Kriminalistik-SKRIPT
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<strong>Kriminalistik</strong>-<strong>SKRIPT</strong>: Eingriffsrecht<br />
bb) Extensive Betrachtungsweise<br />
Nach herrschender Meinung 42 sei aus Praktikabilitätsgründen<br />
die ausdrückliche Bezeichnung eines bestimmten Mittels<br />
des unmittelbaren Zwangs nicht zu fordern. Worin der<br />
unmittelbare Zwang letztendlich bestehe, bestimme sich<br />
nach den Umständen des Einzelfalls. Das Verhalten des<br />
Pflichtigen wirke hinsichtlich der Bestimmung des erfolgversprechenden,<br />
aber auch am wenigsten beeinträchtigenden<br />
Mittels 43 . Es könne sogar unzweckmäßig sein, dem<br />
Betroffenen die geplanten Maßnahmen in allen Einzelheiten<br />
vorher anzukündigen, weil er sich dann, wenn er ihnen<br />
nicht nachkommen oder gar Widerstand leisten wolle, auf<br />
sie einstellen und sie unterlaufen und vereiteln könne.<br />
Ausnahmen habe der Gesetzgeber bezüglich des Schusswaffengebrauchs<br />
konkret im Gesetz geregelt.<br />
cc) Stellungnahme<br />
Letztere Auffassung erscheint vorzugswürdig, da nicht von<br />
vornherein davon auszugehen ist, dass der Polizeivollzugsdienst<br />
ein unverhältnismäßiges Zwangsmittel anwenden<br />
wird. Letztlich ist nur eine Anwendung eines Mittels des<br />
unmittelbaren Zwangs rechtlich möglich, das auch angedroht<br />
werden könnte.<br />
b) Ordnungsgemäße Anwendung des Zwangsmittels<br />
Bleibt die Androhung – wie im vorliegenden Fall – erfolglos,<br />
kommt es zur Anwendung des Zwangsmittels. Die<br />
tatsächliche Ausführung der Zwangsmaßnahme darf nur<br />
entsprechend der Androhung erfolgen. Die allgemeinen<br />
Anwendungsvoraussetzungen sind in § 32 Abs. 1 Sächs-<br />
PolG 44 normiert.<br />
Gem. § 32 Abs. 1 S. 1 SächsPolG darf unmittelbarer<br />
Zwang nur angewendet werden, wenn der polizeiliche<br />
Zweck auf andere Weise nicht erreichbar erscheint. Diese<br />
Vorschrift stellt eine Konkretisierung des Grundsatzes der<br />
Erforderlichkeit (§ 3 Abs. 2 SächsPolG) dar. Mit den<br />
Worten „auf andere Weise“ sind die anderen Zwangsmittel<br />
des § 19 Abs. 2 SächsVwVG gemeint. Ein Zwangsgeld<br />
(§ 19 Abs. 2 Nr. 1 SächsVwVG) kommt nicht in Betracht,<br />
da die Festsetzung gem. § 22 Abs. 2 SächsVwVG 45 schriftlich<br />
er-folgen muss. Da das Verlassen eines bestimmten<br />
Ortes nämlich nur den Pflichtigen und niemand anderem<br />
möglich ist, handelt es sich bei dem Verlassen des Platzes<br />
nicht um eine vertretbare Handlung i.S.v. § 24 Abs. 1<br />
SächsVwVG 46 , so dass eine Ersatzvornahme (vgl. auch §<br />
19 Abs. 2 Nr. 2 SächsVwVG) ebenfalls nicht einschlägig<br />
ist. Damit liegen die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 S. 1<br />
PolG vor.<br />
Weiterhin dürfte gem. § 32 Abs. 1 S. 2 SächsPolG kein<br />
Vollstreckungshindernis vorliegen, d.h. der Zweck der<br />
Maßnahme dürfte noch nicht erreicht sein. Da die Tierschützer<br />
sich weigern, den Eingangsbereich des Reitstalls<br />
zu verlassen, ist auch diese Voraussetzung erfüllt.<br />
Gegen Personen darf gem. § 32 Abs. 1 S. 3 SächsPolG<br />
unmittelbarer Zwang nur angewendet werden, wenn der<br />
polizeiliche Zweck durch unmittelbaren Zwang gegen<br />
Sachen nicht erreichbar erscheint. Der vorliegende Sachverhalt<br />
bietet keine Anhaltspunkte, dass das Verlassen des<br />
Platzes auch durch Zwangseinwirkung gegen eine Sache<br />
erreicht werden könnte.<br />
Gem. § 32 Abs. 1 S. 5 SächsPolG darf gegenüber einer<br />
Menschenansammlung, wie hier den Tierschützern, unmittelbarer<br />
Zwang nur angewendet werden, wenn seine Anwendung<br />
gegen einzelne Teilnehmer der Menschenansammlung<br />
offensichtlich kein Erfolg verspricht. Wie bereits<br />
dargelegt, existiert bei Spontanversammlungen kein<br />
Leiter. Auch sind andere Gesichtspunkte dem Sachverhalt<br />
nicht zu entnehmen, die darauf hindeuten könnten, dass die<br />
Inanspruchnahme eines einzelnen Tierschützers Auswirkung<br />
auf die gesamte Gruppe haben könnte.<br />
Mithin liegen alle Voraussetzungen des § 32 Abs. 1<br />
SächsPolG vor. Da spezielle Anwendungsvorschriften, wie<br />
etwa beim Schusswaffengebrauch gem. §§ 33 und 34<br />
SächsPolG, nicht bestehen, ist die Anwendung des unmittelbaren<br />
Zwangs somit rechtmäßig gewesen.<br />
3. Adressat<br />
Weiterhin müssten die Tierschützer die richtigen Adressaten<br />
der polizeilichen Maßnahme sein. Gem. § 4 Abs. 1<br />
SächsPolG 47 hat die Polizei ihre Maßnahmen gegenüber<br />
demjenigen zu treffen, der die Bedrohung oder die Störung<br />
für die öffentliche Sicherheit verursacht hat. Die Tierschützer<br />
widersetzen sich hier der wirksamen Auflösungsverfügung<br />
bzw. dem wirksamen Platzverweis des Polizeivollzugsdienstes.<br />
Zum Schutze des Bestandes des Staates und<br />
seiner Einrichtungen gehört auch der Schutz von deren<br />
ungestörter Funktionsfähigkeit 48 . Die Wirksamkeit und auch<br />
die Durchsetzbarkeit polizeilicher Verwaltungsakte ungeachtet<br />
ihrer eventuellen Rechtswidrigkeit dient dazu, die<br />
effektive polizeiliche Aufgabenwahrnehmung zu sichern.<br />
Dem Bürger steht nur nachträglicher Rechtschutz zu. Damit<br />
muss er die wirksamen und vollstreckbaren polizeilichen<br />
Verwaltungsakte befolgen, unabhängig davon, ob er<br />
sie für rechtswidrig hält oder nicht 49 .<br />
Mithin liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1<br />
SächsPolG vor.<br />
4. Ermessen 50<br />
Im Rahmen seines Entschließungsermessens muss der<br />
Polizeivollzugsdienst darüber befinden, ob er überhaupt<br />
tätig werden will (sogenanntes Opportunitätsprinzip) 51 . Ein<br />
wirksamer und vollstreckbarer Verwaltungsakt, wie hier<br />
die Auflösungsverfügung bzw. der Platzverweis, muss<br />
nicht zwangsläufig auch mit Zwangsmitteln durchgesetzt<br />
werden. Der Polizeivollzugsdienst hat zwar aufgrund seiner<br />
Situationsgebundenheit keine Zeit, um erneut die Rechtmäßigkeit<br />
der Grundverfügung zu überprüfen. Diese hinzunehmende<br />
Vertiefung eines eventuellen Unrechts durch<br />
eine Vollstreckung birgt für den handelnden Beamten nicht<br />
die Verpflichtung, auf sein Einschreiten zu verzichten. Eine<br />
Ermessensreduzierung auf Null zu Lasten des Polizeivollzugsdienstes<br />
kommt nicht in Betracht.<br />
Dennoch müssen dem Handeln des Polizeivollzugsdienstes<br />
pflichtgemäße Ermessenserwägungen zugrunde liegen,<br />
d.h. dass der Polizeivollzugsdienst keinen Ermessensfehler<br />
begehen darf. Hier kommt ein Ermessensfehlgebrauch in<br />
Betracht. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn die<br />
Behörde ihr Handeln auf Erwägungen stützt, die mit dem<br />
Zweck der Rechtsvorschrift und allgemeinen Rechtsgrundsätzen,<br />
die die Behörde bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen<br />
hatte, nicht vereinbar sind 52 .<br />
(Wird fortgesetzt)<br />
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