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MITTEILUNGS - Kolpingwerk Südtirol

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SOMMER<br />

Urlaubszeit – besonnen ins Glück<br />

Ob in der Arbeit, oder auf dem Weg<br />

in den Urlaub, wir steigen gerne aufs<br />

Gas. Zeit ist schließlich Geld und beides<br />

will gut genutzt sein. Doch in der<br />

Eile begehen wir einen fundamentalen<br />

Denkfehler.<br />

Gerade in der Urlaubszeit ist es sehr<br />

wichtig, zu überlegen, ob die Eile immer<br />

das Richtige ist. Der Mensch ist<br />

ein Fluchttier. Deshalb versteht er sich<br />

aufs Tempo auch so gut. Irgendwann in<br />

grauer Urzeit, in der Hitze der Savanne,<br />

ist er von Löwen davongerannt. Die<br />

Schnelleren retteten sich rechtzeitig<br />

auf den sicheren Baum, die Langsameren<br />

aber …. Genauso geht das auch in<br />

der schönen Welt der Arbeit. Pünktlich<br />

zu Ferienbeginn finden sich alle an der<br />

Startlinie ein. Die Löwen von früher, die<br />

heißen heute Arbeitgeber, der Fluchtbaum<br />

von einst heißt nun Strand oder,<br />

in weiter Ferne liegende Insel.<br />

Die Sonne glüht also, der Tank des Autos<br />

ist voll, jetzt noch ein Tritt aufs Gaspedal,<br />

und schon sind die alten Zeiten<br />

wieder hergestellt. Manche brauchen<br />

ungebremste 3 Stunden, um von der<br />

Heimat an die Adria zu gelangen. Das<br />

Rasen ist uns von den Instinkten in die<br />

Wiege gelegt.<br />

Es geht also zunächst in die Ferien. Der<br />

Motor, das satellitengesteuerte Navigationssystem,<br />

der satte Treibstoff. Diese<br />

Mischung holt uns das Meer fast vor die<br />

Haustüre. So steht es jedenfalls in den<br />

Fluchthilfemittelkatalogen der Autoindustrie.<br />

Ein Versprechen, das die Statistik<br />

unterstützt: die modernen Transportmittel<br />

haben demnach die Erde<br />

für uns heute auf ein Sechzigstel ihrer<br />

ursprünglichen Größe geschrumpft<br />

oder einfach gesagt: Wir sind sechzig<br />

Mal schneller geworden als zu Zeiten,<br />

in denen wir in der Savanne mit den<br />

Löwen spielten.<br />

Eine weitere These bezüglich der<br />

Schnelligkeit und Eile: Handy und<br />

Email beschleunigen zwar die Kommunikation,<br />

erzeugen aber gleichzeitig einen<br />

höheren Kommunikationsaufwand.<br />

Online-Shopping erspart zwar den Weg<br />

ins Fachgeschäft, dafür suchen wir zwei<br />

Stunden vor dem Bildschirm nach dem<br />

besten Angebot. Und die Beschleunigung<br />

der Verkehrsmittel haben wir<br />

nicht genutzt, um Zeit für anderes zu<br />

gewinnen, sondern um unseren Fortbewegungsradius<br />

zu vergrößern.<br />

Geht es nach den Studien von Zeitforschern,<br />

hat sich das tägliche Mobilitätszeitbudget<br />

seit Jahrhunderten nicht<br />

verändert. Ein bis eineinhalb Stunden<br />

pro Tag verbringen wir mit unseren<br />

täglichen Wegen. In mittelalterlichen<br />

Städten waren das ein paar Kilometer,<br />

die fußläufig zurückgelegt wurden.<br />

Heute schlagen täglich die 150 km vom<br />

Wohnort zur Arbeitsstelle ins Zeitbudget.<br />

Ergebnis: Wir machen alles schneller,<br />

und wir gewinnen dadurch nichts<br />

an Zeit.<br />

Gleiches gilt für Produktions- und<br />

Stückzahlen. Sie wachsen, damit sie<br />

wachsen, damit wir Arbeit haben, damit<br />

wir noch effizienter werden und weiter<br />

wachsen. Wir telefonieren, während<br />

wir eine E-Mail lesen und beantworten<br />

sie, während wir Mittagessen. Kurz: wir<br />

erhöhen die Handlungsepisoden pro<br />

Zeiteinheit. Das hat man uns schon in<br />

Kindertagen beigebracht: Zeit ist Geld!<br />

So wie in Europas größtem Finanzzentrum<br />

der Londoner City. Dort braucht der<br />

Transfer von Milliarden Dollar in Investments<br />

eine zehntausendstel Sekunde.<br />

Berechnet von programmierten-mathematischen<br />

Logarithmen nimmt der<br />

Computer jede kleinste Veränderung auf<br />

den Finanzmärkten wahr und verarbeitet<br />

sie in sein System. Der Broker sieht<br />

bloß zu, und nicht wenige bekommen<br />

davon Schuldgefühle. Der Kontrollverlust<br />

plagt die Psyche. Im deutschen<br />

Dokumentarfilm „SPEED“ erzählt ein<br />

ehemaliger Lehman-Brothers-Banker,<br />

wie ihm die Geschwindigkeit seines Geschäfts<br />

die Lebensenergie aussaugte.<br />

Heraus kam eine lupenreine Depression.<br />

Der Banker arbeitet heute auf einer<br />

Schweizer Alm, wo er Gästen die Tische<br />

wischt und ihnen Speckjausen serviert.<br />

Und das alles macht er ganz, ganz langsam.<br />

Glücklich, sagt er, sei er.<br />

Dabei ist Beschleunigung ein Naturgesetz<br />

der Moderne, und Tempo wird als<br />

hoher Entwicklungsstand gewertet. Beschleunigen<br />

oft zum Selbstzweck, sagt<br />

der Sozialtheoretiker Hartmut Rosa<br />

zum großen Paradox unserer Zeit und<br />

nennt das ganze „rasender Stillstand“.<br />

Es muss etwas Wahres daran sein. Rosas<br />

Buch wurde allein in Deutschland<br />

mehr als 50.000 Mal verkauft.<br />

Versuchen und wollen wir nicht gerade<br />

Lebensgenuss haben, gerade im Urlaub.<br />

Wie schwer uns das oft fällt, hat<br />

der Schriftsteller Heinrich Böll in einer<br />

bezaubernden Fabel formuliert, die den<br />

rasenden Urlauber mit einem einfachen<br />

Fischer konfrontiert. Der Tourist, nach<br />

Stunden im Stau, doch endlich am<br />

Meer angekommen, geht am Vormittag<br />

am Strand spazieren und sieht einen Fischer<br />

im Schatten rasten. „Warum sind<br />

Sie nicht draußen, auf dem Meer?“ fragte<br />

er. „Ich war heute schon draußen“,<br />

antwortet der Fischer. „Warum fahren<br />

Sie nicht noch einmal? Dann können<br />

Sie mehr Fische fangen und mehr Geld<br />

verdienen?“ Der Fischer schaut den<br />

Fremden fragend an: „Warum sollte ich<br />

das?“ „Sie könnten ein weiteres Boot<br />

anschaffen und Leute bezahlen, die<br />

Ihnen beim Fischen helfen. Sie könnten<br />

ein Fischverwertungsunternehmen<br />

gründen und höhere Gewinne erzielen.<br />

Und irgendwann verdienen Sie damit so<br />

viel, dass Sie selbst nicht mehr arbeiten<br />

müssen. Dann können Sie sich in den<br />

Schatten setzen und entspannen.“ Der<br />

Fischer versteht nicht: „Aber das mach<br />

ich doch bereits…. Daraufhin geht der<br />

Tourist weg. Nachdenklich, und ein wenig<br />

neidisch.“<br />

Zusammenfassung aus:<br />

„Die Furche“ vom 4.7.2013<br />

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