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Kirchenblatt 25 Pure Präsenz

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dass Jesus – anders als fast jeder andere<br />

Religionsstifter – Gott inmitten von Unordnung<br />

und Unvollkommenheit gefunden<br />

hat und uns gesagt hat, wir müssten<br />

das auch tun, sonst würden wir auf Erden<br />

niemals glücklich sein. Das ist für Rohr einer<br />

der Gründe, weshalb Jesus für die<br />

meisten Zeitalter und Kulturen so unverständlich<br />

geblieben ist.<br />

Rohr warnt im gleichen Zug auch vor einem<br />

engstirnigen religiösen Entwederoder-Denken.<br />

Für ihn gilt das Sowohl-alsauch<br />

als ein Weg des Dialogs, der uns in<br />

unsrer eigenen Position bestärken kann.<br />

Sturheit ist eindeutig eine falsche Sicherheit.<br />

Thema<br />

sichtiger Theoretiker, der aus der Praxis<br />

seinen Schreibstoff bezieht – versucht<br />

den Lesern das oft vorhandene Miss -<br />

trauen vor der Mystik von Beginn weg mit<br />

klaren Worten abzubauen. Der zentrale<br />

Gedanke seines Werkes ist die Einsicht,<br />

dass der Mensch sich nicht in der Suche<br />

nach etwas Fernem und Fremdem verirren<br />

soll, sondern in sich selbst fündig werden<br />

kann. Für Rohr besteht die grosse<br />

Entdeckung darin, dass das, was wir su-<br />

chen, längst da ist. Und so wird sein Buch<br />

zu einer vielgestaltigen Aufforderung,<br />

sich selbst und den anderen nicht aus<br />

dem Weg zu gehen, auch wenn das nicht<br />

immer ganz einfach ist. Selbst wenn das<br />

Leben alles andere als Sonnenschein bietet,<br />

kann das Erkennen eines tragenden<br />

Grundes dem Stolpernden eine fundamentale<br />

Hilfe sein. Rohr führt, wie oft in<br />

seinem Buch, Jesus als Beispiel an: Für ihn<br />

ist eine der erstaunlichsten Tatsachen,<br />

Leben in vollen Zügen<br />

Die gängige Religion strebt persönliche<br />

Vervollkommnung an; die Mystiker hingegen<br />

suchen und geniessen das Fundament<br />

selbst – die Vereinigung mit Gott,<br />

die pures Geschenk ist. Mystik darf aber<br />

keinesfalls zu einem Entgleiten aus der<br />

Realität des Lebens in eine Sphäre undurchsichtiger<br />

Gedankenspiele und Irritationen<br />

führen. Richard Rohr verwendet<br />

den Begriff «<strong>Pure</strong> Präsenz» für eine Lebenshaltung,<br />

die durch Offenheit und<br />

Feinfühligkeit gekennzeichnet ist. Genau<br />

wie man heute in der Gastronomie von<br />

«Slow Food» spricht, einer bewussten Entschleunigung<br />

der Nahrungsaufnahme und<br />

Konzentration auf eine naturnahe und<br />

regional geprägte Küche, so könnte man<br />

Rohrs Anliegen als eine Art geistiges<br />

Langsam- und Konzentriertwerden umschreiben.<br />

Nicht in der Ferne im Exotischen<br />

liegt die Erfüllung, nein, ganz nahe<br />

und doch so fern schlummert der wahre<br />

Kern der erfüllten Existenz und vollkommenen<br />

Präsenz.<br />

Der Untertitel von Rohrs Buch: «Sehen<br />

lernen wie die Mystiker» mag etwas gar<br />

viel versprechen, denn ein Mystiker ist<br />

man nach der Lektüre bestimmt noch<br />

nicht – und wird es unter Umständen gar<br />

nie sein wollen – doch auf 200 Seiten<br />

führt der amerikanische Franziskaner<br />

seine Leserschaft nahe an eines der gröss -<br />

ten religiösen Phänomene heran und öffnet<br />

die Tür eine Spalt weit zu einem unermesslich<br />

weiten Raum, der nur erahnt<br />

und nicht durchmessen werden kann.<br />

KIRCHENBLATT <strong>25</strong> 2010<br />

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