und mit welcher Flexibilität Herrschaftspositionen unter
veränderten Bedingungen wenigstens vorläufig gesichert werden,
dokumentiert der Beitrag zur Arbeiterimmigration. — Auszugehen
ist von erhöhter Schlagkraft der Unternehmerverbände; die Repressalien
gegen Streiks und jede andere Form einer aktiven Interessenvertretung
der Lohnabhängigen nehmen zu — auf betrieblicher
Ebene und durch Einsatz staatlicher Machtmittel.
Frankreich und Italien 1968—71 von Albers, Goldschmidt und Oehlke
(„Klassenkämpfe in Westeuropa", Hamburg 1971). Im Gegensatz zu diesem
auf die damals aktuellen Zuspitzungen bezogenen Bericht bringen die drei
Verfasser im Argument-Sonderband AS 2 zusammen mit J. Rohbeck und
E. Piehl eine Darstellung der Entwicklung der Arbeiterorganisationen und
ihrer Praxis seit der durch den Antifaschismus bestimmten Phase der vierziger
Jahre. Im Gegensatz zu dieser durch Einheitstendenzen charakterisierten
Phase gelang es der Gegenseite im Kalten Krieg, die Arbeiterbewegung
mehr oder weniger tief zu spalten und zu lähmen, während seit
den sechziger Jahren die Logik der Auseinandersetzungen von der Basis
her eine Wiederannäherung der Klassenfraktionen betreibt.