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Stalinismus - Kennzeichen - DIE LINKE. Berlin

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„Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben da-<br />

für einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“ (Voltaire)<br />

<strong>Stalinismus</strong> -<br />

Diskussionsgrundlagen Offenes Forum, 31. März 2008<br />

(Erstellung: Jürgen Schimrock)<br />

Betrachtungsweisen bzw. Analyseebenen<br />

• <strong>Stalinismus</strong> als "philosophisches" System, als Weltanschauung<br />

• <strong>Stalinismus</strong> als Epoche<br />

• <strong>Stalinismus</strong> als Herrschaftssystem<br />

• <strong>Stalinismus</strong> als eine Ausprägung totalitärer Herrschaft<br />

• <strong>Stalinismus</strong> als "bürokratische Erstarrung" des Sozialismus<br />

• <strong>Stalinismus</strong> als "Personenkult"<br />

• <strong>Stalinismus</strong> als nachgeholte ursprüngliche Akkumulation<br />

• <strong>Stalinismus</strong> als Entwicklungsmodell<br />

• <strong>Stalinismus</strong> als Gesellschaftsmodell<br />

• <strong>Stalinismus</strong> außerhalb der UdSSR<br />

• <strong>Stalinismus</strong> in der heutigen politischen Auseinandersetzung<br />

• <strong>Stalinismus</strong> in literarischen Darstellungen und ihre Rezeption<br />

Definition (Hofmann)<br />

„exzessiv machtorientierte Ordnung der Innen- und Außenbeziehungen einer Gesellschaft des er-<br />

klärten Übergangs zum Sozialismus“<br />

Grundlagen (Hofmann)<br />

Analyse und Beurteilung müssen ausgehen von den historischen Umständen, in denen er entstan-<br />

den ist. Er war historisch nicht „notwendig“, nicht unausweichlich. Reduzierung auf Personenkult<br />

ist unzureichend, erwachsen aus einem komplexen System von Widersprüchen.<br />

Ökonomische Faktoren:<br />

- Industrialisierung der dreißiger Jahre<br />

- Einführung der Planwirtschaft<br />

- Kollektivierung der Landwirtschaft


Soziale, gesellschaftliche Faktoren:<br />

- Umbruch der Sozialstruktur<br />

- quantitative Ausweitung der Arbeiterklasse (aber: Zahl der Industriearbeiter und Anteil der<br />

Arbeiter in der KPdSU immer kleiner)<br />

- Steigerung des Bildungs- und Kulturniveaus der Industriearbeiter, Arbeiterklubs, Kulturhäu-<br />

ser u. a. (aber: langsame Entwicklung „sozialistischer Lebensweise, Entwicklung von Per-<br />

sonenkult)<br />

- größere Anzahl an Leitungskadern („Die Kader entscheiden alles“)<br />

- steigende Zahl von Wissenschaftlern(aber: Verfolgungen, Repressionen, Reglementierun-<br />

gen, Unterdrückung von Kritik)<br />

- große Mittel in schulische Bildung (aber: Einflussnahme auf Lehrinhalte)<br />

- mehr Presse- und Druckerzeugnisse (aber: kritische Funktion der Presse verschwand)<br />

- Analphabetismus unter Frauen nahm ab<br />

- Kinderbetreuung wurde ausgeweitet<br />

- 1936 neue Verfassung (aber: Gesetzesbrüche durch Polizei und Justiz, Versagen der ge-<br />

sellschaftlich-politische Kontrolle des staatlichen Machtapparats)<br />

- mehr Mitglieder in Gewerkschaften (aber: Aufgabe betrieblicher Kontrollfunktionen)<br />

- Veränderung der Sozialstruktur innerhalb der KPdSU, Folge: Veränderung der strukturellen<br />

Verhältnisse: Zentralismus - Demokratie, Befehl - Ausführung, Anweisung - Kontrolle, Dis-<br />

ziplin - Kritik<br />

Einflüsse von außen<br />

- stärker werdender Nationalsozialismus<br />

- Ausbau Militärsektor<br />

- einseitige Förderung der Schwerindustrie<br />

- Zeitdruck (in 10 Jahren 50 bis 100 Jahre wirtschaftliche Entwicklung aufholen)<br />

- Projektion äußeres Feindverhältnis nach innen<br />

- Suche nach Schuldigen für innere Krisen<br />

- furchtbare Verluste im Krieg<br />

- stark dezimiertes Arbeitskräftepotential nach dem Krieg<br />

Einschätzung (Kofler)<br />

<strong>Stalinismus</strong><br />

- ist kein Produkt marxistischer Theorie<br />

- ist Ausfluss einer bornierten bürokratischen Praxis<br />

- ist keine historisch zwangsläufige Erscheinung<br />

- wurzelt in spezifisch historischen Unständen gesellschaftlicher Rückständigkeit (Nachholen<br />

der ursprünglichen Akkumulation)


<strong>Kennzeichen</strong> (Ruge)<br />

- Vereinfachung und Dogmatisierung (...und Fehlinterpretation und Verknöcherung, J.S.)<br />

marxistischen Denkens<br />

- „Faktor Stalin“ ist das gesamte Interessen- und Beziehungskonglomerat in dessen Mittel-<br />

punkt Stalin stand (stalinistische Staats- und Gesellschaftsordnung), Persönlichkeit Stalins<br />

sehr bedeutend (Machthunger, Neid auf Intellektuelle)<br />

- eine auf eine Spitzengestalt zugeschnittene terroristische Theokratie<br />

- Herrschaft Stalins von 1929 bis 1953<br />

- zielgerichtete Vernichtung des eigenen Staatsvolkes (30 Millionen Tote)<br />

- Missbrauch des Glaubens des Menschen an Gerechtigkeit und Selbstlosigkeit (Ethik)<br />

- weitgehende Liquidierung der intellektuellen Elite (weniger als Landbevölkerung)<br />

- Verfolgung des selbständigen , individuellen Denkens<br />

- Vorsätzliche und nachhaltige Zerstörung der Reformfähigkeit und Weiterentwicklung der<br />

Gesellschaft<br />

- Niederhaltung schöpferischen Denkens durch Überwachung, Denunziation, Bespitzelung,<br />

Einschüchterung<br />

- <strong>Stalinismus</strong> keine Form oder Vorform des Sozialismus (nicht Produzenten waren Eigentü-<br />

mer der Produktionsmittel, sondern der unkontrollierte Staat als monopolistischer Unter-<br />

nehmer (gilt auch für Genossenschaften, da es zentrale Vorgaben gab)<br />

- Arbeits- und Straflager (GULag) als volkswirtschaftlicher Faktor<br />

- staatliche Unterwerfung sämtlicher gesellschaftlicher Tätigkeitsbereiche (gilt auch und ins-<br />

besondere für die kommunistische Partei als „Transmissionsriemen staatlicher Politik“,<br />

Parteigremien fungierten als weisungsberechtigte Regierungsorgane, Degradierung der<br />

Partei als Befehlsempfänger)<br />

- Sowjetstaat stellte eine auf Gehorsam, Unterwürfigkeit und Denunziationspflicht aufbauen-<br />

de Hierarchie dar<br />

- „Täter“ befanden sich im Einklang mit der herrschenden Idee und erwarben somit das<br />

Recht, über andere willkürlich zu verfügen<br />

- Schaffung der Nomenklatura durch Stalin<br />

- Produktionsverhältnisse und –weise war pseudosozialistischer Staatsmonopolismus<br />

Nach Stalins Tod:<br />

- Beendigung des Massenmordes<br />

- Terminus „<strong>Stalinismus</strong>“ gilt nur bis 1953, danach Veränderungen in der UdSSR und den<br />

anderen Staaten des „real existierenden Sozialismus“<br />

- Autoritätsverlust des Staates (kein Terror, keine Spitzenfigur)


Philosophische Kritikansätze (Kofler)<br />

Stalinistisches Denken<br />

- eliminiert die Dialektik aus dem Marxismus<br />

- reduziert den historischen Materialismus auf einen platten, mechanistischen Ökonomismus<br />

- „vergisst“ den marxistischen Humanismus<br />

Alle drei Entstellungen des Marxismus sind weder zufällig noch marginal, betreffen das Marxsche<br />

Denken als Ganzes.<br />

(Kleine) Literaturauswahl<br />

- Hofmann, Werner: Was ist <strong>Stalinismus</strong>, in „<strong>Stalinismus</strong> und Antikommunismus. Zur Sozio-<br />

logie der Verblendung“, 1967<br />

- Koenen, Gerd: Utopie der Säuberung, 2000<br />

- Kofler, Leo: Marxistischer und Stalinistischer Marxismus, in „Zur Kritik bürgerlicher Frei-<br />

heit“, 2000<br />

- Ruge, Wolfgang: Beharren, kapitulieren oder Umdenken, 2007<br />

- Brie, Michael: Marx und die Utopie vom Lande Kanaan, in: Villain, Jean: „Die Revolution<br />

verstößt ihre Väter“, 1990<br />

- Weber, Hermann; Mählert, Ulrich (Hrgb.): Verbrechen im Namen der Idee, 2007<br />

- Weber, Hermann: „Weiße Flecken“ in der Geschichte, 1989

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