38 Zoom TREU DOOF?
Zoom 39 Derzeit stellen einige Autoren und Forscher die These auf, Monogamie und Treue seien in Wahrheit unnatürlich. Ist das monogame Liebesideal also ein großer Irrtum? Eine Betrachtung von Marcus Ertle In einem Café sitzt ein Pärchen. Ein Mann und eine Frau. Sie sehen glücklich aus. Sie scherzen, sie diskutieren, sie berühren sich. Dann geht die Frau auf die Toilette, der Mann sitzt alleine am Tisch, eine Frau geht an ihm vorbei, er dreht sich nach ihr um, schaut ihr auf den Hintern. Als seine Partnerin zurückkommt, verhält er sich wie zuvor. Ist er ein Heuchler? Würde er eigentlich lieber der Fremden folgen und seine Frau sitzen lassen? Hat er ein schlechtes Gewissen, weil er, dem monogamem Ideal entsprechend, sich nur für seine Frau interessieren dürfte? Wenn man den Thesen glaubt, die in den letzten Monaten in Zeitungen und Büchern erschienen, verhält sich der Mann völlig normal, nicht normal sei die Erwartung, dass er nur eine Frau will (man kann das Beispiel gendergerecht auch mit vertauschten Geschlechterrollen bringen). Er mag seine Frau lieben und begehren, aber er wird immer auch andere Frauen begehren und wenn er seiner Frau treu sein wird, dann, weil er an ein überkommenes Ideal der bürgerlichen Liebe glaubt, oder besser: Weil er das Opfer dieses Ideals ist. Dieses Ideal, so die Annahme, ist unnatürlich und macht unzählige Männer und Frauen unglücklich. Denn eigentlich würden sie lieber stetig neue erotische Bekanntschaften schließen, statt einem einzigen Partner treu zu sein. Das bedeutet nicht, dass sie keine feste Partnerschaft suchen würden, nur soll diese eben nicht in allen Bereichen exklusiv sein. Liebe und Vertrautheit – gerne monogam. Sex – gerne mit wechselnder Besetzung. Als Beleg für die Theorie der Unmöglichkeit der Treue werden verschiedene Kronzeugen genannt. Zum Beispiel die Natur, schließlich gäbe es eine große Mehrheit von Tieren, die auch nicht monogam seien. Baumschwalben treiben es besonders bunt, die meisten Affen auch, Katzen, Hunde dito. Nur Seehunde und Fledermäuse scheinen monogam zu sein, wieso lässt sich schwer sagen, kulturelle und religiöse Indoktrinierung kann man zumindest ausschließen. Aber was bringt uns die Erkenntnis dass Katz, Hund und Affe fröhlich die Partner wechseln? Als Rechtfertigung fürs Fremdgehen taugt der Verweis auf die tierischen Mitgeschöpfe eher nicht. Aber vielleicht liegt das Problem ja tiefer. Vielleicht ist wirklich nicht das Begehren außerhalb der Beziehung und der Drang zur Untreue das Problem, sondern dass wir damit überhaupt ein Problem haben. Dass das so ist, daran soll das romantisierende bürgerliche/christlich/moslemisch/jüdische Ideal der monogamen Liebe schuld sein. Wären wir keine Sklaven dieses lebens- und lustfremden Ideals, wären wir frei. Wir könnten mit einem Partner glücklich sein, ihn lieben, ihm vertrauen und wenn wir mit jemand anderem ins Bett wollen, dann tun wir es eben, ohne dass unsere Beziehung damit infrage gestellt würde. Eigentlich ist diese Vorstellung nicht neu. Das Modell der offenen Beziehung funktioniert so und der moderne Abkömmling, die Polyamorie im Grunde auch. Dem liegt der Wunsch oder der Traum zugrunde, zwei Dinge haben zu können, die sich leider bislang ausschließen. Die Lösung wäre, dass man sich der Bedürfnisse bewusst wird und die Form der Befriedigung akzeptiert. Ein wenig so als würde man alles essen können ohne dabei zuzunehmen oder krank zu werden, wenn man sich nur darauf einigt, dass es ganz normal ist. Sicherheit und Abenteuer in friedlicher Koexistenz. Wie der Sozialismus: super Drehbuch, beschissene Umsetzung Denn das Problem ist eben, dass wir uns nicht aussuchen können, wie wir fühlen. Es schmerzt uns, wenn der Mensch, den wir lieben, einen anderen Mensch begehrt und sich ihm hingibt. Es mag egoistisch sein, den anderen ganz für sich selbst zu wollen, aber ist es deswegen auch falsch? Sicher, angeblich ging jeder Dritte schon einmal fremd und drei von vier stellen es sich gelegentlich vor. Aber das Scheitern eines Anspruchs bedeutet noch nicht, dass der Anspruch falsch war, vielleicht liegt es auch einfach an der menschlichen Natur, dass wir immer wieder scheitern. Wir sehnen uns nach Sicherheit und Abenteuer zugleich. Mal wollen wir in die Arme des vertrauten Menschen, mal zieht es uns in die Arme des fremden Menschen. Das ist nicht nur widersprüchlich, weil die Kirche oder weltfremde Moralapostel uns eingeredet haben, dass nur eines davon geht. Es ist zutiefst menschlich und zutiefst widersprüchlich, vielleicht gehört das auch zusammen. Aber selbst wenn wir uns darauf einigen könnten, dass es okay ist, wenn man das mit der Monogamie nicht so eng sieht: Ich kenne keine offene Beziehung, die auf Dauer funktioniert hätte, egal, ob die Beteiligten bibeltreue Christen waren (eher selten) oder aus einem modernen liberalen Milieu stammten (meistens). Meistens leidet mindestens einer der Beteiligten weit mehr als die anderen und ist am Ende der Verlierer. Die Befürchtung, dass erlaubtes Fremdgehen zur Trennung führt, weil man „etwas Besseres“ gefunden hat, ist ja auch nicht völlig absurd. Ziemlich untauglich wird der nicht-monogame Beziehungsentwurf zudem, wenn aus der Beziehung Kinder hervorgehen. Wir können also eine monogame Beziehung führen und damit glücklich sein (oder auch damit scheitern). Wir können Affären aneinander reihen und damit glücklich sein (oder auch damit scheitern). Wir können den Mittelweg einer offenen Beziehung versuchen und damit glücklich sein (oder auch damit scheitern). Am Ende müssen wir uns selbst entscheiden.