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zum dritten Rundbrief von Nico Bleck

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Dritter <strong>Rundbrief</strong> <strong>von</strong> <strong>Nico</strong>las <strong>Bleck</strong> 25.01.2011<br />

Warum schämt ihr Deutschen euch für eure Vergangenheit?<br />

Diese Frage wird mir und meinem Mitbewohner Konstatin in einem All-You-Can-Eat-Buffet-<br />

Chinesisch-Restaurant gestellt. Der Fragensteller ist ein Mexikaner, der unsere Sprache als Deutsch<br />

erkannt hat und gleich das beliebte Thema Rund um den Mann mit Oberlippenbart anspricht.<br />

Ich als ehemaliger Geschichts-Leistungskurs-Schüler bringe diese Frage natürlich sofort mit der<br />

Diskussion um Kollektivschuld in Verbindung, erwähne, dass das Thema NS-Diktatur keinesfalls<br />

bei allen deutschen Staatsangehörigen Schuldgefühle weckt, fange an zu argumentieren, dass man<br />

jedoch <strong>von</strong> einer besonderen Verantwortung sprechen kann, wenn es darum geht das Geschehene<br />

fest zu halten, an das Geschehene zu erinnern, gerade wenn es keine Zeitzeugen mehr geben wird,<br />

dafür Sorge zu tragen, dass dieser Teil der deutschen Gescichte zu keinem Tabu-Thema wird.<br />

Ich werde unterbrochen. „Nein, nein! warum schämt ihr Deutschen euch überhaupt für eure<br />

Vergangenheit?“<br />

Ich beginne zu begreifen...<br />

Unserem Gesprächspartner geht es nicht darum, dass Deutsche, die erst nach dem 2.Weltkrieg<br />

geboren worden sind, sich für die Gräuel des Nationalsozialismus schuldig fühlen. Nein, er fragt<br />

ganz einfach danach, warum wir Deutsche die Zeit des „Dritten Reiches“ so „kritisch“, so „negativ“<br />

betrachten.<br />

Diese Situation ist nur eine Beispielsituation <strong>von</strong> vielen, die ich bisher hier in Mexiko erlebt habe.<br />

Als Deutscher wird man nicht als Nazi beschimpft. Man erntet höchstens Unverständnis, wenn man<br />

Hitler als verabscheuungswürdigen Diktator und Massen-, ja Volksmörder betitelt.<br />

Beim Bummeln im mehrstöckigen Tianguis (in etwa Flohmarkt) San Juan de Dios: ein Metzger, der<br />

sich über meinen Akzent wundert, fragt mich woher ich denn komme. Die Antwort: „Soy aleman“<br />

löst eine kleine Assoziationskette aus: erst Hitlergruß, dann der Kommentar: „Jjitler, guter Mann,<br />

guter Mann, hat Autobahnen gebaut und die deutsche Wirtschaft auf Trab gebracht!“<br />

Beim Gespräch im Chinarestaurant fallen Bemerkungen wie: „Mein Kampf“ ist eines meiner<br />

Lieblingsbücher, oder den Holocaust relativierend: „Der hat doch nur die Juden getötet. Andere<br />

Völker haben doch auch Genozide begangen.“ So im Sinne <strong>von</strong> „was ist denn schon dabei“.<br />

Nebenbei bemerkt, unser Gesprächspartner hat internationale Beziehungen studiert und kennt sich<br />

im Gegensatz <strong>zum</strong> Metzger richtig aus in der deutschen Geschichte, hat sogar schonmal was vom<br />

DINGSBUMS -Telegramm gehört.<br />

Ein anderer Mexikaner, Akademiker, gesteht mir: „Ich bin ein Fan <strong>von</strong> Hitler“.<br />

Dieses Phänomen zieht sich durch alle Volksschichten. Und es handelt sich eben nicht nur um<br />

Metzger mit Halbwissen, sondern auch um studierte Menschen. Menschen, die <strong>von</strong> sich behaupten<br />

sich mit der deutschen Geschichte auseinandergesetzt zu haben, die Hitlers „Mein Kampf“ (das man<br />

hier übrigens in jeder Buchhandlung erwerben kann) tatsächlich gelesen haben.<br />

Die Bemerkungen, die bei den „Hitler, guter Mann-Gesprächen“ fallen, lösen bei mir ein Gefühl des<br />

Schockiert-seins und des Belustigt-seins zur gleichen Zeit aus. Schockiert, wie man trotz der<br />

Kenntnis der historischen Tatsachen nur die kurzfristigen ökonomischen Vorteile dieser Diktatur<br />

sehen kann und die Frage „um welchen Preis?“ schlicht ausblendet. Belustigt, weil einem Sätze wie<br />

„Mein Kampf“ ist eines meiner Lieblingsbücher völlig ohne Ironie, frisch, fromm, fröhlich und<br />

voller Überzeugung ins Gesicht gesagt werden. Es wirkt fast surreal.<br />

Und du fängst an zu argumentieren. Allerdings bist du nicht in der Verteidigungs-Position, wie man<br />

das als Deutscher im Ausland erwarten würde. Du musst in die Offensive gehen uns erklären,<br />

warum das, was Hitler getan hat nicht pauschal als „gut“ dargestellt werden kann. Etwas, was<br />

eigentlich gar keiner Erklärung bedarf (so dachte ich bisher). Während solcher Gespräche frage ich<br />

mich manchmal „<strong>Nico</strong>, bist du gerade im Ernst darüber am diskutieren, ob Genozid als Kolleteral-<br />

Schaden gesehen werden kann, oder nicht?“ Manschmal sind diese Diskussionen sehr ermüdend.<br />

Wenn man mekt, dass der andere kaum <strong>von</strong> seiner Sichtweise abweicht. Wenn Argumente nicht


weiterhelfen. Dann möchte ich einfach nur antworten: Hörmal, dass ganze ist schon verdammt<br />

lange her und war ein ziemlicher Mist! Es ist <strong>zum</strong> vezweifeln...Der Höhepunkt ist dann, wenn ich<br />

<strong>von</strong> einem der Kinder im Ciudad de los Ninos gefragt werde, ob ich den zweiten Weltkrieg denn<br />

noch erlebt hätte...<br />

Ich muss jedoch sagen, dass es leichter ist diesen Jungs verständlich zu machen, dass Hitler kein<br />

Held ist, als so manchem Erwachsenen.<br />

Allein die Frage: „Was hältst du <strong>von</strong> Adolf Hitler“ würde einem in Deutschland kaum begegnen. Es<br />

sei denn sie stellt ein Rechtsextremist. Aber ansonsten geht man nicht da<strong>von</strong> aus, dass man diese<br />

Frage zur Debatte stellen kann. Das Gute, was ich diesen Gesprächen abgewinnen kann, ist die<br />

Konfrontation mit sich selbst. Man fängt an zu überlegen, ja warum find ich das ganze mit den<br />

Nazis eigentlich so schlecht. Im Gespräch musst du deine Meinung mit Argumenten untermauern.<br />

Das hilft mir firmer in meiner Haltung zu werden und wer weiß, wenn ich <strong>zum</strong> x-ten Mal erkläre,<br />

dass Hitler in Deutschland nicht allgemein als Held gefeiert wird, ob ich jemanden <strong>zum</strong><br />

Nachdenken bewegt hab. Das wär schon ein Gewinn...<br />

Ich möchte der Fairness halber aber auch erwähnen, dass ich auch mit Mexikanern gesprochen<br />

habe, die eine sehr gesunde Abneigung gegenüber den Machenschaften der Nazi-Diktatur<br />

empfinden.<br />

Einen möglichen Erklärungsansatz für den Hitler-Fanatismus habe ich in der mexikanischen<br />

Geschichte gefunden, die vor allem im 19. Jahrhundert <strong>von</strong> Diktatoren geprägt war. Einige dieser<br />

Diktatoren werden (vor allem <strong>von</strong> staatlicher Seite) als Volkshelden dargestellt. Es werden nur die<br />

Vortreile der Diktatur betont, die Schattenseite bleibt oftmals unerwähnt.<br />

Auch erlebe ich häufig, dass das Ausland, vor allem Deutschland, über die Maße gelobt wird. Klar,<br />

im Vergleich zu den Problemen, die die Mexikaner mit dem Drogenkrieg haben, wirken Dingen, an<br />

denen wir uns in Deutschland stoßen ein wenig blass. Wenn man vom Attentat im Moskauer<br />

Flughafen erzählt fällt nur das Stichwort „Ciudad Juarez“ und man weiß Bescheid, solche<br />

Nahrichten gehören hier <strong>zum</strong> Alltag. Aber dennoch. Es wird schnell und viel gelobt und das eigene,<br />

das Mexikanische, im internationalen Vergleich erniedrigt. Eine Haltung die mir paradox<br />

vorkommt, wenn ich mich an die Feierlichkeiten des 15. Septembers erinnere: Día de la<br />

Independencia, Nationalhymne, el grito (der Schrei) Viva México, es wird viel <strong>von</strong> Patría<br />

(Vaterland)geredet, an den Supermärkten hängen Poster: México, por tu tradición, creo en tí<br />

(Mexiko, aufgrund deiner Tradition glaube ich an dich). Diese Einstellung dem eigenen Land<br />

gegenüber und dann ständig der Vergleich mit dem Ausland, Deutschland als eine Art gelobtes Land<br />

, das gute alte Europa....ich glaube da steckt sehr viel mehr dahinter, als man durch ein biscchen<br />

Beobachten erkennen kann. Diese Komplexität finde ich hoch spannend und man kann mit<br />

Mexikanern viele spannende Gespräche über diese Thematik führen.

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