Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2014-04-07 (Vorschau)
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15<br />
SchweizCHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux €5,30<br />
Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | PolenPLN 27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien€6,00 | TschechischeRep.CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />
7.4.<strong>2014</strong>|Deutschland €5,00<br />
1 5<br />
4 1 98065 805008<br />
Ein Heft<br />
über<br />
Innovationen<br />
12<br />
Ideen für ein<br />
modernes<br />
Deutschland<br />
8<br />
Erfinder über<br />
die beste Idee<br />
ihres Lebens<br />
9<br />
Gewinner des<br />
Deutschen<br />
Innovationspreises<br />
50<br />
innovative<br />
deutsche<br />
Mittelständler<br />
und ihre<br />
Erfolgsrezepte<br />
5<br />
Methoden, die<br />
Bargeld<br />
überflüssig<br />
machen werden<br />
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Einblick<br />
Rettet uns das Kinderwahlrecht aus der verkalkten<br />
Altenrepublik? Welche Innovationen brauchen wir,<br />
was sind die Trends? Von Roland Tichy<br />
Deutschland im Stau<br />
FOTO: HEIKE ROST FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Wie innovationsfähig ist<br />
Deutschland? Die angesehene<br />
US-Universität MIT bescheinigt<br />
Deutschland, dass<br />
hier die weltweit modernsten Produktionsverfahren<br />
zu Hause sind – die Unternehmen<br />
profitieren von einem Ökosystem,<br />
das aus firmenübergreifenden<br />
Kooperationsbeziehungen, tief gestaffelten<br />
Zuliefer-Netzwerken, Dienstleistern,<br />
aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen<br />
und Universitäten besteht. Innovation<br />
ist nicht die geniale Idee eines einsamen<br />
Daniel Düsentriebs, sondern das<br />
erfolgreiche Zusammenspiel vieler, die<br />
gemeinsam die Grenze des schon Erreichten<br />
hinausschieben. Mit diesem Heft<br />
vergibt die WirtschaftsWoche gemeinsam<br />
mit Evonik, Accenture und EnBW den<br />
Deutschen Innovationspreis für solche<br />
herausragenden Leistungen. In der heraufziehenden<br />
„Industrie 4.0“ wächst die<br />
Welt der Fertigung mit der Welt der Daten<br />
zusammen. Das „Internet der Dinge“ entsteht,<br />
indem Produktionsanlagen in Echtzeit<br />
auf Nachfrageimpulse reagieren, die<br />
am anderen Ende der Welt ausgesandt<br />
werden. Gerade kleinere Unternehmen<br />
sind Treiber und Gewinner. Die Giganten<br />
der Industrie konnten die Vorteile der<br />
Massenproduktion ausspielen. Jetzt aber<br />
schrumpfen die Losgrößen. Wer bislang<br />
in einer Nische viele Varianten in kleiner<br />
Stückzahl fertigte, wechselt vorwärts – zurück<br />
zum Werkstück, jedes ein Meisterstück,<br />
zugeschnitten auf einen ganz speziellen<br />
Kundenwunsch.<br />
Dafür braucht man erstens Daten, zweitens<br />
Daten und drittens Daten – für Information,<br />
Fernüberwachung, ständige<br />
Kontrolle; Umrüstzeiten müssen auf Sekunden<br />
verkürzt werden. Big Data, das<br />
Schreckenswort der Feuilletons, wird zum<br />
Allzweckwerkzeug. Ungeheure Mengen an<br />
Informationen müssen gesammelt, verarbeitet,<br />
transportiert und vernetzt werden –<br />
zur Totalsteuerung der Produktion und aller<br />
Prozesse davor und danach. Die digitale<br />
Transformation ist mehr als E-Commerce,<br />
viel mehr: Bald wird meine<br />
Lesebrille beim Verfassen des Einblicks<br />
überflüssig sein, weil mein Bildschirm<br />
seine Schriftgröße meiner Sehschärfe anpasst.<br />
Die deutsche Wirtschaft steht gut<br />
da – doch sie leidet darunter, dass der<br />
Kompetenz-Graben zwischen dem wissenschaftlich-industriellen<br />
und dem politischen<br />
Sektor immer größer wird. Die Bildungseinrichtungen<br />
halten nicht Schritt;<br />
die Infrastruktur verfällt, obwohl Straßenwie<br />
Kommunikationsnetze für diese ins<br />
Kleinste zerstückelten und immer wieder<br />
neu zusammengesetzten Prozesse Grundvoraussetzung<br />
sind. Der Fortschritt steckt<br />
im Stau.<br />
STAATLICHE BREMSER<br />
Eine naive Wissenschaftspolitik will zurück<br />
ins 19. Jahrhundert – zu staatlich geförderten<br />
Prestigeprojekten wie alternative Energieformen.<br />
Sie sollen der Energiepolitik<br />
aus der Sackgasse helfen, in die sie sich<br />
selbst verfahren hat. Aber viele Beispiele<br />
zeigen: So entstehen nur künstlich ernährte<br />
Biotope beamteter Wissenschaftler, die<br />
sich von der Entwicklung da draußen abschotten,<br />
statt sie zu treiben.<br />
Während die Wirtschaft nach vorne<br />
drängt, schaut die Politik mit verklärtem<br />
Gesicht in die Abendsonne des Sozialstaats<br />
von gestern: Verkürzt rabiat den Renteneintritt<br />
wieder auf 63 Jahre, obwohl wir 40<br />
Lebensjahre gewonnen haben. Statt Individualisierung<br />
werden wieder kollektive Lösungen<br />
und Verstaatlichung gepredigt. Das<br />
sind Phänotypen staatlichen Handelns, die<br />
schon lange nicht mehr passen. Staatliche<br />
Reformprojekte fressen Ressourcen und<br />
bleiben dann stecken. Andere Länder sind<br />
da viel weiter: Gesundheitskarten vermeiden<br />
doppelte und dreifache Untersuchungen.<br />
Längst wissen die tausend Ämter alles<br />
über uns – und doch müssen wir demütig<br />
durch ihre Tore pilgern, um einen simplen<br />
Ausweis oder eine Bescheinigung gnädig<br />
herabgereicht zu bekommen.<br />
Hilft gegen die Herrschaft der verknöcherten<br />
Alten, die für ihresgleichen Politik<br />
machen, ein Wahlrecht für Kinder? Vielleicht.<br />
Es ist jedenfalls ein Ansatz, um den<br />
verkalkten Betrieb der Politik und Verwaltung<br />
neu zu denken.<br />
n<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 3<br />
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Überblick<br />
Menschen der Wirtschaft<br />
6 Seitenblick Der Marsionar Elon Musk<br />
8 Zalando: Zu viel Chemie in Schuhen<br />
9 Air Berlin: Brüssel untersucht Etihad-Deal |<br />
PwC: Neueinstellungen nach Booz-Fusion<br />
10 Interview: LinkedIn-Gründer Konstantin<br />
Guericke sagt, was deutschen Start-ups fehlt<br />
12 Deutsche Börse: Ärger wegen Gaddafi |<br />
Blacklane: Taxi-Streit um Smarts |<br />
Drei Fragen zur Energiewende<br />
14 Schifffahrt:Ex-Karstadt-Chef verlässt Anti-<br />
Piraterie-Unternehmen | Nestlé: Teekapseln<br />
verschwunden | Volkswagen: US-Millionenofferte<br />
für Verzicht auf Betriebsrat<br />
16 Chefsessel | Start-up Kinematics<br />
18 Chefbüro Cornelia Rudloff-Schäffer,<br />
Präsidentin des Deutschen Patent- und<br />
Markenamtes<br />
Schwerpunktthema<br />
Innovationen<br />
Die Hannover Messe und die Gewinner des<br />
Deutschen Innovationspreises zeigen,<br />
was kluge Köpfe zustande bringen, wenn sie<br />
gute Ideen nicht lange diskutieren müssen,<br />
sondern zügig realisieren können. Während<br />
die Wirtschaft mutig voranschreitet,<br />
zaudert die Politik und bremst so den Fortschritt.<br />
Ein Heft über Innovationen in<br />
Wirtschaft und Gesellschaft.<br />
Zu Ihrer Orientierung haben wir die dazugehörigen<br />
Themen optisch hervorgehoben.<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
20 Deutschland Zwölf Ideen, die unser Land<br />
weiterbringen<br />
26 Unternehmertum Wie die Bundesregierung<br />
das Gründungsklima verbessern will<br />
30 Interview: Rüdiger Bachmann Der<br />
Professor findet deutsche Unis provinziell<br />
34 Innovationen Woran Erfindungen häufig<br />
scheitern – selbst wenn sie gut sind<br />
37 Paris intern<br />
Der Volkswirt<br />
38 Nachgefragt: Frank-Jürgen Weise<br />
Der Chef der Bundesagentur für Arbeit<br />
erwartet ein gutes Jahr für den Arbeitsmarkt<br />
42 Denkfabrik Ansgar Belke und Daniel Gros<br />
werfen der Europäischen Zentralbank vor,<br />
Ungleichgewichte zu verstärken<br />
Unternehmen&Märkte<br />
44 Innovations-Ranking Eine Exklusiv-Studie<br />
kürt die erfindungsreichsten Mittelständler<br />
in Deutschland<br />
52 Interview Frédéric Oudéa Der Vorstandschef<br />
der Société Générale will die Finanzkrise<br />
möglichst schnell abhaken<br />
56 Uniqlo Der japanische Moderiese drängt<br />
nach Deutschland und will Zara überholen<br />
60 Boston Consulting Group Ramponiert<br />
Deutschland-Chef Carsten Kratz Identität<br />
und Zukunft der Elitetruppe?<br />
63 Mobilfunk Die Fusion von O2 und E-Plus<br />
könnte den Wettbewerb schwächen und die<br />
Preise steigen lassen | Interview: Telekom-<br />
Austria-Chef Hannes Ametsreiter will den<br />
Wettbewerb beschränken<br />
66 Energiewende Sonne, Wind und Biomasse<br />
– die Gewinner und Verlierer der geplanten<br />
EEG-Reform<br />
68 Spezial Hannover Messe Mittelständler<br />
treiben die industrielle Revolution voran |<br />
So funktioniert die Fabrik der Zukunft<br />
12 Ideen<br />
für unser<br />
Land<br />
Politik In Deutschland<br />
regiert der<br />
Kompromiss. Das<br />
sorgt für Ruhe, ist<br />
aber selten wirklich<br />
gut. Wo es sich lohnt,<br />
auch mal eine klare<br />
Entscheidung zu<br />
treffen, lesen Sie ab<br />
Seite 20<br />
Total<br />
kreativ<br />
Unternehmen Eine<br />
Exklusiv-Studie der<br />
WirtschaftsWoche<br />
kürt Deutschlands<br />
innovativste Mittelständler.<br />
Sieger ist<br />
die Medizintechnikfirma<br />
Karl Storz der<br />
76-jährigen Matriarchin<br />
Sybill Storz.<br />
Seite 44<br />
4 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Nr. 15, 7.4.<strong>2014</strong><br />
Wer hat’s<br />
erfunden?<br />
Erfolg Ihre Produkte<br />
und Ideen kennt fast<br />
jeder. Doch wer steckt<br />
eigentlich hinter<br />
Bestsellern wie dem<br />
Brettspiel Die Siedler<br />
von Catan? Erfinder<br />
Klaus Teuber und<br />
sieben weitere<br />
Kreative im Porträt.<br />
Seite 88<br />
So zahlen<br />
wir bald<br />
Geld Münzen sind<br />
den Deutschen lieb<br />
und teuer. Doch Einkäufe<br />
sind zunehmend<br />
ohne Bargeld<br />
möglich. Wir stellen<br />
neue Zahlsysteme,<br />
ihre Chancen und<br />
die Technologien<br />
von morgen vor.<br />
Seite 96<br />
Kreativ mit<br />
System<br />
Technik Muskeln<br />
aus Draht, Körperscanner<br />
aus Licht,<br />
Intelligenz aus der<br />
Atomphysik:Wie die<br />
Produkte der Sieger<br />
und Nominierten<br />
des Deutschen Innovationspreises<br />
unser<br />
Leben verändern.<br />
Seite 76<br />
Technik&Wissen<br />
76 Wettbewerb Vom Geistesblitz zum ausgezeichneten<br />
Produkt:Sieger und Nominierte<br />
des Deutschen Innovationspreises zeigen,<br />
wie das geht<br />
Management&Erfolg<br />
88 Die Idee meines Lebens Ob Kaffeekapseln,<br />
Textmarker oder ein Regal namens Billy:<br />
Produkte wie diese haben unseren Alltag<br />
verändert – aber wer sind die kreativen<br />
Köpfe dahinter? Acht Erfinder im Porträt<br />
Geld&Börse<br />
96 Bezahlen Die Deutschen hängen am Bargeld,<br />
Handel und Finanzinstitute treiben<br />
neue Technologien voran. Was heute schon<br />
bargeldlos geht, wie wir morgen bezahlen<br />
102 Privatkredite online Was taugt die Idee der<br />
drei Samwer-Brüder?<br />
1<strong>04</strong> Fairvesta Die Immobilienfondsgesellschaft<br />
verspricht Anlegern zweistellige Renditen,<br />
doch Zweifel am Geschäftsmodell wachsen<br />
108 Steuern und Recht Beraterhaftung | Solarstrom-Umlage<br />
| Dienstwagen | Quellensteuer<br />
bei Auslandsdividenden | Möbelkauf<br />
110 Geldwoche Kommentar: Hochfrequenzhändler<br />
sind unnötig | Trend: Dax-Gewinnprognosen<br />
| Dax-Aktien: Deutsche Börse |<br />
Hitliste: China | Aktien: Hewlett-Packard,<br />
Enagás | Zertifikat: Euro/Dollar Short |<br />
Anleihe: Norwegen | Investmentfonds:<br />
iShares MSCI World<br />
Perspektiven&Debatte<br />
116 Design Technische Innovationen erweitern<br />
die Gestaltungsmöglichkeiten<br />
118 Kost-Bar<br />
Rubriken<br />
3 Einblick, 120 Leserforum,<br />
121 Firmenindex | Impressum, 122 Ausblick<br />
n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche<br />
weltweit auf iPad oder iPhone:<br />
Diesmal mit Video-Porträts über<br />
die Gewinner des Deutschen<br />
Innovationspreises <strong>2014</strong>.<br />
Und wie manche<br />
Menschen einfach ihre<br />
eigene Ersatzwährung<br />
drucken.<br />
wiwo.de/apps<br />
n Afghanistan Rund zwölf Millionen<br />
Afghanen sind jetzt dazu aufgerufen,<br />
einen neuen Präsidenten zu wählen.<br />
Das Land steht vor einer unsicheren<br />
Zukunft. wiwo.de/afghanistan<br />
facebook.com/<br />
wirtschaftswoche<br />
twitter.com/<br />
wiwo<br />
plus.google.com/<br />
+wirtschaftswoche<br />
FOTOS: VARIO IMAGES, STEFAN THOMAS KROEGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, BILDFOLIO/BERT BOSTELMANN,<br />
ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; ILLUSTRATION: KARSTEN PETRAT<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 5<br />
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Seitenblick<br />
Der Marsionar<br />
Elon Musk | Kein anderer Unternehmer packt so viele Projekte<br />
an, die als unmöglich gelten. Sein größtes Ziel: Flug zum Mars.<br />
1<br />
3<br />
5<br />
Zip2<br />
Gründung: 1995<br />
Die Innovation: Zip2 war ein<br />
Online-Stadtführer. 1999 kaufte<br />
ihn der PC-Bauer Compaq für 3<strong>07</strong><br />
Millionen Dollar. Musk kassierte<br />
davon 22 Millionen Dollar.<br />
1|PayPal<br />
Gründung: 1999 als X.com<br />
Die Innovation: Musk erfand eine<br />
Methode, mit der sich per E-Mail-<br />
Adresse Geld transferieren lässt.<br />
2000 taufte er die Firma PayPal.<br />
Ebay kaufte PayPal 2002 für 1,5<br />
Milliarden Dollar.<br />
2|SpaceX<br />
Gründung: 2002<br />
Die Innovation: SpaceX ist ein privates<br />
Raumfahrtunternehmen, das<br />
wiederverwendbare Raketen und<br />
Raumkapseln baut und betreibt.<br />
Musk transportiert etwa Vorräte<br />
zur Weltraumstation ISS.<br />
Im Herbst will er die<br />
bisher größte<br />
Rakete der Welt<br />
starten. Ultimatives<br />
Ziel: der<br />
Mars.<br />
+ Zum Starten der Videos<br />
die QR-Codes mit dem<br />
Smartphone scannen<br />
2<br />
4<br />
3|Tesla Motors<br />
Gründung: 2003<br />
Die Innovation: Musk entwickelte<br />
den ersten in Serie gebauten<br />
Elektrosportwagen der Welt. 2008<br />
führte er den Tesla Roadster ein.<br />
In vielen amerikanischen Städten<br />
hat Teslas neue E-Limousine<br />
Model S bei den Verkäufen BMW<br />
und Mercedes überholt.<br />
4|SolarCity<br />
Gründung: 2006<br />
Die Innovation: SolarCity installiert<br />
Solaranlagen. Musk bietet US-Kunden<br />
ein Rundum-sorglos-Paket. Sie<br />
zahlen nur den Strom, Installation<br />
und Wartung sind inklusive. Solar-<br />
City schloss dafür Finanzkooperationen<br />
mit Banken und Google ab.<br />
5|Hyperloop<br />
Idee: 2011<br />
Die Innovation: ein Transportsystem<br />
schneller und billiger als Bahn<br />
und Flugzeug. In einer fast luftleeren<br />
Röhre sollen Wagen auf 1220<br />
Stundenkilometer beschleunigen.<br />
Gigafactory<br />
Vorgestellt: <strong>2014</strong><br />
Die Innovation: Die weltgrößte<br />
Batteriefabrik soll 2020 in Betrieb<br />
gehen. Kosten: 5 Milliarden Dollar.<br />
6 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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MUSK, 42<br />
Schon mit zwölf Jahren programmierte<br />
der gebürtige<br />
Südafrikaner ein Videospiel.<br />
Später studierte er im kanadischen<br />
Ontario und an der<br />
amerikanischen University of<br />
Pennsylvania Wirtschaft und<br />
Physik. In Stanford wollte er<br />
promovieren, warf aber hin,<br />
um ein Start-up zu gründen. Er<br />
leitet heute Tesla und SpaceX<br />
und ist Mitglied der Mars-Society,<br />
ihr Ziel ist die Kolonialisierung<br />
des roten Planeten.<br />
FOTOS: PHOTO BY BENJAMIN LOWY/CONTOUR BY GETTY IMAGES, DDP IMAGES (2), AGENTUR FOCUS/SPL, PR (2)<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 7<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
Untersuchung zog<br />
sich monatelang hin<br />
Zalando-Chefs<br />
Rubin Ritter,<br />
David Schneider,<br />
Robert Gentz<br />
ZALANDO<br />
Heiße Sohle<br />
Wegen zu hoher Chrom-VI-Werte in<br />
Schuhen prüft das Management des<br />
Online-Händlers einen Produkt-Rückruf<br />
und muss Informationspannen beheben.<br />
Der Berliner Online-Modehändler Zalando prüft<br />
den Rückruf von mehreren Schuhmodellen. Nach<br />
Informationen der WirtschaftsWoche wurden bei<br />
einer amtlichen Analyse der Schuhe durch das Landeslabor<br />
Berlin-Brandenburg teilweise deutlich erhöhte<br />
Werte der Chemikalie Chrom VI festgestellt.<br />
Der Stoff kann lebenslange Allergien auslösen. Bei<br />
den überprüften Schuhen wurde die zulässige<br />
Höchstgrenze teilweise um mehr als das 13-Fache<br />
überschritten. Betroffen sind einzelne Damenschuhmodelle<br />
der Zalando-Eigenmarken „Zign“,<br />
„Pier One“, „Taupage“ und „Zalando Collection“.<br />
Sie sollen von Herstellern aus Italien, Spanien und<br />
Taiwan stammen. Das zuständige Veterinär- und<br />
Lebensmittelamt Teltow-Fläming teilte Zalando in<br />
einem Schreiben <strong>vom</strong> 24. März mit, dass die beanstandeten<br />
„Artikel nicht in den Verkehr gebracht<br />
werden“ dürfen.<br />
„Wir haben unverzüglich alle Vorkehrungen für<br />
einen Rückruf eingeleitet“, sagt ein Zalando-Sprecher<br />
dazu. Derzeit würden die Ergebnisse einer<br />
toxikologischen Analyse abgewartet, die Anfang<br />
der Woche vorliegen soll. Sollte der Befund eine<br />
Gesundheitsgefahr belegen, „werden wir Kunden<br />
sofort um Rücksendung der Produkte bitten und<br />
das Geld erstatten“. Insgesamt wurden von Zalando<br />
rund 1500 Schuhpaare der beanstandeten Modelle<br />
verkauft. Inzwischen sei deren Vertrieb gestoppt<br />
worden, die Modelle im Lagerbestand seien identifiziert<br />
worden, sagt der Firmensprecher. Intern gilt<br />
das Auffinden der Restposten jedoch als schwierig.<br />
Chrom VI wird häufig in Lederprodukten nachgewiesen.<br />
In der Branche wirft deshalb weniger der<br />
mögliche Rückruf als der zeitliche Ablauf Fragen<br />
auf. So wurden die entsprechenden Proben schon<br />
vor einem halben Jahr im Zalando-Outlet in Berlin<br />
entnommen. Die anschließenden Untersuchungen<br />
zogen sich über Monate hin, zudem wechselten die<br />
Zuständigkeiten zwischen Ämtern in Berlin und<br />
Brandenburg. Heikel ist der Vorgang aber vor allem<br />
für Zalando: In der Regel lassen Bekleidungshändler<br />
und -hersteller bereits parallel zu den amtlichen<br />
Untersuchungen Gegenproben der Waren testen –<br />
auch um Kunden möglichst rasch informieren zu<br />
können. Bei Zalando lief es in diesem Fall anders:<br />
So sollen Informationen über die Kontrollen weder<br />
von den Outlet-Mitarbeitern noch <strong>vom</strong> Lager, aus<br />
dem das Outlet beliefert wird, an die Zentrale in<br />
Berlin weitergeleitet worden sein. Darum hätten im<br />
Vorfeld keine eigenen Untersuchungen stattgefunden,<br />
so ein Zalando-Sprecher. „In Zukunft wird das<br />
Führungspersonal im Outlet und im Logistikzentrum<br />
auf die korrekte Weiterleitung sensibilisiert.“<br />
henryk.hielscher@wiwo.de<br />
Gefährliche Produkte<br />
Anteil derWarengruppen<br />
an den EUweiten<br />
Warnmeldungen<br />
(in Prozent)<br />
Bekleidung,<br />
Textilien und<br />
Schuhe<br />
Spielzeug<br />
Elektrogeräte<br />
Fahrzeuge<br />
Kosmetika<br />
Sonstiges<br />
4<br />
8<br />
11<br />
19<br />
Quelle: EU-Kommission, Rapex,<br />
Stand: 2012<br />
34<br />
24<br />
8 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTOS: PR, HERMANN BREDEHORST, GETTY IMAGES/WIRE IMAGES/TIM MOSENFELDER<br />
AIR BERLIN<br />
Gegenwind aus Brüssel<br />
Etihad-Chef James Hogan muss<br />
wohl seinen Plan zu Air Berlin<br />
ändern. Die Bundesregierung<br />
hat ihm trotz intensiver Fürsprache<br />
von Lobbyisten bisher<br />
nicht zugestimmt. Die EU-<br />
Kommission hat eine formelle<br />
Untersuchung der Etihad-<br />
Beteiligungen eingeleitet.<br />
Schon Anfang der Woche hatte<br />
Matthias Ruete, in der EU-Kommission<br />
Generaldirektor Transport,<br />
schärfere Kontrollen von<br />
Expansionsplänen der Fluggesellschaften<br />
gefordert. „Es gab<br />
in den vergangenen Jahren einige<br />
Fälle, in denen wir die Staaten<br />
warnen mussten. Darum<br />
ziehen wir jetzt die Daumenschrauben<br />
an“, sagte Ruete am<br />
Rande einer Veranstaltung.<br />
Die Mehrheit einer europäischen<br />
Fluggesellschaft muss bei<br />
europäischen Investoren liegen.<br />
Die arabische Fluggesellschaft<br />
Etihad will deshalb ihren<br />
Anteil an Air Berlin nur von<br />
knapp 30 auf 49 Prozent aufstocken.<br />
Die anderen Anteile sollen<br />
deutsche Altaktionäre halten<br />
halten, die der Fluglinie aus<br />
Abu Dhabi wohlgesonnen sind,<br />
Etihad baut auf ihn<br />
Ex-Air-Berlin-Chef Hunold<br />
darunter Ex-Air-Berlin-Chef<br />
Joachim Hunold, Hans-Joachim<br />
Knieps, Severin Schulte<br />
<strong>vom</strong> Hausgerätehersteller Severin<br />
und der Reisekonzern TUI.<br />
Ob das Konzept aufgeht, ist<br />
fraglich. Schon warnt die EU-<br />
Kommission, eine Übernahme<br />
sei auch dann zu untersagen,<br />
wenn ein Minderheitseigentümer<br />
im Alltagsgeschäft faktisch<br />
die Kontrolle ausübe. Das ist<br />
laut EU-Verordnung 1008 etwa<br />
dann der Fall, wenn dieser Anteilseigner<br />
das Unternehmen<br />
spürbar mitfinanziere und darüber<br />
hinaus eine Änderung<br />
der Strategie zu seinen Gunsten<br />
herbeiführt.<br />
ruediger.kiani-kress@wiwo.de<br />
Aufgeschnappt<br />
Musik I Die US-Sängerin Miley<br />
Cyrus zeigt gern ihre Zunge,<br />
doch bald streckt ihr wohl Wladimir<br />
Putin seine Zunge heraus.<br />
Im Mai und Juni<br />
wollte Cyrus<br />
in Finnland<br />
mit Stars wie<br />
Justin Timberlake<br />
auftreten. Die<br />
ausverkauften<br />
Konzerte könnten<br />
jedoch<br />
Opfer der US-<br />
Sanktionen<br />
gegen Russland<br />
werden – die<br />
Halle gehört drei<br />
Russen, die auf<br />
Obamas Schwarzer<br />
Liste stehen.<br />
Musik II Der Wu-Tang Clan<br />
gehört zu den bekanntesten<br />
Hip-Hop-Gruppen. Vom neuem<br />
Album gibt es aber nur ein<br />
Exemplar, es soll in einer silbernen<br />
Schatulle für mehrere Millionen<br />
Dollar verkauft werden.<br />
Sonst wird das Werk nur live in<br />
Museen und Galerien zu hören<br />
sein. Wohl per Kopfhörer, damit<br />
keine Kopien entstehen. Das<br />
soll die Debatte über den Wert<br />
von Musik befeuern – und ist<br />
cleveres Marketing für ein weiteres<br />
Album im Sommer.<br />
PWC<br />
Mehr Jobs<br />
Wirtschaftsprüfer Norbert<br />
Winkeljohann und Unternehmensberater<br />
Klaus-Peter<br />
Gushurst gehen gemeinsam<br />
auf Klientenfang. Das weltgrößte<br />
Prüfernetzwerk PwC mit<br />
rund 190 000 Mitarbeitern<br />
schluckt das Beratungshaus<br />
Booz & Co. mit 3000 Mann,<br />
weil das klassische Geschäft<br />
mit den jährlichen Bilanzchecks<br />
stark unter Preisdruck<br />
steht. „Zusammen wollen wir<br />
auf dem deutschen Markt deutlich<br />
über 500 Millionen Euro<br />
Beratungsumsatz jährlich erzielen“,<br />
sagt PwC-Deutschland-<br />
Chef Winkeljohann. PwC erzielte<br />
hierzulande zuletzt 357<br />
Millionen Euro Beratungsumsatz,<br />
Booz veröffentlicht keine<br />
Zahlen. Weltweit machen beide<br />
zehn Milliarden Dollar Umsatz<br />
mit Beratung.<br />
Der Prüfungsriese will im<br />
kommenden Geschäftsjahr in<br />
Deutschland 1050 neue Mitarbeiter<br />
einstellen. Die Ex-Booz-<br />
Leute führt PwC in einem<br />
Schwesterunternehmen erst<br />
mal an der langen Leine. Das<br />
soll den Strategievordenkern eine<br />
Kollision mit den bürokratieaffinen<br />
PwC-Prüfern ersparen.<br />
mark.fehr@wiwo.de | Frankfurt<br />
Wo die Deutschen ins Schwitzen kommen<br />
Die führenden Fitness-Studios<br />
in Deutschland*<br />
Alter der Studiokunden<br />
in Deutschland*<br />
27,7 %<br />
22,6%<br />
20,3%<br />
12,0%<br />
8,4% 9,1%<br />
Studiokette:<br />
Mitglieder:<br />
Anlagen:<br />
McFit Fitness First clever fit Kieser Training Injoy<br />
10<strong>04</strong>000 270000 245000 236000 2<strong>04</strong>000<br />
161 88 149 115 160<br />
unter 19<br />
20–29 30–39 40–49 50–59 über 60<br />
Jahre<br />
*2013; Quelle: Deloitte, DSSV, DHfPG<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 9<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
FLOSKELCHECK<br />
Kreativität<br />
Ursprünglich war<br />
Kreativität ein exklusiv<br />
dem Allmächtigen<br />
vorbehaltenes Talent,<br />
das zunächst nur auf<br />
die Genies der schönen<br />
Künste überging.<br />
Inzwischen gehört es<br />
bekanntlich schon zum<br />
Regelanforderungsprofil<br />
eines jeden<br />
Ferienpraktikanten.<br />
Der Schöpfergeist jeder<br />
menschlichen Kreatur<br />
ist folglich heute nicht<br />
mehr gefährliche<br />
Gotteslästerung,<br />
sondern – namentlich<br />
für Steuerjuristen –<br />
eine elementare<br />
Grundlage der<br />
ökonomischen<br />
Existenz in unserer<br />
fortschrittlichen<br />
Zivilisation.<br />
DER FLOSKELCHECKER<br />
Carlos A. Gebauer, 49,<br />
arbeitet als Rechtsanwalt in<br />
Düsseldorf, wurde auch als<br />
Fernsehanwalt von RTL und<br />
SAT.1 bekannt.<br />
INTERVIEW Konstantin Guericke<br />
»Deutschland ist<br />
nicht der beste Markt«<br />
Der LinkedIn-Gründer kritisiert die starke<br />
Fokussierung deutscher Start-ups auf ihre Heimat.<br />
Staatliche Hilfen hält er für wenig effektiv.<br />
Herr Guericke, Deutschland<br />
hinkt dem Silicon Valley hinterher.<br />
Was muss die Bundesregierung<br />
tun, damit es hier mehr<br />
erfolgreiche Start-ups gibt?<br />
Ich glaube gar nicht, dass die<br />
Politik eine große Rolle spielt.<br />
Jedes Jahr werden zwei oder<br />
drei richtig gute Firmen gegründet,<br />
egal, welche Förderprogramme<br />
aufgelegt werden.<br />
Eine steuerliche Förderung für<br />
Risikokapitalgeber würde also<br />
nicht viel bringen?<br />
Die zwei guten Ideen gibt es<br />
auch ohne Steuererleichterungen.<br />
Und wenn Sie die als Investor<br />
finden, ist es auch egal, wie<br />
viel Steuern Sie dabei zahlen.<br />
Woran machen Sie die zwei<br />
guten Ideen fest?<br />
Die Messlatte ist eine Bewertung<br />
von einer Milliarde Dollar.<br />
Werden Sie fündig? Zuletzt<br />
wurde diskutiert, ob die<br />
Berliner Start-ups nur ein<br />
Hype sind?<br />
Sicher gibt es noch keinen Welterfolg<br />
aus Berlin. Doch einige<br />
haben das Potenzial dazu.<br />
Soundcloud oder 6Wunderkinder.<br />
Deren App Wunderlist hat<br />
inzwischen mehr Nutzer in den<br />
USA als in Deutschland.<br />
Trotzdem bezweifeln manche,<br />
dass diese Unternehmen viel<br />
Geld verdienen können.<br />
Es ist eine Grundsatzdiskussion,<br />
ob man erst versucht, viele<br />
Nutzer zu bekommen oder diese<br />
gleich zu monetarisieren.<br />
Was raten Sie?<br />
Es gibt keine eindeutige Antwort.<br />
Deutsche versuchen früher,<br />
Geld zu verdienen. Das<br />
kann das Wachstum bremsen,<br />
wie man bei Xing gesehen hat.<br />
Was unterscheidet die deutschen<br />
noch von US-Start-ups?<br />
Hier sind die Teams schon in<br />
der Frühphase sehr groß, auch<br />
weil Arbeitskräfte in Städten<br />
wie Berlin günstiger sind.<br />
Doch WhatsApp oder Instagram<br />
haben gezeigt, dass man<br />
nur einige gute Ingenieure<br />
braucht. Dafür sollten die Startups<br />
nicht so mit Aktienoptionen<br />
geizen.<br />
DER NETZWERKER<br />
Guericke, 46, war 2002 Mitgründer<br />
des Business-Netzwerks<br />
LinkedIn und dort bis 2006 Marketing-Chef.<br />
Er ist nun Partner<br />
der Berliner Wagniskapitalgesellschaft<br />
Earlybird, die er<br />
schon seit zwei Jahren berät.<br />
Warum?<br />
In den USA hat jeder Optionen,<br />
hier haben es oft nur die Gründer<br />
und Geschäftsführer. Doch<br />
dann benehmen sich die Mitarbeiter<br />
auch wie Mitarbeiter und<br />
nicht wie Miteigentümer.<br />
Liegt das daran, dass es hier<br />
weniger Börsengänge gibt?<br />
Vor allem an der Größe der<br />
Exits, das kann ja auch ein Verkauf<br />
sein. Wenn Gründer davon<br />
ausgehen, dass am Ende dabei<br />
20 oder 30 Millionen herauskommen,<br />
muss natürlich der eigene<br />
Anteil größer sein, damit<br />
es sich lohnt. Wobei man auch<br />
sagen muss, dass sich Start-ups<br />
finanziell nicht lohnen. Die<br />
Chancen, dass es sich auszahlt,<br />
sind gering. Wem es ums Geldverdienen<br />
geht, der sollte also<br />
eher in den Finanzsektor oder<br />
zu Dax-Konzernen gehen.<br />
In welchen Bereichen suchen<br />
Sie derzeit Investments?<br />
Wir gucken nicht nach Segmenten,<br />
die Dichte der Start-ups ist<br />
einfach noch nicht so hoch,<br />
dass man sich das leisten kann.<br />
Viele fokussieren sich auch zu<br />
stark auf Deutschland. Damit<br />
zieht man einen leichten Markt<br />
vor und schiebt den schwierigsten<br />
vor sich her. Der ist dann oft<br />
kaum noch zu erobern.<br />
Gründer sollten also gleich die<br />
USA anpeilen?<br />
Man muss dahin gehen, wo der<br />
Markt am bereitesten ist, alles<br />
andere ist Zeitverschwendung.<br />
Außerdem ist Deutschland<br />
nicht der beste Markt, um mit<br />
Neuerungen zu starten. Die<br />
Konsumenten hier sind eher<br />
zögerlich. Sie fragen erst, ob<br />
man neue Produkte wirklich<br />
braucht, oder haben Bedenken<br />
wegen der Privatsphäre. Ich suche<br />
daher Start-ups mit globalen<br />
Ambitionen.<br />
Und wann kommt endlich<br />
ein großer Exit aus Deutschland?<br />
Da muss man Geduld haben,<br />
vieles wird man erst in fünf oder<br />
auch zehn Jahren sehen. Auch<br />
bei LinkedIn hat es bis zum Börsengang<br />
zehn Jahre gedauert.<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER; FOTO: PR<br />
10 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
DEUTSCHE BÖRSE<br />
Spur führt zu Gaddafi<br />
Geschäfte mit dem Iran haben<br />
Reto Francioni, dem Chef der<br />
Deutschen Börse, neuen Ärger<br />
in den USA eingehandelt. Die<br />
Börsentochter Clearstream soll<br />
2008 US-Sanktionen umgangen<br />
haben, indem sie Wertpapiere<br />
der iranischen Zentralbank im<br />
Wert von mehreren Milliarden<br />
Dollar auf ein Konto bei einer<br />
europäischen Bank transferiert<br />
hat. Die Staatsanwaltschaft in<br />
New York hat strafrechtliche Ermittlungen<br />
eingeleitet. Sie prüfe<br />
mögliche Verstöße gegen Geldwäsche-<br />
und Sanktionsvorschriften,<br />
teilte die Börse mit.<br />
Nach Informationen der<br />
WirtschaftsWoche handelt es<br />
sich bei dem europäischen Institut<br />
um die italienisch-libysche<br />
Bank UBAE. Das bestätigte<br />
ein Insider, die Börse wollte sich<br />
nicht äußern, UBAE hat Fragen<br />
MIETWAGEN<br />
Streit um<br />
Smarts<br />
Daimler war begeistert. Schon<br />
im Dezember investierte der<br />
Autokonzern über seine Tochter<br />
Daimler Mobility Services<br />
einen zweistelligen Millionenbetrag<br />
in das junge Berliner<br />
Mietwagen-Unternehmen<br />
Blacklane. Berlins Taxifahrer<br />
beschimpfen es jetzt als<br />
„Drecksfirma“. Grund ist die<br />
jüngste Idee der beiden Firmengründer<br />
Jens Wohltorf<br />
und Frank Steuer. Sie bieten<br />
nicht nur Limousinen mit<br />
Chauffeur an, sondern neuerdings<br />
auch Smarts – selbstverständlich<br />
mit Fahrer.<br />
Die Konkurrenten werfen<br />
den Jungunternehmern Rechtsbruch<br />
vor. Denn laut Verordnung<br />
müssen Taxis und Mietwagen<br />
auf der rechten Seite<br />
mindestens zwei Türen haben.<br />
Ärger in den USA<br />
Börsenchef Francioni<br />
der WirtschaftsWoche nicht beantwortet.<br />
UBAE sitzt in Rom,<br />
gehört aber bis heute über die<br />
Libyan Foreign Bank mehrheitlich<br />
der libyschen Zentralbank.<br />
Die galt als Privatbank des Ex-<br />
Diktators Muammar al-Gaddafi,<br />
der 2011 ermordet wurde.<br />
Clearstream ist ein Zentralverwahrer,<br />
der Konzern lagert<br />
für Banken Wertpapiere und<br />
rechnet Handelsgeschäfte ab.<br />
Taxifahrer in Aufruhr<br />
Gründer Steuer und Wohltorf<br />
Clearstream musste Beziehungen<br />
zu iranischen Kunden aufgrund<br />
schärferer US-Sanktionen<br />
gegen das Regime<br />
aufgeben. Dabei könnte die Börsentochter<br />
Fehler gemacht haben.<br />
„Dieses neue Konto hat der<br />
iranischen Zentralbank weiterhin<br />
Zugriff auf die Wertpapiere<br />
über Clearstreams Konten in<br />
den USA ermöglicht“, heißt es<br />
beim Office of Foreign Assets<br />
Control (OFAC), das für die US-<br />
Regierung ausländische Konten<br />
überwacht. Clearstream müsse<br />
gewusst haben, dass die iranische<br />
Zentralbank die wirtschaftliche<br />
Berechtigung an den Papieren<br />
behalten habe.<br />
Eigentlich hatte die Börse den<br />
Fall im Januar für abgeschlossen<br />
erklärt. Clearstream hatte einen<br />
Vergleich mit dem OFAC geschlossen<br />
und knapp 152 Millionen<br />
Dollar gezahlt. Mit dem<br />
Vergleich aber gilt Clearstream<br />
nicht als rechtskräftig verurteilt.<br />
annina.reimann@wiwo.de | Frankfurt<br />
Brandenburg bleibt nicht untätig:<br />
Er bildet seine Mitglieder<br />
seit Kurzem zu VIP-Fahrern<br />
aus; sie sollen freundlicher<br />
sein. Zudem fordert Verbandsvorstand<br />
Boto Töpfer das Landesamt<br />
auf, die Mietwagen<br />
schärfer zu kontrollieren. Deren<br />
Fahrer dürfen nämlich<br />
nicht nach Fahrgästen am Straßenrand<br />
Ausschau halten – es<br />
sei denn, sie erhalten unterwegs<br />
per Telefon einen Auftrag.<br />
Genau das ermöglicht Blacklane<br />
mit seiner App.<br />
jens.toennesmann@wiwo.de<br />
DREI FRAGEN...<br />
...zur Energiewende<br />
Andreas<br />
Löschel<br />
42, Chef der<br />
Monitoring-<br />
Kommission<br />
Energiewende<br />
der Regierung<br />
Das Start-up beruft sich indes<br />
auf eine Sondergenehmigung<br />
des Berliner Landesamts für<br />
Bürger- und Ordnungsangelegenheiten:<br />
„Wir haben eine<br />
Ausnahme genehmigt, weil<br />
Smarts bauartbedingt keine<br />
Rücksitzbank aufweisen und<br />
deswegen alle Fahrgäste die<br />
Fahrzeuge sicher besteigen und<br />
verlassen können – auch ohne<br />
zweite Tür auf der rechten Seite.“<br />
Der Taxiverband Berlinn<br />
Bund und Länder haben<br />
sich auf Abstriche bei der<br />
Förderung erneuerbarer<br />
Energien geeinigt. Ist das<br />
sinnvoll?<br />
Das Ziel war, den Umbau der<br />
Energieversorgung effizienter<br />
zu gestalten. Das ist richtig, es<br />
wurde aber vieles aufgeweicht.<br />
Jede Energieart wird<br />
speziell gefördert. Ziel muss<br />
aber sein, die Erneuerbaren<br />
rasch an den Markt zu bringen<br />
und alles besser mit dem<br />
Netzausbau zu verbinden. Es<br />
wird sonst schlicht zu teuer.<br />
n Strom wird noch teurer?<br />
Die Kosten für Endverbraucher<br />
steigen seit zehn Jahren,<br />
und alle Indikatoren zeigen<br />
weiter stark nach oben. Die<br />
Dynamik wird nur etwas abgeflacht.<br />
Die Strompreise werden<br />
wieder nach oben gehen,<br />
wenn die Windparks auf See<br />
ans Netz gehen oder wenn<br />
herkömmliche Kraftwerke<br />
umfassender gefördert werden<br />
sollten. Auch der Netzausbau<br />
wird noch teuer. Bei<br />
der Umlage für Erneuerbare<br />
ist nicht bei sechseinhalb Cent<br />
Schluss. Die könnte in fünf<br />
Jahren um zwei Cent steigen.<br />
n Was muss die Regierung<br />
jetzt vorrangig für die Energiewende<br />
tun?<br />
Es fehlt die langfristige Perspektive.<br />
Wo will man in zehn<br />
Jahren hin? Sinnvoll wäre,<br />
erneuerbaren Energien eine<br />
einheitliche, fixe Prämie auf<br />
den Strompreis zuzugestehen.<br />
Dann bestehen die, die<br />
am ehesten marktfähig sind.<br />
(Siehe auch Seite 66.)<br />
cordula.tutt@wiwo.de | Berlin<br />
FOTOS: CORBIS/HORACIO VILLALOBOS, PR<br />
12 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
PIRATENSCHUTZ<br />
Ex-Chef von<br />
Karstadt geht<br />
Es war ein kurzes Engagement:<br />
Im vergangenen Jahr beteiligte<br />
sich der frühere KarstadtQuelle-Chef<br />
Wolfgang Urban über<br />
die Gesellschaft Fris Investment<br />
an dem deutschen Sicherheitsunternehmen<br />
SeaControl 360°,<br />
das Schiffe und Offshore-Anlagen<br />
vor Piraten schützen will.<br />
„Wir wollen Marktführer in<br />
Deutschland werden“, kündigte<br />
Geschäftsführer Marcus Ryll im<br />
Januar an. Jetzt zieht sich Urban<br />
wieder zurück. Das Darlehen<br />
von 280 000 Euro, das er Sea-<br />
Control gewährte, lässt er stehen.<br />
„Ich betrachte mich als<br />
Business Angel“, sagt Urban.<br />
Er hat sich aber die Option<br />
gesichert, im nächsten Jahr<br />
wieder einzusteigen, wenn das<br />
Geschäft läuft. Derzeit baut Ryll<br />
das Unternehmen um, will von<br />
Cuxhaven nach Berlin umziehen<br />
und einen Nachfolger als<br />
Geschäftsführer einstellen.<br />
SeaControl 360° gehört jetzt<br />
der MR Handelsgesellschaft.<br />
Hinter ihr stehen Ryll und<br />
Thorsten Mehles. Beide arbeiteten<br />
schon beim Sicherheitsunternehmen<br />
Prevent zusammen,<br />
das wegen seiner Ermittlungsmethoden<br />
bei der HSH Nordbank<br />
in die Kritik geraten war.<br />
hermann.olbermann@wiwo.de<br />
NESTLÉ<br />
Teekapseln<br />
weggeräumt<br />
Kaffee in Kapseln war für Nestlé<br />
eine der lukrativsten Neuheiten<br />
der letzten Jahre. Der Versuch,<br />
den Erfolg mit Tee zu wiederholen,<br />
gestaltet sich jedoch<br />
schwieriger. Vor anderthalb<br />
Jahren wurden in Deutschland<br />
unter der Marke Special.T Maschinen<br />
eingeführt, die Tee in<br />
Kapseln zubereiten. Doch im<br />
<strong>07</strong>.<strong>04</strong>. Indien Rund 814 Millionen Inder sind von Montag<br />
an aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Sie<br />
haben dafür bis zum 12. Mai Zeit. Erst dann schließen<br />
die Wahllokale. In einem Punkt sind sich die<br />
meisten Inder einig: Das Land muss sich ändern.<br />
08.<strong>04</strong>. Bundeshaushalt Der Bundestag berät am Dienstag<br />
in erster Lesung den Bundeshaushalt <strong>2014</strong>. Er<br />
sieht <strong>Ausgabe</strong>n des Bundes von 298,5 Milliarden<br />
Euro vor und eine Nettokreditaufnahme von 6,5<br />
Milliarden Euro.<br />
Konjunktur Der Internationale Währungsfonds<br />
veröffentlicht seinen halbjährlichen Ausblick auf<br />
die Weltwirtschaft. Im Januar prognostizierte er für<br />
<strong>2014</strong> ein Wachstum von 3,7 Prozent und für 2015<br />
ein Plus von 3,9 Prozent.<br />
Vorratsspeicherung Der Europäische Gerichtshof<br />
entscheidet, ob die Daten von Telefon- und Internet-Verbindungen<br />
der Bürger ohne konkreten Anlass<br />
gespeichert werden dürfen.<br />
09.<strong>04</strong>. Energiewende EU-Wettbewerbskommissar legt<br />
am Mittwoch Leitlinien für Energie und Klimaschutz<br />
vor. Sie geben auch Aufschluss darüber,<br />
welche Unternehmen <strong>vom</strong> Aufschlag zur Subventionierung<br />
des Ökostroms befreit werden dürfen.<br />
13.<strong>04</strong>. Klimawandel Der Weltklimarat IPCC präsentiert<br />
am Sonntag den dritten Teil des neuen Weltklimaberichts.<br />
Darin will er Maßnahmen gegen den Klimawandel<br />
aufzeigen. Der erste Teil des Berichts<br />
erschien im September, der zweite im März.<br />
vergangenen Monat sind die<br />
Werbe- und Verkaufsflächen in<br />
den hiesigen Nespresso-Läden<br />
verschwunden. Sie seien nur für<br />
eine begrenzte Zeit geplant gewesen,<br />
erklärt Nestlé, Special.T<br />
werde nur im Internet verkauft.<br />
Doch nur rund 15 000 Personen<br />
besuchen nach Zahlen des<br />
Online-Marktforschers Similar<br />
Web monatlich die deutsche<br />
Special.T-Seite. „Wir<br />
sind sehr zufrieden<br />
mit<br />
der Nachfrage<br />
in<br />
TOP-TERMINE VOM <strong>07</strong>.<strong>04</strong> BIS 13.<strong>04</strong>.<br />
Deutschland“, meint dagegen<br />
Nestlé. Zum Start hatte Special.T-Chef<br />
Pascal Lebailly als<br />
Ziel einen Marktanteil von einem<br />
Prozent ausgerufen. Wirtschaftlich<br />
hat das Geschäft für<br />
Nestlé offenbar keine große Bedeutung.<br />
Während der Konzern<br />
im Geschäftsbericht regelmäßig<br />
das Wachstum von Nespresso<br />
feiert, wurde Special.T<br />
in den vergangenen<br />
beiden Jahresberichten<br />
mit keinem<br />
Wort erwähnt.<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
VOLKSWAGEN<br />
Vergiftete<br />
Subventionen<br />
Das Bemühen von Volkswagen,<br />
im US-Werk Chattanooga einen<br />
Betriebsrat zu installieren, löst<br />
politische Turbulenzen aus.<br />
Tennessees Gouverneur Bill<br />
Haslam, ein vehementer<br />
Gewerkschaftsgegner, hat versucht,<br />
VW mit einem 300 Millionen<br />
Dollar schweren Subventionsprogramm<br />
umzustimmen.<br />
Das geht aus einem vertraulichen<br />
Papier hervor, das der<br />
WirtschaftsWoche vorliegt.<br />
„Die Subventionen sind davon<br />
abhängig“, heißt es dort,<br />
„dass die Diskussionen zwischen<br />
dem Bundesstaat Tennessee<br />
und Volkswagen über einen<br />
Betriebsrat im Sinne des<br />
Hilfe bei Verzicht auf Betriebsrat<br />
US-Gouverneur Haslam<br />
Bundesstaates abgeschlossen<br />
werden.“<br />
Die Einmischung des Gouverneurs<br />
könnte zur Folge haben,<br />
dass die Entscheidung der<br />
VW-Mitarbeiter gegen einen<br />
Betriebsrat im Februar ungültig<br />
war. Darüber urteilt ein US-Gericht<br />
am 21. April. VW rechnet<br />
fest mit den Subventionen. Benötigt<br />
werden sie für den Ausbau<br />
der Werkskapazität von<br />
140 000 auf 200 000 Fahrzeuge<br />
pro Jahr und für den Bau eines<br />
neuen Geländewagens. Bis Ende<br />
2016 könnten so über 1000<br />
neue Arbeitsplätze entstehen.<br />
martin.seiwert@wiwo.de | New York<br />
FOTOS: LAIF/SAMUEL ZUDER, DDP IMAGES/USA TODAY, PR<br />
14 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
CHEFSESSEL<br />
START-UP<br />
KFW<br />
Ingrid Hengster, 53, gehört<br />
jetzt dem Vorstand der<br />
Staatsbank an und leitet das<br />
inländische Fördergeschäft.<br />
Die langjährige Deutschland-Chefin<br />
der Royal Bank<br />
of Scotland ist eine der wenigen<br />
Frauen in einer Top-<br />
Position am Frankfurter<br />
Finanzplatz. Die für ihre direkte<br />
Art geschätzte Österreicherin<br />
hat sich vor allem im<br />
Geschäft mit großen Unternehmen<br />
profiliert. Für die<br />
KfW soll sie Ex-Wirtschaftsminister<br />
Philipp Rösler begeistert<br />
haben. Auch wenn<br />
der heute nichts mehr zu<br />
sagen hat, stehen Hengsters<br />
Chancen gut, KfW-Chef<br />
Ulrich Schröder, 64, zu beerben,<br />
wenn er in Rente geht.<br />
FAIRTRADE<br />
DAIMLER<br />
Ernst Lieb, 59, ist zurück im<br />
Geschäft: Der ehemalige<br />
Chef von Mercedes-Benz<br />
North America hat sich in<br />
die Autohandelsgruppe<br />
Motorworld Australia eingekauft,<br />
die sich auf Fahrzeuge<br />
des Fiat-Konzerns spezialisiert<br />
hat. Daimler hatte Lieb vor drei<br />
Jahren gefeuert, weil er auf Konzernkosten<br />
seine Dienstvilla<br />
aufwendig umgebaut hatte.<br />
REEMTSMA<br />
Luc Hyvernat, 45, wird am 1.<br />
Mai Chef des Hamburger Zigarettenunternehmens.<br />
Bisher<br />
arbeitet er als Marketing-<br />
Direktor bei der britischen<br />
Muttergesellschaft Imperial<br />
Tobacco in Bristol. Hyvernat<br />
übernimmt den Posten von<br />
Marcus Schmidt, 47, der als<br />
Global Brand Director in die<br />
Imperial-Zentrale wechselte.<br />
CONSTANTIN MEDIEN<br />
Fred Kogel, 53, scheidet nach<br />
fünf Jahren aus dem Aufsichtsrat<br />
aus, den er leitete. Am 1. Oktober<br />
wechselt er als Chief Operating<br />
Officer in den Vorstand<br />
von Constantin Medien. Zusätzlich<br />
soll er als Chief Operating<br />
Officer den Bereich TV und<br />
New Business im Vorstand der<br />
Konzerngesellschaft Constantin<br />
Film leiten.<br />
EYEEM<br />
Markus Spiering, 36, verlässt<br />
Flickr. Der Dresdner leitete seit<br />
2011 den Fotodienst von Yahoo.<br />
Nun hat ihn das Berliner Startup<br />
EyeEm abgeworben, Spiering<br />
soll für den deutschen<br />
Instagram-Konkurrenten das<br />
US-Geschäft ausbauen.<br />
1,72 Euro<br />
gibt im Schnitt jeder Deutsche im Jahr für Produkte mit dem Fairtrade-Siegel<br />
aus. Es sichert den Erzeugern einen Mindestpreis zu.<br />
Führend in Europa sind die Schweizer mit 21,06 Euro pro Kopf<br />
und Jahr vor Großbritannien mit 11,57 und Österreich mit 6,36<br />
Euro. Das weltweit etablierteste Fairtrade-Produkt ist Kaffee.<br />
KINEMATICS<br />
Legosteine zum<br />
Leben erwecken<br />
Der Plastikhund lernt erstaunlich schnell. Matthias Bürger (Mitte)<br />
drückt den Knopf auf der Brust des Tieres, bewegt dessen Beine<br />
hin und her und dreht dann dessen Hinterbein nach oben. Dann<br />
stellt er das Spielzeug auf den Boden, drückt einen anderen Knopf,<br />
und der Hund wiederholt die Bewegungen. Tinkerbots nennen<br />
Leonhard Oschütz, Bürger und Christian Guder (von links) die<br />
lernfähigen Spielzeugroboter ihres Start-ups Kinematics. Aus den<br />
Steinen lassen sich immer wieder neue Figuren bauen, sie sind<br />
sogar mit Lego-Steinen kompatibel. „Man kann damit den Lego-<br />
Kasten zum Leben erwecken“, sagt Bürger. Ähnliches bietet Lego<br />
mit seiner Reihe Mindstorms zwar auch, aber die ist deutlich komplexer<br />
und richtet sich an Kinder ab zehn Jahren. „Und dann muss<br />
oft der Papa dafür sorgen, dass es sich bewegt“, sagt Bürger. Die<br />
Tinkerbots seien dagegen schon für Fünfjährige geeignet.<br />
Von Donnerstag an können Interessenten das Spielzeug der drei<br />
Jungunternehmer auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo bestellen,<br />
bis Weihnachten<br />
Fakten zum Unternehmen<br />
Preise geplant sind für die Einsteigersets:<br />
99 bis 159 Dollar<br />
Finanzierung ein einstelliger Millionenbetrag<br />
von Seven Ventures<br />
und Brandenburg; nun über<br />
Crowdfunding 100 000 Dollar<br />
soll es ausgeliefert werden.<br />
„Wir wollen zeigen,<br />
dass Leute bereit sind,<br />
dafür zu zahlen“, sagt Bürger.<br />
Wenn alles gutgeht,<br />
soll schon im kommenden<br />
Jahr die Serienfertigung<br />
starten.<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
FOTOS: PR, MAURITIUS IMAGES/IMAGEBROKER<br />
16 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />
Cornelia Rudloff-Schäffer<br />
Präsidentin des Deutschen Patentamtes<br />
Ob Airbag, MP3-Technik oder<br />
Fischer-Dübel – Erfindungen<br />
sind bei Cornelia Rudloff-<br />
Schäffer, 57, in sicheren<br />
Händen. Die Präsidentin des<br />
Deutschen Patent- und Markenamtes<br />
in München wacht<br />
über mehr als 570 000 Patente<br />
und knapp 790 000 Markenrechte.<br />
„Kreativität und Innovationskraft<br />
sind unsere Rohstoffe“,<br />
beschreibt die Juristin<br />
ihre Arbeit. In der Regalwand<br />
hinter dem Schreibtisch stehen<br />
übersichtlich aufgereiht Leitz-<br />
Ordner, gefüllt mit<br />
Papieren zum europäischen<br />
Patentrecht<br />
sowie zum<br />
Kunden- und Beschwerdemanagement.<br />
Nach dem<br />
Abitur studierte Rudloff-Schäffer<br />
in Mainz<br />
360 Grad<br />
In unseren App-<br />
<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />
Sie an dieser<br />
Stelle ein interaktives<br />
360°-Bild<br />
neben Jura noch Politik und<br />
Publizistik. Es folgten Stationen<br />
beim Münchner Max-Planck-<br />
Institut für internationales<br />
Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht<br />
und beim Bundesjustizministerium.<br />
Von dort<br />
wechselte sie in die Rechtsabteilung<br />
des Deutschen Patentund<br />
Markenamtes, dessen<br />
Leitung sie im Januar 2009<br />
übernahm – als erste<br />
Frau. „Die Möbel<br />
in meinem Büro<br />
stammen noch von<br />
meinem Vorgänger<br />
Jürgen Schade“, erzählt<br />
Rudloff-Schäffer.<br />
Das bronzene<br />
Pferd auf der Fensterbank<br />
schenkten ihr Mitarbeiter<br />
des Patentamtes in Peking.<br />
Rudloff-Schäffer hilft den Chinesen,<br />
oft als gnadenlose Kopierer<br />
geschmäht, beim Aufbau<br />
eines Patentwesens. Auch das<br />
bunte Bild an der Wand neben<br />
dem Schreibtisch stammt aus<br />
der Volksrepublik. Es ist ein<br />
Werk des chinesischen Künstlers<br />
Wang Yao. „Ich bin von<br />
vielen schönen und nützlichen<br />
Dingen umgeben“, schwärmt<br />
Rudloff-Schäffer. Aber auf eine<br />
Innovation wartet sie bisher<br />
vergeblich. „Am liebsten“, sagt<br />
sie, „würde ich ein Kaffeesahnedöschen<br />
patentieren, das<br />
beim Öffnen nicht spritzt.“<br />
ulrich.groothuis@wiwo.de<br />
FOTO: DIETER MAYR FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
18 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
INNOVATION | Das<br />
Wesen der Demokratie<br />
ist der Kompromiss.<br />
Das Wesen des Kompromisses<br />
ist die Unzulänglichkeit.<br />
Wofür<br />
es sich lohnen würde,<br />
mal eine Ausnahme<br />
zu machen.<br />
12 Ideen, die<br />
Deutschland<br />
weiterbringen<br />
1 2<br />
Lohnfortzahlung für Abgeordnete<br />
Kinderwahlrecht<br />
Seit Jahren wird der Deutsche Bundestag von wenigen Berufsgruppen<br />
dominiert und bildet nicht den Querschnitt der Bevölkerung<br />
ab. Führend ist der öffentliche Dienst, mit 30 Prozent der<br />
Abgeordneten dreimal so stark vertreten wie in der arbeitenden<br />
Bevölkerung. Weitere 17 Prozent kommen aus Organisationen<br />
wie Parteien und Gewerkschaften. Ein Grund: Die Bezahlung<br />
(derzeit 8252 Euro monatlich) ist für diese Berufsgruppen hoch<br />
attraktiv, für Unternehmer und Manager bedeutet sie dagegen<br />
Gehaltsverzicht. Deshalb wäre es besser, jeder Abgeordnete bekäme<br />
sein bisheriges Einkommen weiterbezahlt. Wegen des Geldes<br />
müsste dann keiner mehr in die Politik gehen, und Gutverdiener<br />
müssten sich das Mandat nicht als Hobby leisten. Um die<br />
Unterschiede nicht zu groß werden zu lassen, könnte ein Mindestbetrag<br />
festgesetzt werden – auch um die Empfänglichkeit<br />
für Bestechungen zu reduzieren. Vor drei Jahrzehnten machte<br />
sich der Abgeordnete Adolf Herkenrath (CDU) mit der Idee jedoch<br />
wenig Freunde. Seitdem hat sich keiner mehr getraut.<br />
Fazit: richtige Anreize, unabhängige Politiker.<br />
Die große Koalition hat gleich zum Start gezeigt, wie wichtig mehr<br />
Rechte für Kinder und Jugendliche wären. Union und SPD brachten<br />
erst einmal Wohltaten für Rentner auf den Weg. Die Gerontokratie,<br />
also die Herrschaft der Betagten, nimmt Gestalt an. Umso<br />
wichtiger wäre ein Wahlrecht für Minderjährige. Ein Sechstel des<br />
Staatsvolks ist bisher ausgeschlossen. Vor zehn Jahren wurde<br />
das schon im Bundestag diskutiert. Das Wahlrecht könnte von Eltern<br />
treuhänderisch ausgeübt werden, bis der Nachwuchs es für<br />
sich beansprucht. Das wäre fair: Bisher bekommt etwa ein kinderloses<br />
Paar doppelt so viel Gewicht an der Wahlurne wie eine<br />
allein Erziehende mit drei Kindern. Umgekehrt fragt niemand, ob<br />
alle über 18 ihr Wahlrecht ernst nehmen, ob sie geschäftsfähig,<br />
politisch interessiert oder eines Verbrechens schuldig sind. Und<br />
wer weiß bei der Briefwahl auch heute immer so genau, wer das<br />
Kreuz gemacht hat? Sogar für den Fall zerstrittener Eltern fand<br />
der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof eine Lösung:<br />
Vater und Mutter bekommen je eine halbe Kinder-Stimme.<br />
Fazit: eine Stimme für die, die Politik langfristig trifft.<br />
FOTO: VARIO IMAGES/ROBERT GEISMAR<br />
20 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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3 4<br />
E-Government<br />
Gesetze mit Verfallsdatum<br />
Es gibt alte Hüte, die kommen nie aus der Mode. Seit Jahren preisen<br />
Experten die Vorteile des E-Governments an: Pässe beantragen,<br />
Urkunden beglaubigen, wählen gehen – alles ginge per<br />
Mausklick. Doch in Deutschland findet das nicht statt. Stattdessen<br />
bekämpfen sich Unternehmen mit elektronischen Standards<br />
wie dem E-Postbrief der Deutschen Post und der De-Mail, die<br />
Deutsche Telekom und 1&1 anbieten. Dabei zeigen Länder wie<br />
Singapur, Südkorea und Estland, wie es richtig geht: die Steuererklärung<br />
in zwei Stunden? Machen in Singapur 97 Prozent der<br />
fünf Millionen Einwohner. Sämtliche Behördengänge für Unternehmen<br />
elektronisch? In Südkorea selbstverständlich. Ein kostenloses<br />
Hotspot-Netz im Land? Estland macht es vor. Die erfolgreichen<br />
Länder bekennen sich zum E-Government. Der baltische<br />
Musterknabe garantiert seinen Einwohnern den Internet-Zugang<br />
sogar per Gesetz. Die Regierung in Tallinn erledigt ihre kompletten<br />
Amtsgeschäfte papierlos. Wahlen sind seit 20<strong>07</strong> auch über<br />
das Internet möglich – das nutzten zuletzt 15 Prozent der Wähler.<br />
Fazit: Politik muss E-Government wollen, dann klappt es.<br />
Ein Verfallsdatum für das Mindestlohngesetz oder für das Rentemit-63-Gesetz<br />
könnte sie zwar nicht mehr verhindern, aber zumindest<br />
die Hoffnung auf Korrekturen erhalten. Die Politik müsste<br />
sich nach ein paar Jahren wieder mit beiden Themen<br />
auseinandersetzen und könnte in der Zwischenzeit die ökonomischen<br />
und sozialen Folgen evaluieren. Danach müsste erneut<br />
eine parlamentarische Mehrheit gefunden werden, sonst würden<br />
beide auslaufen. Ein solcher Automatismus ist in einer Demokratie<br />
besser, als wenn sich erst eine Mehrheit finden muss, um ein<br />
umstrittenes Gesetz abzuschaffen. In den USA ist die „Sunset<br />
Legislation“ durchaus gebräuchlich. In Deutschland finden sich<br />
dafür nur wenige Fälle, etwa bei Konjunkturpaketen. Auch das<br />
Finanzausgleichgesetz und der Solidarpakt enden automatisch,<br />
und zwar 2019. Ohne dieses Verfallsdatum würde die massive<br />
Förderung in Ostdeutschland unendlich weiterlaufen. So aber<br />
gibt es eine lebhafte – und vielleicht fruchtbare – Debatte<br />
um eine Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen.<br />
Fazit: Wenn schon schlecht, dann nicht für immer.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 21<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
5 6<br />
Die neue Ruhestands-Formel<br />
Elektronische Gesundheitskarte<br />
Otto von Bismarck schenkte den Deutschen 1889 die Rentenversicherung<br />
und verschloss seine Gabe gleich wieder im Tresor.<br />
In den Genuss kamen Arbeiter, die das 70. Lebensjahr erreichten,<br />
und damals bedeutete dies: fast keiner. 125 Jahre später ist<br />
Rente nicht mehr das Glück weniger Greise, sondern jahrzehntelanger<br />
Alltag der älteren Generation. 1960 betrug die Dauer des<br />
Rentenbezugs gerade einmal zehn Jahre, heute sind es bereits<br />
19. Das ist eine grandiose Errungenschaft der Medizin; zugleich<br />
aber fordert es den Sozialstaat aufs Heftigste. Die Wonnen eines<br />
langen Lebensabends werden deshalb nur zu finanzieren sein,<br />
wenn für sie länger gearbeitet wird. Um die blutdrucklastigen<br />
Debatten über die Rente mit 63, 67 oder gar 69 der Politik zu<br />
entziehen, böte sich die kluge 2:1-Formel des Demografieforschers<br />
Axel Börsch-Supan an. Einfach gesagt: Wenn die Lebenserwartung<br />
um drei Jahre steigt (was etwa alle 25 Jahre der Fall<br />
ist), greift ein Automatismus. Zwei Jahre müsste länger gearbeitet<br />
werden, um ein Jahr zusätzlichen Ruhestand zu ermöglichen.<br />
Fazit: Die Rente muss raus aus der politischen Arena!<br />
2001 schreckte der Skandal um den Cholesterinsenker Lipobay<br />
auf, der einzelne tödliche Wechselwirkungen hervorrief. Die<br />
Bundesregierung versprach die Gesundheitskarte. Sie sollte die<br />
Krankenversicherungskarte ersetzen und Daten über Therapien<br />
und Krankheiten beim Patienten bündeln. Doch bis heute wird<br />
die Umsetzung blockiert. Die Karte hat zwar fast jeder, doch<br />
ohne ihre wichtigsten Funktionen. Die vermurkste Einführung ist<br />
ein Lehrstück, wie schlagkräftige Lobbys unbequeme Neuerungen<br />
torpedieren können. Dabei liegen die Vorteile auf der Hand:<br />
In Notfällen reagieren Mediziner kundiger, Doppelchecks werden<br />
unnötig. Auch können Patienten ihre Therapie besser überschauen.<br />
Doch regelmäßig lehnt der Ärztetag die Karte ab. Die<br />
Daten seien nicht sicher, die Finanzierung ungeklärt. Das ließe<br />
sich lösen. So können Daten dezentral gespeichert und abgestuft<br />
zugänglich gemacht werden. Hinter dem Nein steckt etwas<br />
anderes: Viele Patienten könnten mit der Karte erkennen, wenn<br />
die Methode des Arztes nicht mehr aktuellem Wissen entspricht.<br />
Fazit: technisch machbar, aber politisch vermurkst.<br />
22 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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7 8<br />
Ausbildungspflicht<br />
Freier Eintritt in Museen<br />
FOTOS: LAIF/STEPHAN ELLERINGSMANN, LAIF/HEIKO SPECHT<br />
Forderungen, die mit „Pflicht“ beginnen, enden für gewöhnlich<br />
mit einem Aufschrei aller Liberalen und Wirtschaftsvertreter –<br />
meist zu Recht. Bei der Ausbildungspflicht ist das anders, denn<br />
hier geht es um den Vollzug der sogar von Liberalen anerkannten<br />
Schulpflicht. Die Idee: Jugendliche werden verpflichtet, entweder<br />
einen studienqualifizierenden Schulabschluss oder eine Ausbildung<br />
zu absolvieren. Das kann entweder an der Berufsschule<br />
oder im Betrieb geschehen. Derzeit endet die Schulpflicht<br />
mit dem Erreichen eines bestimmten Alters – inhaltlich oft im<br />
Nirgendwo. Nimmt man das Ziel dieser Pflicht ernst, nämlich<br />
Jugendliche so auszubilden, dass sie ihr Leben selbstständig<br />
meistern können, sollte die erreichte Qualifikation, nicht das Alter<br />
entscheidend sein. Besonders viel Innovation wäre dafür gar<br />
nicht nötig. In den meisten Bundesländern gibt es eine formale<br />
Berufsschulpflicht. Und in Hamburg wird die Sache mit dem Modell<br />
„Jugendberufsagentur“, die sich um alle Arbeitslosen unter<br />
25 Jahren kümmert, schon recht konsequent zu Ende gedacht.<br />
Fazit: Die Gesetze lassen es zu, man muss es nur wollen.<br />
Als Premierministerin Margaret Thatcher in den Achtzigerjahren<br />
staatliche Museen zur Eintreibung von Eintrittsgeldern zwang, regte<br />
sich das liberale Herz der Briten: Was für eine Unverschämtheit<br />
<strong>vom</strong> Staat, seinen Bürgern Geld für die Besichtigung von Werken<br />
abzuverlangen, die ihnen selbst gehören! Deswegen ist der Eintritt<br />
in die meisten Museen Großbritanniens heute wieder frei. Recht<br />
haben sie, die Briten! Ins British Museum, die Tate Modern und<br />
die National Gallery strömen jeweils fast viermal so viele Besucher<br />
wie ins Berliner Pergamonmuseum. Der nicht-statistische Erfolg<br />
der britischen Umsonst-Kultur: Briten gehen nicht nur öfter ins<br />
Museum, sondern auch gelassener, selbstverständlicher, beiläufiger<br />
– zum Beispiel in der Mittagspause, um ihrem Lieblingsbild<br />
einen Besuch abzustatten. Stell dir also vor, es gäbe nicht nur<br />
Kunst in Deutschland, sondern alle gingen auch noch hin! Dann<br />
liegt das babylonische Ischtar-Tor auf dem Weg <strong>vom</strong> Bahnhof<br />
Friedrichstraße zum Alexanderplatz – und man kann sich auf<br />
einen Nachmittagskaffee mit Nofretete verabreden.<br />
Fazit: das Museum – keine Burg, sondern ein offener Platz.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 23<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
9 10<br />
Zuwanderung nach Punktesystem<br />
Bundesfinanzamt<br />
Studien zufolge wird Deutschland um 2050 elf Millionen weniger<br />
Einwohner haben, selbst wenn jedes Jahr 100 000 Zuwanderer<br />
einreisen. Und irgendwann ist die Krise in Südeuropa vorbei und<br />
der Zustrom junger Spanier und Griechen auch. Und dann? Ohne<br />
Zuwanderung würde sich die deutsche Erwerbsbevölkerung<br />
schon in diesem Jahrzehnt um vier Prozent verringern. Dabei<br />
suchen Millionen Menschen in aller Welt nach Arbeit und einer<br />
friedlichen Heimat. Diese beiden Probleme sollte man zusammenführen<br />
– zu einer Lösung, die allen hilft. Dafür muss man Zuwanderer<br />
klassifizieren. Wer gut qualifiziert ist und nicht zu alt,<br />
wer Sprachkenntnisse hat und vielleicht auch etwas tun will, was<br />
die Einheimischen eher verabscheuen (Altenpflege zum Beispiel),<br />
der sammelt für all diese Vorzüge Punkte. Wer genug Punkte hat,<br />
darf einreisen und sich einen Job suchen. Das funktioniert bereits<br />
wunderbar – nur leider nicht in Deutschland, sondern in Kanada.<br />
Die Übernahme dieses Systems in Deutschland hat eine Regierungskommission<br />
schon vorgeschlagen. Das war 2001.<br />
Fazit: Holt mehr Leute ins Land – aber die richtigen!<br />
Für Steuerhinterzieher ist der Föderalismus ein wahrer Segen.<br />
Denn die 16 Landessteuerverwaltungen sind miteinander kaum<br />
elektronisch vernetzt, in manchen Bundesländern sind wesentlich<br />
weniger Steuerfahnder unterwegs als in anderen. Die Idee einer<br />
Bundessteuerverwaltung war deshalb schon des Öfteren im<br />
Gespräch – doch stets wollten die laut Grundgesetz zuständigen<br />
Länder davon nichts wissen, zuletzt 2009. Dabei war die Einrichtung<br />
einer zentralen Steuerverwaltung einst im Entwurf des<br />
Grundgesetzes enthalten, sie scheiterte allerdings am Einspruch<br />
der Alliierten, die einen zu mächtigen Zentralstaat fürchteten.<br />
65 Jahre später hat sich die Welt verändert. Die Globalisierung hat<br />
uns Hunderte Doppelbesteuerungsabkommen, Verrechnungspreisprobleme<br />
und kriminelle Umsatzsteuerkarusselle beschert.<br />
Damit sind die Landessteuerbehörden überfordert, deswegen haben<br />
sie bereits notgedrungen (internationale) Kompetenzen an<br />
das Bundeszentralamt für Steuern abgegeben. Jetzt müssten weitere<br />
Schritte für eine schlagkräftige Steuerverwaltung folgen.<br />
Fazit: Effizienzgewinne von 15 Milliarden Euro sind möglich.<br />
24 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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11 12<br />
City-Maut<br />
Ausschreibung kritischer Infrastruktur<br />
FOTOS: LAIF/RUDOLF WICHERT, ULLSTEIN BILD/CARO/ CLAUDIA HECHTENBE<br />
London macht es, Stockholm und Oslo auch. Warum eigentlich<br />
nicht Berlin, München oder Hamburg? Die britische Hauptstadt<br />
kassiert seit 2003 von Autofahrern eine Gebühr von zehn Pfund<br />
(zwölf Euro) pro Tag, wenn sie in der Zeit von sieben Uhr morgens<br />
bis sechs Uhr abends in das Zentrum fahren. Eingeführt hatte<br />
die Maut der linke Bürgermeister Ken Livingstone, doch auch<br />
sein konservativer Nachfolger Boris Johnson findet Gefallen an<br />
der „Congestion Charge“ (Staugebühr). Denn sie funktioniert<br />
reibungslos. Öffentliche Überwachungskameras registrieren an<br />
Einfahrtsstraßen die Kennzeichen der Autos, abends findet ein<br />
Abgleich statt. Schwarzfahrer zahlen eine Strafe von bis zu 190<br />
Pfund. Pendler lassen den Betrag daher automatisch <strong>vom</strong> Konto<br />
abbuchen. Die Auswirkungen der City-Maut: Die Staus wurden<br />
weniger – bei zunehmendem Verkehr. Die Luftqualität verbesserte<br />
sich jedoch kaum. Allerdings kassiert die städtische Verkehrsgesellschaft<br />
pro Jahr fast 300 Millionen Pfund. Die Einnahmen<br />
fließen zurück in den Bau von Straßen, Schienen und Radwegen.<br />
Fazit: City-Maut reduziert Staus, verbessert die Straßen.<br />
Atommüll findet keiner gut, aber dass er weg muss, ist klar. Doch<br />
wohin? Die Bevölkerung steht Zwischenlagern vor der eigenen<br />
Haustüre oft skeptisch gegenüber. Eine <strong>vom</strong> Bund eingesetzte<br />
Kommission soll nun nach einem Endlager suchen. Zeitplan: ungewiss.<br />
Weitere Proteste: garantiert. Dabei ginge es viel einfacher.<br />
Als die spanische Regierung nach einem Standort für ein<br />
Zwischenlager suchte, schrieb sie das Projekt aus. Es bewarben<br />
sich rund ein Dutzend Gemeinden. 2011 erhielt das Dorf Villar de<br />
Cañas den Zuschlag. Der Jubel der 450 Einwohner war riesig,<br />
denn der Staat investiert bis 2018 knapp eine Milliarde Euro. Es<br />
entstehen Jobs und ein Forschungszentrum. Auch das finnische<br />
Eurajoki, eine Autostunde nördlich von Turku, profitiert auf diese<br />
Art. Finnland schrieb die Endlager-Suche aus. In Eurajoki war die<br />
Zustimmung am größten. Solche Modelle könnte Deutschland<br />
übernehmen und zudem auf viele Streitpunkte der Energiewende<br />
übertragen. Wo Wutbürger zu Beteiligten werden und finanziell<br />
profitieren, akzeptieren sie auch Windparks und Biogasanlagen.<br />
Fazit: Die Aussicht auf Geld und Jobs bricht Widerstände.<br />
konrad fischer, hans jakob ginsburg, max haerder | Berlin, henning krumrey, christian ramthun, christian schlesiger, dieter schnaas, cordula tutt, politik@wiwo.de<br />
25<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
HIGH-TECH-STRATEGIE |<br />
Patente gibt es zuhauf,<br />
Start-ups zu wenige.<br />
Die Bundesregierung<br />
will das ändern:<br />
Forschungsergebnisse<br />
sollen endlich wieder<br />
Weltkonzerne hervorbringen.<br />
Neue Gründerzeit<br />
Dafür statt dagegen Der<br />
Bund lässt erforschen, wann<br />
Bürger ihren Widerstand<br />
gegen Stromtrassen aufgeben<br />
Wie reagieren motivierte Start-up-<br />
Unternehmer, wenn man ihr heiß<br />
geliebtes neues Geschäftsmodell<br />
mal eben so in der Luft zerreißt? Microsoft-<br />
Manager Rahul Sood, der mit seinem Mentoren-Team<br />
weltweit talentierte Gründer<br />
unterstützt, beschrieb es auf einer Veranstaltung<br />
des IT-Riesen in Berlin Ende März<br />
so: Es kommt drauf an, in welchem Land<br />
die Start-ups sitzen.<br />
US-Amerikaner würden die Microsoft-<br />
Experten-Kritik voller Enthusiasmus aufsaugen<br />
und gingen vor Dankbarkeit über<br />
so viel Support fast auf Knie. Israelis reagierten<br />
meist harsch: „Was wisst Ihr Amerikaner<br />
schon von unsrem Land?“, um dann<br />
am Ende die guten Ideen still und leise<br />
doch umzusetzen. Inder dagegen seien<br />
erst nach tränenreicher Aufarbeitung der<br />
Kränkung in der Lage, weiter zu arbeiten.<br />
Und die Deutschen? Sie hielten den Mund,<br />
lehnten sich zurück und begönnen gedanklich<br />
sofort mit der Analyse. „Man<br />
kann ihre Hirne quasi dabei rattern hören“,<br />
lacht Microsoft-Manager Sood.<br />
Die Beschreibung der kulturellen Unterschiede<br />
traf den Nerv des Berliner Publikums.<br />
Neun Teams stellten anschließend<br />
ihre Produkte vor, um Kapitalgeber von<br />
ihrer Geschäftsidee zu überzeugen. Das<br />
deutsche Klischee des analytischen Ingenieurs<br />
schien bestätigt.<br />
Doch bei all der Lobhudelei könnte man<br />
vergessen, dass Deutschland schon lange<br />
keine IT-Schmiede von Weltrang mehr hervor<br />
gebracht hat. SAP war die letzte – vor 42<br />
Jahren. Stellt Deutschland die Weichen für<br />
Innovationen und deren Umsetzung in<br />
wirtschaftliche Geschäftsmodelle richtig?<br />
Die Bundesregierung will die Hebel umlegen.<br />
Noch im Frühjahr stellt Bundesforschungsministerin<br />
Johanna Wanka (CDU)<br />
ihre neue High-Tech-Strategie vor. Der<br />
Bund plant, so erfuhr die Wirtschafts-<br />
Woche, Änderungen in der Gründungs-<br />
»<br />
FOTO: DDP IMAGES/NIGEL TREBLIN<br />
26 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
förderung. Zudem will er die Forschung<br />
an Großprojekten wie der Energiewende<br />
ausrichten. Es wird mehr Geld geben, doch<br />
bei den steuerlichen Anreizen für die Industrie<br />
fehlt der Bundesregierung der Mut.<br />
Noch immer gehören Deutschlands<br />
Wissenschaftler zu den forschungsstärksten<br />
weltweit. Sie tüfteln an Hochschulen<br />
oder top ausgestatteten Helmholtz-Zentren<br />
wie dem Forschungszentrum in Jülich<br />
für teure Großforschung. Hinzu kommen<br />
Max-Planck-Gesellschaft, kleinere Leibniz-<br />
Institute und die anwendungsorientierte<br />
Fraunhofer-Gesellschaft. Deutschland<br />
meldet nach der Schweiz, Schweden und<br />
Finnland die meisten Weltpatente pro Einwohner<br />
an (siehe Grafik).<br />
KREATIVE ZERSTÖRUNG<br />
Doch was nützt es, wenn Forscher des<br />
Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie<br />
in Ilmenau den Audio-Standard<br />
MP3 entwickeln, aber US-Unternehmen<br />
den Umsatz mit Innovationen generieren?<br />
„Die Gründungskultur an deutschen<br />
Hochschulen bleibt weit hinter den<br />
Möglichkeiten zurück“, sagt Wolfgang Marquardt,<br />
Vorsitzender des Wissenschaftsrates,<br />
der Bund und Länder bei der Innovationspolitik<br />
berät. „Deutsche Forscher entwickeln<br />
oft disruptive Technologien mit<br />
dem Potenzial, andere Produkte und<br />
Dienstleistungen zu verdrängen.“ Doch die<br />
erfolgreiche Umsetzung am Markt über<br />
Ausgründungen oder Kooperationen mit<br />
Unternehmen lasse „zu wünschen übrig“.<br />
Die Bundesregierung will das ändern.<br />
„Wir wollen, dass Forschungsergebnisse<br />
künftig einfacher und schneller zu Unternehmensgründungen<br />
führen“, sagt Georg<br />
Schütte, Staatssekretär im Bundesforschungsministerium<br />
(BMBF). „Unser Ziel<br />
Klotzen statt kleckern<br />
Server des Zentralinstituts für<br />
angewandte Mathematik am<br />
Forschungszentrum Jülich<br />
ist es, dass deutsche Hochschulen Gründungsberatung<br />
direkt auf dem Campus anbieten<br />
werden.“ Orientieren sollten sie sich<br />
am Massachusetts Institute of Technology<br />
(MIT), wo sich ein Netz aus 140 Hochtechnologie-Kleinfirmen<br />
angesiedelt hat. Dort<br />
„funktioniert der Wissenstransfer von der<br />
Hochschule zur Produktentwicklung am<br />
besten“, so Schütte. Auf dem Campus erhalten<br />
Forscher Beratung bei Patentierung<br />
und Ausgründung von Geschäftsideen.<br />
„Das hat Vorbildcharakter.“ Solche Modelle<br />
will der Bund verstärkt fördern, indem er<br />
Hochschulen und Wissenschaftszentren<br />
mit den besten Konzepten in Wettbewerben<br />
gegeneinander antreten lässt.<br />
Bislang jedoch ist das Wort Unternehmertum<br />
ein Fremdwort in den Ohren deutscher<br />
Hochschulrektoren. Bei einer Umfrage<br />
unter ihnen gaben nur zehn Prozent den<br />
„Transfer in die Wirtschaft“ als Ziel der eigenen<br />
Aktivitäten an. Den „Transfer in die<br />
Zivilgesellschaft“ verfolgten sechs Prozent.<br />
Das Fazit des Stifterverbands für die Deutsche<br />
Wissenschaft, der sich mit seinem<br />
Gründungsradar intensiv mit der Problematik<br />
beschäftigt hat, fällt negativ aus:<br />
„Trotz beachtlicher Fortschritte sind das<br />
Thema Wissens- und Technologietransfer<br />
und insbesondere die Gründungsförderung<br />
noch nicht im Zentrum der Aktivitäten<br />
vieler Hochschulen angekommen.“<br />
Zwar gibt es Ausnahmen, in Lüneburg<br />
etwa. Die Leuphana Universität südlich<br />
von Hamburg gilt inzwischen als Unternehmerschmiede.<br />
Dort beschäftigen sich<br />
Erstsemester eine Woche lang mit dem<br />
Thema Gründung. Ein eigenes Unternehmen<br />
wird für die mehr als 7000 Studenten<br />
zur Karriereoption. 2012 gründeten 48 eine<br />
Firma. Damit ist Leuphana laut Stifterverband<br />
die gründungsstärkste Hochschule in<br />
Deutschland – noch vor den Eliteunis<br />
RWTH Aachen und der TU München.<br />
Forschungtop, Finanzierung flop<br />
Weltmarktpatente<br />
(pro Million Einwohner)<br />
<strong>Ausgabe</strong>n fürForschung undEntwicklung<br />
(in Prozent des Bruttoinlandsprodukts)<br />
Investiertes Risikokapital<br />
(in Milliarden Dollar)<br />
Schweiz 620<br />
Schweden 414<br />
Finnland 394<br />
Deutschland 384<br />
Japan 343<br />
Südkorea 242<br />
Niederlande 237<br />
Frankreich 188<br />
USA 174<br />
Großbritannien 138<br />
Italien 96<br />
Spanien 61<br />
Südkorea 4,0<br />
Finnland 3,6<br />
Schweden 3,4<br />
Japan 3,3<br />
Dänemark 3,0<br />
Deutschland 2,9<br />
Schweiz 2,9<br />
USA 2,8<br />
Frankreich 2,3<br />
Großbritannien 1,7<br />
Spanien 1,3<br />
Italien 1,3<br />
USA 26,7<br />
Japan 1,6<br />
Kanada 1,4<br />
Großbritannien 0,9<br />
Israel 0,9<br />
Frankreich 0,7<br />
Deutschland 0,7<br />
Südkorea 0,6<br />
Australien 0,3<br />
Schweden 0,3<br />
Niederlande 0,2<br />
Schweiz 0,2<br />
Quelle:BMBF Quelle:OECD Quelle:OECD<br />
FOTO: LAIF/HENRIK SPOHLER<br />
28 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Doch oft bleiben Forschungsergebnisse<br />
an der Laborschwelle hängen. Dabei ist<br />
das Ziel des Wissenstransfers in allen Landeshochschulgesetzen<br />
festgeschrieben.<br />
Seit 15 Jahren finanziert der Bund zudem<br />
über das Programm Exist Gründer aus<br />
Hochschulen mit bis zu 2500 Euro pro Monat.<br />
Bislang bietet aber erst ein Dutzend<br />
Hochschulen den Studierenden und Doktoranden<br />
die entsprechende Förderung an.<br />
Zudem sei oft nicht die Erstfinanzierung<br />
das Problem. „Häufig wird es dann in der<br />
Wachstumsphase kritisch, wenn es um ein<br />
bis zehn Millionen Euro geht, um das Geschäftsmodell<br />
auszubauen“, sagt Christian<br />
Flisek, Gründer-Experte der SPD. Risikokapital<br />
fließt in anglo-amerikanische Staaten<br />
und nach Japan. Selbst Israel liegt vor<br />
»Das Ziel ist die<br />
Gründungsberatung<br />
direkt auf<br />
dem Campus«<br />
Georg Schütte, Forschungsministerium<br />
Deutschland. „Wir werden zügig Eckpunkte<br />
für ein Venture-Capital-Gesetz vorlegen,<br />
das Deutschland für Wagniskapital attraktiver<br />
machen wird“, sagt Flisek. Zudem fordert<br />
er, „für Start-ups ein eigenes Börsensegment<br />
zu schaffen, um weitere attraktive<br />
Finanzierungsquellen zu erschließen“.<br />
Ändert sich nichts, könnten die Folgen<br />
fatal sein. Junge Bevölkerungen in wachstumskräftigen<br />
Ländern sind innovationsbereiter<br />
als zivilisationssatte Gesellschaften<br />
in Westeuropa. Südkorea gibt vier Prozent<br />
des Bruttoinlandsprodukts für Forschung<br />
aus. „Da ist Gefahr in Verzug“, sagt<br />
Marquardt. Denn die Zahlen würden nur<br />
öffentliche Mittel berücksichtigen, aber<br />
keine Privatinvestitionen, wie die Forschung<br />
von Samsung. „Wir dürfen nicht<br />
nachlassen in der Anstrengung, mehr Geld<br />
für Bildung und Forschung zu mobilisieren,<br />
um die Innovationsfähigkeit Deutschlands<br />
weiter zu stärken“, so Marquardt.<br />
Schon allein deshalb, um künftig auch<br />
Top-Gehälter zahlen zu können. „Spitzenforschung<br />
kostet Geld“, sagt der Frankfurter<br />
Ökonom Rüdiger Bachmann (siehe Interview<br />
Seite 30).<br />
Doch beim Geld tritt die Regierung auf<br />
die Bremse. Zwar investiert der Bund bis<br />
2017 zusätzlich drei Milliarden Euro, um<br />
außeruniversitäre Einrichtungen und<br />
Hochschulen besser auszustatten. Doch<br />
von Experten geforderte Abschreibungsanreize<br />
wird es kaum geben. „Eine steuerliche<br />
Förderung steht derzeit nicht an“,<br />
heißt es in einer Antwort der Bundesregierung<br />
auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten<br />
Kai Gehring. „Die große Koalition<br />
bremst Deutschland innovationspolitisch<br />
aus“, kritisiert Gehring. Gerade für<br />
kleine und mittlere Unternehmen sei das<br />
Aus der Steuergutschrift eine „schlechte<br />
Nachricht“.<br />
FÖRDERUNG AUF DEM PRÜFSTAND<br />
Tatsächlich wäre die steuerliche Forschungsförderung<br />
„ein hilfreicher Katalysator,<br />
um Forschungsergebnisse aus dem<br />
Labor in den Markt zu bringen“, sagt Marquardt.<br />
Dort, wo Grundlagenforschung gut<br />
gelaufen sei, müsste man Prototypen entwickeln<br />
und erproben, ob sie bei Endverbrauchern<br />
auf Akzeptanz stoßen. „Diese<br />
Aufgabe können Wissenschaft und Industrie<br />
nur gemeinsam übernehmen.“<br />
Doch die Regierung sieht in der Projektförderung<br />
den Schlüssel zum Erfolg. Anders<br />
als bislang – und das ist ein weiteres<br />
Element ihrer High-Tech-Strategie – soll die<br />
Förderung in den Dienst gesellschaftlicher<br />
Großprojekte wie Energiewende und Digitalisierung<br />
gestellt werden. „Wir stellen daher<br />
alle Förderprogramme auf den Prüfstand“,<br />
sagt Schütte. „Künftig wollen wir das<br />
Geld stärker dort investieren, wo der Nutzen<br />
für die Gesellschaft erkennbar ist.“<br />
So fördert die Regierung etwa Forschungsvorhaben,<br />
die zeigen, wie der Widerstand<br />
von Bürgerinitiativen gegen den<br />
Bau von Windrädern oder Stromtrassen<br />
gebrochen werden kann. So erarbeitet das<br />
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung<br />
eine Studie, „unter welchen Bedingungen<br />
Projektgegner ihren Widerstand<br />
aufgeben würden“, heißt es in der Projektskizze.<br />
Etwa, ob mehr Transparenz helfen<br />
würde oder eine Beteiligung am wirtschaftlichen<br />
Ertrag. Insgesamt investiert der<br />
Bund 30 Millionen Euro in 33 Projekte.<br />
Deutschland verabschiedet sich damit<br />
auch von Forschungsvorhaben, die nicht<br />
mehr in die politische Zeit passen. Zwar<br />
werde es weiterhin Geld geben, um den<br />
Rückbau der Atomkraftwerke oder die<br />
Endlagersuche zu optimieren. „Wir brauchen<br />
aber keine Forschung mehr für den<br />
Bau neuer Kernkraftwerke“, sagt Schütte. n<br />
christian.schlesiger@wiwo.de | Berlin,<br />
max haerder | Berlin, dieter schnaas | Berlin<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 29<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»Radikal verändern«<br />
INTERVIEW | Rüdiger Bachmann Der Frankfurter Hochschulprofessor<br />
hält die deutsche Uni-Landschaft für provinziell –<br />
und fordert Spitzengehälter für Spitzenforscher.<br />
Herr Bachmann, Sie haben zehn Jahre an<br />
US-Universitäten gearbeitet und kennen<br />
das amerikanische und deutsche Hochschulsystem<br />
gleichermaßen. Wo fühlen<br />
Sie sich wohler?<br />
Das lässt sich so einfach nicht beantworten.<br />
Die Systeme sind zu verschieden.<br />
Die Expertenkommission Forschung und<br />
Innovation (EFI) kritisiert in ihrem aktuellen<br />
Jahresgutachten für die Bundesregierung,<br />
das deutsche Hochschulsystem sei<br />
speziell für Spitzenforscher nicht attraktiv<br />
genug. Würden Sie das unterschreiben?<br />
Im Bereich der Naturwissenschaften gibt<br />
es einige Leuchttürme, auch die Max-<br />
Planck-Gesellschaft mit ihren Instituten ist<br />
ein attraktiver Arbeitgeber für Top-Wissenschaftler.<br />
Für das Gros der Universitäten<br />
gilt das trotz einiger Erfolge durch die Exzellenzinitiative<br />
nach meiner Einschätzung<br />
nicht – vor allem in der Volkswirtschaftslehre.<br />
Es gibt eine Reihe von großen<br />
und kleinen Dingen, die Deutschland für<br />
Spitzenforscher weniger attraktiv machen<br />
als etwa die USA.<br />
Und die wären?<br />
Der erste Punkt, ganz klar: das Gehalt. Spitzenforscher<br />
kosten Geld. Wir müssen künftig<br />
größere Gehaltsunterschiede innerhalb<br />
der Professorenschaft akzeptieren. Spitzenforschung<br />
in der Ökonomie ist – anders<br />
als etwa bei Germanistik oder Jura – ein internationaler<br />
Markt, da müssen wir Marktgehälter<br />
zahlen. Wir brauchen den Mut zu<br />
sagen: Wenn einer richtig klasse ist, soll er<br />
auch mehr Geld bekommen als Kollegen<br />
mit geringerer Reputation. In den USA<br />
kann ein aufstrebender Assistenzprofessor<br />
der Ökonomie mehr verdienen als ein ordentlicher<br />
Professor an der philosophischen<br />
Fakultät. Auch innerhalb der Disziplinen<br />
akzeptieren die Amerikaner hohe<br />
Gehaltsdifferenziale, oft um das Zwei- bis<br />
Dreifache. Das muss man nicht toll finden,<br />
sollte es aber zur Kenntnis nehmen.<br />
Lässt das öffentliche Dienstrecht eine<br />
Lohnspreizung bei uns überhaupt zu?<br />
Prinzipiell ja, zumindest zwischen den Disziplinen,<br />
nicht so sehr über Professorenränge<br />
hinweg. Es gibt bei den Besoldungsstufen<br />
zwar einen Deckel, der lässt sich<br />
aber durch die Landesregierung im Einzelfall<br />
nach oben verschieben.<br />
Was verdienen Top-Ökonomen denn so?<br />
An der Universität Michigan bringen es<br />
Spitzenreiter auf rund 300 000 Dollar im<br />
Jahr, bei privaten Hochschulen geht es dem<br />
Vernehmen nach bis auf 500 000 Dollar<br />
hoch. Der normale VWL-Professor in<br />
Deutschland liegt bei 80 000 Euro, die besseren<br />
knapp über 100 000 Euro.<br />
Um jungen Wissenschaftlern mit herausragender<br />
Promotion einen schnellen<br />
Einstieg in die Forschung zu ermöglichen,<br />
gibt es in Deutschland die Junior-Professur.<br />
Hat sich dieses Modell bewährt?<br />
DER GRENZGÄNGER<br />
Bachmann, 39, ist seit Anfang April<br />
Professor für Verhaltensökonomie<br />
an der Goethe-Universität Frankfurt.<br />
Der aus Alzenau/Unterfranken stammende<br />
Makroökonom hat zehn Jahre<br />
in den USA geforscht und gelehrt,<br />
unter anderem in Yale und an der<br />
University of Michigan. Zuletzt hatte<br />
er eine VWL-Professur in Aachen.<br />
Nein. Dieses Spezifikum des deutschen<br />
Laufbahnrechts ist komplett gescheitert.<br />
Die Junior-Professur ist eine Missgeburt,<br />
bei der man einige Elemente des US-Systems<br />
übernommen hat, andere – entscheidende<br />
– aber nicht.<br />
Wo liegt das Problem?<br />
In den USA bekommen Nachwuchswissenschaftler<br />
einen auf sechs bis sieben<br />
Jahre befristeten Vertrag als Assistenzprofessor.<br />
Damit verbunden ist die Zusage<br />
einer Festanstellung auf Lebenszeit bei<br />
herausragenden Leistungen. Man nennt<br />
das „tenure track“. Diese Chance gibt es<br />
bei uns viel zu wenig. Die Besoldung der<br />
Nachwuchswissenschaftler ist international<br />
nicht konkurrenzfähig. Juniorprofessoren<br />
haben zudem oft mehr Lehrverpflichtungen<br />
als früher der Habilitand.<br />
Welche Rolle spielen weiche Standortfaktoren<br />
bei der Akquise von Spitzenleuten?<br />
Eine ganz wichtige! Wir dürfen zum Beispiel<br />
familiäre Faktoren nicht unterschätzen.<br />
In den USA kümmern sich an den<br />
Unis ganze Abteilungen um „Joint-careerproblems“<br />
und sorgen dafür, dass auch den<br />
Partnern der umworbenen Wissenschaftler,<br />
die oft selber Spitzenwissenschaftler<br />
sind, ein adäquater Job angeboten wird. In<br />
Deutschland gibt es für die Partner oft<br />
nicht viel mehr als Broschüren und warme<br />
Worte. Das ist teilweise lachhaft.<br />
Fordern Sie ernsthaft, dass Universitäten<br />
die Partner ihrer neuen Professoren<br />
miteinstellen? Wer soll das denn bezahlen?<br />
Ich sage es gern noch einmal: Spitzenforschung<br />
kostet Geld. Wir reden hier ja über<br />
die Besten der Besten. Die gehen nun mal<br />
dorthin, wo sie die besten beruflichen und<br />
privaten Rahmenbedingungen vorfinden.<br />
Und das ist noch nicht alles: Die gesamte<br />
Willkommenskultur eines Landes ist für<br />
die Wechsel- und Migrationsentscheidung<br />
von Spitzenforschern wichtig. Das fängt<br />
bei Berufungsverfahren an und hört bei<br />
den Angeboten zur Kinderbetreuung auf.<br />
Und daran mangelt es in Deutschland?<br />
Auf Amerikaner machen deutsche Hochschulen<br />
nicht selten einen provinziellen<br />
Eindruck. Bisweilen ist es hier ja bereits ein<br />
Problem, Anschreiben und E-Mails auf<br />
Englisch zu verfassen. Es ist schwierig und<br />
mit bürokratischem Aufwand verbunden,<br />
einem Kandidaten ein Mittagessen zu bezahlen,<br />
von der Erstattung der Reisekosten<br />
ganz zu schweigen. Das sind so kleine Dinge,<br />
die sich aufsummieren und den Leuten<br />
signalisieren: Hier hat man an dir kein echtes<br />
Interesse. Besonders krass sind auch<br />
die Unterschiede bei Berufungsverfahren.<br />
FOTO: PETER WINANDY, LAIF/REDUX/THE NEW YORK TIMES, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
30 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Herein Die US-<br />
Universität Yale<br />
zieht Spitzenkräfte<br />
aus aller Welt an<br />
Heraus In Deutschland<br />
wanderten zuletzt<br />
mehr Wissenschaftler<br />
ab als zu<br />
Inwiefern?<br />
In den USA läuft das so: Der Kandidat hat<br />
den ganzen Tag über Meetings mit künftigen<br />
Kollegen. Er wird richtig in die Mangel<br />
genommen, es gibt einen intensiven Diskurs<br />
und am Ende einen 90-minütigen Forschungsvortrag.<br />
In Deutschland heißt es in<br />
der Regel: Kommen Sie morgen gegen<br />
10.30 Uhr da und da hin, sie dürfen einen<br />
Vortrag von 45 Minuten halten, danach<br />
gibt es 20 Minuten Diskussion. Man steht<br />
dann vor einer Berufungskommission, die<br />
– ich drücke es vorsichtig aus – nicht immer<br />
voll motiviert ist. Wird eine Berufungskommission<br />
gebildet, ducken sich viele weg. In<br />
den USA brennen die Leute darauf, in die<br />
Auswahlgremien zu gehen.<br />
Woran liegt das?<br />
Die freie Stelle, die es zu besetzen gilt, liegt<br />
in Deutschland oft in einem anderen Fachgebiet.<br />
VWL-Abteilungen sind meist relativ<br />
klein. Da gibt es sechs oder sieben Professoren<br />
– in den USA sind es 30 bis 40.<br />
Na und? Größe ist doch nicht per se ein<br />
Qualitätsvorteil.<br />
In Deutschland sind die Zuständigkeiten<br />
klar abgegrenzt, da gibt es vielleicht einen<br />
Makroökonomen, einen Mikroökonomen,<br />
einen Finanzwissenschaftler und einen für<br />
den Arbeitsmarkt. Das sind oft Einzelkämpfer,<br />
der befruchtende wissenschaftliche<br />
Diskurs ist schwierig. Wenn wie in den<br />
USA mehrere Makroökonomen an Bord<br />
sind, geht das einfacher. Solche Gruppenerfahrungen<br />
sind wichtig für die intellektuelle<br />
Stimulanz. US-Wissenschaftler schauen<br />
sich daher, bevor sie ins Ausland gehen,<br />
das wissenschaftliche Umfeld genau an.<br />
Sie haben keine Lust, in einem Team von<br />
sechs Personen das siebte Teilfach abzudecken,<br />
weil das gerade vakant ist.<br />
Was also schlagen Sie vor?<br />
Die deutsche Hochschullandschaft muss<br />
sich radikal verändern – gerade in den<br />
Wirtschaftswissenschaften. Es muss nicht<br />
jede Regionaluniversität einen internationalen<br />
Forschungsanspruch haben, sie<br />
kann sich auch auf die Grundlehre beschränken<br />
und mit reinen Lehrprofessuren<br />
arbeiten. Ich mache mir mit dieser Aussage<br />
keine Freunde, aber wir müssten viele<br />
VWL-Fakultäten in Deutschland dichtmachen<br />
und die wirtschaftswissenschaftliche<br />
Forschung an vielleicht zehn Standorten<br />
konzentrieren. Dann kämen auch mehr<br />
Spitzen-Ökonomen aus dem Ausland.<br />
»Wir müssten<br />
viele VWL-<br />
Fakultäten in<br />
Deutschland<br />
dichtmachen«<br />
Laut EFI haben zwischen 1996 und 2011<br />
rund 23 000 Wissenschaftler das Land<br />
verlassen, es kamen aber nur 19 000 aus<br />
dem Ausland nach Deutschland. Wie<br />
gefährlich ist dieser Brain Drain?<br />
Entscheidend ist doch: Wer kommt und<br />
wer geht? Bei einem der wichtigsten EU-<br />
Förderprogramme für die Wissenschaft<br />
2011 kamen 124 Gewinner von britischen<br />
Hochschulen, 64 von deutschen. Schaut<br />
man sich die Nationalitäten an, dreht sich<br />
das Verhältnis um: Darunter waren 83<br />
Deutsche und 57 Briten. Selbst innereuropäisch<br />
verlieren wir also Spitzenforscher.<br />
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka<br />
hat als Reaktion auf die EFI-Studie gesagt,<br />
die Abwanderung sei ein Phänomen<br />
der Neunzigerjahre, die Exzellenzinitiative<br />
trage erste Früchte. Wer hat recht?<br />
Die Erfolge der Exzellenzinitiative will ich<br />
nicht bestreiten. Die Grundidee einer<br />
Leuchtturmpolitik ist völlig richtig. Allerdings<br />
sind viele der neu geschaffenen<br />
Stellen nur befristet. Wie nachhaltig<br />
die Exzellenzstrategie ist und inwieweit<br />
Augenwischerei, das wird sich erst in<br />
einigen Jahren zeigen.<br />
Fakt ist aber, dass so viele ausländische<br />
Studenten wie nie zuvor in Deutschland<br />
studieren. So mittelmäßig scheint der<br />
Wissenschaftsstandort also nicht zu sein.<br />
Die Studentenmigration hat mit der Spitzenforschung<br />
nur bedingt etwas zu tun.<br />
Wir profitieren natürlich von der wachsenden<br />
Bildungsnachfrage in den Schwellenländern.<br />
Aber dass wir der chinesischen<br />
Mittelschicht ein kostenloses Studium bei<br />
uns ermöglichen, heißt ja noch nicht, dass<br />
die besten und klügsten Köpfe kommen.<br />
Wenn Sie den Wissenschaftsstandort<br />
Deutschland so kritisch sehen: Warum<br />
sind Sie dann zurückgekehrt?<br />
Heimatgefühle eben. Ich kenne viele, die<br />
lieber in München als in Palo Alto leben<br />
würden, wenn sie die gleichen beruflichen<br />
Bedingungen vorfinden würden. Hier liegt<br />
ein riesiges Potenzial für Deutschland.<br />
Gibt es etwas, das Sie am deutschen<br />
Wissenschaftsbetrieb richtig toll finden?<br />
Aber ja. Wir verfügen über eine gute<br />
Grundförderung im Hochschulbereich<br />
und sind noch nicht so stark von externen<br />
Drittmitteln abhängig wie die US-Universitäten.<br />
Hier sollten wir uns ausnahmsweise<br />
nicht an Amerika orientieren.<br />
n<br />
bert.losse@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 31<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Genial daneben<br />
INNOVATION | Wenn wegweisende Erfindungen zur<br />
falschen Zeit, zu radikal oder am Markt vorbei<br />
entwickelt werden, setzen sie sich nicht durch.<br />
Auch wenn die Idee gut war. Von Christian Deysson<br />
Kennen Sie Daniel Düsentrieb? Oder Professor Balduin Bienlein?<br />
Aus der Ikonografie der Popkultur sind diese Comic-<br />
Figuren nicht mehr wegzudenken: Seit mehr als einem halben<br />
Jahrhundert verkörpern sie den Archetyp des genialen, schrulligen<br />
Erfinders, der 1000 Ideen hat, aber mit keiner wirklichen Erfolg.<br />
Daniel Düsentrieb alias Gyro Gearloose geht in Walt Disneys<br />
„Micky Maus“ mit seinen verschrobenen Erfindungen hausieren –<br />
<strong>vom</strong> Einradroller über die Rückenkratzmaschine bis zum Regenbogenspanner.<br />
Und im mehrfach erfolgreich verfilmten Kultcomic<br />
„Tim und Struppi” des belgischen Zeichners Hergé setzt der kauzige<br />
Professor Balduin Bienlein die<br />
Welt mit gallisch-genialen, aber<br />
praktisch unbrauchbaren Erfindungen<br />
wie der gefürchteten Ultraschallwaffe,<br />
seinem Taschenunterseeboot<br />
oder den motorisierten<br />
Rollschuhen in immer<br />
neues Erstaunen.<br />
Was die beiden Comic-Helden<br />
eint, ist dies: Sie sind amüsant karikierte<br />
Musterbeispiele dafür, wie<br />
wenig Erfindungen – und seien sie<br />
noch so bahnbrechend – mit echter<br />
Innovation zu tun haben. Wie<br />
das? Kommt Innovation nicht<br />
<strong>vom</strong> lateinischen Wort innovatio,<br />
was doch so viel bedeutet wie Erneuerung?<br />
Und ist nicht jede Erfindung<br />
eine Erneuerung?<br />
DIFFUSER BEGRIFF<br />
Weil er so schön griffig ist, war der<br />
Begriff der Innovation immer<br />
schon positiv besetzt: Als 1901<br />
Belgiens größtes und elegantestes<br />
Kaufhaus in Brüssel eröffnete,<br />
trug es den stolzen Namen „A l’Innovation“.<br />
Und bis heute ist die<br />
Zugkraft des Wortes ungebrochen.<br />
Mehr noch, Innovation hat<br />
sich zu einem geradezu inflationär<br />
gebrauchten Schlagwort entwickelt.<br />
Kein noch so harmloser<br />
Der Überschall-Jet<br />
Concorde war ein<br />
Prestigeobjekt – und<br />
von Anfang an<br />
nicht wirtschaftlich<br />
Produktrelaunch, kein Software-Update und keine neue Dienstleistung,<br />
die nicht als fundamental innovativ angepriesen wird. In<br />
jeder zweiten oder dritten Stellenausschreibung wird innovatives<br />
Denken gefordert, und Jobkandidaten versäumen es folglich auch<br />
nicht, in den Bewerbungen ihre ausgeprägte Innovationsfreudigkeit<br />
herauszustreichen.<br />
Für Reinhold Bauer, der an der Universität Stuttgart Wirkungsgeschichte<br />
der Technik lehrt und seit Jahren über Innovation forscht,<br />
sind das allerdings großenteils Sprechblasen. Zwar sei allerorts von<br />
Innovation die Rede, aber häufig existiere nur eine vage Vorstellung<br />
davon, was der Begriff wirklich<br />
beinhalte, kritisiert der Wissenschaftler.<br />
Innovation drohe zu<br />
einer Art „Plastikbegriff“ zu verkommen<br />
– „er passt immer gut,<br />
hört sich irgendwie nach ‚neu‘ an<br />
und ist folglich auf jeden Fall begrüßenswert“.<br />
Doch nicht jeder Düsentrieb ist<br />
automatisch auch ein Innovator.<br />
Innovation setzt ein wirtschaftlich<br />
verwertbares Produkt oder einen<br />
veränderten Herstellungsprozess<br />
mit entsprechender Produktivitätssteigerung<br />
voraus. Daher hat<br />
es auch wenig Aussagekraft, wenn<br />
die Innovativität von Volkswirtschaften<br />
oder Unternehmen an<br />
der Zahl ihrer Patente gemessen<br />
wird, wie es seit ein paar Jahren in<br />
Mode gekommen ist.<br />
„Ein Patent bildet a priori einfach<br />
nur eine Erfindung ab“, sagt<br />
Bauer, der die Ergebnisse seiner<br />
Forschung in einem Werk über<br />
„Gescheiterte Innovationen –<br />
Fehlschläge und technologischer<br />
Wandel“ niedergelegt hat, „aber<br />
eine Erfindung ist, krass gesagt, etwas<br />
ohne jede wirtschaftliche Relevanz.<br />
Was sich nicht in der Bilanz<br />
niederschlägt, ist keine wirkliche<br />
Innovation.“<br />
FOTOS: CORBIS/REUTERS/JONATHAN BAINBRIDGE, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
34 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Seit Regierungen im späten 19.<br />
Jahrhundert die Bedeutung der<br />
Innovativität erkannt haben, versuchen<br />
sie immer wieder, neue<br />
Technologien gezielt zu fördern –<br />
nicht selten mit ausgesprochen<br />
kontraproduktiven Ergebnissen.<br />
„Hinter diesem Ansatz verbirgt<br />
sich ein industriepolitisches Denken,<br />
das schon vor Jahrzehnten<br />
gescheitert ist“, sagt Henning<br />
Klodt <strong>vom</strong> Kieler Institut für Weltwirtschaft.<br />
Tatsächlich schafft staatliche<br />
Förderung eine Art Innovationstreibhaus,<br />
in dessen geschütztem<br />
Biotop es sich die Forscher gemütlich<br />
machen – und das praktische<br />
Umfeld ihres Projekts leicht<br />
aus den Augen verlieren können.<br />
„Der geschlossene Raum der<br />
staatlichen Förderung schottet<br />
die Akteure der Innovatoren gewissermaßen<br />
von der rauen<br />
Wirklichkeit ab, also von den tatsächlichen<br />
Marktgegebenheiten<br />
und Nachfragebedingungen“,<br />
warnt Innovationsexperte Bauer.<br />
In solchen staatlich kontrollierten<br />
Entwicklungsräumen gedeihen<br />
dann auch schon mal Innovationen,<br />
„bei denen sich später<br />
schlimmstenfalls herausstellt,<br />
dass sie in der realen Welt weder nachgefragt noch lebensfähig<br />
sind“. Anders ausgedrückt:Sie sind eine Verschwendung von Ressourcen.<br />
Ein Beispiel für eine staatlich fehlgeleitete Innovation ist die<br />
Magnetschwebebahn Transrapid. Dabei hatte das staatlich massiv<br />
bezuschusste Projekt durchaus Sinn ergeben, als es Ende der Sechzigerjahre<br />
in Angriff genommen wurde: Zwischen den damals<br />
noch recht langsamen Eisenbahnen und schnellen, aber sehr teuren<br />
Flugverbindungen für Mittel- und Fernstrecken klaffte eine<br />
große Angebotslücke, die von der superschnellen Magnetschwebebahn<br />
sinnvoll geschlossen werden sollte.<br />
DIE LÜCKE WURDE IMMER KLEINER<br />
Doch mit den Jahren änderte sich das Umfeld der Verkehrssysteme<br />
nachhaltig: Die Entwicklung von Hochgeschwindigkeitszügen<br />
(TGV in Frankreich, ICE in Deutschland) machte die Eisenbahn<br />
um vieles schneller und konkurrenzfähiger. Gleichzeitig<br />
führten die Liberalisierung des Luftfahrtmarktes und der Boom<br />
der Billigflieger zu deutlich niedrigeren Flugtarifen. Das Fliegen<br />
auf kürzeren Entfernungen wurde plötzlich erschwinglich. Die<br />
Lücke im Verkehrsangebot, die der Transrapid eigentlich schließen<br />
sollte, wurde immer kleiner. Und eines kam noch hinzu: im<br />
Gegensatz zu Hochgeschwindigkeitszügen ließ sich die Magnetschwebebahn<br />
nicht ins vorhandene Verkehrssystem integrieren,<br />
sondern war auf ein eigenes paralleles Schienensystem angewiesen.<br />
Das machte ihre Verwirklichung unverhältnismäßig kompliziert<br />
und teuer.<br />
Der Wankelmotor<br />
wurde zu einem Opfer<br />
des Ölpreis-Schocks<br />
der Siebzigerjahre<br />
Gewiss, die Magnetschwebebahn<br />
erfüllt das Kriterium einer<br />
Innovation, weil sie tatsächlich<br />
ihre praktische Anwendung fand.<br />
Zwar nicht im europäischen Verkehrssystem,<br />
für das sie ursprünglich<br />
geplant war, aber immerhin<br />
wurde der Transrapid in Shanghai<br />
als Flughafenzubringer gebaut<br />
und pendelt dort seit Dezember<br />
2002 rund 50-mal am Tag. Allerdings<br />
wird die Höchstgeschwindigkeit<br />
von 430 Stundenkilometern<br />
auf der nur 30 Kilometer langen<br />
Strecke gerade mal 50 Sekunden<br />
gehalten. Dann muss der Zug<br />
schon wieder abbremsen, was das<br />
Durchschnittstempo auf 247 Stundenkilometer<br />
reduziert. Überdies<br />
befindet sich das „City“-Terminal<br />
an der Peripherie von Shanghai;<br />
von dort müssen die Reisenden<br />
mit viel Zeitverlust auf die konventionellen<br />
Verkehrsmittel der Innenstadt<br />
umsteigen.<br />
Zwar sind aus China immer<br />
wieder Meldungen über den geplanten<br />
Ausbau des Transrapid-<br />
Systems zu lesen. Doch bisher ist<br />
es bei den Ankündigungen geblieben.<br />
Eine Transrapid-Langstrecke<br />
ist auch in China nicht wirklich in<br />
Sicht. Technikhistoriker Bauer<br />
macht aus seiner persönlichen Einschätzung kein Geheimnis: „Ich<br />
halte den Transrapid für mausetot.“<br />
KURZE ÄRA<br />
Mausetot und im Museum aufgebockt ist auch ein anderes massiv<br />
staatlich gefördertes Innovationsprojekt: Nach knapp 25 Jahren<br />
Flugbetrieb endete die kurze Ära des Überschall-Passagierfluges<br />
am 25. Juli 2000 in Flammen und Rauch, als der britisch-französische<br />
Überschall-Jet Concorde am Pariser Flughafen Charles de<br />
Gaulle abstürzte und 109 Insassen in den Tod riss. Doch auch ohne<br />
den tragischen Crash wäre das Schicksal des wirtschaftlich unrentablen<br />
Fliegers besiegelt gewesen. Der in den Sechzigerjahren mit<br />
enormem staatlichem Aufwand entwickelte elegante Vogel, der<br />
1976 den Liniendienst aufnahm, sollte einen neuen Abschnitt im<br />
Luftverkehr eröffnen – doch die Wirtschaftlichkeit des Prestige-<br />
Fliegers war von Anfang an nie gegeben, nach den Ölkrisen der<br />
Siebzigerjahre noch weniger als vorher.<br />
Die damals staatlichen Airlines Air France und British Airways<br />
betrieben den Spritsäufer auf Geheiß ihrer Regierungen und mit<br />
staatlichen Zuschüssen. Andere Airlines, die anfangs noch Concorde-Kaufoptionen<br />
angemeldet hatten, sprangen bald wieder ab.<br />
„Die Concorde war ein staatliches Prestigeobjekt, bei dem nicht<br />
die Entwicklung eines superschnellen Verkehrssystems im Vordergrund<br />
stand“, kritisiert Bauer. Hier ging es dem Staat auch darum,<br />
sich über Innovativität und Technologie selbst darzustellen und zu<br />
repräsentieren. Als aber die Entscheidung für Entwicklung und<br />
Bau getroffen war, gerieten die Marktbedingungen und die Ren-<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 35<br />
»<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
tabilität des Flugbetriebs in den abgeschotteten Entwicklungsbüros<br />
der beiden Flugzeugbauer immer mehr aus dem Blick.<br />
Wenn Innovationen scheitern, ist es meistens nur eine Frage der<br />
Zeit, wann die ersten Verschwörungstheorien auftauchen. Es gab<br />
sie bei der Concorde (angeblich hätten die amerikanischen Behörden<br />
und Boeing dem Projekt aus reinem Futterneid Steine in den<br />
Weg geworfen), so wie sie 1929 auch nach dem Absturz des Luftschiffs<br />
Hindenburg und dem ruhmlosen Ende der Zeppelin-Ära<br />
im Umlauf waren. Und auch viel später, als der von Felix Wankel<br />
entwickelte und nach ihm benannte Rotationskolben-Motor nach<br />
einer relativ kurzen Erfolgsstory in der avantgardistischen NSU-<br />
Limousine Ro80, dem Mercedes-Benz-Prototyp C-111 und einigen<br />
anderen Modellen Ende der Siebzigerjahre eingemottet wurde,<br />
tauchten Komplott-Theorien auf: Die etablierten Pkw-Hersteller,<br />
so wurde gemunkelt, hätten den Wankelmotor in heimlicher Absprache<br />
abgewürgt, um den Erfolg der konventionellen Hubkolbenmotoren<br />
nicht zu gefährden.<br />
FALSCHE ZEIT<br />
Alles Unsinn. Der Wankelmotor ist ein gutes Beispiel dafür, dass es<br />
keine Verschwörung braucht, um Innovationen scheitern zu lassen.<br />
„Es hat nichts mit Komplott zu tun, wenn eine Industriebranche,<br />
die in die Entwicklung und Produktion einer vorhandenen,<br />
bewährten und weiter entwicklungsfähigen Technologie viel Geld<br />
investiert hat, davor zurückschreckt, diese Technologie aufzugeben“,<br />
erklärt Bauer. Viel eher wurde auch der Wankelmotor mit seinem<br />
bautechnisch bedingten hohen Benzinverbrauch ein Opfer<br />
des Ölpreis-Schocks. Er war<br />
schlicht eine im Kern gute Innovation<br />
zur falschen Zeit.<br />
Ein ähnliches Schicksal könnte<br />
ungünstigenfalls einer weiteren<br />
radikalen Innovation im Autobau<br />
drohen – dem auf einer von Google<br />
entwickelten Technologie basierenden<br />
selbstfahrenden Automobil.<br />
Zwar experimentieren zahlreiche<br />
Autohersteller schon mit<br />
Prototypen, und Nissan will sogar<br />
2020 schon das erste selbstfahrende<br />
Auto auf den Markt bringen.<br />
Gleichwohl könnte sich diese Innovation<br />
am Ende als zu radikal erweisen.<br />
Knifflige Haftungsprobleme<br />
etwa drohen das Projekt auszubremsen.<br />
Wer ist juristisch verantwortlich,<br />
wenn selbstfahrende Autos<br />
in Unfälle verwickelt werden?<br />
Ist es der Hersteller, der das System<br />
konstruiert hat? Oder der Nutzer,<br />
weil er sich dem automatischen<br />
System willentlich anvertraut und<br />
das Unfallrisiko billigend in Kauf<br />
genommen hat? Oder vielleicht<br />
sogar der Gesetzgeber, der für einen<br />
entsprechenden legislativen<br />
Rahmen gesorgt hat, um das System<br />
auf die Straße zu bringen?<br />
Oder der Hersteller der Software,<br />
die das Fahrzeug steuert?<br />
Apple erreicht Kultstatus<br />
mit stetigen<br />
und schrittweisen<br />
Innovationen<br />
Ohnehin kommt bei gewagten Innovationen wie dem selbststeuernden<br />
Auto (ganz zu schweigen von noch radikaleren Konzepten<br />
wie robotergesteuerten Jets oder Schiffen – oder sogar die Paketzustellung<br />
durch Drohnen) die inhärente Furcht von Unternehmen<br />
vor allzu radikalen Neuerungen zum Tragen. Man könnte es auch<br />
das Unbehagen vor Alois Schumpeter nennen. Immerhin hatte der<br />
österreichische Ökonom die Innovation als einen Prozess der<br />
schöpferischen Zerstörung definiert. Innovation funktioniert nur<br />
wirklich, wenn der Ausbruch aus der Routine gewagt, Altes zerstört,<br />
Ressourcen anders kombiniert und in neue Verwendungszusammenhänge<br />
eingebunden werden. Das kann zu großartigen Resultaten<br />
führen. Doch je radikaler die Innovation, desto größer wird<br />
auch das Risiko des Scheiterns.<br />
Kein Wunder, dass sich Unternehmen in der Regel lieber für den<br />
weniger risikobehafteten Weg der inkrementellen Innovation, also<br />
der schrittweisen Neuerung, entscheiden. „Die Innovation, das<br />
Neue, ist eine Anomalie gegenüber dem Alten“, sagt der Medienphilosoph<br />
Rafael Capurro, emeritierter Professor für Informationswissenschaft<br />
an der Universität Stuttgart. „Eine Anomalie widerspricht<br />
dem Alten, dem Bisherigen und wirkt zunächst wie ein<br />
Fehler.“ Inkrementelle Innovation kann daher aus Unternehmenssicht<br />
durchaus eine sinnvolle und rationale Strategie sein.<br />
Nehmen wir das Beispiel der Boeing 747, deren Erstflug 1969 fast<br />
zeitgleich mit dem der Concorde stattfand. Doch während von dem<br />
radikal innovativen franko-britischen Überschall-Jet letztlich nur 20<br />
Exemplare gebaut wurden, entwickelte sich der weit weniger spektakuläre,<br />
eher behäbige Jumbo-Jet mit mehr als 1500 verkauften Exemplaren<br />
zum weltweiten Bestseller.<br />
In den 45 Jahren seit dem Erstflug<br />
erlebte das 747-Modell nicht weniger<br />
als elf große technische Überarbeitungen<br />
– ein Musterbeispiel für<br />
erfolgreiche inkrementelle Innovation.<br />
Und anders als die mit viel<br />
Vorschusslorbeer bedachte revolutionäre<br />
Concorde fliegt und verkauft<br />
sich Boeings Jumbo bis zum<br />
heutigen Tag erfolgreich.<br />
KULTUNTERNEHMEN APPLE<br />
Wenn es einen empirischen Beleg<br />
dafür braucht, dass man das Rad<br />
nicht alljährlich neu erfinden<br />
muss, sondern mit einer klugen Innovationsstrategie<br />
aus gelegentlichen<br />
radikalen und stetigen<br />
schrittweisen Neuerungen phänomenale<br />
Markterfolge erzielen<br />
kann, so hat ihn der US-Konzern<br />
Apple geliefert: Aus dem zeitweise<br />
pleitebedrohten Underdog aus Cupertino<br />
wurde dank seiner riskanten<br />
großen Würfe wie dem Macintosh<br />
(1984), dem iPhone (20<strong>07</strong>),<br />
dem iPad (2010) sowie jahrelanger<br />
inkrementeller Produktpflege ein<br />
Konzern mit Kultstatus. Heute ist<br />
Apple das mit Abstand vermögendste<br />
Unternehmen der Welt.<br />
Noch Fragen?<br />
n<br />
FOTO: PHOTOSHOT/XINHUA<br />
36 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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PARIS INTERN | Frankreichs neuer Premier macht<br />
den Kniefall vor der Linken, und im Wirtschaftsministerium<br />
gibt es gleich zum Start Streit um die<br />
Kompetenzen. Von Karin Finkenzeller<br />
Manuel allein zu Haus<br />
FOTOS: SAMMY HART, GETTY IMAGES, LAIF/REA/LAURENT CERINO<br />
Aber wer lacht zuletzt? Minister Montebourg<br />
(links), Regierungschef Valls<br />
Die Vorstellung des neuen<br />
Kabinetts musste einen<br />
Tag warten. Die Riege der<br />
Ministerinnen und Minister<br />
an einem 1. April zu präsentieren,<br />
hätte ja als Lachnummer<br />
aufgefasst werden<br />
können. Als Aprilscherz, der in Frankreich<br />
übrigens ein Aprilfisch, ein „poisson d’avril“<br />
ist, weil nach historisch nicht hundertprozentig<br />
gesicherten Angaben Scherzbolde<br />
im Mittelalter ihren ahnungslosen Mitmenschen<br />
Fische auf den Rücken klebten, die<br />
dann langsam anfingen zu stinken.<br />
Die Nase aber rümpften einige Kommentatoren.<br />
Hatten sie Montag vergangener<br />
Woche, als Staatschef François Hollande<br />
den bisherigen Innenminister Manuel Valls<br />
zum neuen Premier machte, noch gedacht,<br />
ein wirtschaftsliberaler Ministerpräsident<br />
werde auch einem solchen Kabinett vorstehen,<br />
lernten sie zwei Tage später das Gegenteil.<br />
Das ist Politik à la Hollande: ein<br />
Schritt vor, zwei zurück. Eine vernichtende<br />
Niederlage wie bei den jüngsten Kommunalwahlen<br />
ist dem Präsidenten genug.<br />
Weil das Entsetzen der Parteilinken über<br />
die Ernennung des Hardliners Valls groß<br />
war und der bisherige grüne Koalitionspartner<br />
die Zusammenarbeit mit ihm komplett<br />
verweigerte, sitzen am Kabinettstisch vor<br />
allem solche, die die linke Seele in Partei<br />
und Bevölkerung streicheln sollen.<br />
Wenn die neue Umweltministerin<br />
Ségolène Royal, die Präsidentschaftskandidatin<br />
von 20<strong>07</strong> und ehemalige<br />
Lebensgefährtin Hollandes, künftig bei<br />
öffentlichen Veranstaltungen wieder eine<br />
ihrer esoterisch angehauchten Reden anstimmt,<br />
werden sich die Anwesenden bei<br />
den Händen fassen – und die Energie wird<br />
nur so strömen.<br />
Dem zum Minister für Wirtschaft, Industrie<br />
und Informationstechnik beförderten<br />
Arnaud Montebourg gefällt an Valls, dass<br />
der Premier als Euro-Skeptiker gilt und<br />
2005 für ein „Nein“ der Franzosen zur europäischen<br />
Verfassung warb. Was dann ja<br />
auch klappte und die EU in eine schwere<br />
Krise gestürzt hat. Apropos Montebourg:<br />
Der 51-Jährige wollte am Mittwoch schon<br />
das Chefbüro im sechsten Stock des Wirtschaftsministeriums<br />
beziehen, um dann<br />
festzustellen, dass protokollarisch noch<br />
einer über ihm steht: Michel Sapin, bisher<br />
Arbeits- und nun Finanzminister. Nun muss<br />
sich der Globalisierungsgegner einige Etagen<br />
niedriger einrichten.<br />
Das kann noch spannend werden. Sapin<br />
wird in Brüssel über Haushaltsdefizite und<br />
Verschuldungsquoten verhandeln, die<br />
Montebourg für nötig hält, um Frankreichs<br />
sieche Wirtschaft wieder in Schwung zu<br />
bringen. Am Donnerstagmorgen übte sich<br />
Sapin bereits in verbaler Wirtschaftsgymnastik:<br />
„Im Interesse ganz Europas“ sei es<br />
wichtig, den „richtigen Rhythmus für die<br />
Defizitreduzierung zu finden“.<br />
Erste Reibereien gab es zudem zwischen<br />
dem Wirtschafts- und dem Außenministerium<br />
über die Zuständigkeit für den Außenhandel.<br />
Laurent Fabius, alter und neuer<br />
Außenminister, hatte in den vergangenen<br />
Monaten keinen Hehl daraus gemacht,<br />
dass er sein Haus als natürliche Adresse für<br />
Handelsdiplomatie hält – auch wenn diese<br />
dort bisher nie residiert hat. Drei Stunden<br />
lang zofften sich er und Montebourg am<br />
vorigen Mittwoch via Presseerklärungen,<br />
das Büro des Premierministers konnte zunächst<br />
keine Angaben machen, in wessen<br />
Bereich der Außenhandel angesiedelt sei.<br />
Am Donnerstagmorgen dann bestätigte<br />
der Regierungssprecher: Fabius hat sich<br />
durchgesetzt.<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 37<br />
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Der Volkswirt<br />
NACHGEFRAGT Frank-Jürgen Weise<br />
»Kein Spielraum<br />
für sinkende Beiträge«<br />
Der Chef der Bundesagentur für Arbeit sagt dem deutschen Arbeitsmarkt ein<br />
hervorragendes Jahr voraus – allerdings nicht für das Heer der Langzeitarbeitslosen.<br />
Herr Weise, die Zahl der Arbeitslosen<br />
hat sich bei knapp<br />
über drei Millionen stabilisiert,<br />
saisonbereinigt gehen die Zahlen<br />
seit drei Monaten zurück.<br />
Wird <strong>2014</strong> ein gutes Jahr für<br />
den Arbeitsmarkt?<br />
<strong>2014</strong> könnte sogar das beste<br />
Jahr seit Langem werden! Bis<br />
auf den Banken- und Versicherungsbereich<br />
suchen fast alle<br />
Branchen nach neuen Mitarbeitern.<br />
Besonders hoch ist die<br />
Nachfrage in technischen Berufen<br />
und im Gesundheitsbereich.<br />
Insgesamt rechnen wir<br />
<strong>2014</strong> mit einer durchschnittlichen<br />
Arbeitslosenzahl unter<br />
drei Millionen Menschen. Die<br />
Zahl der Erwerbstätigen dürfte<br />
auf 42,1 Millionen steigen.<br />
Woran liegt das?<br />
Der Export läuft stark, die Investitionen<br />
ziehen langsam an.<br />
Auch die Binnenkonjunktur ist<br />
in Schwung, weil Lohnsteigerungen<br />
und Produktivität in einer<br />
guten Balance sind. Ein<br />
Selbstläufer ist die gute Lage am<br />
Arbeitsmarkt gleichwohl nicht.<br />
Es dürfen keine externen<br />
Schocks eintreten, etwa durch<br />
die Krim-Krise. Wirtschaftssanktionen<br />
könnten in Deutschland<br />
Jobs bedrohen.<br />
Eine Gruppe profitiert <strong>vom</strong> Aufschwung<br />
am Arbeitsmarkt so<br />
gut wie gar nicht – die Langzeitarbeitslosen.<br />
Das stimmt so nicht. Seit 2006<br />
ist deren Zahl um 40 Prozent<br />
gesunken. Sie haben insofern<br />
recht, als dass sich die positive<br />
Entwicklung zuletzt nicht mehr<br />
fortgesetzt hat. Die Zahl der<br />
Langzeitarbeitslosen ist wieder<br />
leicht gestiegen und pendelt<br />
nun um die Millionengrenze.<br />
DER VERMITTLER<br />
Weise, 62, ist seit Februar 20<strong>04</strong><br />
Vorstandsvorsitzender der<br />
Bundesagentur für Arbeit (BA).<br />
Der Diplom-Betriebswirt und<br />
Oberst der Reserve arbeitete<br />
zuvor in der Privatwirtschaft.<br />
Wie lässt sich dieser Sockel<br />
abschmelzen?<br />
Nur durch Aus- und Weiterbildung.<br />
Für zwei Drittel dieser<br />
Menschen gilt mindestens eines<br />
der folgenden drei Kriterien: Sie<br />
haben keinen Schulabschluss,<br />
keinen Berufsabschluss oder<br />
sind älter als 50 Jahre. 400 000<br />
von ihnen sind sogar besonders<br />
hartnäckige Fälle, die seit 2005<br />
nicht mehr gearbeitet haben.<br />
Diese Gruppe lässt sich nur<br />
über ein langfristig angelegtes<br />
Programm aktivieren. Die Men-<br />
schen müssen qualifiziert werden<br />
und einen Arbeitgeber finden,<br />
der die Einstellung wagt –<br />
gern auch mit Lohnkostenzuschuss<br />
durch die Arbeitsagentur.<br />
Mit Verlaub: Welcher Betrieb<br />
stellt jemanden ein, der<br />
seit zehn Jahren nicht mehr<br />
gearbeitet hat?<br />
Natürlich ist das schwierig.<br />
Manche der Betroffenen haben<br />
aber keine schweren Defizite,<br />
sondern hatten schlicht keine<br />
Kinderbetreuung gefunden<br />
oder mussten Angehörige pflegen.<br />
Wenn wir das organisiert<br />
bekommen, können diese Leute<br />
arbeiten. Mit großer Motivation<br />
sogar. Und was ganz wichtig<br />
ist: Wir wollen die Integration in<br />
den ersten Arbeitsmarkt. Einen<br />
sozialen Arbeitsmarkt, der Beschäftigung<br />
nur simuliert, werde<br />
ich nicht herbeireden. Wir<br />
müssen die Arbeitgeber von unseren<br />
Kandidaten überzeugen:<br />
Schau dir den Menschen an<br />
und nicht die Zeugnisse. Und<br />
dann müssen wir beide Seiten<br />
begleiten, weil es ein anspruchsvoller<br />
Weg ist.<br />
Halten Sie mit Blick auf die<br />
Problemfälle im Arbeitslosenbestand<br />
den gesetzlichen Mindestlohn<br />
für eine gute Idee?<br />
Der Mindestlohn ist eine politische<br />
Entscheidung und wird<br />
von einer Mehrheit in der Bevölkerung<br />
gewünscht. Er führt<br />
dazu, dass gerade viele Ungelernte<br />
in Zukunft mehr leisten<br />
und eine Aus- oder Weiterbildung<br />
absolvieren müssen – damit<br />
sie die 8,50 Euro pro Stunde<br />
erwirtschaften können. Dazu<br />
gehört auch, selbst die Initiative<br />
zu ergreifen.<br />
2013 hat der Bundesrechnungshof<br />
kritisiert, dass sich<br />
manche BA-Vermittler wegen<br />
interner Vorgaben auf leichtere<br />
Fälle stürzen – und Langzeitarbeitslose,<br />
deren Vermittlung<br />
viel Arbeit macht, links liegen<br />
lassen. Haben Sie darauf organisatorisch<br />
reagiert?<br />
Eines vorweg: Unsere Strategie<br />
war richtig. Die vertreten wir<br />
auch weiterhin. Wenn je-<br />
»<br />
FOTO: MAX LAUTENSCHLÄGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
38 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Der Volkswirt<br />
»<br />
mand bei uns zur Tür reinkommt,<br />
muss der erste Gedanke<br />
sein: Wie kriegen wir ihn schnell<br />
wieder in einen Job? Das Problem<br />
war ein anderes: Es gab<br />
Arbeitsagenturen, die den Mittelstand<br />
als Ansprechpartner<br />
vernachlässigt und verstärkt<br />
Zeitarbeitsfirmen bedient haben.<br />
Das ist nicht die gewünschte<br />
Geschäftspolitik der BA. Ich<br />
will, dass die Leistung meiner<br />
Mitarbeiter von Jahr zu Jahr besser<br />
wird. Und da gab es intern<br />
bisweilen die Ansicht, höhere<br />
Vermittlungserfolge seien nur<br />
mit mehr Zeitarbeit möglich.<br />
Und nun?<br />
Wir haben <strong>2014</strong> die Vorgaben<br />
an die Vermittler nicht erhöht.<br />
Zugleich arbeiten wir an einem<br />
Zielsystem, das die schwierige<br />
Integration eines Langzeitarbeitslosen<br />
besser berücksichtigt.<br />
Wir vergleichen seit Jahren<br />
Agenturen in ähnlichen Regionen<br />
und Strukturen. Da suche<br />
ich mir die Besten raus und sage<br />
den anderen: Das müsst ihr<br />
auch schaffen.<br />
Halten Sie langfristig eine<br />
Arbeitslosenzahl von unter<br />
zwei Millionen für möglich?<br />
Wir haben derzeit rund eine<br />
Million Kurzzeitarbeitslose, die<br />
im Schnitt nicht länger als drei<br />
Monate ohne Job sind. Bei 42<br />
Millionen Beschäftigten und einem<br />
beweglichen Arbeitsmarkt<br />
ist das eine normale Größe, die<br />
sich kaum weiter senken lässt.<br />
In der Grundsicherung hingegen<br />
sind noch immer zwei Millionen<br />
Menschen arbeitslos.<br />
Diese Zahl müsste in den kommenden<br />
zehn Jahren zu halbieren<br />
sein.<br />
2013 gab es in Deutschland die<br />
höchste Netto-Zuwanderung<br />
seit mehr als 20 Jahren. Setzt<br />
sich dieser Trend fort?<br />
Ja. Die Zuwanderung nach<br />
Deutschland wird in diesem<br />
Jahr deutlich ansteigen. Wir<br />
rechnen mit einer Netto-Zuwanderung<br />
von 450 000 Personen.<br />
Das ist weit mehr, als alle<br />
lang- und kurzfristigen Prognosen<br />
vorhergesagt haben. Solange<br />
die ökonomische Entwicklung<br />
in Europa stark differiert,<br />
dürfte dieser Trend auch in den<br />
kommenden Jahren anhalten.<br />
Finden Sie das gut oder<br />
schlecht?<br />
In der Summe gut. Die Zuwanderung<br />
kann den demografiebedingten<br />
Rückgang der erwerbsfähigen<br />
Bevölkerung in<br />
Deutschland – <strong>2014</strong> sind das<br />
rund 300 000 Personen – derzeit<br />
mehr als kompensieren. Und<br />
wir bekommen nun auch viele<br />
hoch Qualifizierte aus Süd- und<br />
Osteuropa, die früher lieber<br />
nach England gegangen sind...<br />
...und die womöglich in ihre<br />
Heimatländer zurückkehren,<br />
sobald die Wirtschaft dort<br />
besser läuft.<br />
Na und? Wir sollten mehr europäisch<br />
denken. Wer fünf Jahre<br />
»Die Zuwanderung<br />
nach<br />
Deutschland<br />
wird <strong>2014</strong> deutlich<br />
ansteigen«<br />
bei uns lebt und dann zurück<br />
nach Spanien oder Portugal<br />
geht, kann trotzdem ein dauerhafter<br />
Gewinn für die deutsche<br />
Volkswirtschaft sein. Er nimmt<br />
dann vielleicht seinen BMW<br />
mit, hat Gefallen an deutschen<br />
Produkten gefunden und ist für<br />
die Auslandsniederlassungen<br />
deutscher Unternehmen ein interessanter<br />
Jobkandidat.<br />
Auf der anderen Seite wächst<br />
die Angst vor Zuwanderung von<br />
gering Qualifizierten in die<br />
Sozialsysteme, etwa aus Rumänien<br />
und Bulgarien. Ist das<br />
Hysterie oder eine berechtigte<br />
Sorge?<br />
Die Zahlen sind absolut gesehen<br />
noch überschaubar, sie<br />
wachsen prozentual aber stark<br />
an. Und es ballt sich in bestimmten<br />
Regionen, etwa Berlin,<br />
Duisburg und Mannheim.<br />
Beide Phänomene sind nicht<br />
ungefährlich. Wir müssen auf-<br />
passen, dass gering qualifizierte<br />
Zuwanderer aus Osteuropa, die<br />
hier allenfalls Helfertätigkeiten<br />
ausüben können, nicht zur<br />
Konkurrenz für unsere Langzeitarbeitslosen<br />
werden. Allerdings<br />
ist der Anteil der Arbeitslosen<br />
unter rumänischen und<br />
bulgarischen Migranten nach<br />
wie vor geringer als etwa in der<br />
Gruppe der türkischen Arbeitnehmer<br />
– und auch niedriger<br />
als bei ausländischen Arbeitnehmern<br />
insgesamt.<br />
Der Europäische Gerichtshof<br />
befasst sich derzeit mit der<br />
Frage, ob und wann arbeitslose<br />
EU-Ausländer in Deutschland<br />
ein Anrecht auf Hartz IV haben.<br />
Was ist Ihre Position?<br />
Dieses Urteil ist von entscheidender<br />
Bedeutung. Als Behördenchef<br />
respektiere ich das Sozialrecht<br />
in all seinen Facetten.<br />
Doch muss ich auf die Folgen<br />
hinweisen. Wenn künftig jeder<br />
Zuwanderer aus der EU ein Anrecht<br />
auf Grundsicherung ab<br />
dem ersten Tag hat, entfacht<br />
dies eine gefährliche Signalwirkung.<br />
Das ist arbeitsmarktpolitisch<br />
von der BA nicht mehr zu<br />
bewältigen, da werden am Ende<br />
alle Arbeitsmarktprogramme<br />
versagen.<br />
Führt die derzeit gute Arbeitsmarktlage<br />
dazu, dass sich die<br />
BA wieder ein dickes Finanzpolster<br />
für schlechte Zeiten<br />
zulegen kann?<br />
Nein. Wir haben aktuell Rücklagen<br />
von 2,4 Milliarden Euro.<br />
Das klingt viel, wäre aber schon<br />
bei einer wirtschaftlichen Eintrübung<br />
schnell verbraucht.<br />
Zum Vergleich: Vor der großen<br />
Wirtschaftskrise 2009 hatten<br />
wir 16 Milliarden Euro verfügbar.<br />
Mit dem derzeitigen Beitragssatz<br />
von drei Prozent können<br />
wir unsere originären<br />
Aufgaben erfüllen – mehr aber<br />
auch nicht.<br />
Die mittelfristige Finanzplanung<br />
der Bundesregierung<br />
sieht für die BA bis 2018<br />
keinerlei Zuschüsse mehr vor.<br />
Ihr Haus soll stattdessen<br />
Überschüsse erwirtschaften.<br />
Schaffen Sie das?<br />
Bei normaler Wirtschaftslage<br />
rechnen wir <strong>2014</strong> mit einem<br />
Überschuss um die 100 Millionen<br />
Euro. Bei einem Haushaltsvolumen<br />
von rund 53 Milliarden<br />
Euro ist das eine schwarze<br />
Null. Darin enthalten sind steigende<br />
<strong>Ausgabe</strong>n für Prävention<br />
und eine Konjunktur-Risikoreserve<br />
von 250 Millionen Euro.<br />
Wer mehr fordert, sollte sich an<br />
zwei Dinge erinnern: Die in den<br />
vergangenen Jahren erfolgte<br />
Absenkung des Beitragssatzes<br />
von 6,3 auf 3,0 Prozent kostet<br />
die BA jährlich 20 Milliarden<br />
Euro. Hinzu kommen weitere<br />
rund acht Milliarden Euro Mindereinnahmen<br />
durch den Wegfall<br />
des Mehrwertsteuerpunktes,<br />
den uns die Politik zunächst<br />
zugesprochen und später wieder<br />
genommen hat.<br />
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft<br />
hält gleichwohl 2015<br />
eine Absenkung des Beitragssatzes<br />
um 0,2 Punkte für<br />
finanzierbar – und auch für<br />
geboten.<br />
Ich sage ganz klar: Für sinkende<br />
Beitragssätze fehlt uns bis auf<br />
Weiteres der Spielraum. Da wir<br />
wegen des Mindestlohns künftig<br />
mit steigenden <strong>Ausgabe</strong>n für<br />
Weiterbildung rechnen müssen,<br />
ist schon die Stabilisierung des<br />
Beitrags eine enorme Leistung.<br />
Davon sind andere Zweige der<br />
deutschen Sozialversicherung<br />
ein gutes Stück entfernt.<br />
Eine persönliche Frage zum<br />
Schluss: Sie sind seit zehn<br />
Jahren im Amt und einer der<br />
dienstältesten BA-Chefs aller<br />
Zeiten. Wie lange wollen<br />
Sie den Job noch machen?<br />
Mein Vertrag läuft bis Mitte<br />
2017, und die Politik hat mich<br />
gebeten, dieses Mandat zu erfüllen.<br />
Danach spricht vieles<br />
dafür, die Leitung der BA in jüngere<br />
Hände zu geben. Es sei<br />
denn, es gibt vorher einen dramatischen<br />
Wirtschaftseinbruch.<br />
Dann wäre ein Oldie wie<br />
ich, der kühl bleibt, wenn andere<br />
aufgeregt sind, vielleicht<br />
doch noch mal gefragt... n<br />
max.haerder@wiwo.de | Berlin,<br />
bert.losse@wiwo.de<br />
40 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Der Volkswirt<br />
DENKFABRIK | Die Europäische Zentralbank kann die Konjunktur mit Staatsanleihenkäufen<br />
nicht ankurbeln. Sie läuft Gefahr, dadurch die außenwirtschaftlichen<br />
Ungleichgewichte in der Euro-Zone zu verstärken. Von Ansgar Belke und Daniel Gros<br />
Kontraproduktive Geldpolitik<br />
An den Finanzmärkten<br />
und in Ökonomenzirkeln<br />
wird derzeit heiß<br />
diskutiert, ob die<br />
Währungsunion auf eine Deflation,<br />
also einen allgemeinen<br />
Rückgang des Preisniveaus,<br />
zusteuert. Im März lag die<br />
Teuerungsrate nach vorläufigen<br />
Berechnungen bei nur 0,5<br />
Prozent. Die Europäische Zentralbank<br />
(EZB) strebt dagegen<br />
eine Inflationsrate von knapp<br />
unter zwei Prozent an, die sie<br />
als Preisstabilität definiert. Viele<br />
Experten fordern daher, die<br />
EZB müsse die Geldpolitik weiter<br />
lockern, um eine Deflation<br />
zu verhindern. Sie empfehlen<br />
ihr unter anderem, es der US-<br />
Zentralbank gleichzutun und<br />
langlaufende Staatsanleihen zu<br />
kaufen. Das senke die Zinsen<br />
und rege die Konjunktur an.<br />
Doch dieses Argument kann<br />
nicht überzeugen. Unserer<br />
Ansicht nach spricht vielmehr<br />
einiges dafür, dass niedrige<br />
Zinsen in der derzeitigen Lage<br />
sogar kontraproduktiv sind.<br />
SPARER LEIDEN<br />
Zuvorderst verringern fallende<br />
Zinssätze den Ertrag für<br />
Sparer. Die privaten Haushalte<br />
in Deutschland, die ihr Alterseinkommen<br />
durch private Ersparnisse<br />
aufbessern wollen,<br />
müssten zusätzlich sparen, um<br />
den von ihnen angestrebten Kapitalstock<br />
aufzubauen. Zudem<br />
würden die Kapitalrückflüsse<br />
aus den Lebensversicherungen<br />
sinken. Niedrigere Zinsen dürften<br />
in Deutschland daher nicht<br />
zu dem gewünschten Zuwachs<br />
der gesamtwirtschaftlichen<br />
Nachfrage führen.<br />
Aber könnten niedrigere<br />
Zinsen nicht wenigstens die<br />
»Bei niedrigeren<br />
Zinsen müssten<br />
die Deutschen<br />
mehr sparen,<br />
um genügend<br />
Kapital fürs Alter<br />
aufzubauen«<br />
ten kaum etwas von niedrigeren<br />
Langfristzinsen, da ihre Hypothekenzinsen<br />
an die Entwicklung der<br />
kurzfristigen Interbankensätze<br />
gekoppelt sind. Außerdem dürften<br />
die überschuldeten Haushalte<br />
und Unternehmen vorerst damit<br />
beschäftigt sein, ihre hohen<br />
Schulden abzubauen, daher werden<br />
sie kaum neue Kredite aufnehmen.<br />
Insgesamt könnten<br />
niedrigere Zinsen daher einen<br />
negativen Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche<br />
Nachfrage<br />
im Euro-Raum haben.<br />
Am Anfang der Währungsunion<br />
war dies anders. Damals war die<br />
Überschuldung noch nicht so ausgeprägt,<br />
und die Häuserpreise<br />
gen derzeit jedoch, was die Haushaltskassen<br />
der Bürger belastet.<br />
Zudem ist es in Deutschland<br />
schwierig, den Wertzuwachs von<br />
Immobilien für Konsumkredite zu<br />
nutzen. Hierzulande sind die Beleihungswerte<br />
meist konservativ<br />
angesetzt. Die meisten Banken<br />
dürften daher zögern, bei steigenden<br />
Immobilienwerten ihren Kunden<br />
mehr Konsumentenkredite<br />
auszureichen, auch wenn dies in<br />
Einzelfällen vorkommen mag.<br />
Geringere Zinsen erhöhen in<br />
der Theorie die Investitionsnachfrage<br />
von Unternehmen. Nahezu<br />
alle ökonomischen Modelle<br />
unterstellen dies. Aber eine große<br />
Mehrzahl empirischer Studien<br />
Nachfrage in den europäischen<br />
Krisenländern ankurbeln? Immerhin<br />
steht jedem Sparer ein<br />
Schuldner gegenüber, dessen<br />
Schuldenlast sinkt, wenn die Zinsen<br />
fallen. Deutschland ist der<br />
größte Nettogläubiger in der Euro-<br />
Zone. Die deutsche Volkswirtschaft<br />
erleidet deshalb einen Einkommensverlust,<br />
wenn die<br />
Zinssätze weiter fallen. Dagegen<br />
dürften Deutschlands Schuldner<br />
in der Peripherie von niedrigeren<br />
Zinsen profitieren.<br />
Doch ganz so einfach ist es<br />
nicht. Spanische Haushalte hätstiegen,<br />
während sie heute fallen.<br />
Die Befürworter niedrigerer Zinsen<br />
setzen zudem darauf, dass<br />
diese die Vermögenspreise, insbesondere<br />
die Häuserpreise,<br />
nach oben ziehen. Steigen die<br />
Vermögen, fühlen sich die Menschen<br />
reicher – und konsumieren<br />
mehr. In den USA lässt sich dieser<br />
Zusammenhang durchaus beobachten.<br />
Doch ob er auch für Europa<br />
gilt, ist fraglich. In Deutschland<br />
sind nur etwas mehr als 40 Prozent<br />
der Einwohner Eigentümer<br />
ihrer Wohnstätten. Die Mehrzahl<br />
wohnt zur Miete. Die Mieten steizeigt,<br />
dass die Zinssätze allenfalls<br />
einen marginalen Einfluss<br />
auf die Investitionen haben.<br />
Andere Faktoren dominieren.<br />
In Europa finanzieren sich die<br />
Unternehmen eher über Bankkredite<br />
mit kurzer bis mittlerer<br />
Laufzeit. Niedrigere langfristige<br />
Zinsen nutzen ihnen daher<br />
wenig.<br />
NEGATIVE WIRKUNG<br />
Insgesamt dürften Wertpapierkäufe<br />
der EZB auf die gesamtwirtschaftliche<br />
Nachfrage in<br />
Deutschland eher einen negativen<br />
Einfluss ausüben. In den<br />
Peripherieländern wäre der Impuls<br />
allenfalls marginal positiv.<br />
Würde die Binnennachfrage<br />
in Deutschland und anderen<br />
nordeuropäischen Ländern geschwächt,<br />
bremste dies deren<br />
Importe, und die Überschüsse<br />
in den Leistungsbilanzen nähmen<br />
weiter zu.<br />
Expansive geldpolitische<br />
Maßnahmen der EZB drohen<br />
daher die außenwirtschaftlichen<br />
Ungleichgewichte in der<br />
Euro-Zone zu verstärken. Die<br />
Währungshüter sollten der<br />
Versuchung widerstehen, in<br />
großem Stil Anleihen zu kaufen<br />
und die Zinsen nach unten zu<br />
drücken. Was in den USA und<br />
in Großbritannien funktioniert<br />
haben mag, wird in der Euro-<br />
Zone scheitern.<br />
Belke ist Professor für Makroökonomie<br />
an der Universität<br />
Duisburg-Essen und Associate<br />
Fellow des Centre for European<br />
Policy Studies in Brüssel.<br />
Gros ist Direktor des Centre<br />
for European Policy Studies<br />
(CEPS). Der in Chicago<br />
promovierte Ökonom berät<br />
das Europäische Parlament.<br />
FOTOS: PR, VISUM/MARKUS HANKE<br />
42 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
INNOVATIONS-RANKING |<br />
Eine Exklusiv-Studie<br />
im Auftrag der<br />
WirtschaftsWoche<br />
präsentiert die 50<br />
erfolg- und ideenreichsten<br />
deutschen<br />
Mittelständler. Dazu<br />
im Twitter-Stil, mit<br />
welchen Methoden es<br />
den Besten gelingt,<br />
unablässig Neues auf<br />
den Markt zu bringen.<br />
Kreativität am<br />
laufenden Band<br />
Deutschlands innovativste Unternehmerin<br />
ist 76 Jahre alt,<br />
lebt in einem Provinznest zwischen<br />
Schwäbischer Alb und<br />
Schwarzwald und erinnert äußerlich<br />
an eine italienische Operndiva. In<br />
Wahrheit gebietet die Seniorin mit dem<br />
tiefschwarzen Haar jedoch über ein höchst<br />
erfolgreiches Unternehmen: den Medizintechnik-Hersteller<br />
Karl Storz in Tuttlingen<br />
an der Donau. Der ist mit seinen Endoskopen<br />
für Chirurgen und mit seinen Operationssälen<br />
Deutschlands innovativster Mittelständler.<br />
Das ist das Ergebnis eines Rankings, das<br />
die Münchner Unternehmensberatung<br />
Munich Strategy Group (MSG) exklusiv für<br />
die WirtschaftsWoche erstellt hat. Dazu haben<br />
MSG-Gründer Sebastian Theopold<br />
und seine Mitarbeiter insgesamt 3000 Mittelständler<br />
für ihre Studie analysiert. Ergebnis<br />
ist eine Liste der 50 innovativsten<br />
deutschen Mittelständler (siehe Tabelle<br />
Seite 48). Unter den Top-Innovatoren finden<br />
sich vor allem Maschinenbau-Unternehmen<br />
sowie Spezialisten für Mess- und<br />
Regeltechnik, Software und Medizintechnik.<br />
Gewinner Storz schaffte es gleichzeitig<br />
ins Finale des Deutschen Innovationspreises<br />
(siehe Seite 82).<br />
Gerade die deutschen Medizintechniker<br />
hätten einen riesigen Innovationssprung<br />
gemacht, sagt Ranking-Autor Theopold:<br />
„Da tauchen neben Siemens viele junge,<br />
innovative Medizintechnik-Firmen auf, die<br />
es vor einigen Jahren noch gar nicht gab.“<br />
Allerdings offenbart das Ranking auch<br />
Schwächen. Unter den Top 50 finden sich<br />
kaum Biotech-Medikamentenhersteller.<br />
„Für sie sind die Markteintrittsbarrieren<br />
wegen der hohen Entwicklungskosten sehr<br />
hoch“, sagt Autor Theopold. Und in den<br />
USA stehen für die Biotechs mehr Kapitalgeber<br />
bereit. Ebenfalls schwach sind die<br />
deutschen Mittelständler bei der Nanotechnologie,<br />
die potenzielle Basis für neuartige<br />
Solarzellen oder Speichermedien.<br />
juergen.salz@wiwo.de, andreas macho<br />
Wie die Besten zu ihren Erfolgen kommen,<br />
lesen Sie im Twitter-Stil mit maximal 140<br />
Zeichen pro Satz auf den folgenden Seiten.<br />
#Kundenversteherin<br />
STORZ | Der Medizintechnik-Spezialist fertigt immer bessere<br />
Endoskope und OP-Säle, indem er die Ärzte befragt.<br />
Tuttlingen, Donau. Schwäb. Alb im Osten,<br />
Schwarzwald im Westen. Ganz netter<br />
Ort, viel Landschaft, total #Provinz.<br />
War früher schlimmer. Karstboden, arme<br />
Bäuerchen, lange Winter, viel Zeit zum<br />
Rumbasteln, Rumtüfteln, für Heimarbeit.<br />
Heute 400 Medizintechnik-Unternehmen<br />
auf 35 000 Einwohner, entstanden aus<br />
einer Messerschmiede von 1867.<br />
Aesculap ist der Ortsriese, Tochter von<br />
B. Braun Melsungen, Medizin- und Krankenhaus-Konzern<br />
aus Nordhessen.<br />
Größe ist nicht alles. Innovativer als<br />
B. Braun ist Karl Storz, Nummer eins im Innovationsranking<br />
der deutschen Mittelständler.<br />
High Tech, wo man hinschaut bei #Storz.<br />
Spezialität: Endoskope für Chirurgen zum<br />
Operieren ohne große Schnitte, moderne<br />
OP-Säle.<br />
Kein Wunder, bei so einer Chefin. Sybill<br />
Storz, zarte 76, hat noch immer die Hände<br />
straff an den Zügeln, sagt letztlich, wo es<br />
langgeht.<br />
Wo die Innovationen herkommen?<br />
O-Ton der Chefin: „Der Arzt sagt uns,<br />
was er will. Das hat schon mein Vater so<br />
gehalten.“ »<br />
FOTO: STEFAN KRÖGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
44 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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RANG<br />
1Sybill Storz<br />
Karl Storz<br />
Endoskope<br />
Dank der High-Tech-Geräte<br />
von Storz erkennen Ärzte in<br />
bester Bildqualität, was sie gerade<br />
operieren.<br />
Umsatz: 1,3 Milliarden Euro<br />
Mitarbeiter: 6700<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Die alte Dame, ganz der Vater und Unternehmensgründer<br />
Karl. Forschte auch<br />
schon mit Ärzten an medizinischen Geräten.<br />
Aha, Kundenversteherin also. Storz: „Bei<br />
uns denkt sich nicht die Marketingabteilung<br />
aus, was die Ärzte wohl gebrauchen<br />
könnten.“<br />
Noch’n Gedicht der Chefin: „Der Kunde<br />
ist König. Das bringen wir neuen Mitarbeitern<br />
als Erstes bei.“<br />
Das Detail macht’s: Die Idee, wo etwa die<br />
Kamera an Endoskopie-Geräte angebracht<br />
wird, stammt häufig von den Ärzten, die<br />
operieren.<br />
Ärzte loben Storz. Außendienstler träten<br />
bescheiden auf und würden flexibel auf<br />
Wünsche reagieren.<br />
Von der Übersetzerin zur Chefin: Storz<br />
hat Fremdsprachenkorrespondentin gelernt.<br />
1996 Übernahme des Geschäfts.<br />
Tuttlingens berühmteste Unternehmerin:<br />
mehrere Ehrendoktortitel, zum Beispiel<br />
von den Universitäten Tübingen und<br />
Dundee in Schottland.<br />
Heute riesiger Laden, 1,3 Milliarden Euro<br />
Umsatz, typisch solide Schwaben, jedes<br />
Jahr Gewinn gemacht, seit der Gründung<br />
1945.<br />
Von Tuttlingen aus in die Welt: Drei Viertel<br />
des Umsatzes stammen aus dem Ausland.<br />
6700 Mitarbeiter weltweit, 2000 in<br />
Tuttlingen.<br />
Der Erfolg kommt <strong>vom</strong> großen Angebot:<br />
Etwa 8000 Produkte stehen im Katalog, oft<br />
besser als die Konkurrenz, allerdings auch<br />
teurer.<br />
Immer was Neues bei Storz: Mobiles Endoskop<br />
namens Tele Pack X lässt sich wie<br />
ein iPhone über den Bildschirm steuern.<br />
Matriarchin Storz will noch immer alles<br />
wissen. Liest Berichte der Außendienstler.<br />
Beim Lesen fällt ihr zuweilen auf, dass<br />
vor allem junge Mitarbeiter im Umgang<br />
mit Kunden besser werden könnten.<br />
Dann gibt es sicherlich auch schon mal<br />
einen Hinweis an den Vorgesetzten. Das<br />
kann dann wohl auch ungemütlich werden.<br />
Wie lange bleibt die Chefin noch? Ungewiss.<br />
Sohn Karl-Christian leitet die Forschung,<br />
aber noch mischt die Mutter munter<br />
mit.<br />
Sie denkt wohl noch nicht ans Aufhören.<br />
Fährt auf Promis ab, Fotos mit Papst Benedikt<br />
und Frankreichs Ex-Staatschef Jacques<br />
Chirac.<br />
Storz sagt, sie würde der @wiwo gern<br />
einmal das Anwendungszentrum für die<br />
neuesten Operationsgeräte in Berlin vorführen.<br />
Ah, Berlin, ist bestimmt mehr los als in<br />
Tuttlingen, #hauptstadtbonus.<br />
#Menschenkenner<br />
UZIN UTZ | Alle Kraft der Personalauswahl, lautet das Erfolgsrezept<br />
des Klebstoff-Spezialisten. Der Chef ist Psychologe.<br />
Klebstoff für Bodenbeläge, old, older,<br />
oldest Economy, denkt wohl jeder. Ein<br />
bisschen Uhu, ein bisschen Patex, fertig ist<br />
die Paste.<br />
Uzin Utz (komischer Name) stellt Klebstoff<br />
für Bodenbeläge her. Wie wird ausgerechnet<br />
so einer zweitinnovativster Mittelständler<br />
Deutschlands?<br />
Übrigens: „Uzin“ ist ein Kunstwort, zusammengesetzt<br />
aus dem Familiennamen<br />
„Utz“ und „Industrie“.<br />
Uzin-Utz-Chef Werner Utz schwört unbeirrt<br />
auf seine Methode: „Wir stellen die<br />
richtigen Leute ein.“ Klingt so alt wie Klebstoff,<br />
oder?<br />
Mooooment! In Altem kann auch viel<br />
Neues stecken. Wichtig ist, dass man es<br />
richtig macht. Uzin Utz in Ulm wäre ja<br />
sonst nicht so innovativ.<br />
Innovativ ist bei Uzin Utz der Ansatz. Erste<br />
Regel des Chefs: „Das Wollen der Bewerber<br />
ist manchmal wichtiger als ihr Können.“<br />
Auf die erste folgt die zweite Regel. Originalton<br />
Firmenchef Utz: „Motivation ist<br />
wichtiger als gute Noten.“<br />
Alle schlauen Dinge sind drei. Wie Utz<br />
das Wollen und die Motivation entdeckt?<br />
Ganz einfach: „Durch Intuition.“<br />
Früher hatte Utz ausgetüftelte Fragebögen<br />
für die Einstellungsgespräche. Heute<br />
sagt er: „Das Bauchgefühl ist besser.“<br />
Bitte, bitte nicht aufhören zu lesen! Utz<br />
schwafelt nicht, seine Sätze haben System.<br />
Der Mann hat immerhin Arbeitspsychologie<br />
studiert.<br />
Die Anwendung psychologischer Erkenntnisse,<br />
das ist bei dem Familienunternehmen<br />
der Schlüssel zu Innovationen.<br />
Utz übernahm die Firma 1978 von seinem<br />
Vater Willi Utz. Seitdem gilt im Personalmanagement<br />
die Devise „Wertschöpfung<br />
folgt Wertschätzung“.<br />
Die Devise Wertschöpfung durch Wertschätzung<br />
mündet bei Utz in Fördern<br />
durch Fordern.<br />
Wertschätzung durch Lob reicht dem<br />
Chef nicht, es muss Lob + Prämien sein.<br />
Uzin Utz ist ja kein Kindergeburtstag.<br />
Weil Prämien für Innovationen nur funktionieren,<br />
wenn Neues messbar ist, misst<br />
Utz viel. Ergebnis: Neuheitsquote.<br />
Die Formel versteht jeder: Neuheitsquote<br />
= Anteil jener Produkte am Gesamtumsatz,<br />
deren Einführung weniger als fünf<br />
Jahre zurückliegt.<br />
Kein Wunder, dass Uzin Utz weit vorn ist<br />
im Ranking der @wiwo. Neuheitsquote<br />
2013: 58 Prozent. Umsatz: 2<strong>07</strong> Millionen<br />
Euro. 940 Mitarbeiter.<br />
Nur zum Vergleich: Als Werner Utz das<br />
Unternehmen 1978 übernahm, hatte es<br />
100 Mitarbeiter, und der Umsatz lag bei<br />
zwölf Millionen Euro.<br />
Die Schwaben sind keine Eigenbrötler,<br />
die ihr Bauchgefühl ausleben. Seit 1997 an<br />
der Börse. Seitdem ein halbes Dutzend Firmenübernahmen.<br />
Vorstandschef Utz lässt nicht ab von seinem<br />
Credo: „Die wichtigste unternehmerische<br />
Entscheidung ist die Personalentscheidung.“<br />
Was bei Uzin Utz niemals passieren darf:<br />
Dass die Mitarbeiter Informationen über<br />
das Unternehmen als Erstes aus der Zeitung<br />
erfahren.<br />
Was bei Uzin Utz immer passiert: Führungspositionen<br />
werden ausschließlich<br />
durch Mitarbeiter aus dem eigenen Haus<br />
besetzt.<br />
Innovationen durch #Karrierechancen.<br />
RANG<br />
2Uzin Utz (Klebstoffe)<br />
Umsatz:<br />
2<strong>07</strong> Millionen Euro<br />
Mitarbeiter:<br />
940<br />
46 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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# Vorexerzierer<br />
EUROIMMUN | Der Chef der Lübecker Biofirma gilt bei seinen<br />
Mitarbeitern als wandelnde Ikone.<br />
Nicht schlecht für einen Mittelständler.<br />
Überall in der Zentrale in Lübeck Perserteppiche,<br />
Betriebskindergarten und Hort.<br />
Das nennt man Wohlfühlatmosphäre.<br />
Der Chef, Winfried Stöcker, Professor, absolut<br />
unprätentiös, duzt jeden, lässt sich<br />
duzen.<br />
Euroimmun ist Nummer drei unter den<br />
innovativen Mittelständlern. Die Wohlfühlatmosphäre<br />
ist der eine, der Chef der<br />
andere Erfolgsfaktor.<br />
Stöcker ist Dauererfinder. Er ersann Biochips,<br />
die Autoimmunerkrankungen erkennen,<br />
bei denen sich der Körper selbst<br />
bekämpft.<br />
Der Euroimmun-Chef lebt vor, was er erwartet.<br />
Privat ist er Hobbykoch. Prompt<br />
forschte er jahrelang an der perfekten Konfitüre.<br />
Kürzlich hat Stöcker mal wieder was entwickelt:<br />
ein Spülverfahren, um seine immunologischen<br />
Tests zu perfektionieren.<br />
Innovativ und erfolgreich: Euroimmun<br />
macht aktuell 150 Millionen Euro Umsatz,<br />
zu drei Vierteln im Ausland, 15 Prozent<br />
Rendite.<br />
Wird es knifflig, schalten Mediziner Stöcker<br />
und sein Vorzeigelabor ein. „Da analysieren<br />
wir schwierige Proben für die Laborärzte.“<br />
Kunden sind für Stöcker wie Ideenspender.<br />
„Etwa 1000 Laborärzte und -techniker<br />
kommen jedes Jahr nach Lübeck, geben<br />
uns Anregungen.“<br />
Was Euroimmun macht, hat Gewicht in<br />
der Medizin. Stöcker zertifiziert und berät<br />
Laborärzte beim Qualitätsmanagement.<br />
Stöcker setzt darauf, dass seine Leute<br />
machen, was er vorlebt. Gemeinsam Ziele<br />
entwickeln. Wie die jemand erreicht, ist<br />
dem Chef egal.<br />
Alle drei Monate tagen bei Euroimmun<br />
die 45 Abteilungsleiter. Da diskutieren<br />
dann alle, woran als Nächstes gearbeitet<br />
wird.<br />
Schönes machen Stöckers Leute nicht:<br />
Rattenleber und Schweinehirn in ultradünne<br />
Scheiben schneiden, um darauf<br />
Blutproben zu analysieren.<br />
»<br />
FOTO: STEFAN KRÖGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
RANG<br />
3<br />
Winfried<br />
Stöcker<br />
Euroimmun<br />
Labor-Reagenzien<br />
Mit der Technologie aus<br />
Lübeck können Laborärzte<br />
bessere Diagnosen stellen.<br />
Umsatz: 150 Millionen Euro<br />
Mitarbeiter: 1500<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 47<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
METHODE<br />
Formel des<br />
Erfolgs<br />
Wie im WirtschaftsWoche-Ranking<br />
Innovationen gemessen werden.<br />
Die Basis des WirtschaftsWoche-Rankings<br />
der innovativsten deutschen Mittelständler<br />
umfasste zunächst rund 3000<br />
deutsche Unternehmen mit einem Umsatz<br />
zwischen zehn Millionen und etwa einer<br />
Milliarde Euro. Die Münchner Unternehmensberatung<br />
Munich Strategy<br />
Group (MSG) analysierte deren Jahresabschlüsse<br />
und Firmenpräsentationen,<br />
führte Hunderte Gespräche mit Kunden<br />
und Verbänden sowie mit den Geschäftsführern,<br />
Inhabern und Beiräten der Unternehmen.<br />
EINE FRAGE DER KULTUR<br />
Von diesen 3000 wählte MSG – nach<br />
Auswertung der Experteninterviews und<br />
der Erfolgsanalyse – 400 Unternehmen<br />
aus. Für die so verbliebenen Mittelständler<br />
schuf MSG einen Vergleichswert, einen<br />
sogenannten Score, der für die Innovationskraft<br />
steht. In den Score fließt<br />
nicht nur die Zahl der neuen Produkte<br />
und deren Marktchancen ein. Er bewertete<br />
auch, in welchem Maß die Innovationskultur<br />
im Unternehmen verankert ist, etwa<br />
ob bei Innovationen alle Abteilungen<br />
eingebunden sind oder der Chef persönlich<br />
die Suche nach Neuem vorantreibt.<br />
Eine hohe Punktzahl vergaben die Berater<br />
etwa, wenn alle Unternehmensbereiche<br />
an den Innovationen beteiligt waren.<br />
Unternehmen, in denen sich nur eine<br />
Stabsstelle mit dem Thema Innovationen<br />
befasste, erreichten einen niedrigen<br />
Score. Auch die Umsatz- und Ertragskraft<br />
der Unternehmen floss in die Bewertung<br />
mit ein. „Innovationen sind kein Zufall,<br />
sondern entstehen dank einer fest implementierten<br />
und professionalisierten Innovationskultur“,<br />
sagt MSG-Gründer Sebastian<br />
Theopold.<br />
Zudem fragten die Berater nach den<br />
größten Hindernissen für Innovationen.<br />
Von staatlichen Regulierungen fühlen<br />
sich insbesondere die Chemiebetriebe<br />
gegängelt. Über den Mangel an qualifizierten<br />
Arbeitskräften klagen vor allem<br />
Maschinenbauer.<br />
Medizintechnik und Maschinenbau<br />
Die 50 innovativsten Mittelständler in Deutschland<br />
Rang<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
12<br />
13<br />
14<br />
15<br />
16<br />
17<br />
18<br />
19<br />
20<br />
21<br />
22<br />
23<br />
24<br />
25<br />
26<br />
27<br />
28<br />
29<br />
30<br />
31<br />
32<br />
33<br />
34<br />
35<br />
36<br />
37<br />
38<br />
39<br />
40<br />
41<br />
42<br />
43<br />
44<br />
45<br />
46<br />
47<br />
48<br />
49<br />
50<br />
Unternehmen/Sitz<br />
Karl Storz/Tuttlingen<br />
Uzin Utz/Ulm<br />
Euroimmun/Lübeck<br />
Aluplast/Karlsruhe<br />
Delo/Windach<br />
Eckert & Ziegler/Berlin<br />
Sanha/Essen<br />
Kaffee Partner/Osnabrück<br />
Multivac/Wolfertschwenden<br />
Spanner Re²/Neufahrn i. NB<br />
Arku Maschinenbau/Baden-Baden<br />
RIB Software/Stuttgart<br />
Flyeralarm/Würzburg<br />
SimonsVoss Technol./Unterföhring<br />
Röhm/Sontheim<br />
LPKF Laser &Electronics/Garbsen<br />
Murrelektronik/Opperweiler<br />
Hermle/Gosheim<br />
MorphoSys/Martinsried<br />
Neosid Pemetzrieder/Halver<br />
Protection One/Meerbusch<br />
Wiss. Gerätebau Knauer/Berlin<br />
Duo Plast/Lauterbach<br />
Vapiano/Bonn<br />
Becker Marine Systems/Hamburg<br />
Wilo/Dortmund<br />
Walter Rau/Neuss<br />
GK Software/Schöneck<br />
Elementar Analysensysteme/Hanau<br />
Vacom /Jena<br />
SenerTec/Schweinfurt<br />
Sikora/Bremen<br />
GS Elektromediz. Geräte/Kaufering<br />
Romaco Pharmatechnik/Karlsruhe<br />
2G Energy/Heek<br />
Mobotix/Langmeil<br />
HAP/Dresden<br />
Hauff-Technik/Herberechtingen<br />
HEWI Heinrich Wilke/Bad Arolsen<br />
Fissler/Idar-Oberstein<br />
Licos Trucktec/Markdorf<br />
Rhodius/Weißenburg<br />
Grünbeck/Höchstädt<br />
MEA Meisinger/Aichbach<br />
Ewald Dörken/Hagen<br />
Testo/Lenzkirch<br />
Atoss Software/München<br />
Hautau/Helpsen<br />
Oschatz/Essen<br />
Königsee Implantate/Allendorf<br />
Schwerpunkt<br />
Endoskope und medizin. Instrumente<br />
Spezialchemikalien, Klebstoff f. Bodenbeläge<br />
Medizinische Labordiagnostik (Reagenzien)<br />
Fensterprofile<br />
Industrieklebstoffe (Chips, Fotovoltaik, Auto)<br />
Strahlen- und Medizintechnik<br />
Verbindungstechnik<br />
Direktvertrieb Kaffeemaschinen<br />
Verpackungsmaschinen<br />
BHKW 3 (Holzgas)<br />
Richtmaschinen und Bandanlagen (Bleche)<br />
Techn. ERP-Lösungen für das Bauwesen<br />
Online-Druckerei<br />
Schließ- und Zutrittskontrollsysteme<br />
Spannmittel<br />
Maschinen zur Materialbearbeitung<br />
Schaltschrank- und Steuerungsanlagen<br />
Fräsbearbeitungszentren<br />
Biotechnologie (Antikörpertechnologie)<br />
Elektrobau-Komponenten (Spulen, Drosseln)<br />
24h-Live-Fernüberwachungstechnik<br />
Produzent von Laborgeräten<br />
Packmittel (Folien)<br />
Systemgastronomie<br />
Steuersysteme für Schiffe<br />
Hersteller von Pumpen und Pumpsystemen<br />
Veredelung von Pflanzenfetten & Ölen<br />
Store-Solutions (IT für Filialen)<br />
Analytik nicht-metallischer Elemente<br />
Vakuum und Messtechnik<br />
Mini-BHKW 3 (Gas, Kraftstoffe)<br />
Mess-, Regel- und Testgeräte<br />
Medizintechnik, Intensivmedizin<br />
Verpackungsmaschinen<br />
BHKW 3 (Gas)<br />
Hochauflösende Videosysteme<br />
Robotik und Automatisierungstechnik<br />
Kabel-, Rohr- und Leitungsdurchführungen<br />
Systemanbieter Baubeschlag und Sanitär<br />
Kochgeschirr<br />
Entwicklung von Wasserpumpenkupplung<br />
Schleifwerkzeuge<br />
Produkte zur Wasseraufbereitung<br />
Entwässerungstechnik<br />
Bauverbundfolien, Bautenfarben<br />
Portable und stationäre Messtechnik<br />
Software für Workforce Management<br />
Beschlagindustrie<br />
Anlagenbau und Energierückgewinnung<br />
Medizintechnik<br />
Umsatz 1<br />
(in Mio. €)<br />
1300<br />
2<strong>07</strong><br />
150<br />
250<br />
50<br />
120<br />
110<br />
100<br />
285 4<br />
25<br />
39<br />
39<br />
238<br />
48<br />
157<br />
115<br />
153<br />
303<br />
52<br />
16<br />
26<br />
17<br />
45<br />
290<br />
74<br />
1187<br />
333<br />
27<br />
42<br />
16<br />
42<br />
30<br />
38<br />
42<br />
167<br />
82<br />
19<br />
1105<br />
71<br />
111<br />
14<br />
128<br />
71<br />
100<br />
263<br />
220<br />
33<br />
45<br />
63<br />
18<br />
1 letzt verfügbare Zahl, teilw. geschätzt; 2 ermittelt aus Unternehmensperformance und Innovationskultur;<br />
3 Blockheizkraftwerke; 4 Deutscher Teilkonzern; Quelle: Munich Strategy Partners<br />
Innovations-<br />
Score 2<br />
191<br />
188<br />
187<br />
183<br />
181<br />
178<br />
177<br />
176<br />
172<br />
170<br />
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161<br />
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135<br />
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127<br />
126<br />
123<br />
121<br />
120<br />
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118<br />
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115<br />
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111<br />
109<br />
108<br />
1<strong>07</strong><br />
105<br />
1<strong>04</strong><br />
101<br />
FOTO: STEFAN KRÖGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
48 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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#Abgucker<br />
ALUPLAST | Der Fensterproduzent<br />
lässt sich <strong>vom</strong><br />
Know-how der Automobilbranche<br />
inspirieren. Mit<br />
erstaunlichem Erfolg.<br />
Was haben Fenster und Autos gemeinsam?<br />
Aus beiden guckt man raus. Banal?<br />
Aluplast macht trotzdem Innovationen daraus.<br />
Aluplast in Karlsruhe, 1250 Mitarbeiter,<br />
weltweit mehr als 20 Standorte, Umsatz<br />
250 Mio. €, ist viertinnovativster deutscher<br />
Mittelständler.<br />
Ausgefallener Einfall der beiden Brüder<br />
und Aluplast-Chefs Patrick und Dirk Seitz:<br />
Sie laden regelmäßig Autobauer zu sich<br />
ein.<br />
Die Badener haben die Erfahrung gemacht,<br />
dass Autobauer zu wichtigen Innovationen<br />
anregen.<br />
Dass Kunststofffenster energiesparend,<br />
bleifrei, recycelbar und schön sein müssen<br />
– geschenkt! Doch wie sie effizient herstellen?<br />
Die Autoindustrie besitzt Super-Knowhow<br />
in der Fertigung und bei Werkstoffen.<br />
Das schöpfen die Aluplast-Brüder ab.<br />
Jüngster Abgucker bei der Autoindustrie:<br />
Aluplast klebt die Scheiben in den Kunststoffrahmen,<br />
statt sie wie früher mechanisch<br />
zu befestigen.<br />
Noch eine Innovation à la Automobilindustrie:<br />
Aluplast produziert Fensterleisten,<br />
die vollautomatisch geformt werden<br />
können.<br />
RANG<br />
4<br />
Patrick und<br />
Dirk Seitz<br />
Aluplast<br />
Fensterprofile<br />
Die Fenster von Aluplast zeichnen<br />
sich dadurch aus, dass sie<br />
Energie sparen, bleifrei sind<br />
und die Kunststoffrahmen<br />
recycelt werden können.<br />
Umsatz: 250 Millionen Euro<br />
Mitarbeiter: 1250<br />
Die Aluplast-Brüder betätigen sich auch<br />
als Hellseher. Gerade grübeln sie, was wohl<br />
die wichtigsten Fenstertrends bis 2024<br />
sind.<br />
Patrick Seitz wagt eine Prognose: „Runde<br />
Fensterformen werden wiederkommen.“<br />
Jetzt liegen aber einmal die eckigen Fenster<br />
im Trend.<br />
#Multikulti-Unternehmer<br />
SANHA | Der Essener Rohrleitungshersteller findet Neues<br />
durch seine multikulturelle Belegschaft.<br />
Klingt erst mal langweilig. Sanha produziert<br />
Rohrleitungen und Verbindungsstücke.<br />
O Gott, o Gott! Hatten das<br />
nicht schon die Römer?<br />
Die Römer hatten Wasserleitungen, aber<br />
keine Rohre, die einfach mit Zange und<br />
Hammer zusammensteckbar waren!<br />
Sanha bietet als einziger Hersteller bleifreie<br />
Verbindungsstücke an, aus Siliziumbronze.<br />
Gut fürs Trinkwasser. Blei ist giftig.<br />
Firmen-Chef Bernd Kaimer ärgert sich:<br />
„Wir sind eine Branche hinter der Wand.<br />
Jeder kennt unsere Produkte, aber keiner<br />
sieht sie.“<br />
Unsichtbarkeit schadet nicht. Sanha,<br />
Platz 7 im Ranking der @wiwo, rund 110<br />
Millionen € Umsatz, 700 Mitarbeiter, ist<br />
Nummer vier in Europa.<br />
Neue Ideen sprudeln bei der Essener Firma<br />
so richtig seit dem Mauerfall 1989. Damals<br />
wagte Sanha den Sprung über die<br />
Grenze.<br />
Heute ist Sanha total international. Firmenchef<br />
Krämer: „Auch im mittleren Management<br />
arbeiten bei uns Leute aus der<br />
ganzen Welt.“<br />
Ob Polen, Engländer oder die Mitarbeiter<br />
im Werk Berlin, für Sanha ist die Mischung<br />
eine Art Innovationsmaschine.<br />
O-Ton Kaimer: „Jeder bringt die Mentalität<br />
aus seinem Heimatland mit. So gewinnen<br />
wir viele Perspektiven auf denselben<br />
Gegenstand.“<br />
Die Computer im Lager verstehen mehrere<br />
Sprachen. Deutsch ist nicht notwendig,<br />
um bei Sanha in Essen zu arbeiten.<br />
RANG<br />
7Sanha (Rohrleitungen)<br />
Umsatz:<br />
110 Millionen Euro<br />
Mitarbeiter:<br />
700<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 49<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
#Kommunikator<br />
KAFFEE PARTNER | Der Kaffeeautomaten-Distributor treibt<br />
seine Mitarbeiter mit Informationen zur Höchstleistung.<br />
RANG<br />
8<br />
Michael<br />
Koch<br />
Kaffee Partner<br />
Kaffeemaschinen<br />
Die Automaten von Kaffee<br />
Partner ordern selbstständig<br />
Nachschub und können aus<br />
der Ferne gewartet werden.<br />
Umsatz: 100 Millionen Euro<br />
Mitarbeiter: 500<br />
Die Zentrale – halb Cappuccino, halb<br />
Latte macchiato. Jede Etage eine kaffeebraune<br />
Wand, darüber Beton wie weißer<br />
Schaum.<br />
@kaffee_partner in Osnabrück stylt fast<br />
alles auf Milch und Mokka, auch die Wände<br />
in der Lobby. Man möchte am liebsten<br />
dran lecken.<br />
Große Ausnahme: Die Mitarbeiter des<br />
Kaffeegeräteherstellers in den Büros sind<br />
nicht von Mauern, sondern von Glas umgeben.<br />
Kaffee ist Kommunikation. Der Werbespruch<br />
scheint für @kaffee_partner auch<br />
nach innen zu gelten. Durch das Glas sieht<br />
jeder alles.<br />
Glas = Kommunikation = Innovation?<br />
Für Mitgründer Michael Koch wäre das zu<br />
kurz. Eher: Kontakt zu vielen = mehr Ideen<br />
= mehr Geschäft.<br />
Kommunikation ist bei @kaffee_partner<br />
eine Art Melange: Sichtkontakt + Intranet +<br />
drei (!!) Mitarbeiterzeitungen + ein Kundenblatt.<br />
Jeder Kaffee-Partner-Beschäftigte wird<br />
von seinem Arbeitgeber fast zugeschüttet<br />
mit Informationen über das Innen- und<br />
Außenleben des Unternehmens.<br />
Beispiel Außendienstler: Wer einen neuen<br />
Verkaufskniff findet, bekommt ein Heldenporträt<br />
in der hausinternen Zeitung.<br />
Bevor neue Mitarbeiter in ihre Glaskästen<br />
einziehen dürfen, müssen sie sämtliche<br />
Abteilungen der Firma @kaffee_partner<br />
durchlaufen.<br />
Was @kaffee_partner ersann, wird oft<br />
kopiert: Fernwartung von Kaffeemaschinen,<br />
per Telemetrie, 2012 eingeführt.<br />
Denkende Maschinen: Entdeckt der Apparat<br />
beim Kunden einen Fehler, schlägt er<br />
Alarm – bei @kaffee_partner.<br />
Die Kaffeemaschine denkt, @kaffee_partner<br />
lenkt (per Fernwartung). Geht<br />
der Kaffee zur Neige, ordert die Maschine<br />
Nachschub.<br />
@kaffee_partner ist gut im Geschäft:<br />
rund 100 Millionen Euro Umsatz 2013,<br />
auch mit anderen Marken wie @kaffee_partner<br />
Shop.<br />
Kein Unternehmen liefert mehr Kaffeemaschinen<br />
an deutsche Mittelständler<br />
zwischen 3 und 300 Mitarbeitern als @kaffee_partner.<br />
Das interne Blatt für die Vertriebler bei<br />
@kaffee_partner heißt „Geräte-Außendienst-Zeitung“.<br />
Geht nicht gerade runter<br />
wie Café au lait?<br />
Kleiner Tipp an Kaffee-Partner-Mitgründer<br />
Koch: Wie wär’s mit „Der Ausschenker“.<br />
Oder mit „Der Barista“?<br />
n<br />
FOTO: STEFAN KRÖGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
50 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»Das Vertrauen ist wieder da«<br />
INTERVIEW | Frédéric Oudéa Der Vorstandschef der französischen Großbank Société Générale will die<br />
Finanzkrise abhaken, fordert von Paris Reformen und will in Deutschland zulegen.<br />
Monsieur Oudéa, die Société Générale ist<br />
die am stärksten in Russland engagierte<br />
Bank Europas. Wie besorgt sind Sie?<br />
Unser Risiko ist begrenzt. In der Ukraine<br />
sind wir so gut wie nicht vertreten, unsere<br />
Kredite in Russland machen weniger als<br />
fünf Prozent unseres Gesamtengagements<br />
aus. Wir haben vorsichtig agiert und darauf<br />
geachtet, dass unser Wachstum vor allem<br />
aus lokaler Finanzierung hervorgeht. Bislang<br />
sind unsere russischen Aktivitäten<br />
nicht beeinträchtigt. In den nächsten<br />
Quartalen wird die Wirtschaft weniger<br />
wachsen, aber mittel- bis langfristig sehe<br />
ich für uns gute Chancen.<br />
Eine Eskalation der Krise und harte<br />
wechselseitige Sanktionen würden Sie<br />
aber empfindlich treffen, oder?<br />
Wir rechnen mit einem weiteren diplomatischen<br />
Dialog und moderaten Sanktionen,<br />
solange der Konflikt auf die Krim beschränkt<br />
bleibt. Dafür sind die wirtschaftlichen<br />
Verbindungen viel zu eng. Europa<br />
braucht dringend Wachstum. Das wird es –<br />
außer vielleicht in Deutschland – kaum<br />
durch mehr Staatsausgaben und mehr<br />
Konsum geben, sondern nur durch höhere<br />
Exporte und Investitionen. Russland bleibt<br />
ein besonders wichtiger Markt. Für die Politik<br />
steht zu viel auf dem Spiel. Euroskeptische<br />
Parteien gewinnen in vielen Ländern<br />
Stimmen, weil es zu wenig Wachstum gibt.<br />
Das gilt auch für Frankreich. Wird die<br />
Regierung wegen der Niederlage bei den<br />
Kommunalwahlen von ihrem vorsichtigen<br />
Reformkurs abweichen?<br />
Einen Rückzieher kann sie sich kaum leisten.<br />
Wir brauchen dringend weitere Strukturreformen.<br />
Die Staatsausgaben müssen<br />
sinken, damit die Steuern für Unternehmen<br />
und Privathaushalte sinken<br />
können. Die Unternehmensgewinne<br />
sind insbesondere<br />
wegen der hohen Steuern<br />
und Sozialabgaben unter<br />
Druck. Das hält von Investitionen<br />
ab, und ohne die gibt<br />
es kein Wachstum. Es müssen<br />
nicht alle Reformen auf einen<br />
Schlag passieren. Aber wir<br />
DER KRISENGEWINNER<br />
Oudéa, 50, wurde 2008<br />
Chef der Societé Générale,<br />
nachdem sein Vorgänger<br />
wegen des Skandals<br />
um den Trader Jerôme<br />
Kerviel gehen musste.<br />
Oudéa ist Absolvent<br />
zweier Elitehochschulen.<br />
brauchen einen klaren und verlässlichen<br />
Plan, um Vertrauen wieder aufzubauen.<br />
Sollte die EZB das Wachstum durch eine<br />
erneute Zinssenkung fördern?<br />
Wenn überhaupt, ginge es hier nur um<br />
symbolische Schritte mit dem Ziel, den<br />
Wert des Euro im Verhältnis zum US-Dollar<br />
zu schwächen und damit die Exporte<br />
anzukurbeln. Dazu dürfte es aber ohnehin<br />
kommen. Die US-Wirtschaft läuft immer<br />
besser, die Notenbank Fed bereitet einen<br />
Zinsanstieg vor, während die EZB die Zinsen<br />
wohl für lange Zeit niedrig halten wird.<br />
Wettbewerbsfähigkeit kann aber nicht auf<br />
Dauer von der Geldpolitik abhängen.<br />
Natürlich nicht, die einzelnen<br />
Volkswirtschaften müssen<br />
sich in ihrer Leistungsfähigkeit<br />
annähern. Dafür sind<br />
weitere Reformen auf dem<br />
Arbeitsmarkt und im Steuerrecht<br />
nötig. Zusätzlich brauchen<br />
wir mehr europäische<br />
Integration. In Schlüsselindustrien<br />
wie Energiever-<br />
»<br />
FOTO: FOTOGLORIA/LUZPHOTO/SIMONE PEROLARI<br />
52 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
sorgung und Telekommunikation fehlt<br />
ein einheitlicher gesetzlicher Rahmen.<br />
Als Schritt zu mehr Gemeinsamkeit geht<br />
in diesem Jahr die Bankenunion mit einer<br />
gemeinsamen Aufsicht über die größten<br />
Institute an den Start. Was erwarten Sie?<br />
Die Krise hat zu einer starken Fragmentierung<br />
der europäischen Finanzmärkte geführt.<br />
Jedes Land hat versucht, nationale<br />
Ersparnisse zu nutzen, um die eigene Wirtschaft<br />
zu finanzieren. Für eine internationale<br />
Großbank ist es enorm aufwendig,<br />
wenn sie in jedem Land andere Regeln beachten<br />
und umsetzen muss. Die einheitliche<br />
Regulierung wird das Bankensystem<br />
effektiver und leistungsfähiger machen.<br />
Zuerst müssen die Banken eine Bilanzprüfung<br />
und einen Stresstest bestehen.<br />
Natürlich will die EZB sicherstellen, dass<br />
die Banken gesund sind, bevor sie die Aufsicht<br />
übernimmt. Ich sehe darin keine Gefahr,<br />
sondern eine Chance. Wenn der Test<br />
zeigt, dass die Institute in guter Form sind,<br />
können wir sieben Jahre nach dem Ausbruch<br />
das Kapitel Bankenkrise schließen<br />
und uns auf Wachstum konzentrieren.<br />
Sie klingen sehr optimistisch. Wenn das<br />
Ergebnis zu positiv ausfällt, wird das Vertrauen<br />
in die Banken nicht zurückkehren.<br />
Es ist doch längst wieder da. Große Banken<br />
können problemlos Anleihen begeben und<br />
Einlagen einsammeln. Sie haben bereits eine<br />
Menge unternommen, um ihre Bilanzen<br />
zu stärken. Einige planen, noch vor der<br />
Prüfung Kapital aufzunehmen.<br />
Besteht die Société Générale den Test?<br />
Würden die verschärften Kapitalanforderungen<br />
des Regelwerks Basel III nicht erst<br />
2018, sondern schon heute komplett gelten,<br />
kämen wir aktuell auf eine Kernkapitalquote<br />
von zehn Prozent. Den Test sollten<br />
Banken bestehen, wenn sie nicht unter<br />
5,5 Prozent fallen. Ich kann mir kein Szenario<br />
vorstellen, das uns an die Nähe dieser<br />
Schwelle befördern könnte.<br />
Wird es nach dem Test zur Konsolidierung<br />
unter Europas Banken kommen?<br />
Innerhalb von Ländern wie Spanien und<br />
Griechenland findet sie bereits statt, in<br />
Frankreich hat man sie schon vor Jahren gesehen.<br />
Die digitalen Technologien verändern<br />
das Kundenverhalten, die Banken müssen<br />
sich an neue Rahmenbedingungen anpassen<br />
und gleichzeitig investieren. Das fällt<br />
ihnen leichter, wenn sie eine gewisse Größe<br />
haben. Für die Souveränität Europas würde<br />
ich gerne drei bis fünf paneuropäische Banken<br />
sehen, die im globalen Kapitalmarktund<br />
Finanzierungsgeschäft wettbewerbsfähig<br />
sind. Große Unternehmen sollten nicht<br />
nur auf Kreditinstitute aus den USA, Großbritannien<br />
und Asien angewiesen sein.<br />
Es kann nicht die richtige Lektion aus der<br />
Krise sein, dass Banken größer werden.<br />
In der Krise sind vor allem solche Banken<br />
in die Bredouille geraten, die nicht differenziert<br />
genug waren und sich zu stark bei<br />
riskanten Hauskrediten engagiert hatten.<br />
Natürlich müssen Großbanken angemessen<br />
kapitalisiert und überwacht sein, um<br />
den Steuerzahler zu schützen...<br />
»Unser Ziel für Deutschland ist Wachstum im<br />
hohen einstelligen Prozentbereich«<br />
...der im Zweifel doch wieder für ihre Rettung<br />
einspringen muss.<br />
Die Gefahr ist deutlich geringer als vor der<br />
Krise. Das System ist sicherer geworden.<br />
Die Kapitalausstattung der Banken hat sich<br />
verdoppelt. Und wenn das nicht reicht,<br />
müssen sich nach den Regeln des europäischen<br />
Abwicklungsmechanismus zunächst<br />
Anleihegläubiger und dann Anleger<br />
mit Einlagen von mehr als 100 000 Euro beteiligen.<br />
Und es gibt den europäischen Abwicklungsfonds.<br />
Diese Polster hätten in der<br />
vergangenen Krise ausgereicht.<br />
Wie groß muss eine Bank heute sein?<br />
Größe ist kein Selbstzweck. Je größer eine<br />
Bank ist, desto mehr Kapital braucht sie<br />
Süd-Länder vorne<br />
Die wertvollsten Banken der Euro-Zone<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
Bank/Land<br />
Santander/Spanien<br />
BNP Paribas/Frankreich<br />
BBVA/Spanien<br />
Nordea Bank/Schweden<br />
Intesa Sanpaolo/Italien<br />
UniCredit/Italien<br />
Société Générale/Frankreich<br />
Deutsche Bank/Deutschland<br />
Crédit Agricole/Frankreich<br />
CaixaBank/Spanien<br />
Quelle: Bloomberg<br />
Börsenwert<br />
in Mrd. €<br />
81,4<br />
71,6<br />
51,6<br />
42,4<br />
41,2<br />
39,0<br />
37,3<br />
33,8<br />
29,8<br />
24,1<br />
und desto strenger wird sie überwacht. Es<br />
kommt auf eine wettbewerbsfähige Größe<br />
an in den für das eigene Geschäft relevanten<br />
Segmenten und bei den Kunden. Wir<br />
sind im Investmentbanking vor allem im<br />
Aktiengeschäft stark und wollen uns auch<br />
darauf konzentrieren. Das gilt ebenso für<br />
die Finanzierung von Energie und Infrastruktur.<br />
Unser Private Banking in Asien haben<br />
wir verkauft, weil wir mittelfristig nicht<br />
auf die erforderliche Größe gekommen wären.<br />
Unsere Vermögensverwaltung haben<br />
wir mit Crédit Agricole zusammengelegt.<br />
Wir fokussieren uns auf Kerngeschäfte.<br />
Würde der Kauf der deutschen Commerzbank<br />
dazu passen?<br />
Nein. Der deutsche Markt für Privatkunden<br />
ist wenig profitabel. Wir sind nicht daran<br />
interessiert, unserem Geschäft nur Größe<br />
ohne ausreichende Synergien hinzuzufügen.<br />
Unsere Priorität liegt klar auf organischem<br />
Wachstum.<br />
Welche Ziele haben Sie in Deutschland?<br />
Wir sind in Segmenten wie zum Beispiel<br />
Leasing, Handelsfinanzierung und Investmentbanking<br />
gut vertreten und wollen<br />
weiter investieren. Unser Ziel ist Wachstum<br />
im hohen einstelligen Prozentbereich.<br />
Welche Renditen sind für Banken künftig<br />
noch realistisch?<br />
Bis Ende 2015 wollen wir eine Eigenkapitalrendite<br />
von zehn Prozent erreichen. Das<br />
ist weniger als bei den meisten Industrieunternehmen,<br />
aber höher als unsere<br />
Kapitalkosten. Das scheint mir eine angemessene<br />
Profitabilität zu sein.<br />
Früher waren die Zeile ehrgeiziger, heute<br />
redet die Branche <strong>vom</strong> Kulturwandel<br />
Das tun wir auch und zu Recht. Wir wollen<br />
verhindern, dass Leute bei uns arbeiten,<br />
die nur darauf aus sind, ihren persönlichen<br />
Profit zu maximieren.<br />
Der Händler Jérôme Kerviel, der mit<br />
Spekulationsgeschäften einen Milliardenverlust<br />
auslöste, arbeitete bei der Société<br />
Générale. Wäre ein solcher Fall heute<br />
noch möglich?<br />
Fehlverhalten eines Einzelnen können wir<br />
nie komplett ausschließen. Der Oberste<br />
Gerichtshof hat Kerviel strafrechtlich in allen<br />
Punkten schuldig gesprochen, aber<br />
auch auf Schwächen der bankinternen<br />
Kontrollsysteme hingewiesen. Wir haben<br />
Hunderte von Millionen Euro in neue Systeme<br />
investiert und viele Handlungsabläufe<br />
geändert. Wenn die Geschäfte von heute<br />
in einigen Jahren nicht zu Altlasten geworden<br />
sind, waren wir erfolgreich.<br />
n<br />
karin.finkenzeller@wiwo.de | Paris,<br />
cornelius.welp@wiwo.de | Frankfurt<br />
54 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Ändere dich oder stirb<br />
UNIQLO | In seinem Heimatland ist der japanische Bekleidungsriese ein Mega-Erfolg, in den USA der<br />
große Renner. Jetzt drängt der dickköpfige Konzernchef Tadashi Yanai nach Deutschland und will<br />
Zara und H&M überholen – indem er alles anders macht.<br />
Kauft hier wirklich jemand ein? Jede<br />
Öffnung in den endlosen Regalwänden<br />
ist bis zum Anschlag mit identischen<br />
Socken, Hemden und Pullovern gefüllt.<br />
An den Kleiderstangen hängen die<br />
immer gleichen Klamotten. Selbst die Textilien<br />
an den Schaufensterpuppen wirken<br />
unauffällig. Nur Größen und Farben sorgen<br />
für Abwechslung – und zwei rote Würfel<br />
mit dem Wort Uniqlo in japanischer und<br />
westlicher Schrift.<br />
Die seltsame Buchstabenfolge mit der<br />
sperrig spröden Anmutung stammt <strong>vom</strong><br />
Englischen „unique clothing“ und heißt<br />
auf Deutsch so viel wie „einzigartige Kleidung“.<br />
Doch ob Kunstwort oder der zwölfstöckige<br />
Flagship-Store auf der Einkaufsmeile<br />
Ginza in Tokio: Die Widersprüchlichkeit<br />
der Marke, die in Japan und Asien<br />
riesige Erfolge feiert, in den USA auf die<br />
Überholspur wechselt und nun auch nach<br />
Deutschland kommt, ist unübersehbar.<br />
Von wegen Einzigartigkeit – Uniqlo liefert<br />
das krasse Gegenteil, einfache textile<br />
Alltags-Basics. Von der Unterwäsche über<br />
Jeans bis zum Anorak, Ausgefallenes, gar<br />
für Individualisten oder besondere Anlässe,<br />
ist nicht vorgesehen, stattdessen „Life<br />
Wear“, also das, was man zum Leben halt<br />
so braucht. „Vom Teenager bis zur Großmutter<br />
sollen die Kunden unsere Kleidung<br />
so kombinieren können, dass sie damit gut<br />
aussehen“, sagt Design-Vorstand Yukihiro<br />
Katsuta in der Konzernzentrale im hippen<br />
Stadtviertel Tokyo Midtown.<br />
Vom 11. April an will der japanische<br />
Mutterkonzern Fast Retailing auch die<br />
Deutschen mit seiner Einheitsware beglücken.<br />
Dann eröffnet nahe der Berliner Gedächtniskirche<br />
die erste deutsche Uniqlo-<br />
Bunte Einheitsware Weltweit betreibt der<br />
japanische Einzelhändler inzwischen fast<br />
1300 Uniqlo-Läden<br />
Filiale und wirft Peek & Cloppenburg auf<br />
der anderen Straßenseite den Fehdehandschuh<br />
hin. Mit 2700 Quadratmetern Verkaufsfläche<br />
auf drei Etagen wird der Laden<br />
das größte Kaufhaus der Marke in Europa,<br />
nachdem Fast Retailing in Frankreich und<br />
England schon Fuß gefasst hat.<br />
GANG ÜBER DEN GLOBUS<br />
Der Schritt auf den größten und am härtesten<br />
umkämpften Markt Europas symbolisiert<br />
die globalen Ambitionen des japanischen<br />
Angreifers. Aktuell betreibt Fast Retailing<br />
in Japan 856 und im Ausland 512<br />
Uniqlo-Geschäfte. In diesem Jahr geht der<br />
Konzern außer in Deutschland auch in<br />
Australien an den Start und plant, weltweit<br />
jährlich bis zu 300 neue Läden zu eröffnen.<br />
Bis 2020 will Fast Retailing mit heute<br />
82000 Mitarbeitern den Umsatz auf 35 Milliarden<br />
Euro mehr als vervierfachen und damit<br />
die größeren Rivalen Inditex (Zara) aus<br />
FOTOS: NYT/REDUX/LAIF/HIROKO MASUIKE; REUTERS/CHARLES PLATIAU<br />
56 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Spanien, H&M aus Schweden und GAP aus<br />
den USA überholen. In Japan und Asien ist<br />
Uniqlo bereits die Nummer eins.<br />
„Wir sind durch organisches Wachstum<br />
auch ohne Zukäufe unterwegs zum globalen<br />
Marktführer“, gibt sich Gründer und Konzernchef<br />
Tadashi Yanai überzeugt. Schon in<br />
zwei Jahren will er mehr im Ausland als in Japan<br />
einnehmen. Fast Retailing ist das wertvollste<br />
Unternehmen im Nikkei-Index. Yanai<br />
will mit dem Gang über den Globus sein Lebenswerk<br />
krönen. Mit seinen knapp 46 Prozent<br />
an Fast Retailing, die 12,4 Milliarden<br />
Euro wert sind, ist er der reichste Japaner.<br />
Wer die Anfänge des heute 65-jährigen<br />
klein gewachsenen Mannes mit dem grauen<br />
Stoppelhaar und den abstehenden Ohren<br />
kennt, hätte diesen Erfolg niemals für<br />
möglich gehalten. Zwischen zwei Schwestern<br />
wuchs Yanai als einziger Sohn beschützt<br />
in der Wohnung über dem väterlichen<br />
Geschäft für Herrenanzüge in Japans<br />
Textilregion Yamaguchi auf. Das Studium<br />
der Wirtschaft und Politik an der renommierten<br />
Waseda-Universität in Tokio verbrachte<br />
er weniger im Hörsaal, sondern<br />
mehr an Mahjong-Spieltischen und Pachinko-Flipperautomaten.<br />
Chef und Tennisstar<br />
Gründer Yanai (rechts) mit<br />
Werbepartner Novak Djokovic<br />
Auch der erste Job beim japanischen<br />
Einzelhändler Aeon weckte bei dem Unternehmersprössling<br />
keine Arbeitslust. Lieber<br />
half der damals 23-Jährige ein bisschen im<br />
Geschäft seines Vaters aus und vergrätzte<br />
die Mitarbeiter. Sieben der acht Angestellten<br />
hörten auf, weil sie sich <strong>vom</strong> Junior des<br />
Chefs schlecht behandelt fühlten. Yanai<br />
blieb nur, der Not zu gehorchen und alle<br />
Arbeiten <strong>vom</strong> Wareneinkauf bis zur Buchhaltung<br />
selbst zu erledigen. Für den verzogenen<br />
Twen war dies offenbar die Initialzündung.<br />
Der Vater drückte ihm den Firmenstempel<br />
und das Sparbuch in die<br />
Hand, so lernte er das Geschäft von der<br />
Pike auf. Das Gefühl der Verantwortung,<br />
das elterliche Geschäft nicht pleitegehen<br />
zu lassen, weckte Ernst und Eifer in Yanai.<br />
Dennoch dauerte es ein Jahrzehnt, bis<br />
Yanai den Handel mit Anzügen aufgab.<br />
Nachdem zwei mächtige Konkurrenten<br />
landesweit expandiert waren, verlegte er<br />
sich auf Freizeitkleidung. Zudem war sich<br />
Yanai sicher, dass sich hochwertige Feierabendmode<br />
gut verkaufen ließ, wenn nur<br />
der Preis stimmt. Der Kurswechsel spiegelte<br />
sich im ersten eigenen Geschäft wider,<br />
das er Unique Clothing Warehouse nannte<br />
und bald mit Uniqlo abkürzte.<br />
Dazu kam die Begegnung mit dem Chinesen<br />
Jimmy Lai in Hongkong. Lai war mit<br />
der Textilkette Giordano und der gleichnamigen,<br />
komplett selbst produzierten<br />
Marke reich geworden. Vom Entwurf über<br />
den Stoffeinkauf bis zur Vermarktung hielt<br />
Lai alles in Händen und schaltete Zwischenhändler<br />
aus. „Was Lai gelang, sollte<br />
ich auch schaffen“, machte sich Yanai Mut.<br />
Er lagerte die Produktion nach China aus<br />
und siedelte Filialen in Vorstädten an. Die<br />
Einsparungen gab er an die Kunden weiter.<br />
Schon 1991 ging er als Fast Retailing an<br />
die Börse und baute die Kette rasant aus.<br />
JIL SANDER AN BORD<br />
Dabei bewies er Dickkopf und Durchhaltevermögen.<br />
Während der Dauerrezession in<br />
Japan in den Neunzigerjahren dominierte<br />
Yanai bald den Markt. Seine Niedrigpreise<br />
verursachten jedoch einen so negativen<br />
Ruf, dass die Japaner dafür gar das Wort<br />
„Unibare“ erfanden. Es beschrieb das peinliche<br />
Gefühl, als Uniqlo-Träger ertappt zu<br />
werden. Yanai kümmerte das nicht. Stattdessen<br />
erweiterte er nach der Jahrtausendwende<br />
sein Angebot für Frauen und expandierte<br />
gen Westen, teils auch durch Zukäufe.<br />
Neben den 1368 Uniqlo-Läden betreibt<br />
Fast Retailing schon 1200 weitere<br />
Textilfilialen, etwa die Billigkette GU.<br />
Heute ist das miese Image vergessen.<br />
„Anders als vor zehn Jahren tragen die Leute<br />
ihre Uniqlo-Sachen inzwischen nicht<br />
mehr nur versteckt drunter“, sagt De-<br />
»<br />
Auf Expansionskurs<br />
Entwicklung des Uniqlo-Mutterkonzerns Fast Retailing*<br />
Umsatz (in Mrd. €) Gewinn (in Mrd. €) Direkt betriebene Läden<br />
4,3<br />
808<br />
843 845 853<br />
4,2<br />
4,3<br />
4,8<br />
5,0<br />
866<br />
Uniqlo<br />
Japan<br />
0,9<br />
0,7<br />
0,7<br />
0,7<br />
0,8<br />
Uniqlo<br />
International<br />
0,5 136 0,7 181<br />
0,<strong>04</strong><br />
0,06<br />
292<br />
1,1<br />
0,08<br />
446<br />
1,8<br />
0,1<br />
2,4<br />
0,2<br />
629<br />
1169<br />
1064 1085 1150<br />
1261<br />
Sonstige<br />
globale<br />
Marken<br />
0,9<br />
0,05<br />
0,9<br />
1,1<br />
1,4<br />
0,06<br />
0,1<br />
0,1<br />
1,7<br />
0,2<br />
2010<br />
2011<br />
2012 2013 <strong>2014</strong><br />
*Geschäftsjahr <strong>vom</strong> 1. September bis 31. August; Quelle: Unternehmen<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 57<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Stau in Manhattan In New York betreiben<br />
die Japaner einen Vorzeigeladen auf der<br />
teuren Fifth Avenue<br />
»<br />
sign-Chef Katsuta. Schließlich fänden<br />
japanische Touristen ein Uniqlo-Kaufhaus<br />
inzwischen auch in der New Yorker Fifth<br />
Avenue, der Londoner Oxford Street und<br />
der Shanghaier West Nanjing Road. Zum<br />
Imagewandel beigetragen hat maßgeblich<br />
jedoch die Zusammenarbeit mit der deutschen<br />
Star-Designerin Jil Sander, die mit<br />
ihrer minimalistischen Handschrift von<br />
2009 bis 2011 für Uniqlo die hochwertige,<br />
aber bezahlbare Kollektion „+J“ entwarf.<br />
Yanai ist es so gelungen, Uniqlo ein neues<br />
Outfit zu verpassen und damit die Bekleidungsbranche<br />
zumindest in Japan umzukrempeln.<br />
„Die Uniqlo-Revolution besteht<br />
darin, dass Arme und Reiche diese<br />
Kleidung tragen“, sagt der Unternehmensberater<br />
Kensuke Kojima und Autor des Buches<br />
„Das Uniqlo-Syndrom“.<br />
Wie konnte das trotz Finanzkrise und der<br />
Konkurrenz durch Online-Handel gelingen?<br />
Mit der Antwort, die Yanai gibt, verballhornt<br />
er seinen Konzernnamen Fast<br />
Retailing, zu Deutsch: schnelles Verkaufen,<br />
geradezu. „Slow fashion“, langsame Mode,<br />
nennt er seine Uniqlo-Strategie. Während<br />
Konkurrenten wie Zara, H&M oder Esprit<br />
alle drei Monate ihr Sortiment wechseln,<br />
lässt sich Uniqlo Zeit und wendet für die<br />
Entwicklung eines Produktes ein Jahr auf.<br />
Design, Farben und Verarbeitung sollen so<br />
zeitlos und hochwertig sein wie ein Bauhaus-Möbel<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts.<br />
Die Ware ist weltweit gleich, nur Ärmellängen<br />
und Konfektionsgrößen variieren.<br />
Yanais zweiter Erfolgsfaktor ist das gute<br />
Preis-Leistungs-Verhältnis. Der erste<br />
Uniqlo-Bestseller war eine Fleece-Jacke für<br />
umgerechnet 13 Euro, die sich jeder vierte<br />
Japaner zulegte. Inzwischen liegen Kaschmir,<br />
Leinen und hochwertige Baumwolle<br />
zu Niedrigpreisen im Laden. Fast Retailing<br />
kauft nach dem Aldi-Prinzip teure Materialien<br />
ein Jahr im Voraus in Riesenmengen<br />
ein und sichert sich dabei extrem günstige<br />
Konditionen. Kürzlich verarbeitete der<br />
Konzern auf einen Schlag acht Prozent der<br />
Weltjahresproduktion von Seide der beiden<br />
höchsten Gütestufen.<br />
Aktien-Info Fast Retailing<br />
ISIN:JP3802300008<br />
Index: 1.1.2011 =100<br />
450<br />
400<br />
350<br />
Fast Retailing<br />
300<br />
250<br />
Inditex<br />
120<br />
150<br />
100<br />
H&M<br />
50 2011 2012 2013 <strong>2014</strong><br />
Umsatz (in Millionen Euro)<br />
Mitarbeiter<br />
Gewinn (Ebit, in Millionen Euro)<br />
Umsatzrendite (in Prozent)<br />
Eigenkapitalrendite (in Prozent)<br />
Kurs (in Euro, Börse Frankfurt)<br />
KGV<br />
Börsenwert (in Milliarden Euro)<br />
Geschäftsjahr zum 31.8.2013<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Quelle:Thomson Reuters, Bloomberg,<br />
Unternehmen<br />
Fast Retailing<br />
9680<br />
47 517<br />
1126<br />
11,6<br />
19,<strong>07</strong><br />
260,26<br />
35,96<br />
27,98<br />
Hoch<br />
Zwar verbünden sichdie Japanernichtmehrwie noch<br />
voreinigen Jahren mitStar-Designernwie Jil Sander,<br />
dafürpunkten sie weltweitmit guter Qualität und<br />
Kleidung mitZusatzfunktionen, diesie weniger<br />
anfälligmachtfür Modetrends undKonjunktur.<br />
Das Risiko, auf der Ware sitzen zu bleiben,<br />
ist für Fast Retailing begrenzt, da sich<br />
Uniqlo <strong>vom</strong> schnellen Modezyklus abzusetzen<br />
versucht. Bei den Kunden kommt<br />
das an: „Ich kann es mir nicht leisten, ständig<br />
Neues zu kaufen, das nach dem dritten<br />
Waschen zerfällt“, begründet eine japanische<br />
Studentin ihren Einkauf bei Uniqlo.<br />
Yanais dritter Erfolgsfaktor ist innovatives<br />
Funktionsgewebe. Mit „AIRism“ hat<br />
Fast Retailing ein dehnbares Gewebe aus<br />
atmungsaktiven Mikrofasern entwickelt,<br />
das Schwitzflecken verhindert, Geruch<br />
neutralisiert und die Haut feucht hält. „In<br />
diesem Material steckt ein enormer Aufwand<br />
an Forschung und Entwicklung, den<br />
keiner außer uns betreibt“, betont Vertriebschef<br />
Shuichi Nakajima.<br />
Umgekehrt hält das speziell strukturierte<br />
Mikroacryl-Gewebe namens „Heattech“<br />
etwa für Unterwäsche und Socken den<br />
Körper warm und erzeugt durch natürliche<br />
Aminosäuren ein samtiges Tragegefühl.<br />
Form und Funktion bleiben beim Waschen<br />
erhalten. „Dank der hohen Funktionalitäten<br />
setzt sich Uniqlo im stark umkämpften<br />
Niedrigpreissegment durch“, meint Helene<br />
Burger von der Unternehmensberatung<br />
Roland Berger in Japan.<br />
KLEINER BEUTEL<br />
Die jüngste dieser „Japan-Technologien“,<br />
mit denen Uniqlo wirbt, nennt sich „Ultra<br />
Light-down“, federleichte Jacken und Westen,<br />
die warm halten, nicht auftragen und<br />
in einen kleinen Beutel passen, den der<br />
Kunde dazu bekommt. Das Obermaterial<br />
der Kleidungsstücke besteht aus extrem<br />
dünnen Kunstfasern, die durch eine Spezialbehandlung<br />
so dicht gepackt sind, dass<br />
sich Daunenpolster ohne eigenen Bezug<br />
einnähen lassen. Materiallieferant ist der<br />
japanische Kunstfaserspezialist Toray, der<br />
auch das ultraleichte Karbon für die<br />
Dreamliner von Boeing produziert. Drei<br />
Toray-Entwickler sind von Anfang an in<br />
den Designprozess integriert. Toray liefert<br />
exklusiv an Uniqlo und betreibt eine eigene<br />
Fabrik für die Spezialmaterialien.<br />
Konzernchef Yanai weiß, dass er mit seiner<br />
Expansion den Kampf um die globale<br />
Führung im Bekleidungsgeschäft anzettelt,<br />
und hat seine Belegschaft in Japan entsprechend<br />
eingeschworen. „Unsere internationalen<br />
Gegner Zara, H&M und Gap sind<br />
nicht leicht zu schlagen, und wir müssen<br />
FOTO: MAURITIUS IMAGES/ALAMY<br />
58 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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auch mit Adidas, Nike und LVMH konkurrieren“,<br />
sagte er Anfang März vor 4000 Mitarbeitern<br />
in Tokio. „Ich verlange von jedem<br />
Verkäufer die doppelte Effizienz.“ Jede<br />
Uniqlo-Filiale müsse darum kämpfen, am<br />
meisten zu verkaufen. „Ich mache 50 neue<br />
Läden auf und 50 erfolglose Läden zu“,<br />
drohte er. Allein die Uniqlo-Geschäfte in<br />
Japan sollen pro Jahr 700 Millionen Euro<br />
mehr Umsatz bringen.<br />
Damit verrät Yanai gleichzeitig eine gewisse<br />
Nervosität. Denn der Vorstoß auf<br />
westliche Märke geht richtig ins Geld. So<br />
schreibt Uniqlo in den USA auch nach fast<br />
einem Jahrzehnt rote Zahlen. Japan bleibt<br />
daher das Rückgrat des Konzerns. Im halb<br />
abgelaufenen Geschäftsjahr <strong>2014</strong> wird Fast<br />
Retailing nur 55 Prozent der Einnahmen,<br />
aber 80 Prozent des operativen Gewinns in<br />
Japan erzielen. Daher darf die Textilkette in<br />
der Heimat nicht ins Schlingern geraten.<br />
Doch die schnell alternde und schrumpfende<br />
Bevölkerung macht dem Umsatz<br />
ebenso zu schaffen wie neue Konkurrenz,<br />
die Uniqlo schamlos kopiert. Als Gegenmaßnahme<br />
schließt der Konzern inzwischen<br />
kleine Filialen in den Vororten und<br />
eröffnet größere Kaufhäuser in zentralen<br />
Lagen. Dort lässt sich mehr Umsatz pro<br />
Quadratmeter Verkaufsfläche erwirtschaften.<br />
Der Wandel gipfelte vor zwei Jahren in<br />
der Eröffnung eines Uniqlo-Kaufhauses<br />
auf der teuersten Tokioter Einkaufsstraße.<br />
SCHWARZE LISTEN<br />
Auf die Weise verschafft Yanai zwar seiner<br />
wichtigsten Marke Respekt, nicht aber sich<br />
als Arbeitgeber. Fast Retail steht auf<br />
schwarzen Listen, die an Unis kursieren<br />
und vor Arbeitgebern warnen, die junge<br />
Leute en masse nach dem Studium als billige<br />
Arbeitskräfte einstellen. Japans Presse<br />
berichtet über Stress und Depressionen<br />
überarbeiteter Uniqlo-Beschäftigter. Jeder<br />
zweite Berufsanfänger, der von Uniqlo eingestellt<br />
wird, kündigt innerhalb von drei<br />
Jahren. Ein Grund dafür war, dass die Neuen<br />
sich schon nach sechs Monaten als Filialmanager<br />
qualifizieren mussten. Darauf<br />
verzichtet Uniqlo inzwischen.<br />
Dennoch ist der Arbeitsdruck enorm.<br />
Die Regale müssen jederzeit auf über 90<br />
Prozent aufgefüllt werden, um Kunden zu<br />
beeindrucken. Store-Chefs klagten, dass<br />
sie sich abends an der Stechuhr abmeldeten<br />
und dann zur Erfüllung ihres Pensums<br />
weiterarbeiteten. Um nicht ganz ins Abseits<br />
zu geraten, hat Yanai angeordnet, dass<br />
Uniqlo 16 000 Mitarbeiter mit befristeten<br />
Verträgen fest anstellt. Damit sichert er sich<br />
in Zeiten wachsenden Arbeitskräftemangels<br />
gute Leute. Seine Einstellung zu Mitarbeitern<br />
dürfte der Mittsechziger indes<br />
kaum geändert haben. Einer seiner Wahlsprüche<br />
hieß zeit seines Lebens: „Wer<br />
nicht schwimmen kann, soll untergehen.“<br />
Bei Ansprachen fordert er oft: „Ändere<br />
dich oder stirb“. Der Spruch hängt auch im<br />
Korridor zu seinem Büro. Den japantypischen<br />
Führungsstil, Mitarbeiter wie Familienangehörige<br />
zu behandeln und im Konsens<br />
zu entscheiden, sieht er als Einengung<br />
der unternehmerischen Freiheit.<br />
Gleichwohl besitzt Yanai die Stärke, zu<br />
seinen eigenen Fehlern zu stehen. Vor einem<br />
Jahrzehnt scheiterte er mit dem Versuch,<br />
sich auch im Lebensmittelhandel zu<br />
etablieren. Den Flop arbeitete er in dem<br />
Buch „Wie man seinen Erfolg an einem Tag<br />
wegwirft“ auf. Und seine Autobiografie betitelte<br />
er – ungewöhnlich in einem Land,<br />
wo Scheitern ein Makel ist – mit „Ein Sieg,<br />
neun Niederlagen“.<br />
n<br />
martin.fritz@wiwo.de | Tokio<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Ungeliebter Kumpel<br />
BOSTON CONSULTING GROUP | Innerhalb der Beratung tobt ein<br />
Kulturkampf. Ramponiert Deutschland-Chef Carsten Kratz die<br />
Identität und damit die Zukunft der intellektuellen Elitetruppe?<br />
Der Mann hat Wichtiges zu sagen, er<br />
ist hoch konzentriert, die Hände gehen<br />
auf und nieder, seine Stirn legt<br />
er in Dauerfalten, zieht die Augenbrauen<br />
so stark nach oben, dass das gewellt-gescheitelte<br />
Haar darüber sanft im Takt der<br />
Worte mitwippt. Damit die Videobotschaft<br />
gut rüberkommt, hat sein Arbeitgeber extra<br />
einen Teleprompter angeschafft, wie ihn<br />
auch die Tagesschau-Sprecher nutzen.<br />
„Was kann Deutschland tun, um seine Produktivität<br />
und Innovationskraft zu halten<br />
oder weiter auszubauen?“, liest der Mann<br />
mit angespannter Intensität vor. Ein großes<br />
Thema für wenig Zeit: Sechs Minuten und<br />
25 Sekunden dauert der Beitrag zur Optimierung<br />
der Nation.<br />
Der Mann heißt Carsten Kratz und ist als<br />
Deutschland-Chef der Boston Consulting<br />
Group (BCG) qua Amt berufen, gedankliche<br />
Anstupser auf höchstem Niveau zu geben.<br />
Die unter dem Motto „Gemeinsam<br />
mutig voranschreiten“ vor der Bundestagswahl<br />
2013 an Abgeordnete verschickte Ansprache<br />
beeindruckt aber eher als Parade<br />
der Plattitüden. „Kluge Familien- und<br />
Wirtschaftspolitik gehen Hand in Hand“,<br />
lautet ein Ratschlag. „Deutschland sollte<br />
sich auf Industriezweige konzentrieren<br />
und Unternehmen fördern, die in zukunftsfähigen<br />
Branchen tätig sind“, ein<br />
weiterer. Das Fazit: „Nur wenn das Boot gemeinsam<br />
für die Stürme der Weltwirtschaft<br />
seetauglich gemacht wird, wird es langfristig<br />
allen Insassen gut gehen.“<br />
Stagnierende Geschäfte bei Boston Consulting<br />
Umsatz in Deutschlandund Österreich<br />
(in Millionen Euro)<br />
600<br />
500<br />
400<br />
300<br />
Durchschnittliches<br />
jährliches Wachstum<br />
seit 20<strong>04</strong>: 8%<br />
seit 2011: 2%<br />
200<br />
20<strong>04</strong> 05 06 <strong>07</strong> 08 09 10 11 12 13 2009<br />
Quelle: Unternehmen<br />
Politiker haben die Ausführungen nur<br />
beiläufig zur Kenntnis genommen. Bei<br />
BCG haben sie umso mehr eingeschlagen –<br />
als Bumerang. Ungewollt haben sie Kratz’<br />
Gegenspielern Munition geliefert. Die werfen<br />
dem Deutschitaliener vor, den intellektuellen<br />
Schlussverkauf zu betreiben, eine<br />
langfristige Strategie der kurzfristigen Profitmaximierung<br />
zu opfern und abweichende<br />
Ansichten niederzubügeln. Wenn Kratz<br />
nicht gestoppt werde, ramponiere er Identität,<br />
Image und Erfolg der zweitgrößten<br />
Strategieberatung in Deutschland.<br />
TIEFPUNKT DES NIEDERGANGS<br />
Seit Kratz’ Berufung an die Spitze Ende<br />
2012 ist der interne Konflikt eskaliert. Kritiker<br />
sehen in der Personalie den vorläufigen<br />
Tiefpunkt eines vor Jahren eingeläuteten<br />
Niedergangs. „Die Kultur des Unternehmens<br />
war schon vor Kratz krank“, klagt ein<br />
hochrangiger Ex-BCGler. „Nun ist sie tot.“<br />
BCG galt einst als kreative Alternative<br />
zum als Kostenkiller gefürchteten Marktführer<br />
McKinsey, als erste Adresse für globale<br />
Wachstumsstrategien, als intellektueller<br />
Sparringspartner für Vorstandsvorsitzende.<br />
Konzepte wie die „BCG-Matrix“ zur<br />
Bewertung von Produkten anhand von Lebenszyklus<br />
und Marktanteil sind in Wissenschaft<br />
und Praxis tief verankert. In<br />
Deutschland prägte über Jahre der erste<br />
BCG-Landeschef Bolko von Oetinger das<br />
Bild. Ausgiebig befasste der sich zum Beispiel<br />
mit der Anwendbarkeit der Taktiken<br />
Neueinstellungen in Deutschland<br />
und Österreich<br />
170 170<br />
220 220<br />
180<br />
200<br />
10 11 12 13 14<br />
Weiß er wirklich,<br />
wo es langgeht?<br />
Umstrittener BCG-<br />
Deutschland-Chef Kratz<br />
des Preußengenerals Carl von Clausewitz<br />
auf das Management. Das brachte zwar<br />
kaum Geld ein, beförderte aber das Image.<br />
Die Zeiten unbehelligter Freigeisterei<br />
ohne zählbares Resultat sind vorbei, der<br />
Wettbewerb ist härter. Statt Vorständen<br />
entscheiden Einkaufsabteilungen über<br />
den Einsatz der Berater. Und von unten<br />
drängen Wirtschaftsprüfer in den Markt,<br />
die nicht ganz so intellektuell auftreten, deren<br />
Tagessätze aber auch nur halb so hoch<br />
sind wie die der vermeintlichen Elite.<br />
Dass Anpassungen erforderlich sind,<br />
leugnet darum kaum jemand. Doch etliche<br />
BCGler fürchten, dass die Führung den<br />
Wandel überzieht und den Kern der Marke<br />
vaporisiert. Kratz und Konsorten seien<br />
beim tiefen Austausch mit Top-Managern<br />
über deren Strategie überfordert. Sonderlich<br />
einträglich war die Disziplin zwar nie.<br />
„Aber es ist wie in der Mode“, sagt ein Berater.<br />
„Sie müssen das extravagante Abendkleid<br />
im Programm haben, damit sie den<br />
Regenschirm teuer verkaufen können. Gibt<br />
es nur noch Konfektionsware, wird die immer<br />
austauschbarer – und preiswerter.“<br />
Kratz selbst weist die Kritik zurück:<br />
„BCG hat sich immer über Inhalte profiliert<br />
und soll weiter für Wertzuwachs, globale<br />
Expertise und Innovation stehen.“ Die Be-<br />
FOTO: BERND ROSELIEB<br />
60 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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atung biete ihren Kunden „signifikant höhere<br />
Wertschöpfung, was uns von Wettbewerbern<br />
abgrenzt und höhere Tagessätze<br />
rechtfertigt“. Letztlich zeige der Erfolg, dass<br />
sich BCG auf dem richtigen Kurs befinde.<br />
„Wir waren in den vergangenen Jahren<br />
weltweit die Beratung, die sich am erfolgreichsten<br />
entwickelt hat“, sagt Kratz.<br />
VERGIFTETE ATMOSPHÄRE<br />
In Deutschland lief es aber lange eher mau.<br />
2012 mussten sich die deutschen BCG-<br />
Partner mit Nullwachstum bescheiden,<br />
Anfang 2013 brach das Geschäft ein und<br />
berappelte sich bis zum Jahresende nur einigermaßen.<br />
BCG Deutschland schnitt mit<br />
vier Prozent Plus nicht nur schlechter ab<br />
als BCG weltweit – der Gesamtumsatz stieg<br />
um sechs Prozent auf 3,95 Milliarden Dollar<br />
–, sondern auch als der deutsche Markt,<br />
für den der Bundesverband der Unternehmensberater<br />
6,3 Prozent Plus errechnete.<br />
Aktuell wächst der Umsatz im zweistelligen<br />
Prozentbereich. Den Zwischenboom verdankt<br />
BCG vor allem einigen Großprojekten,<br />
etwa bei Bilfinger.<br />
Doch hinter der Fassade rumort es<br />
weiter. Kratz’ Gegner würden ihn lieber<br />
gestern als heute abservieren, etliche<br />
sollen in die innere Emigration gegangen<br />
sein. Die Atmosphäre ist so vergiftet, dass<br />
seine Feinde jede Kratz-Äußerung umgehend<br />
mit Spott bedenken. Als in der<br />
vergangenen Woche das Partnertreffen in<br />
Zagreb dem Streik der Piloten zum Opfer<br />
zu fallen drohte, schrieb Kratz in einer<br />
internen Mail, dass „ich noch mal direkt<br />
mit den Verantwortlichen bei der LH (Lufthansa)<br />
sprechen werde“. Prompt unterstellten<br />
ihm seine Gegner Allmachtsfantasien:<br />
Ihr Chef werde wohl nicht nur den<br />
Pilotenstreik, sondern bald auch die<br />
Krim-Krise lösen.<br />
Kratz, da sind sich selbst seine Feinde einig,<br />
hat Qualitäten. Die Stärken des Wirtschaftsingenieurs<br />
liegen im Tagesgeschäft,<br />
in der Organisation großer Projekte, der<br />
exakten Planung einzelner Arbeitsschritte:<br />
Eines seiner Lieblingswörter ist „durchdeklinieren“.<br />
Siemens war lange sein größter<br />
Kunde. Der ganz kurze Draht in die Vorstandsetagen<br />
fehlt ihm aber bis heute, bei<br />
Treffen der Wirtschaftselite wirkt er mitunter<br />
wie ein Fremdkörper. Selbst bei der Feier<br />
des 50-jährigen BCG-Jubiläums im<br />
Herbst 2013 in Frankfurt wirkte er unsicher.<br />
Was Gesprächspartner häufig irritiert:<br />
Kratz lässt Distanz vermissen, nicht nur<br />
Menschen, die er kennt, kommt er unangenehm<br />
nahe. Er macht das bewusst so: Ein<br />
internes Video zeigt ihn, wie er Mitarbeiter<br />
reihenweise in den Arm nimmt. Jeden<br />
Partner will er zweimal im Jahr besuchen<br />
und unter vier Augen sprechen, auf internen<br />
„Roadshows“ sucht er den Austausch.<br />
Das kommt nicht nur gut an. Mit Grauen<br />
erzählen BCGler von mit Bildern aus Formel-1-Rennen<br />
und Analogien zum Fußball<br />
gespickten Vorträgen. Einige der Einser-<br />
Absolventen titulierten ihren Chef ob<br />
solcher Motivationstricks aus der Mottenkiste<br />
zum „Maschi“ – in Anlehnung an den<br />
umstrittenen AWD-Gründer Carsten<br />
Maschmeyer.<br />
MENSCH SEIN<br />
Eine aktuelle interne Präsentation zum<br />
Thema Innovation schmückt ein aus heutiger<br />
Sicht kurioses Privatfoto von Kratz zu<br />
Beginn seiner Beraterkarriere 1990. Er will<br />
auch für seine Mitarbeiter Mensch sein<br />
und sieht sich damit als Prototyp einer<br />
neuen, lockereren Generation von Managern.<br />
Seiner Vorliebe für Polohemden einer<br />
italienischen Nobelmarke frönt er auch<br />
mal im Büro. Und selbst bei älteren Geschäftspartnern<br />
geht er schnell, für manche<br />
zu schnell, zum Du über.<br />
Nicht nur sein Kumpeltum macht<br />
Kratz zum personifizierten Kulturbruch.<br />
BCG-Berater verdienten immer blendend,<br />
nach außen aber war Bescheidenheit<br />
angesagt. Der aktuelle Chef fuhr eine<br />
Weile Maserati, hat eine Yacht vor Sardinien<br />
und eine Villa in Frankfurt, die auch<br />
Vorstände von Dax-Unternehmen in ihrer<br />
Opulenz beeindruckt. Sogar sein Jahresgehalt<br />
in Millionenhöhe ist ein von ihm<br />
selbst nur schwach gehütetes Geheimnis.<br />
Einen schweren Stand hat er auch<br />
wegen der angeblichen Umstände seiner<br />
Berufung. Sie soll, wie Insider berichten,<br />
das letzte Glied einer Kette von Allianzen<br />
und Versprechen sein. So habe sein<br />
Vorgänger Christian Veith bei der Wahl<br />
des Weltchefs dem US-Kandidaten Rich<br />
Lesser europäische Stimmen gesichert. Im<br />
Gegenzug rückte Veith zum Co-Chef in<br />
Europa auf.<br />
Für seinen vakanten Posten favorisierten<br />
etliche deutsche Berater Hubertus Meinecke.<br />
Der hatte bei der Weltchef-Wahl mit<br />
gerade mal 40 Jahren einen sensationellen<br />
dritten Platz belegt. Meinecke, der in seiner<br />
Freizeit Extrem-Marathons in der Wüste<br />
läuft, gilt als Verkörperung alter BCG-Tugenden.<br />
Er hätte jedoch, meinen Insider,<br />
die deutschen Aktivitäten einer ähnlich rigorosen<br />
Analyse unterzogen, wie sie die Berater<br />
auch bei ihren Kunden durchexer-»<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 61<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
zieren. Veith habe die Berufung durch einige<br />
Anrufe und Indiskretionen verhindert,<br />
sodass schließlich sein Gefolgsmann Kratz<br />
auf dem begehrten Platz landete.<br />
LOHN DER LOYALITÄT<br />
Veith, der von 2006 bis 2012 an der Spitze der<br />
deutschen BCG stand, gilt als eigentlicher<br />
Pionier der intellektuellen Sklerose, auch<br />
wenn er „wenigstens eine humanistische<br />
Bildung hat“, wie ein Insider lästert. Der Jurist<br />
denke nur in politischen Allianzen, „sein<br />
einziger Freund ist er selbst“, sagt ein Berater,<br />
der ihn seit Jahrzehnten kennt. Zwischenzeitlich<br />
soll sich Veith von Kratz abgewendet<br />
und diesen in kleiner Runde für verzichtbar<br />
erklärt haben. Nur die Besserung der Auftragslage<br />
habe wieder für Frieden gesorgt.<br />
Kratz betont, dass das Verhältnis zu seinem<br />
Vorgänger „sehr gut und eng ist, seit wir uns<br />
kennen“.<br />
Veith selbst verdankt seinen Aufstieg vor<br />
allem der bedingungslosen Loyalität zu<br />
Hans-Paul Bürkner. Der erste deutsche Weltchef<br />
einer großen Beratung läutete vor mehr<br />
als zehn Jahren eine Revolution bei BCG ein.<br />
Er schaffte teure Firmentreffen ab, trimmte<br />
die Beratung auf Effizienz und verordnete<br />
ihr einen aggressiven Wachstumskurs mit<br />
dem Ziel, mittelfristig zu McKinsey aufzuschließen.<br />
Je länger Bürkner amtierte, desto<br />
mehr mutierte das Unternehmen zu einer<br />
Truppe ergebener Ja-Sager. Veith habe das<br />
Prinzip verinnerlicht: „Er blüht auf, wenn<br />
andere exakt seiner Meinung sind“, sagt ein<br />
Partner.<br />
Dabei sind die BCG-Wurzeln andere.<br />
Gründer Bruce Henderson hatte seinen<br />
Jüngern den provokativen Disput verordnet<br />
und ihre Erkenntnisse zum „Schlag<br />
zwischen die Augen“ ihrer Kunden deklariert.<br />
Die permanente Auseinandersetzung<br />
forderte er auch intern ein. „Immer hieß es,<br />
wir sollten ihn herausfordern, ihn überzeugen“,<br />
erinnert sich ein langjähriger BCG-<br />
Berater an ein persönliches Treffen. Das<br />
permanente Ringen unterschiedlicher<br />
Charaktere mit unterschiedlichen Auffassungen<br />
habe die Beratung stark gemacht.<br />
Davon sei wenig geblieben: Heute nivelliere<br />
ein mildes Konsensklima alle Differenzen.<br />
Widerspruch sei unerwünscht.<br />
Meister taktischer Machtspiele BCG-Co-<br />
Europa-Chef Veith<br />
Als symbolhaft dafür gilt der Abgang des<br />
Starberaters Daniel Stelter 2013. Der hatte<br />
sich mit ebenso provokanten wie düsteren<br />
Äußerungen zur Euro-Krise profiliert. Das<br />
missfiel der Führung, Insider berichten,<br />
dass sie Stelter mit Macht aus dem Unternehmen<br />
drängte. Kratz will sich nicht konkret<br />
äußern, sagt aber: „Wir unterstützen<br />
provokative Aussagen in einem Rahmen,<br />
der uns als Unternehmen dient.“<br />
Andere Aushängeschilder wie die Österreicherin<br />
Antonella Mei-Pochtler sind<br />
noch da, treten aber kaum noch in Erscheinung.<br />
Die Rolle des Vordenkers würde<br />
Kratz gerne selbst übernehmen. Doch dafür<br />
hat er zu wenig zu sagen.<br />
Andere Abgänge schmerzen weniger in<br />
der Außendarstellung als wirtschaftlich. So<br />
leidet etwa die Bankenabteilung noch immer<br />
unter dem Verlust der Top-Berater<br />
Walter Sinn und Levin Holle, die sich zum<br />
Konkurrenten Bain und als Abteilungsleiter<br />
ins Bundesfinanzministerium verabschiedeten.<br />
Die einstige Paradedisziplin<br />
von BCG ist inzwischen eher ein Schwachpunkt.<br />
Das Großprojekt der Integration<br />
»Wir unterstützen provokative Aussagen,<br />
die uns als Unternehmen dienen«<br />
BCG-Chef Carsten Kratz<br />
von Commerzbank und Dresdner Bank ist<br />
beendet, und bei der prestigeträchtigen<br />
Beratung der Deutschen Bank war BCG<br />
zeitweise gar nicht mehr vertreten, obwohl<br />
sich Veith als Bankenexperte selbst um den<br />
Klienten kümmerte. Nun gibt es einen kleineren<br />
Auftrag im Digitalgeschäft. Für die<br />
eigenen Ansprüche ist das viel zu wenig.<br />
AUFFORDERUNG ZUR ANPASSUNG<br />
Dass große Aufträge heute öfter durch die<br />
Lappen gehen, führen Insider auch auf veränderte<br />
Kriterien bei der Beförderung zurück.<br />
Für die Wahl zum Partner ist allein<br />
der erzielte Umsatz entscheidend, zudem<br />
müssen die Berater Anschlussprojekte<br />
beim gleichen Klienten nachweisen. Das<br />
führe dazu, dass Berater sich vor allem dort<br />
um Aufträge bemühten, wo ohnehin schon<br />
viel zu holen sei. Kreativität könne sich so<br />
kaum entfalten, sagen Kritiker.<br />
Das abgeflachte Wachstum führe zudem<br />
dazu, dass nicht mehr alle geeigneten<br />
Jungberater Partner werden könnten. Das<br />
mache sie empfänglich für Abwerbeversuche<br />
und intern zu braven Befehlsempfängern.<br />
Um ihre These zu untermauern, verweisen<br />
Kratz’ Kritiker auf das 2013 veröffentlichte<br />
Buch „Die kaputte Elite“. Dessen<br />
Autor Benedikt Herles lässt seinen Arbeitgeber<br />
anonym, BCGler berichten jedoch,<br />
dass es die Verhältnisse in ihrem eigenen<br />
Unternehmen widerspiegele. Dabei beschränkt<br />
sich Herles’ Insiderwissen auf ein<br />
dreimonatiges Praktikum.<br />
Von getrübten Perspektiven und Missstimmungen<br />
will Kratz nichts wissen. Die<br />
Beratung berufe zurzeit jährlich intern etwa<br />
zehn Partner und hole bis zu fünf von<br />
außen dazu. Die Kritik an sich selbst sieht<br />
er als Folge seines kompromisslosen Führungsstils<br />
und eines Einschnitts: Ende 2013<br />
trennte sich die Beratung von rund zehn<br />
Prozent der Partner, und nicht alle gingen<br />
freiwillig. Die Leistungsträger sieht er auf<br />
seiner Seite: „Stimmung und Zusammenhalt<br />
sind hervorragend“, sagt Kratz. 80 Prozent<br />
der Mitarbeiter hätten bei einer internen<br />
Befragung zuletzt erklärt, dass er der<br />
richtige Mann auf dem Chef-Posten sei.<br />
Dennoch kursieren intern wie extern Namen<br />
möglicher Nachfolger. Eine Ablösung<br />
vor Ende der dreijährigen Amtszeit scheint<br />
zwar vorerst kein Thema mehr. Aber Kratz’<br />
Feinde hoffen auf die Zeit danach. Als Berater<br />
wissen sie, dass es dauert, bis eine<br />
Marke ramponiert ist. Aber auch, dass es<br />
fast unmöglich ist, sie wiederzubeleben. n<br />
cornelius.welp@wiwo.de | Frankfurt,<br />
hans-jürgen klesse, julia leendertse<br />
FOTO: LAIF/DAVID KLAMMER<br />
62 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
FOTO: O2<br />
Ins Leere laufen<br />
MOBILFUNK | Die Fusion von O2 und E-Plus könnte den Wettbewerb<br />
schwächen und Preise steigen lassen, wie Österreich zeigt.<br />
Jochen Homann, der mächtige Präsident<br />
der Bundesnetzagentur, lässt sich<br />
ungern in die Karten schauen. Als<br />
beim TK-Gipfel am 26. März im Düsseldorfer<br />
Airporthotel ein neugieriger Manager<br />
wissen wollte, wie denn seine Behörde die<br />
Fusion von Telefónica Deutschland (Marke:<br />
O2) und E-Plus beurteile, blieb er eine<br />
klare Antwort schuldig. Er habe „keine<br />
konkreten Indizien“, welche Auflagen es<br />
geben könnte, lächelte der Behördenchef<br />
den Fragesteller verschmitzt an. „Im Prinzip<br />
ist das eine offene Entscheidung.“<br />
Gut geblufft, Herr Präsident. Schon fünf<br />
Tage später lüftete Homann sein so streng<br />
gehütetes Geheimnis. Telefónica, mit 19,4<br />
Millionen Kunden die Nummer vier auf<br />
dem deutschen Mobilfunkmarkt, wird<br />
wohl grünes Licht für die Übernahme von<br />
E-Plus bekommen. Die am vergangenen<br />
Montag verkündeten Pläne der Bundesnetzagentur<br />
für eine neue Frequenzordnung<br />
im Mobilfunk lassen nur diese<br />
Schlussfolgerung zu.<br />
In enger Absprache mit der EU-Kommission<br />
hat die Bundesnetzagentur zugleich<br />
beschlossen, ein Oligopol mit nur noch<br />
drei fast gleichstarken Mobilfunkbetreibern<br />
unter sehr strengen Auflagen zuzulassen.<br />
Die Gefahr ist allerdings<br />
groß, dass die ins Leere laufen und<br />
durch die Fusion der Preiswettbewerb<br />
doch ausgehebelt wird, wie der<br />
Fall Österreich zeigt.<br />
Die wichtigste Auflage<br />
betrifft die üppige Ausstattung<br />
mit Mobilfunkfrequenzen<br />
einer vereinigten<br />
O2-/E-Plus-Gruppe. Beide<br />
Betreiber, so der jetzt<br />
vorgestellte Plan der<br />
Bundesnetzagentur, sollen<br />
einen Teil ihres wegen<br />
der guten Ausbreitungseigenschaften<br />
besonders wertvollen<br />
Spektrums in den<br />
Frequenzbändern<br />
900 und 1800 Megahertz<br />
vorzeitig räumen.<br />
Zusammen<br />
mit anderen Fre-<br />
Drei statt vier Nach<br />
der Fusion mit E-Plus<br />
soll O2 lukrative<br />
Frequenzen räumen<br />
quenzen sollen sie möglichst noch <strong>2014</strong><br />
versteigert werden. „O2/E-Plus könnten<br />
ihre ohnehin starke Kundenbasis stark ausbauen“,<br />
befürchtet die Bundesnetzagentur.<br />
Auch ein Neueinsteiger soll die Chance bekommen,<br />
diese Frequenzen zu erwerben.<br />
Die EU-Kommission, die bis zum 14. Mai<br />
ihr Votum zu O2/E-Plus verkünden muss,<br />
sieht die Gefahr einer Schieflage auf dem<br />
bisher prächtig funktionierenden deutschen<br />
Mobilfunkmarkt. Durch die Übernahme<br />
von E-Plus, ließ die Kommission<br />
schon bei der ersten Voruntersuchung anklingen,<br />
würde der derzeit preisaggressivste<br />
Wettbewerber wegfallen. Das Risiko steige,<br />
das die verbleibenden drei großen Mobilfunkbetreiber<br />
Telekom, Vodafone<br />
und O2/E-Plus ihr<br />
Wettbewerbsverhalten abstimmten<br />
und die Preise<br />
erhöhten.<br />
E-Plus gewinnt seit<br />
Jahren als Preisbrecher<br />
Marktanteile. Ein Großteil der weit<br />
über 50 Mobilfunk-Discounter wie Aldi<br />
und nun auch Whatsapp, die den Wettbewerb<br />
anheizen, nutzen als virtuelle Anbieter<br />
ohne eigenes Netz die Infrastruktur von<br />
E-Plus. Brüssel will diese Form des Wettbewerbs<br />
erhalten. Eine der Auflagen wird<br />
deshalb sein, dass O2 eine Bestandsgarantie<br />
für die bisher aktiven virtuellen Anbieter<br />
abgeben und Übertragungskapazitäten<br />
für Neueinsteiger in einem vereinten<br />
O2-/E-Plus-Netz reservieren muss.<br />
BLAUPAUSE FÜR ANDERE LÄNDER<br />
Fraglich ist allerdings, ob diese Auflagen<br />
ausreichen, um die Wettbewerbsintensität<br />
hoch zu halten. Mit großer Sorge blicken<br />
die Wettbewerbshüter in Brüssel nach Österreich.<br />
Am 12. Dezember 2012 hatte die<br />
EU-Kommission die Fusion von Hutchison<br />
und Orange mit ähnlich harten Auflagen<br />
gebilligt, die als Blaupause für andere Länder<br />
dienen sollten. Heute, 15 Monate nach<br />
der Freigabe, fällt die Zwischenbilanz mager<br />
aus: Die drei verbliebenen Mobilfunkbetreiber<br />
Telekom Austria, T-Mobile und<br />
Hutchison haben ihre Preiskämpfe eingestellt.<br />
Einige Tarife wurden sogar erhöht,<br />
wie Telekom-Austria-Chef Hannes Ametsreiter<br />
einräumt (siehe Interview Seite 64).<br />
Ein Grund: Fast alle Auflagen verpufften.<br />
Auch in Österreich reservierte die dortige<br />
Regulierungsbehörde Frequenzen für einen<br />
Neueinsteiger, der als vierter Netzbetreiber<br />
die etablierten Anbieter aufmischen<br />
sollte. Bei der dann folgenden Versteigerung<br />
meldete aber kein Unternehmen<br />
Interesse an.<br />
Auch die zweitwichtigste Auflage verfehlte<br />
ihr Ziel. Hutchison muss 16 virtuellen<br />
Mobilfunkanbietern ohne eigenes<br />
Netz einen sehr kostengünstigen<br />
Zugang zur eigenen Infrastruktur<br />
gewähren. Bis jetzt – 15 Monate nach<br />
der Genehmigung – ist aber noch<br />
kein neuer Anbieter in Österreich<br />
gestartet. Lediglich drei Newcomer<br />
unterschrieben solche Kooperationsverträge<br />
und kündigten einen<br />
Markteintritt für die zweite Jahreshälfte<br />
an.<br />
Solch ein Fiasko will die EU-<br />
Kommission nicht noch einmal<br />
erleben. Trotz der Proteste der<br />
Telekomkonzerne: Den Start von<br />
Neulingen könnten die Wettbewerbshüter<br />
noch stärker fördern. n<br />
juergen.berke@wiwo.de<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 64 »<br />
63<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
INTERVIEW Hannes Ametsreiter<br />
»Keine Trittbrettfahrer«<br />
Der Vorstandschef von Telekom Austria will den Wettbewerb im<br />
Mobilfunk auf drei Anbieter beschränken.<br />
Herr Ametsreiter, die EU-Kommission<br />
prüft derzeit den Zusammenschluss der<br />
beiden deutschen Mobilfunkbetreiber<br />
O2 und E-Plus. In Österreich gibt es<br />
nach der Übernahme von Orange durch<br />
Hutchison nur noch drei Mobilfunkbetreiber.<br />
Reicht diese Zahl für einen funktionierenden<br />
Wettbewerb?<br />
Ametsreiter: Ich kann und will nicht für<br />
Deutschland sprechen. Aber für ein kleines<br />
Land wie Österreich reichen drei<br />
Mobilfunkbetreiber aus. Wir<br />
haben die billigsten Tarife in<br />
Europa und liegen heute<br />
mit unseren Preisen etwa 40<br />
Prozent unter dem europäischen<br />
Durchschnitt. Exzellent<br />
ausgebaute Mobilfunknetze<br />
bis in die topografisch<br />
anspruchsvollen alpinen<br />
Skigebiete bei äußerst niedrigen<br />
Tarifen sind betriebswirtschaftlich<br />
eine Herausforderung.<br />
Orange<br />
Österreich war so gut wie<br />
pleite, und die Gruppe hat<br />
sich deshalb aus Österreich<br />
zurückgezogen.<br />
Kürzlich erhöhte Telekom<br />
Austria die ersten Mobilfunktarife.<br />
Sind das die ersten Anzeichen<br />
für ein Ende der Preiskämpfe?<br />
Das kann man so nicht sagen. Einige<br />
Preise sind gestiegen, aber auch die Leistung.<br />
So haben wir unlimitierte Flatrates<br />
für Telefonie und SMS eingeführt und<br />
den Preis dafür um fünf Euro erhöht.<br />
Auch andere Tarife wurden angepasst.<br />
Das hängt auch mit den hohen Summen<br />
zusammen, die wir nach der letzten Versteigerung<br />
für die neuen Mobilfunkfrequenzen<br />
zahlen mussten.<br />
Die EU-Kommission hat die Fusion von<br />
Hutchison und Orange mit hohen Auflagen<br />
genehmigt, die bisher allerdings<br />
ins Leere laufen. So sollte ein neuer,<br />
vierter Mobilfunkbetreiber in Österreich<br />
an den Start gehen. Die dafür benötigten<br />
Frequenzen wurden reserviert, aber<br />
bei der Auktion nicht abgerufen. Warum<br />
hat kein Newcomer mitgeboten?<br />
Mich hat das nicht überrascht. Die Wettbewerbsintensität<br />
ist in Österreich so stark,<br />
dass es sich jeder zweimal überlegt, als<br />
Neuling zu starten. Außerdem waren die<br />
Gebote extrem hoch. Mit rund einer Milliarde<br />
Euro musste Telekom Austria die<br />
relativ höchsten Preise für Frequenzen in<br />
Europa zahlen. Das ist selbst für uns als<br />
Marktführer eine hohe Belastung.<br />
DER NETZWERKER<br />
Ametsreiter, 47, ist seit 1. April 2009 Chef<br />
des Ex-Monopolisten Telekom Austria mit<br />
einem Umsatz von 4,2 Milliarden Euro. Der<br />
Kommunikationswissenschaftler kam 1996<br />
von Procter & Gamble zur Mobilfunk-Tochter<br />
Mobilkom Austria.<br />
Österreich ist auch der Testmarkt für eine<br />
zweite wichtige Auflage, die ein Oligopol<br />
zwischen den drei verbliebenen Betreibern<br />
und Tariferhöhungen verhindern soll.<br />
Die EU-Kommission erleichtert den<br />
Markteintritt von virtuellen Mobilfunkbetreibern<br />
ohne eigenes Netz: Die dürfen<br />
jetzt das ihres Konkurrenten Hutchison<br />
mitbenutzen. Was bedeutet das für den<br />
Wettbewerb?<br />
Die EU-Kommission hat entschieden, dass<br />
Hutchison als jetzt drittgrößter Anbieter<br />
sein Netz in den kommenden zwölf Jahren<br />
öffnen muss für bis zu 16 virtuelle<br />
Mobilfunkanbieter ohne eigenes Netz –<br />
zu Konditionen, die unter den Betriebskosten<br />
liegen. Ich halte das für eine falsche<br />
Entscheidung, weil Investitionen in<br />
die Infrastruktur nicht gefördert werden.<br />
Ich kann nicht verstehen, wieso die EU-<br />
Kommission den Markteintritt solcher<br />
Trittbrettfahrer fördert.<br />
So leicht scheint der Markteintritt nicht<br />
zu sein. Bisher ist noch keiner gestartet.<br />
Ich rechne damit, dass etwa ein halbes<br />
Dutzend virtueller Anbieter <strong>2014</strong> einen<br />
Marktstart wagen wird.<br />
Warum dauert das so lange?<br />
Die Verträge brauchen eine Vorlaufzeit<br />
von mehreren Monaten. Im zweiten<br />
Halbjahr <strong>2014</strong> werden aber die ersten<br />
Anbieter kommen. Der TV-Kabelnetzbetreiber<br />
UPC will seinen<br />
Kunden auch Mobilfunk<br />
anbieten. Mass Response,<br />
ein Spezialist für Televoting<br />
bei Fernsehsendungen, will<br />
ins Mobilfunkgeschäft expandieren.<br />
Und auch Michael<br />
Krammer, der Ex-<br />
E-Plus-Chef und neue<br />
Präsident <strong>vom</strong> Fußballklub<br />
Rapid Wien, hat den Start<br />
eines neuen Mobilfunkanbieters<br />
angekündigt.<br />
Hätte Hutchison eine solch<br />
harte Auflage überhaupt<br />
akzeptieren dürfen?<br />
Die Auflagen sind in der Tat<br />
hart an der Grenze. Es ist<br />
absurd, eine Situation zu<br />
schaffen, bei der es günstiger ist, keine<br />
Infrastruktur zu besitzen. Es muss Anreize<br />
geben, in Infrastruktur zu investieren<br />
und Arbeitsplätze zu schaffen.<br />
Was wünschen Sie sich aus Brüssel?<br />
Dass sich Wettbewerbskommissar Joaquin<br />
Almunia und die Kommissarin für<br />
digitale Wirtschaft, Neelie Kroes, besser<br />
abstimmen und gemeinsam eine Vision<br />
kreieren, wie der Telekommunikationsmarkt<br />
aussehen soll. Europa hat den Anschluss<br />
an die USA verloren. Almunia<br />
und Kroes sollten gemeinsam das Ziel<br />
ausgeben, dass Europa wieder mehr in<br />
Infrastrukturen investiert und eine führende<br />
Macht im Kommunikationssektor<br />
wird. Hier gibt es noch große Inkonsistenzen<br />
und Defizite.<br />
n<br />
juergen.berke@wiwo.de<br />
FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE/RENE PROHASKA<br />
64 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Arme Bäcker, glückliche Windmüller<br />
ENERGIEWENDE | Die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes durch die große Koalition bringt<br />
kaum Entlastung. Die wichtigsten Gewinner (grün) und Verlierer (rot).<br />
Energieintensive Mittelständler und Kleinbetriebe<br />
Zum Beispiel Bäckereien, Gießereien, Wäschereien.<br />
Begründung: Die Unternehmen müssen trotz ihres hohen Energiekostenanteils<br />
weiterhin die volle Umlage zahlen, weil ihr absoluter<br />
Verbrauch unter der Befreiungsschwelle liegt. Und weil die durch<br />
Ausnahmen begünstigte Strommenge der Großunternehmen kaum<br />
sinkt, werden die Ökostromkosten nicht auf mehr Schultern verteilt.<br />
Private Haushalte<br />
Experten erwarten, dass die Ökostrom-Umlage bis 2020 von heute<br />
6,24 Cent pro Kilowattstunde auf 8 Cent steigt. Damit ist mit einer<br />
Mehrbelastung für einen Vier-Personen-Haushalt von 300 Euro jährlich<br />
zu rechnen. Das Wirtschaftsministerium erwartet 7 Cent.<br />
Begründung: Die Reform ist zu zaghaft. Einkaufsgenossenschaften<br />
privater Haushalte wurden nicht von der EEG-Umlage befreit.<br />
Landschaft<br />
In vielen Regionen dürften bis zu 40 Prozent der Ackerflächen mit<br />
Mais für Biogasanlagen bepflanzt werden. Viele Landschaften<br />
besonders in Bayern veröden durch Überdüngung und Monokultur.<br />
Die Begrenzung auf den Einsatz von Rest- und Abfallstoffen kommt<br />
zu spät. Neue Windräder vor allem in Süddeutschland drohen<br />
wertvolle Urlaubsregionen zu verspargeln, etwa den Schwarzwald.<br />
Projektierer und Hersteller von Biomasseanlagen<br />
Zum Beispiel Envitec Biogas, BioEnergiePlus.<br />
Begründung: Biomasseanlagen laufen zwar auch dann, wenn<br />
Sonne und Wind keinen Strom liefern. Trotzdem wird der Ausbau<br />
gebremst, indem die Vergütung begrenzt wird. Nicht nur der Widerstand<br />
in der Bevölkerung wächst. Zudem ist Elektrizität aus Biogas<br />
teurer als Windstrom an Land und selbst als Solarenergie.<br />
Klima<br />
Vorfahrtberechtigter Strom aus Solar- und Windkraftwerken verdrängt<br />
Strom aus konventionellen Anlagen. Allein Braunkohlemeiler<br />
rechnen sich noch, auch weil durch den Boom des Ökostroms die<br />
Verschmutzungsrechte (CO 2 -Zertifikate) immer billiger werden.<br />
Braunkohle hat aber relativ den höchsten CO 2 -Ausstoß. Folge der<br />
Energiewende: Deutschland verfehlt die EU-Klimaziele.<br />
Bahnkunden<br />
Kleinere Bahnbetriebe müssen künftig höhere EEG-Umlage zahlen,<br />
die Fahrgäste höhere Ticketpreise. Bei den Berliner Nahverkehrsbetrieben<br />
beispielsweise müsste der Fahrschein 20 Cent teurer<br />
werden (auf 2,80 Euro). Die Deutsche Bahn bleibt verschont.<br />
Begründung: Auf Brüsseler Druck reduziert die Bundesregierung<br />
die Zahl der Unternehmen, die von der Umlage befreit sind.<br />
FOTOS: BARBARA DOMBROWSKI/LAIF; ENVITEC BIOGAS AG; ULLSTEIN BILD; CARO / DAHL; ULLSTEIN BILD; DPA PICTURE-ALLIANCE / JENS WOLF; ANDREAS DUNKER; IMAGEBROKER /<br />
VARIO IMAGES/BERNHARD CLAßEN; ZENIT/LAIF/PAUL LANGROCK; ACTION PRESS/WAZ FOTOPOOL/ILJA HÖPPING; VISUM/THOMAS LANGREDER ; GETTY IMAGES/SEAN GALLUP<br />
66 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Betreiber von Biomasseanlagen<br />
Zum Beispiel Stadtwerke und kommunale Genossenschaften.<br />
Begründung: Zwar wird der Zubau neuer Anlagen faktisch auf<br />
100 Megawatt pro Jahr gedeckelt (weil darüber die Einspeisevergütung<br />
kräftig sinkt), aber die Erweiterung vorhandener<br />
Anlagen bleibt möglich.<br />
Zusätzliche Kosten der Lockerung: 264 Millionen Euro<br />
Betreiber von Solarparks<br />
Zum Beispiel Capital Stage (größter Solarparkbetreiber<br />
Deutschlands).<br />
Begründung: Alte Anlagen haben Bestandsschutz, die Betreiber<br />
müssen sich also nicht an Sparbemühungen beteiligen.<br />
Allerdings sinkt die Vergütung für neue Anlagen – das war aber<br />
schon mit der letzten Novelle beschlossen worden.<br />
Betreiber von Offshore-Windparks<br />
Zum Beispiel EnBW (geplant: 1000 Megawatt), RWE (669 Megawatt),<br />
Vattenfall (288 Megawatt), E.On (288 Megawatt).<br />
Begründung: Die neue Obergrenze von 6500 Megawatt bis 2020<br />
wird wegen Verzögerungen beim Bau nicht erreicht, bedeutet also<br />
keine Einschränkung. Die Vergütung bleibt mit 19 Cent (18 Cent<br />
ab 2018) pro Kilowattstunde hoch; die weitere Kürzung entfällt.<br />
Große energieintensive Unternehmen<br />
Zum Beispiel ThyssenKrupp (Stahl), BASF (Chemie)<br />
Begründung: Die weitgehende Befreiung von der EEG-Umlage<br />
bleibt. Welchen Sockelbetrag die Unternehmen zahlen müssen,<br />
hängt noch von der künftigen EU-Beihilfenregelung ab.<br />
Risiko: Offen bleibt der Ausgang des EU-Verfahrens für die vergangenen<br />
Jahre: Wertet Brüssel die Ausnahme als unerlaubte Beihilfe?<br />
Große Eigenstromerzeuger<br />
Zum Beispiel BASF, Bayer, Volkswagen, ThyssenKrupp.<br />
Begründung: Weiterhin keine volle Ökostrom-Umlage. Vorhandene<br />
Anlagen bleiben komplett von der Umlage befreit (anders als in dem<br />
Eckpunktepapier von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ursprünglich<br />
vorgesehen), neue müssen allerdings einen Solidaritätsbeitrag<br />
von 1,2 Cent pro Kilowattstunde anstelle des Regelbetrags von 6,24<br />
Cent bezahlen.<br />
Onshore-Windrad-Bauer, Zulieferer, Entwickler<br />
Zum Beispiel Nordex, Senvion (früher Repower), Enercon, Siemens,<br />
ThyssenKrupp, Juwi, WPD, PNE Wind.<br />
Begründung: Der Deckel eines jährlichen Zubaus von 2500 Megawatt<br />
ist keine Einschränkung (Zubau 2013: 2232 MW aus zusätzlichen<br />
Anlagen). Austausch vorhandener durch leistungsfähigere<br />
Rotoren geht extra. Kosten dieser Lockerung: 113 Millionen Euro.<br />
mario.brueck@wiwo.de, henning krumrey, andreas wildhagen<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 67<br />
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Spezial | Hannover Messe Industrie<br />
INDUSTRIE 4.0 | Die<br />
Macher der vierten industriellen<br />
Revolution<br />
sind vielfach nicht<br />
die Konzerne, sondern<br />
die Mittelständler.<br />
Produzieren wie<br />
im Schlaf<br />
In der futuristischen Fabrik regiert die<br />
Geisterhand. Kleine Kunststoffschlitten<br />
schieben sich erratisch durch eine<br />
große Halle wie künstliche Lebewesen.<br />
Die Gefährte transportieren<br />
handtellergroße grüne Plastikdeckel, die<br />
mit einer Leiterplatte, unzähligen Metallkontakten<br />
und elektronischen Bauteilen<br />
bestückt sind, von einer Maschine zur anderen.<br />
Mal graviert einer der Automaten<br />
per Laser ein Schaltbild oder eine Typbezeichnung<br />
ein, mal fügt er neue Bauteile<br />
hinzu, mal verlötet er eine Bauteilgruppe.<br />
Glaskästen schirmen die Maschinen und<br />
die Plastikteile von der Außenwelt ab.<br />
Jens Beverung, Maschinenführer beim<br />
Verbindungstechnik-Hersteller Phoenix<br />
Contact im niedersächsischen Bad Pyrmont,<br />
scheint wie die laptopgroßen Kunststoffschlitten<br />
von höheren Mächten gelenkt.<br />
Denn ein Bildschirm schreibt ihm jeden Arbeitsschritt<br />
vor: „Beschriftung prüfen“, drei<br />
Minuten später „Deckplatte aufsetzen“. Hat<br />
das Plastikteil alle Stationen durchlaufen<br />
und Beverung alle Anweisungen befolgt, ist<br />
aus dem Werkstück eine Art Transformator<br />
geworden, der in Chemiefabriken und der<br />
Pharmaindustrie seinen Dienst tut.<br />
Für die Anweisungen sorgt ein kleiner sogenannter<br />
RFID-Chip, der an jedem Werkzeugträger<br />
prangt. Die Abkürzung steht für<br />
Radiofrequenz-Identifikation, die drahtlose<br />
Erkennung von Gegenständen, deren Nummer<br />
in dem Chip gespeichert ist. Dank der<br />
Signale des RFID-Chips und der Computerprogramme,<br />
die diese Befehle umsetzen,<br />
wissen Beverung und die nächste Maschine<br />
immer, was sie als Nächstes tun müssen.<br />
PHOENIX CONTACT<br />
Verbindungstechnik<br />
Ein Chip auf jedem Werkzeugträger<br />
löst Anweisungen für<br />
einzelne Arbeitsschritte aus,<br />
denen der Facharbeiter folgt.<br />
Täglich 100 verschiedene<br />
Varianten von Transformatoren<br />
BEFEHL UND GEHORSAM<br />
Das ist die Zukunft der Fertigung: die selbstständige<br />
Kommunikation zwischen Produktionsanlage<br />
und Werkstück ohne Steuerung<br />
durch Zentralrechner – und der<br />
Mensch eingebettet in ein automatisches<br />
System von Befehl und Gehorsam. Mechatroniker<br />
Beverung empfindet die Anweisungen<br />
aus dem Computer trotzdem nicht<br />
als Bevormundung, sondern als Hilfe: „Wir<br />
haben hier so viele Arbeitsschritte, das kann<br />
sich keiner merken“, sagt er. Immerhin laufen<br />
durch seine Anlage fast täglich wechselnde<br />
bis zu 100 verschiedene Varianten<br />
der Transformatoren, und das in drei unterschiedlichen<br />
Bearbeitungsstufen. Selten<br />
muss Beverung mehr als 1000 gleiche Stücke<br />
auf einmal abwickeln.<br />
Die Produktion der Baugruppen bei dem<br />
Familienunternehmen mit 13000 Mitarbeitern<br />
und 1,64 Milliarden Euro Jahresumsatz<br />
gibt einen Vorgeschmack auf „Industrie 4.0“,<br />
wie in Deutschland die künftige Vernetzung<br />
von Produkten und Maschinen heißt. „Das<br />
ist für uns eine Frage der Flexibilität und damit<br />
der Wettbewerbsfähigkeit“, sagt An-<br />
»<br />
FOTO: MICHAEL LÖWA FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
68 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Spezial | Hannover Messe Industrie<br />
HALI<br />
Büromöbel<br />
Inhaber Siegmund Gruber<br />
(vorn) und Geschäftsführer<br />
Christoph Königslehner produzieren<br />
profitabel Einzelstücke.<br />
Dank Industrie 4.0 sind 48<br />
Millionen Varianten möglich<br />
»<br />
dreas Schreiber, Chef der Abteilung Technologieentwicklung<br />
im Maschinenbau.<br />
Industrie 4.0 oder das Internet der Dinge,<br />
wie die Amerikaner dazu sagen, macht<br />
Produkte intelligent und überall kontrollierbar.<br />
Sie funken ständig ihren aktuellen<br />
Zustand, ihre bisherige Geschichte und<br />
den geplanten Endzustand an ausgewählte<br />
Empfänger, ob Mensch, Maschine oder<br />
Computer. Auf diese Weise kommuniziert<br />
jedes Möbelteil, jedes Autoblech oder jede<br />
Komponente einer Flugzeugturbine mit<br />
der Maschine in der Werkhalle, aber auch<br />
mit der Einkaufs- und Vertriebsabteilung.<br />
Einmal in Gebrauch, bleibt jedes Gut lebenslang<br />
mit den Wartungsabteilungen<br />
verbunden, via Internet. „Es entsteht eine<br />
völlig neue Produktionslogik“, prophezeit<br />
Henning Kagermann, Präsident der Deutschen<br />
Akademie der Technikwissenschaften<br />
und langjähriger Chef des Softwareriesen<br />
SAP. Wie wichtig das Thema für Wirtschaft<br />
und Politik ist, zeigt die Hannover<br />
Messe, die in dieser Woche unter dem Motto<br />
„Integrated Industry“ startet – dem gleichen<br />
wie im vergangenen Jahr.<br />
Doch eines unterscheidet die anlaufende<br />
vierte industrielle Revolution von ihren<br />
Vorgängerinnen. Waren frühere Umwälzungen<br />
von Großunternehmen geprägt,<br />
die neue Produktionsverhältnisse durchsetzten,<br />
dürften es diesmal vor allem die<br />
Mittelständler sein. Den Grund nennt Johann<br />
Hofmann, der in einem mehrjährigen<br />
Prozess die Regensburger Maschinenfabrik<br />
Reinhausen (MR), ein Familienunternehmen<br />
mit rund 2700 Mitarbeitern, in<br />
die neue Zeit geschoben hat. „Es geht bei<br />
Industrie 4.0 nicht so sehr um Vorteile in<br />
der standardisierten Massenproduktion“,<br />
sagt Hofmann, der heute Chef der Softwaretochter<br />
MR Valuefacturing ist.<br />
Im Zentrum stehe das einzelne Werkstück<br />
und nicht der schematisierte Arbeitsablauf.<br />
Deshalb sei der Mittelstand, der<br />
häufig viele Varianten in kleinen Stückzahlen<br />
fertige, „der Pionier der vierten industriellen<br />
Umwälzung“. Für die deutsche Industrie<br />
ergeben sich daraus jede Menge<br />
Chancen. Bis zu 50 Prozent Umweltressourcen<br />
ließen sich einsparen, im gleichen<br />
Maß steige die Produktivität, schätzt die<br />
»Es entsteht gerade eine völlig neue<br />
Produktionslogistik«<br />
Ex-SAP-Chef Kagermann<br />
Deutsche Akademie der Technikwissenschaften.<br />
Schon heute lassen sich laut einer Studie<br />
der Universität Passau im Maschinenbau<br />
40 Prozent der Arbeitsschritte und 38 Prozent<br />
bei den Umbauzeiten von Maschinen<br />
durch Industrie-4.0-Anwendungen einsparen.<br />
Davon profitieren vor allem kleinere<br />
Hersteller, die wegen der geringen Stückzahlen<br />
ihre Maschinen immer wieder umrüsten<br />
müssen. Für Experten steht fest,<br />
dass Mittelständler mit Industrie 4.0 die<br />
Produktion noch viel tiefer verändern werden,<br />
als es einst die Konzerne taten, als sie<br />
die Fließbandproduktion einführten oder<br />
Handarbeit durch Maschinenfertigung ersetzten.<br />
Das lassen die Vorreiter schon jetzt<br />
erkennen.<br />
ELEKTRONISCHE WÄCHTER<br />
Bevor Achim Guski, Juniorchef des Maschinenbauers<br />
Müller & Guski, zu Bett<br />
geht, checkt er <strong>vom</strong> Computer daheim<br />
noch kurz die Drehbänke in seiner 15 Kilometer<br />
entfernten Fabrik. Das Schlimmste,<br />
was dem Unternehmer aus dem sauerländischen<br />
Herscheid passieren könnte, wäre<br />
ein Produktionsausfall an einer Maschine<br />
während der Nachtschicht. Die Angst, dass<br />
ein stumpf gewordenes Werkzeug unbemerkt<br />
die Werkstücke zerstört, ist inzwischen<br />
vollständig gewichen. „Dann schaltet<br />
sich die Maschine automatisch aus“,<br />
sagt Guski beruhigt, „und ich bekomme einen<br />
automatischen Anruf.“ Je nachdem,<br />
wie zeitkritisch der Auftrag ist, setzt sich<br />
Guski dann persönlich ins Auto und fährt<br />
die Viertelstunde zur Fabrik, um das Werkzeug<br />
auszuwechseln.<br />
Das Signal, das Guski ruhig schlafen<br />
lässt, verdankt er einem Überwachungssystem<br />
des Maschinenbauers Nordmann<br />
aus Hürth bei Köln, das Drehbänke und<br />
andere Werkzeugmaschinen einer ausgeklügelten<br />
Dauerdiagnose unterzieht. „Unsere<br />
Anlagen arbeiten mit Schall- oder<br />
Leistungsmessung“, sagt Unternehmenschef<br />
Klaus Nordmann.<br />
Wird ein Werkzeug stumpf, verändert<br />
sich der Ton, den das Werkstück von sich<br />
gibt. Oder die Maschine verbraucht mehr<br />
Strom, weil der Motor wegen des stumpfen<br />
Werkzeugs mehr Widerstand überwinden<br />
muss. Noch vor wenigen Jahren waren die<br />
Datenmengen, die dabei anfallen, für die<br />
gängigen Rechner zu groß. Heute gelingt<br />
dies, weil die IT viel leistungsfähiger geworden<br />
ist. Ohne elektronische Wächter wären<br />
Nachtschichten ohne Personal oder fast<br />
menschenleere Maschinenhallen bei<br />
»<br />
FOTO: HALI BÜROMÖBEL GMBH<br />
70 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Spezial | Hannover Messe Industrie<br />
»<br />
Unternehmen wie BMW oder Opel, die<br />
zu Nordmann-Kunden gehören, zu riskant.<br />
Seit Jahren lastet auf den Mittelständlern,<br />
die vielfach von der Anfertigung geringer<br />
Stückzahlen leben, der Albtraum<br />
„Losgröße 1“. Damit meinen Fertigungstechniker,<br />
dass von bestimmten Produkten<br />
nur ein einziges hergestellt wird, etwa ein<br />
großes Möbelstück, das in ein bestimmtes<br />
Gebäude mit ungenormten Maßen passen<br />
muss. Theoretisch ist das kein Problem, in<br />
der industriellen Praxis scheitert das Unterfangen<br />
aber oft am Preis.<br />
Homag, Weltmarktführer für Holzbearbeitungsmaschinen<br />
im schwäbischen<br />
Schopfloch, hat mit einer Anlage <strong>vom</strong> Typ<br />
Industrie 4.0 den Durchbruch zur Losgröße<br />
1 geschafft. Die Rüst- und Umbauzeiten<br />
der Maschine von einem zum anderen<br />
Produkt dauern nur noch bis zu 1,5 Sekunden.<br />
„Was früher als Sonderfertigung galt,<br />
ist mit dieser Anlage Standard“, sagt Homag-Vorstandsvorsitzender<br />
Markus Flik.<br />
Einer der Nutznießer ist Hali, ein Büromöbelhersteller<br />
mit 250 Beschäftigten in Eferding<br />
bei Linz in Österreich. 48 Millionen<br />
Produktvarianten kann Hali heute wirtschaftlich<br />
produzieren, zwei Drittel mehr<br />
als vor der Umstellung. Das funktioniert<br />
nur, weil die Anlagen bei Hali alle für die<br />
Produktion erforderlichen Informationen<br />
in sich tragen, diese selbstständig verarbeiten<br />
und genau wissen, welches Teil sie als<br />
Nächstes wie bearbeiten müssen.<br />
Dank einer ausgeklügelten Software ist<br />
die Produktionslinie darüber informiert,<br />
dass das 30. Teil der Morgenschicht die<br />
Rückwand eines bestimmten Schrankes ist<br />
und das 141. Teil zu einer Schublade gehört.<br />
Sie weiß auch, dass die Vorderfront,<br />
die gerade vorbeigleitet, eine empfindliche<br />
Beschichtung besitzt und deshalb mit aller<br />
Vorsicht zu behandeln ist. Etiketten mit<br />
Barcodes oder RFID-Aufkleber an den Möbelteilen<br />
gibt es bei Hali nicht. „Dann<br />
müssten wir jede Woche 20 000 Etiketten<br />
entfernen“, sagt Technikchef Albert Nopp.<br />
Die Folgen von Industrie 4.0 bei Hali<br />
sind frappierend. Die Zeit, die ein Möbelstück<br />
von Bestellung bis Auslieferung benötigt,<br />
hat sich mehr als halbiert. Statt nach<br />
sechs Wochen bekommt der Kunde den<br />
Schreibtisch oder den Rollcontainer schon<br />
nach 15 Tagen. Sondergrößen verlängern<br />
weder die Lieferfrist, noch treiben sie Produktionskosten<br />
wesentlich nach oben. Mit<br />
der gleichen Mannschaft und in der gleichen<br />
Halle kann der Büromöbelhersteller<br />
nun ein Drittel mehr Möbel fertigen.<br />
LÜCKENLOSE IDENTIFIZIERUNG<br />
Hali ist der erste Anwender der neuen Produktionslinie<br />
in der Branche, aber nicht<br />
mehr der einzige. „Die Möbelhersteller vor<br />
allem in den deutschsprachigen Ländern<br />
sind sehr interessiert an der neuen Technik“,<br />
sagt Homag-Chef Flik. Der Einstieg in<br />
Industrie 4.0 sei für viele der mittelständischen<br />
Kunden der 5000-Mitarbeiter-Firma<br />
eine Überlebensfrage. „Durch den Einsatz<br />
Die größten Hindernisse<br />
Barrieren gegendie Ausbreitungvon<br />
Industrie4.0 (inProzent derBefragten)*<br />
66<br />
43<br />
43<br />
35<br />
31<br />
Lücken in der IT-Sicherheit<br />
Fehlende Normen<br />
Fehlende Fachleute<br />
MangelndeInfrastruktur<br />
Hohe Kosten<br />
*Mehrfachnennungen möglich;1300Befragte<br />
ausUnternehmenund Hochschulen;<br />
Quelle:VDE 2013<br />
der vernetzten Anlagen können die Möbelhersteller<br />
in Hochlohnländern wettbewerbsfähig<br />
produzieren.“<br />
Doch die Einführung von Industrie 4.0<br />
beschränkt sich nicht auf Produktionsstandorte<br />
mit teuren Arbeitskräften. Das<br />
zeigt der Autozulieferer Kirchhoff Automotive<br />
aus Iserlohn in seinem Werk im rumänischen<br />
Craiova. Das Familienunternehmen<br />
mit über 8000 Beschäftigten verarbeitet<br />
dort Komponenten, teils nur wenige<br />
Gramm leichte Verbindungsstücke oder<br />
bis zu 1,40 Meter lange Blechteile, für den<br />
Rohbau des Kleinwagens B-Max von Ford.<br />
Kirchhoff setzt im Armenhaus Europas auf<br />
Industrie 4.0, um die Lagerhaltung zu optimieren<br />
und stets zu wissen, wo sich ein bestimmtes<br />
Werkstück gerade befindet. Dadurch<br />
konnten die Sauerländer ihr Vorla-<br />
»Der Mittelstand ist Pionier der vierten<br />
industriellen Umwälzung«<br />
MR-Chef Hofmann<br />
ger in Rumänien um rund 75 Prozent verkleinern.<br />
Statt Vorprodukte für zehn Produktionstage<br />
einzulagern, reicht nun ein<br />
Vorrat für zwei bis drei Tage. „Und das trotz<br />
der Anlieferungen aus weit entfernten<br />
Standorten wie in Polen oder der Türkei“,<br />
sagt Andreas Denso, Logistik-Verantwortlicher<br />
bei Kirchhoff Automotive.<br />
Möglich macht dies die lückenlose Identifizierung<br />
der Teile. „Eine schlechte Anlieferung,<br />
die irgendwann mal Probleme<br />
macht, können wir immer zurückverfolgen“,<br />
sagt Denso. Für die Identifizierung<br />
nutzen die Sauerländer Barcodes statt aufwendiger<br />
RFID-Chips.<br />
Bei Kirchhoff, Homag oder Müller &<br />
Guski ist die Zukunft der Fertigung in wichtigen<br />
Abteilungen schon Wirklichkeit. Bis<br />
Industrie 4.0 sich aber 100-prozentig<br />
durchgesetzt hat und alle Abteilungen und<br />
Arbeitsschritte komplett bestimmt, wird es<br />
noch dauern. Zwar gehen acht von zehn<br />
Hochschulen und Unternehmen einer<br />
Umfrage des Verbands der Elektrotechnik,<br />
Elektronik und Informationstechnik davon<br />
aus, dass Industrie 4.0 sich weitgehend<br />
durchsetzt – allerdings nicht vor 2025.<br />
Die Erfolge sind trotzdem schon heute<br />
weit verbreitet. Weidmüller, ein Hersteller<br />
von Verbindungstechnik im westfälischen<br />
Detmold, entwickelt Systeme für Stanzen<br />
und Walzen, die selbsttätig Abweichungen<br />
von Soll-Maßen durch Verschleiß korrigieren.<br />
Wittenstein, Antriebshersteller mit Sitz<br />
im fränkisch-hohenlohischen Igersheim,<br />
hat für zwölf Millionen Euro eine Laborfabrik<br />
in Stuttgart hochgezogen.<br />
Erster Schritt in Richtung Industrie 4.0<br />
war die Beseitigung des Daten-Grabens<br />
zwischen kaufmännischer Verwaltung und<br />
der Produktion. Dadurch konnte die Materialanlieferung<br />
an die Produktionslinie automatisiert<br />
und die Aufwendungen für die<br />
innerbetriebliche Logistik um mehr als ein<br />
Drittel gesenkt werden. Und beim Matratzenhersteller<br />
Eurofoam Sachsen kontrollieren<br />
RFID-bestückte Matratzen ihren<br />
Lauf durch die Produktion bis hin zur Stapelhöhe<br />
im Lastwagen inzwischen selbst.<br />
„Natürlich gibt es noch Mittelständler,<br />
die überwiegend mit Papierunterlagen arbeiten“,<br />
sagt Rainer Glatz, beim Maschinenbauverband<br />
VDMA Geschäftsführer<br />
Software und elektrische Automation,<br />
„aber es werden immer weniger, und das<br />
Internet der Dinge wird diese Entwicklung<br />
erheblich beschleunigen.“<br />
n<br />
lothar schnitzler | unternehmen@ wiwo.de<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 74 »<br />
72 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Spezial | Hannover Messe Industrie<br />
Industrie 4.0 – so funktioniert die Fabrik der Zukunft<br />
Hier steuertnicht mehr derMensch dieProduktion, sonderndie Produkte undMaschinen<br />
kommunizieren elektronischdirektmiteinander undsteuern denAblauf<br />
Im Shampoo-Werk laufen die Geschäfte gut. Das<br />
Unternehmen produziert große und kleine Mengen<br />
unterschiedlicher Shampoos, je nachdem, was die<br />
Kunden wollen.<br />
Von der Anlieferung der Shampoo-Zutaten bis zur<br />
Auslieferung der fertig abgefüllten Flaschen sind<br />
alle Arbeitsschritte über Datenleitung und Funk<br />
verbunden: Einkauf, Produktion, Lager, Versand.<br />
Damit die Kommunikation funktioniert, wird jedes Vorprodukt<br />
und jede Flasche mit einem Datenträger, einem Chip, versehen,<br />
auf dem alle Arbeitsschritte und Informationen für den Kunden<br />
gespeichert sind. So wird jede Flasche individuell produziert.<br />
Die einen Flaschen werden etwa mit Kindershampoo<br />
gefüllt und bekommen bunte Aufkleber. Die nächsten 50<br />
Flaschen enthalten Hundeshampoo. Die Flaschen sagen<br />
der Maschine, welchen Inhalt sie brauchen.<br />
Hundeglück<br />
Kinderland<br />
Die Maschinen melden direkt an das<br />
Flaschenwerk, wenn sie neue Flaschen<br />
brauchen. Auch die zuständige Mitarbeiterin<br />
im Einkauf der Shampoo-Firma<br />
bekommt die Nachricht. Sie muss sich<br />
nicht mehr selbst um eine neue<br />
Order kümmern.<br />
Die gefüllten und speziell etikettierten<br />
Flaschen melden noch in der Produktionsanlage,<br />
wer ihre Empfänger<br />
sind. Der eine Teil geht an das Unternehmen<br />
Kinderland, die andere<br />
Charge an den Tiermarkt<br />
Hundeglück.<br />
Der Chef der Firma Kinderland sieht<br />
an seinem Computer, dass seine Ware<br />
auf dem Weg zu ihm ist, und schickt<br />
gleich eine neue Bestellung. Dieses Mal<br />
sollen es 300 Flaschen Kindershampoo<br />
auf Eigelbbasis und mit Hasenstickern<br />
sein.<br />
74 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Technik&Wissen<br />
KREATIVITÄT | Von der<br />
genialen Idee zum<br />
erfolgreichen Produkt:<br />
Die Sieger und Nominierten<br />
des Deutschen<br />
Innovationspreises<br />
<strong>2014</strong> haben das geschafft.<br />
Vier Strategien<br />
helfen Ihnen, genauso<br />
erfolgreich zu werden.<br />
Schöpfung<br />
mit System<br />
trachten. Und der fränkische Mittelständler<br />
Actuator Solutions stellt mit Gedächtnismetall<br />
Objektive in Smartphones scharf.<br />
Die gute Nachricht für alle weniger innovativen<br />
Firmen: Es gibt mittlerweile eine<br />
Fülle von Techniken, die Kreativität der eigenen<br />
Mitarbeiter, der Kunden und des Internets<br />
gezielt zu aktivieren, um so systematisch<br />
neue attraktive Produkte zu entwickeln.<br />
Vier erfolgreiche Strategien:<br />
n Brainstorming hat den Ruf, vor allem<br />
Laut-Sprechern und Vielrednern eine Bühne<br />
zu bieten. Tatsächlich aber wird es –<br />
kombiniert mit Fragetechniken, die den<br />
Beteiligten Orientierung geben – richtig ef-<br />
AUSSCHREIBUNG<br />
Neue Runde<br />
Nach dem Wettbewerb ist vor dem<br />
Wettbewerb. Haben Sie als Konzern,<br />
Mittelständler oder Start-up eine tolle<br />
Idee, dann bewerben auch Sie sich<br />
für den Deutschen Innovationspreis.<br />
Verpassen Sie nicht den Start<br />
der nächsten Ausschreibung und<br />
registrieren Sie sich unter www.derdeutsche-innovationspreis.de<br />
Sie sind die wichtigsten<br />
Rohstoffe des 21. Jahrhunderts<br />
– Wissen, Kreativität,<br />
Innovation. Alle reden darüber,<br />
alle wollen sie haben.<br />
Und dann das: Nur<br />
vier Prozent der Manager<br />
halten ihr Unternehmen<br />
für „sehr innovativ“, wie eine Befragung<br />
von 250 deutschen Führungskräften ermittelt<br />
hat. Die große Mehrheit klagt, es hapere<br />
an der Innovationskultur in ihren Unternehmen.<br />
Das ist nicht das einzige Alarmsignal,<br />
wenn es um die Innovationsstärke der<br />
deutschen Wirtschaft geht. Erst jüngst<br />
hat die Europäische Union in ihrem Innovation<br />
Scoreboard Deutschland um einen<br />
auf den dritten Platz herabgestuft. Besonders<br />
beunruhigend: Der Anteil neu eingeführter,<br />
besonders innovativer Produkte an<br />
den Umsätzen geht zurück. Ein Indiz, dass<br />
sich die Unternehmen zu sehr auf die<br />
klugen Ideen der Vergangenheit verlassen.<br />
Wahr ist aber auch: Noch immer gibt es<br />
viele positive Gegenbeispiele. Das beweisen<br />
die Sieger und Nominierten des Deutschen<br />
Innovationspreises <strong>2014</strong>: Der Hamburger<br />
Handelskonzern Otto etwa überzeugt<br />
mit einer Software, die die Verkäufe<br />
kommender Monate beeindruckend präzise<br />
vorhersagt. Das Münchner Startup<br />
iThera Medical erzeugt mit Licht Töne und<br />
ermöglicht Ärzten so, Adern, Gewebe oder<br />
Zellen in nie gekannter Auflösung zu befektiv.<br />
Statt pauschal Geschäftsideen einzufordern,<br />
fragen Sie konkret. Etwa: Wie<br />
lässt sich das, was Kinder mögen, teuer an<br />
Erwachsene verkaufen? Eine mögliche,<br />
schnell zu findende Antwort:Inlineskates.<br />
n Open Innovation zapft das Wissen externer<br />
Experten an. Unternehmen schreiben<br />
etwa wissenschaftliche Probleme auf Online-Plattformen<br />
wie Innocentive aus. Erfinder<br />
bieten Lösungen an. Wessen Vorschlag<br />
siegt, der erhält ein Preisgeld. Die<br />
US-Weltraumbehörde Nasa kam so auf<br />
eine Testmethode für Kevlar-Bauteile.<br />
n Co-Creation bindet Kunden in die Entwicklung<br />
eines neuen Produkts ein. Auf<br />
Internet-Plattformen wie Affinnova und<br />
Hyve bewerten Testpersonen Tausende<br />
Versionen eines neuen Produkts – mit grünem<br />
oder gelbem Schriftzug, diesem oder<br />
jenem Namen. Der Kosmetikhersteller Beiersdorf<br />
hat so ein Deo entwickelt, dessen<br />
Produkteinführung zur erfolgreichsten in<br />
der Geschichte des Unternehmens wurde.<br />
n Design Thinking greift auf Methoden aus<br />
dem Produktdesign zurück: verstehen, beobachten,<br />
sehr früh Prototypen testen.<br />
Wichtigste Regel: Die Kundenwünsche stehen<br />
im Mittelpunkt. Die Fluggesellschaft<br />
Air New Zealand hat so einen Sitz für die<br />
Economy Class entworfen, in dem sich Reisende<br />
der Länge nach ausstrecken können.<br />
Wie unsere Preisträger und Nominierten<br />
auf ihre Ideen gekommen sind, erfahren<br />
Sie auf den folgenden Seiten.<br />
andreas.menn@wiwo.de, lothar kuhn<br />
FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
76 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Das Online-Orakel<br />
Der Versandhändler Otto weiß, was Kunden wollen –<br />
bevor die es selbst wissen. Dank der Atomphysik.<br />
SIEGER<br />
Kategorie Großunternehmen<br />
Otto, Hamburg<br />
Michael Sinn, Direktor Category Support<br />
(links), und Michael Heller, Bereichsvorstand<br />
Categories, ordern dank Big-Data-<br />
Analysen nun optimale Warenmengen.<br />
Jeder Kioskbesitzer kennt das Dilemma<br />
von Angebot und Nachfrage: Bestellt<br />
er am Anfang der Woche zu<br />
wenig Limo, Lakritz und Brötchen, dann<br />
stehen die Kunden schon nach ein paar<br />
Tagen vor leeren Regalen. Ordert er zu<br />
viel, werden die Brötchen alt und bleiben<br />
liegen. Je ungenauer seine Prognose,<br />
desto schlechter die Geschäfte.<br />
Was schon im Laden um die Ecke mit<br />
ein paar Hundert Produkten ein teures<br />
Problem sein kann, wird für die Branchengrößen<br />
im Online-Handel zur Herkulesaufgabe.<br />
Allein der Hamburger Ver-<br />
sandhändler Otto etwa hat mehr als zwei<br />
Millionen verschiedene Artikel im Sortiment:T-Shirts<br />
und Taschen, Handtücher<br />
und Gardinen, Fernseher und Waschmaschinen.<br />
Und oft müssen seine Einkäufer<br />
schon Monate im Voraus einschätzen,<br />
was die Kunden später kaufen.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 77<br />
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Technik&Wissen<br />
Die Jury<br />
Aus den zahlreichen Bewerbungen<br />
wählt ein Kreis hochrangiger Experten<br />
die besten und kürt die Sieger.<br />
Peter Fritz, ehemaliger Vizepräsident<br />
des Karlsruher Instituts für Technologie,<br />
berät die Jury wissenschaftlich.<br />
Roland Tichy<br />
Vorsitzender der Jury<br />
und Chefredakteur der<br />
WirtschaftsWoche<br />
Gerd Binnig<br />
Nobelpreisträger für<br />
Physik<br />
Hubertus Christ<br />
ehemaliger Vorsitzender,<br />
Deutscher Verband<br />
Technisch-Wissenschaftlicher<br />
Vereine<br />
Klaus Engel<br />
Vorstandschef, Evonik<br />
in Essen<br />
Matthias Kleiner<br />
Designierter<br />
Präsident der Leibniz-<br />
Gemeinschaft<br />
Frank Mastiaux<br />
Vorsitzender des<br />
Vorstands, EnBW<br />
Frank Riemensperger<br />
Vorsitzender der<br />
Geschäftsführung,<br />
Accenture<br />
Cornelia Rudloff-<br />
Schäffer<br />
Präsidentin des<br />
Deutschen Patentund<br />
Markenamtes<br />
Andreas Schmitz<br />
Sprecher des Vorstands,<br />
HSBC Trinkaus<br />
& Burkhardt AG<br />
Günther Schuh<br />
Lehrstuhl für<br />
Produktionssystematik,<br />
RWTH Aachen<br />
Manfred Wittenstein<br />
Vorstandschef,<br />
Wittenstein AG<br />
»<br />
Wie viele T-Shirts der Marke X, in Rot,<br />
Größe M, werden die Kunden in Kalenderwoche<br />
23 bestellen? Wie hoch muss der<br />
Verkaufspreis liegen, um alle Artikel an den<br />
Mann zu bringen? Und wie viele Käufer<br />
werden das T-Shirt zurückschicken?<br />
Um Fragen wie diese treffsicher zu beantworten,<br />
hat Otto eine Prognose-Software<br />
entwickelt, die ihresgleichen sucht:<br />
Für jeden einzelnen Artikel im Sortiment<br />
des Versandhändlers berechnet sie tagesaktuell<br />
die Verkaufsprognosen der kommenden<br />
Wochen oder Monate. Und das<br />
deutlich genauer, als es früher möglich war.<br />
Das digitale Orakel hat die Jury des Deutschen<br />
Innovationspreises überzeugt. „Unternehmen,<br />
die die wachsende Datenflut<br />
von Computernetzwerken intelligent auswerten,<br />
schaffen sich einen strategischen<br />
Vorteil“, sagt Frank Riemensperger,<br />
Deutschland-Chef der Unternehmensberatung<br />
Accenture. „Die Prognose-Software<br />
der Otto<br />
Group zeigt vorbildlich, wie<br />
Big Data Geschäftsprozesse<br />
viel effizienter und produktiver<br />
macht.“ Otto belegt daher<br />
in der Kategorie Großunternehmen<br />
Platz eins.<br />
Rund 200 Variablen fließen<br />
in die Berechnung ein,<br />
etwa die Verkaufszahlen des Vorjahres, aktuelle<br />
Werbekampagnen für das Produkt<br />
oder gar die Wettervorhersage: Scheint in<br />
der nächsten Woche die Sonne, dann wird<br />
der Absatz von Sommerkleidern steigen.<br />
Regnet es, sinken die Absatzzahlen. Rund<br />
um die Uhr füttern die Mitarbeiter das System<br />
mit neuen Informationen.<br />
FÜNF MILLIARDEN PROGNOSEN<br />
„Die Software ist ein selbstlernendes System,<br />
das sich laufend aktualisiert“, sagt Michael<br />
Sinn, Direktor Category Support bei<br />
Otto. Server mit der Rechenkraft von 250<br />
Schreibtischcomputern erstellen auf diese<br />
Weise fünf Milliarden Prognosen im Jahr.<br />
„Unsere Disponenten bekommen jeden<br />
Morgen frische Prognosen auf den Bildschirm“,<br />
sagt Sinn. Das rote T-Shirt in Größe<br />
M, steht dann vielleicht auf dem Monitor,<br />
wird in den kommenden acht Wochen<br />
vermutlich 4567 Mal verkauft. Die Mitarbeiter<br />
können entsprechend viele Exemplare<br />
beim Hersteller bestellen.<br />
Das Ergebnis ist beeindruckend: Gegenüber<br />
früheren Prognose-Verfahren, die oft<br />
nicht viel mehr als die Verkaufszahlen des<br />
Vorjahres berücksichtigten, kann Otto heute<br />
die Verkäufe je nach Produktkategorie<br />
MEHR ZUM THEMA<br />
Eine ausführliche Bildergalerie<br />
von der Verleihung<br />
des Deutschen Innovationspreises<br />
in München finden<br />
Sie im Internet unter<br />
wiwo.de/innovationspreis<br />
um 20 bis 40 Prozent genauer vorhersagen.<br />
Die Folge: Die Produkte sind nicht mehr zu<br />
früh ausverkauft – und bleiben trotzdem<br />
auch seltener im Lager liegen. „Das ist gut<br />
für unsere Kunden“, sagt Michael Heller,<br />
Otto-Bereichsvorstand Categories und zuständig<br />
für Einkauf, Vertrieb und Angebotssteuerung,<br />
„es ist gut für uns, und nicht<br />
zuletzt auch gut für die Umwelt.“<br />
Hinter Ottos Orakel, das inzwischen<br />
beim Tochterunternehmen Blue Yonder<br />
seinen Dienst tut, steht ein Algorithmus<br />
namens Neurobayes, eine komplizierte Rechenfolge,<br />
die der Physiker Michael Feindt<br />
vor Jahren entwickelt hat. Es ging dem Forscher<br />
damals nicht um Artikel aus dem Online-Shop,<br />
sondern um Atome: Feindt, Leiter<br />
des Instituts für experimentelle Kernphysik<br />
an der Universität Karlsruhe, baute<br />
Neurobayes mit dem Ziel, Ereignisse zu<br />
prognostizieren, die bei der Kollision von<br />
Atomen im Teilchenbeschleuniger<br />
am CERN nahe<br />
Genf stattfinden, dem weltweit<br />
größten seiner Art.<br />
Im Jahr 2012 entdeckten<br />
die CERN-Forscher das langgesuchte<br />
Higgs-Teilchen,<br />
nicht zuletzt auch dank des<br />
Neurobayes-Algorithmus.<br />
Das alles war sechs Jahre<br />
zuvor noch nicht zu erahnen, als Otto-Mitarbeiter<br />
auf Feindts Entwicklung stießen.<br />
Der Konzern hatte gerade ein Team ausschwärmen<br />
lassen, um nach Software zu<br />
suchen, mit der sich das Sortiment des Versenders<br />
präziser steuern lassen würde. „Es<br />
war absehbar, dass herkömmliche Prognoseverfahren<br />
der zunehmenden Komplexität<br />
des Geschäftsmodells auf Dauer nicht<br />
mehr gerecht werden können“, sagt Vorstand<br />
Heller. „Daher war es uns wichtig,<br />
neue Wege zu gehen und zu schauen, welche<br />
Alternativen denkbar sind.“<br />
Drei verschiedene Programme traten im<br />
Wettbewerb gegeneinander an, gefüttert<br />
mit reichlich Daten von Otto. „Feindts Ergebnisse<br />
waren um Längen besser als die<br />
der anderen“, erinnert sich Otto-Datenexperte<br />
Sinn. Das Management entschied<br />
sich dazu, den Atom-Algorithmus für den<br />
Versandhandel umzuschreiben. Eine Entscheidung<br />
ohne Erfolgsgarantie.<br />
Doch sie sollte sich auszahlen. Die Restbestände<br />
zum Saisonende sanken um bis<br />
zu 20 Prozent. „Und unsere Mitarbeiter“,<br />
sagt Otto-Experte Sinn, „können sich jetzt<br />
ganz auf die Vermarktung unserer Waren<br />
konzentrieren.“<br />
andreas.menn@wiwo.de<br />
FOTOS: HEIKE ROST FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, DIETER MAYR FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE (2), DDP IMAGES, PICTURE-ALLIANCE/DPA, PR (7)<br />
78 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Muskeln aus Drahtseilen<br />
Der Mittelständler Actuator Solutions hat Metallfäden mit<br />
Gedächtnis entwickelt. Damit schießen Handys schärfere Fotos.<br />
SIEGER<br />
Kategorie Mittelständler<br />
Actuator Solutions Gunzenhausen<br />
Schnellerer Fokus, schärfere Bilder – mit intelligenten Mikro-Drähten wollen<br />
Markus Köpfer (rechts, CEO Actuator Solutions) und Markus Gebhardt (Vorstand<br />
Alfmeier Präzision) den Handymarkt aufmischen. In Kameras von Smartphones<br />
spart ihre Technik gegenüber herkömmlichen Lösungen zwei Drittel an Gewicht,<br />
außerdem benötigt sie weniger Strom und Platz.<br />
Es klingt wie Science-Fiction: Damit<br />
Urlaubsfotos oder Selfies scharf werden,<br />
genügt ein Draht. Aber ein besonderer,<br />
denn er kann sich wie ein Muskel<br />
zusammenziehen und ausdehnen. Etwa<br />
drei Mal dünner als ein menschliches Haar<br />
ist er, aber stark genug, um eine Tafel Schokolade<br />
mehr als eine Million Mal anzuheben.<br />
Das ist kein verspäteter April-Scherz,<br />
den Draht gibt es wirklich.<br />
Und Markus Köpfer will ihn millionenfach<br />
in Handys verbauen. Der 47-jährige<br />
Ingenieur ist Geschäftsführer bei Actuator<br />
Solutions im fränkischen Gunzenhausen.<br />
Der deutsche Autozulieferer Alfmeier Präzision<br />
und der italienische Metallspezialist<br />
SAES Getters haben das Joint Venture 2011<br />
gegründet. 2013 machte das Unternehmen<br />
mit 65 Mitarbeitern schon elf Millionen<br />
Euro Umsatz. „In einigen Jahren könnten<br />
es mehr als 100 Millionen sein“, hofft<br />
Köpfer.<br />
Ermöglichen soll das ein Draht<br />
aus einer Formgedächtnislegierung:<br />
Je nachdem, wie stark das<br />
Metall erhitzt wird, zieht es sich<br />
zusammen; kühlt es ab, nimmt es<br />
wieder die alte Form an. Der Metallfaden<br />
aus Nickel und Titan behält<br />
quasi im Gedächtnis, welche<br />
Videos<br />
In den App-<br />
<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />
Sie an dieser<br />
Stelle Video-<br />
Porträts der Sieger.<br />
Form er einmal hatte. Um ihn zu steuern,<br />
genügt es, Strom hindurchzuleiten. Dabei<br />
kann er um bis zu sieben Prozent seiner<br />
Länge schrumpfen.<br />
Für die teils mikroskopisch kleinen Bauteile<br />
in Handykameras will Köpfer den Effekt<br />
nutzen, um per Stromimpuls die Kameralinse<br />
zu bewegen – und so das Bild<br />
scharf zu stellen. Vorteil der Konstruktion:<br />
„Unsere Technik ist zwei Drittel leichter,<br />
stromsparender und kleiner als die bisher<br />
genutzten Elektromotoren“, verspricht<br />
Köpfer. Im Herbst will ein Hersteller aus<br />
China die ersten Handys mit Gedächtnis-<br />
Draht im Objektiv auf den Markt bringen.<br />
Die ausgefeilte Technik war nicht der<br />
einzige Grund für die Jury, Actuator Solutions<br />
mit dem Deutschen Innovationspreis<br />
zu prämieren. „Die Juroren hat auch begeistert,<br />
wie dem Unternehmen der Technologietransfer<br />
<strong>vom</strong> Autobau in den<br />
Smartphone-Markt gelungen ist“, sagt<br />
EnBW-Chef und Jurymitglied Frank Mastiaux.<br />
Denn unbekannt waren die Fähigkeiten<br />
der Gedächtnismetalle bisher nicht.<br />
Vor zwölf Jahren begann der Actuator-<br />
Mutterkonzern Alfmeier aus dem bayrischen<br />
Treuchtlingen mit dem Metall zu experimentieren,<br />
erzählt Markus Gebhardt,<br />
Vorstand und Gesellschafter bei Alfmeier.<br />
Die Idee: In Autos könnte der Draht die<br />
Ventile steuern, über die sich die in Komfortsitzen<br />
eingebauten Luftkissen regeln<br />
lassen. Sie geben den Passagieren Halt in<br />
Kurven und haben eine Massagefunktion.<br />
Erster Einsatzort war Daimlers S-Klasse<br />
2005. Dort arbeiteten zuvor elektromagnetisch<br />
gesteuerte Ventile. Die aber waren<br />
lauter und nicht so genau wie die Alfmeier-Entwicklung.<br />
Und so arbeiten inzwischen<br />
mehr als zehn Millionen Ventile mit<br />
dem Gedächtnismetall in Autositzen deutscher<br />
Premiumhersteller, sagt Alfmeier-<br />
Vorstand Gebhardt.<br />
Während Actuator Solutions zehn Millionen<br />
Euro in die Anpassung der Technik<br />
an die Handywelt steckte, gaben Wettbewerber<br />
die Arbeit mit Gedächtnismetallen<br />
auf: darunter Fiat, Continental und Bosch.<br />
Das habe ihnen einen Vorsprung von zehn<br />
Jahren beschert, glaubt Actuator-<br />
Chef Köpfer.<br />
Er hat auch schon die nächste<br />
Idee, wie er sein Produkt einsetzen<br />
will: Bald schon soll der Draht nicht<br />
mehr nur Bilder in Handykameras<br />
scharf stellen, sondern sie auch<br />
stabilisieren, um verwackelte Aufnahmen<br />
zu vermeiden.<br />
»<br />
benjamin.reuter@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 79<br />
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Technik&Wissen<br />
Der Klang der Krankheit<br />
Das Start-up iThera Medical erzeugt mit Lichtblitzen Töne.<br />
Der verblüffende Effekt hilft Ärzten, Krebszellen aufzuspüren.<br />
SIEGER<br />
Kategorie Start-ups<br />
iThera München<br />
Eine völlig neues medizinisches Bildgebungsverfahren<br />
haben iThera-Geschäftsführer<br />
Christian Wiest (von links), Finanzchef Philipp<br />
Bell und die Professoren Daniel Razansky und<br />
Vasilis Ntziachristos auf den Markt gebracht.<br />
Mit Laserimpulsen Druckwellen<br />
auszulösen, das ist der neuste<br />
Trick, mit dem Forscher Adern,<br />
Gewebe oder Zellen sichtbar machen. Bei<br />
dieser völlig neuen Darstellungsmethode,<br />
der Opto-Akustik, jagen sie kurze Lichtblitze<br />
in den Körper. Dort wird das Licht absorbiert,<br />
von Haut, Fett oder Blut – je dunkler<br />
die Strukturen sind, desto stärker.<br />
Der Effekt: Bei jedem auftreffenden<br />
Lichtblitz erwärmt sich das Gewebe und<br />
dehnt sich dabei für einen kurzen Moment<br />
ein ganz klein wenig aus. Diese Minibewegungen<br />
erzeugen wiederum Druckwellen,<br />
die wie beim Ultraschall aus dem Körper<br />
zurückstrahlen. Diese akustischen Signale<br />
registrieren Detektoren, ein Rechner setzt<br />
daraus ein Bild zusammen.<br />
Entwickelt haben das Verfahren mit dem<br />
Respekt einflößenden Namen multispektrale<br />
optoakustische Tomografie (MSOT)<br />
zwei Professoren für biologische Bildgebung<br />
des Helmholtz-Zentrums und der<br />
Technischen Universität München: Vasilis<br />
Ntziachristos und Daniel Razansky. Gemeinsam<br />
mit Christian Wiest, der zuvor im<br />
Vertrieb für General Electric Healthcare arbeitete,<br />
gründeten sie 2010 iThera Medical,<br />
um die Idee aus der Grundlagenforschung<br />
für die Anwendung fit zu machen. Extrem<br />
hilfreich war dabei die drei Millionen Euro<br />
starke Förderung aus dem GO-Bio-Programm<br />
des Bundesforschungsministeriums,<br />
sagt iThera-Geschäftsführer Wiest:<br />
„Privaten Investoren war diese frühe Phase<br />
der Technikentwicklung zu riskant.“<br />
Der Vorstandschef des Technologiekonzerns<br />
Evonik und Juror des Innovationspreises<br />
Klaus Engel ist beeindruckt <strong>vom</strong> Erfindergeist<br />
der iThera-Gründer: „Mit Lichtpulsen<br />
Töne zu erzeugen und diese wieder<br />
in Bilder zu verwandeln – auf die Idee muss<br />
man erst einmal kommen.“ Und weil diese<br />
schonende Diagnosetechnik bisher unsichtbare<br />
Dinge wie einzelne Zellen, etwa<br />
rote Blutkörperchen, sichtbar macht, haben<br />
Engel und seine Mit-Juroren den<br />
Münchnern in der Kategorie Start-up den<br />
ersten Preis verliehen.<br />
Engel ist überzeugt: „Wenn sich diese<br />
Technik durchsetzt und bewährt, können<br />
Ärzte in Zukunft viele Krankheiten früher<br />
erkennen und besser behandeln.“<br />
Tatsächlich erlaubt es MSOT, selbst einzelne<br />
Krebszellen zu orten – am klarsten<br />
die dunklen Zellen des sehr aggressiven<br />
schwarzen Hautkrebses. Aber auch andere<br />
Tumorzellen lassen sich an ihrem Klangmuster<br />
gut von gesunden Zellen unterscheiden.<br />
So können Chirurgen bald während<br />
einer Tumoroperation kontrollieren,<br />
ob sie alle Krebszellen entfernt haben.<br />
Aber auch einzelne Zellen, die aus einem<br />
Tumor bis in die Lymphknoten gewandert<br />
sind, können die MSOT-Geräte finden.<br />
Auch rote, mit sauerstoffreichem Hämoglobin<br />
gesättigte Blutkörperchen erkennen<br />
Ärzte in ersten Tests glasklar. Kleinste Gefäße<br />
werden so sichtbar. Und es lässt sich mit<br />
der Methode sogar feststellen, ob ein Organ<br />
wie etwa die Leber auch gut mit Sauerstoff<br />
versorgt wird, also gesund ist.<br />
Erste Geräte hat iThera Medical bereits<br />
gebaut und weltweit inzwischen 16 Mal<br />
verkauft, derzeit vor allem für die Forschung.<br />
Medizinische Analysegeräte für<br />
Kliniken sollen folgen.<br />
»<br />
susanne.kutter@wiwo.de<br />
FOTO: ROBERT BREMBECK FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
80 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Technik&Wissen<br />
Mobiler Retter<br />
Der Medizintechnikspezialist Karl Storz macht einst klobige<br />
Untersuchungs- und Operationsgeräte extrem handlich.<br />
NOMINIERTER<br />
Kategorie Großunternehmen<br />
Karl Storz Tuttlingen<br />
Ihr etwa 10 000 Euro teures, tragbares<br />
Endoskop haben Karl-Storz-Projektleiter<br />
Fritz Hensler (von links), Peter Schwarz,<br />
der Abteilungsleiter Forschung Bildgebung,<br />
und Forschungschef Klaus Irion<br />
schon mehrere Tausend Mal verkauft.<br />
Dem Amoklauf auf der Spur<br />
Autoimmunerkrankungen zu erkennen war aufwendige,<br />
manuelle Arbeit. Nun erledigt sie ein Roboter von Aesku Systems.<br />
Es ist ein tragischer Irrtum: Nicht immer<br />
funktioniert das Abwehrsystem<br />
des Menschen so, wie es sollte. Statt<br />
Krankheitserreger zu bekämpfen, greift es<br />
zuweilen den eigenen Körper an – und<br />
schädigt ihn dabei schwer. Rheuma und<br />
Diabetes sind bekannte Beispiele für solche<br />
Autoimmunerkrankungen, von denen<br />
es Hunderte gibt. Was sie eint: Sie sind oft<br />
nur schwer zu diagnostizieren.<br />
Durch dünne Schläuche, die Endoskope,<br />
spähen Ärzte schon seit Jahren<br />
sehr erfolgreich den Körper<br />
aus: Sie schieben Kameras, Leuchten und<br />
bei Bedarf sogar winzige Werkzeuge wie<br />
Pinzetten oder Scheren durch diese Rohre<br />
in Magen, Darm, Lunge oder Stirnhöhlen.<br />
Sogar Operationen sind ohne Schnitte<br />
möglich, wenn Chirurgen die fingerdicken<br />
Endoskope durch Körperöffnungen wie<br />
Speise- oder Luftröhre ins Innere der Patienten<br />
lenken.<br />
Bisher waren dabei aber mehrere große<br />
Apparaturen notwendig, die neben dem<br />
Personal auf mannshohen Wägelchen im<br />
Operationssaal standen. Nun aber hat der<br />
Endoskop-Spezialist Karl Storz aus dem<br />
schwäbischen Tuttlingen die Technik drastisch<br />
geschrumpft.<br />
Genau das findet Frank Riemensperger,<br />
Juror des Innovationspreises und Deutschland-Chef<br />
der Beratung Accenture, so<br />
spannend: „Die Ingenieure von Karl Storz<br />
haben es geschafft, die vormals sperrigen<br />
Einzelgeräte wie Lichtquellen, Pumpen,<br />
Monitore und Rechner platzsparend in einem<br />
einzigen, nur sieben Kilogramm<br />
schweren Gerät zusammenzufassen.“ Der<br />
Effekt laut Riemensperger: „Als preiswerteres<br />
Mobil-Endoskop im Aktenkoffer-Format<br />
wird diese innovative Technik die Praxen<br />
von niedergelassenen Ärzte und Kliniken<br />
in entwicklungsschwachen Gebieten<br />
dieser Welt erobern“ (siehe auch Seite 44).<br />
Daneben eignet sich das Gerät namens<br />
Tele Pack X gut für den Einsatz in Rettungswagen,<br />
so Klaus Irion, Forschungschef von<br />
Karl Storz – oder für Materialprüfer, die<br />
Turbinen kontrollieren. Was ihn besonders<br />
freut: „Es lässt sich ganz einfach wie ein<br />
iPhone über den Bildschirm steuern.“<br />
susanne.kutter@wiwo.de<br />
Die Folge: „Viele Menschen mit Autoimmunerkrankungen<br />
wie Lupus, Morbus<br />
Crohn oder Zöliakie leiden nicht nur<br />
erheblich – Ihre Krankheiten werden oft<br />
jahrelang nicht richtig erkannt“, sagt Jurymitglied<br />
Frank Mastiaux. Der Vorstandsvorsitzende<br />
des Energieversorgers EnBW<br />
setzt daher große Hoffnungen auf den<br />
Mittelständler Aesku Systems aus<br />
Wendelsheim in Rheinland-Pfalz: „Die<br />
schnelle und kostensparende Analysetechnik<br />
des Helios-Systems kann hier<br />
Abhilfe schaffen.“<br />
Denn Torsten Matthias, der Chef von<br />
Aesku Systems, hat mit seinem Team den<br />
weltweit ersten Diagnoseroboter ent-<br />
FOTOS: DENIZ SAYLAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE (2)<br />
82 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Das Meer ist <strong>vom</strong> Stadtteil Fürstenhausen<br />
der saarländischen Kleinstadt<br />
Völklingen weit entfernt. Mindestens<br />
400 Kilometer sind es bis zur Nordsee.<br />
Trotzdem gedeihen im deutschen<br />
Südwesten seit gut einem Jahr Meeresfische<br />
wie Wolfsbarsche, Doraden und sogar<br />
Störe für die Kaviargewinnung.<br />
Ein Aquarium im XXL-Format des Anlagenbauers<br />
Neomar aus der Nähe von Hannover<br />
macht das möglich. Dank eines geschlossenen<br />
Wasserkreislaufs und aufwendiger<br />
Filtertechnik gedeihen die Salzwasserbewohner<br />
auch fernab der Küsten; 650<br />
Tonnen sollen es in der neuen Anlage pro<br />
Jahr sein. Damit ist sie eine der ersten dieser<br />
Art im Binnenland. „Von Ostern <strong>2014</strong><br />
an startet der Verkauf durch einen großen<br />
Lebensmittelhändler“, sagt Neomar-Geschäftsführer<br />
Bert Wecker.<br />
Die Nachfrage nach der innovativen<br />
Technik wird in den nächsten Jahren deutlich<br />
wachsen. Denn der Bedarf an Meerestieren<br />
steigt ständig, auch weil sie als gesund<br />
gelten: Jeder Deutsche aß 2012 rund<br />
15,2 Kilogramm Fisch und Meeresfrüchte.<br />
20<strong>04</strong> waren es 13,8 Kilogramm. Weltweit<br />
liegt der Fischkonsum sogar bei 17 Kilogramm<br />
pro Kopf – das ist fast doppelt so<br />
viel wie in den Sechzigerjahren.<br />
Die Meere allein können diesen Bedarf<br />
längst nicht mehr decken. Weltweit gelten<br />
über 75 Prozent der kommerziell gewickelt,<br />
der den Amoklauf des Immunsystems<br />
vollautomatisch aufspüren kann.<br />
Die Helios genannte Maschine – das Kürzel<br />
steht für Helmed Integrated Optical System<br />
– sieht aus wie ein Helm mit verdunkeltem<br />
Visier. Es bereitet Blut- oder Serumproben<br />
von Patienten nicht nur für die bisher sehr<br />
zeitaufwendige Immunfluoreszenzanalyse<br />
auf, sondern wertet sie auch gleich aus.<br />
Das Verfahren erzeugt typische Leuchtmuster,<br />
die ihrerseits die Autoimmunerkrankungen<br />
verraten. „Die Probenröhrchen<br />
bekommen einen Barcode und werden<br />
in den Automaten gestellt, alles andere<br />
macht der Helios ganz alleine“, sagt Wissenschaftler<br />
Torsten Matthias, der vor zehn<br />
Jahren das auf Labordiagnostik spezialisierte<br />
Unternehmen gründete.<br />
Zuvor forschte er selbst gut 20 Jahre lang<br />
an Autoimmunerkrankungen. Deshalb<br />
weiß Matthias genau, wie mühsam es ist,<br />
diese Leiden zu analysieren. Bisher nämlich<br />
müssen Labormitarbeiter die Proben<br />
auf beschichteten Objektträgern ausstreichen,<br />
sie dann – nach unterschiedlich lan-<br />
NOMINIERTER<br />
Kategorie Mittelständler<br />
Aesku Systems Wendelsheim<br />
Der Diagnoseautomat von Bioverfahrenstechnikerin<br />
Miriam Strauß<br />
(von rechts), Elektroniker Matthias<br />
Wende, Aesku-Chef Torsten<br />
Matthias und Assistent Alexander<br />
Frey erkennt Leiden wie Rheuma<br />
oder Schuppenflechte.<br />
gen Wartezeiten – mit anderen Flüssigkeiten<br />
beträufeln und schließlich mit einem<br />
Deckgläschen verschließen. Erst dann<br />
können sie die Proben mit einem Mikroskop<br />
untersuchen.<br />
Dabei müssen die Laboranten die Muster<br />
jeder Probe genau betrachten, bewerten<br />
und fotografieren – und zwar bei völliger<br />
Dunkelheit. „In großen Labors, die Tausende<br />
solcher Tests täglich durchführen,<br />
stehen die Mitarbeiter oft bis zu fünf Stunden<br />
am Stück in der Dunkelkammer“, erzählt<br />
Matthias.<br />
Der Helios-Roboter, den er nach dem<br />
griechischen Sonnengott benannte, macht<br />
damit Schluss. Das Gerät fasst bis zu 190<br />
Proben und übernimmt alle Arbeitsschritte<br />
zeit- und kostensparend vollautomatisch<br />
– <strong>vom</strong> Aufbereiten der Proben bis zu<br />
den fertigen Digitalfotos der Muster. Die<br />
können die Mitarbeiter dann im Hellen auf<br />
dem Rechnerbildschirm begutachten.<br />
Mehr als 60 Mal hat Aesku Systems den<br />
Roboter bereits weltweit verkauft.<br />
susanne.kutter@wiwo.de<br />
Doraden aus Völklingen<br />
Die Gründer von Neomar züchten erstmals Salzwasserfisch<br />
an Land und entlasten damit die Küstengewässer.<br />
NOMINIERTER<br />
Kategorie Start-ups<br />
Neomar Uelze-Eltze<br />
Die Macher von Neomar,<br />
Jochen Dahm, Bert Wecker,<br />
Uwe Waller (von links), verkaufen<br />
bald tonnenweise Meeresfische<br />
aus Binnengewässern.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 83<br />
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Technik&Wissen<br />
»<br />
nutzten Fischbestände als überfischt.<br />
Das bedeutet: Der Mensch holt mehr Tiere<br />
aus dem Meer, als neue nachwachsen.<br />
Deshalb hat die Idee der Aufzucht mit<br />
geschlossenem Wasserkreislauf die Jury<br />
des Innovationspreises überzeugt: „Anlagen,<br />
wie Neomar sie anbietet, entlasten die<br />
küstennahen Gewässer, die sonst oft durch<br />
Ausscheidungen der Fische von Zuchtanlagen<br />
verunreinigt werden“ sagt Klaus Engel,<br />
Vorstandschef des Spezialchemie-<br />
Konzerns Evonik und Co-Juror des Deutschen<br />
Innovationspreises. Das Salzwasser<br />
in dem 30 auf 30 Meter großen und etwa<br />
zwei Meter tiefen Betonbecken in Völklingen<br />
zirkuliert immer wieder durch verschiedene<br />
Filter. Das klappt bei Neomar so<br />
gut, dass „wir pro Tag nicht einmal ein Prozent<br />
des Salzwassers auswechseln müssen“,<br />
so Wecker.<br />
Und das ist nicht der einzige Vorteil: So<br />
entweichen aus den Zuchtanlagen in den<br />
Küstengewässern immer wieder Fische. Da<br />
sie häufig nicht aus der betreffenden Meeresregion<br />
stammen, verändert dies das<br />
Ökosystem. Empfindlichere Arten werden<br />
verdrängt – mit unabsehbaren Folgen für<br />
die Umwelt. Und: „Die Anlagen machen<br />
den Betreiber unabhängig von Schwankungen<br />
der Fangmenge“, lobt Juror Engel.<br />
Schließlich sind die Wege des Fisches<br />
<strong>vom</strong> Fang bis zum Verbraucher deutlich<br />
kürzer als bisher. Kommt beispielsweise<br />
der Lachs aus Norwegen oder die Dorade<br />
aus dem Mittelmeer, kann es bis zu sechs<br />
Tage dauern, bis der Fisch in Deutschland<br />
in der Theke landet. Bei Neomar sollen die<br />
Tiere schon nach zwei Tagen im Handel<br />
sein. Damit bekäme der Kunde den Meeresfisch<br />
in Zukunft auch deutlich frischer<br />
als bisher auf den Tisch.<br />
juergen.rees@wiwo.de<br />
Eintracht im Technikzoo<br />
Die Qivicon-Plattform der Deutschen Telekom beendet die<br />
babylonische Sprachverwirrung im Smart Home.<br />
NOMINIERTER<br />
Kategorie Großunternehmen<br />
Deutsche Telekom Bonn<br />
Zukunftsideen à la Star Trek<br />
begeisterten Holger Knöpke<br />
schon als Jugendlichen. Heute<br />
arbeitet er als Leiter Connected<br />
Home der Telekom daran, sie<br />
wenigstens zum Teil Wirklichkeit<br />
werden zu lassen.<br />
Der Kühlschrank offen; die Dusche<br />
kalt, weil die Heizung stillsteht; das<br />
ungute Gefühl, wenn beim Heimkommen<br />
das Küchenfenster gekippt ist:<br />
Holger Knöpke kennt sie alle, die kleinen<br />
und größeren Schrecken der Hausbesitzer.<br />
Weil er selbst eines hat, vor allem aber,<br />
weil der Innovationsmanager bei der Deutschen<br />
Telekom es nicht beim Klagen über<br />
Technik oder Vergesslichkeit belassen<br />
wollte. Das Haus gehört vernetzt, beschloss<br />
der 47-Jährige vor drei Jahren beim Einzug<br />
in sein neues Haus. „Immerhin gibt es die<br />
nötige Technik fürs vernetzte Heim längst;<br />
Sensoren, Schalter, Stellmotoren, die bei<br />
Bedarf Türen oder Fenster schließen.“<br />
Doch was er fand, war entweder Technik<br />
für Gewerbebauten und zu teuer. „Oder die<br />
Komponenten funktionierten, weil über<br />
verschiedene Funktechniken verbunden,<br />
nicht zusammen“, beschreibt Knöpke seine<br />
Erkenntnis: „Was nützt es, wenn die Heizungssteuerung<br />
nicht mitbekommt, dass<br />
das Fenster offen steht?“<br />
Andere hätten entnervt aufgegeben. Der<br />
Technikfan, der sich seit seiner Jugend für<br />
Roboter und Star Trek begeistert, dagegen<br />
wurde erst recht aktiv. Gemeinsam mit Kollegen<br />
aus der Innovationsabteilung der Telekom<br />
beschloss Knöpke 2011, der babylonischen<br />
Sprachverwirrung in der Hausvernetzung<br />
ein Ende zu bereiten.<br />
Statt aber selbst ein Portfolio aus vernetzbarer<br />
Technik zu entwickeln, wollte<br />
die Smart-Home-Truppe der Telekom die<br />
technischen Hürden zwischen vorhandenen<br />
Systemen überwinden. Das Ergebnis:<br />
die Qivicon genannte Plattform zur Heimvernetzung.<br />
Sie präsentierte Knöpke, heute<br />
Leiter der Connected-Home-Sparte, im<br />
vergangenen Jahr auf der Elektronikmesse<br />
IFA in Berlin einem Millionenpublikum.<br />
Herzstück ihrer Lösung ist eine zentrale<br />
Schaltbox, die mehrere Funktechniken<br />
»<br />
FOTO: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
84 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Technik&Wissen<br />
»<br />
len bereitstehen oder erkennt, ob ein Lkw<br />
richtig zum Beladen an der Rampe steht.<br />
Das vielseitige Ding mit so überragenden<br />
Eigenschaften ist ein optischer Sensor<br />
mit einer neuartigen Technik, Photomischdetektor<br />
(PMD) genannt. Er misst über einen<br />
integrierten Chip die Zeit, die ein Laserstrahl<br />
<strong>vom</strong> Sensor zum Objekt und zurück<br />
braucht. Viel genauer und störungsbeherrscht<br />
und sich für weitere nachrüsten<br />
lässt. Damit fungiert dieses Home<br />
Gateway als Übersetzer und ermöglicht es<br />
zudem, ganze Schaltfolgen zu definieren;<br />
es kann also etwa den Küchenherd ausstellen,<br />
wenn ein Bewohner die Haustür abschließt.<br />
Dank integriertem Web-Zugang<br />
lässt sich der Technikzoo zudem von außen<br />
über eine Smartphone-App bändigen.<br />
„Die Vielzahl inkompatibler Technologien<br />
war eines der größten Hemmnisse<br />
für den Markterfolg des Smart Home“,<br />
analysiert Frank Riemensperger, Deutschland-Chef<br />
der Unternehmensberatung<br />
Accenture und Juror beim Deutschen<br />
Innovationspreis. Die Qivicon-Entwickler<br />
hätten das Problem besonders geschickt<br />
gelöst. Weil die Intelligenz der Plattform<br />
nicht in der Schaltbox steckt, sondern als<br />
Software in den Rechenzentren der Telekom<br />
läuft – als passwortgeschützter Cloud-<br />
Service –, ist die Qivicon-Plattform für<br />
Erweiterungen offen. „So bietet das Angebot<br />
die Chance, dem Markt als Ganzes<br />
durch Netzwerkeffekte Wachstumsimpulse<br />
zu geben, die weit über das Geschäftspotenzial<br />
von Qivicon selbst hinausgehen“,<br />
lobt Accenture-Mann Riemensperger.<br />
Inzwischen ist der Start geglückt, hat<br />
Knöpke – <strong>vom</strong> Steuertechnikproduzenten<br />
Bitron über den Hausgerätehersteller<br />
Miele bis zum Energiekonzern EnBW – die<br />
ersten Systempartner gewonnen. Und ab<br />
Herbst will die Qivicon-Truppe die Plattform<br />
auch für externe Entwickler öffnen.<br />
Das soll es ermöglichen, ganz neue Funktionen<br />
zu programmieren.<br />
Wie das aussehen kann, da hat Roboter-<br />
Fan Knöpke schon ganz konkrete Vorstellungen:<br />
„Wenn etwa der Wetterdienst im<br />
Internet für meinen Wohnort eine Sturmwarnung<br />
herausgibt, dann fahren ohne<br />
mein Zutun, die Jalousien rein und die<br />
Stellmotoren schließen die Dachfenster.“<br />
thomas.kuhn@wiwo.de<br />
Klein, klug, billig<br />
Ein neuer optischer Sensor macht Roboter und Werkzeugmaschinen<br />
produktiver – und lässt sich nicht mehr täuschen.<br />
NOMINIERTER<br />
Kategorie Mittelständler<br />
ifm electronic Essen<br />
Technikchef Rolf Fensterle, Geschäftsführer<br />
Michael Paintner und Entwickler Eduard<br />
Gjabri (von links nach rechts) wollen schon<br />
Ende nächsten Jahres gut eine Million ihrer<br />
intelligenten Detektoren verkauft haben.<br />
Das Gerät, kleiner als eine Zigarettenschachtel,<br />
wirkt völlig unscheinbar.<br />
Und dennoch bewirkt es Großes: Es<br />
erhöht die Zuverlässigkeit und Produktivität<br />
von Fertigungsanlagen auf drastische<br />
Weise – und das äußerst preiswert. Befestigt<br />
an Förderbändern, Maschinen und Decken,<br />
hilft es Robotern beim Greifen, signalisiert<br />
Düsen, wann Flaschen zum Einfül-<br />
freier, als herkömmliche Lichtschranken<br />
das tun, die der PMD nach Überzeugung<br />
von Experten ablösen wird.<br />
Entwickelt hat die smarte Technik die<br />
ifm electronic. Sie ist nur eine unter vielen<br />
Erfindungen des Essener Mittelständlers,<br />
der in manchen Jahren bis zu 14 Prozent<br />
seines Umsatzes in Forschung und Entwicklung<br />
investiert. Der PMD ist aber nach<br />
Ansicht der Juroren des Deutschen Innovationspreises<br />
besonders herausragend.<br />
„Die Photomischdetektoren bringen ein<br />
neues Maß an Präzision, Zuverlässigkeit<br />
und Tempo“, lobt Jury-Mitglied Frank Mastiaux,<br />
Vorstandschef der EnBW Energie Baden-Württemberg.<br />
„Und dies zum Preis<br />
der alten Technik.“ Tatsächlich kosten die<br />
PMD mit knapp 140 Euro etwa gleich viel<br />
wie eine übliche Lichtschranke – sind jedoch<br />
ungleich leistungsfähiger:<br />
n Sie lassen sich beim Berechnen des Abstands<br />
weder von glänzenden Oberflächen<br />
irritieren noch von verschiedenen Farben.<br />
n Sie erfassen Kisten und Bauteile noch auf<br />
zwei Meter Entfernung. Lichtschranken<br />
schaffen einen halben Meter – bestenfalls.<br />
n Und die Anwender können die PMD in<br />
fast jeder beliebigen Ausrichtung zum Objekt<br />
montieren.<br />
Ebenso wie die Technik schätzen die<br />
Kunden aber laut Michael Paintner, Mitglied<br />
der ifm-Konzern-Geschäftsführung,<br />
die einfache Bedienbarkeit des Sensors: Er<br />
wird über zwei simple Tasten oder einen<br />
Drehring auf den Gegenstand eingestellt.<br />
„Das kann jeder Laie, ohne ein Handbuch<br />
aufschlagen zu müssen“, sagt er.<br />
So viele Vorteile überzeugen. Seit der<br />
Markteinführung im vergangenen Jahr verkauften<br />
die Essener mehr als 10 000 Exemplare.<br />
Bis Ende nächsten Jahres sollen es<br />
schon mehr als eine Million sein.<br />
dieter.duerand@wiwo.de<br />
FOTOS: DENIZ SAYLAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, MARTIN HANGEN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
86 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unknackbar gut<br />
Die Gründer von Secomba sorgen mit ihrer Verschlüsselungssoftware<br />
Boxcryptor für mehr Sicherheit in der Cloud.<br />
NOMINIERTER<br />
Kategorie Start-ups<br />
Secomba Augsburg<br />
Anfangs wollten Andrea Pfundmeier<br />
und Robert Freudenreich<br />
nur eigene Daten sicher im Netz<br />
speichern. Jetzt nutzen weltweit<br />
mehr als eine Million Menschen<br />
ihre Software Boxcryptor<br />
Fast wirkt es so, als hätten sich Robert<br />
Freudenreich und Andrea Pfundmeier<br />
mit Edward Snowden abgesprochen.<br />
Just als der ehemalige US-Geheimdienstler<br />
im Juni 2013 die Späh-Aktivitäten<br />
der National Security Agency (NSA)<br />
öffentlich machte, brachten die beiden<br />
Gründer mit ihrem Start-up Secomba die<br />
neue Verschlüsselungssoftware Boxcryptor<br />
auf den Markt.<br />
Sie trafen einen Nerv: Tausende Onliner<br />
weltweit luden das Programm auf<br />
Smartphones, Tablets und PCs. Heute nutzen<br />
es mehr als eine Million Menschen.<br />
Mit der Software lassen sich Dateien einfach<br />
verschlüsseln, bevor sie übers Netz<br />
auf Speicherdienste wie Dropbox oder<br />
Google Drive in die Cloud übertragen werden<br />
– die Datenwolke im Internet. Beim<br />
Abruf der Daten über den PC oder das<br />
Smartphone entschlüsselt die Software sie<br />
wieder. Hacker und Geheimdienste ohne<br />
Passwort sehen nur Zeichenmüll.<br />
Wie wichtig das einmal sein würde, war<br />
Freudenreich und Pfundmeier noch nicht<br />
klar, als Secomba 2011 startete. Damals arbeiteten<br />
der Informatiker und die Wirtschaftswissenschaftlerin<br />
an einem Service,<br />
mit dem sich Studentenausweise digitalisieren<br />
und überprüfen lassen. Sie wollten<br />
die Daten nicht unverschlüsselt im Netz<br />
speichern, fanden aber keine passende<br />
Software.<br />
„Alle Programme stammten aus einer<br />
Zeit, in der es die Cloud noch nicht gab“,<br />
sagt Freudenreich. Kurzerhand schrieb er<br />
die Software selbst. Als er sie in einem Online-Forum<br />
veröffentlichte, war die Resonanz<br />
riesig: In nur einer Woche installierten<br />
mehr als 1000 Nutzer das Programm.<br />
„Da haben wir uns von der Ausweis-Idee<br />
verabschiedet.“<br />
Heute lässt sich Boxcryptor mit 22<br />
Cloud-Speicherdiensten und auf acht Betriebssystemen<br />
nutzen – von Apples iOS<br />
bis Microsofts Windows. Damit ist das Unternehmen<br />
aus Augsburg der Konkurrenz<br />
weit voraus.<br />
„Secomba hat eine innovative Verschlüsselungstechnologie<br />
entwickelt, die das<br />
wachsende Bedürfnis nach Datensicherheit<br />
im Cloud-Zeitalter stillt“, sagt Klaus<br />
Engel, Chef des Spezialchemie-Konzerns<br />
Evonik und Juror des Innovationspreises.<br />
„Die Gründer bewiesen nicht nur erstklassiges<br />
Gespür, sondern auch Leidenschaft<br />
und digitale Expertise.“<br />
Die Augsburger vermarkten ihre Software<br />
als Freemium-Produkt:In der Grundversion<br />
ist Boxcryptor gratis. Wer es als Einzelnutzer<br />
auf mehr als zwei Geräten einsetzen<br />
möchte, bekommt das Jahres-Abo für<br />
36 Euro, als Unternehmenskunde für 72<br />
Euro. Aktuell zahlt jeder Zehnte. Genug für<br />
Secomba, um Profit zu machen. Tendenz<br />
steigend: Nutzerzahl und Umsatz wachsen<br />
derzeit um zehn Prozent – im Monat. n<br />
jens.toennesmann@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 87<br />
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Management&Erfolg<br />
ERFINDERGEIST | Ob<br />
Kaffeekapseln, Textmarker<br />
oder ein Regal<br />
namens Billy: Fast<br />
jeder kennt diese innovativen<br />
Produkte.<br />
Doch wer sind die<br />
kreativen Köpfe dahinter?<br />
Und wie kamen sie<br />
zu ihren Einfällen?<br />
Die WirtschaftsWoche<br />
stellt acht Erfinder und<br />
ihre besten Ideen vor.<br />
Die Idee<br />
meines Lebens<br />
NESPRESSO<br />
Die Idee den besten<br />
Kaffee für jedermann<br />
Der Erfinder Eric Favre<br />
Der Kapselkönig Eric Favre presste<br />
für Nestlé erst Kaffee in Nespresso-Kapseln.<br />
Und später auf eigene<br />
Rechnung auch Tee.<br />
Die Idee seines Lebens verdankt Eric<br />
Favre seiner Frau: Auf einer Reise<br />
nach Rom 1976 probierten sich der<br />
junge Nestlé-Ingenieur und seine frisch Angetraute<br />
durch unzählige Espressi-Bars. Die<br />
gebürtige Italienerin führte ihren Mann auch<br />
in die unter Kaffeeliebhabern berühmte Bar<br />
Sant Eustachio. Der Kaffee schmeckte<br />
köstlich. Favres Idee, geboren mit der Espresso-Tasse<br />
in der Hand: „Ich wollte die<br />
Technologie der italienischen Bar auf eine<br />
kleine Kapsel und eine handliche Maschine<br />
übertragen“, sagt er, „damit jeder den besten<br />
Kaffee genießen kann.“<br />
Um alles über die perfekte Bohne und den<br />
besten Mahlgrad, die richtige Temperatur<br />
und den idealen Wasserdruck zu lernen,<br />
kehrte Favre in seiner Freizeit immer wieder<br />
in die Bar zurück. Schließlich erzählte Favre<br />
seinem Chef von seiner Idee. Die Antwort:<br />
„Keine Chance“.<br />
Favre aber ließ sich nicht entmutigen. Anfang<br />
1977 stellte er die ersten Prototypen von<br />
Maschine und Kapsel in seinem Haus fertig.<br />
Und nervte Kollegen und Vorgesetzte solange,<br />
bis das Produkt 1985 endlich<br />
auf den Markt kam – ausgerechnet<br />
im Tee-Land Japan,<br />
wo es floppte. „Nestlé war<br />
einfach nicht in der Lage, Innovationen auf<br />
den Markt zu bringen“, sagt Favre, „die letzte<br />
Erfindung war Nescafé – und das war 1938.“<br />
Favre will kündigen, aber der damalige<br />
Nestlé-Chef Helmut Maucher lässt ihn nicht<br />
gehen. Stattdessen schlägt er ihm vor, eine<br />
eigene Firma zu gründen. Favre willigt ein<br />
und entwickelt mit einem vierköpfigen Team<br />
Technologie und Lizenzierung der Kaffeemaschinen<br />
sowie die Vermarktung über exklusive<br />
Läden. Den ersten „Nespresso-Club“ eröffnete<br />
Favre 1989 in Mailand.<br />
„Ich wollte den Italienern zeigen, dass wir<br />
besser sind als der italienische Kaffee“, sagt<br />
er. Der Erfolg gibt ihm recht, im gleichen Jahr<br />
verkaufte Nestlé bereits 28 Millionen Kapseln.<br />
Trotz des Triumphs verlässt Favre wenig<br />
später den Lebensmittelkonzern und gründet<br />
eine eigene Firma. Für seine Erfindung, bekommt<br />
er von Nestlé keinen Cent – weil er<br />
lieber selbst Kapseln auf den Markt bringt<br />
und so zum Wettbewerber seines alten Arbeitgebers<br />
wird. 2011 stellt er ausgerechnet<br />
im Tee-Land China das Kapselsystem<br />
„Tpresso“ vor. Nicht zuletzt, um seinem ehemaligen<br />
Vorgesetzten zu beweisen, dass er<br />
nicht nur Kaffee, sondern auch Tee besser<br />
vermarkten kann.<br />
FOTOS: BILDFOLIO/BERT BOSTELMANN, IMAGEBROKER, PR<br />
88 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Der Vater von Catan Klaus Teuber machte<br />
sein Hobby zum Beruf und wurde Deutschlands<br />
erfolgreichster Spieleentwickler<br />
SIEDLER VON CATAN<br />
Die Idee die Besiedlung Islands<br />
nachspielen<br />
Der Erfinder Klaus Teuber<br />
Weil er als Kind von Wikingerfigürchen fasziniert war und Bücher<br />
über ihre Schiffe und Expeditionen gelesen hatte, entwickelt er gut<br />
30 Jahre nach seiner ersten imaginären Begegnung mit den Wikingern<br />
eine neue Idee: die Besiedlung Islands als Brettspiel.<br />
Wieder grübelt Teuber nach Feierabend: Welche Rohstoffe<br />
brauchten Menschen damals zum Überleben? Und wie soll das<br />
Spielfeld aussehen? In seinem Bastelzimmer sägt er kleine Häuschen<br />
aus Holz, bemalt Karton und schneidet ihn in sechseckige<br />
Plättchen, aus denen das Spielfeld entsteht. Es gewinnt, wer auf einer<br />
fiktiven Insel am schnellsten Siedlungen und Straßen errichtet.<br />
Teuber bietet das Spiel großen Verlagen an, zwei lehnen ab – ein<br />
millionenschwerer Fehler. Beim dritten Anlauf klappt es: Kosmos<br />
veröffentlicht das Spiel 1995 unter dem Namen Siedler von Catan,<br />
es wird rasch ein Kassenschlager, bis heute haben sich Basisspiel<br />
plus Erweiterungen etwa 18 Millionen Mal verkauft.<br />
1999 gibt Teuber sein Dentallabor auf und macht sein Hobby<br />
zum Beruf. Heute ist er in Deutschland einer der wenigen Spieleautoren,<br />
die von ihren Ideen gut leben können.<br />
Lange Arbeitstage im Dentallabor und altgediente Mitarbeiter,<br />
die ihm ständig reinquatschten: Wenn Klaus Teuber abends<br />
den Familienbetrieb verließ, war er meist frustriert. Schon mit<br />
Mitte 20 war der Zahntechniker zum Stellvertreter seines Vaters aufgestiegen<br />
– wirklich geliebt hat er die Aufgabe nie. „Ich brauchte<br />
einen Ausgleich“, erinnert sich Teuber. Und flüchtet sich nach Feierabend<br />
in eine Welt fernab von Gebissen und Zahnprothesen, dominiert<br />
von Fantasiefiguren und Entdeckungsreisen. Die Fantasy-Trilogie<br />
„Erdzauber“ von US-Autorin Patricia McKillip fesselte ihn so<br />
sehr, dass Teuber nebenbei ein Brettspiel entwickelte, das auf ihren<br />
Erzählungen basierte: Barbarossa – Spiel des Jahres 1988. »<br />
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Management&Erfolg<br />
CHRISTBAUMSTÄNDER<br />
Die Idee nie wieder Streit um den Weihnachtsbaum<br />
Der Erfinder Klaus Krinner<br />
Der Weihnachtsretter Mit seinem patentierten<br />
Christbaumständer machte Klaus Krinner<br />
das Aufstellen des Weihnachtsbaums<br />
zum Kinderspiel<br />
Mit der einen Hand hält er die Tanne,<br />
mit der anderen dreht er drei Schrauben<br />
im Christbaumständer fest, die<br />
den Stamm fixieren sollen: Alles andere als bequem<br />
ist das, als Klaus Krinner am Nachmittag<br />
des Heiligen Abends 1988 unter den Ästen seines<br />
Weihnachtsbaums hängt. Er braucht mehrere<br />
Versuche, bis die Tanne fest und gerade<br />
im Ständer steckt. „Des is a Glump“, denkt der<br />
Landwirt aus Niederbayern. Auf gut Deutsch:<br />
Der Ständer ist eine Fehlkonstruktion.<br />
Statt nur zu jammern – wie fast alle, die Jahr<br />
für Jahr vor dem gleichen Problem knien –,<br />
sucht Krinner einen Ausweg: Im September<br />
1989, nach neun Monaten Grübelei, schießt<br />
ihm die Lösung in den Kopf, die er sofort<br />
aufzeichnet: Vier Greifer sollen den Stamm<br />
halten. Sie sind über eine Drahtschlinge verbunden,<br />
die mit einer Ratsche fest um den<br />
Baumstamm gezogen wird. Damit, ist Krinner<br />
überzeugt, steht selbst ein schief gewachsener<br />
Baum kerzengerade.<br />
Innerhalb von vier Stunden baut einer<br />
seiner Arbeiter auf dem Hof einen<br />
Prototypen auf Basis von Krinners<br />
Skizze: ein Stück Blech als Boden,<br />
ein abgeschnittenes Rohr, ein<br />
Drahtseil, eine Ratsche <strong>vom</strong> Zurrgurt<br />
und vier Greifer. „Damit es niemand<br />
sieht“, packt Krinner seinen Blechschatz<br />
in ein Tuch ein und fährt noch<br />
am selben Tag zum Patentanwalt.<br />
Mehr<br />
Wer die WC-Ente<br />
erfunden hat und<br />
wie Toyota zu seinem<br />
Slogan kam,<br />
lesen Sie in unserer<br />
App-<strong>Ausgabe</strong><br />
Die ersten 100 Christbaumständer lässt<br />
Krinner 1989 in Polen produzieren, schon im<br />
Jahr darauf vertreibt er 25 000 Stück.<br />
„Das ging nur so schnell, weil ich beim Vertrieb<br />
alles falsch gemacht habe, was man<br />
falsch machen kann“, sagt der heute 75-Jährige.<br />
Ohne Voranmeldung besucht er damals die<br />
Zentrale eines großen Handelsunternehmens<br />
in Düsseldorf. „Mit einer ordentlichen Anmeldung<br />
hätte ich doch nie einen Termin bekommen“,<br />
sagt Krinner. „Die Leute müssen meinen<br />
Christbaumständer sehen – dann überzeugt<br />
er sie, da jeder das Problem kennt.“ Krinner<br />
behält recht: Der Handelskonzern bestellt<br />
5000 Stück.<br />
Mittlerweile wurden die weihnachtlichen<br />
Stammhalter von Krinner millionenfach verkauft.<br />
Alleine 2013 waren es etwa 800 000<br />
Stück – von der grünen Standardvariante ab<br />
22,95 Euro bis hin zur Luxusversion mit 9800<br />
Swarovskisteinen für etwa 10 000 Euro.<br />
Eine Goldgrube, von der auch andere profitieren<br />
wollen: Ein mehrjähriger<br />
Rechtsstreit um das Patent endet<br />
vor dem Bundesgerichtshof zu<br />
Krinners Gunsten, Kaufofferten<br />
lehnt er konsequent ab. „Mein<br />
Christbaumständer wahrt in Tausenden<br />
Familien jedes Jahr den<br />
Weihnachtsfrieden“, sagt Krinner.<br />
„Diese Aufgabe kann ich doch niemand<br />
anderem überlassen.“<br />
FOTOS: IMAGETRUST/MARIA IRL, INTER IKEA SYSTEMS B.V.<br />
REGAL BILLY<br />
Die Idee<br />
ein schlichtes Bücherbord<br />
für jedermann<br />
Der Erfinder<br />
Gillis Lundgren<br />
90 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Alter Schwede Mehr als 60 Millionen<br />
Billy-Regale hat Ikea verkauft, seit Gillis<br />
Lungren den Klassiker in den Siebzigerjahren<br />
entworfen hat.<br />
Mal war es eine Zeitung, mal kritzelte er auf einen Briefumschlag:<br />
Gillis Lundgren zeichnete seine Einfälle auf alles,<br />
was ihm unter den Bleistift kam. „Ideen sind flüchtig. Man<br />
muss sie schnell festhalten“, sagt der heute 84-Jährige.<br />
1953 stieg Lundgren bei Ikea ein, als vierter Mitarbeiter. Seinen<br />
Vertrag vereinbarte der Schwede mündlich mit Firmengründer Ingvar<br />
Kamprad – der Beginn einer vertrauensvollen Zusammenarbeit.<br />
„Ingvar philosophierte, ich zeichnete“, sagt Ikeas erster Designmanager.<br />
„So sind viele gute Sachen entstanden.“ Seine genialste Idee<br />
sollte Lundgren haben, als er schon mehr als 20 Jahre im Konzern<br />
arbeitet: Diesmal war es eine Serviette, die er zur Hand hatte, als<br />
sein Chef laut über ein Regal nachdachte, in das möglichst viele<br />
Bücher hineinpassen, ohne dass sich die Zwischenbretter verbiegen.<br />
Günstig sollte es sein und in jedes Zimmer passen. Lundgrens<br />
Lösung: ein Bücherbord, das an Schlichtheit kaum zu überbieten ist.<br />
Sein Name: Billy. 1979 kam es auf den Markt, bis heute hat Ikea<br />
weltweit mehr als 60 Millionen verkauft. „Ich versuche herauszufinden,<br />
was die Bedürfnisse der Menschen sind“, erklärt Lundgren sein<br />
Erfolgsrezept. „Die Ideen sind Ergebnisse meiner Recherchen und<br />
nichts, was einfach <strong>vom</strong> Himmel fällt.“ »<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 91<br />
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Management&Erfolg<br />
TEXTMARKER<br />
Die Idee<br />
ein Stift, der Texte zum<br />
Leuchten bringt<br />
Der Erfinder<br />
Günter Schwanhäußer<br />
Blau, Grün, Gelb und Pink: Vier<br />
Textmarker liegen auf seinem<br />
Schreibtisch aus dunklem Mahagoni.<br />
Bis heute benutzt Günter<br />
Schwanhäußer seine Erfindung täglich.<br />
„Der Stabilo Boss“, sagt der<br />
85-jährige jahrzehntelange Chef von<br />
Schwan Stabilo, „hat die Stifte-Sparte<br />
der Firma geprägt.“ Als der gelernte<br />
Landwirt 1950 in das Familienunternehmen<br />
einstieg, betrug der Umsatz<br />
nur wenige Millionen Mark. 1995, als<br />
Schwanhäußer in Rente geht, sind es<br />
361 Millionen Mark – nicht zuletzt<br />
dank des Textmarkers: Zwei Milliarden<br />
Stück hat das fränkische Unternehmen<br />
bis heute verkauft. Die Idee seines<br />
Lebens kam Schwanhäußer 1970 während<br />
einer Geschäftsreise. Durch das<br />
Schaufenster eines Buchladens in Chicago<br />
beobachtete der damals 42-jährige<br />
Unternehmer Studenten dabei, wie<br />
sie ein Stück Holz, um das ein wenig<br />
Schaumstoff gewickelt war, in eine<br />
bräunliche Flüssigkeit tunkten und auf<br />
Passagen ihres Texts tupften. „Das<br />
geht besser“, dachte sich Schwanhäußer<br />
und nahm ein paar der Konstrukte<br />
mit ins heimische Nürnberg.<br />
Ein Jahr später kam der Stabilo Boss<br />
auf den Markt. Wieso Boss? „Wir verkaufen<br />
keine gelben Linien, sondern<br />
Zeitersparnis“, sagt Schwanhäußer.<br />
Und das nütze vor allem<br />
Menschen, die viel Post und<br />
wenig Zeit haben – kurz Bosse. Um die<br />
von dem Marker zu überzeugen, verschickte<br />
Schwanhäußer seine Stifte an<br />
800 Manager und Minister. Der Handel<br />
zeigte sich zunächst skeptisch – auch,<br />
weil der Marker sehr teuer war. Dass<br />
sich das bald änderte, wundert ihn bis<br />
heute nicht: „Ein Boss“, sagt er, „will<br />
doch jeder gern sein.“<br />
Freund der Bosse Günter Schwanhäußer<br />
half viel beschäftigten Managern durch<br />
seine Textmarker Zeit zu sparen<br />
FOTO: PR<br />
92 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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TELEKOM-JINGLE<br />
Die Idee<br />
ein Audio-Logo für alle<br />
Märkte<br />
Der Erfinder<br />
Christopher McHale<br />
Der Anstoß zu Christopher McHales bekanntester<br />
Idee kam per Post. Es war<br />
im Jahr 1998, als der braune Briefumschlag<br />
im New Yorker Studio des amerikanischen<br />
Komponisten eintraf. Darin befand<br />
sich ein mehr als 40 Seiten dickes Exposé, in<br />
dem die Agentur Interbrand die Grundlagen<br />
des weltweit neu geplanten Markenauftritts<br />
der Deutschen Telekom erläuterte. Der Auftrag<br />
an McHale: die Komposition eines Audio-Logos<br />
– schlicht, elegant und vor allem<br />
nicht zu deutsch sollte es klingen.<br />
Beim Lesen stieß McHale bald auf das bereits<br />
entwickelte Markenzeichen des Telekommunikationskonzerns:<br />
drei graue Kästchen,<br />
ein pinkfarbenes T, daneben ein viertes<br />
graues Kästchen. McHales erster Gedanke:<br />
Die kleinen Rechtecke stehen für tiefere<br />
Töne, beim T musste es nach oben gehen.<br />
„Die erste Idee ist meistens die beste“,<br />
sagt McHale. Anschließend durchforstet er in<br />
einer Bücherei Wörterbücher nach Begrüßungsformeln<br />
aus aller Welt – seiner Meinung<br />
nach genau richtig für einen international<br />
aufgestellten Kommunikationskonzern.<br />
Er trifft sich mit Textern und Toningenieuren,<br />
sie diskutieren, schreiben Zeilen, testen Tonfolgen.<br />
Am Ende steht das dreieinhalb Minuten<br />
lange Lied „Hello, Hola“. Den Song kennt<br />
heute kaum mehr jemand – bis auf die fünf<br />
Töne, die selbst 15 Jahre nach dem ersten<br />
Einsatz immer noch in aller Ohren sind: dadadadida.<br />
Die Tonfolge, die McHale selbst mit zwei<br />
Fingern auf seinem Flügel eingespielt hat, ertönt<br />
in der Fernsehwerbung, im Stadion des<br />
von der Telekom gesponserten Fußballclubs<br />
FC Bayern München und sogar in New Yorks<br />
Straßen. Und wenn McHale im Supermarkt<br />
vor dem Joghurtregal steht und die Melodie<br />
ertönt auf dem Handy eines anderen Kunden,<br />
muss er jedes Mal grinsen. „Die Menschen<br />
haben ja keine Ahnung, dass der Produzent<br />
direkt neben ihnen steht.“<br />
EVONIK<br />
Die Idee ein moderner<br />
Name für ein angestaubtes<br />
Unternehmen<br />
Der Erfinder Manfred Gotta<br />
Als er im September 20<strong>07</strong> den Zuschlag<br />
von der Ruhrkohle AG bekommen<br />
hatte, schlich er erst mal eine<br />
Viertelstunde undercover durch die Flure<br />
seines Auftraggebers. „Ich wollte die Atmosphäre<br />
spüren, sehen, wie aufmerksam, wie<br />
freundlich die Mitarbeiter sind“, erinnert<br />
sich Manfred Gotta, Deutschlands erfolgreichster<br />
Erfinder von Produkt- und Unternehmensnamen,<br />
an seinen Besuch in der<br />
Essener Konzernzentrale. Sein Auftrag: einen<br />
„neuen, kantigen und typischen Namen“<br />
finden für den traditionsbehafteten<br />
Kohlekonzern. Nichts Gelecktes, Glattes,<br />
sondern einen Begriff mit Charakter, der<br />
außerdem klar macht, dass Kohle im Geschäftsmodell<br />
des Konzerns keine Rolle<br />
mehr spielt. Codewort des streng geheimen<br />
Projekts: NB wie New Business.<br />
Von 20 Ideenlieferanten sammelte Gotta<br />
als Erstes 150 Vorschläge ein, von denen er<br />
15 herauspickte, die ihm gefielen. Es folgten<br />
Diskussionsrunden mit Verbrauchern, Gotta<br />
notierte Argumente und analysierte die<br />
Mimik der Diskutanten. Übrig blieb Gottas<br />
Favorit Evonik und ein zweiter Name, den<br />
Gotta aber stets für sich behalten hat. Beide<br />
ließ er für 60 Länder auf Phonetik und juristische<br />
Fallstricke prüfen, bevor er sie dem<br />
damaligen Konzernvorstand Werner Müller<br />
und einer Expertenrunde vorlegte. Die waren<br />
von Gottas Favorit begeistert – und Evonik<br />
beschlossene Sache. »<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 93<br />
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Management&Erfolg<br />
Der Versüßer Heinz Leopold überzog 1989<br />
ein großes Vanilleeis am Stil mit echter<br />
Schokolade – seitdem wurde Magnum an<br />
Millionen Schleckermäuler weltweit verkauft<br />
MAGNUM<br />
Die Idee<br />
ein Eis für Erwachsene<br />
Der Erfinder<br />
Heinz Leopold<br />
Dolomiti für Kinder, Nogger für<br />
Jugendlichen und für Erwachsene<br />
die Fürst-Pückler-Rolle: Wer<br />
Mitte der Achtzigerjahre Lust auf ein Eis<br />
bekam, hatte nur begrenzt Auswahl.<br />
Heinz Leopold und sein Team sollten<br />
das ändern: Gerade 23 Jahre war er alt,<br />
als er nach dem BWL-Studium seinen<br />
ersten Job beim Konsumgüterkonzern<br />
Unilever antrat. Leopold sollte eine Variation<br />
des Verkaufsschlagers Nogger<br />
entwickeln. Größer und schokoladiger,<br />
speziell für Erwachsene. Der Name<br />
stand schon fest: Nogger Magnum, aus<br />
dem Lateinischen übersetzt „das Große“.<br />
Doch die ersten Proben schmeckten<br />
furchtbar: Das Eis wurde in extra viel<br />
kakaohaltige Fettglasur getunkt, garniert<br />
mit noch mehr Nüssen, innen ein<br />
riesiger Schokoladenkern. Kurz: Es war<br />
zu viel von allem. „Ich war mit dem Geschmack<br />
nicht zufrieden“, erinnert sich<br />
der heute 49-Jährige. Warum stattdessen<br />
nicht einfach gutes Vanilleeis mit<br />
echter Schokolade überziehen?<br />
Magnum war geboren. Obwohl es im<br />
Winter 1989 auf den Markt kommt, ist<br />
das erste Eis am Stiel mit echter Schokolade<br />
sofort ausverkauft. Heute vernaschen<br />
die Deutschen pro Jahr knapp<br />
250 Millionen Stück, die beliebteste<br />
Sorte ist Magnum Mandel. Leopold<br />
schnitt vor der Einführung die Nüsse<br />
noch selbst klein. „Das erste Muster<br />
sah aus wie ein Igel“, erinnert er sich,<br />
„die Stücke waren zu lang.“ Leopold arbeitet<br />
heute als Personalberater, dort<br />
vermittelt er auch Produktmanager.<br />
Was er ihnen rät? „Hört auf euer Gefühl<br />
und denkt an eure Konsumenten“, sagt<br />
er. „Das Lächeln eines zufriedenen<br />
Kunden ist eine tolle Belohnung.“ n<br />
lin.freitag@wiwo.de, kristin schmidt,<br />
claudia tödtmann<br />
FOTO: FLORIAN SCHÜPPEL<br />
94 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
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Geld&Börse<br />
BARGELD | Münzen und<br />
Scheine verursachen<br />
enorme Kosten.<br />
Finanzbranche und<br />
Handel würden sie am<br />
liebsten abschaffen.<br />
Die Deutschen aber<br />
hängen am Bargeld.<br />
Welche Technologien<br />
kommen, was heute<br />
schon läuft – und ein<br />
eher ernüchternder<br />
Selbstversuch.<br />
Wie wir morgen<br />
zahlen, was der<br />
Preis dafür ist<br />
Ginge es nach Jan Deepen, würden<br />
wir schon längst keine<br />
Münzen und Scheine mehr mit<br />
uns herumschleppen. Der Mitgründer<br />
von SumUp, einem<br />
mobilen Bezahldienst, arbeitet daran, Cash<br />
überflüssig zu machen. Klingt alles ganz<br />
einfach: Der Kunde installiert eine App auf<br />
seinem Smartphone. Bei SumUp hinterlegt<br />
er seine Bankdaten und ein Foto. Geht er<br />
dann in das Geschäft eines teilnehmenden<br />
Händlers, bekommt der über das Internet<br />
auf sein Kassensystem automatisch die<br />
Meldung eingespielt, wer gerade bei ihm<br />
einkauft.<br />
Will der Kunde bezahlen, nennt er seinen<br />
Namen, der Händler muss nur noch<br />
prüfen, ob die Person vor ihm mit der auf<br />
dem hinterlegten Foto identisch ist. Passt<br />
alles, wird das Geld abgebucht. Der Kunde<br />
selbst macht keinen Finger krumm. „Es ist<br />
ganz offensichtlich, wir steuern auf eine<br />
bargeldlose Gesellschaft zu“, sagt Deepen<br />
zufrieden.<br />
Die Zahlfunktion, an der SumUp arbeitet,<br />
ist eine der fortschrittlichsten und hätte<br />
die größten Auswirkungen darauf, wie wir<br />
künftig einkaufen. Marktführer PayPal testet<br />
ähnliche Konzepte. Die Deutschen lieben<br />
zwar ihr Bargeld, aber Kartenzahlung<br />
und bargeldlose Transaktionen im Internet<br />
nehmen stetig zu. Ohne dass wir uns bewusst<br />
dafür entscheiden, verschwindet das<br />
Bargeld langsam aus unserem Alltag.<br />
Bargeldlos bezahlen, immer<br />
und überall? Um zu testen,<br />
ob das in Deutschland wirklich<br />
so einfach funktioniert,<br />
wie Deepen hofft, starte<br />
ich einen Selbstversuch: ein Wochenende<br />
ohne Bargeld. Es geht nach Bayern, ein<br />
Ausflug an die Donau steht an, mit Freundin.<br />
Vor der Abfahrt am Freitagabend<br />
wollen die Kollegen in der Redaktion mir<br />
direkt meine Geldbörse abnehmen. Ich<br />
wehre mich, behalte die Börse mit EC- und<br />
Kreditkarte und stecke noch 20 Euro ein,<br />
für den absoluten Notfall.<br />
Los geht die bargeldlose Zukunft auf der<br />
Internet-Seite der Bahn. Meine Tickets zahle<br />
ich dort schon lange per PayPal, wähle aus,<br />
ob ich Kreditkarte oder Girokonto belaste.<br />
Das Ticket kann ich dann ausdrucken oder<br />
über die Smartphone-App als QR-Code<br />
auf dem Handy speichern. Alles simpel.<br />
Vor der Abfahrt möchte ich am Düsseldorfer<br />
Hauptbahnhof noch schnell einen<br />
Snack für die Fahrt kaufen. Rein zum Billigbäcker<br />
mit Selbstbedienung. Ich lege ein<br />
Croissant aufs Tablett und reihe mich ein in<br />
die Schlange der Bahnpendler. Das gibt<br />
mir etwas Zeit, um die Registrierkasse zu<br />
begutachten. Mir fällt auf:kein Kartenlesegerät.<br />
Als ich an der Reihe bin, frage ich<br />
die Kassiererin, ob ich mein Hörnchen mit<br />
Karte bezahlen kann. „Nein“, lautet die<br />
klare Antwort. „Kreditkarte, EC-Karte, Sie<br />
akzeptieren gar nichts?“ „Nein.“ Dass<br />
ich meinen Notgroschen so früh anbrechen<br />
muss, hätte ich nicht erwartet.<br />
Nächster Laden, nächster Versuch: eine<br />
Flasche Wasser für unterwegs. Nun probiere<br />
ich den Drogeriemarkt im Bahnhofsgebäude.<br />
Die Schlange reicht auch hier bis mitten<br />
in den Laden hinein; Wochenendpendler.<br />
Von Weitem erkenne ich: Die nehmen alle<br />
gängigen Karten, auch meine Kreditkarte.<br />
An der Kasse angekommen, knicke ich<br />
aber ein: mein Zug kommt gleich, ich muss<br />
zum Gleis. Außerdem drängelt die Schlange<br />
hinter mir, und das Wechselgeld aus der<br />
Backstube klimpert noch in meiner Hosentasche.<br />
Schnell zücke ich eine Euro-Münze<br />
und zahle mein Wasser bar. Das dauert<br />
wenige Sekunden. Keine Unterschrift, keine<br />
PIN-Eingabe. Bargeldloses Wochenende?<br />
Der Start ist verschoben.<br />
Mit der Kreditkarte lassen sich an der Supermarktkasse<br />
auch kleine Beträge begleichen.<br />
Wer bei Ebay bestellt, muss sich nicht<br />
ins Online-Banking einloggen, sondern<br />
kann per PayPal zahlen. Und wer sein<br />
Bahnticket bar am Automaten zahlt, verzweifelt,<br />
wenn der nur Münzen zurückgibt,<br />
die die Geldbörse zum Platzen bringen.<br />
n Haupttreiber für Fortschritte beim Zahlungsverkehr<br />
– das Smartphone wird zum<br />
Multifunktionsgerät, soll bald als digitale<br />
Geldbörse das Portemonnaie ablösen – ist<br />
das Internet. Nebeneffekt: Noch mehr Daten<br />
für Industrie und Online-Handel.<br />
»<br />
ILLUSTRATION: KARSTEN PETRAT<br />
96 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Chinesen zahlen mobil, Deutsche blechen fürs Bargeld<br />
Befragte,die schon per Smartphone<br />
oder Tablet gezahlt haben1 (in Prozent)<br />
Bargeldkosten und -erträge nach Sektoren<br />
in Deutschland (in Millionen Euro)2<br />
China<br />
49<br />
Erträge<br />
Südkorea Chinesen 35 zahlen mobil, Deutsche blechen Kosten fürs Bargeld<br />
2524<br />
Russland<br />
26<br />
1879<br />
Transferzahlungen<br />
Befragte,die schon per Smartphone Bargeldkosten und -erträge nach Sektoren<br />
Schweden<br />
19<br />
(Zinsgewinne/-verluste)<br />
oder Tablet gezahlt haben1 (in Prozent) in Deutschland (in Millionen Euro)2<br />
USA 19<br />
Staatund<br />
Privatpersonen<br />
Erträge<br />
Banken Handel<br />
Italien China17<br />
Deutsche49<br />
Bundesbank<br />
Großbritannien Südkorea 13<br />
35 –246<br />
–548 –20 Kosten<br />
2524<br />
Deutschland Russland 13<br />
26<br />
1879<br />
Transferzahlungen<br />
–1311<br />
Frankreich Schweden 10<br />
19<br />
–3933<br />
(Zinsgewinne/-verluste)<br />
Japan 6 USA 19<br />
Staatund –6669<br />
Privatpersonen<br />
Banken Handel<br />
Italien 17<br />
Deutsche Bundesbank<br />
1Kontaktlose Zahlungen mit dem Handy und Online-Bestellungen über Apps, 190 000 Personen in 27 Ländern, Zahlungen im ersten<br />
Quartal 2013; 2Daten Großbritannien für 2011; Quelle: Bain &Company; 13 Steinbeis-Hochschule Berlin 2013<br />
–246<br />
–548 –20<br />
Deutschland 13<br />
–1311<br />
Frankreich 10<br />
–3933<br />
Japan 6<br />
–6669<br />
1Kontaktlose Zahlungen mit dem Handy und Online-Bestellungen über Apps, 190 000 Personen in 27 Ländern, Zahlungen im ersten<br />
Quartal 2013; 2Daten für 2011; Quelle: Bain &Company; Steinbeis-Hochschule Berlin 2013<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 97<br />
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Geld&Börse<br />
»<br />
n Stationären Händlern sind Bevorratung<br />
und Abtransport von Bargeld zu teuer<br />
(siehe Seite 97, Chart rechts), und auch<br />
Banken machen Druck. Bargeld kostet,<br />
während die Finanzbranche an Kreditkarten<br />
und bargeldlosen Transaktionen verdient.<br />
Schon längst nicht mehr können<br />
Kunden überall in Europa am Bankschalter<br />
beliebig viel Geld ein- oder sich auszahlen<br />
lassen.<br />
n Hinzu kommen politische Motive: Steuerhinterziehung,<br />
Geldwäsche und Schwarzarbeit<br />
wären ohne Bargeld leichter verfolgbar.<br />
Geldpolitische Instrumente könnten ihre<br />
volle Schlagkraft zurückgewinnen, wenn<br />
Bürger Geld nicht mehr einfach <strong>vom</strong> Konto<br />
abheben und so dem Zugriff der Notenbanker<br />
entziehen könnten.<br />
Bei aller Euphorie für den elektronischen<br />
Zahlungsverkehr gibt es also durchaus<br />
Anlass zu Befürchtungen, dass mit<br />
dem Bargeld auch ein Stück Freiheit und<br />
Sicherheit verschwinden würde. Wie realistisch<br />
sind diese Befürchtungen? Und<br />
wie stehen die Chancen wirklich, dass<br />
Bargeld allmählich abgelöst wird?<br />
NUR BAR IST WAHR<br />
Die Deutschen gelten als konstant unfortschrittlich,<br />
verglichen etwa mit den Schweden,<br />
für die bargeldloses Zahlen selbstverständlich<br />
ist (siehe Grafik unten). Deepen<br />
von SumUp bleibt eine Ausnahme, wenn<br />
er sagt: „Ich kann mich gar nicht erinnern,<br />
wann ich das letzte Mal am Bankautomaten<br />
Geld abgehoben habe.“<br />
Die Europäische Zentralbank (EZB), von<br />
den Deutschen ohnehin nicht ins Herz geschlossen,<br />
ist sich der Sensibilität des Themas<br />
bewusst. Besuch bei Wiebe Ruttenberg,<br />
Leiter der Abteilung Market Integration,<br />
der in einem unauffälligen Nebengebäude<br />
des Eurotower in der Frankfurter Innenstadt<br />
sitzt. Sein Büro, mit blau gewebtem<br />
Teppich, nüchternes Corporate Design<br />
im Europa-Stil, wirkt wenig luxuriös –<br />
und ist doch Zentrum des aktuell wichtigsten<br />
technischen Projekts der EZB. Von hier<br />
hat Ruttenberg die Einführung des SEPA-<br />
Zahlungssystems geleitet. Neue, einheitliche<br />
Kontonummern für alle Europäer – ein<br />
mächtiges Projekt, dessen Sinn sich erst<br />
mal überhaupt nicht erschließt. Es soll einen<br />
einheitlichen, bargeldlosen Zahlungsraum<br />
Europa ermöglichen. SEPA ist aber<br />
dennoch nicht Teil eines Masterplans, dem<br />
Bargeld zu entsagen: „In Europa wird es<br />
keine bargeldlose Gesellschaft geben“, antwortet<br />
EZB-Fachmann Ruttenberg auf die<br />
Frage, wann denn neue Zahlungsmittel<br />
das Bargeld wohl ablösen werden – ohne<br />
zu zögern.<br />
Mein nächster Versuch: ein<br />
Feierabendbier im Bordbistro.<br />
3,70 Euro soll das kosten. „Mit<br />
Karte bitte“, hauche ich verlegen<br />
über den Tresen und erwarte<br />
schon die nächste Enttäuschung. „Wir<br />
nehmen aber nur Kreditkarten“, lautet dann<br />
die sehnlichst erwartete Antwort. Das ist mir<br />
ohnehin am liebsten. Denn ich bin Kunde<br />
bei einer Direktbank. Die stellt mir eine<br />
Kreditkarte aus, mit der ich weltweit kostenlos<br />
Bargeld abheben – und in Deutschland<br />
auch ohne Gebühren bezahlen kann. Ein<br />
erster Erfolg. Zwar muss ich mein Bier aus<br />
einem Plastikbecher am Platz trinken, der<br />
erste Schluck schmeckt trotzdem fantastisch.<br />
So kann die bargeldlose Zukunft starten.<br />
Auf der anderen Seite des Atlantiks ticken<br />
manche schon anders. Larry Summers,<br />
ehemaliger US-Finanzminister, dachte auf<br />
einer Konferenz in Washington laut über<br />
die Abschaffung des Bargelds nach. Nur<br />
dann könnten Zentralbanken negative Leitzinsen<br />
einführen, zur Abwehr der Deflation<br />
und zum Ankurbeln des Konsums. „Die<br />
globale Finanzkrise ist noch nicht überstanden.<br />
Deshalb müssen wir in den kommenden<br />
Jahren darüber nachdenken, wie<br />
wir eine Volkswirtschaft managen, in der<br />
nominale Zinssätze von null chronische<br />
Hemmstoffe sind, die unsere Volkswirtschaften<br />
hinter ihrem Potenzial zurückhalten“,<br />
sagte Summers.<br />
Der Gedanke dahinter: Weil die Zinssätze<br />
schon nahe null sind, könnte die Geldhaltung<br />
auf Konten mit negativen Zinsen<br />
bestraft werden. Wer Geld bei der Bank<br />
parkt, zahlt eine Gebühr. Normalerweise<br />
würden die Menschen dann auf Bargeld<br />
ausweichen, der Negativzins würde wirkungslos.<br />
Können sie aber nicht mehr bar<br />
bezahlen, würde das Geld auf die Konten<br />
getrieben – oder ausgegeben. So könnte<br />
der Konsum angekurbelt werden.<br />
OHNE CASH: TABLET-KASSEN<br />
Wer wissen will, wie die bargeldlose Zukunft<br />
aussieht, muss sich in Messehallen<br />
drängen. Etwa auf der Euroshop in Düsseldorf,<br />
der weltweit größten Messe für den<br />
Einzelhandel. Dort wird klar: Wo heute<br />
noch graue Supermarkt-Kassenklötze aus<br />
Hartplastik stehen, sollen demnächst<br />
schlanke Tablet-Computer Zahlungen abwickeln.<br />
Am besten ohne Bargeld. Denn<br />
Tablet-Kassen mit Flachbildschirmen bieten<br />
keinen Platz mehr für Münzen und<br />
Blühe, einig Bargeldland<br />
Anteil der Bezahlvorgänge an der Kasse<br />
(in Prozent)<br />
Bargeld<br />
EC-Karte<br />
Kreditkarte<br />
Sonstiges*<br />
0 20 40 60 80 100<br />
Österreich<br />
Polen<br />
Deutschland<br />
Italien<br />
Spanien<br />
Großbritannien<br />
Niederlande<br />
Belgien<br />
Schweden<br />
Frankreich<br />
Welche Summen die Deutschen wie<br />
bezahlen (in Prozent)<br />
Bargeld EC-Karte Kreditkarte<br />
Internet-Zahlung Überweisung Sonstiges<br />
0 20 40 60 80 100<br />
Bis 5Euro<br />
5bis 20 Euro<br />
20 bis 50 Euro<br />
50 bis 100 Euro<br />
100 bis 500 Euro<br />
Ab 500 Euro<br />
Wie viel Bargelddie Deutschen im<br />
Portemonnaie haben<br />
300 Euro und mehr<br />
200 bis 300 Euro<br />
150 bis 200 Euro<br />
100 bis 150 Euro<br />
50 bis 100 Euro<br />
20 bis 50 Euro<br />
bis 20 Euro<br />
18<br />
12 4<br />
7<br />
30<br />
%<br />
Mittelwert: 103 Euro<br />
davon Münzen: 5,90 Euro<br />
10<br />
18<br />
*Kundenkarten, Schecks, PayPal, Lastschrifteinzug etc.; Quelle: Deutsche Bundesbank, 2011; Europäische Kommission und Deloitte <strong>2014</strong>, vorläufige Ergebnisse<br />
98 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Zahlungen sicherer werden können. Etwa<br />
so: Wie der Zoll bei der Einreise am Flughafen<br />
in den USA scannt ein kleines Gerät an<br />
der Kasse den Fingerabdruck des Käufers.<br />
Dann wird die Zahlung drahtlos über eine<br />
spezielle Chipkarte, die der Käufer bei sich<br />
führen muss, abgewickelt. Der Fingerabdruck<br />
dient sozusagen als fälschungssichere<br />
Unterschrift oder PIN.<br />
Da Fingerabdruckscanner bereits in Mobiltelefonen<br />
von Samsung oder Apple verbaut<br />
sind, dürfte die Zahlung mit dem Fingertip<br />
bald an Fahrt aufnehmen. Jüngst hat<br />
PayPal dazu eine Kooperation mit Samsung<br />
gestartet.<br />
ILLUSTRATION: KARSTEN PETRAT<br />
Scheine. Die wandern allenfalls noch in eine<br />
zusätzliche Schublade, die in den Verkaufstresen<br />
eingelassen werden muss, wie<br />
etwa heute schon in manchem Apple-Store<br />
– eine Übergangslösung, für Bargeld-Nostalgiker<br />
unter den Kunden.<br />
Smartphones der Konsumenten und<br />
Tablet-Computer der Händler gehen, so erlebt<br />
man es auf der Messe, eine Symbiose<br />
ein. Für Zahlungen, klar, aber auch für neues<br />
Marketing: Zum Beispiel für Sonderangebote,<br />
die dem Verbraucher direkt aufs<br />
Smartphone gespielt werden, wenn er an<br />
einem Laden vorbeiläuft. Er geht kurz rein,<br />
bezahlt mit dem Smartphone und rennt<br />
weiter zum nächsten Angebot.<br />
Für manchen Konsumenten eine Horrorvision,<br />
für andere nur lästig oder gar eine<br />
willkommene Bereicherung. „Ich zahle<br />
möglichst nur mit Bargeld,“ sagt Claudia<br />
Franke, „da behalte ich die Kontrolle, wie<br />
viel ich ausgeben kann.“ Ihre Kunden aber<br />
lässt die Düsseldorfer Unternehmerin, die<br />
unter anderem Tierpflegeprodukte auf<br />
Schulungen oder Messen verkauft, unterwegs<br />
am liebsten über ein mobiles Kartenterminal<br />
bezahlen. Den Adapter von Sum-<br />
Up steckt Franke an ihr Smartphone oder<br />
Ohne Cash wird<br />
Schwarzarbeit<br />
viel schwieriger<br />
Tablet. Ihre Kunden können mit dem Finger<br />
auf dem Display unterschreiben, sagt<br />
sie, bekommen anschließend Quittungen<br />
per E-Mail oder SMS zugeschickt. „Am<br />
liebsten wäre mir, wenn alle mit Karte zahlen<br />
würden“, sagt Franke.<br />
KARTENLOS: ABDRUCK GENÜGT<br />
Noch einfacher wird es für Kunden, wenn<br />
sie ihre Karte gar nicht mehr aus dem<br />
Portemonnaie kramen müssen, um sie an<br />
der Kasse oder am mobilen Lesegerät<br />
scannen zu lassen. Warum nicht mit biometrischen<br />
Daten bezahlen? Sprich: mit<br />
dem Fingerabdruck? Auch das zeigen erste<br />
Versuche auf der Düsseldorfer Messe. Die<br />
Natural Security Alliance, getragen unter<br />
anderem von BNP Paribas, Crédit Agricole<br />
und Mastercard, testet hier, wie digitale<br />
Samstagnachmittag, ein<br />
kurzer Abstecher in ein<br />
Shoppingoutlet. Die Logos<br />
in den Läden zeigen mir,<br />
dass sie sich auf meine Visa,<br />
Mastercard oder American Express freuen.<br />
Nur finde ich bei ihnen weder Schuhe noch<br />
Hemden, die mir gefallen. Bei sonnigem<br />
Frühlingswetter soll wenigstens ein Eis das<br />
Gedrängel vor den Schaufenstern versüßen.<br />
Die Eisdiele verlangt 3,60 Euro für drei<br />
Kugeln. Eigentlich würde ich mit der Kassiererin<br />
gern über die Preise diskutieren.<br />
Ihre Aussage, dass ich nur bar bezahlen<br />
kann, nimmt mir aber die Lust. 20 Euro<br />
hatte ich am Freitag vor der Bahnfahrt für<br />
den Notfall eingesteckt. Die aber schwinden<br />
schnell dahin. Am Samstagnachmittag<br />
treibt es mich – in weiser Voraussicht – an<br />
den nächsten Bankautomaten. Ich muss<br />
meinen Notgroschen aufstocken.<br />
Thilo Weichert, Landes-Datenschutzbeauftragter<br />
in Kiel, sieht die Datenspuren,<br />
die Nutzer von digitalen Zahlungsmitteln<br />
hinterlassen, mit Sorge: „Auch bei allen<br />
denkbaren technischen Sicherungen sind<br />
digitale Spuren zumeist leichter festzustellen,<br />
automatisiert auszuwerten und dadurch<br />
umfassend zu überwachen.“ Knackpunkt<br />
dabei: Die Zahlungsströme laufen<br />
fast alle über die USA. Im Rahmen der<br />
Snowden-Enthüllungen wurde im Herbst<br />
bekannt, dass die amerikanische NSA auch<br />
Kreditkartendaten in den USA ausliest.<br />
„Dass wir keine europäische Infrastruktur<br />
haben, ist ein Problem. Auch das europäische<br />
Überweisungssystem SEPA wird daran<br />
nichts ändern, dazu war es gar nicht gedacht“,<br />
sagt Constanze Kurz, Projektleiterin<br />
am Forschungszentrum für Kultur und<br />
Informatik der Hochschule für Technik<br />
und Wirtschaft in Berlin. „Nur über Bargeld<br />
lässt sich auch nur ansatzweise langfris-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 99<br />
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Geld&Börse<br />
»<br />
tig die Anonymität des Zahlungsverkehrs<br />
gewährleisten“, sagt Weichert.<br />
Bargeld-Lösungen sind auf der Düsseldorfer<br />
Messe zwar noch vertreten, aber<br />
schon in Nischen gedrängt – wie die Münzprüfmaschinen<br />
von WH Münzprüfer aus<br />
Berlin. Die CD-großen Elemente lassen<br />
Münzen durch ihren Einwurfschlitz in einen<br />
transparenten Schaukasten klackern,<br />
scheinen in Halle 6 aber nur noch geduldet,<br />
vereinsamt in einem Durchgang neben<br />
den pompösen Multimedia-Ständen<br />
der bargeldlosen Konkurrenz.<br />
„An unserem Geschäft sehen wir, dass<br />
Münzen weltweit immer noch eine wichtige<br />
Rolle spielen, trotz der Weiterentwicklung<br />
beim bargeldlosen Zahlen“, sagt Geschäftsführer<br />
Christian Trenner. Spiel- und<br />
Ticketautomaten, aber auch Selbstbediener-Kassen<br />
im Supermarkt brauchen Maschinen,<br />
die Euro-Münzen von Hosenknöpfen<br />
unterscheiden können. Den Messebesuchern<br />
erscheint das irgendwie bieder<br />
– sie erliegen dem Charme von Tablets<br />
und Smartphones. Wer will da noch Münzen<br />
prüfen?<br />
„SWISH“: VON HANDY ZU HANDY<br />
Schweden jedenfalls braucht heute schon<br />
nur noch wenige Münzprüfautomaten.<br />
Bargeld spielt kaum noch eine Rolle. Selbst<br />
Zeitungen und Kaugummi können mobil<br />
oder mit Karte gezahlt werden. Die schwedischen<br />
Banken, vorneweg die Großbanken<br />
SEB und Nordea, haben sich für ein<br />
mobiles Zahlsystem namens Swish zusammengetan.<br />
Zahlungen von privat zu privat<br />
sind einfach über eine App auf dem<br />
Smartphone möglich. Wer etwa sein Fahrrad<br />
gebraucht verkaufen möchte, kann vor<br />
Ort von einem Telefon zum anderen bezahlen.<br />
Im Sommer sollen auch schwedische<br />
Unternehmen mit Swish die Zahlungen<br />
ihrer Kunden entgegennehmen können.<br />
In Deutschland gibt es einen ähnlichen<br />
Ansatz namens Kesh, von der BIW<br />
Bank. Generell halten sich Deutschlands<br />
Banken aber zurück; man beobachte die<br />
Entwicklungen, sagt der Bankenverband,<br />
der die Privatbanken vertritt.<br />
Schwedische Banken haben seit 2010 ihren<br />
Bargeldservice schrittweise eingestellt.<br />
Nordea etwa bietet nur noch in einem Drittel<br />
ihrer 256 Filialen Bargeldservices an.<br />
„Bargeld ist immer noch teuer zu transportieren<br />
und zu verwalten, die Risiken von<br />
Überfällen haben es in den vergangenen<br />
Jahren auch nicht günstiger gemacht,“ sagte<br />
bereits 2008 Lars Nyberg, damals Vorstand<br />
der schwedischen Zentralbank.<br />
Prominentester Unterstützer der schwedischen<br />
Bargeldlos-Bewegung ist Abba-<br />
Star Björn Ulvaeus. Im Stockholmer Abba-<br />
Museum können Besucher inzwischen nur<br />
noch mit Karte zahlen. Privat verzichtete<br />
Ulvaeus in einem Selbstversuch ein Jahr<br />
lang auf Bargeld: „Die einzige Unannehmlichkeit,<br />
die mir im Alltag begegnet ist:Man<br />
braucht eine Münze, um im Supermarkt einen<br />
Wagen zu leihen“, schreibt er auf der<br />
Homepage des Museums. Seine Kritiker<br />
werfen Ulvaeus vor, er sei bei der Aktion<br />
vor allem durch einen der Hauptsponsoren<br />
seines Abba-Museums getrieben worden:<br />
Kreditkarten-Gigant Mastercard.<br />
Am Samstagabend möchten<br />
wir zum Italiener. Bei der<br />
Restaurantkette Vapiano<br />
bekomme ich als Gast schon<br />
am Eingang eine Chipkarte,<br />
auf der meine Bestellungen eingehen.<br />
Hier muss ich mich an Selbstbedienungstheken<br />
anstellen, Köche bereiten die<br />
Nudeln vor meinen Augen zu. Was mich<br />
meine Bestellung kostet, erkenne ich nach<br />
jeder Bestellung in einem Display, wenn<br />
meine Karte gescannt wird. Zum Bezahlen<br />
Spuren digitaler<br />
Zahlungen sind<br />
leicht verfolgbar<br />
wird sie an der Kasse nach dem Essen<br />
ausgelesen. Und dort erkenne ich gleich:<br />
ein NFC-Terminal. Fantastisch! Da zeigt<br />
sie sich endlich, die bargeldlose Zukunft.<br />
Denn mit der sogenannten Near Field<br />
Communication könnte ich mein Abendessen<br />
jetzt über das Smartphone bezahlen.<br />
Einfach, indem ich das Telefon im Umkreis<br />
von etwa zehn Zentimetern an das Lesegerät<br />
lege oder darüber halte. Abgebucht<br />
wird kontaktlos. Leider bin ich von der bargeldlosen<br />
Zukunft ausgeschlossen, weder<br />
mein Handy noch meine Kreditkarte sind<br />
für NFC-Zahlungen gerüstet. Also muss<br />
ich dann doch meine Kreditkarte einlesen<br />
lassen und die PIN eingeben. Die Kassiererin<br />
tröstet mich: „Seit unserer Eröffnung<br />
vor etwa zwei Jahren hat bei mir bisher nur<br />
ein einziger Kunde kontaktlos bezahlt.“<br />
ILLUSTRATION: KARSTEN PETRAT<br />
100 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Dass Geld bereitgehalten, gewechselt,<br />
transportiert, gesichert und bewacht werden<br />
muss und dass dies alles kostet, leuchtet<br />
ein. Doch auch bargeldlose Abwicklungen<br />
kosten Geld. „Zahlungen können nicht<br />
kostenlos sein, das müssen die Leute verstehen“,<br />
sagt Ruttenberg von der EZB. Nur<br />
seien diese Kosten eben im System versteckt.<br />
Händler zahlen in Deutschland<br />
durchschnittlich 1,25 Prozent der Transaktionssummen<br />
an Banken und Kreditkartenanbieter.<br />
Diese werden natürlich meist<br />
an die Kunden weitergegeben. Die Europäische<br />
Kommission arbeitet deshalb gerade<br />
an einer Richtlinie, alle Kreditkartengebühren<br />
für Händler auf 0,3 Prozent zu<br />
reduzieren. Kommt die, bekämen Karten<br />
einen neuen Schub.<br />
Unter dem Strich, für bare und bargeldlose<br />
Zahlungen zusammen, kosten Zahlungen<br />
in der EU etwa 130 Milliarden Euro,<br />
schätzt Ruttenberg – ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts.<br />
Vom Bargeld abrücken<br />
möchte er deshalb aber nicht. Vielmehr<br />
sollten die bisherigen Infrastrukturen, wie<br />
Debit- und Kreditkarten, effizienter genutzt<br />
werden. „Die bargeldlose Gesellschaft ist<br />
etwa so wahrscheinlich wie das papierlose<br />
Büro“, sagt Ruttenberg. Sein eigener<br />
Schreibtisch wirkt zwar aufgeräumt, aber<br />
dort stapeln sich Papierbögen, keine Frage.<br />
Sonntagvormittag, Sonnenschein<br />
und blauer Himmel.<br />
Wir fahren zum Kloster<br />
Weltenburg an die Donau.<br />
Das Kloster ist für Besucher<br />
nur zu Fuß erreichbar, also biegen wir auf<br />
einen Parkplatz ab, 500 Meter vor dem<br />
Kloster. Eine junge Frau in Warnweste verteilt<br />
Parkscheine – und will Bargeld sehen.<br />
Ich frage nicht einmal nach Kartenzahlung,<br />
sie wird kaum ein mobiles Kartenterminal<br />
in ihrer Weste versteckt halten. Auch einen<br />
Kassenautomat mit Kartenschlitz suche ich<br />
vergebens. Ich drücke die Münzen ab und<br />
überlege, den Selbstversuch abzubrechen.<br />
Nach einem Spaziergang an der Donau<br />
kehren wir im Kloster ein. Es gibt Haxe,<br />
Knödel und Kraut. Neben uns spachteln<br />
auch Amerikaner und Spanier. Da es<br />
so international zugeht, verlange ich selbstbewusst<br />
nach Kartenzahlung . Die Bedienung<br />
schüttelt den Kopf. Gut, dass ich<br />
am Bankautomaten war.<br />
Ganz offensiv, zumindest verbal, wird Bargeld<br />
in Italien der Kampf angesagt. „Der<br />
Kampf gegen das Bargeld ist ein wahrer<br />
Kampf der Zivilisation“ – der Spruch von<br />
Giovanni Sabatini, Generaldirektor der<br />
Bankenvereinigung ABI, ist heute schon legendär.<br />
Dafür erntete er zwar reichlich<br />
Spott. „Sabatini erzählt Quatsch, weil er<br />
verbergen will, dass die Banken an allen<br />
Zahlungen mitverdienen, nur eben am<br />
Bargeld nicht“, ätzte Komiker Beppe Grillo,<br />
ein überzeugter Bargeld-Anhänger.<br />
Aber: Bestechung und Hinterziehung<br />
sind vor allem mit Bargeld möglich. Der<br />
deutsche Staat würde jährlich 35 Milliarden<br />
Euro mehr einnehmen, wenn nach<br />
Abschaffung des Bargelds die Schattenwirtschaft<br />
eingedämmt würde. Das schätzen<br />
Forscher der Steinbeis-Hochschule.<br />
Ein Bargeldverbot würde Schwarzarbeit erschweren,<br />
aber auch Drogenhandel, Prostitution<br />
und illegales Glücksspiel.<br />
BITCOINS: DAS FESTPLATTEN-GELD<br />
Aber auch ohne Bargeld lassen sich illegale<br />
Geschäfte finanzieren – etwa mit der Digitalwährung<br />
Bitcoins. Jeder, der über rechenstarke<br />
Computer verfügt, kann Bitcoins<br />
kreieren. Mittlerweile ein aufwendiger<br />
und sehr teurer Prozess – für die Geldschöpfer<br />
ein Fulltime-Job. Bitcoins waren<br />
anfangs Zahlungsmittel für Drogen und<br />
Waffen. Heute werden sie längst auch regulär<br />
genutzt, in den USA verkaufte ein Autohaus<br />
sogar ein Tesla-Elektroauto gegen<br />
Bitcoins.<br />
Bislang wissen weder Staaten noch Notenbanken,<br />
wie sie mit der digitalen Währung<br />
umgehen sollen. Bundesbank-Vorstand<br />
Carl-Ludwig Thiele etwa hält Bitcoins<br />
für hochspekulative Finanzinstrumente,<br />
auf keinen Fall für Zahlungsmittel.<br />
Alex Werkman, IT-Berater aus Köln, lässt<br />
sich seinen Enthusiasmus nicht nehmen:<br />
„Wenn man sich ansieht, was die EZB mit<br />
dem Euro macht, wäre doch eine Ausweichwährung<br />
nicht schlecht“ – etwa bei<br />
Inflation. Werkmans Frau betreibt eine<br />
Über dem Zenit?<br />
Wert eines Bitcoins, produzierte Menge<br />
13 1000<br />
12<br />
11<br />
10<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
0<br />
11 12 13 14<br />
Quelle:Coindesk<br />
Anzahl<br />
in Millionen<br />
Preis in Dollar<br />
750<br />
500<br />
250<br />
Kindertagesstätte – und er hat für diese ein<br />
System eingeführt, das es Eltern erlaubt,<br />
mit Bitcoins zu zahlen. Zahlungen sind<br />
kostenfrei, Nutzer müssten nur etwas Wartezeit<br />
in Kauf nehmen. Zehn Minuten dauert<br />
eine selbst durchgeführte Bezahlaktion,<br />
schätzt Werkman. Nur wer professionelle<br />
Anbieter wie Bitpay nutzt, zahlt Gebühren<br />
für Bitcoin-Transaktionen. Dafür wandelt<br />
Bitpay Coins auch in Euro um.<br />
Alles ziemlich zukunftsträchtig – nur ist<br />
die Nachfrage vonseiten der Tagesstätten-<br />
Eltern leider null. „Kann ja noch kommen“,<br />
sagt Werkman , „ich wollte eben mal etwas<br />
anderes ausprobieren.“ Dass ihm seine im<br />
Wert stark gestiegenen Coins (siehe Chart<br />
unten) verloren gehen, fürchtet er nicht.<br />
„Ich habe sie mehrfach auf Festplatten gespeichert.“<br />
So umgeht er Probleme, wie sie<br />
Tausende Anleger mit der Bitcoin-Börse<br />
Mt.Gox hatten, die in der Insolvenz vermutlich<br />
mehrere Hundert Millionen Euro<br />
Kundengeld vernichtet hat.<br />
Resigniert setze ich mich am<br />
Abend in den ICE. Zum<br />
Abschluss will ich es aber<br />
noch mal wissen: Ein Ticket<br />
für die Fahrt mit der Frankfurter<br />
U-Bahn muss ich doch auch ohne<br />
Bargeld bekommen können, am besten als<br />
Code auf mein Handy. Dafür lade ich<br />
mir die App des Verkehrsverbunds Rhein-<br />
Main herunter. In den Nutzungsbedingungen<br />
steht, dass ich damit den Zugriff auf<br />
meinen Telefonstatus und die Telefon-ID<br />
zulasse. Eigentlich bin ich damit nicht<br />
einverstanden, aber es hilft ja nichts. Einmal<br />
installiert, wähle ich über die App eine<br />
Verbindung und tippe auf „Ticket kaufen“ –<br />
2,60 Euro. Nun bietet die App mir an, mich<br />
als Nutzer zu registrieren. Das ist mir zu<br />
aufwendig, ich lehne ab. Ich kann ja auch<br />
über die Mobilfunkrechnung bezahlen. Also<br />
tippe ich meine Handynummer ein, packe<br />
eine E-Mail-Adresse dazu und erstelle ein<br />
Passwort. Im nächsten Schritt erwarte ich<br />
dann mein Ticket. Von wegen! Ich bekomme<br />
den Hinweis, dass für die Abrechnung<br />
über mein Handy eine zusätzliche Gebühr<br />
anfällt. Wie hoch die ist, zeigt die App mir<br />
freundlicherweise nicht an. Und mir fehlt die<br />
Zeit, die Geschäftsbedingungen durchzulesen,<br />
meine Bahn fährt ein. Lust auf seitenweise<br />
Kleingedrucktes habe ich schon gar<br />
nicht. Also eile ich zum nächsten Ticketautomaten<br />
und beende mein bargeldloses Wochenende,<br />
wie es angefangen hat:indem ich<br />
Münzen aus dem Portemonnaie krame. n<br />
sebastian.kirsch@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 101<br />
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Geld&Börse<br />
Hungrig, nicht nur auf Kredite<br />
Lendico-Mitarbeiter in Berlin<br />
Bankraub erlaubt<br />
Ein Unternehmen der Samwer-Brüder vermittelt online<br />
Kredite von privat an privat. Was taugt das Modell?<br />
Inden Lofts herrscht ein Gewimmel wie<br />
auf einer Geflügelfarm von Wiesenhof.<br />
An die 100 junge Menschen sitzen dicht<br />
an dicht in langen Reihen vor ihren Laptops.<br />
Die Schreibtische bestehen großenteils<br />
aus Spanplatten, die auf Holzböcken<br />
ruhen. Einziger Schmuck der kargen Büros<br />
sind Bilder an der Wand, auf denen Butch<br />
Cassidy, John Dillinger, Robin Hood und<br />
andere legendäre Räuber zu sehen sind.<br />
Neben jedem Porträt stehen die Sätze:<br />
„Stealing money from banks will get you in<br />
jail. Making more money by cutting out<br />
banks will get you rich.”<br />
„Es ist verboten, eine Bank auszurauben,<br />
aber höchst rentierlich, den Geldhäusern<br />
die lukrativsten Geschäfte abzuknöpfen“ –<br />
so lautet, frei übersetzt, das Motto der Firma<br />
Lendico.<br />
Sie ist das jüngste Unternehmen, das die<br />
Samwer-Brüder Oliver, Marc und Alexander<br />
gegründet haben. Ebenso wie ihre Holding<br />
Rocket Internet hat Lendico seinen<br />
Sitz in einer ehemaligen Zigarettenfabrik in<br />
Berlin-Mitte. Nach Online-Auktionen<br />
(Alando), Klingeltönen (Jamba) und Mode<br />
(Zalando) wollen Deutschlands größte Internet-Unternehmer<br />
jetzt in ein neues Geschäft<br />
einsteigen: die Vermittlung von Krediten<br />
unter Privatleuten.<br />
Dort wittern die Samwers enorme Chancen.<br />
Angeblich verdienen Banken mit<br />
kaum einem Geschäft so viel Geld wie mit<br />
Konsumentenkrediten. „Hier beträgt die<br />
Zinsspanne im Durchschnitt sieben Prozent.<br />
Wir wollen dafür sorgen, dass die gewaltige<br />
Gewinnspanne zu großen Teilen an<br />
die Kreditnehmer und Kreditgeber geht“,<br />
sagt Lendico-Geschäftsführer Dominik<br />
Steinkühler. Der 33-Jährige war zuvor Investmentbanker<br />
bei Rothschild und Projektleiter<br />
bei Boston Consulting.<br />
Das Geschäftsmodell ist simpel: Kreditnehmer,<br />
die ein Auto, neue Möbel oder einen<br />
Fernseher kaufen wollen, melden sich<br />
auf der Plattform von Lendico an. Dort<br />
können dann andere Privatleute mit kleinen<br />
und kleinsten Beiträgen das beantragte<br />
Darlehen finanzieren. Lendico verspricht<br />
nichts weniger als ein kleines Finanzwunder:<br />
Die Kreditnehmer sollen weniger<br />
Zinsen zahlen als bei der Bank und<br />
die Kreditgeber höhere Renditen bekommen<br />
als auf dem Sparbuch.<br />
„P2P“ oder „Peer to Peer“ (von Gleich zu<br />
Gleich) heißt das angebliche Mirakel, an<br />
dem sich schon andere Unternehmen versucht<br />
haben. Wirklich erfolgreich war keines,<br />
viele P2P-Anbieter gaben auf, in<br />
Deutschland etwa eLolly und SOS Money.<br />
Die Kunden wollten von den Kreditbörsen<br />
wenig wissen. Bei traditionellen Banken<br />
sind die Zinsen oft deutlich niedriger als<br />
bei den Online-Börsen. Zugleich scheuen<br />
sich Privatleute hierzulande, fremden<br />
Menschen Geld zu leihen. Die Gefahr, dass<br />
Kreditnehmer nicht zahlen, ist in der Tat<br />
groß. Angesichts der hohen Ausfallwahrscheinlichkeit<br />
können die üppigen Renditen,<br />
die den Investoren in Aussicht gestellt<br />
werden, sehr schnell schrumpfen.<br />
ZWEI MILLIARDEN IM VISIER<br />
Das P2P-Konzept stammt, wie so viele Geschäftsideen<br />
der Samwers, ursprünglich<br />
aus den USA. Marktführer bei Privatkrediten<br />
ist in Amerika der Lending Club, der<br />
2013 Kredite über zwei Milliarden Dollar<br />
vergab. In ähnliche Dimensionen will auch<br />
Lendico vorstoßen, deren Hauptgesellschafter<br />
die Holding Rocket Internet ist.<br />
„Die ausstehenden Konsumentenkredite<br />
haben in Deutschland ein Volumen von<br />
insgesamt rund 200 Milliarden Euro“, sagt<br />
Steinkühler. „Davon wollen wir einen Anteil<br />
von mindestens einem Prozent.“<br />
Ein Kreditvolumen von zwei Milliarden<br />
Euro – hiervon ist Lendico aber noch weit<br />
entfernt. In den ersten vier Monaten stellte<br />
FOTOS: MATTHIAS LUEDECKE<br />
102 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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die Firma Kreditanfragen über 6,5 Millionen<br />
Euro auf ihre Plattform. Nicht viel besser<br />
schaut es bei den Konkurrenten aus, die<br />
bereits seit mehreren Jahren aktiv sind.<br />
Auxmoney, 20<strong>07</strong> in Düsseldorf gegründet,<br />
hat bislang erst Online-Kredite über 86<br />
Millionen Euro vermittelt. „Damit sind wir<br />
in Deutschland klar Marktführer“, sagt Auxmoney-Geschäftsführer<br />
Raffael Johnen.<br />
Die Gewinnzone hat die Kreditbörse trotzdem<br />
noch nicht erreicht.<br />
Die Online-Börse Smava aus Berlin hat<br />
das P2P-Modell sogar weitgehend wieder<br />
aufgegeben. Offenbar war die Nachfrage<br />
nicht groß genug. „Die Vermittlung von<br />
Krediten unter Privatleuten spielt bei uns<br />
keine tragende Rolle mehr“, sagt Geschäftsführer<br />
Alexander Artopé. Vorrang hat bei<br />
Smava jetzt die Vermittlung ganz normaler<br />
Bankkredite per Internet. „Die haben eine<br />
Kehrtwende um 180 Grad vollzogen“,<br />
höhnt ein Konkurrent.<br />
EXPANSION IN EUROPA<br />
Als würde es die Misserfolge nicht geben,<br />
treten die Samwers aufs Gaspedal. Anfang<br />
Dezember startete das deutsche Lendico-<br />
Portal. Am 10. Februar ging die Plattform<br />
für Spanien live. Im März folgten Kreditbörsen<br />
für Österreich und Polen. „Wir wollen<br />
in weitere europäische Länder expandieren“,<br />
sagt Geschäftsführer Steinkühler.<br />
Derzeit vermittelt Lendico Konsumentenkredite<br />
von 1000 bis 25 000 Euro; es wird<br />
daran gedacht, künftig auch Baugeld und<br />
Autofinanzierungen anzubieten.<br />
Ende März startete außerdem Zencap,<br />
ein Portal zur Finanzierung von Kleinunternehmen.<br />
Was will die Samwer-Firma<br />
besser machen als die glücklosen Konkurrenten?<br />
„Wir prüfen die Bonität der Kreditnehmer<br />
sorgfältiger als die Mitbewerber“,<br />
versichert Steinkühler. „Mehr als 90 Prozent<br />
der Kreditanträge haben wir bisher<br />
abgelehnt.“ Doch auch bei Auxmoney<br />
scheitern 80 Prozent der Antragsteller bei<br />
der Bonitätsprüfung. Wer bei seiner Sparkasse<br />
kein Geld mehr bekommt, darf sich<br />
kaum Hoffnungen machen, dass Lendico<br />
ihm aus der Patsche hilft.<br />
Interessenten für einen Kredit stellen<br />
ihre Projekte online kurz vor, die Palette<br />
reicht aktuell von „Umschuldung vor der<br />
Hochzeit“ (12 000 Euro zu 13,88 Prozent)<br />
bis „Dachrenovierung“ (18 000 Euro zu<br />
5,87 Prozent). Investoren können für die<br />
Projekte sogar Kleckerbeträge in 25-Euro-<br />
Tranchen verleihen.<br />
Lendico ist nicht immer billig. Die effektiven<br />
Zinsen betragen, je nach Bonität des<br />
Kreditnehmers, zwischen 2,99 und 15,91<br />
Prozent. Traditionelle Banken offerieren<br />
im Internet Konsumentenkredite oft schon<br />
für weniger als zwei Prozent. „Online-<br />
Bankkredite bieten im Schnitt günstigere<br />
Zinsen und auch ein breiteres Produktangebot<br />
als reine P2P-Kredite“, sagt Smava-<br />
Chef Artopé. Genau aus diesem Grund sei<br />
die Kreditbörse auf die Vermittlung klassischer<br />
Bankdarlehen umgeschwenkt. „Wir<br />
sind nie die teuersten, aber auch nicht immer<br />
die günstigsten Anbieter“, räumt Lendico-Chef<br />
Steinkühler ein.<br />
Wer bei der Online-Börse einen Kredit<br />
beantragt, muss sich von Lendico genauso<br />
durchleuchten lassen wie ein Bankkunde:<br />
Für die letzten drei Monate sind Gehaltsnachweise<br />
und Kontoauszüge beizubringen.<br />
Eine Schufa-Auskunft ist ohnehin obligatorisch.<br />
„In unsere Bonitäts-Scores gehen<br />
weitere Informationen ein. Wir fragen<br />
beispielsweise bei der Post nach, wie oft<br />
»Gut 90 Prozent<br />
der Anträge<br />
auf Kredit wurden<br />
abgelehnt«<br />
Lendico-Chef Steinkühler<br />
Alex im Rücken Lendico-Chef und<br />
-Mitgründer Steinkühler<br />
ein Kreditnehmer seine Adresse gewechselt<br />
hat“, sagt Steinkühler.<br />
Die Kunden, die nach der Prüfung akzeptiert<br />
werden, teilt Lendico in fünf Gruppen<br />
ein. Klasse A enthält die Schuldner mit<br />
der besten Bonität, Klasse E jene mit der<br />
schlechtesten. Hier beträgt die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass ein Schuldner bereits<br />
im ersten Jahr zahlungsunfähig wird, laut<br />
Lendico acht bis zwölf Prozent. Diesem hohen<br />
Risiko entsprechen die in Aussicht gestellten<br />
Renditen kaum, die in Klasse E derzeit<br />
über zwei Jahre 11,81 bis 14,97 Prozent<br />
betragen – inklusive eines noch bis Ende<br />
Juni geltenden Werbebonus von zwei Prozentpunkten.<br />
Rechnet man in einer Durchschnittsbetrachtung<br />
die Ausfallquoten mit<br />
ein, kann die jährliche Rendite für Kreditgeber<br />
auf Werte um zwei Prozent sinken.<br />
Generell müssen Kreditgeber bei einer<br />
Insolvenz befürchten, ihr gesamtes Geld zu<br />
verlieren. Denn besicherte Darlehen werden<br />
bei Lendico nicht vermittelt. Zudem<br />
unterliegt die Plattform keiner Kontrolle<br />
durch die Finanzmarktaufsicht BaFin: Lendico<br />
ist rein rechtlich gesehen keine Bank,<br />
sondern ein Kreditvermittler. Die Online-<br />
Börse muss daher auch kein Eigenkapital<br />
zur Deckung von Kreditrisiken vorhalten.<br />
Macht ein Schuldner Bankrott, springt keine<br />
Einlagensicherung ein – die Gläubiger<br />
stehen allein im Regen.<br />
HAPPIGE GEBÜHREN<br />
Dafür müssen sie, eher branchenunüblich,<br />
Gebühren zahlen, sobald die Kredite zurückgezahlt<br />
werden. Von jeder Rate an die<br />
Kreditgeber behält Lendico ein Prozent zur<br />
Deckung seiner Kosten ein. Auch bei den<br />
Schuldnern langt die Online-Börse zu. Sie<br />
müssen, je nach Bonität und Laufzeit der<br />
Kredite, Einmal-Gebühren von 0,5 bis 4,5<br />
Prozent berappen. Das werden bei einem<br />
größeren Darlehen schon mal annähernd<br />
vierstellige Summen. Mit dem Versprechen,<br />
die Zinsmarge zwischen Schuldner<br />
und Gläubiger aufzuteilen, ist es mithin<br />
nicht weit her – auch Lendico kommt auf<br />
üppige Spannen, so wie klassische Banken.<br />
Einen großen Unterschied gibt es freilich:<br />
Banken, Sparkassen und Volksbanken tragen<br />
in voller Höhe die Risiken, wenn ein<br />
Kreditnehmer sein Darlehen nicht zurückzahlt.<br />
Das Gesetz zwingt die Banken, Rückstellungen<br />
zu bilden, die aus dem Zinsüberschuss<br />
finanziert werden. Lendico aber<br />
wälzt das Ausfallrisiko auf die Kreditgeber<br />
ab – will also verdienen wie eine Bank, ohne<br />
deren Risiken zu übernehmen.<br />
n<br />
günter heismann | geld@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 103<br />
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Geld&Börse<br />
Fluch der Karibik<br />
FAIRVESTA | Anleger haben der Immobilienfondsgesellschaft Fairvesta 866 Millionen Euro<br />
anvertraut. Sie hoffen auf zweistellige Renditen. Doch die Zweifel am Geschäftsmodell wachsen.<br />
Otmar Knoll, Handlungsbevollmächtigter<br />
und starker Mann beim Immobilienfondsanbieter<br />
Fairvesta,<br />
gab sich bestürzt. Ein Finanzportal von<br />
zweifelhaftem Ruf hatte einen Wettbewerber<br />
angeschossen. Sogar Betrug wurde<br />
dem Konkurrenten aus Kassel vorgeworfen<br />
– wie kann man nur. Er könne „keine Schadenfreude<br />
über die negativen Beiträge“<br />
empfinden, schrieb Knoll an seine Vertriebsmannschaft.<br />
„Wir wünschen uns unmissverständlich<br />
Frieden mit allen Mitbewerbern.“<br />
Und natürlich steckten weder er<br />
selbst noch Fairvesta hinter den bösen Online-Artikeln<br />
über die liebe Konkurrenz.<br />
Die Szene ist typisch für Knoll, der sich<br />
gern als friedliebenden und ehrlichen Geschäftsmann<br />
inszeniert. Sein Vertrauter<br />
Dieter Müller* konnte es kaum fassen.<br />
* Name von der Redaktion geändert<br />
„Manchmal frage ich mich, wieso du kein<br />
Politiker geworden bist. Die schaffen es<br />
nicht, so viel Geflunker in nur einem Satz<br />
unterzubringen“, schrieb er an Knoll.<br />
Müller muss es wissen. Offenbar hatte er<br />
mit Knolls Wissen einen Plan ausgeheckt,<br />
um dem Kasseler Konkurrenten zu schaden.<br />
Knoll-Freund Müller gab sich als Vertriebspartner<br />
der Kasseler aus und erstattete<br />
anonym Anzeige gegen deren Vorstände.<br />
Darin heißt es: Er und Kollegen würden<br />
angehalten, „riskante Geldanlagen ohne<br />
die gesetzlich vorgeschriebenen Risikohinweise<br />
an unbedarfte, normale Menschen<br />
zu verkaufen“. Mit dem frisch eingezahlten<br />
Geld der Anleger würden Alt-Anleger ausgezahlt.<br />
„Dem Internet entnehme ich, dass<br />
man so was als Schneeballsystem bezeichnet“,<br />
schrieb Müller betont naiv.<br />
„Schneeballsystem“ – das ist auf dem<br />
grauen Kapitalmarkt, auf dem sich die Kasseler<br />
und Fairvesta tummeln, das unaussprechliche<br />
S-Wort, der härteste Vorwurf.<br />
Wer ein Schneeballsystem betreibt, dessen<br />
Fonds schaffen es nicht, die versprochenen<br />
Beträge mit Immobilien oder Schiffen zu<br />
erwirtschaften. Er muss neue Anleger anwerben<br />
und mit deren Geld alte Kunden<br />
bedienen – bis das Modell auffliegt.<br />
SIMPLES GESCHÄFTSMODELL<br />
Knoll hat das Treiben seines Vertrauten gekannt:<br />
„Hallo Otmar“, schrieb Müller im<br />
August 2009 an Knoll „es ist vollbracht. Anliegend<br />
erhältst du den Finalentwurf für<br />
die Strafanzeige.“ Änderungswünsche erbat<br />
Müller „in einer anderen Farbe“. „Es ist<br />
jetzt deine Entscheidung ob und wann<br />
Feuer frei.“ Damit konfrontiert, sagen Müller<br />
und Knoll heute, Knoll habe die Anzeige<br />
weder beauftragt noch bearbeitet. Knoll<br />
habe ihn wissen lassen, sagt Müller, „dass<br />
FOTO: PR<br />
1<strong>04</strong> Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Pirmasens,<br />
Lemberger Straße<br />
Miete:<br />
60 000 Euro oder<br />
154 000 Euro?<br />
Kaufpreis:<br />
270 000 Euro oder<br />
725 000 Euro?<br />
Wert:<br />
1,5 Mio. Euro oder<br />
2,2 Mio. Euro?<br />
– Miete laut Pressekonferenz im Dezember<br />
2013: 60 000 Euro, laut Info an den Käufer<br />
im Juni 2012: 154 000 Euro<br />
– Kaufpreis laut Pressekonferenz im<br />
Dezember 2013: 270 000 Euro, laut Fondsgeschäftsberichten:<br />
725 000 Euro<br />
– Wert laut Fondsgeschäftsberichten:<br />
1,5 Millionen Euro, laut Info an den Käufer<br />
im Juni 2012: 2,2 Millionen Euro<br />
er sich nicht an sowas beteiligen wolle“.<br />
Fakt ist: Die Staatsanwaltschaft ermittelte<br />
später gegen Knolls Kasseler Konkurrenten,<br />
stellte das Verfahren aber ein.<br />
Solche Aktionen werfen kein gutes Licht<br />
auf die Branche. Die Fairvesta-Gruppe mit<br />
Sitz in Tübingen hat bei Anlegern 866 Millionen<br />
Euro eingesammelt. Das Geschäftsmodell<br />
ist simpel: Fairvesta will Immobilien<br />
billig einkaufen und sie nach kurzer<br />
Zeit mit hohem Gewinn weiterveräußern.<br />
Im Schnitt, so gibt Fairvesta an, sollen mit<br />
derlei Geschäften jährlich zweistellige<br />
Renditen erwirtschaftet werden.<br />
Diese Renditen existieren bislang zum<br />
Großteil aber nur auf dem Papier. Der<br />
Grund: Fairvesta kauft Immobilien zu Preisen<br />
unter dem Verkehrswert. Der Verkehrswert<br />
ist der Preis, der sich gewöhnlich für<br />
ein Haus in der Lage und mit der Ausstattung<br />
beim Verkauf erzielen lässt. Wurde eine<br />
Immobilie unter Verkehrswert gekauft,<br />
setzt Fairvesta diese zur Renditeberechnung<br />
der Fonds aber zum Verkehrswert an.<br />
Auf dem Papier entsteht so ein Gewinn.<br />
Warum aber bekommt Fairvesta Häuser<br />
unter Verkehrswert? Angeblich profitiert<br />
man von Sondersituationen: Verkäufe aus<br />
Geldmangel, unter Zeitdruck, bei Zwangsversteigerungen.<br />
Solche ungewöhnlichen<br />
Verhältnisse drücken den Preis, nicht aber<br />
den Verkehrswert. Für Anleger zahlt sich<br />
der Papier-Gewinn aber nur in klingender<br />
Münze aus, wenn es Fairvesta später gelingt,<br />
die Immobilien mit Aufschlag, möglichst<br />
zum Verkehrswert, zu verkaufen.<br />
Dass das in der Realität stets klappt, ist<br />
zweifelhaft. So hat Knoll mehrfach widersprüchliche<br />
Angaben zur Anzahl der von<br />
Fairvesta weiterverkauften Objekte gemacht<br />
(WirtschaftsWoche 42/2013) und<br />
damit an Glaubwürdigkeit eingebüßt.<br />
Derlei Kritik wischt Knoll mit dem Argument<br />
<strong>vom</strong> Tisch, dass er doch mit seinem<br />
Fonds Fairvesta 2 bewiesen habe, dass sein<br />
Geschäftsmodell funktioniere: Der Fonds<br />
wurde 2011 aufgelöst. Anleger bekamen<br />
ihr Kapital nebst stolzen 12,4 Prozent Rendite<br />
pro Jahr. Die zum Schluss noch dem<br />
Fonds gehörenden sechs Immobilien mit<br />
angeblich 15,3 Millionen Euro Verkehrswert<br />
will Knoll sogar über Verkehrswert an<br />
einen „ausländischen Investor“ verkauft<br />
haben. Der Verdacht, die Fondsanleger seien<br />
aus anderen Quellen – Achtung, S-Wort<br />
– bedient worden, wäre so ausgeräumt.<br />
Den Namen des ausländischen Investors,<br />
so Knoll 2013, dürfe er nicht nennen.<br />
Der Verkauf der sechs Immobilien erfolgte<br />
auch nicht direkt, sondern über eine Verbriefung.<br />
Folge: Der 2011 eigentlich aufgelöste<br />
Fonds Fairvesta 2 steht weiter als Eigentümer<br />
der Immobilien im Grundbuch.<br />
Doch Recherchen der WirtschaftsWoche<br />
legen den Verdacht nahe, dass auch diese<br />
Angaben nicht stimmen.<br />
n So hat der ausländische Investor, der als<br />
Käufer der sechs Immobilien mit einem<br />
Verkehrswert von 15,3 Millionen Euro genannt<br />
wird, offenbar nur 2,1 Millionen Euro<br />
selbst zur Verfügung gestellt.<br />
n Zusätzlich nahm der ausländische Investor<br />
für den Immobilienkauf einen Kredit<br />
auf. Es gibt Indizien dafür, dass bei diesem<br />
Kredit auch Gelder von Fairvesta-Anlegern<br />
im Spiel waren. Fairvesta-Handlungsbevollmächtigter<br />
Knoll bestreitet jede<br />
interne Verschiebung von Anlegergeldern.<br />
n Selbst die Summe aus 2,1 Millionen Euro<br />
Investment und dem Kredit reicht nicht für<br />
den von Fairvesta genannten Verkaufspreis<br />
der sechs Immobilien. Woher der Rest<br />
kam, ist unklar. Eventuell gab es weitere Investoren.<br />
So ist in einer anwaltlichen Stellungnahme<br />
von Fairvesta plötzlich von<br />
mehreren „ausländischen Investoren“ die<br />
Rede. Ansonsten wollten Fairvesta und<br />
Knoll gestellte Fragen nicht beantworten.<br />
Knoll hatte den Verkauf der sechs Immobilien<br />
des Fairvesta 2 an den bisher genannten<br />
„ausländischen Investor“ als Beweis<br />
für ein funktionierendes Geschäftsmodell<br />
gewertet. Doch dieser Beweis<br />
wankt massiv.<br />
FONDS AUS DEM STEUERPARADIES<br />
Ein Geheimnis, immerhin, ist gelüftet:<br />
Hinter Knolls ominösem „ausländischem<br />
Investor“ verbergen sich ein auf den Britischen<br />
Jungferninseln in der Karibik beheimateter<br />
Fonds und eine Liechtensteiner<br />
Gesellschaft, die zwischen den Karibik-<br />
Fonds und den Immobilienverkäufer Fairvesta<br />
2 geschaltet wurde.<br />
Die Liechtensteiner Gesellschaft heißt<br />
REOPP Real Estate Opportunity Private<br />
Placement und residiert in einem Gewerbegebiet<br />
am Ortsausgang von Vaduz. Ihre<br />
Führung steht Fairvesta nahe: So gehörten<br />
die REOPP-Chefs laut Wertpapierprospekt<br />
auch zur Leitung der Fairvesta Europe,<br />
über die Fairvesta Anleihen ausgegeben<br />
hat. REOPP ist laut eigenem Geschäftsbericht<br />
aber nur „das Investmentvehikel eines<br />
Fonds“ – des Karibik-Fonds. Dieser Karibik-Fonds<br />
gehört tatsächlich nicht zu<br />
Fairvesta. So weit passt die Darstellung also<br />
zu dem, was Fairvesta stets behauptet hat.<br />
Doch was der von der WirtschaftsWoche<br />
aufgespürte Manager des bislang geheim<br />
gehaltenen Karibik-Fonds sonst berichtet,<br />
deckt sich nicht mit Fairvestas Angaben. So<br />
investierte der Karibik-Fonds zum einen<br />
deutlich weniger, als zur Auflösung von<br />
Fairvesta 2 nötig war. Zum anderen steckte<br />
er erst im Mai 2012 Geld in REOPP, fast ein<br />
Jahr, nachdem Fairvesta 2 angeblich aufgelöst,<br />
die Immobilien verkauft und Anleger<br />
ausgezahlt worden waren. Mit welchem<br />
Geld aber?<br />
Er habe nach der 2,1-Millionen-Investition<br />
in REOPP von Fairvesta eine Liste mit<br />
sechs Immobilien erhalten, die REOPP angeblich<br />
von dem Geld und dem aufgenommenen<br />
Kredit gekauft habe, sagt der Karibik-Fondsmanager.<br />
Größtenteils sind das<br />
wohl die Objekte, die vorher dem Fonds<br />
Fairvesta 2 und damit den ausgezahlten<br />
Anlegern gehörten. Die Immobilien stehen<br />
jedenfalls in jenen Orten, in denen auch<br />
Fairvesta 2 Immobilien besaß.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 105<br />
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Geld&Börse<br />
»<br />
Bei vier der sechs Immobilien (Pirmasens,<br />
Mühlhausen, Ansbach und Chemnitz)<br />
stimmen die Daten auf der dem Karibik-Fondsmanager<br />
übergebenen Liste mit<br />
den Fairvesta-Angaben zu den Objekten<br />
des Fonds Fairvesta 2 überein: gleiche Straßen<br />
und passende Quadratmeterzahlen.<br />
Bei den beiden anderen Standorten (Leipzig<br />
und Schwerin) passen die Angaben zumindest<br />
auf einen Teil der von Fairvesta 2<br />
gehaltenen Komplexe. Wo der Rest gelandet<br />
ist, ist unbekannt.<br />
MYSTERIÖSE KREDITE<br />
Neue Hinweise auf interne Verschiebungen<br />
von Anlegergeldern, die Fairvesta weiter<br />
bestreitet, liefert der zum Kauf der sechs<br />
Immobilien aufgenommene Kredit. Der<br />
Karibik-Fonds wollte nach Aussage des<br />
Fondsmanagers, dass REOPP Bankkredite<br />
aufnimmt. So sollten mit anfangs 2,1 Millionen<br />
Euro Kapital des Karibik-Fonds Immobilien<br />
höheren Wertes gekauft werden.<br />
Tatsächlich nahm REOPP laut Geschäftsbericht<br />
2012 auch einen Kredit auf.<br />
Woher dieser Kredit stammt, ist unklar.<br />
Einige Indizien legen den Verdacht nahe,<br />
dass dieser aus den von Fairvesta aufgelegten<br />
und an Privatanleger vertickten Maximus-Anleihen<br />
stammen könnte. So heißt<br />
es im REOPP-Geschäftsbericht 2012, dass<br />
der aufgenommene Kredit „durch erstrangige<br />
Briefgrundschulden auf ein Immobilienportfolio<br />
im Verkehrswert von 9,005<br />
Millionen Euro abgesichert“ sei. Auf gut<br />
Deutsch: REOPP hat seinem Kreditgeber<br />
Immobilien mit diesem Gegenwert als<br />
Kreditsicherheit gestellt. Im Geschäftsbericht<br />
2012 der Fairvesta Europe, die die Maximus-Anleihen<br />
begeben hat, taucht nun<br />
ein vergebener Kredit auf, dem Sicherheiten<br />
mit demselben Verkehrswert – 9,005<br />
Millionen Euro – gegenüberstehen sollen.<br />
Dass es sich hierbei trotz gleicher Werte<br />
um verschiedene Portfolios handelt, ist<br />
sehr unwahrscheinlich. Zur Erinnerung:<br />
Geschäftsführer der REOPP, die einen Kredit<br />
aufgenommen hat (und Immobilien für<br />
9,005 Millionen Euro als Sicherheit gestellt<br />
hat), zählten zumindest früher auch zur<br />
Führung der Fairvesta Europe, die einen<br />
Kredit vergeben hat (dem Sicherheiten für<br />
9,005 Millionen Euro gegenüberstehen).<br />
Wenn es sich um dieselben Immobilien<br />
handelt, wäre das für die Anleger ein brisantes<br />
Detail: Denn damit wäre letztlich<br />
Geld aus den an Privatanleger verkauften<br />
Maximus-Anleihen für den Kauf von Immobilien<br />
aus dem Fonds Fairvesta 2 genutzt<br />
worden. Der Fonds Fairvesta 2 wäre<br />
Der Karibik-<br />
Fonds fordert<br />
2,1 Millionen<br />
Euro zurück<br />
damit ein Beleg dafür, dass das Fairvesta-<br />
Geschäftsmodell nicht funktioniert. Denn<br />
wären die Immobilien tatsächlich so großartig,<br />
wie Knoll behauptet, wären solche<br />
Quersubventionierungen kaum nötig.<br />
Starker Mann Handlungsbevollmächtigter<br />
Knoll hat sich mehrfach widersprochen<br />
VERQUERE VERKEHRSWERTE<br />
Die Liste der sechs Immobilien, die Fairvesta<br />
dem Karibik-Fondsmanager 2012<br />
übergab, liegt der WirtschaftsWoche vor.<br />
Was Anleger misstrauisch machen dürfte:<br />
Laut Liste soll REOPP und damit letztlich<br />
der Karibik-Fonds die Immobilien zu 67<br />
Prozent des Verkehrswertes gekauft haben.<br />
Bei der Auflösung von Fairvesta 2 hieß es<br />
gegenüber den Anlegern noch, die Fairvesta-2-Immobilien<br />
seien zu über 100 Prozent<br />
des Verkehrswerts verkauft worden.<br />
Weil Fairvesta dem Karibik-Fondsmanager<br />
auf einmal viel höhere Verkehrswerte<br />
nannte, glaubte dieser an ein gutes Geschäft.<br />
Die Wertsprünge aber lassen daran<br />
zweifeln, wie viel Aussagekraft die von Fairvesta<br />
angegebenen Verkehrswerte haben.<br />
Für die Fondsanleger der 13 noch aktiven<br />
Immobilienfonds dürfte diese Frage nicht<br />
unbedeutend sein. Ob ihr Fonds in den roten<br />
oder in den schwarzen Zahlen steckt,<br />
hängt stark von den Verkehrswerten der in<br />
ihren Fonds enthaltenen Immobilien ab.<br />
Die Zahlen auf der Liste werfen jedenfalls<br />
weitere Fragen auf:<br />
n Der Wert der Chemnitzer Immobilie<br />
wurde nach dem Verkauf durch Fairvesta 2<br />
an REOPP mit 1,1 Millionen Euro angegeben.<br />
Ein Jahr zuvor hatte Fairvesta gegenüber<br />
den Fairvesta-2-Anlegern noch von<br />
815 000 Euro gesprochen. Wenn die Immobilie<br />
so viel wertvoller geworden ist, stellt<br />
sich die Frage, warum sie aktuell für<br />
713 000 Euro angeboten wird.<br />
n Das Objekt in Mühlhausen bei Augsburg<br />
soll 2,2 Millionen wert sein, wurde aber im<br />
Herbst 2013 von einem Makler für 1,7 Millionen<br />
Euro zum Kauf angeboten.<br />
n Ein Leipziger Bürogebäude, das früher<br />
Fairvesta 2 gehörte, ist 2012 erneut weiterverkauft<br />
worden. Der Preis ist unklar. Der<br />
Geschäftsbericht des Käufers, eine kurz<br />
vorher gegründete Leipziger Gesellschaft,<br />
weist Sachanlagen – dazu zählen Immobilien<br />
– von 530 000 Euro aus. Es ist naheliegend,<br />
dass es sich um den Immobilienkaufpreis<br />
handelt. Die Leipziger Gesellschaft<br />
will sich dazu nicht äußern. Sollte<br />
der Kaufpreis 530 000 Euro betragen, würde<br />
auch das auf weit hergeholte Verkehrswerte<br />
hindeuten. Gegenüber dem Karibik-<br />
Fonds wurden nämlich 1,2 Millionen Euro<br />
Verkehrswert genannt.<br />
n Weitere Hinweise darauf, dass die von<br />
Fairvesta publizierten Zahlen nicht unbedingt<br />
der Realität entsprechen, bietet ein<br />
Wohn- und Geschäftshaus in Pirmasens.<br />
Auf der Liste, die dem Karibik-Fonds zur<br />
Verfügung gestellt wurde, wird behauptet,<br />
die Mieteinnahmen betrügen 154 000 Euro<br />
pro Jahr. In einer Kundeninfo nannte Fairvesta<br />
2012 dagegen 83 000 Euro Miete. Bei<br />
einer Pressekonferenz im Dezember 2013<br />
sprach Knoll von 60 000 Euro. Auch zum<br />
früheren Kaufpreis machte Fairvesta widersprüchliche<br />
Angaben (siehe Seite 105).<br />
Dass Fairvesta derart mit Verkehrswerten,<br />
Mieteinnahmen und Kaufpreisen jongliert,<br />
ist ein Alarmsignal für Anleger. Sie<br />
müssen sich fragen, ob sie sich darauf verlassen<br />
können, ihre zweistelligen Traumrenditen<br />
auch tatsächlich zu erhalten.<br />
Privatanleger haben Fairvesta noch im<br />
vergangenen Jahr 177 Millionen Euro neu<br />
anvertraut. Der Karibik-Fonds aber hat sein<br />
Vertrauen verloren. Er fordert die 2,1 Millionen<br />
Euro zurück und will das Kapitel Fairvesta<br />
dann schleunigst beenden. Ob ihm<br />
das gelingt, ist aber mehr als fraglich. n<br />
niklas.hoyer@wiwo.de, melanie bergermann I Frankfurt<br />
FOTO: DIRK HASSKARL/HASSKARL.DE<br />
106 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse | Steuern und Recht<br />
DIENSTWAGEN<br />
Keine Steuer<br />
auf Verdacht<br />
BERATERHAFTUNG<br />
Wer zu spät klagt, zahlt<br />
Wann Anwälte und Steuerberater für Fehler haften müssen<br />
Uli Hoeneß hätte sich mit einer wirksamen<br />
Selbstanzeige eine Haftstraße erspart. Grundsätzlich<br />
können Steuersünder ihren Anwalt oder<br />
Steuerberater wegen einer mangelhaften Selbstanzeige<br />
nur unter bestimmten Umständen haftbar<br />
machen. „Es reicht nicht, dem Berater einen<br />
Fehler nachzuweisen, der Mandant muss auch<br />
den wirtschaftlichen Schaden belegen können“,<br />
sagt Stefan Hiebl, Partner der Kanzlei Eimer Heuschmid<br />
Mehle in Bonn. Auch wenn die Selbstanzeige<br />
wirksam sei, müsse der Steuersünder die<br />
Steuerschuld plus Verzugszinsen und Strafzuschlag<br />
zahlen. Allerdings könne der Mandant<br />
den Anwalt beispielsweise für Anwalts- und Gerichtskosten<br />
haftbar machen, die bei einer wirksamen<br />
Selbstanzeige nicht angefallen wären.<br />
Auch bei der allgemeinen Steuerberatung können<br />
Berater haftbar gemacht werden. Beispiel:<br />
Der Berater konstruiert ein Steuermodell, das für<br />
den Steuerzahler nachteilig ist. Der Mandant hat,<br />
nachdem er den Fehler bemerkt hat, drei Jahre<br />
Zeit, auf Schadensersatz zu klagen. Gleiches gilt<br />
für Fälle, in denen es um Kapitalanlagen geht<br />
und der Anwalt etwa zu spät geklagt hat. „Auch<br />
wenn Anwälte strategische Fehler machen, kann<br />
dies zu Schadensersatzansprüchen führen“, sagt<br />
Anwalt Hiebl. Derzeit streitet sich die Deutsche<br />
Bank mit der Kanzlei Hengeler Müller. Die Anwälte,<br />
so die Bank, hätten geraten, den Medienunternehmer<br />
Leo Kirch wegen seiner Pleite nicht<br />
zu entschädigen. Der spätere Vergleich mit<br />
Kirchs Erben sei für die Bank teurer gewesen.<br />
Ein Arbeitnehmer war im Unternehmen<br />
seines Vaters angestellt.<br />
Als Dienstwagen stellte<br />
ihm das Unternehmen einen<br />
Audi A6 zur Verfügung. Laut einer<br />
schriftlichen Vereinbarung<br />
durfte er das Auto nicht zu privaten<br />
Zwecken verwenden.<br />
Nach einer Steuerprüfung des<br />
Finanzamts sollte sein Arbeitgeber<br />
dennoch die private Nutzung<br />
des Dienstwagens als<br />
geldwerten Vorteil versteuern.<br />
Das Finanzamt rechtfertigte<br />
dies damit, dass der Arbeitgeber,<br />
in diesem Fall der Vater,<br />
nicht habe ausschließen können,<br />
dass sein Sohn den A6 für<br />
private Fahrten genutzt habe.<br />
Allein die herausgehobene Stellung<br />
als künftiger Geschäftsführer<br />
des Unternehmens habe es<br />
dem Steuerzahler ermöglicht,<br />
den Dienstwagen privat zu nutzen,<br />
argumentierte das Finanzgericht<br />
in der ersten Instanz.<br />
Der Bundesfinanzhof stellte<br />
sich jedoch auf die Seite des<br />
Unternehmersohns (VI R<br />
25/13). Allein die Vermutung,<br />
dass der Steuerzahler trotz<br />
schriftlichen Verbots den<br />
Dienstwagen privat nutzen<br />
könnte, reiche für eine Steuerpflicht<br />
nicht aus. Das Finanzgericht<br />
müsse den Fall noch einmal<br />
prüfen und erneut<br />
entscheiden.<br />
RECHT EINFACH | Möbelhaus<br />
Im Frühling wird neu eingerichtet.<br />
Nicht jedes Möbelstück hält,<br />
was es verspricht. Nach dem Einkauf<br />
wird oft direkt prozessiert.<br />
§<br />
Fleckenschutz. Ein Rheinländer<br />
kaufte sich eine<br />
hellbeige Polstergarnitur.<br />
Wegen der empfindlichen<br />
Farbe warb das Möbelcenter mit<br />
einer „5-jährigen Fleckenimprägnierung“.<br />
Der angebliche Fleckenschutz<br />
hielt nicht einmal zwei Monate.<br />
Dunkle Jeans hinterließen<br />
Spuren. Der Käufer verlangte die<br />
7700 Euro Kaufpreis zurück. Vom<br />
Gericht bekam er 7000 Euro. Der<br />
versprochene Fleckenschutz sei bei<br />
dem Material und der Farbe gar<br />
nicht möglich gewesen. 700 Euro<br />
zogen die Juristen für die bisherige<br />
Nutzungszeit ab (Oberlandesgericht<br />
Köln, 6 U 109/<strong>04</strong>).<br />
Domino. Eine Konstanzerin wollte<br />
in einem Möbelhaus einen Bilderrahmen<br />
kaufen. Als die Kundin aus<br />
einem Regal einen Rahmen herauszog,<br />
löste sie eine Dominowelle aus:<br />
Die Rahmen kippten und begruben<br />
die Kundin unter sich. Schadensersatz<br />
und Schmerzensgeld wollte<br />
das Geschäft nicht leisten. Begründung:<br />
Das Rahmenopfer hätte<br />
ja einen Mitarbeiter um Hilfe<br />
bitten können. Vor Gericht bekam<br />
die Geschädigte recht. Verkaufsflächen,<br />
so die Richter, müssten<br />
für Käufer gefahrlos sein (Landgericht<br />
Konstanz, 6 O 197/12 B).<br />
Unikat. „Totalräumungsverkauf<br />
wegen Umbau – Alles muss raus“.<br />
Mit diesem Slogan warb ein<br />
Möbelhaus in einer Anzeige. Als<br />
Blickfang diente eine Einbauküche<br />
für 1998 Euro. Es handelte<br />
sich dabei jedoch um ein Einzelstück,<br />
das schon zu Beginn der<br />
Werbeaktion vergriffen war. Gegen<br />
den Anbieter der Küche klagte ein<br />
anderes Möbelhaus. „Irreführende<br />
Werbung“, urteilten die Richter<br />
und untersagten die umstrittene<br />
Werbeaktion (Oberlandesgericht<br />
Oldenburg, 1 U 121/05).<br />
FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/DPA/CHARISIUS, DDP IMAGES, PR<br />
108 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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QUELLENSTEUER<br />
Weniger zahlen für Auslandsdividenden<br />
Ein Ehepaar hatte 20<strong>07</strong> Kapitaleinkünfte<br />
von 78 203 Euro. Davon<br />
waren 24 111 Euro Dividenden<br />
auf ausländische Aktien.<br />
Die im Ausland gezahlte Steuer<br />
auf Dividenden wurde auf die<br />
deutsche Einkommensteuer<br />
angerechnet. Die beiden Anleger<br />
waren jedoch nicht damit<br />
einverstanden, auf welche Art<br />
und Weise das Finanzamt die<br />
ausländische Steuer angerechnet<br />
hatte. Ihrer Meinung nach<br />
hätte die ausländische Quellensteuer<br />
auf das zu versteuernde<br />
Einkommen und nicht auf die<br />
Summe der Einkünfte angerechnet<br />
werden müssen. Beim<br />
zu versteuernden Einkommen<br />
ASBEST IN MIETWOHNUNGEN<br />
Eigentümer haftet nicht<br />
SCHNELLGERICHT<br />
GELD FÜR LAHMEN GAUL<br />
§<br />
Der Besitzer eines Dressurpferds ließ das Tier auf<br />
Anraten des Tierarztes operieren. Nach der Operation<br />
lahmte das Pferd, obendrein stellte sich der<br />
Eingriff als unnötig heraus. Der Tierarzt musste dem<br />
Besitzer 60 000 Euro Schadensersatz zahlen (Oberlandesgericht<br />
Hamm, 26 U 3/11). Der Arzt habe ohne<br />
ausreichende Diagnose operiert und den Besitzer des<br />
Dressurpferds nicht ausreichend über die Risiken des<br />
Eingriffs informiert, so die Richter.<br />
BETRÜGER DÜRFEN GENANNT WERDEN<br />
§<br />
Ärzte, die schwere Verfehlungen begangen haben,<br />
beispielsweise Abrechnungen für Privatpatienten<br />
gemacht haben, die gar nicht in der Praxis waren,<br />
sind bereits Freibeträge und außergewöhnliche<br />
Belastungen<br />
abgezogen. Unter dem Strich<br />
wäre die Einkommensteuer für<br />
das Ehepaar mit dieser Rechenmethode<br />
spürbar geringer. Zusätzlich,<br />
so die Steuerzahler,<br />
hätte das Finanzamt den Betrag,<br />
um den die ausländische<br />
Quellensteuer höher ist als die<br />
deutsche, bei der Berechnung<br />
der Einkommensteuer berücksichtigen<br />
müssen. Der Bundesfinanzhof<br />
folgte teilweise den<br />
Argumenten des Ehepaars (I R<br />
71/10). Das Finanzamt müsse<br />
die Einkommensteuer zugunsten<br />
der Anleger neu berechnen.<br />
Die im Ausland anfallende<br />
Eine Familie wohnte von 1998<br />
bis 2008 in einer Mietwohnung.<br />
Der Fußboden bestand bei Einzug<br />
aus Vinylplatten. Später verlegte<br />
der Vater der Familie Teppich<br />
über die Vinylplatten. 2005<br />
löste sich der Teppich an einigen<br />
Stellen von den Vinylplatten.<br />
Als der Mieter den Schaden<br />
begutachtete, stellte er fest, dass<br />
einige Vinylplatten beschädigt<br />
waren. Der Eigentümer ließ die<br />
Platten erneuern. Erst 2006 erfuhr<br />
der Mieter, dass die Platten<br />
unterhalb des Teppichs asbesthaltig<br />
waren. 2008 zogen die<br />
Mieter aus. Die Kinder der Familie<br />
klagten später gegen den<br />
Vermieter. Er solle für alle durch<br />
das Asbest zukünftig entstehenden<br />
Gesundheitsschäden haften.<br />
Ein <strong>vom</strong> Gericht bestellter<br />
Gutachter konnte zwar nicht<br />
ausschließen, dass Asbestfasern<br />
in die Lungen der<br />
Kläger gelangt seien, er stufte<br />
das Krebsrisiko aber als sehr gering<br />
ein. Der Bundesgerichtshof<br />
hielt die Klage der Mieter daher<br />
für unzulässig (VIII ZR 1913).<br />
Quellensteuer sei auf das zu<br />
versteuernde Einkommen anzurechnen.<br />
Anderenfalls läge<br />
ein Verstoß gegen geltendes<br />
EU-Recht vor. So habe der Europäische<br />
Gerichtshof entschieden,<br />
dass persönliche Freibeträge<br />
und Sonderausgaben bei<br />
der Anrechnung der ausländischer<br />
Quellensteuer zu berücksichtigen<br />
sind (DStR 2013, 518).<br />
Das, was die Anleger im Ausland<br />
mehr an Steuern auf Dividenden<br />
und Zinsen zu zahlen<br />
hätten, lasse sich dagegen nicht<br />
anrechnen, so die Richter. Weder<br />
EU-Recht noch die deutsche<br />
Verfassung rechtfertigten<br />
ein solches Vorgehen.<br />
ERBSCHAFTSTEUER<br />
Abschlag nur<br />
für Vermieter<br />
Wer ein Grundstück mit Erbbaurecht<br />
erbt, bekommt bei der<br />
Berechnung der Erbschaftsteuer<br />
nicht den Abschlag von zehn<br />
Prozent auf den Immobilienwert,<br />
der für vermietete Wohnimmobilien<br />
gilt (Finanzgericht<br />
Düsseldorf, 4 K 1106/13 Erb).<br />
Erbbaurechte sichern gegen<br />
Zinszahlung das Recht, auf dem<br />
betreffenden Grundstück ein<br />
Gebäude zu bauen. Das Urteil<br />
ist noch nicht rechtskräftig.<br />
dürfen im Ärzteblatt mit Namen genannt werden<br />
(Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 1128/13).<br />
UNFALLKOSTEN HÄLFTIG GETEILT<br />
§<br />
Eine Autofahrerin fuhr 2011 in Gronau mit ihrem<br />
Wagen auf eine Reihe von Fahrzeugen auf und<br />
löste dabei eine Kette von Auffahrunfällen aus, bei<br />
der vier Autos beschädigt wurden. Es ließ sich nicht<br />
klären, ob allein die zuerst auffahrende Autobesitzerin<br />
schuld am Unfall war. Es gab auch Indizien dafür,<br />
dass eine andere Fahrerin bereits zuvor auf ihren<br />
Vordermann aufgefahren war. Die Richter entschieden<br />
daher, die Kosten des Unfalls je zur Hälfte auf<br />
beide Autofahrerinnen zu verteilen (Oberlandesgericht<br />
Hamm, 6 U 101/13).<br />
SOLARSTROM<br />
STEFAN DIEMER<br />
ist Anwalt für<br />
Steuerrecht in<br />
der Kanzlei<br />
Heisse Kursawe<br />
Eversheds<br />
in München.<br />
n Herr Diemer, Privathaushalte,<br />
die mit neuen Anlagen<br />
Solarstrom erzeugen, sollen<br />
künftig auf den selbst verbrauchten<br />
Anteil Ökostromumlage<br />
zahlen.<br />
Bisher war der selbst erzeugte<br />
und verbrauchte Solarstrom<br />
von der Umlage nicht betroffen,<br />
wenn der Strom nicht<br />
durchs öffentliche Netz geleitet<br />
wurde. Das gilt für die<br />
meisten Solaranlagen privater<br />
Haushalte.<br />
n Gibt es Ausnahmen von<br />
dieser Umlage?<br />
Kleine Anlagen sollen von der<br />
Neuregelung ausgenommen<br />
werden. Die genauen Grenzen<br />
stehen noch nicht fest. Das<br />
Wirtschaftsministerium hat<br />
ein Limit von zehn Kilowatt<br />
Leistung pro Anlage ins Gespräch<br />
gebracht.<br />
n Wie ist der Eigenverbrauch<br />
zu versteuern?<br />
Wenn private Haushalte auch<br />
Strom ins Netz speisen, gilt<br />
der selbst verbrauchte Strom<br />
als „betriebliche Entnahme“.<br />
Die eingesparten Stromkosten<br />
werden zu den Einnahmen für<br />
den eingespeisten und nicht<br />
selbst verbrauchten Strom<br />
addiert. Bleibt nach Abzug der<br />
jährlichen Abschreibungen für<br />
die Anschaffungs- und Herstellungskosten<br />
sowie weiteren<br />
abzugsfähigen Kosten,<br />
etwa für Reparaturen, ein Gewinn,<br />
ist dieser im Rahmen<br />
der Einkommensteuer mit<br />
dem persönlichen Satz zu versteuern.<br />
Gewerbesteuer fällt<br />
bei kleinen Solaranlagen in<br />
der Regel nicht an, weil deren<br />
Gewinn den Freibetrag von<br />
24 500 Euro pro Jahr nicht<br />
ausschöpft.<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 Redaktion: martin.gerth@wiwo.de, niklas hoyer<br />
109<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
KOMMENTAR | Manipulieren<br />
Hochfrequenzhändler den Markt?<br />
Das ist umstritten, aber klar ist: Es<br />
ginge ohne sie. Von Stefan Hajek<br />
Braucht niemand<br />
Es ist schon selten, dass<br />
es Wirtschaftsbücher<br />
in die Bestsellerlisten<br />
schaffen. Noch seltener<br />
ist, dass ein so sperriges<br />
Thema wie der computergestützte<br />
Hochfrequenz-Börsenhandel,<br />
auch Flash Trading genannt,<br />
die Massen begeistert.<br />
„Flash Boys“, neustes Werk des<br />
US-Erfolgsautors Michael Lewis,<br />
handelt genau davon – und<br />
steht in den Amazon-Verkaufscharts<br />
auf Rang eins. Lewis beschreibt,<br />
wie einige Händler,<br />
mit Unterstützung der großen<br />
Börsen, ein System der permanenten<br />
Abzocke ersonnen und<br />
in den letzten Jahren umgesetzt<br />
hat. Der Vorwurf: Flash Trader<br />
übervorteilten andere Anleger,<br />
indem sie winzige Informationsvorsprünge<br />
ausnutzten, die ihre<br />
Computer aus den Handelssystemen<br />
der Börsen lesen.<br />
Sie deckten sich etwa billig<br />
mit Aktien ein, bei denen sie größere<br />
Kauforders kommen sehen.<br />
Sobald die großen Orders<br />
den Kurs nach oben gezogen haben,<br />
verkaufen sie dann die Aktien<br />
teurer. Das können sie nur,<br />
weil sie von den Börsen die Informationen<br />
über Kauf- und Verkaufslimits<br />
anderer Marktteilnehmer<br />
mit Zeitvorsprung<br />
bekommen.<br />
KLEINVIEH UND MIST<br />
Am Dienstag dieser Woche kulminierte<br />
der Streit zwischen Kritikern<br />
und Börsenbetreibern um<br />
die schnellen Computerhändler<br />
im US-TV-Sender CNBC, auf<br />
dem sich Gegner und Befürworter<br />
über eine halbe Stunde lang<br />
beschimpften und gegenseitig<br />
Falschinformation vorwarfen.<br />
Fakt ist: Mit Hochfrequenzhandel<br />
kann man viel Geld verdienen.<br />
Zwar nur ein paar Cent-<br />
Bruchteile pro Deal; aber wer<br />
das Hunderttausende von Malen<br />
am Tag und bei Tausenden<br />
von Aktien, Anleihen, Währungskontrakten<br />
und Rohstoffen<br />
macht, wird reich. Der New<br />
Yorker High Frequency Trader<br />
Virtu, für geschätzte acht<br />
Prozent aller US-Aktien-Deals<br />
verantwortlich, stellt Kurse für<br />
mehr als 10 000 Wertpapiere an<br />
210 Börsen weltweit. Laut Börsen-Prospekt<br />
setzte Virtu 2013<br />
damit 664,5 Millionen Dollar um<br />
und machte daraus beeindruckende<br />
182 Million Dollar Nettogewinn.<br />
Konkurrent KCG schaffte<br />
„nur“ 120 Millionen Gewinn<br />
aus einer Milliarde Umsatz.<br />
Nun verschiebt die höchst profitable<br />
Virtu plötzlich ihren Börsengang.<br />
Schuld daran, sagen<br />
Kritiker, seien natürlich die Untersuchungen<br />
der US-Börsenaufsicht<br />
und der Bundespolizei<br />
FBI, die den Flash Tradern ins<br />
Handwerk pfuschten. Motto:<br />
Wo Rauch ist, ist auch Feuer.<br />
Mögliche Käufer der Virtu-Aktie<br />
könnten kalte Füße bekommen,<br />
erst mal die Untersuchungen<br />
abwarten. Auch so ist klar: Die<br />
Flash Trader braucht eigentlich<br />
niemand. Der Handel funktionierte<br />
vor 2008 gut ohne sie.<br />
Virtu will beim Börsengang 250<br />
Millionen Dollar für 8,3 Prozent<br />
der Anteile (ohne Stimmrecht)<br />
eincashen, wäre damit drei Milliarden<br />
Dollar wert. Gründer Vincent<br />
Viola, dem 65 Prozent der<br />
Anteile gehören (und dessen<br />
Aktien jeweils zehn Stimmrechte<br />
behalten), würde Milliardär.<br />
Statt solche Geschäftsmodelle<br />
zu mästen, sollten die Börsen<br />
sich lieber wieder auf ihren eigentlichen<br />
Job besinnen und<br />
Angebot und echte Nachfrage<br />
zusammenführen. Es wäre genug<br />
Liquidität da. Für alle.<br />
TREND DER WOCHE<br />
Gefährliche Prognosen<br />
Die Gewinnhochrechnungen für den Dax sind zu optimistisch.<br />
Das macht Aktien anfällig für Rückschläge.<br />
Gewinne am Fließband<br />
Nur die Besten legen<br />
zweistellig zu<br />
Weil der Online-Handel<br />
brummt, baut die Deutsche<br />
Post ihr florierendes Paketgeschäft<br />
aus und dürfte in diesem<br />
Jahr die 2,2 Milliarden Euro<br />
Reingewinn aus 2013 locker<br />
überspringen. Industriekonzern<br />
Siemens profitiert von<br />
deutlich gestiegenen Neuaufträgen<br />
(plus 21 Prozent) und<br />
der Hoffnung auf einen Konzernumbau,<br />
der zu höheren Erträgen<br />
führt. Continental wird<br />
<strong>vom</strong> steigenden Bedarf an Assistenz-<br />
und Sicherheitssystemen<br />
im Fahrzeug angetrieben.<br />
Mit 2,5 Milliarden Euro könnte<br />
der Autozulieferer dieses Jahr<br />
so viel verdienen wie noch nie.<br />
Post, Siemens, Conti – das<br />
sind drei Top-Unternehmen im<br />
Dax, die trotz Krise in Russland<br />
und Unsicherheit in China womöglich<br />
ein zweistelliges Gewinnplus<br />
schaffen. Sie tragen<br />
wesentlich dazu bei, dass die<br />
Durchschnittsgewinne im Dax<br />
<strong>2014</strong> insgesamt über dem Niveau<br />
von 2013 liegen können.<br />
Doch wenn die besten Dax-<br />
Unternehmen gerade ein zweistelliges<br />
Gewinnplus schaffen,<br />
wo sollen dann die mehr als<br />
30 Prozent Ertragszuwachs herkommen,<br />
die von Analysten für<br />
<strong>2014</strong> erwartet werden? Und nur<br />
mit diesen utopischen Hochrechnungen<br />
kommen deutsche<br />
Aktien insgesamt auf eine moderate<br />
13-fache Gewinnbewertung<br />
(KGV <strong>2014</strong>). Stutzt man die<br />
Prognosen auf realistische plus<br />
zehn Prozent zusammen, liegt<br />
die Bewertung beim 17-Fachen.<br />
Damit sind deutsche Aktien teuer<br />
und anfällig für Rückschläge.<br />
Trends der Woche<br />
Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />
Stand: 3.4.<strong>2014</strong> / 18.01 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />
Dax 30 9628,82 +1,9 +22,3<br />
MDax 16628,84 +1,8 +23,7<br />
Euro Stoxx 50 3206,76 +2,3 +21,5<br />
S&P 500 1887,38 +2,1 +21,5<br />
Euro in Dollar 1,3771 +0,1 +7,4<br />
Bund-Rendite (10 Jahre) 1 1,62 +0,08 2 +0,32 2<br />
US-Rendite (10 Jahre) 1 2,80 +0,12 2 +0,95 2<br />
Rohöl (Brent) 3 105,79 –1,7 –1,8<br />
Gold 4 1284,00 –0,9 –18,5<br />
Kupfer 5 6606,00 +0,4 –10,8<br />
1<br />
in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />
umgerechnet 936,27 Euro; 5 in Dollar pro Tonne; Quelle: vwd group<br />
FOTOS: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, PICTURE-ALLIANCE/DPA/GABBERT, REUTERS<br />
110 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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DAX-AKTIEN<br />
Lange Schatten<br />
Ein Ermittlungsverfahren von US-Behörden drückt<br />
die Ertragsaussichten der Deutschen Börse AG.<br />
HITLISTE<br />
Knapp 130 Millionen Euro für<br />
Vergleich und Prozessaufwand<br />
ließ es sich die Deutsche<br />
Börse AG im Herbst 2013<br />
kosten, die jahrelange Auseinandersetzung<br />
ihrer Tochtergesellschaft<br />
Clearstream<br />
(Wertpapierabwicklungen)<br />
um deren Iran-Geschäfte zu<br />
beenden. Der Nettogewinn<br />
des vergangenen Jahres war<br />
deshalb um mehr als ein Viertel<br />
auf 478 Millionen Euro eingebrochen.<br />
Nun der Schock:<br />
Trotz des mit der Exportbehörde<br />
OFAC geschlossenen<br />
Vergleichs haben New Yorker<br />
Staatsanwälte ein strafrechtliches<br />
Ermittlungsverfahren wegen<br />
des Verstoßes gegen Sanktionsvorschriften<br />
eingeleitet<br />
(siehe Seite 12). Wie teuer dieser<br />
Prozess die Deutsche Börse<br />
insgesamt kommt, ist offen.<br />
Rückstellungen, das zeigt ein<br />
Blick in die Bilanz, sind bisher<br />
keine gebildet. Schon aus Vorsichtsgründen<br />
dürfte die Börse<br />
das jetzt nachholen. Der bisher<br />
erwartete Gewinnanstieg auf<br />
rund 700 Millionen Euro ist<br />
damit sehr fraglich geworden.<br />
Scheinwelten<br />
In China platzt die<br />
Immobilienblase<br />
CHINA<br />
Gigantomanie<br />
Die Exzesse am chinesischen Immobilienmarkt<br />
lassen sich nicht mehr leugnen.<br />
Dax<br />
Kurs Kursent- Gewinn KGV Börsen- Dividen-<br />
(€) wicklung pro Aktie (€) wert den-<br />
1 Woche 1 Jahr 2013 <strong>2014</strong> <strong>2014</strong><br />
(Mio. €) rendite<br />
(%) 1<br />
Dax 9628,82 +1,9 +22,3<br />
Aktie<br />
Stand: 3.4.<strong>2014</strong> / 18.01 Uhr<br />
Adidas 79,13 +1,5 –2,7 4,51 4,38 18 16555 1,71<br />
Allianz 122,95 +0,2 +15,0 12,65 13,57 9 56059 3,66<br />
BASF NA 80,03 +1,0 +15,5 5,88 5,91 14 73506 3,25<br />
Bayer NA 98,46 +1,3 +19,6 5,66 6,13 16 81421 1,93<br />
Beiersdorf 71,03 +1,1 –2,0 2,38 2,57 28 17900 0,99<br />
BMW St 93,<strong>04</strong> +1,9 +36,0 7,77 8,59 11 59809 2,69<br />
Commerzbank 14,12 +9,1 +66,0 0,50 0,72 20 16<strong>07</strong>6 -<br />
Continental 177,65 +3,0 +86,9 10,02 12,58 14 35531 1,27<br />
Daimler 69,80 +4,0 +63,8 4,56 5,90 12 74646 3,15<br />
Deutsche Bank 32,95 +3,3 +7,1 4,08 3,56 9 33584 2,28<br />
Deutsche Börse 57,06 –1,0 +19,1 3,79 3,87 15 11013 4,03<br />
Deutsche Post 28,06 +4,1 +55,4 1,45 1,69 17 33919 2,50<br />
Deutsche Telekom 11,59 ±0 +38,7 0,69 0,64 18 51589 6,<strong>04</strong><br />
E.ON 14,19 +1,8 +2,1 1,29 0,95 15 28384 7,75<br />
Fresenius Med.C. St 52,18 +2,8 –3,5 3,75 3,68 14 16<strong>04</strong>8 1,44<br />
Fresenius SE&Co 112,30 –0,6 +13,4 5,82 6,38 18 25344 0,85<br />
Heidelberg Cement St 63,91 +5,1 +11,6 3,56 3,97 16 11983 0,74<br />
Henkel Vz 77,77 +1,9 +3,6 4,03 4,30 18 32634 1,57<br />
Infineon 8,84 +3,3 +43,1 0,26 0,40 22 9550 1,36<br />
K+S NA 23,43 –1,2 –34,5 2,92 1,28 18 4484 5,98<br />
Lanxess 55,81 +5,2 +1,7 3,31 2,68 21 4644 1,79<br />
Linde 145,35 +0,6 –0,2 8,48 8,41 17 26984 1,86<br />
Lufthansa 19,68 +5,1 +27,3 1,25 1,80 11 9052 -<br />
Merck 121,20 –0,7 +1,3 8,57 9,17 13 7832 1,40<br />
Münchener Rückv. 158,70 +0,4 +5,7 16,94 17,02 9 28461 4,41<br />
RWE St 29,32 +2,1 +0,8 3,91 2,38 12 17790 6,82<br />
SAP 58,99 +1,2 –6,1 3,37 3,46 17 72469 1,86<br />
Siemens 98,98 +1,4 +21,6 4,80 6,75 15 87201 3,03<br />
ThyssenKrupp 19,84 +4,7 +32,2 -0,55 0,49 40 10205 -<br />
Volkswagen Vz. 190,70 +3,5 +22,1 21,42 21,85 9 87068 1,87<br />
1<br />
berechnet mit der zuletzt gezahlten Dividende<br />
2013 wurden in China 2596<br />
Milliarden Quadratmeter<br />
neue Wohnfläche fertiggestellt,<br />
fünfmal so viel wie 2000.<br />
Der Anteil von Wohnungsbauinvestitionen<br />
an der chinesischen<br />
Wirtschaftsleistung<br />
erreicht fast zehn Prozent.<br />
Der Anteil ist höher als auf<br />
den Höhepunkten früherer<br />
Immobilienblasen in anderen<br />
Ländern. Auf jeden registrierten<br />
Stadtbewohner in China<br />
kommen 37 Quadratmeter<br />
Wohnfläche, in Japan sind es<br />
35 Quadratmeter. Es wird<br />
über Bedarf gebaut. Schätzungen<br />
zufolge steht ein Viertel<br />
der Apartments leer. Der<br />
zum Verkauf stehende Wohnungsbestand<br />
hat sich zwischen<br />
2009 und 2013 um 182<br />
Prozent erhöht. Die Lücke zwischen<br />
Neubaubeginnen und<br />
-verkäufen weitet sich immer<br />
weiter aus. Die Wohneigentumsquote<br />
liegt in China inzwischen<br />
bei über 100 Prozent. In<br />
den USA platzte die Blase bei einer<br />
Quote von 68 Prozent. Der<br />
Trend ging bei reichen Chinesen<br />
zuletzt zur Zweit-, Drittoder<br />
Viertwohnung. Kalkuliert<br />
wurde nicht mit einer Mietrendite,<br />
sondern es wurde spekuliert<br />
auf weiter steigende Preise.<br />
Doch der Zyklus dreht jetzt<br />
nach unten. Nach Einschätzung<br />
von Zhiwei Zjang, Ökonom bei<br />
der japanischen Bank Nomura,<br />
wird die Regierung in Peking einen<br />
aus dem Überangebot resultierenden<br />
Preisverfall nicht<br />
aufhalten können.<br />
Wohnungsbauinvestitionen (in Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung)<br />
in China und in 17 anderen Ländern – jeweils in den Jahren, in denen die<br />
Immobilien-Haussen dieser Länder ihren Höhepunkt erreichten<br />
Spanien<br />
Thailand<br />
China<br />
Zypern<br />
Japan<br />
Südkorea<br />
Frankreich<br />
Deutschland<br />
Finnland<br />
2006<br />
1991<br />
2012<br />
2008<br />
1973<br />
1991<br />
1980<br />
1994<br />
1990<br />
Quelle: CEIC, Haver Analytics, IWF<br />
12,5<br />
9,9<br />
9,5<br />
9,2<br />
8,7<br />
8,4<br />
8,3<br />
7,8<br />
7,5<br />
Italien<br />
Mexiko<br />
Island<br />
Dänemark<br />
USA<br />
Belgien<br />
Taiwan<br />
Südafrika<br />
Indien<br />
1981<br />
2008<br />
20<strong>07</strong><br />
2006<br />
2005<br />
1980<br />
1980<br />
1971<br />
2000<br />
7,5<br />
7,2<br />
6,9<br />
6,6<br />
6,5<br />
6,5<br />
4,2<br />
3,9<br />
2,5<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 111<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
AKTIE Hewlett-Packard<br />
Neue Hoffnung für<br />
die Hardware<br />
Feste Verbindung Mehr<br />
Bestellungen von Großkunden<br />
Aller Voraussicht nach wird<br />
Hewlett-Packard (HP) Mitte<br />
des Jahres einen eigenen<br />
3-D-Drucker ankündigen.<br />
Drucker für die Herstellung<br />
dreidimensionaler Endprodukte<br />
(etwa Knochenimplantate<br />
oder besonders feine<br />
Maschinenteile) sind Hoffnungsträger<br />
der Hardwareindustrie.<br />
Und so einen braucht<br />
Hewlett-Packard, damit die<br />
einstige High-Tech-Ikone auf<br />
ihren Kerngeschäftsfeldern<br />
wieder Wachstum verspricht<br />
und nicht nur den Schrumpfkurs<br />
der vergangenen Jahre<br />
hinauszögert.<br />
Drucker machen bei HP ein<br />
Fünftel <strong>vom</strong> Umsatz aus.<br />
Schwerpunkt (28 Prozent Umsatzanteil)<br />
von HP sind klassische<br />
PCs und Bürorechner.<br />
Hier ging der globale Markt im<br />
vergangenen Jahr um zehn<br />
Prozent zurück. Dennoch gibt<br />
es Anzeichen einer Wende. Mit<br />
200 Milliarden Dollar jährlichem<br />
Volumen ist dieses Geschäft<br />
keineswegs tot. Seit die<br />
Konjunktur in großen Abnehmerländern<br />
(vor allem den<br />
USA, zunehmend auch in Europa)<br />
robuster wird, wechseln<br />
immer mehr Unternehmen<br />
und Behörden ihre alten Computer<br />
aus. Dass Programmriese<br />
Microsoft sein altes Betriebssystem<br />
XP nicht mehr unterstützt,<br />
hilft zusätzlich. Viele<br />
Kunden steigen nun gleich auf<br />
neue Computer um. Den<br />
Boom bei Tablets und Smartphones<br />
muss HP nicht fürchten, der<br />
macht sich im wichtigen Großkunden-Geschäft<br />
weniger bemerkbar.<br />
Dafür profitiert die<br />
Sparte Netzwerke, Server und IT<br />
(rund 25 Prozent Umsatzanteil)<br />
davon, dass wegen der Datenflut<br />
und des Cloud-Computings große<br />
Rechenzentren immer wichtiger<br />
werden. Das vierte große Geschäftsfeld,<br />
IT-Service (gut 20<br />
Prozent Umsatzanteil), leidet<br />
zwar besonders unter dem Preisdruck<br />
in der Branche. HP steuert<br />
jedoch mit einem Kostensenkungsprogramm<br />
dagegen, bei<br />
dem im Konzern 34000 Stellen<br />
abgebaut werden, etwa ein<br />
Zehntel der Belegschaft.<br />
Das Geschäftsjahr <strong>2014</strong> (bis<br />
31. Oktober) könnte bei einem<br />
stabilisierten Umsatz (rund 110<br />
Milliarden Dollar) wieder steigende<br />
Gewinne bringen. Nach<br />
dem bitteren Jahr 2012 (12,7 Milliarden<br />
Dollar Verlust) und der<br />
ersten Erholung 2013 (5,1 Milliarden<br />
Dollar Gewinn) wäre damit<br />
die Wende geschafft. Auch<br />
finanziell wird HP stärker. Im<br />
vergangenen Jahr stieg die Eigenkapitalquote<br />
von 21 auf 26<br />
Prozent. Ende <strong>2014</strong> könnten es<br />
an die 30 Prozent werden.<br />
Hewlett-Packard<br />
ISIN:US4282361033<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
15<br />
10<br />
Kurs/Stoppkurs(in Dollar): 32,30/27,45<br />
KGV 2013/<strong>2014</strong>: 12,3/8,7<br />
Dividendenrendite(in Prozent):1,8<br />
Chance<br />
Risiko<br />
50-Tage-Linie<br />
200-Tage-Linie<br />
09 10 11 12 13 14<br />
Niedrig<br />
Quelle:FactSet<br />
Hoch<br />
AKTIE Enagás<br />
Nicht ganz Spanien<br />
steckt in der Krise<br />
Voll Gas<br />
Flüssiggas-Tanker vor Barcelona<br />
Wegen der Möglichkeit, Gas<br />
zu verflüssigen und auf Spezialschiffen<br />
weltweit zu transportieren,<br />
wird es irgendwann<br />
einen globalen<br />
Gasmarkt geben. Doch das<br />
wird noch dauern. Das liegt<br />
an den gewaltigen Investitionen,<br />
die benötigt werden, etwa<br />
für die Verladeterminals.<br />
Der spanische Versorger Enagás<br />
betreibt in Spanien neben<br />
einem 10 000 Kilometer langen<br />
Pipelinenetz und drei unterirdischen<br />
Gasspeichern<br />
fünf dieser Terminals. In Barcelona,<br />
Huelva, Cartagena,<br />
Gijón und Bilbao lassen sich<br />
insgesamt 2,7 Millionen Kubikmeter<br />
verflüssigtes Erdgas,<br />
das per Schiff angeliefert wurde,<br />
wieder in den ursprünglichen<br />
Aggregatzustand umwandeln.<br />
Weil Enagás sein Gasnetz<br />
im Staatsauftrag betreibt und<br />
vier Fünftel der Erlöse aus regulatorisch<br />
abgeschirmten<br />
Bereichen kommen, ging die<br />
tiefe Krise im Heimatland<br />
weitgehend am Konzern vorbei.<br />
Obwohl 2013 vier Prozent<br />
weniger Gas durch die Pipelines<br />
strömte, zogen die Erlöse<br />
um 9,2 Prozent auf 1,308<br />
Milliarden Euro an. Unter<br />
dem Strich wurden 403 Millionen<br />
Euro verdient, gut sechs<br />
Prozent mehr als 2012. Mit der<br />
Dividende, die zwei Mal pro<br />
Jahr ausgeschüttet wird, geht es<br />
ebenfalls weiter nach oben, um<br />
rund 14 Prozent auf insgesamt<br />
1,27 Euro pro Aktie, was einer<br />
Rendite von 5,7 Prozent ergibt.<br />
Die spanische Staatsholding<br />
Sepi hält noch fünf Prozent des<br />
Aktienkapitals. Ein überschaubarer<br />
Brocken, sollte der Anteil<br />
doch noch zur Finanzierung<br />
der klammen Staatskasse in<br />
den Verkauf gehen. Zudem<br />
stünden genügend Käufer<br />
bereit. Chinas Stromkonzern<br />
State Grid soll schon einmal in<br />
Madrid angeklopft haben.<br />
Enagás<br />
ISIN: ES0130960018<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
50-Tage-Linie<br />
200-Tage-Linie<br />
5<br />
03 2005 2010 14<br />
Kurs/Stoppkurs(Euro): 22,27/19,30<br />
KGV 2013/<strong>2014</strong>: 13,2/13,5<br />
Dividendenrendite(in Prozent):5,7<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Quelle:FactSet<br />
Hoch<br />
FOTOS: BLOOMBERG/KEPLER/LABURU/WRIGHT/HELGESEN<br />
112 Redaktion: Geldwoche+Zertifikate: Frank Doll, Anton Riedl<br />
Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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ZERTIFIKATE Euro/Dollar-Short<br />
Amerikanischer<br />
Vorsprung wird größer<br />
USA in Fahrt Drei Prozent BIP-<br />
Wachstum beflügeln den Dollar<br />
Nur noch 0,5 Prozent beträgt<br />
die Teuerungsrate in der Euro-<br />
Zone. Die Inflation ist auf den<br />
niedrigsten Stand seit vier Jahren<br />
gesunken – und sie ist<br />
deutlich unter der von der Notenbank<br />
formulierten Obergrenze<br />
von zwei Prozent. Die<br />
EZB hätte damit Spielraum für<br />
weitere, expansive Konjunkturhilfen.<br />
Die könnten notwendig<br />
werden, wenn die europäische<br />
Wirtschaft als Folge<br />
der Russland-Krise oder des<br />
Abschwungs in China wieder<br />
an Dynamik verliert.<br />
Das sieht jenseits des Atlantiks<br />
anders aus. Bei erwarteten<br />
Wetten gegen den Euro<br />
2,8 bis 3,0 Prozent an jährlichem<br />
Wachstum im Zeitraum<br />
<strong>2014</strong> bis 2016 kündigt Fed-Chefin<br />
Janet Yellen für nächstes Jahr<br />
die erste Leitzinserhöhung an.<br />
Bis dahin werden die Käufe von<br />
Staatsanleihen, mit denen die<br />
Fed die langfristigen Zinsen<br />
drückte, reduziert und voraussichtlich<br />
im Herbst auslaufen.<br />
Bei kurzfristigen, in drei Monaten<br />
fälligen Geldanlagen hat<br />
der Dollar gegenüber dem Euro<br />
schon einen Zinsvorsprung von<br />
0,7 Prozentpunkten; bei zehnjährigen<br />
Anleihen sind es 1,1<br />
Prozentpunkte. „Die Ausweitung<br />
dieses Zinsspreads zugunsten<br />
der USA spricht für eine<br />
Aufwertung des US-Dollar in<br />
den kommenden Monaten“,<br />
sagt Rainer Sartoris, Anleiheexperte<br />
bei der Großbank HSBC.<br />
Sein Ziel ist ein Euro-Kurs von<br />
1,28 Dollar.<br />
Wer sich das Risiko zutraut,<br />
kann mit Shortzertifikaten eine<br />
Wechselkursspekulation Euro<br />
gegen Dollar starten.<br />
Zertifikate auf einen Rückgang des Euro gegenüber dem Dollar<br />
(aktuell: 1,00 Euro = 1,38 Dollar)<br />
Kurs (Euro)<br />
Stoppkurs (Euro)<br />
Funktion<br />
Kauf-Verkaufs-<br />
Spanne (Prozent)<br />
Emittentin<br />
(Ausfallprämie)<br />
ISIN<br />
Chance/Risiko<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
Faktorzertifikat<br />
für kurzfristige Spekulation<br />
4,10<br />
3,08<br />
Verstärkt die täglichen Euro-<br />
Dollar-Schwankungen mit zehnfachem<br />
Hebel. Beispiel: Sinkt<br />
der Euro an einem Tag um 0,5<br />
Prozent (etwa von 1,3800 auf<br />
1,3731 Dollar), steigt das Zertifikat<br />
um fünf Prozent; Achtung:<br />
Leichte Verluste in Seitwärtsphasen<br />
möglich, große Verluste<br />
bei steigendem Euro; keine<br />
Laufzeitgrenze, kein Knockout<br />
2,2<br />
Commerzbank (1,1 Prozent =<br />
mittleres Ausfallrisiko)<br />
DE000CZ60BR4<br />
10/9<br />
Hebelzertifikat<br />
für langfristige Spekulation<br />
24,70<br />
19,70<br />
Verstärkt die Euro-Dollar-Kursbewegungen<br />
unterhalb des Basispreises<br />
(aktuell 1,7187 Dollar) mit etwa<br />
vierfachem Hebel. Beispiel: Sinkt der<br />
Euro in einer Woche um drei Prozent<br />
(etwa von 1,3800 auf 1,3386 Dollar),<br />
steigt das Zertifikat um rund<br />
zwölf Prozent; Achtung: Berührt<br />
oder überschreitet der Euro den<br />
Basispreis, kommt es zum Totalverlust;<br />
keine feste Laufzeitgrenze<br />
0,1<br />
Deutsche Bank (0,8 Prozent =<br />
geringes Ausfallrisiko)<br />
DE000DX9L668<br />
9/8<br />
ANLEIHE Norwegen<br />
In Europa<br />
ganz oben<br />
Seitdem die Finanzkrise in<br />
Europa ihren Schrecken verloren<br />
hat, erholt sich der Euro.<br />
Verlierer dieser Entwicklung<br />
war bisher die norwegische<br />
Krone, deren Wert gegenüber<br />
dem EU-Geld seit Ende 2012<br />
von 13,8 Euro-Cent auf 11,8<br />
Euro-Cent zurückging. Mit aktuell<br />
12,1 Euro-Cent (ein Euro<br />
gleich 8,26 Kronen) steht die<br />
Norwegen-Krone gegenüber<br />
dem Euro immer noch ein<br />
Stück unter dem langjährigen<br />
Durchschnitt, der bei 12,5 Euro-Cent<br />
liegt.<br />
Doch die Norwegen-Krone<br />
dürfte wieder kommen. Auslöser<br />
dafür ist die wachsende<br />
Bedeutung, die das Land als<br />
Energieproduzent vor allem<br />
für die Euro-Zone hat. Mit 7,5<br />
Milliarden Barrel Rohölreserven<br />
und 2,1 Billionen Kubikmetern<br />
Erdgas ist Norwegen<br />
in Europa das Land mit den<br />
meisten fossilen Brennstoffen.<br />
Für Deutschland ist Norwegen<br />
– nach Russland – der<br />
wichtigste Lieferant von Öl<br />
und Gas. Mehr als 35 Prozent<br />
der norwegischen Wirtschaftsleistung<br />
stammen aus<br />
dem Energiegeschäft.<br />
Die stabilen Einnahmen<br />
aus dem Export von Öl und<br />
Gas tragen wesentlich dazu<br />
bei, dass das Land reich ist.<br />
Der Anteil der Staatsschulden<br />
an der Wirtschaftsleistung<br />
liegt nur bei 27 Prozent. Das<br />
ist deutlich weniger als die 78<br />
Prozent, auf die Deutschland<br />
derzeit kommt.<br />
Mit den Einnahmen aus<br />
dem Energiegeschäft finanzieren<br />
die Norweger über<br />
einen staatlichen Pensionsfonds<br />
die Altersvorsorge ihrer<br />
Bürger. Bei 5,1 Billionen Kronen<br />
Fondsvolumen hat der<br />
Staat mittlerweile für jeden<br />
der 5,1 Millionen Norweger<br />
Rendite aus der Tiefe Bohrinsel<br />
der norwegischen Statoil<br />
rechnerisch eine Million Kronen<br />
auf die hohe Kante gelegt.<br />
Natürlich, ein Preisrückgang<br />
beim Öl könnte die norwegische<br />
Wirtschaft bremsen. Doch<br />
da die Norweger bei ihren<br />
Haushaltsplanungen nur einen<br />
Ölpreis von 65 Dollar je Barrel<br />
ansetzen, bestehen genug Reserven<br />
auch in schwierigen<br />
Marktphasen.<br />
Die OECD rechnet damit,<br />
dass die norwegische Wirtschaft<br />
<strong>2014</strong> und 2015 jeweils um<br />
2,0 bis 2,5 Prozent zulegt. Die<br />
Inflation ist mit knapp zwei Prozent<br />
überschaubar. Notenbankgouverneur<br />
Oyestein Olsen<br />
sieht die Konjunktur des Landes<br />
auf gutem Weg, die erste<br />
Leitzinserhöhung ist für Herbst<br />
2015 ins Auge gefasst.<br />
Norwegen gehört zu den wenigen<br />
Ländern, die immer noch<br />
über das Top-Rating AAA verfügen<br />
und das auch auf absehbare<br />
Zeit behalten dürften. In einem<br />
international aufgebauten<br />
Anleihedepot sind Norwegen-<br />
Anleihen ein Basisinvestment.<br />
An die 2,6 Prozent Jahresrendite<br />
sind dafür ein guter Zins. Und<br />
die Chance auf einen Währungsgewinn<br />
besteht noch zusätzlich.<br />
Kurs (%) 1<strong>07</strong>,69<br />
Kupon (%) 3,75<br />
Rendite (%) 2,56<br />
Laufzeit bis 25. Mai 2021<br />
Währung Norwegische Kronen<br />
ISIN<br />
NO0010572878<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 113<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
FONDS iShares MSCI World<br />
Auf kleine Stürmer oder<br />
die Weltauswahl wetten<br />
Starke Schultern Anleger kehren<br />
an Mailands Börse zurück<br />
Börsengehandelte Indexfonds<br />
gehören zu den erfolgreichsten<br />
Innovationen in der<br />
Geldanlage. Die ETF genannten<br />
Produkte sind schnell<br />
handelbar, gesetzlich strenger<br />
reguliert als Zertifikate und<br />
kosten ein Drittel von dem,<br />
was bei traditionellen Fonds<br />
üblich ist. So ist in Europa in<br />
zehn Jahren ein gigantischer<br />
Markt mit 320 Milliarden Euro<br />
Volumen und 2100 Produkten<br />
entstanden, den iShares, db<br />
x-trackers und Lyxor dominieren.<br />
Längst bilden ETFs aber<br />
nicht mehr nur stur Aktienindizes<br />
ab. In der Niedrigzinsphase<br />
sind günstige Anleihe-<br />
ETFs gefragt. Und auch<br />
gehebelte ETFs, die bestenfalls<br />
überproportional steigen,<br />
wenn etwa der Dax zulegt,<br />
werden rege gehandelt.<br />
„Die speziellen ETFs werden<br />
von Anlegern eingesetzt, die<br />
eine klare Marktmeinung haben<br />
und ihr Depot täglich beobachten“,<br />
sagt Heike Fürpaß-<br />
Peter, bei Lyxor für deutsche<br />
Privatanleger zuständig.<br />
Tritt ein Index auf der Stelle,<br />
sieht es bei ETFs generell mau<br />
aus. Doch aktive Anleger<br />
finden Chancen: Zu den Verkaufsschlagern<br />
gehörten zuletzt<br />
Aktien-ETFs für Italien,<br />
Griechenland, Spanien und<br />
Portugal, in die netto seit Oktober<br />
monatlich 300 Millionen<br />
Euro flossen und die zu<br />
den Top-Performern zählen<br />
(siehe Tabelle). Wer sich das<br />
Timing in den Länder-Märkten<br />
nicht zutraut, ist bei einem breit<br />
gemischten Aktien-ETF wie<br />
dem MSCI World gut aufgehoben<br />
(siehe Chart). Er belastet<br />
jährlich nur 0,5 Prozent Kosten.<br />
Vieles spricht dafür, dass<br />
ETFs weiter wachsen: Anbieter<br />
und Aufseher haben auf das<br />
Misstrauen der Anleger gegenüber<br />
manchen Praktiken<br />
reagiert, etwa den Einsatz von<br />
Derivaten. Die Branche ist<br />
transparenter geworden. db<br />
x-trackers und Lyxor bilden jetzt<br />
mehr ETFs mit den Aktien oder<br />
Anleihen nach, die im Index<br />
stecken, statt Tauschgeschäfte<br />
(Swaps) mit einer Bank zu<br />
schließen. Dabei überlässt sie<br />
dem ETF Aktien, verbucht deren<br />
Gewinne oder Verluste, und<br />
der ETF erhält von ihr die Indexperformance.<br />
Steigen die<br />
Aktien im ETF um zwei Prozent,<br />
der Index aber um vier, müsste<br />
die Swap-Bank zwei Prozent an<br />
den ETF zahlen. Ginge sie pleite,<br />
droht ein Verlust. Sobald der<br />
Swap-Partner zahlen muss,<br />
lässt sich Lyxor deshalb von ihm<br />
Wertpapiere liefern, deren Gegenwert<br />
die Zahlungsverpflichtung<br />
sogar noch übersteigt.<br />
iSharesMSCIWorld ETF<br />
ISIN: IE00B0M62Q58<br />
140<br />
130<br />
120<br />
110<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
IndizesinEuroumbasiert;<br />
Quelle:Thomson Reuters<br />
LyxorETF FTSE<br />
MIB-AktienItalien<br />
2011 2012 2013 14<br />
Hoch<br />
Die besten börsengehandelten Indexfonds<br />
Die Gewinner unter den großen ETF-Portfolios<br />
Fondsname<br />
Aktien<br />
iShares Euro Stoxx Banks (DE)<br />
Source Euro Stoxx Optimised Banks<br />
Lyxor ETF FTSE ATHEX 20 (Griechenl.)<br />
iShares Stoxx Europe 600 Auto & Parts<br />
Lyxor ETF FTSE MIB (Italien)<br />
iShares MSCI Italy Capped<br />
iShares Global Clean Energy<br />
iShares Euro Total Market Value Large<br />
Lyxor ETF MSCI EMU Small Cap<br />
Lyxor ETF Ibex 35 (Spanien)<br />
Amundi ETF MSCI Spain<br />
Amundi ETF MSCI EMU High Dividend<br />
iShares TecDAX<br />
Lyxor ETF MSCI EMU Value (Eurozone)<br />
ComStage Portugal Stock Index 20 ETF<br />
iShares Euro Stoxx Telecomm (DE)<br />
ComStage DivDAX ETF<br />
Lyxor ETF Stoxx Europ. 600 Bau & Mat.<br />
iShares Euro Stoxx Mid Cap<br />
iShares Euro Stoxx Small Cap<br />
iShares DivDAX<br />
db x-trackers MSCI European Small Cap<br />
iShares UK Property<br />
PowerShares FTSE RAFI Eur. Small Mid<br />
Anleihen<br />
db x-trackers II iTraxx Crossover<br />
iShares Spain Government Bond<br />
iShares Italy Government Bond<br />
db x-trackers II iBoxx Sov.Euroz. Yield<br />
Amundi ETF Gov. Bond EuroMTS Inv. Gr.<br />
Lyxor ETF iBoxx € High Yield 30 ex Fin.<br />
iShares Euro High Yield Corporate Bond<br />
Deka iBoxx EUR Liquid Sov. Div. 5-7 year<br />
Amundi ETF Gov. Bond Euro MTS Broad<br />
Lyxor ETF EuroMTS Global<br />
db x-trackers iBoxx Sovereign Eurozone<br />
iShares Euro Government Bond<br />
iShares Euro Covered Bond<br />
iShares Euro Corporate Bond<br />
Alternatives (z.B. Leverage, bewegt sich überproportional zum Index)<br />
ComStage Portugal Stock 20 Leverage<br />
Lyxor ETF Euro Stoxx 50 Daily Leverage<br />
db x-trackers Leverage DAX Daily ETF<br />
ComStage CAC 40 Leverage ETF<br />
db x-trackers S&P 500 2x Leverage<br />
Amundi ETF Lev. MSCI Europe Daily<br />
ETFS Daily Short Silver ETC<br />
ETFS Daily Short Gold ETC<br />
ComStage Bund-Future Leverage TR<br />
UBS ETF HFRX Global Hedge Fund Index<br />
ISIN<br />
DE0006289309<br />
IE00B3Q19T94<br />
FR001<strong>04</strong>05431<br />
DE000A0Q4R28<br />
FR0010010827<br />
US4642868552<br />
IE00B1XNHC34<br />
IE00B0M62T89<br />
FR0010168773<br />
FR0010251744<br />
FR0010655746<br />
FR001<strong>07</strong>17090<br />
DE0005933972<br />
FR0010168781<br />
LU<strong>04</strong>44605215<br />
DE0006289317<br />
LU0603933895<br />
FR00103455<strong>04</strong><br />
IE00B02KXL92<br />
IE00B02KXM00<br />
DE0002635273<br />
LU0322253906<br />
IE00B1TXLS18<br />
IE00B23D8Y98<br />
LU0290359032<br />
IE00B428Z6<strong>04</strong><br />
IE00B7LW6Y90<br />
LU0524480265<br />
FR0010892190<br />
FR0010975771<br />
IE00B66F4759<br />
DE000ETFL144<br />
FR001<strong>07</strong>54192<br />
FR0010028860<br />
LU0290355717<br />
IE00B4WXJJ64<br />
IE00B3B8Q275<br />
IE00B3F81R35<br />
LU<strong>04</strong>44605306<br />
FR001<strong>04</strong>68983<br />
LU<strong>04</strong>11<strong>07</strong>5376<br />
LU<strong>04</strong>19741094<br />
LU<strong>04</strong>11<strong>07</strong>8552<br />
FR001<strong>07</strong>56080<br />
JE00B24DKK82<br />
JE00B24DKC09<br />
LU0530118024<br />
IE00B54DDP56<br />
Wertentwicklung<br />
in Prozent<br />
seit 3<br />
Jahren 1<br />
1 jährlicher Durchschnitt (in Euro gerechnet); 2 je höher die Jahresvolatilität<br />
(Schwankungsintensität) in den vergangenen drei Jahren, desto riskanter der Fonds;<br />
Quelle: Morningstar; Stand: 1. April <strong>2014</strong><br />
0,7<br />
–<br />
–16,9<br />
19,1<br />
3,0<br />
2,6<br />
–12,3<br />
6,3<br />
10,3<br />
4,2<br />
3,1<br />
7,2<br />
10,5<br />
6,0<br />
2,0<br />
–3,5<br />
–<br />
9,6<br />
9,5<br />
7,2<br />
12,6<br />
13,4<br />
15,8<br />
11,2<br />
10,2<br />
–<br />
–<br />
8,4<br />
8,0<br />
8,7<br />
9,1<br />
8,4<br />
6,8<br />
6,2<br />
6,9<br />
7,0<br />
6,9<br />
6,3<br />
–0,6<br />
6,5<br />
15,9<br />
7,4<br />
26,1<br />
15,1<br />
8,2<br />
–0,4<br />
16,7<br />
–1,4<br />
seit 1<br />
Jahr<br />
56,5<br />
56,3<br />
54,1<br />
53,3<br />
45,1<br />
44,3<br />
43,3<br />
38,5<br />
37,1<br />
35,6<br />
34,6<br />
34,2<br />
33,7<br />
33,6<br />
33,5<br />
33,5<br />
31,2<br />
31,1<br />
30,8<br />
30,7<br />
30,4<br />
29,6<br />
29,6<br />
29,2<br />
17,0<br />
14,3<br />
12,5<br />
11,6<br />
10,7<br />
8,9<br />
8,6<br />
6,6<br />
6,0<br />
5,8<br />
5,7<br />
5,5<br />
4,1<br />
4,1<br />
70,0<br />
48,9<br />
42,6<br />
42,3<br />
31,5<br />
31,4<br />
18,3<br />
8,5<br />
2,4<br />
2,2<br />
Volatilität<br />
2<br />
in<br />
Prozent<br />
30,3<br />
–<br />
44,7<br />
28,1<br />
23,2<br />
22,5<br />
23,9<br />
19,1<br />
16,1<br />
21,5<br />
22,2<br />
15,1<br />
15,6<br />
18,2<br />
17,3<br />
17,2<br />
–<br />
18,6<br />
15,5<br />
15,4<br />
19,0<br />
14,7<br />
14,9<br />
13,7<br />
9,0<br />
–<br />
–<br />
7,9<br />
7,9<br />
8,1<br />
7,8<br />
5,0<br />
5,2<br />
4,8<br />
4,7<br />
4,6<br />
2,8<br />
4,3<br />
34,6<br />
33,5<br />
36,9<br />
30,8<br />
20,6<br />
25,1<br />
46,9<br />
26,6<br />
12,8<br />
4,2<br />
FOTO: PR<br />
114 Redaktion Fonds: Martin Gerth, Heike Schwerdtfeger<br />
Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
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Perspektiven&Debatte<br />
DESIGN | Von Musik<br />
über Kunst bis<br />
zu Mode und Möbeln –<br />
schöne Dinge,<br />
die unser Leben<br />
bereichern, benötigen<br />
Innovationen.<br />
Innovation in<br />
Formen<br />
Die Idee soll keiner sehen, die Lösung<br />
sich klein, fast unsichtbar<br />
machen und den Betrachter an<br />
der Nase herumführen, damit<br />
er nicht gleich weiß, um was für<br />
einen Gegenstand es sich handelt. In diesem<br />
Fall heißt das Produkt „Straßenfeger“. Es ist<br />
im Sixties-Design hellblau und orange bemalt,<br />
sein Rahmen und sein Gummiriemenantrieb<br />
machen das Fahrrad zu einem Hingucker.<br />
Wer zweimal hinguckt, sieht:Im Vorderrad<br />
steckt ein Elektromotor; die einseitig<br />
montierte Gabel versteckt den Akku, dessen<br />
Reserveanzeige dezent oben am Lenkerkopf<br />
leuchtet. Electrolyte heißt der Berliner Hersteller,<br />
der es nicht nur schafft, mit 16 Kilo ein<br />
sehr leichtes Pedelec herzustellen, sondern<br />
auch eins, das nicht nach einem Fahrrad mit<br />
Hilfsmotor für nicht mehr ganz so bewegungsfreudige<br />
Menschen aussieht.<br />
Möglich ist diese Verwandlung eines<br />
technischen Mauerblümchen-Produkts für<br />
die Radwege durchs Grüne in ein zeitgenössisches<br />
Lifestyle-Objekt für die Straßen Berlins<br />
dank der Zusammenarbeit von Techniker<br />
und Gestaltern. Die Zeiten, in denen Ingenieure<br />
sich clevere Lösungen ausdachten<br />
und Designer hinterher eine gute Form finden<br />
mussten, sind genauso Vergangenheit<br />
wie die, in denen Designer eine Leuchte, ein<br />
Auto oder Sofas zeichneten und die Techniker<br />
rätseln mussten, wie das Fantasieobjekt<br />
denn funktionieren könne. „Die wesentlichen<br />
Impulse im Design werden heute<br />
durch die Technologie getrieben“, sagt Peter<br />
Zec, Geschäftsführer des Designpreises Red<br />
Dot Design Award. „Je technischer das Produkt,<br />
desto höher der Anteil an Designern,<br />
die zum Unternehmen gehören und von<br />
Anfang an die Gestaltung begleiten.“<br />
Innovation und Technologie – von gutem<br />
Essen bis zur Mode gehen diese Begriffe<br />
Hand in Hand mit der Schönheit des Gegenstands<br />
oder dem Genuss, den er dem Menschen<br />
bietet. Als der spanische Koch Ferran<br />
Adrià begann, in akribischer Kleinarbeit Pilze,<br />
Gemüse oder Fleisch zu katalogisieren<br />
und in einer Datenbank die Eigenschaften<br />
einzupflegen, legte er den Grundstein für<br />
die Erneuerung der Hochküche. Adrià verwendete<br />
zudem Zubereitungstechniken aus<br />
der sogenannten Molekularküche, deren<br />
mit flüssigem Stickstoff gefrorene Zutaten<br />
bis dahin unbekannte Geschmackserfahrungen<br />
ermöglichten.<br />
Adrià plant inzwischen nach der Schließung<br />
seines Restaurants El Bulli ein Institut,<br />
das sich der Zukunft der Spitzengastronomie<br />
widmen soll. „Innovation ist auf diesem<br />
Feld der entscheidende Faktor für den Erfolg“,<br />
sagt Bernd Matthies, Restaurantkritiker<br />
HOCKER<br />
Mit Laser<br />
geschnittenes<br />
Alu, das an<br />
der Perforation<br />
geknickt<br />
wird. Filigran<br />
und dennoch<br />
stabil<br />
des „Berliner Tagesspiegel“. Auch wenn<br />
Deutschland nicht wie einst Frankreich,<br />
dann Spanien und nun Skandinavien die<br />
Spitzenküche inhaltlich vorantreibe, beantwortet<br />
Matthies die Frage, ob er sich Sorgen<br />
mache, ob hierzulande Stillstand drohe, mit<br />
einem simplen: „Nö.“<br />
MODE AUS NANOFASERN<br />
In der Modebranche hingegen hat Deutschland<br />
nur wenig Einfluss. „Gestalterisch wird<br />
deutsche Mode mit dem Bauhaus verknüpft:<br />
reduziert und spartanisch“, sagt Sabine<br />
Resch von der Akademie für Mode &<br />
Design in München. Die Dozentin für Modetheorie<br />
kennt jedoch den wichtigen Einfluss<br />
deutscher Unternehmen auf die Mode:<br />
„In der Gewebetechnologie sind deutsche<br />
Unternehmen weit vorne.“<br />
Vor allem die Sportartikelhersteller entwerfen<br />
immer neue Produkte, deren Eigenschaften<br />
mit Leinen und Baumwolle nicht<br />
zu realisieren waren. „Es ist seit mehr als<br />
zehn Jahren ausschließlich die Materialtechnologie,<br />
die in der Mode Innovationen<br />
bringt“, sagt Resch. Zu den Errungenschaften<br />
gehören Nanofasern, die Schweiß abtransportieren<br />
und dabei Form und Farbe<br />
nicht verändern. Dank Lasermessern sind<br />
Schnittkanten und Auslassungen möglich,<br />
die sich Designer zuvor nur in der Fantasie<br />
ausmalen durften, die immer feineren Garne<br />
sorgen für Wohlgefühl auf der Haut. So<br />
kann der Mensch den Fortschritt nicht nur<br />
sehen, sondern spüren.<br />
n<br />
thorsten.firlus@wiwo.de<br />
FOTOS: PR<br />
116 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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KÜCHENMESSER<br />
Die Klinge von Fisslers „bionic“ ahmt Biberzähne nach<br />
und muss nie geschärft werden<br />
PEDELEC<br />
Das Modell<br />
„Straßenfeger“<br />
von Electrolyte<br />
mit dezentem<br />
Motor<br />
WASCHTISCH<br />
Dieses als Prototyp entwickelte<br />
Modell von Lago ist nicht<br />
nur hauchdünn, das Material<br />
lässt sich zudem verbiegen<br />
MOLEKULARKÜCHE<br />
Küchenavantgardist<br />
Ferran Adrià ersann in<br />
einem Labor neue Techniken<br />
wie die Schäume<br />
OUTDOORKLEIDUNG<br />
Dünne, winddichte<br />
Materialien, die Schweiß<br />
nach außen transportieren,<br />
erlauben der Sportmodeindustrie<br />
mehr<br />
Gestaltungsfreiheit<br />
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Perspektiven&Debatte | Kost-Bar<br />
ALLES ODER NICHTS<br />
KATJA HOLERT<br />
Geschäftsführerin des Gartenmöbelherstellers<br />
Garpa<br />
Aktien oder Gold?<br />
Schon der Haptik wegen:<br />
Gold.<br />
Cabrio oder SUV?<br />
Gibt es etwas Schöneres<br />
als warmen Fahrtwind im<br />
Gesicht?<br />
Schaltung oder Automatik?<br />
Automatik! Früher verpönt,<br />
heute geliebt.<br />
Apartment oder Villa?<br />
Ein Apartment. Am liebsten<br />
ganz oben!<br />
Fitnessstudio oder<br />
Waldlauf?<br />
Ganz ehrlich? Keins von<br />
beiden.<br />
Buch oder DVD?<br />
Beim Lesen führt die eigene<br />
Fantasie Regie. Darum eindeutig:<br />
Buch.<br />
Paris oder London?<br />
London für die Chelsea Flower<br />
Show und die Parks, Paris fürs<br />
Savoir-vivre.<br />
Rotwein oder Weißwein?<br />
Es gibt ganz vorzügliche<br />
deutsche Grauburgunder.<br />
Jazz oder Klassik?<br />
Am liebsten die Berliner<br />
Symphoniker.<br />
Mountainbike oder<br />
Rennrad?<br />
Die goldene Mitte: das<br />
Trekkingbike.<br />
Berge oder Meer?<br />
Wandern im Engadin!<br />
KUNST IN DÜSSELDORF<br />
Das große Schweigen<br />
MUSIK IN SCHWETZINGEN<br />
Barockmeister<br />
Die Opern-Uraufführung der<br />
Schwetzinger SWR-Festspiele<br />
<strong>vom</strong> 25. 4. bis 7. 6. gilt Bernhard<br />
Langs „Rei:gen“ nach Arthur<br />
Schnitzlers gleichnamigem<br />
Drama. Eine Wiederentdeckung<br />
ist Johann Adolph Hasses Oper<br />
„Leucippo“, die 1757 zum ersten<br />
Mal in Schwetzingen erklang.<br />
Weitere Höhepunkte: der Tenor<br />
Christoph Pregardien mit einem<br />
Balladen-Programm, das Artemis<br />
Quartett mit Schuberts „Der<br />
Tod und das Mädchen“ und<br />
das Radio-Sinfonieorchester<br />
Stuttgart, das die Barockmeister<br />
Lully, Rameau und Telemann<br />
spielt. swr.de<br />
THE NEW YORKER<br />
Der Weg zur Formaskese,<br />
zur Abstraktion, führte in der<br />
bildenden Kunst zu Beginn<br />
des 20. Jahrhunderts vor allem<br />
über die Farbe Weiß. Die Ausstellung<br />
„Der weiße Abgrund<br />
Unendlichkeit“ in der Kunstsammlung<br />
NRW, zugleich Auftakt<br />
der Düsseldorfer Quadriennale,<br />
präsentiert <strong>vom</strong> 5. April<br />
bis 6. Juli Hauptwerke von<br />
Kasimir Malewitsch (Bild), Wassilij<br />
Kandinsky und Piet Mondrian,<br />
die zwischen 1909 und 1940<br />
entstanden sind und in denen<br />
die Führungsrolle der „Nicht-<br />
Farbe“ Weiß als Symbol der<br />
Reinheit und höheren Geistigkeit<br />
ihren Ausdruck findet.<br />
Parallel zur Ausstellung hat der<br />
Künstler Olafur Eliasson einen<br />
Erfahrungsraum geschaffen, der<br />
die Besucher für „das große<br />
Schweigen“ und „die komplexen<br />
Wahrnehmungs- und Materialqualitäten<br />
des Weiß sensibilisieren<br />
soll“. kunstsammlung.de<br />
„Technology is ruining us.“<br />
FOTOS: KUNSTSAMMLUNG NRW – KASIMIR MALEWITSCH, MALERISCHER REALISMUS: JUNGE MIT TORNISTER - FARBIGE MASSEN IN DER 4. DIMENSION, 1915, ÖL AUF LEINWAND,<br />
71,1 X 44,5 CM, THE MUSEUM OF MODERN ART, NEW YORK, PR, CARTOON: FARLEY KATZ/CONDÉ NAST PUBLICATIONS/WWW.CARTOONBANK.COM<br />
118 Redaktion: christopher.schwarz@wiwo.de<br />
Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Leserforum<br />
Buchhandel Fünf Milliarden Euro Umsatz 2013 im Internet erzielt<br />
Unternehmen&Märkte<br />
Exklusivstudie: Wen Online-Händler<br />
<strong>vom</strong> Markt fegen können.<br />
Heft 14/<strong>2014</strong><br />
Mobilmachen<br />
Die Bedrohung der Einzelhändler<br />
wird durch das Versagen ihrer<br />
Verbände verschärft. Einerseits<br />
könnten sie neue Erlösmodelle<br />
entwickeln (zum Beispiel Beratungsgebühren<br />
für Fachgeschäfte),<br />
andererseits hätten sie schon<br />
vor Jahren gegen die Buchpreisbindung<br />
mobilmachen müssen.<br />
Diese sorgt dafür, dass Amazon<br />
seine Einkaufsvorteile vollständig<br />
behalten und so die Expansion<br />
in andere Branchen finanzieren<br />
kann. Während Discounter<br />
den Vorteil niedrigerer Einkaufspreise<br />
zum Großteil an die Verbraucher<br />
weiterreichen müssen,<br />
geschieht dies im Buchgeschäft<br />
nicht.<br />
Guido Bruch<br />
Neubiberg (Bayern)<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
Justiz: Die fragwürdigen Nebenverdienste<br />
deutscher Richter.<br />
Heft 14/2013<br />
Weiterleiten<br />
Diese Seiten schicken Sie doch<br />
bitte der Richtervereinigung<br />
und den obersten Gerichten zu.<br />
Die Unabhängigkeit wird hier<br />
wohl nicht immer gewahrt, und<br />
gerade die ist in diesem Bereich<br />
unerlässlich.<br />
Reinhard Steinki<br />
Diepholz (Niedersachsen)<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
Wie die EU-Kommission gegen internationale<br />
Steuertricksereien vorgeht.<br />
Heft 13/<strong>2014</strong><br />
Schneller reagieren<br />
Endlich geht die EU-Kommission<br />
die Steuervermeidungsstrategien<br />
großer Konzerne in Europa<br />
an. Diese haben in den<br />
letzten Jahren nicht nur zu Steuermindereinnahmen,<br />
sondern<br />
auch zu klaren Wettbewerbsverzerrungen<br />
zum Beispiel gegenüber<br />
dem stationären Einzelhandel<br />
geführt. Natürlich kann<br />
man besser kalkulieren, wenn<br />
man so gut wie keine Steuern<br />
zahlt. Es ist zu hoffen, dass die<br />
EU-Kommission den subtilen<br />
Steuerstrategien spezialisierter<br />
Kanzleien endlich gewachsen ist<br />
und zukünftig wesentlich<br />
schneller auf solche Fehlentwicklungen<br />
reagiert.<br />
Wolfgang Trede<br />
Seesen (Niedersachsen)<br />
Technik&Wissen<br />
Auto: Staat und Industrie sitzen<br />
immer häufiger mit am Steuer.<br />
Heft 13/<strong>2014</strong><br />
Wie Roboter<br />
Das Endziel ist scheinbar der implantierte<br />
Chip im Hinterkopf,<br />
der uns dann zu gleichgeschalteten<br />
Robotern macht. Als ließe<br />
sich der Mensch auf Messdaten<br />
wie Puls und Blutdruck reduzieren,<br />
als würden weniger Unfälle<br />
deshalb passieren. Das Gegenteil<br />
ist der Fall, je mehr die Systeme<br />
im Auto das Fahren übernehmen,<br />
desto weniger können die<br />
Menschen fahren und scheitern<br />
bereits bei den geringsten Unregelmäßigkeiten<br />
im Verkehr. Wie<br />
schön ist es, mit meinen Oldtimern<br />
zu fahren – ohne Gurt, ohne<br />
ABS, ohne Airbag, sogar mit<br />
Trommelbremsen ohne Bremskraftverstärker,<br />
und niemand<br />
registriert, wann ich in welcher<br />
Stimmung wohin fahre. Das<br />
Leben selbst ist Risiko, und der<br />
Mensch tut gut daran, flexibel zu<br />
bleiben.<br />
Michael Forster<br />
München<br />
Einblick<br />
Chefredakteur Roland Tichy über den<br />
Fall Hoeneß und die Hausaufgaben<br />
des Staates. Heft 12/<strong>2014</strong><br />
Restlos bedient<br />
Ich bin restlos bedient von der<br />
öffentlichen Reaktion. Wenn Uli<br />
Hoeneß nach dem Urteil seine<br />
Steuerschulden plus einer<br />
Geldbuße beglichen haben<br />
wird, dann ist effektiv niemand<br />
geschädigt worden. Dafür soll<br />
dieser Mann jetzt ins Gefängnis?<br />
Diejenigen, die den Steuerzahler<br />
um Unsummen für Nürburgring,<br />
Elbphilharmonie und<br />
Flughafen BER geschädigt haben,<br />
laufen frei herum.<br />
Jürgen Lux<br />
Endingen (Baden-Württemberg)<br />
Der Volkswirt<br />
ifo-Präsident Hans-Werner Sinn über<br />
Deutschland und das russische Gas.<br />
Heft 12/<strong>2014</strong><br />
Amerikahörig<br />
Wissen wir eigentlich, was wir<br />
tun?, fragt Professor Hans-<br />
Werner Sinn am Schluss seiner<br />
klaren, realistischen Ausführungen.<br />
Die unter den rapide steigenden<br />
Stromkosten leidende<br />
Bevölkerung und die gefährdete<br />
Industrie wissen es; unsere amerikahörigen<br />
Politiker sind offensichtlich<br />
ahnungslos. Hat die damalige<br />
Sowjetunion gegen den<br />
Volksentscheid im Saargebiet<br />
und gegen den Beitritt der DDR<br />
zur BRD protestiert? Die USA<br />
sollte sich um die über eine Million<br />
obdachlosen Bürger und das<br />
verfallene Detroit kümmern und<br />
das Lager Guantanamo endlich<br />
auflösen, statt unablässig Russland<br />
zu drohen.<br />
Kurt und Marianne Fiebich<br />
Düsseldorf<br />
Aus dem Schneider<br />
Richtig ist, dass es ohne Russengas<br />
keine Energiewende gibt,<br />
aber wenn die USA „fracken“<br />
wie verrückt, sind wir aus dem<br />
Schneider. Von wegen abhängig!<br />
Fakt ist:Durch die Subventionierung<br />
der Energiewende<br />
verzerrt Deutschland den europäischen<br />
Markt und damit die<br />
Stromerzeugung in anderen<br />
Ländern. So rechnet sich in der<br />
Schweiz die Produktion von<br />
Strom aus Wasserkraft mit<br />
Pumpspeicheranlagen nicht<br />
mehr. Dort verzichtet man wegen<br />
der fehlenden Wirtschaftlichkeit<br />
auf Investitionen.<br />
Rudolf Klimesch<br />
Berlin<br />
Geld&Börse<br />
Welche Dax-Unternehmen künftig<br />
hohe Ausschüttungen liefern.<br />
Heft 9/<strong>2014</strong><br />
Gute Arbeit<br />
Ich kaufe nur Papiere, die Zinsen<br />
oder Dividenden zahlen, ich will<br />
Cash. Es ist deshalb hilfreich,<br />
dass die WirtschaftsWoche bei<br />
jeder Aktienvorstellung die<br />
Dividendenrendite angibt. Dank<br />
an das Ressort Geld & Börse für<br />
über 20 Jahre ausgezeichnete<br />
Informationen zur Geldanlage.<br />
Meine Ergebnisse zeigen, dass<br />
Ihre Kurzvorstellungen und Berichte<br />
und meine Anlageprinzipien<br />
harmonieren.<br />
Joachim Güthe<br />
München<br />
Leserbriefe geben die Meinung des<br />
Schreibers wieder, die nicht mit der<br />
Redaktionsmeinung übereinstimmen<br />
muss. Die Redaktion behält sich vor,<br />
Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.<br />
WirtschaftsWoche<br />
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120 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Air Berlin........................................................9<br />
Aldi..............................................................63<br />
Alfmeier....................................................... 79<br />
Apple........................................................... 87<br />
Auxmoney.................................................. 102<br />
AWD.............................................................60<br />
B<br />
B.Braun........................................................44<br />
Bain.............................................................60<br />
BASF............................................................67<br />
Bayer........................................................... 67<br />
Beiersdorf.................................................... 76<br />
Bilfinger....................................................... 60<br />
Bitron...........................................................84<br />
Blacklane..................................................... 12<br />
Blue Yonder..................................................77<br />
BMW............................................................68<br />
Booz & Co.......................................................9<br />
Bosch...........................................................79<br />
Boston Consulting Group...............................60<br />
C<br />
Capital Stage................................................67<br />
Clearstream..................................................12<br />
Commerzbank........................................ 52, 60<br />
Constantin Medien........................................16<br />
Continental.......................................... 79, 110<br />
Crédit Agricole..............................................52<br />
D<br />
Daimler............................................ 12, 16, 79<br />
Deutsche Bahn.............................................66<br />
Deutsche Bank.............................................60<br />
Deutsche Börse.................................... 12, 111<br />
Deutsche Lufthansa......................................60<br />
Deutsche Post............................................ 110<br />
Deutsche Telekom............................ 63, 84, 93<br />
Dresdner Bank..............................................60<br />
Dropbox....................................................... 87<br />
E<br />
E.On.............................................................67<br />
Electrolyte..................................................116<br />
Enagás.......................................................112<br />
EnBW......................................... 67, 79, 82, 84<br />
Enercon....................................................... 67<br />
Envitec Biogas..............................................66<br />
E-Plus.................................................... 63, 64<br />
Esprit........................................................... 56<br />
Etihad............................................................ 9<br />
Evonik.............................................. 80, 83, 93<br />
EyeEm..........................................................16<br />
F<br />
Fairvesta.................................................... 1<strong>04</strong><br />
Fast Retailing................................................56<br />
Fiat..............................................................79<br />
Flickr............................................................16<br />
Fris Investment.............................................14<br />
G<br />
GAP............................................................. 56<br />
GE Healthcare.............................................. 80<br />
Google......................................................... 87<br />
H<br />
H&M............................................................ 56<br />
Hali..............................................................68<br />
Hewlett-Packard.........................................112<br />
Homag......................................................... 68<br />
HSH Nordbank..............................................14<br />
Hutchison...............................................63, 64<br />
I<br />
Ikea............................................................. 90<br />
Imperial Tobacco.......................................... 16<br />
Inditex..........................................................56<br />
Instagram...............................................10, 16<br />
Interbrand....................................................93<br />
iThera Medical........................................76, 80<br />
J<br />
Juwi............................................................. 67<br />
K<br />
KfW..............................................................16<br />
Kinematics................................................... 16<br />
Kirchhoff Automotive....................................68<br />
Kosmos........................................................89<br />
L<br />
Lego.............................................................16<br />
Lendico......................................................102<br />
Lending Club.............................................. 102<br />
Libyan Foreign Bank......................................12<br />
LinkedIn.......................................................10<br />
Lyxor..........................................................114<br />
M<br />
McKinsey..................................................... 60<br />
Microsoft..............................................87, 112<br />
Miele............................................................84<br />
Mobilkom Austria..........................................64<br />
Motorworld Australia.................................... 16<br />
MR Handelsgesellschaft................................14<br />
MR Valuefacturing........................................ 68<br />
Müller & Guski..............................................68<br />
Munich Strategy Group........................... 44, 48<br />
N<br />
Neomar........................................................83<br />
Nestlé.................................................... 14, 88<br />
Nordex,........................................................ 67<br />
O<br />
Opel.............................................................68<br />
Otto....................................................... 76, 77<br />
P<br />
Phoenix Contact........................................... 68<br />
PNE Wind.....................................................67<br />
Prevent........................................................ 14<br />
Procter & Gamble......................................... 64<br />
PwC............................................................... 9<br />
R<br />
Rocket Internet.......................................... 102<br />
Royal Bank of Scotland................................. 16<br />
RWE.............................................................67<br />
S<br />
SAES Getters................................................79<br />
Jil Sander..................................................... 56<br />
SAP..............................................................68<br />
Schwan Stabilo.............................................92<br />
SeaControl 360............................................14<br />
6Wunderkinder.............................................10<br />
Secomba......................................................87<br />
Senvion........................................................67<br />
Siemens................................... 44, 60, 67, 110<br />
Smava........................................................102<br />
Société Générale.......................................... 52<br />
Soundcloud..................................................10<br />
Statoil........................................................ 113<br />
Karl Storz............................................... 44, 82<br />
T<br />
Telefónica.................................................... 63<br />
Telekom Austria......................................63, 64<br />
ThyssenKrupp.............................................. 67<br />
T-Mobile.......................................................63<br />
TUI.................................................................9<br />
Twitter......................................................... 44<br />
U<br />
UBAE........................................................... 12<br />
Unilever....................................................... 94<br />
Uniqlo.......................................................... 56<br />
UPC.............................................................64<br />
V<br />
Vattenfall......................................................67<br />
Virtu...........................................................110<br />
Vodafone......................................................63<br />
Volkswagen............................................ 14, 67<br />
W<br />
WhatsApp...............................................10, 63<br />
WPD............................................................ 67<br />
X<br />
Xing............................................................. 10<br />
Y<br />
Yahoo...........................................................16<br />
Z<br />
Zalando..........................................................8<br />
Zencap.......................................................102<br />
WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 121<br />
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Ausblick<br />
„In unserem Geschäft<br />
respektiert man nicht Tradition,<br />
sondern ob man auch künftig<br />
innovativ und relevant ist.“<br />
Satya Nadella<br />
Microsoft-Chef<br />
„Jedes Geschäftsmodell,<br />
das prinzipiell das<br />
Urheberrecht infrage stellt, ist<br />
ein No-Go: Nicht mit uns!“<br />
Philip Ginthör<br />
Deutschland-Chef von Sony,<br />
über die Sperrung von Musikvideos<br />
für die Google-Tochter YouTube<br />
„Ein Land, in dem<br />
die Regierung ihren Kritikern<br />
droht und das demokratische<br />
Werte mit Füßen tritt, kann<br />
nicht zu Europa gehören.“<br />
Andreas Scheuer<br />
CSU-Generalsekretär, über die<br />
Türkei und ihren Ministerpräsidenten<br />
Recep Tayyip Erdogan<br />
„Fracking ist die falsche<br />
Antwort auf die Energiefrage.“<br />
Barbara Hendricks<br />
Bundesumweltministerin (SPD),<br />
zur Förderung von Schiefergas<br />
„Die Idee des Urhebers verweist<br />
etymologisch auf Gott.<br />
Der Schöpfer wird zu einer<br />
Leitfigur der Moderne.“<br />
Monika Dommann<br />
Historikerin an der Universität Zürich<br />
„Wenn Schiefergas Gift wäre,<br />
dürfte man es auch nicht aus<br />
anderen Ländern beziehen.“<br />
Peter Ramsauer<br />
Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses<br />
im Bundestag (CSU),<br />
zum Fracking und den Importmöglichkeiten<br />
von Schiefergas<br />
„Das Unmögliche ist leichter<br />
als das Schwierige, denn<br />
an das Unmögliche sind keine<br />
Erwartungen geknüpft.“<br />
Daniel Barenboim<br />
Pianist und Dirigent<br />
„Wer nix im Boden hat,<br />
muss es in der Birne haben.“<br />
Volker Kauder<br />
Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU,<br />
über das rohstoffarme Deutschland<br />
„Der Kunde ist ein scheues Reh,<br />
aber das Reh kommt<br />
durchaus auch zurück.“<br />
Frank Asbeck<br />
Chef des Fotovoltaikkonzerns<br />
Solarworld, zum Verlust von<br />
431 Millionen Euro im Jahr 2013<br />
„Bei völliger Freiheit<br />
statt Reglementierung wäre<br />
im Autoverkehr die Hölle los.<br />
Dann gute Nacht.“<br />
Simone Peter<br />
Vorsitzende der Grünen, zu ihrer<br />
Forderung nach einem absoluten<br />
Alkoholverbot für Autofahrer<br />
„Offen gesagt, wir sehen keinen<br />
anderen Weg für eine stabile<br />
Entwicklung des ukrainischen<br />
Staates als eine Föderation.“<br />
Sergej Lawrow<br />
russischer Außenminister<br />
„Solche Methoden hat<br />
schon der Hitler im<br />
Sudetenland übernommen.“<br />
Wolfgang Schäuble<br />
Bundesfinanzminister (CDU), zum<br />
Vorgehen Russlands in der Ukraine<br />
und der Besetzung von<br />
Teilen der Tschechoslowakei durch<br />
die Deutschen 1938<br />
„Bis in ihre Höhlen<br />
werden wir sie verfolgen.“<br />
Recep Tayyip Erdogan<br />
türkischer Ministerpräsident, über<br />
seine Gegner nach dem Sieg seiner<br />
Partei bei den Kommunalwahlen<br />
»Ein Highlight waren sicherlich<br />
die Schlauchboote der Bundeswehr, deren<br />
Heckmotoren so schwer waren, dass<br />
die Boote nach unten absackten. Absurd war<br />
auch die Bestellung von Rinderohrhaaren<br />
zum Säubern von Bildschirmen.«<br />
Dieter Engels<br />
Präsident des Bundesrechnungshofes, über die kuriosesten Fälle<br />
von Verschwendung öffentlicher Gelder in seiner zwölfjährigen Amtszeit,<br />
die am Dienstag endet<br />
„Die Regulierung der<br />
Vergütungen verschafft uns<br />
global einen Nachteil im<br />
Wettbewerb um Mitarbeiter.“<br />
Jürgen Fitschen<br />
Co-Vorstandsvorsitzender der<br />
Deutschen Bank<br />
„Dieses Internet ist<br />
schon eine tolle Sache. Extreme<br />
Reichweite und keine Einnahmen.<br />
Da kann ich die Gags<br />
auch zum Fenster rausschreien.“<br />
Harald Schmidt<br />
Kabarettist<br />
„Ich stelle mir niemals die<br />
Frage, wie teuer etwas ist,<br />
sondern wie viel es mir wert ist.“<br />
Harald Glööckner<br />
Modedesigner<br />
ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />
122 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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