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Argumente - Jusos

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<strong>Argumente</strong><br />

1/2008<br />

Nahost


Inhaltsverzeichnis<br />

Intro .......................3<br />

Von Cordula Drautz<br />

Geschichte eines Konflikts – Grundlagen zur Geschichte<br />

des Nahost-Konflikts und der Friedensinitiativen .......................6<br />

Von Irene Weipert, Asiye Öztürk und Jürgen Glatz<br />

Wo ist Freundesland? Die deutsche Linke und der Nahe Osten .....................14<br />

Von Sonja Profittlich<br />

Konfliktstrukturen und -dynamiken im Nahen und Mittleren Osten .....................19<br />

Von Dr. Muriel Asseburg und Dr. Guido Steinberg<br />

Umbruch im Nahen Osten: Friedenslösung oder Eskalation? .....................29<br />

Von Knut Dethlefsen<br />

Ansätze und Modelle multilateraler Konfliktlösung<br />

im Nahen und Mittleren Osten .....................34<br />

Von Niels Annen und Inken Wiese<br />

Frieden durch Entwicklung .....................38<br />

Von Heidemarie Wieczorek-Zeul<br />

Von Oslo über Camp David nach Annapolis –<br />

Neue Hoffnung für den Nahen Osten? .....................42<br />

Von Roby Nathanson<br />

Jugend in Israel und Palästina:<br />

Gewalt und die Sehnsucht nach Zukunft .....................46<br />

Von Heike Kratt<br />

Religionen im Nahen Osten .....................50<br />

Von Tim O. Petschulat<br />

Das Willy Brandt Center: Von einer Idee zum Projekt .....................55<br />

Von Cordula Drautz und Heike Kratt


Das Willy Brandt Center Jerusalem –<br />

Unser täglicher Beitrag zur internationalen Solidarität .....................59<br />

Von Yeliz Tolan<br />

„Creating Partnership for a Social Change in the Middle East“ .....................62<br />

Von Raana Gräsle<br />

Our Partner: Israel Young Labour .....................64<br />

Von Roi Assaf<br />

Our Partners: Fatah Youth Organization –<br />

History and Relation with JUSOS .....................66<br />

Von Nimala Kharoufeh<br />

Our Partners: Young Meretz Yachad Israel .....................70<br />

Von Tal Shahar und Maya Crabtree<br />

Impressum .....................72


3<br />

Intro<br />

. . . . . . . . . . . . 1<br />

Von Cordula Drautz, IUSY-Vizepräsidentin, Mitglied des Juso-Bundesvorstands<br />

Wer heute internationale Probleme lösen will, kommt nicht darum herum, sich<br />

mit dem Nahen Osten und im Speziellen mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt<br />

zu befassen. Von einer Friedensordnung ist die Welt weit entfernt. Gewalt und Gegengewalt,<br />

politisch-kurzfristiges Denken und Handeln, Sanktionen und Ultimaten beherrschen<br />

die politische Instrumentenkiste. Die politische Schwäche der Verhandlungspartner<br />

auf israelischer und palästinensischer Seite wird auf der gesellschaftlichen Ebene<br />

durch eine Radikalisierung einerseits und Abkehr von kooperativem Denken andererseits<br />

reflektiert. Friedensallianzen zu bauen und zu stärken wird angesichts dieser Krisentendenzen<br />

immer wichtiger. Über das Engagement der <strong>Jusos</strong> und der Sozialdemokratie<br />

im Nahen Osten, über die Hintergründe und Perspektiven der Region will dieses<br />

Heft informieren.<br />

Irene Weipert, Asiye Öztürk und Jürgen Glatz zeichnen nach, dass der Nahe<br />

Osten eine Region ist, die vielen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Veränderungen<br />

unterworfen war. All diese Brüche und sozio-ökonomischen Wandel sind<br />

auch wichtige Erklärungsfaktoren für die Komplexität manches Einzelkonfliktes und seiner<br />

Ursachen. Die jüdischen Einwanderungswellen seit den 1880er Jahren, die Balfour-<br />

Erklärung, die eine „nationale Heimstätte in Palästina für das jüdische Volk“ versprach<br />

bis zum ersten israelisch-arabischen Krieg von 1948, der für Israel die staatliche Unabhängigkeit<br />

bedeutete und für Palästinenser eine Katastrophe (Nakba) war, weil er Hunderttausende<br />

zur Flucht zwang, sind nur einige Momente der Geschichte Palästinas und<br />

Israels. Die (internationalen) Friedensinitiativen und ihre Logiken „Land gegen Frieden“<br />

sind immer wieder Bezugspunkt für jeden neuerlichen Versuch der Lösung vieler Probleme<br />

– zuletzt in Annapolis. Unter ihnen sticht die „Genfer Initiative“ vom Oktober<br />

2003 heraus, die unter Beteiligung von friedensorientierten Kräften auf beiden Seiten<br />

mitten in schwersten Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern ganz<br />

konkrete Vorschläge zu einer gerechten Lösung der Hauptstreitpunkte erarbeitete und<br />

damit bewies, dass Einigungsmöglichkeiten bestehen. Die Vorschläge der Initiative sind<br />

bis heute leider keine politische Realität geworden.<br />

Das Verhältnis der deutschen Linken zu Israel beschreibt Sonja Profittlich unter<br />

der Frage „Wo ist Freundesland?“. Die Kontroversen um die Haltung der Linken zwischen<br />

bedingungsloser Solidarität und kritischer Verbundenheit zu Israel prägen die Debatte<br />

bis heute und stellen die Linke auch immer wieder vor Dilemmata. Das frühe von der<br />

Arbeitspartei regierte Israel und seine Verbundenheit mit der Sozialdemokratie ist mit<br />

dem heutigen Land nicht vergleichbar. „Israel ist nicht nur religiöser geworden und<br />

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Intro von Cordula Drautz<br />

1 . . . . . . . . .<br />

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irgendwie auch „orientalischer“, sondern palästinensischer, russischer und in bestimmten<br />

Aspekten auch fundamentalistischer. Der Andockpunkt für die deutsche Linke ist daher<br />

längst nicht mehr so klar definiert“, schreibt Profittlich.<br />

Der israelisch-arabische Konflikt stellt sich heute im Wesentlichen als Konflikt<br />

um Ressourcen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn dar, in dem allerdings<br />

beide Seiten ihre Ansprüche auch religiös legitimieren und überhöhen. Muriel Asseburg<br />

und Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik fassen diese Komplexität<br />

unter dem Begriff des „territorialisierten Ressourcenkonflikts“ zusammen und analysieren<br />

seine Konfliktdynamiken und -ursachen.<br />

In einer Umbruchssituation sieht Knut Dethlefsen, Leiter des Büros der Friedrich-<br />

Ebert-Stiftung in Ost-Jerusalem, den Nahen Osten. Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt<br />

lasse kaum noch erkennen, was Aktion und was Reaktion ist. Die Fragmentierung<br />

palästinensischer Gebiete insbesondere durch den israelischen Siedlungsbau, aber auch<br />

den steigenden Zuspruch für Extremisten auf beiden Seiten sieht Dethlefsen als bedrohliche<br />

Entwicklungen, die den seit 60 Jahren ungelösten Konflikt weiter zementieren und<br />

verschärfen könnten.<br />

Der frühere Juso-Bundesvorsitzende und heutige SPD-Außenpolitiker Niels<br />

Annen und Inken Wiese, ehemalige Internationale Sekretärin der <strong>Jusos</strong> und Geschäftsführerin<br />

des Fördervereins Willy Brandt Center Jerusalem, betonen die Notwendigkeit<br />

der Einbeziehung der internationalen Gemeinschaft. Vor diesem Hintergrund beleuchten<br />

sie mit den Konzepten der „Union für das Mittelmeer“ und der „KSZMNO“ zwei jüngere<br />

Beispiele für multilaterale Konfliktlösungsmodelle, die derzeit diskutiert werden.<br />

Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung<br />

Heidemarie Wieczorek-Zeul verdeutlicht, dass wohl in keiner anderen Region der Welt<br />

der Ansatz, dass Entwicklungspolitik Friedenspolitik ist, mehr Bedeutung hat als im<br />

Nahen Osten. Die Bundesregierung wird bis zum Jahr 2010 rund 200 Mio. Euro für konkrete<br />

Projekte im Rahmen des Reform- und Entwicklungsplans der palästinensischen<br />

Regierung zu Verfügung stellen und so den Friedensprozess unterstützen. Seit 1999 wurden<br />

auch zahlreiche Friedensfachkräfte vom BMZ in die Palästinensischen Gebieten entsandt,<br />

um die Reintegration der von der Gewalt besonders betroffenen Gruppen in den<br />

Friedensprozess zu unterstützen.<br />

Roby Nathanson vom Macro Center for Political Economics in Tel Aviv konstatiert,<br />

dass Oslo durch einen schnelleren Übergang von der Vertragsunterzeichnung zu<br />

einer Dauerlösung auch für die in Oslo ausgeklammerten Punkte erfolgreicher hätte sein<br />

können. Das Kalkül auf palästinensischer und israelischer Seite, auf Zeit zu spielen, die<br />

Bevölkerungsveränderungen, Ressourcenknappheit und damit neuen politischen Druck<br />

mit sich brächte, ging nicht auf. Zudem sind neue Spieler auf den Plan getreten, die wie<br />

der Iran gerade Einfluss auf die extremistischen Kräfte wie die Hamas ausübt. Nicht nur<br />

die territoriale Spaltung der palästinensischen Gebiete, sondern ihre politische Spaltung


5<br />

in „Fatah-Land“ und „Hamas-Land“ verschärfen die Spannungen im eigenen Lager. Nathanson<br />

plädiert für ein „Memorandum of Understanding“, das freien Verkehr über<br />

Grenzen, Verzicht auf Gewaltanwendung und die Kontrolle Ost-Jerusalems durch die PA<br />

beinhalten muss.<br />

Lebenssituation und Einstellungen von jungen Menschen in Israel und Palästina<br />

werden von Heike Kratt in Schlaglichtern beleuchtet. Deutlich wird dabei die große<br />

Rolle deutlich, die Gewalt auf beiden Seiten spielt. Gleichzeitig tritt die Unterschiedlichkeit<br />

zwischen der israelischen und palästinensischen Realität hervor. Während es die<br />

Hoffnung auf eine selbstgestaltete Zukunft für viele palästinensische Jugendliche nicht<br />

gibt, kann man auf israelischer Seite von einer homogenen israelischen Jugend kaum<br />

sprechen. Die junge Generation ist in Parallelgesellschaften unterteilt, die entlang religiöser<br />

Zugehörigkeit und ihrem Einwanderungshintergrund gebildet werden. Diese<br />

komplexe Situation erfordert eine differenzierte und bedürfnisorientierte Jugend- und<br />

Friedensarbeit.<br />

Religionen spielen nicht die einzige, aber doch eine wichtige Rolle in der Auseinandersetzung<br />

zwischen Israelis und Palästinensern. Tim O. Petschulat, Projektkoordinator<br />

im FES-Büro Jerusalem, zeigt in seinem Artikel die Vielfältigkeit der Strömungen,<br />

mit der alle drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam im<br />

Nahen Osten vertreten sind. Ihr Einfluss auch im politischen Geschehen macht es unabdingbar,<br />

sie zu kennen und ihre Bedeutung einzuschätzen.<br />

Das Willy Brandt Center Jerusalem (WBC) als Idee, das für Frieden und Verständigung<br />

arbeitet, konnte nur durch die Unterstützung und die Überzeugung von vielen<br />

Menschen zu einem lebendigen Projekt werden. Heike Kratt und Cordula Drautz zeigen<br />

den beschwerlichen, aber erfolgreichen Weg dorthin auf. Die Selbstdarstellungen<br />

der Partner des WBC, der Projektkoordinatorinnen Yeliz Tolan und Raana Gräsle und VertreterInnen<br />

der israelischen Arbeitspartei-Jugend, der Meretz-Yachad-Jugend und von<br />

Shabibet Fateh zeigen konkret, was hinter dem Namen Willy Brandt Center steckt: politische<br />

Jugendorganistionen, die sich dem Kampf für Frieden bedingungslos verpflichtet<br />

fühlen – auch gegen harte Realitäten.<br />

Viel Spaß und Erkenntnis beim Lesen wünscht<br />

. . . . . . . . . . . . 1<br />

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Cordula Drautz<br />

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6<br />

Geschichte eines Konflikts – Grundlagen zur Geschichte des Nahost-Konflikts und der Friedensinitiativen<br />

1 . . . . . . . . .<br />

Geschichte eines Konflikts<br />

Grundlagen zur Geschichte des Nahost-<br />

Konflikts und der Friedensinitiativen<br />

5 . . . . . . . . .<br />

Kapitel I Geschichte der Region vor 1948<br />

Von Irene Weipert, Landesverband Bayern<br />

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I.1. Palästina zur Zeit des Osmanischen Reichs<br />

Das Land, das heute Israel und die Palästinensischen Autonomiegebiete umfasst,<br />

ist von 1516 – 1918 Teil des Osmanischen Reichs und darin der Provinz des historischen<br />

Syriens zugehörig. Dabei stellt es jedoch nie eine eigenständige geographisch-politische<br />

Einheit dar.<br />

Das dünn besiedelte Land, das nur zu einem Drittel agrarwirtschaftlich genutzt<br />

wird, ist für die Osmanen in erster Linie von strategischer Bedeutung. Da die Legitimation<br />

der osmanischen Herrschaft stark auf dem religiösen Faktor beruht, hat die Sicherung der<br />

Pilgerstätte Jerusalem und der Pilgerroute von Damaskus nach Mekka und Medina, die zum<br />

Teil durch ostjordanisches Gebiet verläuft, hohe Priorität. Diese Aufgabe wird ebenso wie<br />

die Steuereintreibung zumeist durch lokale Eliten erfüllt.<br />

Im 18. Jahrhundert kommt es immer wieder zu Autonomisierungsbestrebungen<br />

lokaler Machthaber, die eine Öffnung der Wirtschaft für den Weltmarkt fördern und durch<br />

die Errichtung staatlicher Monopole am Export von z.B. Baumwolle derart viel einnehmen,<br />

dass sie ihre Armeen modernisieren, die Verwaltung zentralisieren und somit größere<br />

Selbstständigkeit erlangen können.<br />

Die ägyptische Besatzung der syrischen Provinz 1831 – 1840 verfolgt ebenfalls<br />

die Zentralisierung des Gebiets sowie die Ausweitung kommerzieller und diplomatischer<br />

Beziehungen zu Europa. Anders als einheimische Machthaber sind die Ägypter auf die<br />

Einbindung lokaler Eliten angewiesen und institutionalisieren jene zum ersten Mal in<br />

Stadträten. Da der Vormarsch der Ägypter von den Europäern als akute Bedrohung für<br />

die Macht des Osmanischen Sultans und damit für das europäische Mächtegleichgewicht<br />

wahrgenommen wird, werden mit militärischer Hilfe der Briten die ägyptischen Truppen<br />

zurückgeschlagen.<br />

Die Zeit von 1839 – 1878 ist ebenfalls geprägt von einschneidenden Reformen,<br />

den sogenannten Tanzimat (übers. Anordnungen). Diesmal kommt der Impuls dazu aus<br />

Istanbul selbst, wobei vor allem durch die Modernisierung der Armee und neue Institutionen<br />

für die politische Einbindung lokaler Eliten mehr Effizienz in Herrschaft und Verwaltung<br />

erreicht werden soll. Für Palästina bedeutet dies eine Verbesserung der Sicherheitslage<br />

und eine Fortführung der bereits zeitweise eingeführten Kommerzialisierung der<br />

Landwirtschaft. Durch neue osmanische Gesetze zu privatem Landeigentum ab 1858 ent-


7<br />

steht eine Großgrundbesitzerschicht aus Einheimischen und Ausländern, die von der Intensivierung<br />

des Außenhandels profitiert.<br />

Der hier skizzierte Wandel der sozio-ökonomischen Strukturen wird von den<br />

neuen jüdischen Einwanderern in den 1880er und 90er Jahren, die später als erste Einwanderungswelle<br />

(alija) bezeichnet werden, kaum beeinflusst. Dies liegt u.a. an der Heterogenität<br />

der jüdischen Immigranten, die sowohl Osteuropäer als auch orientalische Juden,<br />

verschiedene Strömungen von Zionisten sowie Nichtzionisten umfassen. Auch die sogenannte<br />

zweite alija (ca. 1905 – 1914), die durch Pogrome in Russland ausgelöst wird, stellt<br />

keine Zäsur dar. Zwar kommen später wichtige Personen wie Ben Gurion ins Land, allerdings<br />

ist die Ab- bzw. Rückwanderungsquote bei einem Drittel der Immigration sehr hoch.<br />

Erst langsam entsteht eine unabhängige jüdische Wirtschaft durch die Einrichtung von<br />

Institutionen wie dem Jüdischen Nationalfond. In der Realität sind die jüdischen Siedler<br />

jedoch lange auf die Arbeit der einheimischen Araber angewiesen.<br />

Bis zum Ersten Weltkrieg entstehen 40 jüdische Siedlungen mit 12.000 Bauern<br />

und Arbeitern, was Konflikte mit der lokalen Bevölkerung um konkrete ökonomische Fragen<br />

wie die Verteilung von Land oder Wasser auslöst. Auch das Osmanische Reich hat keine<br />

ideologischen, sondern strategische Vorbehalte gegen die jüdische Einwanderung, da die<br />

Immigration osteuropäischer Juden als weitere Durchdringung von osmanischen Gebieten<br />

durch eine fremde Macht verstanden wird.<br />

Während des Ersten Weltkriegs werden die Osmanen durch ihr Bündnis mit<br />

Deutschland 1914 zum Gegner Großbritanniens. The Turk must go lautet die Devise, gemäß<br />

verschiedener diplomatischer Absprachen über einen post-osmanischen vorderen Orient<br />

auch mit Führern aus der Region erfolgen, die u.a. eine unabhängige arabische Nation<br />

zwischen dem Sinai und dem südlichem Taurusgebirge vorsehen. In einem anderen Abkommen<br />

dagegen, der bekannten Erklärung des damaligen britischen Außenministers Balfour,<br />

wird „die Schaffung einer nationalen Heimstätte in Palästina für das jüdische Volk“<br />

versprochen. Was genau unter einer „nationalen Heimstätte“, einem völkerrechtlich unbekannten<br />

Begriff, zu verstehen ist und was mit „in“ Palästina gemeint ist (ganz Palästina oder<br />

nur ein Teil? Und wenn nur ein Teil, welcher genau?), bleibt ungeklärt.<br />

Gegen Ende des Weltkriegs erfolgt die Aufteilung des vorderen Orients schließlich<br />

allein gemäß den Interessen und Rivalitäten der Großmächte und nicht entlang politischer<br />

und wirtschaftlicher Faktoren vor Ort. So erobern die Briten 1917 – 18 die Levante und<br />

1923 tritt das britische Mandat über Palästina in Kraft.<br />

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I.2 Das britische Mandat Palästina<br />

Die Briten haben in Palästina eine doppelte Verpflichtung zu erfüllen, zum Einen<br />

gemäß der offiziellen Legitimation des Mandats die lokale Bevölkerung an die Selbstverwaltung<br />

heranzuführen und, zum Anderen, die nationale Heimstätte der Juden zu unterstützen.<br />

Dass sich beide Aufgaben verbinden lassen begründen die Briten durch das soge-<br />

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Geschichte eines Konflikts – Grundlagen zur Geschichte des Nahost-Konflikts und der Friedensinitiativen<br />

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nannte „Wohlstandsargument“, nach dem sich die wirtschaftliche Entwicklung des Landes<br />

durch die Juden auch positiv auf die arabische Bevölkerung auswirken und aus dem allgemeinen<br />

Wohlstandsanstieg das Vermögen zur politischen Selbstregierung erwachsen würde.<br />

De facto sind die 1920er Jahre geprägt von einer Trennung der jüdischen und<br />

arabischen Bevölkerung sowohl räumlich in rein jüdischen oder arabischen Stadt- bzw.<br />

Dorfeinheiten als auch in separierten Bildungseinrichtungen, auf wirtschaftlicher sowie<br />

politischer Ebene. Das britische Prinzip der indirekten Herrschaft durch lokale Eliten wird<br />

dabei durch die Emanzipation der jüdischen Strukturen sowie durch die Nicht-Kooperation<br />

arabischer Notabeln auf nationalem Level weiter geschwächt.<br />

In den 1930er Jahren nimmt durch den Nationalsozialismus in Deutschland die<br />

Einwanderung enorm zu und immer mehr Land wird von Juden gekauft. Während die<br />

jüdische Wirtschaft boomt, werden jedoch viele arabische Bauern und Arbeiter, die im<br />

Gegensatz zu den jüdischen Siedlern nicht über externe Finanzflüsse verfügen, – von lokalen<br />

Kreditgebern! – in die Schuldenfalle getrieben, verkaufen ihren Boden und werden<br />

landlos. Diese sozialen Probleme verbinden sich mit dem anti-imperialistischen Kampf<br />

gegen Briten und Zionisten. Zu einem landesweiten Aufstand der Araber kommt es, als von<br />

einer britischen Kommission zum ersten Mal eine Teilung des Landes vorgeschlagen wird,<br />

gemäß der die Araber zwar ca. 80 % bekommen sollen, die Juden allerdings das besser<br />

bewirtschaftbare Land.<br />

Während Ende 1938 die Briten die Rebellion durch Repression der Araber beenden,<br />

hat bereits die jüdische Bewaffnung und Organisation in Paramilitärs begonnen,<br />

deren extreme Flügel Terrorakte gegen arabische Märkte und Cafés verüben.<br />

In den 1940ern richtet sich der Terror auch gegen britische Institutionen, da<br />

Großbritannien die Lage in Palästina durch die Begrenzung der jüdischen Einwanderung zu<br />

befrieden sucht. Dies steht im Gegensatz zu den Vorstellungen einiger Zionisten, die angesichts<br />

des Holocausts eine nationale Heimstätte für alle Juden weltweit, und zwar in ganz<br />

Palästina, anstreben, wofür sie die Unterstützung der USA bekommen. Großbritannien will<br />

sich angesichts der eigenen desaströsen Wirtschaftslage das „Palästinaproblem“ nicht mehr<br />

leisten und übergibt das Mandat 1947 an die UNO, die eine Teilung Palästinas mit einem<br />

jüdischen Anteil von 55 % des Landes beschließt. 1948 eskaliert die Gewalt, die von einigen<br />

jüdischen Milizen zur Vertreibung von arabischer Bevölkerung genutzt wird. Bereits 300.000<br />

Flüchtlinge haben ihre Heimat verlassen, als nach der Ausrufung der Unabhängigkeit Israels<br />

am 14. Mai der erste israelisch-arabische Krieg beginnt. Die Niederlage der schlecht organisierten<br />

und bewaffneten sowie miteinander konkurrierenden Armeen der Mitglieder der<br />

Arabischen Liga führt dazu, dass bis 1949 über 400.000 Araber aus Palästina fliehen.<br />

Als die nakba, die Katastrophe, geht dieser Krieg in die Geschichte der Palästinenser<br />

ein. Für den Staat Israel bleibt die Einnahme von 77 % des ehemaligen Mandatsgebiets<br />

und das Trauma, durch sämtliche Nachbarstaaten existenziell bedroht zu sein.


9<br />

Kapitel II Der Nahostkonflikt zwischen 1948 und 1967<br />

Von Asiye Öztürk, Juso-Landesvorstand Nordrhein-Westfalen<br />

. . . . . . . . . . . . 1<br />

Mit der Ausrufung des israelischen Staates im Jahr 1948 und der folgenden Kriegserklärung<br />

der arabischen Nachbarstaaten (Ägypten, Libanon, Jordanien, Syrien und Irak)<br />

weitete sich der seit dem 19. Jahrhundert schwelende Konflikt zum arabisch-israelischen<br />

Krieg aus und veränderte die nahöstliche Landkarte grundlegend: Israel eroberte das heute<br />

international als sein Staatsgebiet anerkannte Territorium, Jordanien behielt die Kontrolle<br />

über die Westbank einschließlich Ost-Jerusalems, Ägypten besetzte den Gaza-Streifen und<br />

Syrien rückte in den Golanhöhen vor. 1949 kam es unter UN-Ägide zwar zum Waffenstillstand,<br />

einen Friedensschluss gab es aber nicht. Die arabischen Staaten lehnten direkte Verhandlungen<br />

mit Tel Aviv ab, da dies einer völkerrechtlichen Anerkennung gleichgekommen<br />

wäre. Dennoch wurde Israel zum wichtigen Akteur in den regionalen Gleichungen.<br />

Mit der Vertreibung und Flucht eines großen Teils der ansässigen Palästinenser<br />

(bis 1949 ca. 730.000) entstand zudem ein Konfliktgegenstand, der bis heute jegliche Regelungsversuche<br />

des Nahostkonflikts blockiert. Die große Anzahl palästinensischer Flüchtlinge<br />

in der Westbank, dem Gaza-Streifen und zahlreichen arabischen Nachbarländern trug<br />

auch wesentlich dazu bei, dem palästinensisch-israelischen Konflikt eine gesamtarabische<br />

Dimension zu geben. In der israelischen Gesellschaft dagegen wirken die Ereignisse und<br />

Kriege vor und nach der Gründung des jüdischen Staates bis heute als Gründungstrauma.<br />

Das Gefühl, der ständigen Bedrohung durch eine Überzahl von Feinden ausgesetzt zu sein,<br />

die Israel zerstören wollen, paralysiert bis heute in großen Teilen die israelische Politik. 1<br />

In den folgenden Jahren versuchten zwar mehrere arabische Regierungen (darunter<br />

Jordanien und Ägypten) mit Israel ins Gespräch zu kommen. Ihr Ziel war es, eine<br />

dauerhafte und akzeptable Lösung des Konflikts zu finden. Diese Verhandlungen und Gespräche<br />

blieben allerdings aus innenpolitischen Erwägungen geheim. Aufgrund des nach<br />

wie vor starken Widerstandes der arabischen Eliten in Politik und Militär, aber auch des<br />

Großteils der Öffentlichkeiten, konnten sich die schwachen Regime einen derlei Vorstoß<br />

in Richtung einer völkerrechtlichen Anerkennung Tel Avivs nicht leisten. Ferner kam hinzu,<br />

dass Tel Aviv zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Gefahr einer Entschädigung oder Rückkehr<br />

der Flüchtlinge an einem Ausgleich nicht interessiert war. So verpufften die frühen Ansätze<br />

einer arabisch-israelischen Konfliktregelung.<br />

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1<br />

Um die Staatsgründung Israels entwickelten sich heftige Kontroversen, in denen vor allem jüngere Historiker<br />

die offizielle israelische Geschichtsinterpretation in Frage stellen; zum Historikerstreit siehe: Benny Morris:<br />

The Birth of the Palestinian Refugee Problem, 1947 – 1949, Cambridge 1988; Ilan Pappé: Die ethnische Säuberung<br />

Palästinas, Frankfurt 2007; Tom Segev: Es war einmal ein Palästina. Pantheon 2005; ders.: 1967. Israels<br />

zweite Geburt, Bonn 2007.<br />

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Geschichte eines Konflikts – Grundlagen zur Geschichte des Nahost-Konflikts und der Friedensinitiativen<br />

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1956 beteiligte sich Israel am Angriff Großbritanniens und Frankreichs auf Ägypten,<br />

das zuvor den Suez-Kanal verstaatlicht hatte. Der Suez-Kanal wurde von Großbritannien<br />

und Frankreich, der Gaza-Streifen und ein großer Teil des Sinai von Israel besetzt. Primäres<br />

Interesse der israelischen Regierung war der Sturz des ägyptischen Präsidenten Gamal<br />

Abdel Nasser, dessen Aufrüstungspolitik und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion in Israel<br />

mit Sorge beobachtet wurde. Allerdings mussten Großbritannien, Frankreich und Israel<br />

bereits kurze Zeit aufgrund des starken US-Drucks ihre Truppen wieder abziehen. Gamal<br />

Abdel Nasser wurde derweil zur neuen Kult- und Führerfigur in der arabischen Welt.<br />

Weiteres Spannungspotenzial baute sich unterdessen durch die 1964 gegründete<br />

Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) auf. Im selbem Jahr begann die Fatah unter<br />

der Führung Jassir Arafats mit ihren Aktivitäten gegen Israel. Aufgrund der steigenden Anzahl<br />

der Anschläge und Provokationen auf israelischer, palästinensischer wie auch arabischer<br />

Seite, eskalierte ab 1965 die Lage und Angriffe der israelischen Armee auf Ziele in<br />

Jordanien, Syrien oder im Gaza-Streifen nahmen zu, da von dort aus immer wieder Terrorkommandos<br />

nach Israel eindrangen und Anschläge ausführten.<br />

1967 kam es zu einer weiteren Zäsur in der Region: Israel wurde nicht nur zur<br />

Besatzungsmacht im Sinai, sondern auch im Golan und in der Westbank und Gaza-Streifen,<br />

während die PLO zum Symbol des arabischen Widerstands aufstieg. Hintergrund war, dass<br />

im Frühjahr 1967 Nasser den Golf von Akaba für die israelische Schifffahrt sperren ließ, was<br />

für Tel Aviv ein Kriegsgrund war. Nach einem überraschenden Angriff im Juni 1967 besetzte<br />

Israel innerhalb weniger Tage den Gaza-Streifen, den Sinai, die syrischen Golanhöhen sowie<br />

die Westbank mit Ost-Jerusalem. Aus der Sicht Israels war der Krieg ein legitimer Präventivkrieg.<br />

In der arabischen Welt dagegen wurde er als Aggression Israels gesehen.<br />

Allerdings konnten sich die arabischen Staaten nicht auf ein gemeinsames Vorgehen<br />

einigen: Ägypten, Jordanien und die konservativen Golfmonarchien plädierten für<br />

eine diplomatische Lösung, während Algerien, Irak und Syrien eine Fortsetzung des Kampfes<br />

forderten. Die offizielle Rhetorik der arabischen Staaten wurde von den „drei Neins“<br />

bestimmt: „kein Frieden mit Israel, keine Anerkennung Israels, keine Verhandlungen mit<br />

Israel“. Realpolitisch ging es Ägypten, Jordanien und später auch der PLO seitdem allerdings<br />

vor allem darum, politisch darauf hinzuwirken, dass Israel sich auf seine Grenzen vor dem<br />

„Sechs-Tage-Krieg“ zurückzog, womit sie sich de facto mit Israel als fait accompli abfanden.<br />

Zu einer politischen Lösung kam es dennoch nicht, da Israel sich weigerte, die im<br />

„Sechs-Tage-Krieg“ 1967 eroberten Gebiete für einen Friedensvertrag zu räumen und begann<br />

stattdessen noch im selben Jahr mit dem Bau jüdischer Siedlungen in der Westbank<br />

und dem Gaza-Streifen. Israelische Realpolitiker wiesen bereits damals darauf hin, dass der<br />

Bau der Siedlungen auf den besetzten Gebieten eine Bedrohung für zukünftige Bemühungen<br />

um Frieden mit den arabischen Nachbarn seien. Jegliche Initiativen, eine Lösung auf<br />

Grundlage des „Land-für-Frieden“-Prinzips (UN-Sicherheitsratsresolution 242) zu erreichen,<br />

blieben in der Folge ergebnislos.


11<br />

Kapitel III Friedensinitiativen bis heute<br />

Von Jürgen Glatz, AK WBC und Nahost des Juso-Bundesverbandes<br />

. . . . . . . . . . . . 1<br />

Mit dem dritten arabisch-israelischen Krieg vom 5. bis 10. Juni 1967 (im allgemeinen<br />

Sprachgebrauch meist als Sechstagekrieg tituliert), wurde gewissermaßen die Struktur<br />

des gegenwärtigen Nahostkonflikts zwischen Israelis und Palästinensern geschaffen. Kernelemente<br />

und zentrale Streitfragen des Konflikts, wie er sich heute manifestiert, haben<br />

ihren Ursprung in der israelischen Eroberung und Besetzung Ostjerusalems, des Westjordanlandes<br />

und des Gazastreifens (zusätzlich eroberte Israel auch noch die syrischen<br />

Golanhöhen und die ägyptische Sinai-Halbinsel) während des Sechstagekrieges. Die viel<br />

zitierten „Grenzen von 1967“ bilden die international anerkannte völkerrechtliche Grundlage<br />

zur Lösung des israelisch-palästinensischen Territorialkonflikts. Einschlägige Resolutionen<br />

des UN-Sicherheitsrates, wie Resolution 242 vom 22. November 1967 und Folgeresolutionen,<br />

fordern mithin die Rückgabe der von Israel besetzten Gebiete einerseits und<br />

die Anerkennung Israels innerhalb sicherer Grenzen durch seine arabischen Nachbarn<br />

andrerseits. Die Resolutionen folgen allesamt der Logik „Land gegen Frieden“.<br />

Trotz dieser internationalen Bemühungen konnten die Geschehnisse von 1967<br />

nicht rückgängig gemacht werden. Im Gegenteil: durch den beginnenden israelischen<br />

Siedlungsbau im Gazastreifen und insbesondere in der Westbank und Ostjerusalem wurde<br />

der Konflikt zusätzlich verschärft, zumal die Siedlungsaktivitäten spätestens mit Amtsantritt<br />

der Rechtsregierung unter Menachem Begin 1977 massiv und systematisch staatlicherseits<br />

gefördert wurden und eine religiös-ideologische Dimension erhielten. Nichtsdestotrotz kam<br />

zu diesem Zeitpunkt erstmals so etwas wie friedenspolitische Bewegung in den Nahostkonflikt:<br />

auf Initiative des ägyptischen Staatschefs Anwar as-Sadat und unter aktiver Vermittlung<br />

von US-Präsident Jimmy Carter, gelang es 1978 einen Friedensvertrag zwischen Israel und<br />

Ägypten zu erreichen. Die Ägypter erhielten den Sinai zurück und erkannten im Gegenzug<br />

als erstes arabisches Land den jüdischen Staat an. Den spezifisch israelisch-palästinensischen<br />

Konflikt tangierte dieses Abkommen hingegen kaum. Mit der ersten Intifada, die Ende 1987<br />

ausbrach, rückte dieser Konflikt dann nachhaltig wieder ins Bewusstsein der internationalen<br />

Öffentlichkeit. Eine Zäsur stellt schließlich ein Jahr später ein PLO-Beschluss dar, der die<br />

UN-Resolution 242 anerkennt und einen Palästinenserstaat in den 1967 besetzten Gebieten<br />

proklamiert, was zumindest implizit einer Anerkennung Israels gleichkommt.<br />

Vor dem Hintergrund des palästinensischen Aufstandes gegen die israelische<br />

Besatzung und nicht zuletzt auf Grund veränderter weltpolitischer und regionaler Rahmenbedingungen,<br />

wurde Anfang der 1990er Jahre die Madrider Friedenskonferenz zwischen<br />

Israel und seinen arabischen Nachbarn (die Palästinenser waren lediglich im Rahmen einer<br />

gemeinsamen jordanisch-palästinensischen Delegation beteiligt) unter Schirmherrschaft der<br />

USA und der Sowjetunion ins Leben gerufen. Mit dem Wahlsieg der Mitte-Links-Koalition<br />

unter Yitzhak Rabin im Sommer 1992 kamen schließlich – anfänglich noch in Form von<br />

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12<br />

Geschichte eines Konflikts – Grundlagen zur Geschichte des Nahost-Konflikts und der Friedensinitiativen<br />

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Geheimverhandlungen in Oslo – auch direkte israelisch-palästinensische Friedensgespräche<br />

in Gang. Als erstes greifbares Ergebnis dieses sog. Oslo-Prozesses steht die „Washingtoner<br />

Prinzipienerklärung“ vom September 1993, in der sich Israel und die PLO wechselseitig<br />

anerkennen und die die Basis für eine zukünftige friedliche Koexistenz eines palästinensischen<br />

Staates mit Israel bilden sollte. Der Oslo-Prozess konkretisiert sich in der Folgezeit<br />

in Form zweier Abkommen, das Oslo-I- und Oslo-II-Abkommen. Nachdem in einem ersten<br />

Schritt der Gazastreifen und die Stadt Jericho der neu gegründeten palästinensischen Autonomiebehörde<br />

(PA) unterstellt werden, folgen im Rahmen von Oslo-II weitere Städte im<br />

Westjordanland und eine Aufteilung der palästinensischen Gebiete in drei Kategorien (A-,<br />

B-, C-Territorien) mit unterschiedlichem Autonomiestatus. Gleichwohl muss man wohl festhalten,<br />

dass der Oslo-Friedensprozess von Anfang an unter keinen besonders günstigen<br />

Vorzeichen stand – fortgesetzter Siedlungsausbau auf der einen Seite, Terror oppositioneller,<br />

radikaler Gruppen wie der Hamas auf der anderen Seite. Der für 1999 anvisierte<br />

Palästinenserstaat wurde jedenfalls nicht etabliert. Der Versuch den Oslo-Prozess doch noch<br />

zu einem guten Ende zu führen im Rahmen der Verhandlungen von Camp David im Sommer<br />

2000, scheiterte letztlich auch und führte in den Palästinensergebieten zur zweiten<br />

Intifada. Der Friedensprozess war zu diesem Zeitpunkt gescheitert. Auch die Vorschläge<br />

von US-Präsident Bill Clinton (sog. Clinton-Parameter) von Anfang 2001, etwa zu einer<br />

gerechten Teilung Jerusalems, bewirken nichts mehr.<br />

Mit dem Wahlsieg Ariel Scharons kam schließlich die Logik des Unilateralismus in<br />

Israel an die Macht. Der im Sommer 2005 erfolgte Rückzug aus dem Gazastreifen kann im<br />

Nachhinein als Kern dieser Strategie bezeichnet werden, bei gleichzeitigem strategischen<br />

Ausbau der Siedlungsblöcke in Ostjerusalem und der Westbank. Die mangelnde friedenspolitische<br />

Perspektive in dieser Phase führt auf palästinensischer Seite zur Stärkung radikaler<br />

Kräfte wie der Hamas, was im Wahlsieg der Islamisten Anfang 2006 und dem internationalen<br />

Boykott ihrer Regierung gipfelt.<br />

Seit dem Scheitern von Camp David im Jahr 2000 gab es dennoch erwähnenswerte<br />

friedenspolitische Initiativen, deren reale Folgen gleichwohl überschaubar blieben.<br />

Da ist zum einen die historische Friedeninitiative der Arabischen Liga vom März 2002, die<br />

auf den damaligen saudischen Kronprinzen und heutigen König Abdallah zurückzuführen<br />

ist. Als Gegenleistung für den israelischen Rückzug aus den 1967 besetzten Gebieten sieht<br />

der Friedensplan eine vollständige Normalisierung des arabisch-israelischen Verhältnisses<br />

vor. Im Herbst des gleichen Jahres wird schließlich die internationale Gemeinschaft in Gestalt<br />

des sog. Nahost-Quartetts (USA, EU, UN und Russland) aktiv: die viel zitierte „Roadmap“<br />

wird aus der Taufe gehoben. In einem Drei-Stufen-Plan soll bis 2005 der Konflikt beigelegt<br />

werden, inklusive eines umfassenden Friedens zwischen Israel und der arabischen<br />

Welt. Bis zum heutigen Tag konnte gleichwohl nicht einmal die erste Phase der „Roadmap“<br />

implementiert werden, die im Wesentlichen aus vertrauensbildenden Maßnahmen, wie dem<br />

Einfrieren der Siedlungsaktivitäten und einem Ende der terroristischen Gewalt, besteht.


13<br />

Die „Genfer Initiative“ vom Oktober 2003 stellt einen lobenswerten Versuch von<br />

friedensorientierten politischen und gesellschaftlichen Kräften auf beiden Seiten dar, für<br />

eine umfassende Beilegung des Konflikts zu werben. Sie unterbreitet dabei sehr konkrete<br />

Vorschläge zur gerechten und einvernehmlichen Lösung aller Hauptstreitpunkte zwischen<br />

Israelis und Palästinensern, von Jerusalem bis Flüchtlingsfrage. In der offiziellen Politik<br />

spielt sie bislang jedoch keine Rolle.<br />

Ob die jüngste auf der Konferenz von Anapolis angestoßene Friedensinitiative erfolgreich<br />

sein wird, muss, nicht zuletzt auf Grund der innenpolitischen Schwäche der Verhandlungspartner,<br />

stark angezweifelt werden. Und schließlich mangelt es auch dieser Initiative<br />

einer neutralen und übergeordneten Autorität, die in der Lage oder willens wäre, die<br />

Konfliktparteien notfalls nachdrücklich zu den notwendigen Kompromissen bzw. zur Erfüllung<br />

der eingegangenen Verpflichtungen zu bewegen. Ein Grundproblem aller bisherigen<br />

Friedensvorstöße, angesichts der Machtasymmetrie im israelisch-palästinensischen Konflikt.<br />

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Wo ist Freundesland? Die deutsche Linke und der Nahe Osten von Sonja Profittlich<br />

1 . . . . . . . . .<br />

Wo ist Freundesland?<br />

Die deutsche Linke und der Nahe Osten<br />

5 . . . . . . . . .<br />

Von Sonja Profittlich, Politikwissenschaftlerin und ehemalige stv. Bundesvorsitzende des Jugendforums<br />

der Deutsch-Israelischen Gesellschaft<br />

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Die deutsche Linke hat es sich nach 1945 nicht leicht gemacht, zu unterscheiden,<br />

wer Freund ist im Nahen Osten, und wer Feind. Besonders die Sozialdemokratie musste<br />

sich fast zwangsläufig schwertun, stand sie doch immer wieder zwischen den Fronten: ob<br />

als Partei in der Regierungsverantwortung, die sich außenpolitischen Begebenheiten und<br />

„deutschen Interessen“ nicht einfach verschließen konnte, oder als Partei, deren vitales<br />

Interesse es sein muss, im linken politischen Spektrum mehrheitsfähig zu bleiben und<br />

die daher versuchen muss, abweichende Positionen zu integrieren – auch in der Frage um<br />

Loyalitäten und Strategien im Nahen Osten. Und auch von ihrer linken Schwesterpartei<br />

in Israel – die über Jahrzehnte hinweg das Land im Nahen Osten regierte – wurde die SPD<br />

wieder und wieder in die Pflicht genommen.<br />

Nach 1945 war für die Sozialdemokratie die Solidarität mit Israel die unumstößliche<br />

Handlungsmaxime. Dazu gehörte die unbedingte Bejahung des Existenzrechts des<br />

Staates Israel und die Sicherung seiner Lebensfähigkeit. Die Entschädigungspolitik der<br />

Regierungen Adenauer, die 1952 mit dem Luxemburger Abkommen auch umfangreiche<br />

Zahlungen an den neugegründeten Staat Israel beinhaltete, wurde von der sozialdemokratischen<br />

Bundestagsfraktion auch aus der Opposition heraus mitgetragen – und so erst<br />

möglich gemacht, denn Adenauer war auf die Stimmen der Sozialdemokratie angewiesen,<br />

um seine – auch in der eigenen Partei – heiß umstrittene Wiedergutmachungspolitik im<br />

Bundestag durchzusetzen. Israels politische und intellektuelle Linke sah in der Entschädigungspolitik<br />

nicht mehr als das Bestreben der Deutschen, einen schnellen Schlußstrich<br />

unter die eigene Vergangenheit zu ziehen. Die Haltung der SPD war daher für die israelische<br />

Arbeiterpartei Anlaß zur Kritik. Obwohl ihre Solidarität nicht einmal erwünscht schien,<br />

behielt die SPD diesen Kurs jedoch bei. Dahinter verbarg sich nicht nur ein aus dem Bewußtsein<br />

über das nationalsozialistische Unrecht resultierender Handlungsdruck, sondern<br />

wohl auch eine Art von Opfersolidarität. Welche deutsche Partei, wenn nicht die Sozialdemokratie,<br />

sollte sich eher mit den Opfern der Deutschen solidarisieren?<br />

Die offizielle deutsche Außenpolitik gegenüber dem neugegründeten Staat Israel<br />

war hingegen sehr zurückhaltend – ein Zustand, der allerdings auch von der israelischen<br />

Regierung aus forciert wurde. Fast zwanzig Jahre, bis 1965, bestanden keine diplomatischen<br />

Beziehungen zwischen dem Staat Israel und der Bundesrepublik. Die strategische Partnerschaft<br />

zwischen der DDR und Israel legte der deutschen Regierung einen in der Hallstein-<br />

Doktrin begründeten Handlungszwang auf. Zudem drohten die arabischen Staaten Ägypten,


15<br />

Jordanien, Syrien und die Golftstaaten mit dem Abbruch ihrer diplomatischen Beziehungen<br />

zur Bundesrepublik, sollte man eben solche zu Israel aufnehmen. Die arabischen Staaten<br />

aber waren vitale Handlungspartner der Bundesrepublik in dieser Region, zu denen traditionell<br />

wichtige Beziehungen bestanden. An einer solchen Tatsache konnte auch die SPD<br />

nicht vorbei.<br />

Die Israel-Solidarität war der maßgebliche Handlungsparameter bis 1967 in der<br />

SPD, aber auch in der sich formierenden außerparlamentarischen Linken. Der kleine Staat<br />

Israel, der umringt von arabischen Feindstaaten täglich um sein Überleben bangen musste,<br />

galt als schützenswerter „Hort“ der jüdischen Holocaust-Opfer. Diese Solidarität bewährte<br />

sich auch im und nach dem Sechstagekrieg von 1967, aber ihre Bedingungslosigkeit stand<br />

nach dem für Israel erfolgreichen Krieg zur Disposition. Die militärischen Erfolge, die zur<br />

Besetzung der Westbank, des Gaza-Streifens, der Golanhöhen, des Sinai und von Ostjerusalem<br />

geführt hatten, zerstörten Israels Nimbus vom glorreichen und ehrreichen David im<br />

Kampf gegen Goliath. In der radikalen Linken galt Israel nunmehr als Besatzungsmacht,<br />

ja mehr noch, als imperialistischer Aggressor.<br />

Doch nicht nur die außerparlamentarische Linke vollzog nach 1967 einen Kurswechsel,<br />

auch in der SPD-internen Debatte muss dieses Datum als Wendepunkt gesehen<br />

werden. Mit dem Regierungsverlust der Arbeiterpartei in Israel verschärfte sich der Entfremdungsprozess<br />

zwischen den beiden Parteien, deren Verbindung niemals mehr den<br />

Intensitätsgrad der ersten dreißig Nachkriegsjahre erreichte. Rückblickend markiert das<br />

Jahr 1967 das Ende der Vision eines rein säkular gedachten, in Zügen sozialistischen<br />

Staates, wie er im Gründungsverständnis der zionistischen Bewegung und der Kibbuz-<br />

Bewegung veranlagt war. Der sozialistische Ansatz im Zionismus war es aber gerade gewesen,<br />

der den Bann dieser Bewegung auf die deutsche Linke ausgemacht hatte. Israel<br />

ist nach 1967 religiöser geworden. Der Machtverlust der israelischen Linken öffnete eine<br />

politische Lücke, die von einem israelischen Nationalismus neuer Prägung besetzt wurde,<br />

der auch eine religiöse Dimension hat. Die Eroberungen des Jahres 1967, waren für viele<br />

religiöse Juden der Beginn eines Traums von „Eretz Israel“, einem Großisrael als „jüdischer<br />

Heimstatt“, dass vom Sinai bis ins Westjordanland reicht. Im Rücken der militärischen<br />

Vorposten breitete sich die Siedlungsbewegung aus. Israel ist nach 1967 auch pluralistischer<br />

geworden und wurde damit für die deutsche Linke über die Jahrzehnte hinweg immer<br />

schwieriger zu fassen. Ein von der Arbeiterpartei regiertes Israel unter Ministerpräsidentin<br />

Golda Meir war damals ohne Zweifel Freundesland der deutschen Sozialdemokratie. Die<br />

heutigen Zustände sind damit nicht vergleichbar: Israel ist nicht nur religiöser geworden<br />

und irgendwie auch „orientalischer“, sondern palästinensischer, russischer und in bestimmten<br />

Aspekten auch fundamentalistischer. Der Andockpunkt für die deutsche Linke ist daher<br />

längst nicht mehr so klar definiert.<br />

Zudem hat sich die Besetzung des Begriffs Zionismus verschoben – als Folge<br />

jahrzehnterlanger Irritation der deutschen Linken über und mit Israel. Früher war Zionist,<br />

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Wo ist Freundesland? Die deutsche Linke und der Nahe Osten von Sonja Profittlich<br />

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wer für das Existenzrecht eines Staates Israels eintrat. Heute ist Prozionist, wer den Sicherheitszaun<br />

und die fortschreitende Besiedlung der Westbank rückhaltlos verteidigt. Für das<br />

Existenzrecht des Staates Israel einzutreten, aber gleichzeitig eben dieses Recht auch für<br />

die Palästinenser einzufordern, ist schwierig. Für das eine muss man pro-israelisch sein,<br />

für das andere pro-palästinensisch. Aber wer pro-palästinensisch ist, gerät leicht in den Verdacht,<br />

auch ein Befürworter des Terrorismus zu sein oder darüber hinaus, mit dem Vorwurf<br />

des Antisemitismus behaftet zu werden, während derjenige, der für mehr Verständnis für<br />

das israelische Sicherheitstrauma wirbt, sofort als Replik einen – berechtigten – Verweis auf<br />

die Unterdrückung der Palästinenser erhält.<br />

Kaum eine Debatte ist in Deutschland so emotional besetzt wie die immer wiederkehrende<br />

Diskussion um Freund und Feind im Nahen Osten. Davon ist auch die politische<br />

Linke nicht frei – im Gegenteil. Eine Grauzone gibt es nicht, auch kein Abwägen oder ein<br />

Versuch, eben pro-gar-nichts zu sein. Man ist dafür oder dagegen – in dieses Dilemma<br />

verstrickt sich die politische Linke seit Jahrzehnten. Diese Verstrickung hat zu emotionalen,<br />

verbalen und letzten Endes auch zu realen Entgleisungen geführt. Vorreiter einer neuen<br />

strategischen Orientierung der deutschen Linken im Nahen Osten war der Sozialistische<br />

Deutsche Studentenbund (SDS). Die Israel-Solidarität wurde durch die Palästina-Solidarität<br />

ersetzt. Dieser Idee schloß sich auch die deutsche Studentenbewegung an – aus Protest<br />

gegen den US-Imperialismus und seinen „Brückenkopf“ Israel. Einen unrühmlichen Höhepunkt<br />

– der letzten Endes auch zum Umdenken oder wenigstens zur Modifikation des<br />

linken Anti-Zionismus geführt hatte – bildete die Beteiligung von Mitgliedern der „Bewegung<br />

2. Juni“ bei der Flugzeugentführung in Entebbe. Die Entführer, PLO-Sympathisanten,<br />

selektierten die jüdischen Geiseln von den Nicht-Jüdischen. Hauptbetreiber dieser Selektion<br />

war der Deutsche Wilfried Böse. Auf einmal sah sich die radikale Linke der Kritik ausgesetzt,<br />

in ihrem Umgang mit Juden nicht unterscheidbar von der radikalen Rechten zu sein.<br />

Das Jonglieren mit Begriffen wie Israelsolidarität, Israelkritik, Antizionismus und<br />

Antisemitismus mag statisch anmuten, ist aber bei einem kritischen Diskurs über die Haltung<br />

der deutschen Linken zum Nahen Osten unumgänglich. Der Begriff des Antizionismus<br />

wurde von der radikalen Linken der Siebzigerjahre geprägt. Mit der PLO unter Yassir Arafat<br />

trat in diesen Jahren mit Vehemenz ein neuer Akteur im Nahen Osten auf, dem es gelang,<br />

die palästinensische Perspektive in die Debatte einzubringen. Diese wurde von der deutschen<br />

Linken dankbar aufgegriffen. Die PLO avancierte im Zuge einer sozialrevolutionären<br />

Romantik zur Befreiungsbewegung gegen die Unterdrückung des kapitalistischen Imperialismus.<br />

Israel wurde zunehmend als strategischer Dorn der USA im Fleisch der arabischen<br />

Umma betrachtet – und für die radikale Linke, aber auch für die <strong>Jusos</strong>, war ein Freund<br />

Amerikas der Feind. Neben den Antiamerikanismus trat der Antizionismus – die Ablehnung<br />

der zionistischen Idee und damit indirekt der Existenz des jüdischen Staates.<br />

Innerhalb der Sozialdemokratie war es unter anderem Willy Brandt, der das Reden<br />

über die „palästinensische Frage“ ermöglichte. Bei seinem Besuch in Israel im Jahr 1973


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prägte er den Begriff „der normalen Beziehungen mit dem Charakter der Besonderheit“.<br />

Dahinter verbarg sich der verklausulierte Anspruch, Israel als normalen, quasi erwachsenen<br />

internationalen Partner zu betrachten. Gleichzeitig aber betonte er den besonderen Charakter,<br />

der sich aus der Tatsache heraus ableitete, dass die Gründung des Staates Israel eine<br />

direkte Folge des Holocaust war. Im Zweifelsfall müsse Deutschland aus historischer Verantwortung<br />

heraus daher auch immer solidarisch mit Israel sein. Dieser etwas diffus wirkende<br />

Ansatz zeigt das ganze Dilemma der SPD mit Israel auf. Brandt wollte einen gleichberechtigten<br />

Dialog mit einem mündigen Gegenüber. Mündigkeit beudetet aber auch, Kritik am<br />

eigenen Verhalten zu akzeptieren, ein Ansatz, der heute zu den wichtigsten <strong>Argumente</strong>n<br />

derer zählt, die sich als Israel-kritisch bezeichnen. Dennoch darf – dies hat nicht zuletzt<br />

Willy Brandt verdeutlicht – diese Kritik nie den Anschein oder gar den bewussten Willen<br />

zum Antisemitismus haben, niemals das israelische Sicherheitsbedürfnis ausblenden und<br />

niemals über den Punkt hinausgehen, an dem es um das Existenzrecht des Staates Israel<br />

geht. Eine solche Haltung bedingt einen diplomatischen Eiertanz, zumal bis heute gerne die<br />

„Antisemitismus-Keule“ geschwungen wird, wenn israelische Regierungspolitik oder die<br />

Siedlungsbewegung einer kritischen Stellungnahme unterzogen werden.<br />

Für Brandt resultierte dieser schmale Grat aus moralischen Erwägungen. Der<br />

Nationalsozialismus habe, so Brandt, „das Bild des Menschen verletzt“.<br />

„Diese Erfahrung – sie ist die eigentliche Katastrophe der Menschheit, mehr als<br />

alle Kriege und ihre Schrecken. (…). Niemand ist aus der Haftung der Geschichte entlassen“,<br />

so Brandt weiter in einer Rede zur Woche der Brüderlichkeit im Jahr 1971. Dennoch<br />

nahm er schon früh Rekurs auf die Palästinenserfrage, als in Deutschland außerhalb der<br />

Linken noch niemand über dieses Thema sprach. In der gleichen Rede formulierte er daher:<br />

„Es ist bitter, dass die Geburt dieses Staates gleichzeitig den Preis neuer Opfer und neuer<br />

Leiden verlangte. Wer wollte das Elend der palästinensischen Araber verschweigen?“. Willy<br />

Brandt begründete den bis heute in der Mehrheit gültigen Kurs der Sozialdemokratie im<br />

Nahen Osten, der sich um Neutralität bemüht. Joschka Fischer sollte später bei den GRÜ-<br />

NEN einen ähnlichen Kurs einschlagen.<br />

Die <strong>Jusos</strong> verfolgten in den Siebziger- und Achtzigerjahren einen Kurs irgendwo<br />

zwischen SPD und APO. Die Beschlüsse der Bundeskongresse von 1973, 1979 und 1980 enthielten<br />

allerdings Positionen, die heute im Bewußtsein der SPD fest implementiert sind –<br />

nicht verwunderlich in Anbetracht der Tatsache, dass die Juso-Funktionäre von damals die<br />

politische Führungsgeneration von heute stellen. Deutlich war zwischen 1970 und 1980<br />

die immer stärker werdende Pareteinahme für die Palästinenser. Ein allein auf israelische<br />

Belange fokussierter Blickwinkel darf deshalb innerhalb der Sozialdemokratie heute als<br />

veraltet betrachtet werden. Bereits der Beschluss des Jahres 1973 war aus damaliger Sicht<br />

ausgesprochen progressiv. Die <strong>Jusos</strong> forderten darin, die „Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts<br />

der arabischen Bevölkerung von Palästina, insbesondere (die) Anerkennung<br />

ihres Rechts, frei über die Bildung eines eigenen Staates oder eine Verbindung zu anderen<br />

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Staaten entscheiden zu können“. Die Beschlüsse von 1979 und 1980 gehen noch darüber<br />

hinaus. Demnach ist „der Kern des Nahost-Konflikts die Palästina-Frage“. Der Nahostkonflikt<br />

stelle daher „eine ständige Gefahr für Sicherheit und Frieden nicht nur im Nahen Osten,<br />

sondern in der gesamten Welt dar. Ohne die Lösung der Palästina-Frage kann es keinen<br />

dauerhaften und gerechten Frieden im Nahen Osten geben“ (1979). Alleinige Solidarität<br />

mit Israel, welche ein Hinwegsehen über die palästinensische Frage hätte bedeuten müssen,<br />

war längst kein tragfähiges politisches Konzept mehr. Die SPD war vom solidarischen Partner<br />

zum Moderator eines Friedensdiskurses im Nahen Osten geworden. Auch die Israelkritik<br />

war – befreit von aggressiven antizionistischen Tönen – längst Teil linker politischer<br />

Konzepte. So verurteilte des Positionspapier der <strong>Jusos</strong> vom Bundeskongress 1980 die<br />

„aggressive israelische Siedlungspolitik in der besetzten Westbank und im besetzten Gaza-<br />

Streifen“. Für manchen pro-zionistischen Hardliner gelten die <strong>Jusos</strong> und teilweise die SPD<br />

als anti-israelisch, als eine Bewegung also, welche das Existenzrecht des israelischen Staates<br />

verneint, weil sie „irgendwie“ gegen Israel ist. Ein solcher Vorwurf differenziert nicht. Die<br />

SPD von heute ist eben nur nicht pro-zionistisch, sondern tritt ein für eine Zwei-Staaten-<br />

Lösung, die auch den Interessen der Palästinenser gerecht wird.<br />

Heute prägen diese drei historisch bedingten Paradigmen die politische Stoßrichtung<br />

der SPD im Nahen Osten: Neutralität gegenüber den beiden Konfliktgruppen<br />

(keine Positionierung „Pro“), kritische Offenheit gegenüber der Politik beider Seiten, sowie<br />

den Willen, als Moderator eine Diskussionsplattform für beide Parteien zu schaffen.<br />

Das Willy Brandt Zentrum in Jerusalem kann als praktischer Ausdruck dieser Strategie<br />

begriffen werden.<br />

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Konfliktstrukturen und -dynamiken<br />

im Nahen und Mittleren Osten 1<br />

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Von Dr. Muriel Asseburg, Leiterin der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung<br />

Wissenschaft und Politik (SWP) und Dr. Guido Steinberg, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe<br />

Naher/Mittlerer Osten und Afrika an der SWP<br />

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1. Es gibt keinen Schlüsselkonflikt<br />

Entgegen der verbreiteten Ansicht, dass die israelisch-palästinensische Auseinandersetzung<br />

der „Kern-“ oder „Schlüsselkonflikt“ im Nahen und Mittleren Osten sei, wird die<br />

Region von mehreren Konflikten geprägt. Am explosivsten ist dabei neben dem israelischarabischen<br />

der Hegemonialkonflikt am Golf, der derzeit gewalttätig im Irak ausgetragen wird.<br />

Es gibt keine Hierarchie dieser Konflikte. Zwar würde es sich stabilisierend auf<br />

die Region auswirken, wenn einer von ihnen geregelt oder auch nur friedlich ausgetragen<br />

würde. Dennoch würde dies die Ursachen im anderen Konfliktfeld nicht beseitigen und<br />

wahrscheinlich noch nicht einmal zu einer substanziellen Entschärfung führen. So würde<br />

zwar ein wichtiger Mobilisations- und Legitimationsfaktor für terroristische Gruppen entfallen,<br />

wenn die Konflikte um Palästina oder den Irak geregelt würden. Gleichzeitig würde<br />

sich aber – um nur ein Beispiel zu nennen – die Rückkehr von ausländischen Kämpfern<br />

aus dem Irak in ihre mehrheitlich arabischen Heimatländer destabilisierend auswirken –<br />

wie die Erfahrung nach dem Afghanistan-Krieg gezeigt hat.<br />

Die Konflikte wirken zunehmend aufeinander ein und verschärfen sich gegenseitig.<br />

Dabei werden sie immer stärker von konfessionellen Interpretationen überlagert<br />

(Schlagwort „schiitischer Halbmond“) und – vor dem Hintergrund der US-amerikanischen<br />

Interventionspolitik in der Region – von der Wahrnehmung eines Zivilisationskonfliktes<br />

zwischen „dem Westen“ und „dem Islam“.<br />

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2. Konfliktstrukturen<br />

2.1. Der israelisch-arabische Konflikt<br />

Der israelisch-arabische Konflikt stellt sich heute im Wesentlichen als territorialer<br />

und Ressourcenkonflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn dar, in dem allerdings<br />

beide Seiten ihre Ansprüche auch religiös legitimieren und überhöhen.<br />

Im Juni-Krieg 1967 eroberte und besetzte Israel den ägyptischen Sinai, den Gaza-<br />

Streifen, die syrischen Golanhöhen und die West Bank inklusive Ost-Jerusalems. Die israelisch-arabischen<br />

Kriege von 1948 und 1967 gingen mit der Vertreibung und Flucht großer<br />

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Dies ist die gekürzte und aktualisierte Fassung eines Artikels, der zuerst in „Aus Politik und Zeitgeschichte<br />

19/2007“ erschienen ist.<br />

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Konfliktstrukturen und -dynamiken im Nahen und Mittleren Osten von Dr. Muriel Asseburg und Dr. Guido Steinberg<br />

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Teile der ansässigen palästinensischen Bevölkerung einher. Es gelang Israel in den Folgejahren<br />

nicht, den überwältigenden militärischen Sieg von 1967 in wirksame Abschreckung<br />

und Sicherheit für seine Bevölkerung zu verwandeln. Zwar schloss Israel nach dem Krieg<br />

von 1973 mit Ägypten Frieden (Friedensvertrag von Camp David, 1979) und zog sich aus<br />

dem Sinai zurück, es baute aber gleichzeitig das Besatzungsregime in Gaza-Streifen und West<br />

Bank aus und annektierte die Golanhöhen und Ost-Jerusalem. Im Zuge des Libanonkriegs<br />

1982 schließlich besetzte Israel eine so genannte „Schutzzone“ im Süden des Landes.<br />

Erst nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und dem zweiten Golfkrieg kam mit<br />

den Friedenskonferenzen von Madrid und Washington und den nachfolgenden bilateralen<br />

Verhandlungen positive Bewegung in die israelisch-arabische Konfliktkonstellation. Aus<br />

parallelen Geheimverhandlungen zwischen Israel und Vertretern der PLO ging 1993 das<br />

erste Oslo-Abkommen hervor, in dem sich die Konfliktparteien gegenseitig anerkannten<br />

und auf einen friedlichen Konfliktaustrag einigten, einen etappenweisen Abzug der israelischen<br />

Armee aus Teilen des Gaza-Streifens und der West Bank sowie eine palästinensische<br />

Selbstverwaltung für eine fünfjährige Übergangsperiode, innerhalb derer Verhandlungen<br />

über den endgültigen Status geführt werden sollten. Vor diesem Hintergrund konnte 1994<br />

auch der israelisch-jordanische Friedensvertrag geschlossen werden. Allerdings gab es nach<br />

der Ermordung des israelischen Premierministers Itzhak Rabin im November 1995 keine<br />

substanziellen Verhandlungsfortschritte mehr zwischen Israel und den Palästinensern. Auch<br />

in den von US-Präsident Clinton vermittelten Endstatusverhandlungen im Sommer 2000 in<br />

Camp David lagen die Positionen zu weit auseinander, um eine Einigung über eine Konfliktregelung<br />

zu erzielen. Im Frühjahr 2000 waren schon die israelisch-syrischen Verhandlungen<br />

abgebrochen worden, obwohl die beiden Parteien Regelungen für nahezu alle Streitpunkte<br />

gefunden hatten – letztlich scheiterte eine Einigung an Detailfragen.<br />

Ende September 2000 brach die zweite Intifada aus, die im Gegensatz zur ersten<br />

Intifada (Dezember 1987 – 1993) schnell in einen bewaffneten Aufstand gegen die<br />

Besatzungsmacht umschlug, dessen Zielrichtung durch Anschläge auf zivile Einrichtungen<br />

innerhalb Israels verwischt wurde. Mit dem einseitigen Abzug aus dem Südlibanon<br />

im Mai 2000 leitete Ehud Barak den Übergang zu jener unilateralen Politik ein, die Ariel<br />

Sharon mit dem Abzug von Siedlern und Militär aus dem Gaza-Streifen und aus vier Siedlungen<br />

in der West Bank im August 2005 fortsetzte. Schnell zeigte sich allerdings, dass<br />

der unilaterale Ansatz – der den arabischen Partner negierte, keine Konfliktregelung beinhaltete<br />

und die Besatzung nicht vollständig beendete – nicht dazu geeignet war, Israels<br />

Sicherheit zu erhöhen. Im Gegenteil: die unilateralen Schritte stärkten im Libanon<br />

und in den palästinensischen Gebieten nicht die moderaten Kräfte, sondern ließen die<br />

Interpretation zu, dass letztlich der bewaffnete Kampf den Erfolg gebracht hätte. Die<br />

Gewalt eskalierte erneut im Sommer 2006, als Israel auf eine Provokation der Hizballah<br />

(einen Angriff auf einen israelischen Armeeposten, bei dem acht Soldaten getötet und<br />

zwei entführt wurden) mit massiven Luftangriffen nicht nur auf Stellungen und Einrich-


21<br />

tungen der Hizballah, sondern auch auf die libanesische Infrastruktur reagierte. Trotz<br />

ihrer militärischen Überlegenheit gelang es der israelischen Armee nicht, die Hizballah-<br />

Milizen zu zerschlagen oder zumindest ihre Raketenangriffe zu unterbinden, so dass die<br />

Hizballah zwar militärisch geschwächt, aber politisch gestärkt aus der Auseinandersetzung<br />

hervorging und ihr Führer Hasan Nasrallah in weiten Teilen der arabischen Welt<br />

zum neuen Idol stilisiert wurde.<br />

Nach wie vor sind zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn wichtige<br />

Fragen ungelöst: Während es Israel in erster Linie um die Anerkennung seines Existenzrechts,<br />

Sicherheitsgarantien und die Normalisierung der Beziehungen zu den arabischen<br />

Staaten (und Gesellschaften) geht, steht für die Palästinenser das Ende der Besatzung<br />

und die staatliche Unabhängigkeit im Vordergrund. Damit verbunden sind die Fragen<br />

des Grenzverlaufs zwischen den beiden Staaten, der israelischen Siedlungen in der West<br />

Bank, der Kontrolle Jerusalems und der Regelung der palästinensischen Flüchtlingsfrage.<br />

Für den Libanon hat die Achtung seiner Souveränität und die Nichteinmischung in<br />

seine inneren Angelegenheiten sowie die Klärung des Grenzverlaufs (insbesondere bei<br />

den Shebaa-Farmen und dem Dorf Ghajar) Vorrang, wohingegen die syrische Priorität<br />

die Rückgabe der Golanhöhen ist. Während die territorialen Fragen und die gegenseitigen<br />

Beziehungen in bilateralen Verhandlungen zu klären sind, können die grenzüberschreitenden<br />

Fragen – insbesondere die Flüchtlingsfrage, das Wassermanagement in der<br />

Region, sowie regionale Kooperation etwa in Form gemeinsamer Infrastrukturnetzwerke<br />

– nur in einem regionalen Forum geregelt werden. Regelungsoptionen für alle Konfliktdimensionen<br />

liegen auf dem Tisch und sind bereits weitgehend zwischen den Konfliktparteien<br />

ausgehandelt worden – genannt seien hier beispielhaft das Nusseibeh-Ayalon-<br />

Abkommen, die Clinton Parameter, die Genfer Initiative, und die syrisch-israelischen<br />

Verhandlungsergebnisse von Maryland. Bislang jedoch fehlt es am politischen Willen zu<br />

einer Einigung.<br />

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2.2. Der Irak und der Hegemonialkonflikt am Golf<br />

Der Irak hat sich seit der US-geführten Militärintervention 2003 und dem Sturz<br />

des Regimes von Saddam Hussein zu einem zweiten akuten Krisenherd der Region entwickelt.<br />

Dabei ist die aktuelle Auseinandersetzung als Folge des Hegemonialkonfliktes<br />

am Persischen Golf zwischen dem Iran, Irak und Saudi-Arabien zu sehen und damit auch<br />

als Ergebnis einer Entwicklung, die mit der Islamischen Revolution im Iran 1979 eskalierte<br />

und mittlerweile zu drei Kriegen geführt hat: dem iranisch-irakischen Krieg 1980-<br />

1988, dem zweiten Golfkrieg 1990/91 und dem Irak-Krieg 2003. Der Irak und der Iran<br />

versuchten beide, eine (sub-)regionale Hegemonialstellung zu erreichen, trafen aber auf<br />

den Widerstand Saudi-Arabiens und der USA, dem wichtigsten Verbündeten Riads.<br />

Nach der Invasion 2003 hatte die US-Regierung offenbar keine längere Militärpräsenz<br />

im Irak geplant, sah sich jedoch gezwungen, selbst Verantwortung zu überneh-<br />

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Konfliktstrukturen und -dynamiken im Nahen und Mittleren Osten von Dr. Muriel Asseburg und Dr. Guido Steinberg<br />

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men, als es nicht gelang, rasch eine handlungsfähige irakische Regierung einzusetzen. Ab<br />

Sommer 2003 brach ein Aufstand sunnitischer Gruppierungen aus. Sie bekämpften die<br />

ausländische „Besatzung“ – ab Juni 2004 war der Irak formell souverän – und den neuen<br />

irakischen Staat. Während jedoch baathistische und national-islamistische Gruppierungen<br />

in erster Linie darauf abzielten, sich gegen die sich abzeichnende Marginalisierung<br />

der sunnitischen Minderheit (rund 20% der Bevölkerung sind arabische Sunniten) zur<br />

Wehr zu setzen, versuchten jihadistische Gruppierungen wie al-Qaida im Irak, einen Bürgerkrieg<br />

zwischen Sunniten und Schiiten zu provozieren. Im Frühjahr 2005 intensivierten<br />

sich die Auseinandersetzungen, nachdem eine schiitisch-kurdische Koalition siegreich<br />

aus den Wahlen im Januar hervorgegangen war. Fortan schlugen schiitische Milizen, die<br />

teils in die schiitisch dominierten Sicherheitskräfte übernommen wurden, gegen sunnitische<br />

Aufständische und Zivilisten zurück. Nachdem al-Qaida im Irak im Februar 2006<br />

die Grabmoschee der schiitischen Imame Ali al-Hadi und al-Hasan al-Askari in Samarra<br />

zerstörte, eskalierte die Gewalt zwischen den konfessionellen Gruppen. 2<br />

Die US-Truppen konnten die Eskalation der Gewalt zwischen sunnitischen Aufständischen<br />

und schiitischen Milizen nicht verhindern. Auch die im Mai 2006 gebildete<br />

„Regierung der nationalen Einheit“ war außerstande, eine funktionierende Armee und<br />

unparteiische Sicherheitskräfte aufzubauen und die Situation zu beruhigen. Dennoch<br />

beruhigte sich die Sicherheitslage, nachdem die USA ihre Truppenzahl im Irak ab Januar<br />

2007 erhöhten und sunnitische Milizen in die Aufstandsbekämpfung einbanden. Während<br />

die militärische Situation sich stark verbesserte, blieben politische Fortschritte zwischen<br />

den Volksgruppen aus, so dass die Gefahr eines Auseinanderfallens des Irak nicht<br />

gebannt wurde. Parallel dazu nahmen die Spannungen zwischen den USA und Großbritannien<br />

einerseits, und Syrien und Iran andererseits zu. Die USA warfen beiden Staaten<br />

wiederholt vor, Aufständische im Land zu unterstützen, um eine Stabilisierung des Irak<br />

zu verhindern.<br />

Infolge der Ereignisse im Irak droht auch der Hegemonialkonflikt am Golf zu<br />

eskalieren, dessen wichtigste Protagonisten nunmehr Iran und Saudi-Arabien sind. Der<br />

Iran ist gestärkt aus dem Krieg 2003 hervorgegangen, weil mit dem Irak Saddam Husseins<br />

sein wichtigster regionaler Konkurrent beseitigt wurde. Dennoch sieht sich die iranische<br />

Führung durch die Präsenz amerikanischer Truppen im Irak, in Afghanistan und<br />

im Persischen Golf bedroht. Der Iran reagierte, indem er versuchte, amerikanische Truppen<br />

durch die Unterstützung militanter Gruppen im Irak zu binden und somit einen<br />

Angriff auf den Iran unwahrscheinlicher zu machen. Nach der Machtübernahme des Präsidenten<br />

Mahmud Ahmedinedschad im August 2005 wurde die iranische Außenpolitik<br />

aggressiver. Teheran versuchte verstärkt, über sein Bündnis mit Syrien und die Unter-<br />

2<br />

Guido Steinberg, Die irakische Aufstandsbewegung. Akteure, Strategien, Strukturen, SWP-Studie 2007/ S 05,<br />

40 . . . . . . . .<br />

Oktober 2006, S. 7.


23<br />

stützung von Organisationen wie der Hizballah und der Hamas Einfluss auf den Nahostkonflikt<br />

zu nehmen. Im Konflikt um das iranische Atomprogramm, in dem die iranische<br />

Führung sich unnachgiebig zeigt, wird das neue iranische Selbstbewusstsein deutlich.<br />

In Saudi-Arabien (und in den kleinen Golfmonarchien) wird die iranische Politik<br />

als Hegemoniestreben und Bedrohung interpretiert. Das Land ist militärisch deutlich<br />

schwächer als der Iran und seit der Islamischen Revolution 1979 fürchtet die Regierung<br />

in Riad den iranischen Revolutionsexport. Deshalb unterstützte Saudi-Arabien den Irak<br />

im Krieg gegen den Iran. Die Staatschefs des Golfkooperationsrates erklärten auf ihrem<br />

Gipfel in Riad im Dezember 2006, sie würden ein gemeinsames Programm zur friedlichen<br />

Nutzung der Kernenergie planen. Diese Erklärung dürfte insbesondere an die USA gerichtet<br />

gewesen sein, denen verdeutlicht werden sollte, wie groß die Gefahr eines regionalen<br />

Rüstungswettlaufs wäre, sollte der Iran Atomwaffen oder auch nur die Fähigkeit,<br />

sie herzustellen, erlangen.<br />

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3. Aktuelle Dynamiken<br />

3.1. Nahostkonflikt, fragile Staatlichkeit und Bürgerkriegsgefahr<br />

Nach dem Libanonkrieg und den massiven Militäroperationen im Gaza-Streifen<br />

im Sommer 2006 wurden zunächst fragile Waffenstillstände geschlossen. Damit wurden<br />

die Konflikte auf diesen beiden Schienen vorläufig eingefroren, ihre Ursachen jedoch<br />

nicht angegangen. Zudem zeitigte der gewalttätige Konfliktaustrag massive innenpolitische<br />

Auswirkungen. In Israel geriet die Regierung wegen des militärischen Misserfolgs<br />

unter starken Druck.<br />

In den palästinensischen Gebieten ist eine staatliche Konsolidierung zunehmend<br />

in Frage gestellt. Schon die zweite Intifada war mit der teilweisen Wiederbesetzung<br />

bereits geräumter Gebiete, der weitgehenden Zerstörung der Regierungs- und Ordnungsstrukturen<br />

der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und einer massiven Militarisierung<br />

der palästinensischen Gesellschaft einhergegangen. Nach dem Regierungsantritt<br />

der Hamas im März 2006 litten die Palästinenser zudem unter der internationalen<br />

(genauer gesagt, der westlichen und israelischen) Isolationspolitik, die die PA ihrer finanziellen<br />

Basis beraubte und eine dramatische Verschlechterung der humanitären Situation<br />

mit sich brachte. 3 Die Fatah, die seit ihrer Entstehung die PA-Bürokratie und Sicherheitskräfte<br />

dominierte und den Präsidenten stellte, war nicht bereit, ihre Wahlniederlage hinzunehmen<br />

und konstruktiv mit der neuen Regierung zusammenzuarbeiten. In Folge gelang<br />

es der Hamas-Regierung nicht, effektiv für Ordnung und Sicherheit zu sorgen und<br />

3<br />

Ziel der Isolationspolitik war es, die Hamas zur Unterwerfung unter die drei Bedingungen für fortgesetzte<br />

Kooperation und Unterstützung zu bewegen, die vom Nahostquartett aufgestellt worden waren: Gewaltverzicht,<br />

Anerkennung des Existenzrechts Israels, Anerkennung aller zwischen der PLO und Israel geschlossenen<br />

Verträge und Abkommen.<br />

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bewaffnete Zusammenstöße zwischen Fatah-Milizen und Sicherheitskräften auf der einen<br />

und den von der Hamas gebildeten Exekutivkräften auf der anderen Seite eskalierten<br />

dramatisch. Sie brachten die Palästinenser in der zweiten Jahreshälfte 2006 an den Rand<br />

eines Bürgerkrieges.<br />

Nach mehreren gescheiterten Vermittlungsversuchen gelang es dem saudischen<br />

König Abdallah im Februar 2007 mit dem sogenannten Mekka-Abkommen ein Machtteilungsarrangement<br />

zwischen Fatah und Hamas zu vermitteln, das das Blutvergießen zunächst<br />

beenden und einen Bürgerkrieg verhindern konnte. Auf dieser Basis wurde Mitte<br />

März 2007 eine Regierung der nationalen Einheit gebildet. Allerdings zeichnete sich bald<br />

ab, dass Israel und der Westen zwar zum Dialog mit jenen Vertretern der Regierung bereit<br />

waren, die nicht der Hamas angehörten, aber nicht zur Kooperation mit einer Koalitionsregierung,<br />

die die Hamas einschloss. Dabei hätte das Regierungsprogramm durchaus<br />

die Ausgangsbasis für einen Dialog und die Wiederaufnahme der Kooperation bieten<br />

können, denn es trug den Forderungen des Quartetts weitgehend Rechnung. 4<br />

Das Mekka-Abkommen und die im März 2007 gebildete Regierung der nationalen<br />

Einheit hatten indes nicht lange Bestand. Die Ambition von Fatah-Kadern, über<br />

kurz oder lang wieder an die Macht zurückzukehren – zur Not auch mit Gewalt –, wurde<br />

durch die internationale Haltung verstärkt. Die Hamas sah sich durch den Aufbau zusätzlicher<br />

Fatah-Milizen zunehmend unter Druck gesetzt. Mitte Juni 2007 entledigte sie<br />

sich der Gefahr durch einen präemptiven Schlag. In blutigen, aber nur wenige Tage dauernden<br />

Kämpfen übernahm Hamas die Kontrolle im Gaza-Streifen. Seither sind die palästinensischen<br />

Gebiete politisch gespalten. Während die Hamas den Gaza-Streifen kontrolliert,<br />

regiert in der West Bank eine Notstands- bzw. Übergangsregierung unter Salam<br />

Fayyad, die Präsident Mahmud Abbas kurz darauf einsetzte.<br />

Im November 2007 stieß die amerikanische Führung in Annapolis einen neuen<br />

israelisch-palästinensischen Verhandlungsprozess an. Dieser baut auf der sogenannten<br />

„West Bank first“ – Strategie auf, nach der die als moderat erachtete palästinensische<br />

Führung von Präsident Abbas und die von ihm eingesetzte (verfassungsmäßig durchaus<br />

fragwürdige) Regierung unter Salam Fayyad gestärkt werden soll, während Hamas und<br />

der Gaza-Streifen isoliert werden. Gleichzeitig, und in Reaktion auf den Beschuss durch<br />

Qassam-Raketen, hat Israel gegenüber dem Gaza-Streifen schrittweise sowohl seine Embargopolitik<br />

verschärft als auch Militäroperationen durchgeführt. Im Januar 2008 rissen<br />

Kämpfer im Auftrag von Hamas den Grenzzaun zu Ägypten ein, durchbrachen damit<br />

vorübergehend das Embargo und verschafften der eingesperrten Bevölkerung Erleichte-<br />

4<br />

Das Programm nahm Bezug auf Dokumente, die die Regierung auf den Oslo-Rahmen, eine Zweistaatenregelung<br />

sowie die konditionierte Anerkennung Israels gemäß der Friedensinitiative der Arabischen Liga von<br />

2002 verpflichteten. Vgl. ausführlich Muriel Asseburg, ‚Hamastan vs. Fatahland’. Fortschritt in Nahost?, SWP<br />

Aktuell 35, Juli 2008.


25<br />

rung. Letztlich ging die Hamas gestärkt und mit neuer Popularität aus der Isolierung hervor.<br />

Und es gelang ihr zu demonstrieren, dass sie als Akteur nicht ignoriert werden kann<br />

– nicht zuletzt, weil sie ein enormes Störpotential im israelisch-palästinensischen Friedensprozess<br />

besitzt.<br />

Auch im Libanon mischte der Krieg die innenpolitischen Karten neu: Die Hizballah<br />

setzte ihren militärischen Erfolg ein, um erstens ihre Entwaffnung zu verhindern,<br />

die nicht nur in den Sicherheitsratsresolutionen 1559 und 1701, sondern bereits im Taif-<br />

Abkommen von 1989 vorgesehen ist. Sie setzte durch, dass es keine aktive Entwaffnung<br />

oder Zerschlagung der Milizstrukturen durch die libanesische Armee und die UNIFIL geben<br />

würde und konzedierte lediglich, dass sie Waffen nicht offen tragen würde. Zweitens<br />

suchte sie ihren Erfolg in – in der Tat überfällige – größere Partizipation der Schiiten im<br />

politischen System umzumünzen und drittens ging es ihr darum, zu verhindern, dass<br />

das internationale Tribunal zur Aufklärung des Mordes an Rafiq Hariri als Hebel eingesetzt<br />

werden könnte, um beim Verbündeten Syrien einen Regimewechsel herbeizuführen,<br />

indem hochrangige Vertreter der syrischen Führungselite zur Rechenschaft gezogen<br />

würden. Durch ihren Austritt aus der Regierung Ende 2006 legte die jetzige<br />

Opposition deren Arbeit lahm; sie mobilisierte ihre Anhänger zur Blockade der Regierung,<br />

zu Massendemonstrationen und zum Generalstreik. Die Regierung mobilisierte<br />

ihrerseits Anhänger, so dass es letztlich zu Straßenkämpfen kam. Seit dem Ende der Amtszeit<br />

des bisherigen Präsidenten im November 2007 ist das Land zudem ohne Staatsoberhaupt.<br />

Regierung und Opposition suchen, im Rahmen der Auseinandersetzung um die<br />

Einsetzung eines neuen Präsidenten, eine Regierungszusammensetzung durchzusetzen,<br />

die ihre jeweiligen Interessen garantiert bzw. die Blockademacht der anderen Seite möglichst<br />

gering hält.<br />

Aufgrund der angespannten Situation geht im Libanon vermehrt die Angst vor<br />

einem Rückfall in den Bürgerkrieg um. Einmal mehr sehen sich die Libanesen als Opfer<br />

externer Auseinandersetzungen. Auch wenn die Interpretation überzogen ist, der Sommerkrieg<br />

sei der erste Krieg zwischen den USA (vertreten durch ihren Proxy Israel) und<br />

dem Iran (vertreten durch seinen Proxy Hizballah) gewesen, so hat doch die jeweilige<br />

einseitige externe Unterstützung des Westens und der „moderaten“ arabischen Staaten<br />

für die Seniora-Regierung und des Iran und Syriens für Hizballah die politische Krise im<br />

Land weiter verschärft. Denn sie hat die konfessionellen Trennlinien vertieft statt Kompromissbereitschaft<br />

zu stärken. In Folge waren bislang auch alle Vermittlungsversuche<br />

nicht erfolgreich.<br />

3.2. Vom Hegemonialkonflikt zum Konfessionskrieg?<br />

Der Hegemonialkonflikt am Persischen Golf wird – wie schon während des<br />

Iran-Irak-Krieges – nicht nur immer stärker als konfessionelle Auseinandersetzung wahrgenommen,<br />

er birgt auch tatsächlich die Gefahr einer Eskalation von Auseinandersetzun-<br />

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gen zwischen Schiiten und Sunniten in der Region. Ausgangspunkt der derzeitigen Eskalation<br />

war der Irak-Krieg vom Frühjahr 2003. Er führte zur politischen Emanzipation der<br />

schiitischen Bevölkerungsmehrheit (60-65%) des Landes, die seit der Gründung des Irak<br />

1920 politisch weitgehend marginalisiert und während der Diktatur Saddam Husseins<br />

blutig unterdrückt wurde. Nach dem Sturz des Regimes bot sich ihr erstmals die Gelegenheit,<br />

eine wichtige Rolle in der Regierung des Landes zu spielen. Die arabischen Nachbarländer<br />

– in denen die Machteliten sunnitisch geprägt sind – befürchten deshalb, dass<br />

die Schiiten am Golf ebenfalls ermuntert werden könnten, politische Mitsprache einzufordern<br />

und dass die konfessionellen Auseinandersetzungen auf ihre Länder übergreifen<br />

könnten. Darüber hinaus haben sie den Irak immer auch als geostrategisches Gegengewicht<br />

zum Iran betrachtet. Sie befürchten nun, dass ein schiitisch dominierter Irak (oder<br />

Teilirak) zu einem Satelliten Teherans werden könnte. Implizit gehen viele arabische Politiker<br />

hierbei davon aus, dass arabische Schiiten den schiitischen Iranern nicht nur kulturell<br />

sondern auch politisch nahe stehen. Dass konfessionelle Nähe nicht gleich politische<br />

Gefolgschaft nach sich zieht und dass die ethnische Bruchlinie zwischen Arabern<br />

und Persern für die Identitätsbildung arabischer Schiiten überaus wichtig ist, wird dabei<br />

allzu oft ignoriert.<br />

Die Mehrzahl der arabischen Nachbarstaaten des Irak hatte den Krieg der USA<br />

gegen den Irak unter anderem deshalb abgelehnt, weil sie ein anschließendes Auseinanderbrechen<br />

des Landes befürchtete. Der Ausbruch des Aufstandes und die sich bereits<br />

2004 abzeichnende Machtübernahme schiitischer Islamisten verstärkten diese Sorgen.<br />

Nachdem die Vereinigte Irakische Allianz der Schiitenparteien siegreich aus den Wahlen<br />

im Januar 2005 hervorgegangen war und Ibrahim al-Jaafari, ein führender Politiker der<br />

schiitischen Daawa-Partei, im April Ministerpräsident wurde, häuften sich die Proteste<br />

aus Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien gegen den iranischen Einfluss im Irak. Im Dezember<br />

2004 warnte der jordanische König Abdallah vor der Entstehung eines „schiitischen<br />

Halbmonds“ aus dem Iran, Irak, Syrien und der libanesischen Hizballah, der die<br />

Stabilität der gesamten Region bedrohe. 5 Schon die Tatsache, dass Syrien kein Land mit<br />

schiitischer Mehrheitsbevölkerung ist, 6 zeigt, dass es sich um einen politischen Kampfbegriff<br />

handelt, der die Verbündeten des Iran diskreditieren soll.<br />

Diese Entwicklungen sind vor dem Hintergrund des Hegemonialkonflikts zwischen<br />

dem Iran und Saudi-Arabien zu sehen. Dabei geht die Konkurrenz um Einfluss<br />

deutlich über die Golfregion hinaus: Da Teheran vermehrt versucht, Einfluss auf die Ereignisse<br />

im Libanon und den israelisch-palästinensischen Konflikt zu nehmen, bemüht<br />

5<br />

Zitiert in: Washington Post vom 8. Dezember 2004.<br />

6<br />

Die syrische Führungselite wird von Alawiten dominiert. Diese werden in der westlichen Öffentlichkeit zwar<br />

40 . . . . . . . .<br />

gemeinhin als schiitische Sekte bezeichnet, gelten den meisten Angehörigen der dominierenden Zwölferschia<br />

jedoch als Häretiker.


27<br />

sich Saudi-Arabien neuerdings wieder sehr aktiv, dem entgegenzuwirken. Die Regierungen<br />

Saudi-Arabiens, Ägyptens und Jordaniens rücken schon seit 2003 enger zusammen<br />

und haben ihre Zusammenarbeit beispielsweise in der Terrorismusbekämpfung ausgebaut.<br />

Hier deutet sich an, dass die von Politikern aus diesen Ländern geäußerten Vorbehalte<br />

gegenüber dem Iran und den Schiiten zur Bildung einer sunnitischen Allianz führen<br />

könnten, die dann einem „schiitischen Halbmond“ gegenüberstehen würde. Die<br />

saudi-arabische Führung warnte Ende 2006, dass, wenn sich die Situation im Irak nicht<br />

bessere, sie dort sunnitische Gruppierungen unterstützen würde. Der Irak würde so<br />

zum Schlachtfeld in dieser Auseinandersetzung, die sich im schlimmsten Fall auch auf<br />

andere Länder ausbreiten könnte. Besorgniserregend ist vor allem, dass die USA seit<br />

2006 diese nahöstliche Blockbildung fördern, um den Hegemonialstreben des Iran entgegen<br />

zu wirken. Damit besteht die Gefahr, dass die Konflikte im Nahen und Mittleren<br />

Osten noch stärker konfessionalisiert werden.<br />

. . . . . . . . . . . . 1<br />

. . . . . . . . . . . . 5<br />

. . . . . . . . . . . 10<br />

4. Sich überlagernde Konflikte<br />

Der Nahe und Mittlere Osten ist nicht durch einen Schlüssel- oder Kernkonflikt<br />

geprägt, auf den sich die anderen Konflikte in der Region zurückführen ließen. Vielmehr<br />

überlappen sich der israelisch-arabische Konflikt und der Hegemonialkonflikt am Golf<br />

und verstärken sich gegenseitig.<br />

So hat erstens der Hegemonialkonflikt am Golf Rückwirkungen auf den israelisch-arabischen<br />

Konflikt: während der Iran islamistische Bewegungen und Milizen in<br />

Palästina (Hamas) und Libanon (Hizballah) unterstützt, stellte sich Saudi-Arabien (unterstützt<br />

vom Westen, Ägypten und Jordanien) zunächst auf die Seite der jeweiligen Gegenspieler,<br />

also des palästinensischen Präsidenten Abbas, des libanesischen Premierminister<br />

Seniora und, während des Sommerkrieges 2006, zumindest implizit auf die Seite Israels.<br />

Der israelisch-arabische Konflikt hat zweitens Auswirkungen auf die Möglichkeiten<br />

einer Beruhigung der Situation im Irak. So hat insbesondere Syrien, selbst wenn<br />

es nur geringen Einfluss auf die Entwicklungen im Irak entfalten kann, kaum Interesse<br />

an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit den USA bei der Stabilisierung des Nachbarstaates<br />

solange es seine nationalen Interessen nicht ausreichend beachtet sieht und solange<br />

der Eindruck vorherrscht, dass das internationale Tribunal zur Untersuchung des<br />

Mordes an Rafiq Hariri dem Ziel des Regimewechsels in Syrien dienen solle.<br />

Drittens hat das vorläufige Scheitern der Stabilisierung und Demokratisierung<br />

des Irak, der entsprechend der neokonservativen Vision der „democratic dominoes“ zum<br />

Ausgangspunkt einer Demokratisierung der Region hätte werden sollen, nicht nur einen<br />

weitgehend staatsfreien Raum geschaffen, in dem sich transnationale Terroristen tummeln,<br />

die künftig ein enormes Bedrohungspotential für ihre Heimatstaaten darstellen<br />

werden. Es hat vor allem zu einer Strategieänderung der USA geführt: nicht mehr die<br />

„Forward Strategy for Freedom“, die Präsident Bush 2003 proklamierte, leitet die ameri-<br />

. . . . . . . . . . . 15<br />

. . . . . . . . . . . 20<br />

. . . . . . . . . . . 25<br />

. . . . . . . . . . . 30<br />

. . . . . . . . . . . 35<br />

. . . . . . . . . . . 40


28<br />

Konfliktstrukturen und -dynamiken im Nahen und Mittleren Osten von Dr. Muriel Asseburg und Dr. Guido Steinberg<br />

1 . . . . . . . . .<br />

5 . . . . . . . . .<br />

10 . . . . . . . .<br />

15 . . . . . . . .<br />

20 . . . . . . . .<br />

kanische Politik in der Region, sondern eine Bündnispolitik mit den pro-westlichen Staaten,<br />

die für die Stabilisierung im Irak und bei der Eindämmung des Iran in die Pflicht genommen<br />

werden. Dies – verstärkt noch durch islamistische Wahlerfolge in Ägypten, Irak<br />

und Palästina – hat bereits dazu geführt, dass der Druck auf die Regime, politische Liberalisierung<br />

zu wagen, deutlich nachgelassen hat. Mittelfristig bedeutet die autoritäre<br />

Konsolidierung – wie sie etwa bei den umfangreichen Verfassungsänderungen in Ägypten<br />

deutlich wird –, dass diejenigen Oppositionskräfte, die sich bislang für eine Beteiligung<br />

im politischen System entschieden haben, aus diesem herausgedrängt werden. Damit<br />

aber steigt die Gefahr der Entstehung neuer gewalttätiger Oppositionsbewegungen.<br />

In Bezug auf die Regelung der Konflikte und das europäische Verhältnis zur<br />

Region ist besonders besorgniserregend, dass die Einzelkonflikte zunehmend durch sich<br />

gegenseitig verstärkende Wahrnehmungsmuster überwölbt werden, die kulturelle, religiöse<br />

und konfessionelle Spaltungen festschreiben und für einen Interessenausgleich<br />

nicht offen sind. So ist nicht nur vom Gegensatz zwischen einem die Vertreter des „radikalen<br />

Islam“ umspannenden „schiitischen Halbmond“ und den „moderaten“ (pro-westlichen)<br />

sunnitischen Staaten die Rede. Auch führen westliche Militärinterventionen, einseitige<br />

Parteinahmen und die Anwendung doppelter Standards einerseits sowie die<br />

Eskalation von Gewalt und die (perzipierte) Zunahme des Bedrohungspotentials seitens<br />

militanter Islamisten zur Wahrnehmung eines „Zivilisationskonfliktes“, bei dem „der<br />

Islam“ „dem Westen“ unversöhnlich gegenübersteht.<br />

25 . . . . . . . .<br />

30 . . . . . . . .<br />

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40 . . . . . . . .


29<br />

Umbruch im Nahen Osten:<br />

Friedenslösung oder Eskalation?<br />

. . . . . . . . . . . . 1<br />

Von Knut Dethlefsen, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ost-Jerusalem<br />

. . . . . . . . . . . . 5<br />

I. Einleitung<br />

In den Medien gibt es wohl kaum ein Problem der internationalen Politik, das<br />

die Schlagzeilen so dominiert wie der Konflikt im Nahen Osten. Dies liegt zum einen an<br />

der alltäglichen Brisanz der Thematik. Zum anderen hat der Konflikt eine regionale<br />

Dimension. Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien und Syrien und politische Bewegungen<br />

wie die Hizbollah sind Teil des Nahostkonflikts, und müssen auch Teil einer Lösung sein.<br />

Eine Lösung des Konflikts würde zwar nicht alle Probleme der Region aus der Welt schaffen,<br />

aber zur Stabilisierung des gesamten Mittleren Ostens führen.<br />

Vereinfacht lässt sich der Nahost-Konflikt auf zwei Kernpunkte reduzieren:<br />

Land und Souveränität. Folgende Fragen stehen dabei im Mittelpunkt: Wie kann ein<br />

palästinensischer Staat geschaffen und der Staat Israel abgesichert werden? Wie können<br />

beide Staaten im Einvernehmen miteinander existieren?<br />

Es handelt sich hierbei nicht um einen religiös begründeten Konflikt, allerdings<br />

werden die Konfliktlinien von beiden Seiten immer wieder religiös aufgeladen, wenn es<br />

um heilige Stätten geht.<br />

Angesichts der sich häufig überschlagenden Ereignisse und der Vielzahl an Akteuren<br />

ist es oft schwer, den Überblick zu behalten. Dieser Artikel soll einen Einblick in<br />

die aktuelle politische Situation in Israel und den Palästinensischen Gebieten geben.<br />

Stichwort Endstatusfragen<br />

Grundvoraussetzung für die Einigung der Konfliktparteien auf ein gemeinsames Abkommen<br />

ist die Lösung von sechs Streitpunkten, den sog. Endstatusfragen.<br />

• Jerusalem wird von Israelis und Palästinensern als ihre Hauptstadt beansprucht.<br />

Durch die Annektierung des Ost-Teils der Stadt durch Israel nach dem Juni-Krieg 1967<br />

und der Ausweitung der jüdischen Stadtviertel auf arabischem Gebiet wurden kaum<br />

reversible Fakten geschaffen. Eine Teilung der Stadt wird von religiösen und nationalistischen<br />

Hardlinern, insbesondere in Israel, abgelehnt.<br />

• Die Zahl der palästinensischen Flüchtlinge von 1948 und 1967 und deren Nachkommen<br />

weltweit liegt bei ca. 5,5 Millionen. Für diese muss eine gerechte Lösung gefunden<br />

werden. Derzeit werden drei Lösungsoptionen für die Flüchtlingsfrage diskutiert:<br />

die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre ursprüngliche Herkunftsorte, die Ansiedlung im<br />

Gebiet eines zukünftigen palästinensischen Staates, und die Niederlassung in Dritt-<br />

. . . . . . . . . . . 10<br />

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30<br />

Umbruch im Nahen Osten: Friedenslösung oder Eskalation? von Knut Dethlefsen<br />

1 . . . . . . . . .<br />

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15 . . . . . . . .<br />

20 . . . . . . . .<br />

staaten. In jedem der drei Fälle werden finanzielle Entschädigungsleistungen für den<br />

Verlust von Land und Gütern gefordert.<br />

• Die Festlegung der Grenzen Israels und eines zukünftigen palästinensischen Staates<br />

erfolgt derzeit unilateral durch Israel. Der von palästinensischer Seite anvisierte Grenzverlauf<br />

entlang der sog. Grünen Linie von 1967 wird durch die Annektierungen von<br />

Land durch Israel, v.a. für den Ausbau von Siedlungen, zu seinen Gunsten verändert.<br />

Der Bau der Sperranlage über weite Strecken auf palästinensischem Gebiet schafft<br />

zusätzlich Fakten.<br />

• Derzeit leben 418.000 Siedler in 141 Siedlungen in der West Bank und Ost-Jerusalem.<br />

Bereits in den Oslo-Abkommen und der Road Map wurde ein Stopp des Ausbaus israelischer<br />

Siedlungen und der Abbau illegaler Siedlungs-Vorposten vereinbart. Ungeachtet<br />

dessen hält der Ausbau großer Siedlungsblöcke und deren Infrastruktur durch<br />

Israel weiter an, was eine Reduzierung und Zergliederung des palästinensischen<br />

Gebietes zur Folge hat.<br />

• Ein Abkommen der beiden Konfliktparteien muss die Sicherheit des israelischen und<br />

eines zukünftigen palästinensischen Staates gewährleisten. Dies bedeutet in erster<br />

Linie, dass gewaltsame Angriffe eines Staates bzw. nichtstaatlicher Akteure auf das<br />

Territorium des anderen unterbunden werden.<br />

• Die Ressourcenknappheit im Nahen Osten macht Wasser zu einem Hauptstreitpunkt<br />

im israelisch-palästinensischen Konflikt. Ein Abkommen muss die gerechte Verteilung<br />

von Wasser an alle Bewohner der Region gewährleisten.<br />

25 . . . . . . . .<br />

II. Rückblick<br />

Einen vollständigen Überblick über die Geschehnisse im Nahen Osten zu geben,<br />

ist nicht möglich. Aus diesem Grund sollen hier nur einige ausgewählte Ereignisse<br />

dargestellt werden, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Zukunft dieser Region hatten<br />

bzw. noch haben.<br />

30 . . . . . . . .<br />

35 . . . . . . . .<br />

40 . . . . . . . .<br />

• Wahlen zum Palästinensischen Legislativrat (PLC), Januar 2006<br />

Aus den demokratischen Wahlen zum PLC im Januar 2006 ging die radikal islamische<br />

Hamas als stärkste Kraft hervor. Zwar erhielt sie nur 44 Prozent der Stimmen, doch<br />

aufgrund des palästinensischen Wahlrechts, das je zur Hälfte aus einer Listenwahl und<br />

einer komplizierten Mehrheitswahl mit jeweils mehreren Sitzen je Wahlkreis besteht,<br />

gelang es ihr, 74 der 132 Sitze im Legislativrat zu besetzen.<br />

• Boykott der Hamas-Regierung<br />

Obwohl demokratisch legitimiert, erkannten Israel und die internationale Staatengemeinschaft<br />

die Hamas-Regierung nicht an. Das Nahost-Quartett, bestehend aus den USA,<br />

den Vereinten Nationen, der EU und Russland forderte die explizite Anerkennung von


31<br />

drei Grundprinzipien durch die Hamas: die Anerkennung der bereits unterzeichneten<br />

Abkommen zwischen Israel und den Palästinensern, die Anerkennung des Existenzrechts<br />

des Staates Israel inklusive den Grenzen von 1967 und den Verzicht auf Gewalt. Da diese<br />

von Seiten der Hamas nicht erfüllt wurden, wurde ein wirtschaftlicher und politischer<br />

Boykott ausgerufen. Direkte politische Kontakte und Geldtransfers waren fortan nur<br />

noch mit dem weiterhin von der Fatah gestellten Präsidenten Mahmoud Abbas möglich.<br />

• Wahlen in Israel, März 2006<br />

Kurz darauf fanden Wahlen in Israel statt, bei denen die neu gegründete Partei des ehemaligen<br />

Premierministers Ariel Sharon, Kadima, mit 23 Prozent der Stimmen stärkste<br />

Partei wurde. Sie bildete daraufhin eine Koalition mit der Arbeiterpartei, der orientalischreligiösen<br />

Partei Shas und der Rentnerpartei Gil. Im Oktober 2006 schloss sich die national-konservative<br />

Partei Israel Beitenu unter Avigdor Lieberman an.<br />

• Libanon-Krieg, Juli – August 2006<br />

Die Entführung zweier israelischer Soldaten am 12. Juli 2006 diente der israelischen Armee<br />

als Anlass zur Kriegserklärung an die schiitisch-libanesische Hizbollah. Erklärtes Ziel<br />

dieser Militäraktion war es, die Strukturen der Hizbollah im Süden des Libanon zu zerstören.<br />

Dies konnte trotz massiver Luftangriffe und einer Bodenoffensive der israelischen<br />

Armee (IDF) nicht erreicht werden. Stattdessen hielt der Beschuss Nord-Israels mit ca.<br />

3000 Katyusha-Raketen durch Hizbollah-Milizen über Wochen an. In Israel wurde der<br />

Krieg als militärische Niederlage interpretiert und erschütterte das Vertrauen der israelischen<br />

Bevölkerung in ihre Armee. Dies führte letztlich zum Rücktritt des Verteidigungsministers<br />

Amir Peretz. Premierminister Ehud Olmert blieb trotz massiver Kritik im Amt.<br />

• Palästinensische Einheitsregierung, März 2007<br />

Nach monatelang anhaltenden Machtkämpfen zwischen Anhängern von Fatah und Hamas<br />

wurde im März 2007 eine Regierung der Nationalen Einheit unter Beteiligung der<br />

rivalisierenden Bewegungen und anderer Parteien gebildet.<br />

Die Hoffnung auf Aufhebung des internationalen Boykotts und die Anerkennung der<br />

Einheitsregierung durch die Staatengemeinschaft wurde jedoch enttäuscht, da letztere<br />

weiterhin auf der expliziten Anerkennung der oben genannten Quartett-Bedingungen<br />

bestand. Dies war nach Ansicht vieler Beobachter eine der Ursachen für das Scheitern<br />

der Einheitsregierung nach nur 90 Tagen. Mitte Juni übernahm die Hamas die Macht<br />

im Gazastreifen mit militärischen Mitteln. Dies führte zur faktischen Spaltung der Palästinensischen<br />

Gebiete in den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen und die Westbank<br />

unter Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) unter Präsident<br />

Mahmoud Abbas.<br />

• Verschärfung des Boykotts durch Israel<br />

Mitte September 2007 erklärte die israelische Regierung den Gazastreifen zum „feindlichen<br />

Gebiet“ und verschärfte die bestehenden Boykottmaßnahmen. Von nun an durften<br />

nur noch bestimmte Waren – meist Grundnahrungsmittel und Medikamente – in den<br />

. . . . . . . . . . . . 1<br />

. . . . . . . . . . . . 5<br />

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Umbruch im Nahen Osten: Friedenslösung oder Eskalation? von Knut Dethlefsen<br />

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Gazastreifen importiert werden. Ende 2007 wurden zusätzlich Treibstofflieferungen stark<br />

eingeschränkt, der Personenverkehr wurde auf wenige humanitäre Fälle beschränkt. Infolge<br />

des Boykotts sind inzwischen mehr als 80 Prozent der Bewohner im Gazastreifen<br />

von Lebensmittelhilfen abhängig.<br />

• Qassam-Raketen auf Sderot<br />

Seit 2001 wurden knapp 8000 Qassam-Raketen auf das israelische Grenzgebiet zum Gazastreifen<br />

abgefeuert, 21 Israelis wurden dabei getötet. Diese primitiven Geschosse verursachen<br />

zwar selten große Schäden, doch ist ihre psychologische Schreckenswirkung nicht<br />

zu unterschätzen. Die israelische Regierung steht dem weitgehend hilflos gegenüber und<br />

versucht vergeblich, durch militärische Angriffe auf den Gazastreifen die Infrastruktur<br />

der Raketenhersteller zu zerstören. Bei der letzten Reihe von Angriffen durch die IDF<br />

Anfang März 2008 wurden innerhalb weniger Tage mehr als 100 Palästinenser getötet.<br />

• Gipfel von Annapolis<br />

Bei einem Gipfeltreffen Ende November 2007 einigten sich Ehud Olmert und Mahmoud<br />

Abbas unter Vermittlung von US-Präsident George Bush darauf, die Friedensverhandlungen<br />

wieder aufzunehmen und die Inhalte der Road Map umzusetzen. Alle Seiten<br />

sprachen von der Möglichkeit einer Lösung des Konflikts bis Ende 2008. Kurz darauf<br />

wurden Verhandlungsteams mit der Aufgabe betraut, Lösungen für Kernstreitpunkte<br />

zu finden und deren konkrete Umsetzung vorzubereiten. Bislang blieben sichtbare<br />

Schritte in Richtung einer Lösung des Konflikts jedoch aus.<br />

25 . . . . . . . .<br />

30 . . . . . . . .<br />

35 . . . . . . . .<br />

40 . . . . . . . .<br />

III. Ausblick<br />

Generell steht die Region vor zahlreichen grundlegenden Problemen, für die<br />

Lösungen gefunden werden müssen, um eine weitere Verschlechterung der Lage zu<br />

verhindern.<br />

Zuallererst muss die Spirale von Gewalt und Gegengewalt durchbrochen werden.<br />

Längst ist nicht mehr klar zu unterscheiden, was Aktion und was Reaktion ist. Und<br />

so lange jede Provokation sofort mit harter Hand und einer Racheaktion beantwortet<br />

wird, sind Friedensbemühungen zum Scheitern verurteilt.<br />

Ein weiteres dringliches Problem ist der Gazastreifen. Eine Lösung für die Frage<br />

des Zugangs von Personen und Gütern muss mit Hilfe Ägyptens, der USA und der EU<br />

gefunden werden, bevor es zu einer humanitären Katastrophe für die 1.5 Millionen<br />

Bewohner des Küstenstreifens kommt.<br />

Was die derzeitigen Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien betrifft, sind<br />

rasch konkrete Ergebnisse nötig. Problematisch ist hierbei, dass in Annapolis die Implementierung<br />

eines Abkommens von seiner Unterzeichnung abgekoppelt wurde, was baldige<br />

grundlegende Verbesserungen vor Ort zunehmend unwahrscheinlicher macht.<br />

Leere Worthülsen ohne für die Menschen auf beiden Seiten spürbare Veränderungen<br />

werden jedoch niemanden vom Friedenswillen des anderen überzeugen. Auch


33<br />

ist es essentiell, die sechs Endstatusfragen Jerusalem, Flüchtlinge, Grenzen, Siedlungen,<br />

Sicherheit und Wasser nicht bis zum Schluss auszusparen und zu hoffen, dass diese sich<br />

mit der Unterzeichung eines grundsätzlichen Abkommens quasi von selbst lösen. Stattdessen<br />

müssen sie Kernpunkte der Verhandlungen sein, und es müssen für alle Seiten<br />

akzeptable und praktikable Lösungen gefunden werden.<br />

Europa darf hierbei kein Zuschauer sein. Dies fordert auch zunehmend Israel.<br />

Ein erster Schritt hin zu einem verstärkten Engagement Europas wurde durch die Wiederbelebung<br />

des Nahost-Quartetts unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft Anfang 2007<br />

unternommen. Dem müssen weitere Schritte folgen!<br />

Doch die Uhr tickt, und die Chance auf eine Beilegung des seit 60 Jahren ungelösten<br />

Konflikts droht zu schwinden. Es wird immer schwieriger, einen überlebensfähigen<br />

palästinensischen Staat aufzubauen angesichts der zunehmenden Fragmentierung<br />

der Palästinensischen Gebiete durch israelische Siedlungen und deren Infrastruktur.<br />

Extremisten auf beiden Seiten gewinnen an Zuspruch, und je mehr Zeit vergeht,<br />

ohne dass eine Lösung für den Konflikt gefunden wird, desto stärker werden die<br />

Gegner eines Abkommens sein. Sollten die Verhandlungen erneut scheitern, droht der<br />

Ausbruch einer dritten Intifada. Diese, so ist zu befürchten, könnte auch auf Palästinenser,<br />

Araber und Muslime außerhalb des eigentlichen Konfliktgebiets übergreifen.<br />

Die palästinensische Führung sieht sich des Weiteren mit der innerpalästinensischen<br />

Spaltung konfrontiert. Hier ist trotz diverser Vermittlungsversuche von ägyptischer<br />

Seite und der Arabischen Liga bislang keine Annäherung in Sicht. Im Falle eines Friedensabkommens<br />

mit Israel könnte dies eine Implementierung nur in der Westbank und den<br />

Boykott durch die Hamas bedeuten. Es ist also dringend notwendig, eine Regierung der<br />

Nationalen Einheit zu schaffen und für deren internationale Anerkennung zu sorgen.<br />

Abschließend ist als positive Entwicklung zu beobachten, dass die regionale Komponente<br />

zunehmend an Gewicht gewinnt. Der Konflikt kann ob seiner regionalen Dimension<br />

nur regional gelöst werden. An der Beschränkung auf bilaterale Lösungsversuche<br />

scheiterten zahlreiche bisherige Friedensbemühungen. Vor diesem Hintergrund kann es<br />

als positives Zeichen gewertet werden, dass zahlreiche arabische Staaten beim Gipfel in<br />

Annapolis vertreten waren, unter ihnen Syrien. Dies und Friedensinitiativen Saudi-Arabiens<br />

zeigen das Interesse der arabischen Staaten an einer umfassenden Lösung für den Nahen<br />

Osten. Wird diese Initiative genutzt und in ein regionales Abkommen umgesetzt, könnte<br />

sich ein prosperierender Naher Osten entwickeln. Davon würden alle profitieren: Israel,<br />

die Palästinenser, die arabischen Staaten und die internationale Staatengemeinschaft.<br />

. . . . . . . . . . . . 1<br />

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34<br />

Ansätze und Modelle multilateraler Konfliktlösung im Nahen und Mittleren Osten von Niels Annen und Inken Wiese<br />

1 . . . . . . . . .<br />

Ansätze und Modelle multilateraler Konfliktlösung<br />

im Nahen und Mittleren Osten<br />

5 . . . . . . . . .<br />

Von Niels Annen, Mitglied des Deutschen Bundestages aus Hamburg und Inken Wiese, Islamwissenschaftlerin<br />

aus Berlin<br />

10 . . . . . . . .<br />

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25 . . . . . . . .<br />

30 . . . . . . . .<br />

Wie die Beiträge in diesem Heft zeigen, ist die sogenannte Konfliktregion des<br />

Mittleren Ostens von mehr als einem Konflikt gekennzeichnet. Es handelt sich dabei<br />

unter anderem um Konflikte über territoriale Souveränität (z.B. Israel-Palästina, Westsahara-Marokko),<br />

um Ressourcen (z.B. Zugang zu Wasser und zu fossilen Energieträgern)<br />

und um die effektive Durchsetzung und Legitimation staatlicher Souveränität, wie das<br />

Problem des Terrorismus zeigt. Ob die Lösung des Israel-Palästina-Konflikts den Schlüssel<br />

zu den anderen Konflikten darstellt, wird in Politik und Wissenschaft heftig debattiert,<br />

da die jeweilige Antwort die politische Strategie in Bezug auf die Region bestimmt. 1<br />

Unstrittig ist, dass es zur Beilegung all dieser Konflikte der Anstrengungen der internationalen<br />

Gemeinschaft und aller regionalen Akteure bedarf; auch die Konferenz in Annapolis<br />

im vergangenen Jahr folgte dieser Erkenntnis. 2 Diskutiert wird jedoch das genaue<br />

Setting dieser multilateralen Bemühungen. So entscheidet die Auswahl der beteiligten<br />

Akteure auch über die Konflikte, die angegangen werden sollen.<br />

Es mehren sich die Stimmen, die fordern, dass die verschiedenen, aber grundlegenden<br />

Konflikte eine zusammenhängende regionale Strategie verlangen, bei der Gemeinsamkeiten<br />

(z.B. ökonomische Kooperationsvorteile, gemeinsame Nutzung knapper<br />

Wasserressourcen) hervorgehoben und genutzt werden sollten. Dies folgt der Logik des<br />

Plussummenspiels basierend auf Kants Idee des Friedens durch Kooperation. Zwei dieser<br />

multilateralen Ansätze, die – wenn auch vor sehr unterschiedlichem Hintergrund –<br />

momentan diskutiert werden, sollen hier kurz beleuchtet werden. 3 Es handelt sich dabei<br />

zum einen um die Idee einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren<br />

und Nahen Osten (KSZMNO) nach dem Vorbild der KSZE. Zum anderen hat sich der<br />

französische Präsident Nicolas Sarkozy mit der Idee einer Mittelmeerunion hervorgetan,<br />

35 . . . . . . . .<br />

40 . . . . . . . .<br />

1<br />

Siehe dazu auch den Beitrag von Asseburg und Steinberg in diesem Heft sowie Andrä Gärber: Der Nahe/Mittlere<br />

Osten und Nordafrika: Die blockierte Region am Scheideweg, Kompass 2020, Friedrich-Ebert-Stiftung,<br />

Januar 2007.<br />

2<br />

Die Notwendigkeit eines internationalen Engagements ist nicht zuletzt auch in den hohen Kosten einer Konfliktlösung<br />

begründet, die nicht allein auf den Schultern der Konfliktparteien verteilt werden können. Interessante<br />

Berechnungen dazu finden sich bei Arie Arnon / Saeb Bamya (Hrsg.): Economic Dimensions of a<br />

Two-State Agreement Between Israel and Palestine, Aix Group, November 2007.<br />

3<br />

Die Autoren danken Anja Hornig für die Aufbereitung der Quellen.


35<br />

die er zu einem der Schwerpunkte der französischen EU-Ratspräsidentschaft ab Juli 2008<br />

machen möchte.<br />

. . . . . . . . . . . . 1<br />

Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten<br />

(KSZMNO)<br />

Basierend auf dem Gedanken, dass Sicherheit unteilbar ist und daher selektivunilateralistisches<br />

Vorgehen durch eine Strategie der gemeinsamen Sicherheit für alle<br />

Konfliktparteien im Mittleren und Nahen Osten zu ersetzen ist, ist ein zentrales Ziel dieser<br />

Initiative die Schaffung einer umfassenden massenvernichtungswaffenfreien Zone im<br />

Mittleren Osten. Neu ist diese Idee zwar nicht, doch scheiterte sie bisher stets an den<br />

maximalistischen Forderungen und Vorbedingungen der Konfliktparteien und der Nicht-<br />

Anerkennung Israels durch zahlreiche arabische Staaten. Gerade die jüngsten nukleartechnologischen<br />

Bemühungen des Iran bringen der Debatte jedoch wieder Aufschwung.<br />

Die Idee einer KSZMNO orientiert sich an der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit<br />

in Europa (KSZE), der es in den 1970er Jahren gelang, in Form einer institutionalisierten<br />

Konferenz ein neues Forum für Dialog mit offenem Ausgang zu schaffen und<br />

damit zur Schaffung eines neuen Friedensbegriffs verhalf, der um ökonomische und ökologische<br />

Aspekte, um Achtung und Förderung der Menschenrechte sowie um Abrüstung erweitert<br />

war. Dadurch gelang es, über die Jahre ein vertrauensvolles Klima und gegenseitige<br />

Akzeptanz durch den Topos der „gemeinsamen Sicherheit“ zu schaffen. Zu den wichtigsten<br />

Errungenschaften der KSZE gehörte die Anerkennung der territorialen Integrität aller Teilnehmerstaaten<br />

und damit die Unveränderbarkeit bestehender Grenzen sowie die Verpflichtung<br />

auf die internationalen Menschenrechte bei gleichzeitiger Nichteinmischung in<br />

innere Angelegenheiten anderer Staaten. Vordergründig waren somit die Ziele der Sowjetunion<br />

und ihrer Partnerländer erreicht, doch ermöglichte die Verpflichtung auf die Menschenrechte<br />

es den Zivilgesellschaften der Staaten Mittel- und Osteuropas später, sich auf<br />

diese zu berufen, was zur Bildung zahlreicher bürgerrechtlicher Bewegungen führte.<br />

Die zentrale Voraussetzung zum Gelingen einer ähnlichen Konferenz im Nahen<br />

und Mittleren Osten ist zunächst die Bereitschaft der Kernstaaten der Region zur Teilnahme,<br />

darunter Israel. Ihre Teilnahme darf nicht an Vorbedingungen geknüpft sein. Daneben<br />

können auch periphere Akteure wie Staaten Zentralasiens beteiligt werden, doch<br />

wird dies zunächst der Dynamik des Konferenzprozesses überlassen. Für eine solche<br />

Initiative, die unter anderem von Heidemarie Wieczorek-Zeul, Hans-Dietrich Genscher<br />

und internationalen NGOs wie IALANA und IPPNW unterstützt wird, spricht zunächst,<br />

dass es eines regionalen Ordnungsrahmens für die Beilegung grenzüberschreitender<br />

Konflikte bedarf. Als regionales Forum wäre es auch frei von dem Vorwurf, ein Versuch<br />

externer Akteure zu sein, die Region in eigenem Interesse neu zu ordnen. Überhaupt<br />

wäre es ein wirkungsvoller politischer Rahmen, der extremistischen Ideologien den<br />

Boden entziehen würde.<br />

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36<br />

Ansätze und Modelle multilateraler Konfliktlösung im Nahen und Mittleren Osten von Niels Annen und Inken Wiese<br />

1 . . . . . . . . .<br />

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10 . . . . . . . .<br />

15 . . . . . . . .<br />

Allerdings hinkt der Vergleich mit der KSZE insofern, als es sich in Europa um<br />

einen Kalten Krieg handelte, während es im Nahen und Mittleren Osten noch immer zu<br />

tatsächlichen Kampfhandlungen kommt. Anders als die KSZE-Teilnehmer, die ja an<br />

einem Erhalt des territorialen Status Quo interessiert waren, geht es im Nahen Osten<br />

außerdem gerade um eine Veränderung der Ausgangslage. Zudem könnten die Nebeneffekte<br />

der KSZE in Form von Schaffung von Transparenz, Öffnung und Demokratisierung<br />

abschreckend auf einige autoritäre Regime in der Region wirken. Der deutsche<br />

Nahostexperte Volker Perthes meint daher, dass vor der Entstehung einer KSZMNO zunächst<br />

wesentliche Territorialkonflikte auf den Weg zu einer friedlichen Regelung gebracht<br />

müssen werden. Diesen Bedenken schließt sich auch Außenminister Steinmeier<br />

an, der jedoch grundsätzlich Offenheit für die Idee der KSZMNO zeigt. Grundsätzlich ist<br />

also festzuhalten, dass das Ziel einer grenzübergreifenden Kooperation zur Lösung<br />

grenzübergreifender Konflikte im Nahen und Mittleren Osten unerlässlich sein wird. An<br />

den Details einer institutionalisierten multilateralen Konferenz muss jedoch sowohl auf<br />

staatlicher als auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene noch gefeilt werden. Hier kann sich<br />

auch die SPD mit ihren internationalen Netzwerken konstruktiv einbringen.<br />

20 . . . . . . . .<br />

25 . . . . . . . .<br />

30 . . . . . . . .<br />

35 . . . . . . . .<br />

Union für das Mittelmeer<br />

Seit dem vergangenen Jahr geistert der Begriff der „Mittelmeerunion“ durch<br />

die Medien und mittlerweile auch durch die deutsche Politik. Geprägt und vorangetrieben<br />

durch den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy sollte den Mittelmeeranrainerstaaten<br />

durch den Rückgriff auf das Wort „Union“ eine scheinbar engere Kooperation<br />

mit der EU in Aussicht gestellt werden. Durch diesen Vorstoß sollte nicht nur der Einfluss<br />

Frankreichs in der Region gestärkt werden. Insbesondere die Türkei befürchtete sicherlich<br />

nicht grundlos, dass dahinter eine Vertröstungsstrategie für eine Absage an einen<br />

EU-Beitritt steht. Sarkozys Hauptargument war jedoch, dass die bisherige Nachbarschaftspolitik<br />

der EU mit den Mittelmeerstaaten auf der Basis des sogenannten Barcelona-Prozesses<br />

nicht funktioniere. 4 Insbesondere die Terrorismusbekämpfung, Maßnahmen gegen<br />

illegale Migration sowie die wirtschaftliche und demokratische Entwicklung des<br />

Mittelmeerraums sollten auf eine neue, effizientere Grundlage gestellt werden.<br />

Anders als im Rahmen des Barcelona-Prozesses sollten nach Frankreichs Vorstellung<br />

jedoch nur die Mittelmeeranrainer zu den beteiligten Kernstaaten gehören. Die<br />

Reaktionen auf den französischen Vorschlag variierten daher zunächst auch zwischen<br />

skeptischer Zurückhaltung bis zu absoluter Ablehnung. Insbesondere die deutsche Regierung,<br />

aber auch ost- und mitteleuropäische Staaten zeigten sich kritisch. Wegen der<br />

40 . . . . . . . .<br />

4<br />

Für eine Bewertung des Barcelona-Prozesses siehe Irene Weipert: Neue Reformdynamik durch neue Strategien?<br />

Die Europäische Nachbarschaftspolitik im südlichen Mittelmeerraum, Stiftung Wissenschaft und Politik,<br />

Diskussionspapier der FG 6, April 2006.


37<br />

besonderen Rolle, die Algerien in dieser Union einnehmen sollte, waren sogar Staaten<br />

wie Marokko und Libyen verprellt. Erst als Italien und Spanien, die zunächst vor einer<br />

Spaltung der EU durch einen solchen Schritt gewarnt hatten, sich im Dezember 2007 für<br />

die Idee erwärmen konnten, gewann die Debatte an Dynamik.<br />

Die Kritik Deutschlands verhallte jedoch nicht ungehört. Nach jüngsten Gesprächen<br />

zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy im Februar 2008 begann<br />

man mit der Erarbeitung eines gemeinsamen Kompromissvorschlages, der die Einbettung<br />

in bestehende EU-Strukturen vorsieht. Zudem soll das Konzept unter dem<br />

neuen Titel „Union für das Mittelmeer“ unter der Beteiligung aller EU-Staaten eng in den<br />

Barcelona-Prozess eingebunden sein. Die gehobene Rolle der Mittelmeeranrainerstaaten<br />

wird sich vermutlich nur in der Einsetzung eines Sekretariats mit 20 Mitarbeitern widerspiegeln,<br />

das von zwei Direktoren aus je einem Vertreter der EU-Mittelmeeranrainer und<br />

einem Nicht-EU-Anrainerstaat geleitet werden soll. Über die genauen Inhalte, Themen<br />

und zusätzliche Finanzmittel für diese „Union“ liegen noch keine Informationen vor.<br />

Bis zur für den 13. Juli 2008 geplanten feierlichen Verabschiedung der „Union<br />

für das Mittelmeer“ verbleibt nur noch wenig Zeit für die Entwicklung von konkreten<br />

Projekten und politischen Texten. Bis dahin mangelt es aber nicht an Konfliktpotenzial:<br />

So erfüllt Libyen, das der Union beitreten soll, bisher nicht die für den Barcelona-Prozess<br />

geltende Aufnahmebedingung im Bereich des UN-Menschenrechtsschutzes. Auch die<br />

Türkei hat kaum Interesse an einer Festigung einer EU- Parallelstruktur. Und Marokko<br />

strebt ausgerechnet im zentralen Bereich der Migrationspolitik bilaterale Abkommen an.<br />

. . . . . . . . . . . . 1<br />

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Ausblick<br />

Die beschriebenen Modelle für multilaterale Konfliktlösung im Nahen und<br />

Mittleren Osten verfolgen unterschiedliche Strategien für ähnliche und nicht voneinander<br />

trennbare Probleme. Beide Konzepte bekennen sich zur Verantwortung der internationalen<br />

Gemeinschaft für die Region und nutzen den grenzübergreifenden Charakter<br />

dieser Herausforderungen als Chance für Öffnung und Zusammenarbeit. Doch während –<br />

wie bereits der Barcelona-Prozess gezeigt hat – die „Union für das Mittelmeer“ europäische<br />

Interessen in der Mittelmeerregion in den Mittelpunkt stellen wird, verfolgt die KSZMNO<br />

eine Strategie, in der die Sicht der Konfliktpartner im Zentrum stehen. Die Nachhaltigkeit<br />

und Akzeptanz der Arbeitsergebnisse für den Gesamtprozess gilt es daher aufmerksam<br />

zu verfolgen. Die Kunst wird jedoch darin bestehen, dass diese neuen Projekte Fehler<br />

und Schwächen bereits bestehender Strukturen wie dem Nahost-Quartett und der<br />

UN nicht kopieren, sondern darüber hinausgehen, ohne sie zu schwächen. Nur so können<br />

wir der Interdepedenz der politischen, ökonomischen, wirtschaftlichen, sozialen<br />

und ökologischen Aspekte gerecht werden, ohne die es sowohl nördlich als auch südlich<br />

des Mittelmeers dauerhaft keine Sicherheit geben wird.<br />

. . . . . . . . . . . 25<br />

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38<br />

Frieden durch Entwicklung von Heidemarie Wieczorek-Zeul<br />

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Frieden durch Entwicklung<br />

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Von Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung<br />

„Ohne Frieden keine Entwicklung. Ohne Entwicklung keinen Frieden.“ Diese<br />

Worte von Willy Brandt sind für mich ein Leitgedanke, der meine Arbeit, schon lange bevor<br />

ich Entwicklungsministerin wurde, maßgeblich beeinflusst hat. In den meisten Konfliktregionen<br />

der Welt ist der Zusammenhang von Armut, sozialer Ungerechtigkeit und<br />

gewalttätigen Auseinandersetzungen offensichtlich. Mehr als die Hälfte der 38 ärmsten<br />

Länder befinden sich in einem bewaffneten Konflikt.<br />

Der Nahost-Konflikt ist hoch komplex. Im Kern ist er eine Auseinandersetzung<br />

zwischen Israelis und Palästinensern um Staatlichkeit und Sicherheit, um Grenzen, Land<br />

und auch um Wasser. Ohne Zweifel sind die Kriege und ungelösten Teilkonflikte Ursache<br />

für Armut und fehlende Entwicklung in der Region. Und längst sind die Lasten der Kriege,<br />

die Armut und Fehlentwicklungen wiederum ein wichtiger Grund für die Verschärfung<br />

des Konflikts. Der Wahlsieg der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen hängt auch mit<br />

der Wut und Verzweifelung der Menschen über ihre soziale Situation zusammen.<br />

Wohl in keiner anderen Region der Welt hat der Ansatz, dass Entwicklungspolitik<br />

Friedenspolitik ist, mehr Bedeutung als im Nahen Osten. Angesetzt werden muss bei<br />

den Ursachen und Strukturen. Aufgabe der deutschen, europäischen und internationalen<br />

Entwicklungszusammenarbeit ist es, Wege aus der Gewalt aufzuzeigen. Das geht nur<br />

durch Zusammenarbeit, letztendlich auch auf der Ebene der Konfliktparteien.<br />

Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern wird sich nur auflösen,<br />

wenn beide Seiten in ihren jeweiligen Staaten sicher und selbstbestimmt leben und sich<br />

frei bewegen können. Schon zu meinen Juso-Zeiten haben die Jungsozialistinnen und<br />

Jungsozialisten die Anerkennung der PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation)<br />

gefordert, weil wir von der Zwei-Staaten-Lösung überzeugt waren. Damals, Mitte der<br />

1970er Jahre, haben wir mit diesem Vorstoß einen Riesenwirbel ausgelöst.<br />

Die Vorrausetzungen für Frieden im Nahen Osten sollten heute bekannt sein.<br />

Die Fehler des Oslo-Vertrags dürfen sich nicht wiederholen. Endstatusverhandlungen<br />

dürfen nicht aufgeschoben werden. Es geht um die Festlegung fairer Grenzverläufe. In<br />

Bezug auf Jerusalem und die palästinensischen Flüchtlinge muss eine für alle akzeptable<br />

Lösung gefunden werden. Darüber hinaus muss der Siedlungsbau gestoppt werden, da<br />

er ein wesentliches Hindernis auf dem Weg zum Frieden darstellt.<br />

Bei meiner Reise nach Israel und Palästina Ende Februar 2008 habe ich versucht<br />

festzustellen, wie weit der Friedensprozess nach der Konferenz von Annapolis fortgeschritten<br />

ist und wie weit die Ergebnisse der Pariser Geber-Konferenz vom Dezember<br />

2007 real umgesetzt werden. Ich bin mit nicht allzu viel Hoffnung zurückgekommen.


39<br />

Vorrausetzung für einen fairen Friedensabschluss ist nicht nur das Ende der<br />

Gewalt, die in jüngster Zeit einmal mehr eskaliert ist. Voraussetzung ist auch, dass sich<br />

die Verhandlungspartner ehrlich, offen und bereit zu Versöhnung begegnen können. Hamas<br />

muss die Angriffe gegen Israel einstellen. Israel muss die Blockade des Gazastreifens<br />

aufheben und sich aus der Westbank zurückziehen. Letzteres hat Israel immer wieder mit<br />

dem Hinweis abgelehnt, die Palästinensische Autonomiebehörde sei nicht in der Lage,<br />

Sicherheit zu gewährleisten. Mit dieser Argumentation bringt die Regierung Olmert die<br />

Palästinenser und sich selbst in ein unlösbares Dilemma. Denn Sicherheit gewährleisten<br />

und Terror verhindern, kann ein Staat nur dann, wenn er die Kontrolle über sein Gebiet<br />

hat – und im Falle Gazas muss das auch heißen: Kontrolle der Autonomiebehörde über<br />

die eigenen Grenzen und den Handel mit den Nachbarn.<br />

Sicherheit im Nahen Osten hat nicht nur militärische, sondern auch politische,<br />

soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte. Kein palästinensische Verwaltung kann<br />

Sicherheit gewährleisten, solange beispielsweise die Reisefreiheit innerhalb der Westbank<br />

durch Absperrungen und Zugangsregelungen einschränkt ist, solange der Gazastreifen<br />

abgeriegelt ist, und Israel den Handel zwischen den palästinensischen Gebieten und<br />

ihren Nachbarländern erschwert oder sogar verhindert.<br />

Hier liegt ein wichtiger Ansatzpunkt von Entwicklungszusammenarbeit. Unsere<br />

entwicklungspolitischen Vorhaben sind darauf gerichtet, dass ein palästinensischer Staat<br />

entsteht, der die Verantwortung für sein Staatswesen übernehmen kann. Ohne einen<br />

derartigen Staat wird es keinen nachhaltigen Frieden geben können. Die internationale<br />

Gemeinschaft ist jedenfalls dazu bereit, mit beträchtlichen finanziellen Mitteln die Not<br />

der Palästinenserinnen und Palästinenser zu lindern und den Friedensprozess zu unterstützen.<br />

Das hat auch die internationale Geberkonferenz im Dezember 2007 in Paris<br />

gezeigt.<br />

Die Europäische Union unterstützt die palästinensischen Behörden bereits in<br />

erheblichem Umfang, um Dienstleistungen für die Bevölkerung zur Verfügung zu stellen.<br />

An sozial Bedürftige und öffentliche Bedienstete von Schulen und Krankenhäusern hat<br />

die EU 2006 und 2007 insgesamt 615 Mio. Euro Soforthilfe geleistet. Die EU wird in Zukunft<br />

auch den Aufbau einer modernen Polizei unterstützen. Die Zusammenarbeit in den<br />

Bereichen Gute Regierungsführung und Finanzverwaltung sowie Förderung der palästinensischen<br />

Wirtschaft und des Handels stehen ebenfalls auf dem Programm. Gleichzeitig<br />

leistet Deutschland direkte Hilfe für die Menschen in der Westbank und Gaza in Bereichen<br />

Einkommen, Bildung, Wasser und Umweltschutz. Die Bundesregierung wird bis<br />

zum Jahr 2010 rund 200 Mio. Euro für konkrete Projekte im Rahmen des Reform- und<br />

Entwicklungsplans der palästinensischen Regierung zu Verfügung stellen und so den<br />

Friedensprozess unterstützen.<br />

Die deutsche Entwicklungspolitik hat zudem ein spezifisches Instrumentarium<br />

entwickelt, um direkt zur Bearbeitung von Konflikten beizutragen. Gemeint ist der Zivi-<br />

. . . . . . . . . . . . 1<br />

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Frieden durch Entwicklung von Heidemarie Wieczorek-Zeul<br />

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le Friedensdienst. Seit 1999 wurden zahlreiche Friedensfachkräfte in die Palästinensischen<br />

Gebieten entsandt. Förderung von Friedensallianzen und Reintegration der von<br />

der Gewalt besonders betroffenen Gruppen in den Friedensprozess sind die Hauptziele<br />

des umfangreichsten Programms des Zivilen Friedensdienstes weltweit.<br />

Eine besondere Arbeit leistet auch das von den <strong>Jusos</strong> mitgetragene und vom<br />

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützte<br />

Willy Brandt Zentrum in Jerusalem, das seit nun schon 12 Jahren zur Verständigung zwischen<br />

jungen Menschen aus Israel, Palästina und Deutschland beiträgt und unablässig<br />

für Gewaltverzicht und Dialog wirbt.<br />

Im Nahen Osten geht es nicht nur um Staatsbildung und Land, sondern auch<br />

um Ressourcen, nicht nur um Öl, sondern auch um Wasser. Das betrifft die gesamte Region:<br />

Seit den 1960er Jahren schwelt zwischen Türkei, Syrien und Irak ein Konflikt über<br />

das Wasser des Euphrats. Das Nilwasser war immer wieder Zankapfel zwischen Ägypten<br />

und Sudan.<br />

Konfliktpotenzial bietet das offensichtliche Ungleichgewicht sowie die starke<br />

Übernutzung der Wasserressourcen. Der Pro-Kopf-Wasserverbrauch ist in Israel fünfmal<br />

so hoch wie in den palästinensischen Gebieten und immerhin noch mehr als doppelt so<br />

hoch wie in Jordanien. Der Pegel des Toten Meeres sinkt jährlich um rund einen Meter,<br />

gespeist wird es vom Jordan, aus dem Israel, Jordanien und die Palästinenser ihr Wasser<br />

entnehmen. Hinzu kommt eine unzureichende Abwasseraufbereitung. Viele der palästinensischen<br />

Städte und Dörfer leiten ihr Abwasser ungefiltert in die Flüsse ein.<br />

Eine grenzüberschreitende Wasserkooperation, die auf eine nachhaltige Wassernutzung<br />

setzt, tut also dringend Not. Erfahrungen zeigen, dass grenzüberschreitende<br />

Kooperationen Konflikte merklich mindern, vor allem aber zu einer nachhaltigeren<br />

Nutzung führen. So haben sich beispielsweise die zehn Nilanrainer in der von Deutschland<br />

unterstützten Nilbecken-Initiative auf ein nachhaltiges Wassermanagement verständigt.<br />

Im Nahen Osten berät Deutschland gemeinsam seit 2005 beim Aufbau<br />

zwischenstaatlicher Arbeitsgruppen zur Bewirtschaftung grenzüberschreitender Grundwasserreservoirs.<br />

Regionale Expertentreffen fördern den Wissens- und Erfahrungsaustausch.<br />

Viel versprechend sind auch die Projekte der grenzüberschreitenden Umweltschutzorganisation<br />

Friends of the Earth Middle East. Ein israelischer Anwalt, ein palästinensischer<br />

Umweltingenieur und ein jordanischer Architekt haben die Umweltgruppe<br />

1994 gegründet. Deutschland unterstützt das Projekt „Gute Wasser-Nachbarschaft“: Dabei<br />

haben sich 17 palästinensische, jordanische und israelische Ufergemeinden des Jordans<br />

zusammengetan, um zu lernen, wie sie Wasser sparen oder aufarbeiten können. Ein<br />

anderes Projekt der Umweltschutzorganisation bringt palästinensische, jordanische und<br />

israelische Schüler in Sommerlagern zusammen, wo sie gemeinsam über das Wasserproblem<br />

lernen können.


41<br />

Diese Beispiele zeigen, dass auch ein klassisches Feld der Entwicklungspolitik,<br />

wie die Wasserversorgung, einen Beitrag zum friedlichen Miteinander leisten kann. Häufig<br />

begegnen sich bei diesen Projekten die vermeintlichen Feinde das erste Mal. Das<br />

gemeinsame Ziel verbindet; bei der praktischen Zusammenarbeit können Menschen aufeinander<br />

zugehen. Diese Erfahrungen müssen wir noch mehr nutzen. Denn aus Konfliktpotenzial<br />

kann Kooperationspotenzial werden. Aus Zusammenarbeit kann Frieden<br />

erwachsen.<br />

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Von Oslo über Camp David nach Annapolis – Neue Hoffnung für den Nahen Osten? von Roby Nathanson<br />

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Von Oslo über Camp David nach Annapolis 1<br />

Neue Hoffnung für den Nahen Osten?<br />

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Von Roby Nathanson, Leiter des MACRO Center for Political Economics in Tel Aviv.<br />

Ende November fand im US-amerikanischen Anapolis eine israelisch-palästinensische<br />

Konferenz statt. Unser Autor erinnert gleichsam als Nachtrag an bislang vergebliche<br />

Friedensbemühungen und formuliert vier zentrale Parameter für ein Memorandum<br />

of Understanding.<br />

Die Israelis glaubten nach dem Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967, die Zeit würde<br />

für sie arbeiten: Je länger man die Besatzung der Westbank, der Golanhöhen und des<br />

Sinai aufrecht erhalte, desto eher werde sie zu einem fait accompli. Der Jom-Kipur-Krieg<br />

1973 bewies das Gegenteil. Israel musste die Sinai-Halbinsel an Ägypten abgeben. Dies<br />

geschah im Rahmen eines umfangreichen Friedensabkommens, welches eine wichtige<br />

Basis für eine dauerhafte Lösung des Nahostkonflikts darstellt. Im Lauf der 70er und 80er<br />

Jahre wollte Ariel Sharon in den besetzten palästinensischen Gebieten Tatsachen schaffen,<br />

um einen territorialen Kompromiss in absehbarer Zeit auszuschließen. Er nahm an,<br />

die arabische Welt werde mit der Entwicklung alternativer Energiequellen langfristig an<br />

wirtschaftlicher und politischer Macht verlieren, und deshalb sei es für Israel sinnvoll,<br />

die Verhandlungen mit den Palästinensern über eine langfristige Lösung um zwei Generationen<br />

zu verschieben. Man müsse nur militärisch und wirtschaftlich durchhalten, bis<br />

der richtige Zeitpunkt für Verhandlungen gekommen sei.<br />

Auch die Palästinenser und ihre Verbündeten in der arabischen Welt glauben,<br />

die Zeit arbeite für sie, denn die demografische Entwicklung verläuft zu ihren Gunsten.<br />

Das verheißt aus ihrer Sicht den Verschleiß des jüdischen Charakters Israels und lässt die<br />

Option für einen Staat mit einer palästinensischen Mehrheit vom Jordan bis zum Mittelmeer<br />

realistisch erscheinen. Das Prinzip des Oslo-Abkommens von 1993 war es, zunächst<br />

eine Einigung in den damals verhandelbaren Punkten zu erzielen. Die Lösung der Kernprobleme<br />

des Konfliktes – der Status Jerusalems, die endgültigen Grenzen und die<br />

Flüchtlingsfrage – sollten auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Den Kern<br />

dieser nur partiellen Lösung bildete die gegenseitige Anerkennung der PLO und Israels<br />

sowie die Gründung der PALESTINIAN AUTHORITY. Doch sowohl Sharon als auch die<br />

Palästinenser und die Architekten von Oslo irrten in ihrer Einschätzung des Faktors Zeit.<br />

Sharon irrte, denn die Einnahmen aus dem Ölgeschäft bleiben auf absehbare Zeit die<br />

Haupteinnahmequelle der arabischen Welt, deren Wert sogar zugenommen hat. Vierzig<br />

Jahre sind seit der Besetzung der Palästinensergebiete vergangen, und der Widerstand ist<br />

40 . . . . . . . .<br />

1<br />

Dieser Artikel erschien im Dezember 2007 in „Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte“.


43<br />

seitdem nur gewachsen. Dies zeigte sich wiederholt bei der zweiten Intifada von 2000,<br />

welche die mutigen Schritte Arafats in Oslo unterminierte. Sie hat für die Palästinenser<br />

keinerlei Nutzen gebracht, und dennoch bewiesen, dass ein fait accompli der dauerhaften<br />

Besetzung der Westbank und des Gaza-Streifens durch israelische Siedlungspolitik<br />

ausgeschlossen ist. Dies veranlasste Sharon, den einseitigen Rückzug aus dem Gazastreifen<br />

einzuleiten. Dasselbe war für die Westbank geplant, dann jedoch wieder verschoben<br />

worden. Und auch die Palästinenser irrten, denn sie hatten den bedeutenden Einfluss<br />

der Einwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion (1989-1994) nach Israel nicht berücksichtigt.<br />

Die Einwohnerzahl Israels ist auf knapp sieben Millionen gestiegen, darunter<br />

20 % Nicht-Juden. In Zukunft werden weitere Einwanderungswellen erwartet. Das<br />

hat Israel das nötige Selbstvertrauen verschafft, territoriale Kompromisse schließen zu<br />

können, ohne sich existenziell bedroht fühlen zu müssen. Außerdem lagen die Palästinenser<br />

falsch in der Annahme, die israelische Bevölkerung werde mit der Zeit eine Kompromisslösung<br />

ausschließen. Dies hat unter anderem zum Bau der Mauer geführt und<br />

wird noch weitreichendere Folgen haben. Der Zugang von Palästinensern zum israelischen<br />

Arbeitsmarkt ist weitgehend beschränkt. Möglichkeiten einer wirtschaftlichen<br />

Kooperation – etwa dem EU-Modell entsprechend – sind unrealistisch. Den Preis dafür<br />

zahlt die palästinensische Zivilbevölkerung in den Flüchtlingslagern der autonomen<br />

Gebiete, im Libanon und in Jordanien. Schließlich irrten auch die Architekten von Oslo.<br />

Es hatte verheerende Folgen für die Fortpflanzung des „positiven Momentums“ von<br />

1993, dass die Lösung der Kernprobleme hinausgeschoben wurde. Radikale auf beiden<br />

Seiten nutzten die Chance, ihre Kräfte zu sammeln, und setzten alle Mittel ein, um die<br />

Hoffnung auf eine friedliche Lösung im Nahen Osten zu zerschlagen. In der Folge forderten<br />

Selbstmordattentate und Anschläge unzählige zivile Opfer. Ein schneller Übergang<br />

von der Unterzeichnung der Verträge zu einer Dauerlösung hätte diese Entwicklung<br />

verhindern können. Abzuwarten bis die Zeit „reif“ ist, zahlt sich im Nahen Osten<br />

nicht aus.<br />

Neue Spieler sind auf den Plan getreten<br />

Der Iran hat an Einfluss gewonnen, vor allem auf die Hamas. Die ging als Sieger<br />

aus den Parlamentswahlen von 2006 hervor und eröffnete Kräften von außerhalb die<br />

Möglichkeit zur Einflussnahme. Der Einmarsch der USA in den Irak im Jahr 2003 verschaffte<br />

George W. Bush eine zentrale Rolle in der Region, während das Ansehen Amerikas<br />

als fairer Vermittler in den Augen der Welt starken Schaden nahm. Die Herausforderung<br />

des islamischen Fundamentalismus an die gemäßigten Kräfte in der arabischen<br />

Welt motiviert weitere Länder dazu, eine aktive Rolle im Konflikt zu suchen. Dazu gehört<br />

unter anderem Saudi-Arabien, das mit einem ausgewogenen Plan seinen Teil beisteuern<br />

will. Der israelisch-palästinensische Konflikt zeigt sich nunmehr geprägt von den amerikanischen<br />

Interessen in der Region: die Rolle des Irak und die Auswirkungen eines mög-<br />

. . . . . . . . . . . . 1<br />

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44<br />

Von Oslo über Camp David nach Annapolis – Neue Hoffnung für den Nahen Osten? von Roby Nathanson<br />

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40 . . . . . . . .<br />

lichen Truppenabzugs, weiterhin die Besorgnis über eine Expansion iranischer Interessen<br />

über Syrien, Libanon und die Hamas hinaus. Die gemäßigten arabischen Länder hoffen<br />

weiterhin, durch eine Lösung des Konflikts die fundamentalistischen Spannungen<br />

auf eigenem Territorium entschärfen zu können. Die Situation ist durch die Lage im Irak,<br />

den zweiten Libanonkrieg und die Spaltung der palästinensischen Gebiete zwischen<br />

Gaza und Westbank – zwischen „Hamas-Land“ und „Fatah-Land“ – geprägt.<br />

Ein möglicher Abzug der Amerikaner aus dem Irak könnte entscheidende Folgen<br />

haben, vor allem, wenn das dadurch entstehende Vakuum von radikalen Kräften gefüllt<br />

würde. Eine Stärkung der Hizbollah im Libanon und eine mögliche Konfrontation<br />

oder ein Abkommen mit Syrien würden eine dauerhafte Lösung weiter verzögern. Die<br />

palästinensische Einheitsregierung scheiterte wegen der blutigen Übernahme des Gaza-<br />

Streifens durch die Hamas schon nach wenigen Wochen. Als Folge der Vertreibung der<br />

Fatah aus Gaza bildete Mahmoud Abbas eine Übergangsregierung und ließ verlauten, die<br />

Regierung von Ismail Haniye (Hamas) habe ihre Legitimation verloren. Das eröffnete<br />

Israel, der EU und den USA die Möglichkeit, mit dem gemäßigten Mahmoud Abbas zu<br />

verhandeln und ihn gleichzeitig zu stärken. Zunächst ließ Israel eine bedeutende Anzahl<br />

von Gefangenen frei. Dann wurden die eingefrorenen Steuereinnahmen an die PALESTI-<br />

NIAN AUTHORITY freigegeben. Einschränkungen im Personenverkehr wurden gelockert<br />

und die Sicherheitskräfte der PLO ausgebildet und mit Waffen ausgestattet. Dies sind<br />

jedoch nur kosmetische Maßnahmen. Ein bedeutender politischer Schritt mit konkreten<br />

Ergebnissen wäre erforderlich, damit Abbas die breite Unterstützung der palästinensischen<br />

Bevölkerung erführe. Die Isolation der Hamas im Gazastreifen wird bislang als<br />

amerikanisch-israelischer Versuch zur Spaltung palästinensischer nationaler Einheit gesehen.<br />

Die Hamas strebt die Gründung eines islamistischen Staates an, dessen politische<br />

Hegemonie konsolidiert werden soll. Das sollte jedoch die Möglichkeit zu einem beschränkten<br />

Dialog mit der Hamas über dringend anstehende Themen nicht von vornherein<br />

ausschließen. Eine Lösung ohne die Einbeziehung des Gaza-Streifens ist auch<br />

nach Annapolis kaum vorstellbar. Eine Möglichkeit, die Hamas in den politischen Prozess<br />

mit einzubinden, wäre, zunächst einen Waffenstillstand zu erzielen. Dann müsste<br />

die Hamas beweisen, dass sie als homogene politische Bewegung imstande ist, militärische<br />

Disziplin zu wahren. Desweiteren könnte man einen Gefangenenaustausch realisieren,<br />

der sich auch psychologisch positiv auswirken würde.<br />

Noch ist die Abhängigkeit der Hamas und des Gaza-Streifens vom Iran und<br />

anderen radikalen Kräften nicht sehr groß. Eingeschränkte Verhandlungen mit der Palästinenserführung<br />

in Gaza und gleichzeitige größere Schritte im Einvernehmen mit Mahmoud<br />

Abbas können sich positiv auf das Bestreben aller Beteiligten auswirken, eine dauerhafte<br />

Lösung zu finden. Eine völlige Isolierung des Gaza-Streifens hingegen würde<br />

radikalen Kräften zuspielen. Ein notwendiges Memorandum of Understanding müsste<br />

folgende Parameter beinhalten:


45<br />

Erstens: Den Palästinensern muss freier Verkehr über die Grenzen hinweg gewährt<br />

werden. Auch ein Landtausch wäre vorstellbar, um den Großteil der Siedler unter<br />

israelischer Kontrolle zu halten. In diesem Fall wäre eine territoriale Verbindung (Korridor<br />

oder Tunnel) zwischen Westbank und Gaza-Streifen zwingend notwendig.<br />

Zweitens: Alle Beteiligten, auch die Hamas, müssen sich dazu verpflichten, jegliche<br />

Gewaltanwendung aus dem eigenen Territorium heraus zu unterbinden, also auch<br />

militante Gruppen systematisch zu bekämpfen.<br />

Drittens: Teile von Ost-Jerusalem, die zum Großteil von Palästinensern bewohnt<br />

werden, sollen an die PALESTINIAN AUTHORITY abgetreten werden. Die heiligen<br />

Stätten sollen nicht von den Staaten, sondern von den religiösen Strömungen kontrolliert<br />

werden.<br />

Viertens: Das Recht auf Rückkehr in den zukünftigen palästinensischen Staat<br />

soll gewährt werden. Einer beschränkten Anzahl von Palästinensern soll aus humanitären<br />

und symbolischen Gründen erlaubt werden, sich in Israel niederzulassen. Außerdem<br />

muss ein Kompensationsmechanismus entwickelt werden, der für verlorenen Besitz und<br />

humanitäres Leid entschädigt. Israel soll sich gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft<br />

an einem überregionalen Fond beteiligen. All diese Punkte wurden seit Oslo<br />

oft behandelt, unter anderem bei den gescheiterten Gesprächen von Camp David im<br />

Jahr 2000. Auch die Taba-Verhandlungen von 2001 und die darauf folgende Genfer Initiative<br />

gelangten zu einer ähnlichen Agenda. Sogar Sharon erkannte in den letzten Monaten<br />

seiner Amtszeit und noch vor dem tragischen Verlauf seiner Erkrankung, dass die<br />

eigentliche Lösung im territorialen Kompromiss zu suchen ist. Über diese Ansätze besteht<br />

Konsens in der Öffentlichkeit auf beiden Seiten. In der Zwischenzeit aber wird eine<br />

Chance nach der anderen verspielt. Der Nahe Osten braucht eine Führung, die den Mut<br />

zu Entscheidungen aufbringt und die nicht auf den Faktor Zeit setzt.<br />

. . . . . . . . . . . . 1<br />

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46<br />

Jugend in Israel und Palästina: Gewalt und die Sehnsucht nach Zukunft von Heike Kratt<br />

1 . . . . . . . . .<br />

Jugend in Israel und Palästina:<br />

Gewalt und die Sehnsucht nach Zukunft<br />

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30 . . . . . . . .<br />

35 . . . . . . . .<br />

Von Heike Kratt, Geschäftsführerin des Fördervereins Willy Brandt Zentrum e.V.<br />

Jugend ist die Basis für die Zukunft eines Landes und der Spiegel ihrer Gegenwart.<br />

Damit ist die Auseinandersetzung mit jungen Menschen immer hoch politisch. Im<br />

Mittelpunkt dieses Artikels steht die Lebenssituation von jungen Menschen in Israel und<br />

Palästina. Es soll ein interessanter Einblick gegeben werden, der nicht den Anspruch auf<br />

Vollständigkeit erhebt, sondern anregen soll, mehr zu diesem Thema wissen zu wollen.<br />

Jugend in Palästina: Vier Schlaglichter<br />

1. Jung sein bedeutet in der Mehrheit zu sein, ohne mitbestimmen zu können<br />

Die palästinensische Gesellschaft ist das, was auch für die restliche arabische<br />

Welt ein typisches Kennzeichen ist: sie ist sehr jung. Etwas weniger als ein Drittel der Gesamtbevölkerung<br />

von ca. 3,8 Mio. Palästinensern ist zwischen 15 und 29 Jahre jung. 1<br />

Über die Hälfte der Gesamtbevölkerung ist unter 35 Jahre jung. Diese Mehrheit schlägt<br />

sich nicht in der politischen Beteiligung von jungen Menschen nieder. In entscheidenden<br />

Gremien sind junge Menschen faktisch nicht vertreten, und ihre Möglichkeiten,<br />

wichtige Positionen einzunehmen, sind äußerst begrenzt. Kritisches und eigenständiges<br />

Denken und Selbstverantwortung werden durch autoritäre Strukturen, Nepotismus und<br />

traditionalistisches Denken nicht befördert. Junge Menschen stoßen ständig an Grenzen,<br />

wobei diese häufig gleichzeitig Enge und Sicherheit vermitteln.<br />

2. Für junge Menschen ist Gewalt alltäglich<br />

Die israelische Besatzung ist das prägendste Element der palästinensischen<br />

Lebensrealität. Die Besatzung zeigt sich in Form von Straßen- und Ausgangssperren, in<br />

nächtlichen Hausdurchsuchungen, in der ständigen Präsenz von israelischen Soldaten,<br />

in Erschießungen und Zerstörungen. Junge Menschen leiden besonders unter den Einschränkungen<br />

ihrer Bewegungsfreiheit, die auch oft ihre Ausbildung gefährdet. Die geringe<br />

Mobilität von Menschen und Gütern ist neben Korruption und Vetternwirtschaft<br />

eine der Hauptursachen für die katastrophale wirtschaftliche Lage in den palästinensischen<br />

Gebieten, die den jungen Menschen nur wenige Zukunftsperspektiven offen<br />

lässt. Die erlebte Gewalt traumatisiert insbesondere Kinder und Jugendliche. Die wenigen<br />

psychologischen Hilfsangebote, die es gibt, reichen nicht aus, um diese vielfältigen<br />

1<br />

Diese und die folgenden statistischen Daten sind folgender Quelle entnommen: Palestinian Central Bureau<br />

40 . . . . . . . .<br />

of Statistics u.a. (Hrsg.): Palestine Youth: Figures and Statistics. Ramallah, 2007.


47<br />

Traumata zu bearbeiten. Gewalt geht zudem nicht nur von den Israelis aus, sondern ist<br />

ein großes Problem in palästinensischen Familien und Schulen und allgemein im gesellschaftlichen<br />

Alltag. Gewalt ist als legitimes Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen<br />

durchaus anerkannt und prägt damit stark die Lebenssituation insbesondere junger<br />

Menschen, die häufig beides zugleich sind: Opfer und Täter.<br />

3. Wer jung ist, hat oft keine Arbeit<br />

Über ein Drittel (37%) der Palästinenser im Alter von 15-29 Jahren ist arbeitslos. Die<br />

Mehrheit davon sind junge Frauen. Dieses wirtschaftliche Problem spiegelt sich auch in der<br />

hohen Armutsrate, die 2006 berechnet für eine durchschnittliche Familie mit zwei Erwachsenen<br />

und vier Kindern bei 57% der Haushalte lag. Ein Drittel der 15- bis 29-jährigen denkt<br />

aufgrund der schlechten wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lage darüber nach, das<br />

Land zu verlassen. Klientelismus und Nepotismus sind bei der Arbeitssuche Problem und<br />

Chance zugleich. Für viele junge Menschen ist der Weg über Verwandte, Freunde der Familie<br />

oder Parteifreunde, die ihnen eine Stelle anbieten, die einzige Möglichkeit, eine Arbeitsstelle<br />

zu erhalten. Diese Struktur ist dabei gleichzeitig die Ursache für ungleiche Chancen auf<br />

dem Arbeitsmarkt. Sie befördert eine Auswahl, die sich nicht an der individuellen Leistung<br />

junger Menschen orientiert sondern an ihren familiären oder politischen Verbindungen, was<br />

besonders Frauen benachteiligt und die Professionalisierung des Arbeitsmarktes behindert.<br />

4. Junge Menschen haben Zugang zu Bildung – und auch wieder nicht<br />

Bildung ist ein hohes gesellschaftliches Gut in Palästina, und gleichzeitig ist sie<br />

chronisch unterfinanziert. Die Einschulungsraten für die Grund- und die weiterführenden<br />

Schulen liegen sowohl für Mädchen als auch für Jungen bei über 90%. Gleichzeitig ist die<br />

Zahl derjenigen, die das Bildungssystem ohne Abschluss verlassen, relativ hoch, sie liegt in<br />

der Altersgruppe von 15-29 Jahren bei 31%. Der Hauptgrund für junge Männer, ihren Bildungsweg<br />

nicht zu Ende zu führen, sind schlechte schulische und akademische Leistungen,<br />

wohingegen für junge Frauen der wichtigste Grund die fehlenden finanziellen Mittel der<br />

Familien sind. Das Bildungswesen ist generell unterfinanziert. Es gibt wenig bis gar keine<br />

staatliche Unterstützung für arme Familien. Das hat erstens zur Folge, dass privat finanzierte<br />

islamische Kindergärten und Schulen immer beliebter werden, die den Eltern günstigere<br />

Angebote machen können, und zweitens, dass besonders junge Frauen früher von<br />

der Schule oder der Universität genommen werden, weil es sich die Familien einfach nicht<br />

mehr leisten können, allen ihrer Kinder eine Aus- und Weiterbildung zu ermöglichen.<br />

Jugend in Israel: Vier Schlaglichter<br />

1. Jung sein ist sehr vielfältig<br />

Israel ist eine Demokratie und eine moderne Industrienation. Die Lebensrealität<br />

einer Mehrheit junger Israelis ist in Bezug auf Rahmenbedingungen wie Bewegungs-<br />

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Jugend in Israel und Palästina: Gewalt und die Sehnsucht nach Zukunft von Heike Kratt<br />

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und Meinungsfreiheit, Zugang zu Bildung und modernen Medien, Chancen auf dem<br />

Arbeitsmarkt und Freizeitgestaltung vergleichbar mit den Realitäten vieler junger Menschen<br />

in anderen westlichen Industrieländern. Gleichzeitig gibt es in Israel weit deutlicher<br />

als z.B. in Deutschland „Parallelgesellschaften“, die in völlig anderen Lebenswelten<br />

agieren als die Mehrheit der Bevölkerung. Eine davon ist die Welt der Haredim, der Ultraorthodoxen,<br />

die ein eigenes Schulsystem haben, deren Kinder nicht zum Armeedienst<br />

gehen und die ein völlig anderes, religiös fundamentalistisches Wertesystem haben.<br />

Ultraorthodoxe Kinder und Jugendliche haben keinen Kontakt zu Personen außerhalb<br />

ihrer eigenen Gruppe, sie lesen keine „westlichen“ Zeitungen und Bücher, sie wissen oft<br />

nichts über die Entstehungsgeschichte des Staates Israels oder andere weltgeschichtliche<br />

Ereignisse und Denkansätze. Junge Menschen, die aus dieser Gesellschaft buchstäblich<br />

„aussteigen“, müssen erst mühsam lernen, sich in der Mehrheitsgesellschaft Israels<br />

zurechtzufinden.<br />

2. Junge Menschen werden von Gewalterfahrungen geprägt<br />

15 bis 19% der israelischen Jugendlichen leiden infolge der Terroranschläge an<br />

PTSD-Störungen (Post Traumatic Stress Disorder) und benötigen professionelle Hilfe.<br />

Andere Studien haben herausgefunden, dass ein Viertel von 6000 befragten Kindern und<br />

Jugendlichen in dem Gefühl lebt, sich in ständiger Lebensgefahr zu befinden. Ein Drittel<br />

hat aus Angst vor Terroranschlägen den Schulweg geändert. Gewalttätige Auseinandersetzungen<br />

unter Kindern und Jugendlichen ist ein weit verbreitetes und zunehmendes<br />

Problem ebenso wie die Jugendkriminalität. So liegt Israel in Statistiken über Waffen auf<br />

dem Schulgelände an zweiter Stelle hinter den USA. 2 Eine Studie des Israel Democracy<br />

Institute von 2004 stellt fest, dass 80% der israelischen Jugendlichen zwischen 15 und 17<br />

Jahren eine Tendenz zur Gewalt unter jungen Menschen wahrnehmen. 3 Die Gewalterfahrungen,<br />

die junge Menschen in der Armee machen, sind ein stark tabuisiertes Thema.<br />

Viele junge Menschen verschwinden nach dem Armeedienst für einige Wochen oder<br />

Monate im Ausland, z.B. in Thailand oder Indien, wo sie die Zwänge des Armeedienstes<br />

hinter sich lassen und Gewalterfahrungen verdrängen können.<br />

3. Jung sein heißt, zum Militär zu gehen<br />

Der Militärdienst ist in Israel obligatorisch – es sei denn, man ist ultraorthodox,<br />

palästinensischer Herkunft oder hat gesundheitliche Probleme. 80% der jungen Israelis<br />

zwischen 15 und 17 Jahren haben Vertrauen in die Israelische Armee, damit ist sie für<br />

2<br />

www.dija.de, Länderinfos, Israel, Kultur und Lebensformen. 14.3.2008.<br />

3<br />

Asher Arian, Shlomit Barnea, Pazit Ben Nun: The 2004 Israeli Democracy Index, Auditing Israeli Democracy,<br />

40 . . . . . . . .<br />

Attitudes of Youth. Jerusalem: Israeli Democracy Institute, 2004, S. 58.


49<br />

junge Menschen die vertrauenswürdigste Institution Israels. 4 Etwa gleich hoch ist die Bereitschaft,<br />

in der Armee zu dienen. Junge Männer müssen drei Jahre lang zur Armee und<br />

danach jedes Jahr einmal für einige Wochen, Frauen zwei Jahre. Diese Erfahrung ist<br />

äußerst prägend und vielleicht so etwas wie ein Initiationsritus, der das Erwachsenwerden<br />

markiert. Militärdienstverweigerung gibt es in Israel, sie wird in der Regel mit Gefängnis<br />

bestraft und ist gesellschaftlich nicht anerkannt. Verweigerung gilt nach wie vor<br />

als Verrat an der nationalen Sache. Junge Menschen, die aus Gewissengründen verweigern,<br />

sind deshalb weiterhin einem hohen Druck ausgeliefert.<br />

4. Junge Menschen wollen nicht viel mit Politik zu tun haben<br />

Noch bis Ende der 1990er Jahre wurden politische Meinungen mit Stickern auf<br />

Autos offen und vielfältig ausgetauscht. Diese Art der politischen Meinungsäußerung ist<br />

deutlich seltener geworden. Generell ist das Interesse besonders junger Menschen an<br />

Partei- und Regierungspolitik geringer geworden, wobei immer noch 56% der 15-17jährigen<br />

ein Interesse an Politik im Allgemeinen bekunden. 5 Linke Parteien haben unter jungen<br />

Leuten in den letzten Jahren deutlich an Unterstützung verloren. Etwa die Hälfte der<br />

Jugendlichen bezeichnet sich als rechts oder gemäßigt rechts, verglichen mit 11% links<br />

und 7% gemäßigt links. 6 Generell haben Politiker und Parteien einen sehr schlechten Ruf.<br />

Sie gelten als korrupt und unzuverlässig. Das Wort Politiker ist für viele Jugendlichen<br />

schon fast gleichbedeutend mit einem Schimpfwort.<br />

Schlussfolgerungen<br />

Die Lebenswelten von jungen Israelis und Palästinensern sind trotz gewisser<br />

Überschneidungen wie beispielsweise im Bereich der Gewalterfahrungen sehr unterschiedlich.<br />

Eine seriöse Jugendarbeit, insbesondere wenn es darum geht, mit israelischen<br />

und palästinensischen Jugendlichen gemeinsam zu arbeiten, muss die sehr unterschiedlichen<br />

Voraussetzungen und damit verbundenen unterschiedlichen Bedürfnisse<br />

mit in den Blick nehmen. Eine besondere Herausforderung ist dabei die erhebliche<br />

Machtasymmetrie zwischen den beiden Seiten, die sich nicht nur in der abstrakten<br />

militärischen, wirtschaftlichen und politischen Überlegenheit Israels ausdrückt sondern<br />

ganz konkret in dem ungleichen Zugang zu politischer Beteiligung, Bildung und Rechtsstaatlichkeit.<br />

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4<br />

Asher Arian, Shlomit Barnea, Pazit Ben Nun: The 2004 Israeli Democracy Index, Auditing Israeli Democracy,<br />

Attitudes of Youth. Jerusalem: Israeli Democracy Institute, 2004, S.42.<br />

5<br />

Asher Arian, Shlomit Barnea, Pazit Ben Nun: The 2004 Israeli Democracy Index, Auditing Israeli Democracy,<br />

Attitudes of Youth. Jerusalem: Israeli Democracy Institute, 2004, S.47.<br />

6<br />

www.dija.de, Länderinfos, Israel, Kultur und Lebensformen. 14.3.2008.<br />

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Religionen im Nahen Osten von Tim O. Petschulat<br />

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Religionen im Nahen Osten<br />

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40 . . . . . . . .<br />

Von Tim O. Petschulat, Diplom-Theologe<br />

Einleitung:<br />

Der Nahe Osten ist die Wiege der monotheistischen Religionen Judentum,<br />

Christentum, Islam. Religionen haben hier politisch und sozial immer ein zentrale Rolle<br />

gespielt. Besonders deutlich ist das noch heute in Jerusalem.<br />

Für Juden ist Jerusalem ein Symbol für die Rückkehr in die Heimat nach einer<br />

Jahrhunderte bzw. Jahrtausende währenden Vertreibungs- und Verfolgungsgeschichte.<br />

Jerusalem war die Hauptstadt des jüdisch regierten Staats, den König David nach der Vereinigung<br />

von Nord- und Südreich ca. 1000 v. Chr. regierte. Der erste und der zweite jüdische<br />

Tempel standen etwa dort, wo heute der muslimische Felsendom steht. Die Klagemauer,<br />

die den heiligen muslimischen Bezirk Haram Ash-Sharif nach Westen begrenzt, ist<br />

das letzte sichtbare Relikt des ehemaligen Tempelbezirkes.<br />

Für Christen ist Jerusalem der Ort von Kreuzigung und Auferstehung des Gottessohnes.<br />

Nach christlichem Credo waren sich hier Gott und Menschheit näher als<br />

irgendwo sonst. Hier wurde Jesus Christus, der Sohn Gottes, gekreuzigt und litt dabei<br />

wie ein Mensch. Die Berichte von seiner Auferstehung galten seinen Anhängern damals<br />

und gelten Christen bis heute als hoffnungsvolle Perspektive für ein Ende aller Leiden<br />

und ein Leben nach dem Tod. Jerusalem ist daher für Christen weltweit ein Symbol für<br />

Gottes Nähe und Macht über Leben und Tod.<br />

Für Muslime ist Jerusalem die drittheiligste Stätte nach Mekka und Medina.<br />

Nach islamischer Überlieferung unternahm Mohammad von dort, wo heute der Felsendom<br />

steht, eine Reise in den Himmel. Der Bereich in der Jerusalemer Altstadt, der im<br />

Westen Tempelberg, in islamischen Ländern Haram Ash-Sharif genannt wird, ist daher<br />

nicht nur für die Palästinenser politisch wichtig, sondern gilt in der ganzen muslimischen<br />

Welt als heiliger Ort, der von Muslimen verwaltet werden sollte. Die PLO hat aus diesem<br />

Grund immer betont, dass sie ihren Anspruch auf Ostjerusalem als Teil und Hauptstadt<br />

eines palästinensischen Staates nicht aufgeben kann und will, denn es geht bei der Verteidigung<br />

des Haram Ash-Sharif nicht nur um ein palästinensisches Interesse, sondern<br />

um das Interesse der ganzen muslimischen Welt.<br />

Trotz der Bedeutung Jerusalems für alle drei Religionen ist der Nahost-Konfikt<br />

kein Religionskonflikt. Religion ist nur eine Komponente in einer sehr diffizilen Gemengelage,<br />

allerdings eine, die dem Konflikt bisweilen zusätzliche Sprengkraft verleiht.<br />

Im Folgenden sollen vor allem die Verbreitungsgebiete und die politische<br />

Bedeutung der einzelnen Religionen kurz dargestellt werden.


51<br />

Muslime<br />

Die weitaus meisten Muslime sind Sunniten. Im Nahen und Mittleren Osten<br />

spielen jedoch auch Schiiten eine bedeutende Rolle. Bei der Spaltung der beiden Hauptströme<br />

im Islam ging es um einen Nachfolgestreit, denn der Prophet Mohammed hatte<br />

keinen Nachfolger bestimmt. Diejenigen, die Ali, der mit Mohammed verwandt war, als<br />

rechtmäßigen Nachfolger forderten, nannte man Shia’it Ali (Partei Alis) oder eben Schiiten.<br />

Die Sunniten wählten zunächst einen anderen Nachfolger als Kalifen, dem wiederum<br />

zwei andere folgten bis Ali schließlich zum vierten Kalifen gewählt wurde. Nach seiner<br />

Ermordung kam es zu Nachfolgestreitigkeiten, bei denen sein Sohn Hussein zusammen<br />

mit seinen Mitstreitern in der Schlacht von Kerbala 680 getötet wurde. Das führte zur<br />

endgültigen Spaltung in Sunniten, die sich mit der Khalifendynastie der Ummayaden etablierten<br />

und Schiiten, die fortan außerhalb des Machtbereichs sunnitischer Khalifen<br />

Machtzentren etablierten.<br />

Sunniten bilden heute in den meisten Ländern des Nahen Ostens die Bevölkerungsmehrheit.<br />

Sunnitischer Islam kann sehr unterschiedliche Prägungen haben: Von<br />

unpolitischem, sehr auf die persönliche Gottesbeziehung konzentriertem Sufismus, bis<br />

hin zu politischem Islam verschiedener Prägung. In Ägypten, Syrien, der arabischen Halbinsel,<br />

Jordanien, den Palästinensischen Gebieten und der Türkei bekennt sich eine große<br />

Mehrheit der Bevölkerung zum sunnitischen Islam. Die Regierungsformen in diesen<br />

Ländern sind sehr unterschiedlich. Während Syrien und der Jemen auf säkularen Prinzipien<br />

beruhende Republiken sind, definiert sich das wahabitische Saudia Arabien als Islamische<br />

Monarchie. Ägypten ist zwar eine Republik, die Gerichtsbarkeit basiert aber auf<br />

islamischer Rechtssprechung.<br />

Politische Bedeutung hat der schiitische Islam vor allem im Iran, wo er Staatsreligion<br />

ist, aber auch im Irak (60% Schiiten), in Bahrain, wo eine schiitische Mehrheit<br />

von einem sunnitischen Herrscherhaus regiert wird und im Libanon, wo die Schiiten von<br />

den Parteien Amal und Hizbullah politisch vertreten werden. Im Jemen gehört ca. ein<br />

Fünftel der Bevölkerung zur schiitischen Gemeinschaft der Zaiditen. Eine Besonderheit<br />

sind die Alawiten Syriens, deren Zugehörigkeit zum Islam von sunnitischer Orthodoxie<br />

immer wieder angezweifelt wird. Als der alawitische Offizier Hafez Al-Assad in Syrien die<br />

Macht übernahm, hatte die sunnitische Mehrheit in Syrien erhebliche Zweifel daran, dass<br />

die Alawiten überhaupt Muslime sind. Ein nicht-muslimischer Präsident wäre nicht akzeptiert<br />

worden. Imam Mussa Sadrs, das geistliche Oberhaupt der Schiiten im Libanon,<br />

stellte Al-Assad das Zertifikat aus, das die Alawiten Teil der Schiiten und damit Muslime<br />

sind. Aus dieser Zeit rühren die engen Beziehungen Syriens zu den libanesischen Schiiten<br />

und damit auch zur Hizbullah. Heute wird Syrien immer noch von Alawiten regiert,<br />

die den Präsidenten stellen und an allen Schlüsselpositionen die Fäden ziehen.<br />

In den letzten 15 Jahren konnte man in der ganzen islamischen Welt eine Hinwendung<br />

zu strengeren Formen des orthodoxen oder des politischen Islams verfolgen.<br />

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Religionen im Nahen Osten von Tim O. Petschulat<br />

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Diese Tendenz hält weiter an, allerdings ist sie nicht völlig ungebrochen. Ein Imam hat<br />

dieses Phänomen einmal so beschrieben: „Wenn du ein junger Mann bist, und die Tür zu<br />

beruflichem und sozialem Aufstieg, zu politischen Ämtern und zu anderen Ländern verschlossen<br />

ist, gibt es immer noch eine Tür, die immer offen steht: Die Tür zur Moschee.“<br />

Tatsächlich sind die Möglichkeiten politischer Partizipation, aber auch die Möglichkeiten,<br />

etwas mit seinen Fähigkeiten anzufangen und aus eigener Kraft Erfolg zu haben, in den<br />

meisten islamischen Ländern stark eingeschränkt. Ein Rückzug in die Religion kann entweder<br />

ein Rückzug aus weltlichen Problemen überhaupt bedeuten oder, im Fall des politischen<br />

Islams, eine Form des politischen Protestes. Je nach Spielart und theologischem<br />

Einfluss kann dieser gegen arabische Regimes gerichtet sein, wie im Fall der Muslimbruderschaft,<br />

oder gegen westliche, als einseitig pro-israelisch bzw. anti-islamisch wahrgenommene<br />

Politik. Im Irak, aber auch im Iran, ist unter dem Eindruck der politischen<br />

Handlungen muslimischer Geistlicher inzwischen auch eine gegenläufige Tendenz zu<br />

beobachten. Vor allem junge Leute wenden sich wieder zunehmend vom politischen<br />

Islam ab.<br />

Christen<br />

Im Nahen Osten gibt es fünf antike christliche Konfessionen, die schon seit<br />

Jahrhunderten nebeneinander leben: Es sind die Griechisch-, Syrisch-, Koptisch-, Armenisch-Orthodoxen<br />

und Assyrisch-Apostolischen Christen. Von jeder dieser Konfessionen<br />

spaltete sich im 18. und 19. Jahrhundert durch römische Unionsbemühungen eine<br />

katholische Kirche ab. Neben den auf diese Weise entstandenen fünf „Unionskirchen“<br />

gibt zwei weitere katholische Kirchen: die Römisch-Katholische und die Maronitische.<br />

Protestantische Schulen und Missionsstationen führten im 19. und 20. Jahrhundert zur<br />

Bildung arabischer und armenischer evangelischer Kirchen. Christen des Nahen Ostens<br />

halten sich oft für die ursprünglichen Bewohner der Länder, die sie bewohnen und lehnen<br />

es z.T. trotz arabischer Muttersprache ab, als Araber bezeichnet zu werden. Sie begründen<br />

das damit, dass ihre Vorfahren jeweils schon vor der arabisch-islamischen Eroberung<br />

im 7. Jahrhundert dort lebten. Das führt z.B. dazu, dass sich Christen im<br />

Libanon, im Irak, in Syrien und in Ägypten sich je nach Herkunft als Phönizier (Maroniten),<br />

Assyrer/Chaldäer/Aramäer oder Kopten (= Urägypter) verstehen. Die Tatsache, dass<br />

in der Liturgie der orientalischen Kirchen, die alten Sprachen Syrisch, Ost-aramäisch,<br />

Armenisch, Koptisch und Griechisch weiter gepflegt werden, trägt zu dieser besonderen<br />

Identität bei. Für die orientalischen Christen hat das 20. Jh. rückblickend den bisher<br />

schnellsten Bevölkerungsschwund mit sich gebracht. Stellten sie bis zu Beginn der<br />

Kreuzzüge noch die Bevölkerungsmehrheit im Nahen Osten, schrumpfte ihr Bevölkerungsanteil<br />

durch Konversion und Racheakte für die Taten der Kreuzritter, unter denen<br />

die Christen des Nahen Ostens allerdings auch zu leiden hatten, unter den Mamelucken<br />

auf ca. 15%. Die osmanische Zeit brachte eine leichte Erholung – trotz gelegentlicher


53<br />

Pogrome vor allem an den armenischen Christen. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges war<br />

der Anteil der Christen im Nahen Osten wieder auf 25% gewachsen. In Folge des Genozids<br />

der Jungtürken an den Armeniern, Assyrern und Griechischen Christen 1915, sowie<br />

durch Auswanderungswellen, Kriege und demographische Besonderheiten, ist der Anteil<br />

der Christen im Nahen Osten heute auf weit unter 10% gesunken. Die meisten Mitglieder<br />

hat heute die Koptische Kirche in Ägypten (ca. 8 Millionen). Zur gesellschaftlichen<br />

Bedeutung der Christen im Nahen Osten: Christen sind zwar eine Minderheit, haben<br />

aber in zahlreichen Ländern des Nahen Ostens wichtige gesellschaftliche Funktionen.<br />

Protestantische Schul- und Universitätsgründungen zogen zu Beginn des 20. Jahrhundert<br />

von Rom geschickte Jesuiten nach sich, die nun ebenfalls überall im Nahen Osten<br />

Bildungseinrichtungen gründeten. Häufig waren diese Institute mit Krankenhäusern verbunden.<br />

Das führte zu einer Wiederbelebung arabischer Literatur im 20. Jahrhundert.<br />

Noch heute befinden sich in vielen Ländern des Nahen Ostens weit mehr Bildungs- und<br />

Sozial- und Kultureinrichtungen in christlicher Trägerschaft, als man es gemessen an<br />

ihrem Bevölkerungsanteil vermuten würde.<br />

Juden<br />

Dass es im Nahen Osten im Vergleich zum Islam und auch zum Christentum<br />

relativ wenige Juden gibt, hat weniger damit zu tun, dass das Judentum keine missionarische<br />

Religion ist. Die Christen im Orient sind unter islamischer Herrschaft im Nahen<br />

Osten nicht missionarischer gewesen als die Juden – Mission unter Muslimen wurde mit<br />

der Todesstrafe geahndet. Noch Anfang des 20 Jhs. gab es in vielen Metropolen des<br />

Nahen Ostens große jüdische Gemeinden, einflussreiche Schulen und Institutionen. Mit<br />

der Gründung des Staates Israel 1948 wiesen allerdings zahlreiche arabische Staaten alle<br />

Juden aus, die daraufhin größtenteils nach Israel, aber auch in die USA emigrierten. Heute<br />

konzentriert sich das Judentum des Nahen Ostens weitestgehend auf den Staat Israel und<br />

auf Siedlungen in den von Israel besetzten Gebieten (Golan, West Bank, Ost-Jerusalem).<br />

Man spricht im Judentum nicht von Konfessionen, dennoch gibt es große theologische<br />

und ideologische Unterschiede. Neben der Unterscheidung zwischen Reformjuden<br />

und Orthodoxen, spielt auch die Herkunft und Prägung der Gläubigen eine Rolle.<br />

Die Jahrhunderte währende Prägung jeweils sehr unterschiedlicher Länder (z.B. Polen,<br />

Jemen, Indien) hat sich auch auf religiöse Bräuche niedergeschlagen. Sephardische Juden<br />

(andalusischer, bzw. orientalischer Herkunft) und Aschkenasische Juden (europäischer<br />

Herkunft) haben jeweils ihren eigenen Oberrabiner.<br />

An der Einstellung der jüdischen Bewohner Israels zum Zionismus lassen sich<br />

ebenfalls Differenzen aufmachen. Zionismus ist ursprünglich, ähnlich den Nationalismen<br />

Europas, die auch in der gleichen Zeit entstanden, ein säkulares Phänomen und findet<br />

bis heute die Unterstützung der meisten jüdischen Israelis. Viele Ultra-Orthodoxen Juden<br />

lehnen Zionismus jedoch strikt ab, weil das Volk Israel nach ihrer Interpretation erst<br />

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54<br />

Religionen im Nahen Osten von Tim O. Petschulat<br />

1 . . . . . . . . .<br />

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dann einen Staat errichten sollte, wenn der Messias erscheint. In Ultra-Orthodoxen<br />

Stadtvierteln Jerusalems wird man daher zuweilen von Plakaten überrascht, auf denen<br />

Parolen wie „Zionisten sind keine Juden“ stehen. Ein noch relativ neues Phänomen in<br />

der Geschichte des Judentums ist das national-religiöse Lager, welches ein gottgegebenes<br />

Anrecht Israels auf das gesamte Gebiet vom Mittelmeer bis zum Jordan – z.T. sogar<br />

bis zum Euphrat – propagiert. Diese Gruppe ist in Israel keine Mehrheit, spielt jedoch<br />

im Nahost-Konflikt eine wichtige Rolle. Sie hat mit Hilfe verschiedener israelischer Regierungsvertreter<br />

ein nach internationalem Recht illegales weitläufiges Siedlungsprojekt in<br />

Ost-Jerusalem und der Westbank umsetzen können, welches trotz gegenteiliger Versprechen<br />

Israels weiter wächst. Das ist vor allem deshalb problematisch, weil diese israelischen<br />

Siedlungen und die häufig für Palästinenser verbotenen Verbindungsstraßen zwischen<br />

den Siedlungen und Israel die West Bank in einen kaum noch zusammenhängenden<br />

Flickenteppich verwanden (Bush sprach von einem „swiss cheese“) und die Lebensfähigkeit<br />

eines zukünftigen palästinensischen Staates in Frage stellen.<br />

Eine Besonderheit in Israel und Palästina sind die Samaritaner, die schon aus<br />

der Bibel bekannt sind (Barmherziger Samariter). Sie repräsentieren eine Art Frühjudentum,<br />

das gewisse nachexilische Änderungen im Judentum nicht mitgetragen hat. Sie<br />

erkennen als heilige Schrift nur die Fünf Bücher Moses an, nicht aber die Propheten und<br />

Schriften. Die meisten Samaritaner leben bei Nablus am Berg Garizim, sprechen Arabisch<br />

als Muttersprache und sind von ihren Nachbarn als Teil des palästinensischen Volkes<br />

akzeptiert.<br />

Andere Religionen<br />

Hier kann leider nicht ausführlich auf die gesamte Religionsvielfalt des Nahen<br />

Ostens eingegangen werden. Neben den bekannten Religionen haben sich aber kleinere<br />

Gruppen zum Teil sehr alter orientalischer Religionen erhalten. Unter ihnen seien hier<br />

die Bahaì, Zoroastrier und Mandäer im Iran und Irak, die Drusen im Libanon, Syrien und<br />

Israel sowie die kurdischen Religionen der Ahl Al-Haq und Yeziden erwähnt.<br />

30 . . . . . . . .<br />

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55<br />

Das Willy Brandt Center 1 :<br />

Von einer Idee zum Projekt<br />

. . . . . . . . . . . . 1<br />

Von Cordula Drautz und Heike Kratt<br />

Das Willy Brandt Center für Begegnungen und Kommunikation in Jerusalem<br />

(WBC) ist wohl eines der beeindruckensten Beispiele, wie eine politische Idee zu einem<br />

lebendigen Projekt wurde. Durch die Tat- und Überzeugungskraft von vielen Juso-Generationen,<br />

durch den Zivilen Friedensdienst, durch die Falken und durch die Unterstützung<br />

von sozialdemokratischen MandatsträgerInnen, Regierungs- und Parteimitgliedern<br />

ist das WBC heute nicht mehr aus dem Nahen Osten und der internationalen Arbeit der<br />

SPD wegzudenken. Von einer Friedensidee über einen Vertragsabschluss bis zum Kauf<br />

des Hauses in Jerusalem sind mehr als zehn Jahre vergangen. Doch die Situation in Israel<br />

und Palästina erinnert uns täglich daran, dass unser Bemühen um eine friedliche<br />

Zukunft auch weiterhin mit Engagement und Willensstärke verfolgt werden muss.<br />

Die Idee des WBC geht zurück auf das Jahr 1996. Damals unterschrieben drei<br />

politische Jugendorganisationen eine gemeinsame Erklärung. Die deutschen <strong>Jusos</strong>, die<br />

palästinensische Fateh-Jugend und die israelische Arbeitsparteijugend einigten sich auf<br />

die Gründung eines gemeinsamen Zentrums auf der „Grünen Linie“ zwischen West- und<br />

Ostjerusalem. Das Zentrum sollte ein Ort der Begegnung und Kommunikation zwischen<br />

jungen Menschen aus Deutschland, Israel und Palästina werden. Es sollte ein Ort werden,<br />

der friedenspolitische Alternativen und Initiativen auf jugendpolitischer Ebene weit über<br />

diese drei genannten Organisationen hinaus entwickelt und junge Friedensallianzen auf<br />

politischer und zivilgesellschaftlicher Ebene stärkt.<br />

Diese Vision war geprägt vom Osloer Friedensprozess. Obwohl zum damaligen<br />

Zeitpunkt schon deutliche Anzeichen für das Scheitern des Friedensprozesses zu erkennen<br />

waren, stand die Vereinbarung doch ganz unter dem Einfluss des friedenspolitischen<br />

Optimismus, der in jener Zeit besonders in politisch linken Kreisen vorherrschte. In den<br />

folgenden Jahren verschlechterte sich die politische Situation zusehends. Dennoch und<br />

vielleicht auch gerade deswegen wurde die Vision des Zentrums nicht aufgegeben. Um auf<br />

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1<br />

http://www.willybrandtcenter.org<br />

2<br />

http://www.willybrandtzentrum.de<br />

3<br />

Das forumZFD entstand 1994 zunächst als offenes Gesprächsforum verschiedener Gruppen und Organisationen,<br />

vorwiegend aus Friedensbewegung und kirchlichen Institutionen. 1996 kam es zur Gründung des<br />

Forum Ziviler Friedensdienst e.V. Eine Geschäftsstelle mit hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />

wurde 1996 eingerichtet, Sitz der Geschäftsstelle ist seit 1999 Bonn.<br />

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56<br />

Das Willy Brandt Center: Von einer Idee zum Projekt von Cordula Drautz und Heike Kratt<br />

1 . . . . . . . . .<br />

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deutscher Seite für diese Idee eintreten zu können, wurde 1997 der „Förderverein Willy<br />

Brandt Zentrum“ 2 gegründet, der bald darauf Kooperationspartner des forumZFD 3 wurde.<br />

Im Jahr 1998 kam die rot-grüne Regierung an die Macht und mit ihr eine neue<br />

Idee ins Regierungsprogramm: Der Zivile Friedensdienst. Die Idee des Zivilen Friedensdienstes<br />

(ZFD) stammt aus der deutschen Friedensbewegung. Als Gegenmodell zu der<br />

Entsendung von Soldaten und Armeen, die Sicherheit garantieren sollen, stehen beim<br />

ZFD in Methoden der Konflikttransformation ausgebildete Friedensfachkräfte im Mittelpunkt,<br />

die in Konfliktregionen entsendet werden. Im Jahr 1998 wurde diese Idee in das<br />

Regierungsprogramm der Koalitionspartner SPD und Bündnis 90/Die Grünen aufgenommen.<br />

Er wurde als eigene Programmlinie in den Förderkatalog des Bundesministeriums<br />

für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) integriert.<br />

„Die Vision der Akteure des ZFD ist ein so genannter „positiver Frieden“, der<br />

eng mit dem Begriff der „Gerechtigkeit“ verbunden ist. Positiver Frieden zielt nicht nur<br />

auf die Abwesenheit physischer Gewalt, sondern auch auf die Bildung und Stärkung partizipativer<br />

und inklusiver Strukturen, die dem Ausbruch physischer Gewalt langfristig<br />

vorbeugen.“ 4 Die Zusammenarbeit mit lokalen Partnerorganisationen ist dabei zentraler<br />

Bestandteil der Arbeit. Seit einigen Jahren hat sich außerdem die Idee entwickelt, dass<br />

diese Friedensfachkräfte auch in Deutschland selbst eingesetzt werden sollten, um Konflikte<br />

z.B. im Zusammenhang mit Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Jugendgewalt<br />

zu bearbeiten.<br />

Der ZFD versteht sich als umfassendes Instrument, das in allen drei Phasen<br />

eines Konfliktes eingesetzt werden sollte: in der Prävention (bevor ein Konflikt entsteht),<br />

in der Konflikttransformation (während eines Konfliktes) und in der Konfliktnachsorge<br />

(nach dem Ende der Gewalttätigkeiten).<br />

Dieser neue Ansatz bot den passenden Rahmen, um die konkrete Arbeit an der<br />

Idee eines gemeinsamen deutsch-israelisch-palästinensischen Zentrums umzusetzen.<br />

Ab Ende 2000 wurden über den Förderverein Willy Brandt Zentrum in Kooperation<br />

mit dem forumZFD über die Programmlinie des ZFD erstmals Mittel vom BMZ zur<br />

Verfügung gestellt, um mit jungen Menschen in der Region Israel/Palästina am Konflikt zu<br />

arbeiten. Die erste ZFD-Stelle in diesem Rahmen begann Ende 2000. Zu diesem Zeitpunkt<br />

war bereits die Zweite Intifadah 5 ausgebrochen und die folgenden Jahre waren geprägt von<br />

35 . . . . . . . .<br />

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4<br />

AGDF, AGDH, CFI, DED, EED, EIRENE, forumZFD, WFD: Standards für den Zivilen Friedensdienst, Gemeinsame<br />

Grundlage des Konsortiums Ziviler Friedensdienst bei der Entwicklung von Projekten, Bonn 2005, S.1<br />

5<br />

Der zweite palästinensische Aufstand (2000-2005) war u.a. eine Folge der gescheiterten Friedensverhandlungen<br />

im Jahr 2000 und verlief im Gegensatz zur ersten Intifadah (1987-1993) deutlich gewalttätiger, da<br />

in zunehmenden Maß auch von palästinensischer Seite Waffen zum Einsatz kamen. Intifadah heißt wörtlich<br />

„abschütteln“.


57<br />

einer neuen, äußerst brutalen Welle der Gewalt und der kriegerischen Auseinandersetzungen<br />

zwischen Israelis und Palästinensern. In dieser immer schwieriger werdenden Lage<br />

war es eine besondere Herausforderung, die Idee des WBC wach zu halten. Seminare, an<br />

denen sowohl Israelis als auch Palästinenser teilnahmen, waren unmöglich.<br />

Deshalb waren die Anfangsjahre der konkreten Arbeit für die Idee des WBZ geprägt<br />

von Begegnungen, die sich nur an eine der beiden Seiten richtete. Mit dem Geschichtsprojekt<br />

„Entscheidung für Geschichte“ wurden deutsche, israelische und palästinensische<br />

Gruppen getrennt voneinander dazu ermutigt, sich mit ihren jeweils eigenen<br />

Geschichtserzählungen auseinanderzusetzen und sie in Bildern zu dokumentieren. Die<br />

Ergebnisse der Workshopreihe wurden ins Internet gestellt, um zumindest eine indirekte<br />

Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Seiten zu ermöglichen.<br />

Dies führte im Oktober 2003 schließlich dazu, dass das WBC in Form eines Jugendzentrums<br />

in Abu Tor auf der „Grünen Linie“ zwischen Ost- und West-Jerusalem eröffnet<br />

wurde. Seitdem arbeitet im WBC ein trilaterales Team von Deutschen, Israelis und Palästinensern<br />

zusammen. Einige der Team-Mitglieder sind angebunden an politische Jugendorganisationen,<br />

an die deutschen <strong>Jusos</strong>, die israelische Arbeitsparteijugend und Meretz-<br />

Jugend und an die palästinensische Fateh-Jugend. Diese Konstellation ermöglicht es dem<br />

WBC, zukünftige EntscheidungsträgerInnen des politischen Mainstreams zu erreichen und<br />

mit ihnen in Workshops, Seminaren und Austauschreisen Fragen des Konflikts (wie z.B.<br />

Geschichtsnarrative, Nationalismus, Konfliktmechanismen) aber auch Aspekte der sozialen<br />

und politischen Entwicklung der jeweiligen Gesellschaften zu bearbeiten. Ziel ist es, das<br />

Potenzial zur Gewaltminderung und das Interesse an einer Veränderung des Status quo<br />

in Richtung einer nachhaltigen friedenspolitischen Lösung zu stärken.<br />

Diese Arbeit hat bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren. Die Lage vor Ort<br />

ist nach wie vor von Gewalt und Hoffnungslosigkeit geprägt. Ein Ort, an dem mit jungen<br />

Menschen an friedenspolitische Alternativen gearbeitet wird, ist wichtiger denn je. Einfach<br />

ist eine solche Arbeit nicht. Aber gerade weil das Team des WBC in Jerusalem und<br />

der Förderverein in Deutschland nicht aufgegeben haben, sich für eine andere, friedlichere<br />

Politik im Nahen Osten einzusetzen, wurde im Jahre 2007 entschieden, das Haus,<br />

in dem das WBC seit 2003 angesiedelt ist, zu kaufen. Das war ein wichtiger Schritt, um<br />

dem Projekt eine langfristige politische Perspektive zu eröffnen und ein klares Signal,<br />

dass es sich lohnt, aktive Friedenspolitik voranzutreiben.<br />

Das WBC arbeitet zusammen mit dem Förderverein beständig daran, seine Programme<br />

und Angebote zu verbessern. Seit Mitte 2007 befindet sich ein weiteres Projekt<br />

unter dem Dach des WBC, das von den Falken in Deutschland und dem International<br />

Falcon Movement (IFM) getragen wird. Damit arbeitet das WBC jetzt auch mit jungen<br />

Menschen im SchülerInnenalter und verankert sich tiefer in der zivilgesellschaftlichen<br />

Ebene. Dieses Projekt versucht mit seinen sechs Partnerorganisationen eine gemeinsame<br />

Wertebasis zu schaffen, um daraus ein Bildungsprogramm zu entwickeln, das von allen<br />

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Das Willy Brandt Center: Von einer Idee zum Projekt von Cordula Drautz und Heike Kratt<br />

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sechs Organisationen getragen wird und auf israelischer und palästinensischer Seite<br />

umgesetzt werden kann.<br />

Die <strong>Jusos</strong> sind zusammen mit den Falken wichtige politische Träger des Projekts.<br />

Palästina und Israel sind die mit Abstand meistbesuchte Region in der internationalen<br />

Arbeit der <strong>Jusos</strong>. Die Delegationen sind nicht nur ein Beispiel für gelebte Solidarität<br />

und Internationalismus, sondern ermöglichen den Beteiligten auch einen<br />

intensiven Einblick in die Komplexität des Konflikts und die Situation vor Ort. Jeder und<br />

jede, die das WBC besuchen möchte, ist herzlich eingeladen und wird vom Juso-Bundesverband<br />

nach Kräften unterstützt. Der Arbeitskreis Nahost der <strong>Jusos</strong> arbeitet die<br />

Beschlusslagen aus und begleitet die inhaltliche Arbeit. Für Falkendelegationen ist das<br />

WBC spätestens seit diesem Jahr eine wichtige Anlaufstelle und diese Rolle wird sich in<br />

der Zukunft sicher noch verstärken.<br />

Der trilaterale Ansatz wird seit sechs Jahren von der gesamten sozialistischen<br />

Jugendinternationale (IUSY ) getragen und seit diesem Jahr auch von der IFM. Das WBC<br />

ist die offizielle Plattform der IUSY-und der IFM-Arbeit im Nahen Osten – ganz im Sinne<br />

seines Namensgebers. Die unterschiedlichen Sichtweisen und Kompetenzen der über<br />

hundert Mitglieder dieser internationalen politischen Jugendorganisationen sind Impuls<br />

und Motivation für alle Beteiligten.<br />

Wer aus Deutschland Mitglied dieser internationalen Friedensallianz werden<br />

will, ist mehr als willkommen. Ob als Fördermitglied, als SpendensammlerIn, als engagierter<br />

Experte oder Laie – entscheidend ist, sich an Willy Brandts Worte zu erinnern:<br />

Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.<br />

Kontakt in Deutschland:<br />

Heike Kratt, Geschäftsführerin des Fördervereins, heike.kratt@gmx.net<br />

Kontakt zu <strong>Jusos</strong>:<br />

Cordula Drautz, IUSY-Vizepräsidentin, Cordula.Drautz@jusos.de<br />

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Das Willy Brandt Center Jerusalem<br />

Unser täglicher Beitrag zur<br />

internationalen Solidarität<br />

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Von Yeliz Tolan, Projektkoordinatorin im Willy Brandt Center in Jerusalem<br />

Die Vision des Willy Brandt Centers<br />

Im Jahr 1996 kamen die <strong>Jusos</strong>, Young Labour und Young Fateh in Ramallah zusammen,<br />

um ein gemeinsames Agreement zu unterschreiben. Diese Vereinbarung war<br />

der Beginn einer wegweisenden Partnerschaft zwischen jungen, politisch aktiven Menschen<br />

in einem gesellschaftlich höchst komplexen und schwierigen Umfeld. Mit dieser<br />

Partnerschaft war von Anfang an das Ziel verbunden, einen Ort zu schaffen, an dem sich<br />

junge Israelis, Palästinenser und auch Deutsche treffen können.<br />

Diese Partnerschaft, der im Jahr 2000 mit Young Meretz eine weitere Jugendorganisation<br />

aus dem linken Spektrum beitrat, hat nun seit zwölf Jahren bestand und<br />

zeigt, was internationale Solidarität in der alltäglichen, konkreten Arbeit bedeuten kann.<br />

Aus dieser Partnerschaft ist das Willy Brandt Center Jerusalem entstanden – die<br />

Vision eines gesicherten Raums für Begegnung und Verständigung hat sich erfüllt. Und<br />

auch in den Zeiten, wenn die Gewalt mal wieder den Dialog als politisches Instrument<br />

verdrängt hatte, sind die Gesprächskontakte nie abgerissen. Seit 2003 hat dieser Raum<br />

auch einen konkreten Ort: Das Willy Brandt Center liegt auf der grünen Linie zwischen<br />

Ost- und West-Jerusalem.<br />

Die 1996 begründete Partnerschaft ist das Herzstück des Centers. Ein trilaterales<br />

Team aus Repräsentanten der einzelnen politischen Partner organisiert Seminare,<br />

Events, Workshops und Austauschmaßnahmen. Hier muss sich jeden Tag beweisen, dass<br />

praktische Kooperation im Kleinen möglich ist, auch wenn politische Verständigung auf<br />

der großen politischen Bühne häufig unmöglich erscheint.<br />

Die Arbeit des Willy Brandt Centers verfolgt zwei konkrete Ziele, die zentrale<br />

Anliegen des Programms Zivilen Friedensdienstes widerspiegeln, durch das die meisten<br />

Aktivitäten im Rahmen des Centers finanziert werden. Zum einen sollen die Partner<br />

durch politische Weiterbildungsangebote gestärkt werden, damit sie in der Lage sind, an<br />

Dialogprozessen teilzunehmen und als Multiplikatoren in ihrer Gesellschaft zu fungieren.<br />

Zum anderen geht es darum, konkrete Möglichkeiten zu schaffen, bei denen sich<br />

beide Seiten treffen, kennen lernen und austauschen können.<br />

Partnerschaft trotz schwieriger poltischer Realitäten<br />

Die <strong>Jusos</strong> sind das Bindeglied zwischen der israelischen und der palästinensischen<br />

Seite und sorgen dafür, dass diese Partnerschaft trotz schwieriger politischer Rea-<br />

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Das Willy Brandt Center Jerusalem – Unser täglicher Beitrag zur internationalen Solidarität von Yeliz Tolan<br />

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litäten vital bleibt. Ausbrüche von Gewalt, wie bei der Zweiten Intifada oder dem zweiten<br />

Libanonkrieg, stellen immer wieder eine Gefahr dar, den spärlichen Dialog zwischen<br />

den Gesellschaften gänzlich zu beenden. Auch die anhaltende humanitäre Katastrophe<br />

im Gazastreifen und der tägliche Beschuss Israels durch Kassam-Raketen, fordert den<br />

Teammitgliedern einiges ab, sowohl als Dialogpartner zwischen Israelis und Palästinensern,<br />

aber auch jedem als Botschafter in seiner Gesellschaft.<br />

Innerhalb der israelischen und palästinensischen Gesellschaft ist es nach wie<br />

vor stark tabuisiert, sich mit „den anderen“ zu treffen. Der Hass zwischen den Gesellschaften<br />

ist ein Gefühl, dass wieder immer stärker um sich greift. Schon lange gab es nicht<br />

mehr so wenig Kontakt zwischen Israelis und Palästinensern, wie derzeit. In Jerusalem,<br />

der Stadt, in der die vermeintlichen Feinde Seite an Seite leben, in der beide Gesellschaften<br />

aufeinander treffen, sind Konflikt, Anspannung und Ablehnung allgegenwärtig.<br />

Dies müssen auch immer wieder die politischen Partner des Willy Brandt Centers<br />

spüren. Israelische Partner müssen sich an Wahlkampfständen als Verräter beschimpfen<br />

lassen. Auf der palästinensischen Seite ist der Druck sogar noch größer. Palästinenser,<br />

die sich mit Israelis treffen werden als „Normalisierer“ verunglimpft, Verräter des<br />

eigenen Volkes, die sich mit der Situation der Besatzung arrangiert haben. Eine Wahrnehmung,<br />

die leicht zur persönlichen Bedrohung werden kann.<br />

Doppelte Solidarität<br />

Vor dem Hintergrund dieser Umstände spielen die <strong>Jusos</strong> als politischer Partner<br />

eine bedeutende Rolle. Auch in schwierigen Situationen halten sie an der Solidarität zwischen<br />

den Partnern fest – gerade jetzt ist sie mehr denn je gefragt. Viele Dialogprojekte<br />

können den politischen Realitäten nicht standhalten, sondern aufgebautes Vertrauen<br />

wird durch Gewaltaktionen von beiden Seiten zerstört. In dieser Situation ist es entscheidend,<br />

dass eine stabile Partnerschaft existiert, in der beide Seiten das Gefühl haben,<br />

dass sie respektiert werden.<br />

Das grundlegende Prinzip ist das der doppelten Solidarität. Durch ihre Solidarität<br />

mit beiden Seiten sind die <strong>Jusos</strong> nach jahrelanger Zusammenarbeit in der Lage, beide<br />

Seiten kritisieren und offen mit ihnen diskutieren zu können. Das Vertrauensverhältnis<br />

innerhalb des Willy Brandt Centers hat sich innerhalb der letzten Jahre gefestigt und<br />

lässt einen ehrlichen und kritischen Dialog zwischen den verschiedenen Sichtweisen zu.<br />

Ziel der <strong>Jusos</strong> ist es das Willy Brandt Center als Ort der internationalen Solidarität<br />

weiter zu stärken und es als Ort der Verständigung stärker in der israelischen, wie<br />

auch in der palästinensischen Gesellschaft zu verankern.<br />

Vor dem Hintergrund des politischen Alltags ist dies nicht einfach und auch die<br />

Partnerschaft innerhalb des Willy Brandt Centers wird regelmäßig auf eine harte Probe<br />

gestellt. Aber alle Seiten sind bereit, viel Energie und Motivation in diese Partnerschaft<br />

und die Solidarität miteinander zu investieren.


61<br />

Das Gefühl, dass alle in der Spirale aus Sprachlosigkeit und Gewalt zu viel zu<br />

verlieren haben eint die Aktiven des Willy Brandt Centers in ihren Anstrengungen einen<br />

kleinen Beitrag dazu zu leisten, den Frieden zu gewinnen.<br />

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„Creating Partnership for a Social Change in the Middle East“ von Raana Gräsle<br />

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„Creating Partnership for a Social<br />

Change in the Middle East“<br />

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Von Raana Gräsle, Projektkoordinatorin im Willy Brandt Center in Jerusalem<br />

Wenn es Israelis verboten ist, in die palästinensisch verwalteten Gebiete zu<br />

gehen und es den meisten Palästinensern unmöglich ist, nach Israel zu kommen, da sie<br />

nicht über ein entsprechendes Permit verfügen, ist es fast unmöglich „sich unkompliziert<br />

zu treffen“. Unter dem Titel „Middle East Youth for Peace“ hatte daher das „International<br />

Falcon Movement – Socialist Education International“ (IFM-SEI) mit seinen Mitgliedsorganisationen<br />

2004 ein palästinensisch-israelisch-europäisches „Peace-Camp“ in Österreich<br />

organisiert. Ziel war es, dem Unbekannten eine Stimme und ein Gesicht zu geben, um<br />

ein Kennenlernen und die Überdenkung der eigenen Vorurteile gegenüber „den Anderen“<br />

zu ermöglichen. Eine Peace-Konferenz in Frankreich folgte 2005. Beide Veranstaltungen<br />

waren erfolgreich, hatten aber – neben anderen Schwierigkeiten – auch gezeigt,<br />

dass eine gemeinsame Bildungsarbeit langfristig nur dann Veränderungen bewirken<br />

kann, wenn sie sich auf eine kontinuierliche Kooperation der Verbände stützen kann.<br />

Kein Sozialismus ohne Internationalismus. Die Möglichkeit zur Initiierung<br />

einer kontinuierlichen Kooperation bot das Willy Brandt Center als „Center for Encounters<br />

and Communication“ (WBC) den regionalen IFM-SEI-Organisationen dann im Jahr<br />

2006, als der Förderverein des WBC die SJD – Die Falken angefragte, ein eigenes Projekt<br />

unter dem Dach des WBC zu gestalten. Da viele Gliederungen der SJD – Die Falken Austauschmaßnahmen<br />

mit den verschiedenen israelischen und palästinensischen IFM-Organisationen<br />

haben, wurde die Anfrage gerne angenommen, und von Seiten der IFM-SEI<br />

übernommen. In der IFM-SEI aktiv sind zur Zeit auf israelischer Seite die Kibbuzjugenden<br />

der beiden Kibbuzbewegungen („HaShomer HaTzair“ und „HaMahanot Haolim“),<br />

die Gewerkschaftsjugend („HaNoar HaOved VeHalomed“), das Arab Youth Movement<br />

„AJEAL“, sowie auf palästinensischer Seite die „Independence Youth Union“, das „Independent<br />

Youth Forum“ und die Jugendsektion der Palestinian Red Crescend Society.<br />

Gesellschaft verändert nur, wer in ihr in vielen Bereichen aktiv und verankert<br />

ist. So haben die regionalen IFM-SEI-Verbände sich zum Ziel gesetzt, mittels eines gemeinsamen<br />

Bildungsprojektes eine langfristige Partnerschaft und Kooperation zwischen<br />

den Organisationen zu etablieren und zu gestalten, die einen sozialen Wandel – auf der<br />

Basis von Gleichberechtigung und Sozialismus – in den Gesellschaften fördert. Koordiniert<br />

wird das Projekt von einer Genossin der SJD – Die Falken im WBC.<br />

Alle teilnehmenden Verbände vereint die Überzeugung, dass eine andere Gesellschaft<br />

möglich ist, und dass ein wichtiger Weg dorthin über non-formale Bildung<br />

führt. Alle Verbände wollen „den Frieden“. Doch unterscheiden sich die Verbände grund-


63<br />

legend voneinander, sowohl was ideologische, pädagogische und politische Einstellungen<br />

angeht, als auch was die konkrete Lebensrealität ihrer jeweiligen jüdisch-israelischen,<br />

arabisch-palästinensisch-israelischen oder palästinensischen Mitglieder angeht. Hierzu<br />

gehören grundlegende Fragen wie z.B. die nach Demokratie, Militärdienst, Sicherheit,<br />

Selbstbestimmung, etc. Die Organisationen arbeiten in einer Region, in der jeder Quadratzentimeter<br />

Geschichte symbolisiert, die von mindestens zwei Seiten gesehen werden<br />

kann. Ebenso wird jedes aktuelle Ereignis unterschiedlich bewertet. Und was Frieden in<br />

der Region für die unterschiedlichen Verbände konkret heißt, oder in welcher Form sich<br />

jeder Mensch für Gleichberechtigung aller Bewohner der Region organisieren sollte,<br />

kennt bei den beteiligten Verbänden deutlich unterschiedliche Antworten. So ist die Wiederaufnahme<br />

einer Kooperation zur gemeinsamen Gestaltung von politischer Bildung<br />

nicht immer eine angenehme und bequeme Sache, sondern bedeutet für alle Beteiligten<br />

eine große Herausforderung, der sie sich stellen wollen.<br />

Das regionale Projekt der IFM-SEI wird von einer Leitungsgruppe gestaltet, die<br />

aus jeweils zwei VertreterInnen der beteiligten Verbände und der Projektkoordinatorin<br />

besteht. Diese Gruppe hat sich inzwischen auf Ziele und Struktur des gemeinsamen Projektes<br />

geeinigt: In drei Phasen sollen unterschiedliche Zielgruppen einen gemeinsamen<br />

Lernprozess durchlaufen. In der ersten Phase die Mitglieder der Leitungsgruppe, in der<br />

zweiten GruppenhelferInnen und FunktionärInnen und in der dritten Phase JunghelferInnen.<br />

Ziel jeder Phase ist es, dass die jeweiligen Gruppen gemeinsame Werte finden<br />

und definieren, die aktuelle Situation „der anderen“ kennenlernen, eine gemeinsame<br />

Gesellschafts- und Systemanalyse entwickeln, die „anderen Seite“ gut kennen und verstehen<br />

lernen mit ihrer jeweiligen Sprache, Kultur, Geschichte und Narrative. Ein halbes<br />

Jahr nach Projektbeginn befinden wir uns am Ende der ersten Phase des Projekts, die<br />

mittels von den Organisationen eingebrachter Themen gestaltet wird. So laufen momentan<br />

gemeinsame Workshops zu den Themen: „critical thinking“, „non-formal education“,<br />

„identity“, „human equality“, „the role of youth movement in society“.<br />

Die Lernprozesse aus den einzelnen Phasen sollen in die Mitgliedsverbände<br />

zurückgetragen werden. Daher können und sollen innerhalb des IFM-SEI-Projekts die<br />

einzelnen Verbände auch ihre eigenen Projektseminare gestalten. Gleichzeitig dient der<br />

gemeinsame Prozess der Schaffung einer starken gemeinsamen regionalen Plattform<br />

innerhalb der IFM-SEI.<br />

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Our Partner: Israel Young Labour von Roi Assaf<br />

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Our Partner: Israel Young Labour<br />

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Von Roi Assaf, Young Labour Vertreter im Willy Brandt Center und Internationaler Sekretär von Young<br />

Labour Israel<br />

Israel Young Labour ist die Jugendorganisation der israelischen Arbeitspartei<br />

(Mifleget haAwoda haJisra’elit). Als IUSY-Mitglied und Jugendverband einer Mitgliedspartei<br />

der Sozialistischen Internationale kämpft Young Labour innerhalb der israelischen<br />

Gesellschaft für sozialdemokratische Werte und ist ein wichtiger Akteur im Israelisch-<br />

Palästinensischen Friedensprozess.<br />

Im Einsatz für eine für beide Seiten gerechte Zweistaatenlösung geht es aber<br />

für die Organisation um mehr als nur Konzepte innerhalb einer kleinen Gruppe progressiver<br />

Linksintellektueller zu entwickeln. Als Jugendverband einer Volkspartei, die seit<br />

Staatsgründung immer stärkste oder zweitstärkste Partei innerhalb der Knesset (israelisches<br />

Parlament) war, hat Young Labour vor allem die Verantwortung, den Friedensprozess<br />

einer Mehrheit der israelischen Bevölkerung zu vermitteln. Denn gerade bei einem<br />

so sensiblen Thema wie dem Nahostkonflikt, mit dem jeder innerhalb Israels persönliche<br />

Betroffenheit, Verluste und Ängste verbindet, geht es um mehr als politische Beschlüsse.<br />

Young Labour versucht dabei auf die Bedürfnisse und Gefühle der Menschen,<br />

vor allem die der Jugendlichen einzugehen. Das geschieht vor allem durch starke Verankerung<br />

und Aktivitäten auf lokaler Ebene, denn hier können Menschen direkt erreicht<br />

werden.<br />

Die Tatsache, dass die Arbeitspartei normalerweise in der israelischen Regierung<br />

vertreten ist, bringt Young Labour in eine oft schwierige, aber dennoch wichtige Position.<br />

Es wäre zwar einfacher linke Positionen aus einer oppositionellen Rolle heraus zu<br />

fordern, doch andererseits ergibt der direkte Kontakt zu Regierungsministern die Möglichkeit,<br />

Änderungen, von denen die Bevölkerung profitiert sehr schnell durchzusetzen.<br />

Jugendorganisation einer Regierungspartei zu sein, führt Young Labour, ähnlich wie die<br />

<strong>Jusos</strong> aber auch immer wieder dazu gegensätzliche Standpunkte zur Mutterpartei einzunehmen<br />

und gegen deren Politik zu demonstrieren. Beispielsweise hat Young Labour<br />

früh damit begonnen, sich für die Rechte und Belange von Immigranten einzusetzen,<br />

einem Feld in dem die Mutterpartei einen falschen Weg eingeschlagen hat und das mittlerweile<br />

mehr und mehr zu einem Problem für Israel geworden ist. Immer wieder ist es<br />

also die Aufgabe des Jugendverbandes, junge und linke Ideen innerhalb der Mutterpartei<br />

voranzubringen.<br />

Angesichts der politischen Entwicklung des Landes ist die Rolle von Young<br />

Labour wichtiger denn je geworden. Nie zuvor mussten sozialdemokratische Ziele und<br />

Werte in Israel, dem einzigen Land der Welt, das offiziell als „soziale Demokratie“ gegrün-


65<br />

det wurde, so sehr verteidigt werden wie heute. In den letzten Jahren ist neoliberale Politik<br />

stärker geworden, viele Bürger- und Arbeiterrechte wurden beschnitten und die<br />

Situation entwickelte sich mehr und mehr zum Nachteil der einkommensschwachen<br />

Schichten. Privatisierungen sind heute in Israel an der Tagesordnung und die Einflussbereiche<br />

von Gewerkschaften werden beschnitten. Während in den 1980er Jahren 75% der<br />

Arbeiter gewerkschaftlich organisiert waren, sind es heute weniger als ein Drittel. Der<br />

Bereich von Arbeitnehmerrechten ist für Young Labour ein besonders wichtiger und wie<br />

die Mutterpartei, die ein sehr enges Verhältnis zur israelischen Hauptgewerkschaft Histadrut<br />

hat, gibt es auch innerhalb der Jugendorganisation sehr viele Aktivisten in diesem<br />

Bereich.<br />

Genau wie zwischen der SPD und der israelischen Arbeitspartei, besteht traditionell<br />

eine gute Beziehung zwischen Young Labour und den <strong>Jusos</strong>. So war Young Labour<br />

auch neben <strong>Jusos</strong> und der Fateh-Jugend eine der drei Organisationen, die den Gründungsvertrag<br />

für das Willy Brandt Center in Jerusalem unterschrieben haben. Gerade<br />

dieser Partnerschaft verdankt Young Labour auch Beziehungen zu Fateh-Jugend. Viele<br />

Aktivitäten und Annäherungen auf diesem Level werden direkt innerhalb des Zentrums<br />

organisiert, viele andere wären ohne diese Verbindung wohl nicht möglich geworden.<br />

Gleichzeitig nimmt Young Labour das Willy Brandt Center aber auch als Chance, um wichtige<br />

innenpolitische Themen Israels zu bearbeiten und inhaltliche Forderungen an die<br />

Mutterpartei und das israelische Parlament entwickeln zu können.<br />

Young Labour befindet sich im ständigen Wandel, um den Bedürfnissen der<br />

Jugend und der israelischen Bevölkerung gerecht zu werden. Seit einigen Wochen steht<br />

hierbei für die nächsten drei Jahre mit Mayan Amodai ein neuer Vorsitzender an der Spitze<br />

der Organisation. Drei Jahre, in denen es um wichtige Entwicklungen für Israel und<br />

für den Frieden im Nahen Osten geht. Die Entwicklungen der nächsten Monate können<br />

das Leben der kommenden Jahrzehnte beeinflussen. Gemeinsam mit unseren internationalen<br />

Partnern werden wir für eine Zukunft der sozialen Errungenschaften Israels und<br />

für ein Ende des israelisch-palästinensischen Konflikts kämpfen.<br />

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Our Partners: Fatah Youth Organization – History and Relation with JUSOS von Nimala Kharoufeh<br />

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Our Partners: Fatah Youth Organization –<br />

History and Relation with JUSOS<br />

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Von Nimala Kharoufeh, Representative of the Fatah Youth Organisation in the Willy Brandt Center<br />

The official existence of Fatah Youth started in 1982 in Palestinian universities,<br />

colleges, clubs, cities, villages and refugee camps. Fatah Youth Organization focused in<br />

the early phase on the idea of voluntary work and merging with the local community as<br />

a means to building a model for solidarity that would attract the masses. This approach<br />

opened the masses’ doors to Fatah Youth Organization. The result was Fatah Youth<br />

victories in most universities, syndicates and other institutions that held democratic<br />

elections.<br />

In 1987, Fatah Youth Organization, with all its components, took part in the<br />

non-violence Palestinian Intifada against the Israeli occupation by empowering and<br />

enforcing the capacities of the Palestinian society, finding means to enable it to remain<br />

steadfast, and encouraging it to take part in the peaceful protests and demonstrations.<br />

During that period, Fatah Youth Organization explained justice of the Palestinian cause<br />

to international partners, and set up groups in most countries that sought to exert<br />

pressure for the sake of ending the Israeli occupation and forcing Israel to recognize its<br />

occupation and the Palestinian identity.<br />

Palestinian actions culminated in the beginning of Palestinian-Israeli negotiations<br />

in 1990 in the wake of the Madrid Peace Conference, which led to signature of the Oslo<br />

peace accord in 1993. That accord produced an interim Palestinian-Israeli peace<br />

agreement stipulating the formation of the Palestinian National Authority (PNA). The<br />

PNA was responsible for managing the Palestinian society and building confidence with<br />

the Israeli society to pave the way for a final deal to establish a Palestinian state in<br />

accordance with international legitimacy resolutions vis-à-vis the Arab-Israeli conflict.<br />

The Palestinian priority changed in the wake of the signing of the Palestinian-<br />

Israeli peace agreement. Fatah Youth Organization shifted from the revolutionary national<br />

liberation era to an era of participation in building the institutions of the PNA. This<br />

entailed that Fatah Youth Organization restructured itself to adjust to the new era and<br />

become part of an institutional structure. Fatah Youth Organization has been working<br />

since 1995 on developing its institutional structure and its democratic platform in partnership<br />

with its international partners, especially IUSY (International Union of Socialist<br />

Youth), which contributed positively and effectively to developing the organizational<br />

structure and internal democratic platform of Fatah Youth Organization. Fatah Youth<br />

Organization worked between 1996-1999 on reorganizing its cadres and organizing its<br />

structure and membership. The result was district conferences, held in 1999, leading up


67<br />

to the General Conference of Fatah Youth, which elected a legitimate leadership through<br />

democratic means for Fatah Youth Organization in order to realize the following goals:<br />

a. Organizing youth action through a unified action policy of Fatah Youth<br />

Organization wherever it were, in the homeland or in the Diaspora;<br />

b. Methodical human development in all fields;<br />

c. Giving chance for participation in action through initiative, creativity and<br />

conscious participation;<br />

d. Working toward improving the educational, cultural and social levels of the<br />

individual and the group and building responsible characters;<br />

e. Consolidating Fatah Youth Organization members’ trust, loyalty and affiliation<br />

with the society and the law, their feeling of general responsibility, the role<br />

of the individual, and raising his/her interest in the public property and<br />

interest;<br />

f. Seeking to enforce trust and respect among members of Fatah Youth<br />

Organization and between those members of the Palestinian society in general;<br />

g. Strengthening relations between Fatah Youth Organization and Arab and<br />

international youth organizations on the basis of the political platform of the<br />

Fatah Youth Organization;<br />

h. Embrace the Palestine Liberation Organization as a sole legitimate representative<br />

of the Palestinian people.<br />

i. Enforcing the Palestinian accomplishments and gains achieved by the movement,<br />

the revolution and the Palestine Liberation Organization;<br />

j. Working to enforce the national unity;<br />

k. Providing means of realizing the basic principles of the organization, which<br />

are freedom, democracy, equality, social justice, civil society, peace and<br />

security.<br />

In light of the common vision of the leadership of Fatah Youth Organization<br />

and JUSOS, represented by realizing freedom, democracy, equality, social justice, civil<br />

society, peace and security, several meetings were held since 1994 with the aim of<br />

developing the organizational structure of Fatah Youth Organization and helping Fatah<br />

Youth realize their goals. Due to these meetings, Fatah Youth and JUSOS agreed in 1996<br />

to establish the Willy Brandt Center for Encounter and Communication. This center was<br />

established in the frame of a trilateral agreement between JUSOS, Fatah Youth and the<br />

Israeli Labour Party Youth to provide a place for holding meetings between the Israeli and<br />

Palestinian young political leaderships under the auspices of JUSOS so as to develop<br />

joint contacts and communication. Since 1996, Fatah Youth Organization has been<br />

developing its structure by approving the democratic electoral process of Fatah Youth.<br />

JUSOS contributed to providing advice to Fatah Youth on the means of holding the<br />

elections and the means of holding organizational conferences.<br />

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Our Partners: Fatah Youth Organization – History and Relation with JUSOS von Nimala Kharoufeh<br />

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JUSOS leadership has been providing its political support to the WBC since<br />

1996. Some other contributions included inviting Fatah Youth Organization leaders<br />

to Germany to explain the Palestine Question to the German public. Additionally, it<br />

contributed until the year 2000 to providing experience to Fatah youth leaders in the<br />

mechanisms of holding elections. Through the program of the Civil Peace Service it was<br />

possible to allocate funding in order to develop the vision of the WBC. A small office in<br />

the Old City was opened. This office marked the beginning of mutual cooperation<br />

between the three parties; however, its work faced two major challenges. The first challenge<br />

was the outbreak of a new wave of violence between the Palestinian and Israeli<br />

sides. This complicated the work of the WBC, but the determination of Fatah Youth Organization<br />

and JUSOS to work together in spite of these circumstances provided indirect<br />

communication between the Palestinian and Israeli sides and contributed three years<br />

later to the Labour Party youth, Meretz youth and Fatah youth acceptance to dispatch<br />

representatives to WBC in order to restore dialogue and communication, which gave a<br />

chance since the end of 2003 to restore the understandings between the three parties<br />

and to renew joint action and holding meetings between the political representatives in<br />

the office – a new larger office was opened on the border between East Jerusalem and<br />

West Jerusalem. The second challenge resulted from the continuation of the Intifada,<br />

which halted the democratic process witnessed within Fatah Youth Organization during<br />

the year 1999. Neither elections, nor the General Conference of Fatah Youth were held<br />

since then. This weakened the structural and organizational structure of Fatah Youth<br />

Organization and undermined its administrative capacities and technical skills. In recent<br />

years, JUSOS leadership and the administration of the WBC have been giving attention<br />

to developing the democratic capacities of Fatah Youth Organization through the Palestinian<br />

and German staff of Willy Brandt Center, especially in the wake of the Palestinian<br />

Legislative Council elections in 2006, which showed weakening of Fatah Movement and<br />

its democratic principles.<br />

The partnership between Fatah Youth Organization and JUSOS has two levels;<br />

the first is development of mutual relations between the parties of the Willy Brandt Center<br />

Accord through improving communication and holding conferences and workshops<br />

concerning conflict and conflict resolution, and the second is learning from JUSOS’s<br />

experience in planning and management to building Fatah Youth Organization’s<br />

administrative capacities and to improve the knowledge of Fatah Youth Organization<br />

members in the fields of office management, planning, and media to increase the<br />

organization members’ contributions to improving the administrative and organizational<br />

performance of Fatah Movement.<br />

The Youth for Democratic Change project and its training model was the<br />

outcome of a series of meetings and discussions managed by the WBC staff since the<br />

beginning of 2006. It responds to the Youth Organization’s need to improve its


69<br />

administrative and professional performance, especially in the fields of planning, media,<br />

office management, and information technology. The project, which commenced in late<br />

2007, aims at training 40 members of Fatah Youth Organization – 20 members from 13<br />

district offices in the West Bank in office management to build their professional capacities<br />

to gather information and plan activities in accordance with the social needs of the<br />

Palestinian society, and 20 „experts“ in the areas of media, women activism and<br />

campaign management to build their professional capacities in coordination and performance.<br />

Moreover, the project shall give members of Fatah Youth Organization a chance<br />

to visit JUSOS and SPD headquarters in Germany so as to learn from JUSOS experience<br />

in management and planning.<br />

Fatah Youth Organization views its partnership with JUSOS as a strategic<br />

partnership based on mutual respect. Fatah Youth Organization seeks to advance mutual<br />

cooperation for the sake of achieving peace and security for all parties, and enforcing<br />

acceptance of the other. Conflicts are resolved through dialogue and understanding the<br />

values of mutual coexistence. As a representative of Fatah Youth Organization in WBC,<br />

I am committed to working toward realizing the mutual goals of the German and Palestinian<br />

sides through my participation in WBC and Fatah Youth Organization for the sake<br />

of realizing a better Middle East though dialogue and communication.<br />

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Our Partners: Young Meretz Yachad Israel von Tal Shahar und Maya Crabtree<br />

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Our Partners: Young Meretz Yachad Israel<br />

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Tal Shahar, Young Meretz representative in the Willy Brandt Center and Chairperson of Meretz Jerusalem<br />

Maya Crabtree, Young Meretz volunteer in the Willy Brandt Center and Chairperson of Meretz Student<br />

Organization<br />

Young Meretz is the youth organization (18-35) of Meretz Party, the Israeli Social-<br />

Democratic party. In many ways, Meretz is considered to be the avant-garde of Israeli<br />

politics, most famous for being the first Zionist party to support and promote peace with<br />

the Palestinians on the basis of a two state solution. Meretz also re-invented the Social-<br />

Democratic discourse in the late nineties, by including more classical left-wing issues in<br />

addition to the call for peace and non-violence, such as social justice and environmental<br />

issues, as well as liberal issues such as gender equality, gay rights, separation of church<br />

and state, minority rights, etc.. Unfortunately, since the 2003 elections, Meretz’s support<br />

in the public has declined, and its number of seats in the Israeli Parliament, the Knesset,<br />

has halved. This decline is attributed most significantly to the rise of the second Palestinian<br />

Intifadah, which heightened the levels of distrust in the Palestinian commitment to<br />

peace within the Israeli public, of which Meretz was and is the chief advocator.<br />

Similarly, Young Meretz is considered as an avant-garde force inside the party,<br />

both in terms of social justice and civic & human rights policies. Despite Meretz’s decline<br />

in parliamentary representation, Young Meretz did not lose its effectivity in getting its<br />

message through and promoting a progressive agenda for peace, social justice and<br />

human and civil rights. Alongside our representatives in the Knesset, Young Meretz continues<br />

to be the party’s voice by means of activism and media work, thereby bringing our<br />

issues and views to the Israeli Public. By succesfully fulfilling this role Young Meretz has<br />

earned much appreciation within party circles. This became especially apparent recently,<br />

when Uri Zaki, chairperson of Young Meretz, challenged the incumbent General<br />

Secretary of the party during the September 2007 elections for office and lost the race by<br />

only 3%. The results may be attributed to the high levels of activism within the young<br />

branches, and the growing participation of young members in various positions within<br />

the party. For instance, almost 20% of Meretz National Board are aged 16-35 and 15% of<br />

Meretz branches’ chairpersons are young, two of which are the second and third largest<br />

branches in the party. Tal Shahar, one of the composers of this report and the Young<br />

Meretz representative in the Willy Brandt Center, is also the elected chairman of the Jerusalem<br />

Branch, the largest city in Israel, and just as Meretz is attentive to its youth, youth<br />

in Israel is still attentive to Meretz. 20% of Meretz voters in the last elections of 2006 were<br />

under the age of 30. For comparison, the Labour Party, which won four times the number<br />

of seats, received the same number of young votes.


71<br />

In March, Meretz will elect a new party chairperson. Though this position is<br />

elected on a personal basis, these elections are actually very ideological. The three<br />

nominees represent three main ideological directions in the party. Though ideologically<br />

very close to each other, every candidate symbolizes a different emphasis. While MK<br />

Haim (Jumes) Oron is identified with peace issues, MK Ran Cohen mostly known for his<br />

struggle for strengthening public services and expanding the welfare and housing system<br />

and MK Zehava Gal’on is identified with civic and human rights issues, such as women<br />

and gay rights and secularism. As mentioned before, these are merely emphases, and it<br />

is generally expected of all candidates to continue promoting all the party’s agendas<br />

when elected, in cooperation with his or her colleagues.<br />

The next challenge facing Meretz immediately after the internal elections will<br />

be the municipal elections in November 2008. Municipal elections are very challenging<br />

for the young organizations in the party, as they are generally organized on the national<br />

and regional level, but hardly on the municipal level. Especially problematic is the<br />

recruitment of youth for these campaigns, as the municipal elections do not usually draw<br />

much public attention in Israel and are considered as less important and compelling<br />

than national issues such as peace and security. Another problem, which is almost<br />

unique in young members of the party, is their high level of mobility, often causing<br />

situations wherein they are active in one municipality while registered to vote in another.<br />

In light of this problem, we have already began taking part in a campaign in the major<br />

metropolis, calling upon young people to alter their registered address according to<br />

their current place of work or study. The first problem mentioned above represents a<br />

major challenge which must be addressed accordingly and used as a leverage and opportunity<br />

for long term recruitment of new young members, who will be involved in municipal<br />

politics and promote more ecological and social agenda in their municipalities.<br />

Above all lies the political situation in Israel and the region. After the last war<br />

in Lebanon the government lost most of its support and though Ehud Olmert is talking<br />

about peace on every stage, he does not have the political ability to take major steps and<br />

make difficult compromises as needed in order to promote a solution to the Israeli-<br />

Palestinian conflict. It is generally expected that the next government will not represent<br />

any improvement. All the signs show that Benjamin Netanyahu will lead the next government,<br />

which will promise no end to the Israeli-Palestinian conflict on the external front,<br />

and on the internal one, more privatization and capitalist economical reforms and less<br />

civic and human rights, due to pressures from the religious and ultra-orthodox right.<br />

These are the challenges facing Meretz and Young Meretz in particular in the<br />

coming months. We hope to face them wisely and courageously in order to promote a<br />

progressive agenda on the national and municipal level and to promote viable peace in<br />

our time. After all, it’s in our hands.<br />

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Impressum:<br />

Herausgeber:<br />

. . . . Bundesverband der Jungsozialistinnen und<br />

. . . . Jungsozialisten in der SPD<br />

Verantwortlich:<br />

. . . . Franziska Drohsel und Katrin Münch<br />

Redaktion:<br />

. . . . Simone Burger, Kai Burmeister, Ralf Höschele<br />

. . . . und Daniela Augenstein<br />

Redaktionsanschrift:<br />

. . . . Juso-Bundesbüro, Willy-Brandt-Haus, 10911 Berlin<br />

. . . . Tel: 030-25991-366, Fax: 030-25991-415<br />

. . . . http://www.jusos.de<br />

Fotos:<br />

. . . . private Fotos<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben<br />

nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.<br />

Verlag:<br />

. . . . Eigenverlag<br />

Gesamtherstellung:<br />

. . . . Druckhaus Dresden GmbH


Bei Unzustellbarkeit wegen Adressenänderung erfolgt die Rücksendung<br />

an den Herausgeber unter Angabe der gültigen Empfängeranschrift.<br />

Postvertriebsstück G 61797<br />

Gebühr bezahlt<br />

Juso-Bundesverband, Willy-Brandt-Haus, 10911 Berlin<br />

März 2008<br />

ISSN 1439-9784<br />

Gefördert durch Mittel des Kinder- und Jugendplans des Bundes

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