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Ein Diskussionsbeitrag über den Umgang - Kubiss.de

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<strong>Ein</strong> <strong>Diskussionsbeitrag</strong> über <strong><strong>de</strong>n</strong> <strong>Umgang</strong><br />

mit <strong>de</strong>m ehemaligen Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong> in Nürnberg<br />

1. Ausgangsposition:<br />

Das ehemalige Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong> als größte noch existieren<strong>de</strong> architektonische<br />

Hinterlassenschaft <strong>de</strong>r NS-Zeit bestimmt Nürnbergs Position in <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>s 20.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rts und in Zukunft, gera<strong>de</strong> auch was die Außenwahrnehmung <strong>de</strong>r Stadt anbelangt, in<br />

entschei<strong><strong>de</strong>n</strong><strong>de</strong>m Maße.<br />

Nürnberg hat nicht die Option, sich mit <strong>de</strong>r Frage zu beschäftigen, ob man sich mit <strong>de</strong>m Gelän<strong>de</strong><br />

auseinan<strong>de</strong>rsetzt. Nürnberg hat nur die Option, sich <strong>de</strong>r Frage zu stellen, wie man sich mit <strong>de</strong>m<br />

Gelän<strong>de</strong> auseinan<strong>de</strong>rsetzt.<br />

Die Stadt Nürnberg und ihre Bürger haben lange Zeit die baulichen Relikte <strong>de</strong>s NS-Größenwahns<br />

vor allem in Gestalt von Kongresshalle und Zeppelintribüne fast ausschließlich als Belastung<br />

empfun<strong><strong>de</strong>n</strong>. Von einem solchen kollektiven Empfin<strong><strong>de</strong>n</strong> kann nicht mehr die Re<strong>de</strong> sein. Das<br />

ehemalige Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong> ist heute als Chance zu begreifen. Als Chance für Bürger von<br />

Stadt und Region, aber auch für Besucher aus <strong>de</strong>m In- und Ausland, sich am Beispiel von<br />

einzigartigem, authentischem Anschauungsmaterial mit <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s „Dritten Reichs“<br />

auseinan<strong>de</strong>rsetzen zu können. Und als Chance, <strong>de</strong>r Welt zu zeigen, dass das Nürnberg von heute<br />

mit <strong>de</strong>m Nürnberg unterm Hakenkreuz nicht das Geringste mehr zu tun hat, son<strong>de</strong>rn vielmehr vor<br />

<strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r eigenen Geschichte aktiv die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung sucht.<br />

Es gibt eine Reihe verschie<strong><strong>de</strong>n</strong>er Entwicklungen, die es gera<strong>de</strong> jetzt notwendig machen,<br />

auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r bisher gesammelten Erkenntnisse und Irrtümer einen erneuten<br />

Diskussionsprozess über <strong><strong>de</strong>n</strong> <strong>Umgang</strong> mit <strong>de</strong>m historischen Erbe <strong>de</strong>s<br />

Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong>s anzustoßen:<br />

- Da ist zum einen das Ergebnis <strong>de</strong>s im Sommer 2001 abgeschlossenen<br />

„Städtebaulichen I<strong>de</strong>enwettbewerbs für das ehemalige<br />

Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong>“, das insgesamt nicht befriedigt. Es hat auch keinen<br />

ersten Preis gegeben, son<strong>de</strong>rn nur zwei zweite Preise und eine Reihe von<br />

Ankäufen und Son<strong>de</strong>rpreisen. Dabei wur<strong><strong>de</strong>n</strong> mit einzelnen I<strong>de</strong>en durchaus<br />

spannen<strong>de</strong> Teil-Vorschläge gemacht. Doch kein Wettbewerbsentwurf ist<br />

inhaltlich so zwingend und augenfällig, dass er umgesetzt wer<strong><strong>de</strong>n</strong> sollte.<br />

- Es gibt ganz konkrete Überlegungen für eine komplette Kommerzialisierung <strong>de</strong>s<br />

Gelän<strong>de</strong>s, die von einer Münchener Projektentwicklungsgesellschaft gemacht<br />

wor<strong><strong>de</strong>n</strong> sind.<br />

- Der Verein BauLust hat vor einigen Wochen ein Hearing mit <strong><strong>de</strong>n</strong><br />

Wettbewerbsteilnehmern veranstaltet und wird in je<strong>de</strong>m Fall die Diskussion in<br />

<strong>de</strong>r Stadt fortführen. Dies ist zu begrüßen.<br />

- Das Baureferat hat die Jury-Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Städtebaulichen I<strong>de</strong>enwettbewerbs erneut<br />

angesprochen, um auch mit ihnen in eine weitere Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m Thema<br />

eintreten zu können.<br />

- Last but not least müssen wir im Hinblick auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 die<br />

Diskussion wie<strong>de</strong>r aufgreifen. Die Fußball-WM mit ihrer Mobilisierung überregionalen


2<br />

und internationalen Interesses ist ein zentraler Anlass, sich <strong>de</strong>m Gelän<strong>de</strong> in neuer<br />

Qualität zu stellen. Man wird sich angesichts <strong>de</strong>r unmittelbaren Nachbarschaft <strong>de</strong>s<br />

Franken-Stadions auf die internationale Nachfrage vorbereiten müssen. Spätestens ab<br />

2005 wer<strong><strong>de</strong>n</strong> die Kameras <strong>de</strong>r Welt auf unser Stadion gerichtet sein. Dann ist es<br />

notwendig, dass die Stadt Nürnberg einen sichtbaren inhaltlichen <strong>Umgang</strong> mit <strong>de</strong>m<br />

architektonischen Erbe <strong>de</strong>s Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong>s anbieten kann, <strong>de</strong>r über das<br />

Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong> hinausgeht. Dabei hat das Doku-<br />

Zentrum bereits einen entschei<strong><strong>de</strong>n</strong><strong><strong>de</strong>n</strong> Durchbruch in <strong>de</strong>r offensiven Beschäftigung mit<br />

<strong>de</strong>m Gelän<strong>de</strong> gebracht – mit hohen Besucherzahlen, überaus großer Akzeptanz und<br />

internationaler Würdigung dieses Nürnberger Wegs <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung in <strong>de</strong>r<br />

öffentlichen Meinung.<br />

2. Fehler und Irrtümer in <strong>de</strong>r Vergangenheit<br />

Mehrere Aussagen im Wettbewerbsauslobungstext von 2001 zeigen einen Grundfehler, <strong>de</strong>r auch<br />

die Diskussion in Nürnberg in <strong>de</strong>r Nachkriegszeit mitbestimmt hat.<br />

Zitat 1:<br />

„Planungsaufgabe <strong>de</strong>s Wettbewerbs ist die Entwicklung eines funktionalen<br />

städtebaulichen und gestalterischen Konzeptes für das gesamte Gelän<strong>de</strong>.<br />

Dieses soll <strong>de</strong>m historischen Kontext <strong>de</strong>r Fläche gerecht wer<strong><strong>de</strong>n</strong>, die <strong><strong>de</strong>n</strong><br />

Kernbereich <strong>de</strong>s ehemaligen Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong>s und <strong>de</strong>ssen bauliche<br />

Überreste beinhaltet. Außer<strong>de</strong>m muß das städtebauliche Gesamtkonzept die<br />

vorhan<strong><strong>de</strong>n</strong>en Messe-, Sport- und Freizeitnutzungen mit ihren geplanten<br />

Erweiterungen erhalten und sichern. Es wer<strong><strong>de</strong>n</strong> städtebauliche Aussagen zum<br />

<strong>Umgang</strong> mit <strong>de</strong>r Problematik <strong>de</strong>s gesamten Gelän<strong>de</strong>s gefor<strong>de</strong>rt.“<br />

Zitat 2:<br />

„Die Aufgabe <strong>de</strong>s Wettbewerbs ist die Entwicklung eines Gesamtkonzeptes für das<br />

ehemalige Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong>, das <strong>de</strong>m Anspruch an einen <strong>de</strong>rartigen Ort <strong>de</strong>s<br />

Erinnerns sowie gleichzeitig <strong><strong>de</strong>n</strong> Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Nutzungen für Messe, Sport,<br />

Erholung und Freizeit und <strong><strong>de</strong>n</strong> daraus resultieren<strong><strong>de</strong>n</strong> verkehrlichen Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

gerecht wird.“<br />

Und an an<strong>de</strong>rer Stelle wird das noch übertroffen:<br />

Zitat 3:<br />

„Nutzungskonflikte mit an<strong>de</strong>ren Nutzungen <strong>de</strong>s Gebietes sind zu thematisieren und<br />

wenn möglich zu bereinigen.“<br />

Es ist wohl ein Grundfehler, anzunehmen, dass es für das gesamte Gelän<strong>de</strong> eine bauliche<br />

Gesamtlösung geben kann. Schon ohne die <strong>de</strong>rzeitigen Alltagsnutzungen für Volksfest, Sport,<br />

Freizeit und Messe wäre ein <strong>Umgang</strong> mit <strong>de</strong>r Vielfalt <strong>de</strong>r im ehemaligen Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong><br />

realisierten und geplanten Bauten in einem einzigen Gesamtkonzept nur schwer <strong><strong>de</strong>n</strong>kbar.<br />

Man kann sich <strong>de</strong>s <strong>Ein</strong>drucks nicht komplett erwehren, dass die Speersche Architektur auch <strong><strong>de</strong>n</strong><br />

einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Wettbewerbsteilnehmer zu sehr gefangen gehalten hat. Der Versuch, von<br />

Speer aufgestellte städtebauliche Achsen und Blickachsen durch das Anlegen neuer an<strong>de</strong>rer<br />

Achsen zu brechen und zu konterkarieren, ist zwar intellektuell nachvollziehbar, wie die<br />

Wettbewerbsergebnisse zeigen, vor Ort aber schier nicht realisierbar.


3<br />

Diese „Irrtümer“ ziehen sich auch in <strong>de</strong>r Diskussion <strong>de</strong>r letzten Jahrzehnte durch. Der Vorschlag<br />

von Hermann Glaser, die ganzen Baulichkeiten verfallen zu lassen und damit die Vergänglichkeit<br />

<strong>de</strong>s „Tausendjährigen Reiches“ zu dokumentieren, ist zwar aus <strong>de</strong>r Zeit heraus verständlich,<br />

angesichts <strong>de</strong>r bereits jetzt dort überwiegen<strong><strong>de</strong>n</strong> Alltagsnutzungen aber sicherlich keine adäquate<br />

Lösung. Auch <strong>de</strong>r Versuch Karla Fohrbecks, über sehr stark kognitiv geprägte Konzeption eines<br />

„Hains <strong>de</strong>r Erinnerung“ die klassische museale Auseinan<strong>de</strong>rsetzung zu suchen, wird <strong>de</strong>r Aufgabe<br />

nicht gerecht. Noch weniger zielführend waren isolierte „Profanisierungsversuche“ von <strong>de</strong>r Disco<br />

bis zum Han<strong>de</strong>lszentrum.<br />

Gleichwohl gibt es auch eine seit langem akzeptierte, vernünftige Grundlinie im öffentlichen<br />

<strong>Umgang</strong> mit Gelän<strong>de</strong> und Bauten nach <strong>de</strong>m Prinzip, genau das Gegenteil <strong>de</strong>r Intention <strong>de</strong>r<br />

Urheber zu verfolgen, also: zu trivialisieren und zu profanisieren, statt <strong>de</strong>r vermeintlichen Erhöhung<br />

weiter auf <strong><strong>de</strong>n</strong> Leim zu gehen o<strong>de</strong>r beispielsweise statt sich in rechte Winkel und monumentale<br />

Bauwerke zu fügen, <strong>de</strong>konstruktivistische Bauten mit leichten Materialien als <strong>de</strong>mokratischen<br />

Gegenentwurf zu entwickeln (wie etwa Günther Domenig mit <strong>de</strong>m Doku-Zentrum). Diese<br />

Grundi<strong>de</strong>e, die auch schon Hermann Glasers frühere Überlegungen mitbestimmte, gilt es<br />

weiterzuentwickeln und neu umzusetzen.<br />

3. Ausgangspunkt für einen Verfahrensvorschlag<br />

ist, dass wir einen Konsens über einige Grundaussagen herstellen sollten, auf <strong>de</strong>ssen Basis wir<br />

dann weiterarbeiten können. Diese Grundaussagen sind:<br />

- <strong>Ein</strong>en für alle Zeiten gelten<strong><strong>de</strong>n</strong> städtebaulichen o<strong>de</strong>r architektonischen Entwurf für das<br />

Gesamtgelän<strong>de</strong> wird und kann es nicht geben.<br />

- Wir wollen in Nürnberg keinen „Gegenmonumentalismus“ à la Eisenman-Entwurf für das<br />

Holocaust-Mahnmal in Berlin.<br />

- Wir wollen selbstverständlich auch keine I<strong>de</strong>alisierung o<strong>de</strong>r Mystifizierung <strong>de</strong>r dortigen<br />

Architektur.<br />

- Die Aneignung durch Alltagsnutzungen - Freizeit, Sport, Kommerz - ist<br />

selbstverständlich und akzeptiert. Der „Wi<strong>de</strong>rspruch“ zu <strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>s Erinnerns ist nicht<br />

etwa aufzulösen, son<strong>de</strong>rn konzeptionell <strong>de</strong>rgestalt umzusetzen, dass genau durch <strong><strong>de</strong>n</strong><br />

Wi<strong>de</strong>rspruch auch Auseinan<strong>de</strong>rsetzung entsteht.<br />

- Gera<strong>de</strong> wegen dieser Alltagsnutzungen ist eine rein auf das Kognitive o<strong>de</strong>r<br />

pädagogisch Vermitteln<strong>de</strong> ausgerichtete inhaltliche Auseinan<strong>de</strong>rsetzung sicherlich nicht<br />

die einzige Antwort am Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong>. Der Ort dafür ist vor allem das Doku-<br />

Zentrum.<br />

- Der Versuch muss vielmehr auch unternommen wer<strong><strong>de</strong>n</strong>, über an<strong>de</strong>re Formen – etwa<br />

audiovisueller o<strong>de</strong>r haptischer Konfrontation – Nach<strong><strong>de</strong>n</strong>ken auszulösen, insbeson<strong>de</strong>re<br />

bei Freizeitnutzern und Besuchern <strong>de</strong>r bei<strong><strong>de</strong>n</strong> Sportarenen. Dies sollte ergänzt wer<strong><strong>de</strong>n</strong><br />

durch zusätzliche Informationseinheiten im Gelän<strong>de</strong>.<br />

- Wir sollten uns <strong>de</strong>r Erkenntnis fügen, dass es nicht nur im gestalterischen, son<strong>de</strong>rn<br />

auch im zeitlichen Kontext keine endgültige, gar abschließen<strong>de</strong> Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />

mit <strong>de</strong>r Thematik <strong>de</strong>s Nationalsozialismus gibt. Das bleibt eine Aufgabe aller<br />

nachfolgen<strong><strong>de</strong>n</strong> Generationen. Auch <strong>de</strong>r jeweilige weltpolitische Kontext mag natürlich<br />

<strong>Ein</strong>fluss auf die Frage haben, wie sich die Kreativen und Denker <strong>de</strong>r jeweiligen Zeit mit<br />

<strong>de</strong>m historischen Erbe <strong>de</strong>s Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong>s auseinan<strong>de</strong>rsetzen.


4<br />

4. Ziele für ein Konzept Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong><br />

Der Konsens in <strong>de</strong>r Stadt muss verdichtet wer<strong><strong>de</strong>n</strong>, dass die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m<br />

Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong> eine positiv und offensiv anzugehen<strong>de</strong> Daueraufgabe für Nürnberg ist<br />

und bleibt. Die Erfahrungen mit <strong>de</strong>m Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong> sind<br />

diesbezüglich – auch was die Akzeptanz in <strong>de</strong>r Bevölkerung betrifft – sehr ermutigend.<br />

Auch wenn das Doku-Zentrum ein <strong>de</strong>utliches Zeichen für eine klar gewan<strong>de</strong>lte Auffassung <strong>de</strong>r<br />

Mehrheit in <strong>de</strong>r Stadt ist, was die Beschäftigung mit <strong>de</strong>r eigenen Geschichte anbelangt, so ist<br />

bislang nicht in gleichem Maß das Bewusstsein für die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r baulichen Dokumente<br />

vorhan<strong><strong>de</strong>n</strong>. Die entschei<strong><strong>de</strong>n</strong><strong>de</strong> Voraussetzung für <strong><strong>de</strong>n</strong> <strong>Umgang</strong> mit Zeppelintribüne, Kongresshalle<br />

und Großer Straße ist: Die historischen Bauten müssen dauerhaft bewahrt und gesichert wer<strong><strong>de</strong>n</strong> –<br />

auch in ihrem räumlichen Zusammenhang. Dass sie unter Denkmalschutz stehen, ist allein noch<br />

keine Garantie. Die NS-Architektur, aber auch die dazu gehören<strong><strong>de</strong>n</strong> (Frei-)Räume sind einmalige<br />

Quellen Nürnberger und <strong>de</strong>utscher Geschichte. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die<br />

baulichen Zeugnisse nachfolgen<strong><strong>de</strong>n</strong> Generationen weiter zur Verfügung stehen, damit unsere<br />

Nachfahren sich selbst ein Urteil bil<strong><strong>de</strong>n</strong> können.<br />

Ziel muss es sein, für das Gelän<strong>de</strong> und <strong><strong>de</strong>n</strong> <strong>Umgang</strong> mit ihm ein inhaltlich-gedankliches<br />

Rahmenkonzept zu fin<strong><strong>de</strong>n</strong>, von <strong>de</strong>m sich einzelne Maßnahmen ableiten lassen und in das<br />

vorhan<strong><strong>de</strong>n</strong>e und zukünftige Nutzungen zu integrieren sind.<br />

Leitgedanke <strong>de</strong>s Rahmenkonzeptes sollte sein, <strong>de</strong>m totalitären System <strong>de</strong>r Bauherren und ihrer<br />

Architektur das <strong>de</strong>mokratisch-pluralistische Denken <strong>de</strong>r Gegenwart entgegenzusetzen.<br />

Daraus folgt die Notwendigkeit, für das Gelän<strong>de</strong> Formen <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung zu fin<strong><strong>de</strong>n</strong>, die<br />

nicht dauerhaft („tausendjährig“) sind, son<strong>de</strong>rn solche, die temporär verschie<strong><strong>de</strong>n</strong>e Blickwinkel auf<br />

das Gelän<strong>de</strong> eröffnen, die auf <strong>de</strong>mokratisch-pluralistische Weise auch Ausdruck <strong>de</strong>r<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzung in verschie<strong><strong>de</strong>n</strong>en Generationen und in jeweils zeitgemäßer Form sind.<br />

5. Diese programmatischen Aussagen führen zu <strong>de</strong>m Vorschlag, eines Konzeptes<br />

<strong>de</strong>r „Teillösungen“ und „temporären Lösungen“.<br />

Das heißt zunächst ganz pragmatisch, dass wir jetzt festlegen müssen, an welcher Stelle auf <strong>de</strong>m<br />

Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong> noch baulich nutzbare Flächen vorhan<strong><strong>de</strong>n</strong> sind. <strong>Ein</strong>e Analyse <strong>de</strong>r<br />

Wettbewerbsergebnisse zeigt, dass diese sich wohl auf <strong><strong>de</strong>n</strong> Korridor zwischen <strong>de</strong>r Arena und<br />

Dutzendteich beschränken.<br />

Es müsste außer<strong>de</strong>m ein „nicht bebaubarer Bereich <strong>de</strong>r Erinnerung“ <strong>de</strong>finiert wer<strong><strong>de</strong>n</strong>, <strong>de</strong>r sich vom<br />

Zeppelinfeld und <strong>de</strong>r Zeppelintribüne über <strong><strong>de</strong>n</strong> Dutzendteich hin bis zur Kongresshalle erstrecken<br />

dürfte. Auch die Große Straße mit ihren Randzonen (mit Resten von Zuschauertribünen) ist<br />

einzubeziehen. Die großen Freiflächen wer<strong><strong>de</strong>n</strong> natürlich weiter durch temporäre Trivialnutzungen<br />

wie Rockkonzerte o<strong>de</strong>r Norisring-Rennen belegt wer<strong><strong>de</strong>n</strong>.<br />

Es sollte auch festgelegt wer<strong><strong>de</strong>n</strong>, wo die Grünflächen und Vegetationsflächen, die sich entwickelt<br />

haben, nicht mehr und nicht weiter angetastet wer<strong><strong>de</strong>n</strong>. Hierzu wer<strong><strong>de</strong>n</strong> vor allem Aussagen zum<br />

Silberbuck und <strong>de</strong>r Fläche, die sich zwischen <strong><strong>de</strong>n</strong> neuen Messe-Parkhäusern und <strong>de</strong>m Kleinen<br />

Dutzendteich erstreckt, notwendig sein.


5<br />

Zur Frage <strong>de</strong>r „Erinnerungsarbeit“ wird vorgeschlagen, einen periodisch wechseln<strong><strong>de</strong>n</strong><br />

Diskurs über die Bauten <strong>de</strong>r Nazi-Zeit <strong>de</strong>rgestalt vorzunehmen, dass in festem Turnus<br />

Künstler/Wissenschaftler/Architekten/Freiraumplaner/Städtebauer beauftragt wer<strong><strong>de</strong>n</strong>, sich<br />

mit <strong>de</strong>m Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong> auseinan<strong>de</strong>rzusetzen.<br />

Als Objekte stehen zur Verfügung: Kongresshalle, Zeppelinfeld, Zeppelintribüne, Dutzendteich und<br />

Große Straße. Den Stilmitteln <strong>de</strong>r thematischen Bearbeitung sollen möglichst keine Grenzen<br />

gesetzt sein. Es müsste allerdings, wenn das Ganze auch zu einer befriedigen<strong><strong>de</strong>n</strong> Lösung führen<br />

soll, sich um Wettbewerbsteilnehmer von hoher Qualität han<strong>de</strong>ln und das Ganze sicherlich auch<br />

durch eine von <strong>de</strong>r Stadtpolitik unabhängige Intendanz, eine Jury o<strong>de</strong>r ein Kuratorium betreut<br />

wer<strong><strong>de</strong>n</strong>. Von Vorschlägen aus <strong>de</strong>r Bil<strong><strong>de</strong>n</strong><strong><strong>de</strong>n</strong> Kunst über Entwürfe zu Mahnmal- und<br />

Ge<strong><strong>de</strong>n</strong>kstättenplanungen und dramaturgisch-theatralischen Veranstaltungen bis hin zu<br />

Lichtinstallationen ist vieles <strong><strong>de</strong>n</strong>kbar.<br />

Dabei ist die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung <strong>de</strong>zidiert international anzugehen, um die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Ortes<br />

für die Weltgemeinschaft aufzuzeigen.<br />

Das Ganze muss man sich vorstellen wie eine „historisch-politische Documenta“ bezogen<br />

auf das ehemalige Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong>.


6<br />

Die wechseln<strong><strong>de</strong>n</strong> Inszenierungen wer<strong><strong>de</strong>n</strong> dokumentiert (Text, Bild, Vi<strong>de</strong>o usw.) und<br />

zusammen mit <strong><strong>de</strong>n</strong> früheren Vorschlägen <strong>de</strong>s <strong>Umgang</strong>s mit <strong>de</strong>m Gelän<strong>de</strong> in einer<br />

Ausstellung gezeigt (zum Beispiel in <strong>de</strong>r Halle <strong>de</strong>r Zeppelintribüne, vormals Ort <strong>de</strong>r ersten<br />

Ausstellung „Faszination und Gewalt“). Die Zusammenschau repräsentiert die durchaus<br />

zeitgebun<strong><strong>de</strong>n</strong>en Vorstellungen zu einem angemessenen <strong>Umgang</strong> mit <strong>de</strong>m Gelän<strong>de</strong> in<br />

<strong>de</strong>mokratisch-pluralistischer Form. Nicht die einmalige „Lösung“ für das Gelän<strong>de</strong> steht im<br />

Vor<strong>de</strong>rgrund, son<strong>de</strong>rn die permanente, immer wie<strong>de</strong>r neu ausgetragene<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m Gelän<strong>de</strong> als dauerhafte Denk- und Diskussions-Leistung.<br />

Voraussetzung für ein solches Konzept ist, dass wir die entsprechen<strong><strong>de</strong>n</strong> Personen<br />

gewinnen und natürlich das dafür notwendige Geld bereitstellen können.<br />

6. Ausbau <strong>de</strong>r Infrastruktur und städtebaulicher Rahmen<br />

Daneben ist selbstverständlich, dass vorhan<strong><strong>de</strong>n</strong>e Formen <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung,<br />

Information und Diskussion, aber auch die Infrastruktur erhalten und ausgebaut wer<strong><strong>de</strong>n</strong>:<br />

Das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong> leistet mit <strong>de</strong>r überaus erfolgreichen<br />

Ausstellung „Faszination und Gewalt“ und <strong>de</strong>m pädagogischen Programm (Studienforum) eine<br />

herausragen<strong>de</strong>, national und international anerkannte Arbeit. Der Besucherstrom bestätigt auf<br />

eindrucksvolle Weise das Konzept dieser Institution. Die Verbindungslinien zu an<strong>de</strong>ren<br />

Erinnerungsorten sollten durch Führungsangebote und Veranstaltungen hervorgehoben wer<strong><strong>de</strong>n</strong>.<br />

International von enormer Be<strong>de</strong>utung ist <strong>de</strong>r Schwurgerichtssaal, wo bereits positive Ansätze<br />

vorliegen. Die Informationseinheiten auf <strong>de</strong>m Gelän<strong>de</strong> müssen erneuert, zahlenmäßig erweitert<br />

und auf ein höheres gestalterisches Niveau mit mehr Informationen gebracht wer<strong><strong>de</strong>n</strong>. Die<br />

Informationsarbeit auf <strong>de</strong>m Gelän<strong>de</strong> durch Führungen, Vorträge und weitere Veranstaltungen<br />

sollte verstärkt wer<strong><strong>de</strong>n</strong>. Als Anlaufstelle(n) ist an einen „Besucherpavillon“ und/o<strong>de</strong>r zusätzliche<br />

„Informationskojen“ zu <strong><strong>de</strong>n</strong>ken.<br />

Die Verkehrsanbindung durch <strong><strong>de</strong>n</strong> öffentlichen Personennahverkehr ist durch <strong><strong>de</strong>n</strong> neuen<br />

Straßenbahnanschluss maßgeblich verbessert. Die Aufenthaltsmöglichkeiten für Besuchergruppen<br />

sind zu optimieren. Mit <strong>de</strong>m ehemaligen Seminar St. Paul gibt es in <strong>de</strong>r Nachbarschaft ein dafür<br />

i<strong>de</strong>al geeignetes, leer stehen<strong>de</strong>s Gebäu<strong>de</strong>.<br />

Die privaten Nutzungen <strong>de</strong>s Gelän<strong>de</strong>s als Naherholungsgebiet (für grillen<strong>de</strong> Familien, für NS-<br />

Wän<strong>de</strong>-bespielen<strong><strong>de</strong>n</strong>-Tennisnachwuchs, für Skater und Freun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Automusik) sind <strong>de</strong>zidiert<br />

beizubehalten und in das Rahmenkonzept zu integrieren. Die vorhan<strong><strong>de</strong>n</strong>en Freizeit-Großbauten<br />

(Stadion, Arena, Stadionbad) sind gegebenenfalls durch zusätzliche Informationseinheiten in <strong><strong>de</strong>n</strong><br />

Rahmen <strong>de</strong>s Gelän<strong>de</strong>s einzubin<strong><strong>de</strong>n</strong>. Auch neue „kommerzielle“ Bauten auf <strong>de</strong>m Gesamtgelän<strong>de</strong><br />

sind im Rahmen <strong>de</strong>r Profanisierung <strong><strong>de</strong>n</strong>kbar – jedoch nur zu rechtfertigen, wenn ein geistiginhaltlicher<br />

Gesamtrahmen für <strong><strong>de</strong>n</strong> <strong>Umgang</strong> mit <strong>de</strong>m Gelän<strong>de</strong> vorliegt.<br />

7. Daueraufgabe von Stadt und Staat<br />

Die permanente Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m ehemaligen Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong> ist <strong>de</strong>r<br />

angemessene Weg im <strong>Umgang</strong> mit dieser historischen Erbschaft. Für diesen Weg hat sich


7<br />

Nürnberg entschie<strong><strong>de</strong>n</strong>. Das historische Areal bietet Nürnberg die Chance, selbstbewusst und offen<br />

über seine und Deutschlands Vergangenheit nachzu<strong><strong>de</strong>n</strong>ken. Die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung ist positiv<br />

und offensiv anzugehen. Letztlich ist die braune Hinterlassenschaft nicht nur eine Herausfor<strong>de</strong>rung<br />

für eine aufgeklärte Stadtgesellschaft, son<strong>de</strong>rn auch ein Kapital, <strong>de</strong>ssen Wert heute vielleicht noch<br />

gar nicht hoch genug eingeschätzt wird.<br />

Dabei ist <strong>de</strong>r <strong>Umgang</strong> mit <strong>de</strong>m ehemaligen Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong> nicht nur eine Nürnberger<br />

Angelegenheit. Die Stadt nimmt ihre Geschichte an. Doch letztlich setzt sie sich mit einem<br />

nationalen Erbe auseinan<strong>de</strong>r. Deshalb sind sowohl inhaltlich, aber auch was Finanzierungsfragen<br />

anbelangt, Land und Bund weiter gefor<strong>de</strong>rt. Mit seinem Beitrag zum Dokumentationszentrum<br />

Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong> hat <strong>de</strong>r Staat seine Mitverantwortung anerkannt und unter Beweis<br />

gestellt. Dies darf kein einmaliger Vorgang bleiben. Die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m<br />

Reichsparteitagsgelän<strong>de</strong> bleibt eine <strong>de</strong>utsche, wenn nicht sogar europäische Aufgabe.<br />

Im Februar 2003<br />

Dr. Ulrich Maly, Wolfgang Baumann,<br />

Dr. Uli Glaser, Dr. Siegfried Zelnhefer

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