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Tour de France 1998. 15. Etappe.

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Renner: Live-Sportkommentator - aktueller Stand: 20.1.2005- - S. 6 v 13 -<br />

3.3.Der mythisieren<strong>de</strong> Gestus <strong>de</strong>s Kommentars<br />

3.3.1 Arma virumque cano ...<br />

(Singen will ich von <strong>de</strong>n Kämpfen und <strong>de</strong>m Mann ...; Vergil, Aeneis, Vers 1)<br />

Dem ersten Anschein nach hat die Sprachgestalt <strong>de</strong>s Live-Kommentars einer Sportübertragung mit <strong>de</strong>r Sprachgestalt<br />

eines Epos nicht viel zu tun. Ein Epos ist gebun<strong>de</strong>ne Re<strong>de</strong>. Der Rhapso<strong>de</strong> ist kein Sprecher, er ist ein<br />

Sänger. Sportkommentatoren verwen<strong>de</strong>n dagegen die Prosa <strong>de</strong>r gesprochenen Sprache. Doch die Spannung in<br />

ihrer Stimme und ihre Emphase unterschei<strong>de</strong>n ihr Sprechen erkennbar von <strong>de</strong>r Alltagssprache und weisen ihre<br />

Kommentare ebenfalls als eine Form <strong>de</strong>r gehobenen Re<strong>de</strong> aus. 9<br />

Das wird auch von <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Übertragung <strong>de</strong>monstriert. Zwar erlaubt es ihre Länge nicht, dieses Stilmittel<br />

fortwährend zu verwen<strong>de</strong>n. Aber die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Passagen wer<strong>de</strong>n mit markantem Nachdruck kommentiert.<br />

„Die Stimme ist Stilmittel. ‘Gasgeben und sich zurücknehmen’ in bewußtem Wechsel analog <strong>de</strong>m Ereignisverlauf.“<br />

Journalistisch salopp, aber treffend genau beschreibt Hans-Reinhard Scheu diesen beson<strong>de</strong>ren Re<strong>de</strong>gestus<br />

eines Live-Kommentars (Scheu 1994, S. 273).<br />

Die Emphase ist nicht das einzige Stilmittel, das an <strong>de</strong>n hohen Ton <strong>de</strong>s Epos erinnert. In <strong>de</strong>n spannen<strong>de</strong>n Momenten<br />

prägt ein vergleichbarer rhetorischer Schmuck aus Anaphern, Asyn<strong>de</strong>ta und Metaphern diesen Kommentar.<br />

„Ja er schaut sich um, wer ist noch da? Es ist keiner mehr da. Aldag ist nicht mehr dabei, Bölts nicht mehr dabei,<br />

und irgendwann muß natürlich Jan Ullrich versuchen, die Initiative zu übernehmen“ (1:08:00). So bei einem<br />

Blick Ullrichs während <strong>de</strong>r Attacken am Galibier. Und vor <strong>de</strong>r langen und steilen Abfahrt heißt es: „Da muß<br />

Pantani runter. Da muß Ullrich runter. Da muß Julich runter, und da müssen alle an<strong>de</strong>ren auch runter“ (1:27:32).<br />

An manchen Stellen wie beim Schlußanstieg nach Les Deux Alpes, erreicht <strong>de</strong>r Kommentar poetische Qualität.<br />

„Noch 9 km für Pantani und seine letzten Wegbegleiter. Es wird nicht lange dauern, bis er <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren davonfliegen<br />

wird, mit seiner unnachahmlichen Art, die Berge anzugehen, sie zu erklettern, sie zu meistern“(2:15:27<br />

Hervorhebung KNR). 10<br />

Eine beson<strong>de</strong>re Aufmerksamkeit verdient die Metapher „davonfliegen“. Die Rennfahrer treten die Berge nicht<br />

hinauf, sie fliegen hinauf. „Und schauen Sie mal, wie <strong>de</strong>r Adler von Herning - <strong>de</strong>r macht seinem Spitznamen<br />

alle Ehre - fliegt Bjarne Riis heran und in seinem Sog Jan Ullrich“ (1:05:10). Diese Metapher für das Radfahren<br />

ist so oft zu hören, daß man sie für einen Schlüsselbegriff <strong>de</strong>s Kommentars halten muß. Beseitigt sie doch mit<br />

<strong>de</strong>n Mitteln <strong>de</strong>r Sprache <strong>de</strong>n Gegensatz von Mensch und Maschine.<br />

Dieser Gegensatz von Mensch und Maschine ist aber für <strong>de</strong>n Radsport ebenso fundamental wie für die ganze<br />

Kultur <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne. Geht man davon aus, daß „das Objekt <strong>de</strong>s Mythos ein logisches Mo<strong>de</strong>ll liefern soll, um<br />

einen Wi<strong>de</strong>rspruch aufzulösen“ (Lévi-Strauss [1955] 1978, S. 253), so erscheint die <strong>Tour</strong> <strong>de</strong> <strong>France</strong> als ein alljährliches<br />

Ritual, das die Versöhnung von Mensch und Maschine, Natur und Technik beschwört.<br />

3.3.2. Uns ist in alten maeren wun<strong>de</strong>rs vil geseit / von hel<strong>de</strong>n lobebaeren ...<br />

(Uns ist in alten Geschichten viel Wun<strong>de</strong>rbares berichtet,<br />

von ruhmreichen Hel<strong>de</strong>n ... Nibelungenlied, Vers 1) .<br />

Ebenso archaisch wie die gehobene Sprechweise <strong>de</strong>s Kommentars sind die stereotypen Angaben, mit <strong>de</strong>nen er<br />

die Fahrer charakterisiert. Wie ein Epos die großen Taten seiner Hel<strong>de</strong>n immer wie<strong>de</strong>r aufs Neue erwähnt, so<br />

zählt <strong>de</strong>r Kommentar in <strong>de</strong>n entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Momenten ihre früheren Siege enumerativ aufs Neue auf. Exemplarisch<br />

ist die Situation, als sich Pantani erfolgreich von seinen Verfolgern abgesetzt hat.<br />

Und Pantani alleine. So dominierte er in <strong>de</strong>n Dolomiten <strong>de</strong>n Giro d’Ìtalia , so flog er nach<br />

Plateau <strong>de</strong> Beille hoch, Nichts zu sehen von <strong>de</strong>n Verfolgern. Genau das, was ich vermutet<br />

habe, von Beginn an, ist jetzt eingetreten. Pantani setzt an <strong>de</strong>r steilsten Rampe am Galibier<br />

seinen Angriff. --- Escartin ist eingeholt, --- Schauen Sie! Jetzt setzt er sich einen Moment<br />

hin um dann sofort wie<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Sattel heraus zu gehen, und das alles mit einer im-<br />

9 Auch das Sprechen <strong>de</strong>s Kommentars unterschei<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>utlich von <strong>de</strong>r Alltagsre<strong>de</strong>. „Mitteilungsbedürfnis<br />

und Mitgehen mit <strong>de</strong>m Ereignis bedingen, daß 45 Minuten für <strong>de</strong>n Reporter im Nun verfliegen“ (Scheu 1994, S.<br />

274). Diese Beobachtung von Scheu, <strong>de</strong>r selbst als Live-Kommentator arbeitet, erinnert an <strong>de</strong>n Topos <strong>de</strong>r poetischen<br />

Begeisterung<br />

10 Poetische Strukturen sind kein Privileg von Dichtung. Erinnert sei an Jakobsons „horrible Harry“. (Jakobson<br />

[1960] 1972 S. 125)

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