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MARIA CALLAS Eine Sendereihe von Jürgen Kesting - Kulturradio

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Sonntag, 2. Februar 2014<br />

15.04 – 17.00 Uhr<br />

<strong>MARIA</strong> <strong>CALLAS</strong><br />

<strong>Eine</strong> <strong>Sendereihe</strong> <strong>von</strong> <strong>Jürgen</strong> <strong>Kesting</strong><br />

5. Folge<br />

Regina della Scala<br />

Herzlich willkommen zur fünften Folge; deren zentrales Thema ist der Aufstieg <strong>von</strong><br />

Maria Callas zur Königin der Mailänder Scala<br />

Man kann getrost feststellen, dass nur Maria Callas, heute zweifellos die feinste<br />

Sängerin auf den italienischen Bühnen, in der Lage ist, diese unglaublich schwierige<br />

Partie zu bewältigen und sie nach Musik klingen zu lassen.<br />

So lautete das Urteil des Musikologen und Dirigenten Newell Jenkins über die<br />

Aufführung <strong>von</strong> Gioachino Rossinis „Armida“ beim Maggio Musicale Fiorentino am<br />

26. April 1952. Die mit Koloraturen gespickte Arie der Titelheldin – „D’amore al<br />

dolce impero“ – haben Sie zum Abschluß der letzten Sendung gehört. Die 1817<br />

uraufgeführte Oper machte 1822 bei dem legendären Gastspiel Rossinis in Wien<br />

Sensation - damals sprach man vom Zeitalter Beethovens und Rossinis – Sensation,<br />

dank Stars wie Isabella Colbran und der Tenöre Andrea Nozzari und Giovanni David;<br />

wenig später wurde sie in Hamburg und Berlin gespielt, 1839 auch am Teatro alla<br />

Scala. Danach verschwand sie aus dem Repertoire, zum einen wegen der horrenden<br />

Schwierigkeiten der Titelpartie, zum anderen wegen ihrer fünf Tenor-Rollen.<br />

Das Revival in Florenz bescherte Maria Callas nicht nur einen persönlichen Triumph;<br />

es sorgte auch für eine Wiedergeburt Rossinis und für eine Erneuerung des<br />

Gesangs der romantischen Belcanto-Oper. Im Mai 1952 führte sie der Weg zum<br />

dritten Mal nach Mexico City. Sie sang Elvira in „I Puritani“, Violetta in „La<br />

Traviata“, ihre ersten drei Aufführungen als Lucia di Lammermoor, sodann Gilda in<br />

Verdis Rigoletto, dann Tosca. Wie Donizettis Lucia war auch Bellinis Elvira im 20.<br />

Jahrhundert an soprani leggieri gefallen – etwa an eine Sängerin, die mit der<br />

Polacca „Son vergin vezzosa“ 1923, im Geburtsjahr <strong>von</strong> Maria Callas, ihre<br />

Pirouetten gedreht hatte: die vielbewunderte Amelita Galli-Curci.<br />

Musik 1<br />

Romophone 81004-2<br />

LC 00000<br />

T. 116<br />

Vincenzo Bellini, I PURITANI<br />

„Son vergin vezzosa“<br />

Amelita Galli-Curci, Sopran<br />

Orchester unter Sosario Bourdon<br />

03’50<br />

Amelita Galli-Curci hat die Musik der Elvira klangschön und brillant gesungen, doch<br />

bleibt die Figur wie eine Puppe, wie Olympia bei Hoffmann. Bei Maria Callas klingt<br />

aus den Koloraturen das Jauchzen <strong>von</strong> Lebensfreude und Sinnenlust.


Maria Callas – 5. Folge Seite 2 <strong>von</strong> 9<br />

Musik 2<br />

Melodram<br />

CDM 26027<br />

LC 00000<br />

T. 113<br />

Vincenzo Bellini, I PURITANI<br />

„Son vergin vezzosa“<br />

Maria Callas, Sopran<br />

Orchester des Palacio de las Bellas Artes<br />

Dirigent: Guido Picco<br />

3:41<br />

Zwischen ihrer ersten und zweiten Prima am Teatro alla Scala – am 7. Dezember<br />

1951 als Elena in „I Vespri Siciliani“ und dem 7. Dezember 1952 als Lady Macbeth<br />

– hat sie 48 Aufführungen bestritten: als Armida, Norma, Elvira, Lucia, Violetta,<br />

Gilda und als Konstanze in Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“. Es war, kaum<br />

zu glauben, die erste Aufführung dieser Oper in Italien. Wie gern würde man Maria<br />

Callas etwa in der g-Moll-Arie – „Traurigkeit ward mir zum Lose“– hören; da aber<br />

Mozarts Opern in Italien nicht populär waren, gab es kein Interesse an einer<br />

Rundfunkübertragung.<br />

Umso erfreulicher, dass sie die Martern-Arie – hier: „Tutto del torture“ – am 27.<br />

Dezember 1954, also später, in einem Konzert der RAI gesungen hat. Der englische<br />

Kritiker William Mann, Autor eines glänzenden Buches über Mozarts Opern,<br />

schreibt, sie habe keine andere Musik so langweilig und öde gesungen; hingegen<br />

vertritt John Ardoin die Ansicht, es sei die fesselndste Aufnahme der Arie, die auf<br />

Platten vorliegt. Die charakteristischen Schärfen der Stimme kommen der Arie –<br />

dem Aufbegehren des Trotzes – durchaus entgegen. Sie hören eine heroische<br />

Constanze.<br />

Musik 3<br />

EMI 5 67922-2<br />

LC 6646<br />

T. 105<br />

Wolfgang Amadeus Mozart, DIE<br />

ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL<br />

„Tutte le torture“<br />

Maria Callas, Sopran<br />

Orchester der RAI, San Remo<br />

Dirigent: Alfredo Simonetto<br />

08:38<br />

Maria Callas als Constanze – ein Konzertmitschnitt <strong>von</strong> 1954, zwei Jahre nach den<br />

vier Scala-Aufführungen. Von besonderer Bedeutung in diesem Jahr waren aber<br />

ihre ersten drei Aufführungen <strong>von</strong> Donizettis „Lucia di Lammermoor“, wieder in<br />

Mexiko. Gerade mit dieser Figur, die sie bis 1959 insgesamt 46 Mal gesungen hat,<br />

wurde sie identifiziert, und vor allem mit dieser Partie hat sie eine Revolution des<br />

Musiktheaters angestoßen.<br />

Im 19. Jahrhundert war Lucia zu einer Symbolfigur des Marienkultes geworden. In<br />

den Jahrzehnten nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Partie überwiegend <strong>von</strong><br />

soprani leggieri gesungen. Deren zarte und flötenhafte Stimmen werden in Italien<br />

als bamboleggiante bezeichnet: als kleinmädchen- oder püppchenhaft. Dahinter<br />

verbirgt sich ein für südliche Länder typischer Männertraum: der <strong>von</strong> der sexuell<br />

unberührten Kindfrau. Maria Callas gab der Figur eine andere Bedeutung, die der<br />

ahnungsvollen, der sehnsüchtigen Frau.<br />

© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) www.kulturradio.de


Maria Callas – 5. Folge Seite 3 <strong>von</strong> 9<br />

Wie anrührend trotzdem ihre „große, häßliche Stimme“ – <strong>von</strong> der Tullio Serafin<br />

sprach – in den frühen fünfziger Jahre klingen konnte, zeigt der Mitschnitt vom 10.<br />

Juni 1952. In den langen, sehrenden Phrasen des Duetts aus dem ersten Akt singt<br />

Maria Callas zwar inwendig-zart, aber auch voller Inbrunst. Giuseppe di Stefano<br />

begnügt sich damit, mit dem Wohllaut seiner üppigen Stimme aufzutrumpfen,<br />

Musik 4<br />

Membran-Edition<br />

223521<br />

CD 8<br />

LC 12281<br />

T. 806 und 807<br />

Gaetano Donizetti, LUCIA DI<br />

LAMMERMOOR<br />

„Qui di sposa eterna fede“<br />

„Verranno a te“<br />

Maria Callas, Sopran – Giuseppe di<br />

Stefano, Tenor<br />

Orchester des Palacio de las Bellas Artes<br />

Dirigent: Guido Picco<br />

04:50<br />

Während Maria Callas als Lucia mit hoch platzierter Stimme sang – ganz leicht und<br />

auf dem Atem –, wählte Giuseppe di Stefano den vollen Sound der Bruststimme. Es<br />

ist sicher ein effektvoller Sound, nur singt er nicht, wie seine Partnerin. mit<br />

fließender, sondern gepresster Phonation. Folge ist, dass schon die Töne der<br />

Übergangslage angestrengt klingen – gleichsam so, als würden sie zwischen fest<br />

zusammengebissenen Zähnen gehalten.<br />

Den ersten Lucia-Test hatte Maria Callas zuvor in Rom bei ihrem Konzert für die<br />

RAI unternommen und den Abschnitt „Spargi d’amaro pianto“ in der Wahnsinns-<br />

Szene ausgelassen. Es wird an den unterschiedlichen Bedingungen gelegen haben –<br />

dem Singen vor dem Mikrophon und im großen Theaterraum –, dass sie nun mit<br />

größerer verbaler Emphase agiert und kräftigere Farben aufträgt. Dem kritischen<br />

Ohr kann nicht entgehen, dass es in der ersten Aufführung vom 10. Juni 1952<br />

Momente gibt, in denen sie – wie der Artist auf dem Hochseil – die Balance justieren<br />

muss; es wird auch nicht überhören, dass das hohe Es am Ende der Cavatina um<br />

eine Schwebung zu tief intoniert wird. Von diesen winzigen Unsicherheiten –<br />

zurückzuführen wohl auf die Nervosität bei einem Rollen-Debüt, ist in der zweiten<br />

Aufführung am 14. Juni, nichts mehr zu spüren. Verzierungen werden rhythmisch<br />

sicher und kalligraphisch genau ausgeformt, die Zielnoten – jeweils das hohe Es –<br />

sicher erfasst.<br />

Musik 5<br />

Membran-Edition<br />

223521<br />

LC 12281<br />

T. 901<br />

Gaetano Donizetti, LUCIA DI<br />

LAMMERMOOR<br />

„Il dolce suono …… Ardon gl’incensi...<br />

Spargi d’amoro pianto“<br />

Maria Callas, Sopran<br />

Orchester des Palacio de las Bellas Artes<br />

Dirigent: Guido Picco<br />

15:38<br />

Kann es wunder nehmen, dass nach dieser Aufführung der Beifall des Publikums<br />

jede Besinnung verlor? Auf Drängen der Theaterleitung in Mexiko City gab Maria<br />

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Maria Callas – 5. Folge Seite 4 <strong>von</strong> 9<br />

Callas nach und gewährte eine dritte Aufführung, die nicht verabredet war. Aus<br />

dieser ist wiederum ein Mitschnitt der Wahnsinnsszene erhalten – mit offenbar<br />

spontan veränderten Verzierungen und einem unverändert brillanten hohen Es am<br />

Schluss.<br />

Musik 6<br />

Membran-Edition<br />

223521<br />

LC 12281<br />

T. 902 (einbl. bei<br />

05’30)<br />

Gaetano Donizetti, LUCIA DI<br />

LAMMERMOOR<br />

„Il dolce suono …… Ardon gl’incensi..”<br />

Maria Callas, Sopran<br />

Orchester des Palacio de las Bellas Artes<br />

Dirigent: Guido Picco<br />

06’00<br />

Die Faszination, die Maria Callas als Lucia ausstrahlte, beruhte besonders darauf,<br />

dass sie die Koloraturen zum einen in dunkle Farben tauchte und sie zum anderen<br />

mit einzigartiger Verve zu singen verstand. <strong>Eine</strong>n ähnlichen vokal-dramatischen<br />

Ansatz wählte sie auch für die ihre vierte Partie beim Gastspiel in Mexico: Verdis<br />

Gilda in „Rigoletto“, die sie nur zwei Mal auf der Bühne dargestellt hat.<br />

Es mag schwer fallen, sich Maria Callas in der Rolle eines naiven Mädchens<br />

vorzustellen, das aus Liebe zu einem Hallodri in den Tod geht. Auf der Klangbühne<br />

ist ihre Darstellung einer unerwachten Unschuld, die <strong>von</strong> einem skrupellosen<br />

Verführer vergewaltigt wird und sich ihm dennoch opfert, bewegend. Leider hätte<br />

sie einen besseren Dirigenten verdient gehabt als den rhythmisch starren Umberto<br />

Mugnai, vor allem auch bessere Partner als den hölzernen Bariton Piero<br />

Campolonghi und den forciert singenden, laxen Giuseppe di Stefano.<br />

Doch brachte die Aufführung knapp acht unvergessliche Minuten und einige<br />

irritierende Sekunden: Gildas Arie „Caro nome“. Maria Callas taucht den<br />

inständigen Sehnsuchtsgesang in tiefe Schatten. Dass die Arie mehr Bindung<br />

bekommt als bei den zirpenden soprani leggieri, erreicht sie dadurch, dass sie sich,<br />

wie John Ardoin wiederum schreibt, in die punktierten, also die längeren Noten<br />

förmlich hineinlehnt und die kurzen Noten zum raschen Übergang in die nächste<br />

Phrase nutzt. Der träumerische Charakter der Arie wird intensiviert durch die<br />

elegischen Triller. Ein Fehlgriff aber, dass sie in der Coda statt des gehaltenen<br />

Trillers drei in Terzen aufsteigende Triller singt und zum Abschluss ein<br />

dreigestrichenes Es einlegt; es ist ein bloßer Effekt, Wirkung also ohne Ursache.<br />

Musik 7<br />

Melodram Edition<br />

223521<br />

LC 12281<br />

T. 113<br />

Giuseppe Verdi, RIGOLETTO<br />

„Caro nome“<br />

Maria Callas, Sopran<br />

Orchester des Palacio de las Bellas Artes<br />

Dirigent: Umberto Mugnai<br />

08:12<br />

Sie werden gehört haben, dass eine Männerstimme ständig in die Musik der Gilda<br />

hineingeredet hat: es war der Souffleur, den Maria Callas brauchte. Aber auch wenn<br />

sie den text nicht immer präsent hatte, hat sie den Sinn der Worte stets getroffen,<br />

aus dem Geist der Musik entwickelt.<br />

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Maria Callas – 5. Folge Seite 5 <strong>von</strong> 9<br />

Mit dem hohen E in der Coda <strong>von</strong> Gildas „Caro nome“ aus „Rigoletto“ mag Maria<br />

Callas zwar dem mexikanischen Publikum ein Plaisir verschafft haben; sich selber<br />

aber hat sie damit schwerlich einen Gefallen getan. Nicht übergangen sei ein<br />

Einwand <strong>von</strong> Michael Scott, der in seiner Monographie die Ansicht vertritt, dass sie<br />

die Partie mit einer gekünstelten Kleinmädchen-Stimme singt, die später in einigen<br />

Partien gleichsam zu einem vokalen Make-up wurde.<br />

Die fünfte Partie ihres dritten und letzten Gastspiels in Mexiko war Giacomo<br />

Puccinis Tosca, mit der sie 1942 in Athen debütiert hatte und mit der sie sich 1965<br />

in London <strong>von</strong> der Bühne verabschieden sollte. Ihr Partner war wieder Giuseppe di<br />

Stefano, der später die Ansicht vertrat, dass sie nicht die ideale Stimme für Puccinis<br />

Musik besaß – obwohl sie auch diese Partie entscheidend geprägt hat.<br />

Am 28. Juni 1952 befand sie sich in bester Form. Sie sang mit vollem und<br />

farbreichem Klang – energisch in den deklamatorischen Momenten des Duetts im<br />

ersten Akt, die markanter Akzente bedürfen: etwa bei dem hohen As des Ausrufes<br />

„Lo neghi“ oder bei der hitzigen Exklamation, wenn sie das Bild der vermeintlichen<br />

Nebenbuhlerin auf der Staffelei erkennt: „È l’Attavanti“. Ein wahrer Furor der<br />

Eifersucht quillt aus dem Ruf: „La vedi? T’ama! Tu l’ami?“ In Cantabile-Phrasen, die<br />

sie in der höheren Mittellage mit voller Stimme singen muss, sind wieder die für ihre<br />

Stimme typischen Schärfen zu spüren.<br />

Musik 8<br />

Melodram 26028<br />

LC 00000<br />

T. 101 bis 106 (bl.)<br />

Giacomo Puccini, TOSCA<br />

„Mario, Mario, Mario“<br />

„Non la sospir la nostra cassetta“<br />

„Qual occhio al mondo“<br />

Maria Callas, Sopran – Giuseppe di<br />

Stefano, Tenor<br />

Orchester des Palacio de las Bellas Artes<br />

Dirigent: Guido Picco<br />

08’34<br />

In dieser Aufführung <strong>von</strong> „Tosca“ war Giuseppe di Stefano so glänzend in Form,<br />

dass das Publikum ein Dacapo der Sternen-Arie – „E lucevan le stelle“ – erjubelte.<br />

Danach besingt Di Stefano die „dolci mani“ der Tosca, die Scarpia getötet haben,<br />

mit einer kosenden amoroso-Stimme. In den Aufschwüngen des Duetts stehen<br />

beide Sänger unter Starkstrom. Die ganze Kunst des gestischen Singens ist zu<br />

erleben, wenn Tosca den Weg Cavaradossis zu seiner Erschießung in sich<br />

steigernder Angst und Erregung begleitet.<br />

Musik 9<br />

Melodram 26028<br />

LC 00000<br />

T. 209 bis 212<br />

Giacomo Puccini, TOSCA<br />

„O dolci mani“<br />

„Trionfal di nuova speme“<br />

„L’Ora .. Son pronto<br />

„Mario, su presto“<br />

Maria Callas, Sopran – Giuseppe di<br />

Stefano, Tenor<br />

Orchester des Palacio de las Bellas Artes<br />

Dirigent: Guido Picco<br />

11’45<br />

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Maria Callas – 5. Folge Seite 6 <strong>von</strong> 9<br />

Das Finale <strong>von</strong> Giacomo Puccinis „Tosca“ mit Maria Callas und Giuseppe di Stefano,<br />

es war der Abschluss ihrer Karriere in Mexiko.<br />

Die Saison 1952/1953 begann für Maria Callas im November mit ihrem Debüt am<br />

Royal Opera House Covent Garden – mit fünf Aufführungen <strong>von</strong> Vincenco Bellinis<br />

„Norma“; im Dezember folgten fünf Aufführungen des „Macbeth“ am Teatro alla<br />

Scala, danach bis in die Januartage hinein fünf Abende mit „La Gioconda“.<br />

Verdis erste Shakespeare-Oper war am Teatro alla Scala zwischen 1849 und 1874<br />

nur in sechs Spielzeiten aufgeführt worden, dann erst 55 Jahre später im<br />

Dezember 1939. In Deutschland war das Werk im Zuge der Verdi-Renaissance<br />

gegeben worden – mit Sängerinnen wie Sigrid Onegin, Elisabeth Höngen, später mit<br />

Martha Mödl.<br />

Für Maria Callas gehörte die Saison-Prima am 7. Dezember 1952 zu den<br />

wichtigsten Aufführungen ihrer Laufbahn. Als Regisseur war Carl Ebert engagiert<br />

worden, der die Oper 1939 in Glyndebourne mit Margherita Grandi als Lady<br />

inszeniert hatte. An der Scala stand, wie schon ein Jahr zuvor bei „I Vespri<br />

Siciliani“, der große Victor de Sabata am Pult. Dass Verdi in den zwei nach 1846<br />

weit über hundert Briefe zur Aufführung des „Macbeth“ geschrieben hat, zeigt, wie<br />

schon früher dargelegt, deutlich, dass es ihm um einen Paradigmenwechsel des<br />

Singens ging.<br />

Keiner seiner Briefe ist so oft zitiert worden wie der an Salvatore Cammarano vom<br />

23. November 1848. Cammarano war der Hausdichter des Teatro San Carlo <strong>von</strong><br />

Neapel und betreute dort 1848 eine Neueinstudierung des „Macbeth“, knapp zwei<br />

Jahre nach der Uraufführung in Florenz. Zur Erinnerung noch einmal ein Auszug<br />

aus diesem Brief.<br />

Die Rolle der Lady Macbeth ist der Tadolini übertragen worden.... Sie wissen, wie<br />

hoch ich die Tadolini schätze, und sie selber weiß dies auch; doch ist es – im<br />

Interesse aller Beteiligten – notwendig, dass ich Ihnen einige Überlegungen mitteile.<br />

Die Tadolini verfügt über viel zu große Qualitäten, als dass sie diese Rolle darstellen<br />

könnte. Das mag Ihnen vielleicht absurd vorkommen!! ... Die Tadolini ist <strong>von</strong> guter<br />

und schöner Gestalt; und ich möchte, dass die Lady hässlich und böse aussieht. Die<br />

Tadolini singt vollkommen; ich aber möchte, dass die Lady nicht singt. Die Tadolini<br />

hat eine stupende Stimme, klar, flüssig, kraftvoll; und ich hätte lieber, dass die Lady<br />

mit einer harschen, erstickten und hohlen Stimme singt. Die Stimme der Tadolini<br />

klingt wie die eines Engels – und ich möchte, dass die Stimme der Lady teuflisch<br />

klingt.<br />

Diese Bemerkung ist dahingehend ausgelegt worden, dass Verdi eine Krankheit<br />

bekämpfen wollte, die mehr als 150 Jahre lang gewütet hatte: den Belcanto. Kaum<br />

je zur Kenntnis genommen worden ist eine Direktive, die Verdi in einem Brief an die<br />

Sängerin der Uraufführung, Marianna Barbieri-Nini, gerichtet hatte.<br />

Sie kommen heraus und lesen einen Brief ... Dann folgt ein grandioses und<br />

kantables Adagio, aber es ist nicht <strong>von</strong> zuckriger Art. ... Der erste Teil der Cabaletta<br />

soll in grandioser Manier und voller Stolz vorgetragen werden. Im zweiten Teil liegt<br />

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Maria Callas – 5. Folge Seite 7 <strong>von</strong> 9<br />

die Phrase zu den Worten „Tu notte ne avvolgi“ vielleicht recht tief; aber eben dies<br />

ist meine Absicht, um sie dunkel und mysteriös wirken zu lassen.<br />

Es geht also darum, in der Sortita, der Eingangsarie, die Physiognomie der Lady<br />

sichtbar zu machen. Auslöser für ihre Eingangsarie ist ein Brief des Macbeth. Er<br />

berichtet <strong>von</strong> einer Begegnung mit Boten, die ihn als König <strong>von</strong> Schottland<br />

angesprochen haben. Es waren die Hexen, für Verdi die Hauptdarsteller der Oper.<br />

Zwar weiß die Lady vom Ehrgeiz ihres Mannes, doch ist sie sich nicht sicher, ob er<br />

sich den Weg zur Macht auch mit verbrecherischen Mitteln zu bahnen willens ist.<br />

Komm! eile. Ich werde dein kaltes Herz in Flammen setzen.<br />

Von ihrer phantasmagorischen Vision mitgerissen, ruft die Lady ihrem Mann zu:<br />

„Du wirst der König König <strong>von</strong> Schottland sein.“<br />

Der Monolog geht über in ein imaginäres Zwiegespräch: „Che tardi? Acceta il<br />

dono“, ruft sie ihm zu, „Du zögerst? - nutze die Gunst der Stunde.“ Den Mitschnitt<br />

der Konzertaufführung in Rom haben Sie schon in der zweiten Sendung gehört.<br />

Hier nun der Auftritt der Lady in der Aufführung des Teatro alla Scala vom 7.<br />

Dezember 1952.<br />

Musik 10<br />

EMI 5 66447-2<br />

LC 06646<br />

T. 107, 108, 109,<br />

110<br />

Giuseppe Verdi, MACBETH<br />

„Nel dì della vittoria“<br />

Vieni, t’affretta“<br />

Al cader della sera<br />

„Or tutti, sorgete“<br />

Maria Callas, Sopran<br />

Orchester des Teatro alla Scala. Victor de<br />

Sabata<br />

08’06<br />

Welch maßlose Anforderung an die Stimme, welche Anforderung auch an die technische<br />

Virtuosität! Im musiksprachlichen Gestus vollkommen neu war das Duett,<br />

das Macbeth und die Lady nach dem Königsmord führen. Es soll nicht gesungen,<br />

sondern mit fahler Stimme deklamiert oder, wie Verdi selber sagte, „ausagiert werden“.<br />

Das gilt nicht weniger für die Szene der Lady zu Beginn des zweiten Aktes, die<br />

Verdi bei seiner Bearbeitung des Werks für das Théâtre Lyrique in Paris 1865 an<br />

Stelle der konventionellen Triumph-Arie in der ersten Fassung einfügte. „La luce<br />

langue“ hat den Charakter einer düsteren Phantasmagorie. Für die Lady stellt sich<br />

die peinvolle Frage, ob der Weg zur Macht ein „nuovo delitto“, einen neuen Mord,<br />

erfordert, und sie weiß: „È necessario“. Maria Callas gelingt es, in der Deklamation<br />

gesanglich zu bleiben und dem Gesang deklamatorische Prägnanz zu geben.<br />

Musik 11<br />

EMI 5 66447-2<br />

LC 06646<br />

T. 120<br />

Giuseppe Verdi, MACBETH<br />

„La luce langue“<br />

Maria Callas, Sopran<br />

Orchester des Teatro alla Scala. Victor de<br />

Sabata<br />

04:08<br />

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Maria Callas – 5. Folge Seite 8 <strong>von</strong> 9<br />

Kaum dass das „nuovo delitto begangen, ziehen Gäste in den Palast des<br />

mörderischen Paares ein. Macbeth fordert die Lady auf, sie willkommen zu heißen –<br />

mit einem Trinkspruch. Zur Ausführung schrieb Verdi am 2. Januar 1847 an<br />

Marianna Barbieri-Nini, die Sängerin der Uraufführung.<br />

Es ist nicht nötig, Ihnen zu sagen, dass das Brindisi leicht und brillant und mit allen<br />

Appoggiaturen, Gruppetti und Mordenten gesungen werden muss. Ich kann mich<br />

nicht genau erinnern, ob Sie mühelos Triller singen. Ich habe Triller vorgesehen,<br />

aber ich habe nichts dagegen, wenn Sie sie auslassen.<br />

Dieses Trinklied kommt in virtuoser Einkleidung daher, erfordert also wieder die<br />

Reserven großen technischen Könnens; es klingt jedoch nicht, anders als das<br />

Brindisi aus „La Traviata“, wie ein Gesang exuberanter Lebensfreude. Durch eine<br />

Gegenhandlung wird denn auch deutlich, dass dieses Lied nichts ist als ein Versuch,<br />

Heiterkeit vorzutäuschen; es dient wieder dem Suspense. Ein Mörder erscheint in<br />

der Tür und berichtet Macbeth vom Tod Bancos. Macbeth gerät in Panik. Auf die<br />

Frage der Lady, was ihn <strong>von</strong> den Freuden des Festes abhalte, erwidert Macbeth, er<br />

warte auf den Nobelsten der Gäste: auf Banco. Wie er sich auf dessen Platz setzen<br />

will, erscheint Macbeth der Geist des Ermordeten. Alsbald verliert er die Kontrolle<br />

über sich. In einer Panikattacke fleht er Banco an, er möge ihn nicht der Mordtat<br />

bezichtigen. Auf die Mahnung der Lady, sich zu ermannen, erwidert er.<br />

Ja, und kühn dazu, da ich etwas anblicke, was selbst dem Teufel Schrecken einjagen<br />

würde … da … da … erkennst du ihn nicht?<br />

(zum Geist )<br />

Oh, wenn du den Kopf schütteln kannst, dann sprich auch! Schicken die Gräber uns<br />

die Toten zurück?<br />

Mit angestrengter Munterkeit nimmt die Lady wieder den Gesang auf, dessen<br />

virtuoser Gestus in einem grotesken Kontrast zum Geschehen steht.<br />

Musik 12<br />

EMI 5 66447-2<br />

LC 06646<br />

T.128<br />

Giuseppe Verdi, MACBETH<br />

„Si colmi il calice“ Maria Callas, Sopran<br />

Orchester des Teatro alla Scala. Victor de<br />

Sabata<br />

02:00<br />

Mit Blick auf den „Macbeth“ also <strong>von</strong> einer „Oper ohne Gesang“ zu sprechen, ist<br />

irrig. Es ging dem Komponisten um eine im Gesang vermittelte psychologische<br />

Wahrhaftigkeit: um die Erkundung eines kranken, eines schauerlich kranken<br />

Seelenlebens. Dabei folgte Verdi der Maxime:<br />

Die Wahrheit nachzubilden mag gut sein. Die Wahrheit zu erfinden ist besser, viel<br />

besser.<br />

Verdi gibt der Lady die Physiognomie eines Weibsteufels, die zunehmend die<br />

Kontrolle verliert. Ihr Schlussgesang ist ein innerer Monolog manisch kreisender<br />

und Gedanken und wahnhafter Bilder. Aber anderes als in vielen Wahnsinnsszenen<br />

fehlt diesem Gesang ein idealistischer oder tröstender Widerschein. Von der<br />

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Maria Callas – 5. Folge Seite 9 <strong>von</strong> 9<br />

musikalischen Anlage her ist er weitgehend syllabisch gehalten; auf fast jede Silbe<br />

fällt eine Note.<br />

Für die Deklamation gibt es ständig wechselnde Vortragshinweise: sotto voce, voce<br />

spiegata, con forza, con dolore, cupo, morendo. Es ist ein quasi-parlando, das vom<br />

Orchester ausgeleuchtet wird. Ebenso ausdifferenziert ist die Dynamik mit<br />

Vorschriften wie tutta forza oder morendo. Aber strikt wendet sich Verdi gegen die<br />

Imitation seelischer Vorgänge mittels naturalistischer Affektgesten wie etwa das<br />

„Röcheln des Todes.<br />

Victor de Sabata wählt für das Finale ein rasches Tempo – ein vielleicht zu rasches<br />

Tempo, wie die meisten Kommentatoren betonen. Trotzdem gelingt es Maria Callas,<br />

die Gefühls- und Stimmungsschübe der halluzinierenden Lady herauszuarbeiten.<br />

Unnachahmlich das vokale Agieren in Phrasen wie „Una, due“ oder „O sangue<br />

amano“. Am Ende der Arie gelingt es ihr, das hohe Des auf einem fil di voce<br />

ausklingen zu lassen – auf einem zarten, matt umflorten Ton<br />

Musik 13<br />

EMI 5 66447-2<br />

LC 06646<br />

T. 212<br />

Giuseppe Verdi, MACBETH<br />

„Una macchia è qui tuttore“<br />

Maria Callas, Sopran<br />

Orchester des Teatro alla Scala.<br />

Dirigent: Victor de Sabata<br />

06:10<br />

Sie hörten zum Abschluß die „gran scena del sonnambulismo“ aus Giuseppe Verdis<br />

„Macbeth“. Mit dieser Aufführung unter Victor de Sabata war Maria Callas am 7.<br />

Dezember 1952 zur König der Scala geworden.<br />

Die Polarität <strong>von</strong> Verismo und Belcanto ist das Thema der nächsten Sendung:<br />

zwischen „La Gioconda“ <strong>von</strong> Amilcare Ponchielli und „Norma“ <strong>von</strong> Vincenzo Bellini.<br />

Am Mikrophon verabschiedet sich <strong>Jürgen</strong> <strong>Kesting</strong>.<br />

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