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Buchsgau - Kirchenblatt

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Warum Christ sein?<br />

2. Teil<br />

Spontan und kreativ<br />

TIMOTHY RADCLIFFE<br />

Thema<br />

Christentum kann man sich nicht statisch aneignen,<br />

denn ein Lebensentwurf, der sich von christlichen<br />

Grundgedanken beeinflussen lässt, ist stets kreativ<br />

und offen. Der Dominikanermönch Timothy Radcliffe<br />

ist überzeugt: Auch wenn ich mein Ziel kenne, der<br />

Weg dorthin kann ganz verschieden sein.<br />

Timothy Radcliffe<br />

wurde 1945 in London geboren, studierte<br />

Theologie und trat dem Dominikanerorden<br />

bei. Er war Provinzial der Dominikaner Englands,<br />

dann von 1992–2001 Generaloberer des<br />

Weltordens. Er ist Mitglied des Dominikanerkonventes<br />

Blackfriars in Oxford, Professor der<br />

Theologie und ein angesehener und gefragter<br />

Autor und Redner.<br />

Timothy Radcliffe<br />

Warum Christ sein<br />

Wie der Glaube unser Leben<br />

verändert<br />

Herder 2012<br />

395 Seiten, Fr. 32.90<br />

ISBN 978-3-451-33501-3<br />

Wenn Gott den Menschen Gebote gibt,<br />

dann aus Freundschaft. Als Mose ihm auf<br />

dem Berg begegnete, um die Zehn Gebote<br />

zu empfangen, traf er dort nicht<br />

den kosmischen Gesetzgeber. Vielmehr<br />

redete der Herr «mit Mose von Angesicht<br />

zu Angesicht, wie jemand mit einem<br />

Freund spricht» Exodus 33,11. Und als<br />

Jesus seinen Jüngern sein neues Gebot<br />

gab, tat er das, weil sie seine Freunde waren:<br />

«Ihr seid meine Freunde, wenn ihr<br />

tut, was ich euch auftrage» Johannes<br />

15,14. Freunde haben gegenseitige Verpflichtungen,<br />

die sie nicht knebeln, sondern<br />

verbinden sollen. Es ist die Ver -<br />

pflichtung der Liebe, nicht des Gesetzes.<br />

Kreativ entscheiden<br />

Nun, wenn die Kirche die Freundschaft<br />

und Nähe der Menschen sucht, kann sie<br />

ihnen in moralischen Konflikten und bei<br />

Entscheidungen zur Seite stehen. Nur<br />

dann können Menschen das Vertrauen<br />

gewinnen, Entscheidungen zu treffen,<br />

die kreativ und befreiend sind, die über<br />

die offensichtlichen Alternativen hinausgehen<br />

und Neuland erkunden. An seinem<br />

letzten Abend waren Jesus wenige<br />

Möglichkeiten offengeblieben, und keine<br />

von ihnen schien gut. Er konnte warten<br />

und sterben oder fliehen und sein Gesicht<br />

verlieren. In beiden Fällen musste<br />

sein Leben als gescheitert gelten. Eine<br />

gute Alternative gab es scheinbar nicht.<br />

Er aber handelte kreativ, indem er den<br />

Verrat zu einer Gabe machte und den<br />

Zerfall der Gemeinschaft in einen neuen<br />

Bund wandelte.<br />

Viele glauben, dass wir sehr wenige<br />

Möglichkeiten zur Auswahl haben. Aber<br />

sich zu entscheiden bedeutet mehr, als<br />

nur zwischen Alternativen zu schwanken.<br />

Wenn Gottes Gnade unsere Vorstellung<br />

belebt, können wir kreativ entscheiden<br />

und damit Möglichkeiten eröffnen,<br />

von denen wir nie geträumt haben. Wir<br />

können unser Schicksal in die Hand nehmen<br />

und es zu einem Segen machen. Wir<br />

können Freiheit entdecken, wo sie bisher<br />

unmöglich schien. Auf den Philippinen<br />

traf ich eine Frau, die an Lepra erkrankt<br />

war. Sie hatte die meiste Zeit ihres Lebens<br />

in einer der Leprastationen verbracht, die<br />

die Dominikaner auf St. Martin betreiben,<br />

viele von ihnen selbst mit der Krankheit<br />

infiziert. Aber auch nach ihrer Heilung<br />

traute sie sich nicht, auf die Strasse zu gehen.<br />

Sie fürchtete sich vor der Angst und<br />

dem Ekel in den Augen der Leute. Ihre<br />

Narben hielten sie gefangen. Dann entdeckte<br />

sie jedoch, dass ihre Krankheit<br />

zu ihrer Berufung werden könnte. Sie<br />

begann, in Asien herumzureisen, besuchte<br />

Leprakrankenhäuser und ermutigte<br />

Men schen, ihre Gefängnisse zu verlassen<br />

und frei zu sein.<br />

Von dem mittelalterlichen Dominikanermystiker<br />

Heinrich Seuse wird folgende<br />

Geschichte erzählt: Eine Frau, die ein uneheliches<br />

Kind hatte, legte es auf seine<br />

Türschwelle und verbreitete das Gerücht,<br />

dass er der Vater sei. Heinrich ertrug alles<br />

4<br />

KIRCHENBLATT 24 2013

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