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Heft - Institut für Theorie ith

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Abb. 2<br />

Eugenio Caxes, Die Ent -<br />

deckung des unversehrten<br />

Leichnams des heiligen<br />

Franziskus (vor 1613),<br />

Zeichnung (Albertina,<br />

Wien)<br />

Abb. 3<br />

Schranksarg eines Knaben<br />

(1. Jh. n. Chr.), 170 cm,<br />

teilweise zerstört,<br />

(Bodemuseum, Berlin)<br />

Abb. 4<br />

Jean Jacques Boissieu,<br />

Les pères du désert (1797),<br />

Radierung, 31,1 x 43,5 cm<br />

(Nationalbibliothek, Paris)<br />

das Haupt des Heiligen und von der Fackel in der Hand des<br />

Mönchs in der Bildmitte. Eine der vier Gestalten zu Füssen des<br />

Heiligen hebt die Soutane von Franziskus ein Stück hoch und<br />

entblösst einen seiner Füsse, auf dem ein Stigma zu erkennen<br />

ist. Die Tiara auf dem Boden vor dem Sockel lässt in dieser<br />

Gestalt einen (den) Papst erkennen. Der Betrachter wird Zeuge<br />

eines Geschehens, das sich in einem dunklen Souterrain<br />

abspielt und das die Geschichte einer Entdeckung, einer Enthüllung,<br />

einer Zur-Schau-Stellung schildert.<br />

Von dieser Geschichte sind auf dem Bild, das wir hier<br />

besprechen, nur noch vereinzelte Spuren zu finden. Aufs<br />

Höchste verdichtet macht das Gemälde den Betrachter zum<br />

Akteur, der einen unsichtbaren Lichtschalter zu betätigen<br />

scheint oder eine verborgene Wahrheit ans Licht bringt. Vor<br />

diesem Bild des hl. Franziskus erfolgt die Entdeckung in der<br />

Wahrnehmung als solcher: Wie in einem Spiegel wird der<br />

Betrachter konfrontiert mit einem Anderen. Er berührt –<br />

aber «nur» mit den Augen – die Falten und Furchen, die diesen<br />

anderen Körper und dieses andere Gesicht umgeben,<br />

und versinkt schliesslich in der dunklen Furche, in der sich<br />

die Wunde befindet.<br />

Die Herausforderung, die dieses rätselhafte Bild <strong>für</strong><br />

den Betrachter bedeutet, ist enorm. In den folgenden Überlegungen<br />

möchte ich das scheinbar längst abgeschlossene Kapitel<br />

seiner Rezeption nochmals aufrollen und die Geschichte<br />

seiner Wahrnehmung neu hinterfragen. Dabei beabsichtige<br />

ich, die Bildkonstruktion eingehend zu analysieren, um dann<br />

den genauen Platz zu definieren, den dieses ungewöhnliche<br />

Bild in der Geschichte der Artefakte und des Imaginären<br />

einnimmt.<br />

I<br />

Die Rezeption<br />

des Bildes<br />

Fangen wir also an – oder besser: Fahren wir also fort mit der<br />

Analyse der Perzeption bzw. Rezeption dieses Werkes. Die<br />

älteste schriftliche Quelle, die direkt Bezug nimmt auf das<br />

Gemälde, ist zwar relativ jung, liefert aber umso wertvollere<br />

Informationen. Das Gemälde war irgendwie von Spanien<br />

nach Frankreich gelangt und befand sich, am Vorabend der<br />

Französischen Revolution, im Franziskanerkloster Les Colinettes<br />

bei Lyon. Wie es scheint, hatten die Nonnen dieses<br />

Klosters grosse Mühe mit dem Bild, es war ihnen geradezu<br />

unerträglich. Dies geht hervor aus dem Bericht von François<br />

Artaud, der um 1808 verfasst wurde, aber erst 1975 zum Vorschein<br />

kam und sich nun im Archiv in Lyon befindet:<br />

«[…] ein Gemälde von Caravaggio, oder eher von Lo Spagnoletto<br />

[…]. Die Nonnen hatten das Angst erregende Gemälde auf<br />

dem Dachboden verschwinden lassen, wo es von M. Morand<br />

gefunden wurde. Sein Hund fing vor dem Bild zu bellen an.» 2<br />

Sehen wir uns diese Bemerkung etwas näher an. Das Unbehagen<br />

des Hundes von M. Morand, das sich in seinem Gebell<br />

äussert, erinnert an die Verwirrung angesichts der Fälle von<br />

perfekter Mimesis in den alten Mythen, etwa bei den wunderbaren<br />

Trauben des Zeuxis: Der Maler hatte diese so<br />

naturgetreu wiedergegeben, dass ausgehungerte Vögel daran<br />

zu picken begannen … Im Unterschied zu den Trauben<br />

des Zeuxis ist die vom Trompe-l’œil-E≠ekt erzeugte Reaktion<br />

hier allerdings nicht Anziehung, sondern Ablehnung. Das<br />

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