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Verlorener Raum Nordschleswig - Kultur.uni-hamburg.de

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32 vokus<br />

wur<strong>de</strong>n Sprachuntersuchungen bereits 1857 51 als Argument für eine ein<strong>de</strong>utige<br />

nationale Zugehörigkeit durchgeführt. 52<br />

Heimatforscher und wissenschaftliche Volkskun<strong>de</strong> leisteten also einen wichtigen<br />

Beitrag dazu, dass <strong>de</strong>utsches ›Volkstum‹ in seinen Merkmalen aus Sprache, Sitten<br />

und Gebräuchen beschrieben wer<strong>de</strong>n konnte. Die rückwärtsgewandte Beschreibung,<br />

die immer historisch-kontinuitiv orientiert war, betonte die Gemeinschaft, sprach von<br />

Sippe, Stamm und Art, wobei es irrationale, mythische Kräfte sind, die diese Gemeinschaft<br />

zusammenhalten. Für die damals angestrebte Inbesitznahme <strong>de</strong>s Grenzraumes war<br />

dies natürlich von großer Be<strong>de</strong>utung, zielte es doch auf zwei Richtungen: Zum einen<br />

gehörte die <strong>de</strong>utsche Min<strong>de</strong>rheit, <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Sichtweisen nach, zum<br />

<strong>de</strong>utschen Volk und es musste dafür gesorgt wer<strong>de</strong>n, dass – wenn schon die Grenze<br />

nicht sofort revidiert wer<strong>de</strong>n konnte – sichergestellt wur<strong>de</strong>, dass die kulturelle I<strong>de</strong>ntität<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Min<strong>de</strong>rheit geschützt, <strong>de</strong>utsches Volkstum bewahrt und gestärkt wer<strong>de</strong>.<br />

Zum an<strong>de</strong>ren grenzte diese Selbstvergewisserung die I<strong>de</strong>ntitätskonstruktion auch nach<br />

außen ab. In<strong>de</strong>m sie Gemeinschaft und Volk als wesentliches Merkmal betonte, wen<strong>de</strong>te<br />

sie sich gegen die Mo<strong>de</strong>rne, gegen <strong>de</strong>ren Betonung <strong>de</strong>s Individuums, was in <strong>de</strong>r politischen<br />

Diskussion mit Dänemark und <strong>de</strong>r dänischen Gesellschaft gleichgesetzt wur<strong>de</strong>. 53<br />

In <strong>de</strong>r Aushandlung einer Grenzraumi<strong>de</strong>ntität in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsch-dänischen Grenzregion<br />

fin<strong>de</strong>n wir ein historisches Beispiel für die zielgerichtete Praktizierung eines Spacing-<br />

Prozesses. Sein Ziel war die kulturelle Landnahme 54 eines im <strong>de</strong>utschen Erleben bedrohten<br />

<strong>Raum</strong>es. Diese Region erschien dabei als Reliktgebiet, zugehörig zu gewachsenem<br />

<strong>de</strong>utschen Volkstum. Die Konstituierung einer Grenzraumi<strong>de</strong>ntität, die<br />

inhaltlich die Zugehörigkeit zu <strong>de</strong>utschem Volkstum propagierte und nichts an<strong>de</strong>res<br />

be<strong>de</strong>utete als ein allgemeines <strong>Raum</strong>konzept <strong>de</strong>r kulturellen Landnahme, verläuft<br />

nachvollziehbar über die von Löw benannten zwei Prozesse <strong>de</strong>r Konstruktion und<br />

Rekonstruktion von Wahrnehmung und Erinnerung sowie durch die Spacing-Prozesse<br />

<strong>de</strong>s Aushan<strong>de</strong>lns von I<strong>de</strong>ntität. 55 Mythische Erweiterungen bis hin zum Aufgehen <strong>de</strong>r<br />

nationalen Differenzen in einem letztlich germanischen Nordstaat bil<strong>de</strong>ten eine weitere<br />

51<br />

52<br />

53<br />

54<br />

55<br />

C. F. Allen: Det danske Sprogs Historie i Hertugdømmet Slesvig eller Søn<strong>de</strong>rjylland, Bd. 1. København 1957;<br />

<strong>de</strong>rs.: Det danske Sprogs Historie i Hertugdømmet Slesvig eller Søn<strong>de</strong>rjylland, Bd. 2. København 1958.<br />

Vgl. Andrea Teebken: Räumliche und mentale Grenzziehung im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt. Der Sprachenkampf im<br />

Herzogtum Schleswig. In: Martin Rheinheimer (Hg.): Grenzen in <strong>de</strong>r Geschichte Schleswig-Holsteins und<br />

Dänemarks (= Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins, 42). Neumünster 2006,<br />

S. 353-366.<br />

Dänemark betonte in <strong>de</strong>r politischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung ganz beson<strong>de</strong>rs das Völkerrecht, also das Selbstbestimmungsrecht<br />

<strong>de</strong>r einzelnen Völker und <strong>de</strong>s einzelnen Menschen. Es betonte die individuellen Freiheiten<br />

<strong>de</strong>s Menschen und stand so im Gegensatz zum Gedanken <strong>de</strong>s Volkstums, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Volksgemeinschaft.<br />

Vgl. Johannes Schmidt-Wod<strong>de</strong>r: Das <strong>de</strong>utsch-dänische Verhältnis im Grenzgebiet und im allgemeinen, in kultureller<br />

und wirtschaftlicher Hinsicht. In: Der Schleswig-Holsteiner. Halbmonatsschrift <strong>de</strong>s Schleswig-Holsteiner-Bun<strong>de</strong>s<br />

9 (1928), S. 729-731, sowie <strong>de</strong>rs.: Das schleswigsche Min<strong>de</strong>rheitenproblem. In: Hans Martin<br />

Johannsen (Hg.) Grenzland Schleswig. Aufsätze zur Deutsch-Dänischen Frage. Crimmitschau 1926, S. 64-77.<br />

Der Begriff kulturelle Landnahme wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Autorin geschaffen, um auf <strong>de</strong>n Versuch <strong>de</strong>r Vereinnahmung<br />

dänischen Gebietes (<strong>Nordschleswig</strong>) durch <strong>de</strong>utsche <strong>Kultur</strong>elemente wie Sprache hinzuweisen.<br />

Vgl. Löw, wie Anm. 20, S. 224–231.

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