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Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2014-04-07 (Vorschau)

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15<br />

SchweizCHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux €5,30<br />

Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | PolenPLN 27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien€6,00 | TschechischeRep.CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />

7.4.<strong>2014</strong>|Deutschland €5,00<br />

1 5<br />

4 1 98065 805008<br />

Ein Heft<br />

über<br />

Innovationen<br />

12<br />

Ideen für ein<br />

modernes<br />

Deutschland<br />

8<br />

Erfinder über<br />

die beste Idee<br />

ihres Lebens<br />

9<br />

Gewinner des<br />

Deutschen<br />

Innovationspreises<br />

50<br />

innovative<br />

deutsche<br />

Mittelständler<br />

und ihre<br />

Erfolgsrezepte<br />

5<br />

Methoden, die<br />

Bargeld<br />

überflüssig<br />

machen werden<br />

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Einblick<br />

Rettet uns das Kinderwahlrecht aus der verkalkten<br />

Altenrepublik? Welche Innovationen brauchen wir,<br />

was sind die Trends? Von Roland Tichy<br />

Deutschland im Stau<br />

FOTO: HEIKE ROST FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Wie innovationsfähig ist<br />

Deutschland? Die angesehene<br />

US-Universität MIT bescheinigt<br />

Deutschland, dass<br />

hier die weltweit modernsten Produktionsverfahren<br />

zu Hause sind – die Unternehmen<br />

profitieren von einem Ökosystem,<br />

das aus firmenübergreifenden<br />

Kooperationsbeziehungen, tief gestaffelten<br />

Zuliefer-Netzwerken, Dienstleistern,<br />

aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen<br />

und Universitäten besteht. Innovation<br />

ist nicht die geniale Idee eines einsamen<br />

Daniel Düsentriebs, sondern das<br />

erfolgreiche Zusammenspiel vieler, die<br />

gemeinsam die Grenze des schon Erreichten<br />

hinausschieben. Mit diesem Heft<br />

vergibt die WirtschaftsWoche gemeinsam<br />

mit Evonik, Accenture und EnBW den<br />

Deutschen Innovationspreis für solche<br />

herausragenden Leistungen. In der heraufziehenden<br />

„Industrie 4.0“ wächst die<br />

Welt der Fertigung mit der Welt der Daten<br />

zusammen. Das „Internet der Dinge“ entsteht,<br />

indem Produktionsanlagen in Echtzeit<br />

auf Nachfrageimpulse reagieren, die<br />

am anderen Ende der Welt ausgesandt<br />

werden. Gerade kleinere Unternehmen<br />

sind Treiber und Gewinner. Die Giganten<br />

der Industrie konnten die Vorteile der<br />

Massenproduktion ausspielen. Jetzt aber<br />

schrumpfen die Losgrößen. Wer bislang<br />

in einer Nische viele Varianten in kleiner<br />

Stückzahl fertigte, wechselt vorwärts – zurück<br />

zum Werkstück, jedes ein Meisterstück,<br />

zugeschnitten auf einen ganz speziellen<br />

Kundenwunsch.<br />

Dafür braucht man erstens Daten, zweitens<br />

Daten und drittens Daten – für Information,<br />

Fernüberwachung, ständige<br />

Kontrolle; Umrüstzeiten müssen auf Sekunden<br />

verkürzt werden. Big Data, das<br />

Schreckenswort der Feuilletons, wird zum<br />

Allzweckwerkzeug. Ungeheure Mengen an<br />

Informationen müssen gesammelt, verarbeitet,<br />

transportiert und vernetzt werden –<br />

zur Totalsteuerung der Produktion und aller<br />

Prozesse davor und danach. Die digitale<br />

Transformation ist mehr als E-Commerce,<br />

viel mehr: Bald wird meine<br />

Lesebrille beim Verfassen des Einblicks<br />

überflüssig sein, weil mein Bildschirm<br />

seine Schriftgröße meiner Sehschärfe anpasst.<br />

Die deutsche Wirtschaft steht gut<br />

da – doch sie leidet darunter, dass der<br />

Kompetenz-Graben zwischen dem wissenschaftlich-industriellen<br />

und dem politischen<br />

Sektor immer größer wird. Die Bildungseinrichtungen<br />

halten nicht Schritt;<br />

die Infrastruktur verfällt, obwohl Straßenwie<br />

Kommunikationsnetze für diese ins<br />

Kleinste zerstückelten und immer wieder<br />

neu zusammengesetzten Prozesse Grundvoraussetzung<br />

sind. Der Fortschritt steckt<br />

im Stau.<br />

STAATLICHE BREMSER<br />

Eine naive Wissenschaftspolitik will zurück<br />

ins 19. Jahrhundert – zu staatlich geförderten<br />

Prestigeprojekten wie alternative Energieformen.<br />

Sie sollen der Energiepolitik<br />

aus der Sackgasse helfen, in die sie sich<br />

selbst verfahren hat. Aber viele Beispiele<br />

zeigen: So entstehen nur künstlich ernährte<br />

Biotope beamteter Wissenschaftler, die<br />

sich von der Entwicklung da draußen abschotten,<br />

statt sie zu treiben.<br />

Während die Wirtschaft nach vorne<br />

drängt, schaut die Politik mit verklärtem<br />

Gesicht in die Abendsonne des Sozialstaats<br />

von gestern: Verkürzt rabiat den Renteneintritt<br />

wieder auf 63 Jahre, obwohl wir 40<br />

Lebensjahre gewonnen haben. Statt Individualisierung<br />

werden wieder kollektive Lösungen<br />

und Verstaatlichung gepredigt. Das<br />

sind Phänotypen staatlichen Handelns, die<br />

schon lange nicht mehr passen. Staatliche<br />

Reformprojekte fressen Ressourcen und<br />

bleiben dann stecken. Andere Länder sind<br />

da viel weiter: Gesundheitskarten vermeiden<br />

doppelte und dreifache Untersuchungen.<br />

Längst wissen die tausend Ämter alles<br />

über uns – und doch müssen wir demütig<br />

durch ihre Tore pilgern, um einen simplen<br />

Ausweis oder eine Bescheinigung gnädig<br />

herabgereicht zu bekommen.<br />

Hilft gegen die Herrschaft der verknöcherten<br />

Alten, die für ihresgleichen Politik<br />

machen, ein Wahlrecht für Kinder? Vielleicht.<br />

Es ist jedenfalls ein Ansatz, um den<br />

verkalkten Betrieb der Politik und Verwaltung<br />

neu zu denken.<br />

n<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 3<br />

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Überblick<br />

Menschen der Wirtschaft<br />

6 Seitenblick Der Marsionar Elon Musk<br />

8 Zalando: Zu viel Chemie in Schuhen<br />

9 Air Berlin: Brüssel untersucht Etihad-Deal |<br />

PwC: Neueinstellungen nach Booz-Fusion<br />

10 Interview: LinkedIn-Gründer Konstantin<br />

Guericke sagt, was deutschen Start-ups fehlt<br />

12 Deutsche Börse: Ärger wegen Gaddafi |<br />

Blacklane: Taxi-Streit um Smarts |<br />

Drei Fragen zur Energiewende<br />

14 Schifffahrt:Ex-Karstadt-Chef verlässt Anti-<br />

Piraterie-Unternehmen | Nestlé: Teekapseln<br />

verschwunden | Volkswagen: US-Millionenofferte<br />

für Verzicht auf Betriebsrat<br />

16 Chefsessel | Start-up Kinematics<br />

18 Chefbüro Cornelia Rudloff-Schäffer,<br />

Präsidentin des Deutschen Patent- und<br />

Markenamtes<br />

Schwerpunktthema<br />

Innovationen<br />

Die Hannover Messe und die Gewinner des<br />

Deutschen Innovationspreises zeigen,<br />

was kluge Köpfe zustande bringen, wenn sie<br />

gute Ideen nicht lange diskutieren müssen,<br />

sondern zügig realisieren können. Während<br />

die Wirtschaft mutig voranschreitet,<br />

zaudert die Politik und bremst so den Fortschritt.<br />

Ein Heft über Innovationen in<br />

Wirtschaft und Gesellschaft.<br />

Zu Ihrer Orientierung haben wir die dazugehörigen<br />

Themen optisch hervorgehoben.<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

20 Deutschland Zwölf Ideen, die unser Land<br />

weiterbringen<br />

26 Unternehmertum Wie die Bundesregierung<br />

das Gründungsklima verbessern will<br />

30 Interview: Rüdiger Bachmann Der<br />

Professor findet deutsche Unis provinziell<br />

34 Innovationen Woran Erfindungen häufig<br />

scheitern – selbst wenn sie gut sind<br />

37 Paris intern<br />

Der Volkswirt<br />

38 Nachgefragt: Frank-Jürgen Weise<br />

Der Chef der Bundesagentur für Arbeit<br />

erwartet ein gutes Jahr für den Arbeitsmarkt<br />

42 Denkfabrik Ansgar Belke und Daniel Gros<br />

werfen der Europäischen Zentralbank vor,<br />

Ungleichgewichte zu verstärken<br />

Unternehmen&Märkte<br />

44 Innovations-Ranking Eine Exklusiv-Studie<br />

kürt die erfindungsreichsten Mittelständler<br />

in Deutschland<br />

52 Interview Frédéric Oudéa Der Vorstandschef<br />

der Société Générale will die Finanzkrise<br />

möglichst schnell abhaken<br />

56 Uniqlo Der japanische Moderiese drängt<br />

nach Deutschland und will Zara überholen<br />

60 Boston Consulting Group Ramponiert<br />

Deutschland-Chef Carsten Kratz Identität<br />

und Zukunft der Elitetruppe?<br />

63 Mobilfunk Die Fusion von O2 und E-Plus<br />

könnte den Wettbewerb schwächen und die<br />

Preise steigen lassen | Interview: Telekom-<br />

Austria-Chef Hannes Ametsreiter will den<br />

Wettbewerb beschränken<br />

66 Energiewende Sonne, Wind und Biomasse<br />

– die Gewinner und Verlierer der geplanten<br />

EEG-Reform<br />

68 Spezial Hannover Messe Mittelständler<br />

treiben die industrielle Revolution voran |<br />

So funktioniert die Fabrik der Zukunft<br />

12 Ideen<br />

für unser<br />

Land<br />

Politik In Deutschland<br />

regiert der<br />

Kompromiss. Das<br />

sorgt für Ruhe, ist<br />

aber selten wirklich<br />

gut. Wo es sich lohnt,<br />

auch mal eine klare<br />

Entscheidung zu<br />

treffen, lesen Sie ab<br />

Seite 20<br />

Total<br />

kreativ<br />

Unternehmen Eine<br />

Exklusiv-Studie der<br />

WirtschaftsWoche<br />

kürt Deutschlands<br />

innovativste Mittelständler.<br />

Sieger ist<br />

die Medizintechnikfirma<br />

Karl Storz der<br />

76-jährigen Matriarchin<br />

Sybill Storz.<br />

Seite 44<br />

4 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Nr. 15, 7.4.<strong>2014</strong><br />

Wer hat’s<br />

erfunden?<br />

Erfolg Ihre Produkte<br />

und Ideen kennt fast<br />

jeder. Doch wer steckt<br />

eigentlich hinter<br />

Bestsellern wie dem<br />

Brettspiel Die Siedler<br />

von Catan? Erfinder<br />

Klaus Teuber und<br />

sieben weitere<br />

Kreative im Porträt.<br />

Seite 88<br />

So zahlen<br />

wir bald<br />

Geld Münzen sind<br />

den Deutschen lieb<br />

und teuer. Doch Einkäufe<br />

sind zunehmend<br />

ohne Bargeld<br />

möglich. Wir stellen<br />

neue Zahlsysteme,<br />

ihre Chancen und<br />

die Technologien<br />

von morgen vor.<br />

Seite 96<br />

Kreativ mit<br />

System<br />

Technik Muskeln<br />

aus Draht, Körperscanner<br />

aus Licht,<br />

Intelligenz aus der<br />

Atomphysik:Wie die<br />

Produkte der Sieger<br />

und Nominierten<br />

des Deutschen Innovationspreises<br />

unser<br />

Leben verändern.<br />

Seite 76<br />

Technik&Wissen<br />

76 Wettbewerb Vom Geistesblitz zum ausgezeichneten<br />

Produkt:Sieger und Nominierte<br />

des Deutschen Innovationspreises zeigen,<br />

wie das geht<br />

Management&Erfolg<br />

88 Die Idee meines Lebens Ob Kaffeekapseln,<br />

Textmarker oder ein Regal namens Billy:<br />

Produkte wie diese haben unseren Alltag<br />

verändert – aber wer sind die kreativen<br />

Köpfe dahinter? Acht Erfinder im Porträt<br />

Geld&Börse<br />

96 Bezahlen Die Deutschen hängen am Bargeld,<br />

Handel und Finanzinstitute treiben<br />

neue Technologien voran. Was heute schon<br />

bargeldlos geht, wie wir morgen bezahlen<br />

102 Privatkredite online Was taugt die Idee der<br />

drei Samwer-Brüder?<br />

1<strong>04</strong> Fairvesta Die Immobilienfondsgesellschaft<br />

verspricht Anlegern zweistellige Renditen,<br />

doch Zweifel am Geschäftsmodell wachsen<br />

108 Steuern und Recht Beraterhaftung | Solarstrom-Umlage<br />

| Dienstwagen | Quellensteuer<br />

bei Auslandsdividenden | Möbelkauf<br />

110 Geldwoche Kommentar: Hochfrequenzhändler<br />

sind unnötig | Trend: Dax-Gewinnprognosen<br />

| Dax-Aktien: Deutsche Börse |<br />

Hitliste: China | Aktien: Hewlett-Packard,<br />

Enagás | Zertifikat: Euro/Dollar Short |<br />

Anleihe: Norwegen | Investmentfonds:<br />

iShares MSCI World<br />

Perspektiven&Debatte<br />

116 Design Technische Innovationen erweitern<br />

die Gestaltungsmöglichkeiten<br />

118 Kost-Bar<br />

Rubriken<br />

3 Einblick, 120 Leserforum,<br />

121 Firmenindex | Impressum, 122 Ausblick<br />

n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche<br />

weltweit auf iPad oder iPhone:<br />

Diesmal mit Video-Porträts über<br />

die Gewinner des Deutschen<br />

Innovationspreises <strong>2014</strong>.<br />

Und wie manche<br />

Menschen einfach ihre<br />

eigene Ersatzwährung<br />

drucken.<br />

wiwo.de/apps<br />

n Afghanistan Rund zwölf Millionen<br />

Afghanen sind jetzt dazu aufgerufen,<br />

einen neuen Präsidenten zu wählen.<br />

Das Land steht vor einer unsicheren<br />

Zukunft. wiwo.de/afghanistan<br />

facebook.com/<br />

wirtschaftswoche<br />

twitter.com/<br />

wiwo<br />

plus.google.com/<br />

+wirtschaftswoche<br />

FOTOS: VARIO IMAGES, STEFAN THOMAS KROEGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, BILDFOLIO/BERT BOSTELMANN,<br />

ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; ILLUSTRATION: KARSTEN PETRAT<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 5<br />

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Seitenblick<br />

Der Marsionar<br />

Elon Musk | Kein anderer Unternehmer packt so viele Projekte<br />

an, die als unmöglich gelten. Sein größtes Ziel: Flug zum Mars.<br />

1<br />

3<br />

5<br />

Zip2<br />

Gründung: 1995<br />

Die Innovation: Zip2 war ein<br />

Online-Stadtführer. 1999 kaufte<br />

ihn der PC-Bauer Compaq für 3<strong>07</strong><br />

Millionen Dollar. Musk kassierte<br />

davon 22 Millionen Dollar.<br />

1|PayPal<br />

Gründung: 1999 als X.com<br />

Die Innovation: Musk erfand eine<br />

Methode, mit der sich per E-Mail-<br />

Adresse Geld transferieren lässt.<br />

2000 taufte er die Firma PayPal.<br />

Ebay kaufte PayPal 2002 für 1,5<br />

Milliarden Dollar.<br />

2|SpaceX<br />

Gründung: 2002<br />

Die Innovation: SpaceX ist ein privates<br />

Raumfahrtunternehmen, das<br />

wiederverwendbare Raketen und<br />

Raumkapseln baut und betreibt.<br />

Musk transportiert etwa Vorräte<br />

zur Weltraumstation ISS.<br />

Im Herbst will er die<br />

bisher größte<br />

Rakete der Welt<br />

starten. Ultimatives<br />

Ziel: der<br />

Mars.<br />

+ Zum Starten der Videos<br />

die QR-Codes mit dem<br />

Smartphone scannen<br />

2<br />

4<br />

3|Tesla Motors<br />

Gründung: 2003<br />

Die Innovation: Musk entwickelte<br />

den ersten in Serie gebauten<br />

Elektrosportwagen der Welt. 2008<br />

führte er den Tesla Roadster ein.<br />

In vielen amerikanischen Städten<br />

hat Teslas neue E-Limousine<br />

Model S bei den Verkäufen BMW<br />

und Mercedes überholt.<br />

4|SolarCity<br />

Gründung: 2006<br />

Die Innovation: SolarCity installiert<br />

Solaranlagen. Musk bietet US-Kunden<br />

ein Rundum-sorglos-Paket. Sie<br />

zahlen nur den Strom, Installation<br />

und Wartung sind inklusive. Solar-<br />

City schloss dafür Finanzkooperationen<br />

mit Banken und Google ab.<br />

5|Hyperloop<br />

Idee: 2011<br />

Die Innovation: ein Transportsystem<br />

schneller und billiger als Bahn<br />

und Flugzeug. In einer fast luftleeren<br />

Röhre sollen Wagen auf 1220<br />

Stundenkilometer beschleunigen.<br />

Gigafactory<br />

Vorgestellt: <strong>2014</strong><br />

Die Innovation: Die weltgrößte<br />

Batteriefabrik soll 2020 in Betrieb<br />

gehen. Kosten: 5 Milliarden Dollar.<br />

6 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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MUSK, 42<br />

Schon mit zwölf Jahren programmierte<br />

der gebürtige<br />

Südafrikaner ein Videospiel.<br />

Später studierte er im kanadischen<br />

Ontario und an der<br />

amerikanischen University of<br />

Pennsylvania Wirtschaft und<br />

Physik. In Stanford wollte er<br />

promovieren, warf aber hin,<br />

um ein Start-up zu gründen. Er<br />

leitet heute Tesla und SpaceX<br />

und ist Mitglied der Mars-Society,<br />

ihr Ziel ist die Kolonialisierung<br />

des roten Planeten.<br />

FOTOS: PHOTO BY BENJAMIN LOWY/CONTOUR BY GETTY IMAGES, DDP IMAGES (2), AGENTUR FOCUS/SPL, PR (2)<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 7<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

Untersuchung zog<br />

sich monatelang hin<br />

Zalando-Chefs<br />

Rubin Ritter,<br />

David Schneider,<br />

Robert Gentz<br />

ZALANDO<br />

Heiße Sohle<br />

Wegen zu hoher Chrom-VI-Werte in<br />

Schuhen prüft das Management des<br />

Online-Händlers einen Produkt-Rückruf<br />

und muss Informationspannen beheben.<br />

Der Berliner Online-Modehändler Zalando prüft<br />

den Rückruf von mehreren Schuhmodellen. Nach<br />

Informationen der WirtschaftsWoche wurden bei<br />

einer amtlichen Analyse der Schuhe durch das Landeslabor<br />

Berlin-Brandenburg teilweise deutlich erhöhte<br />

Werte der Chemikalie Chrom VI festgestellt.<br />

Der Stoff kann lebenslange Allergien auslösen. Bei<br />

den überprüften Schuhen wurde die zulässige<br />

Höchstgrenze teilweise um mehr als das 13-Fache<br />

überschritten. Betroffen sind einzelne Damenschuhmodelle<br />

der Zalando-Eigenmarken „Zign“,<br />

„Pier One“, „Taupage“ und „Zalando Collection“.<br />

Sie sollen von Herstellern aus Italien, Spanien und<br />

Taiwan stammen. Das zuständige Veterinär- und<br />

Lebensmittelamt Teltow-Fläming teilte Zalando in<br />

einem Schreiben <strong>vom</strong> 24. März mit, dass die beanstandeten<br />

„Artikel nicht in den Verkehr gebracht<br />

werden“ dürfen.<br />

„Wir haben unverzüglich alle Vorkehrungen für<br />

einen Rückruf eingeleitet“, sagt ein Zalando-Sprecher<br />

dazu. Derzeit würden die Ergebnisse einer<br />

toxikologischen Analyse abgewartet, die Anfang<br />

der Woche vorliegen soll. Sollte der Befund eine<br />

Gesundheitsgefahr belegen, „werden wir Kunden<br />

sofort um Rücksendung der Produkte bitten und<br />

das Geld erstatten“. Insgesamt wurden von Zalando<br />

rund 1500 Schuhpaare der beanstandeten Modelle<br />

verkauft. Inzwischen sei deren Vertrieb gestoppt<br />

worden, die Modelle im Lagerbestand seien identifiziert<br />

worden, sagt der Firmensprecher. Intern gilt<br />

das Auffinden der Restposten jedoch als schwierig.<br />

Chrom VI wird häufig in Lederprodukten nachgewiesen.<br />

In der Branche wirft deshalb weniger der<br />

mögliche Rückruf als der zeitliche Ablauf Fragen<br />

auf. So wurden die entsprechenden Proben schon<br />

vor einem halben Jahr im Zalando-Outlet in Berlin<br />

entnommen. Die anschließenden Untersuchungen<br />

zogen sich über Monate hin, zudem wechselten die<br />

Zuständigkeiten zwischen Ämtern in Berlin und<br />

Brandenburg. Heikel ist der Vorgang aber vor allem<br />

für Zalando: In der Regel lassen Bekleidungshändler<br />

und -hersteller bereits parallel zu den amtlichen<br />

Untersuchungen Gegenproben der Waren testen –<br />

auch um Kunden möglichst rasch informieren zu<br />

können. Bei Zalando lief es in diesem Fall anders:<br />

So sollen Informationen über die Kontrollen weder<br />

von den Outlet-Mitarbeitern noch <strong>vom</strong> Lager, aus<br />

dem das Outlet beliefert wird, an die Zentrale in<br />

Berlin weitergeleitet worden sein. Darum hätten im<br />

Vorfeld keine eigenen Untersuchungen stattgefunden,<br />

so ein Zalando-Sprecher. „In Zukunft wird das<br />

Führungspersonal im Outlet und im Logistikzentrum<br />

auf die korrekte Weiterleitung sensibilisiert.“<br />

henryk.hielscher@wiwo.de<br />

Gefährliche Produkte<br />

Anteil derWarengruppen<br />

an den EUweiten<br />

Warnmeldungen<br />

(in Prozent)<br />

Bekleidung,<br />

Textilien und<br />

Schuhe<br />

Spielzeug<br />

Elektrogeräte<br />

Fahrzeuge<br />

Kosmetika<br />

Sonstiges<br />

4<br />

8<br />

11<br />

19<br />

Quelle: EU-Kommission, Rapex,<br />

Stand: 2012<br />

34<br />

24<br />

8 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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FOTOS: PR, HERMANN BREDEHORST, GETTY IMAGES/WIRE IMAGES/TIM MOSENFELDER<br />

AIR BERLIN<br />

Gegenwind aus Brüssel<br />

Etihad-Chef James Hogan muss<br />

wohl seinen Plan zu Air Berlin<br />

ändern. Die Bundesregierung<br />

hat ihm trotz intensiver Fürsprache<br />

von Lobbyisten bisher<br />

nicht zugestimmt. Die EU-<br />

Kommission hat eine formelle<br />

Untersuchung der Etihad-<br />

Beteiligungen eingeleitet.<br />

Schon Anfang der Woche hatte<br />

Matthias Ruete, in der EU-Kommission<br />

Generaldirektor Transport,<br />

schärfere Kontrollen von<br />

Expansionsplänen der Fluggesellschaften<br />

gefordert. „Es gab<br />

in den vergangenen Jahren einige<br />

Fälle, in denen wir die Staaten<br />

warnen mussten. Darum<br />

ziehen wir jetzt die Daumenschrauben<br />

an“, sagte Ruete am<br />

Rande einer Veranstaltung.<br />

Die Mehrheit einer europäischen<br />

Fluggesellschaft muss bei<br />

europäischen Investoren liegen.<br />

Die arabische Fluggesellschaft<br />

Etihad will deshalb ihren<br />

Anteil an Air Berlin nur von<br />

knapp 30 auf 49 Prozent aufstocken.<br />

Die anderen Anteile sollen<br />

deutsche Altaktionäre halten<br />

halten, die der Fluglinie aus<br />

Abu Dhabi wohlgesonnen sind,<br />

Etihad baut auf ihn<br />

Ex-Air-Berlin-Chef Hunold<br />

darunter Ex-Air-Berlin-Chef<br />

Joachim Hunold, Hans-Joachim<br />

Knieps, Severin Schulte<br />

<strong>vom</strong> Hausgerätehersteller Severin<br />

und der Reisekonzern TUI.<br />

Ob das Konzept aufgeht, ist<br />

fraglich. Schon warnt die EU-<br />

Kommission, eine Übernahme<br />

sei auch dann zu untersagen,<br />

wenn ein Minderheitseigentümer<br />

im Alltagsgeschäft faktisch<br />

die Kontrolle ausübe. Das ist<br />

laut EU-Verordnung 1008 etwa<br />

dann der Fall, wenn dieser Anteilseigner<br />

das Unternehmen<br />

spürbar mitfinanziere und darüber<br />

hinaus eine Änderung<br />

der Strategie zu seinen Gunsten<br />

herbeiführt.<br />

ruediger.kiani-kress@wiwo.de<br />

Aufgeschnappt<br />

Musik I Die US-Sängerin Miley<br />

Cyrus zeigt gern ihre Zunge,<br />

doch bald streckt ihr wohl Wladimir<br />

Putin seine Zunge heraus.<br />

Im Mai und Juni<br />

wollte Cyrus<br />

in Finnland<br />

mit Stars wie<br />

Justin Timberlake<br />

auftreten. Die<br />

ausverkauften<br />

Konzerte könnten<br />

jedoch<br />

Opfer der US-<br />

Sanktionen<br />

gegen Russland<br />

werden – die<br />

Halle gehört drei<br />

Russen, die auf<br />

Obamas Schwarzer<br />

Liste stehen.<br />

Musik II Der Wu-Tang Clan<br />

gehört zu den bekanntesten<br />

Hip-Hop-Gruppen. Vom neuem<br />

Album gibt es aber nur ein<br />

Exemplar, es soll in einer silbernen<br />

Schatulle für mehrere Millionen<br />

Dollar verkauft werden.<br />

Sonst wird das Werk nur live in<br />

Museen und Galerien zu hören<br />

sein. Wohl per Kopfhörer, damit<br />

keine Kopien entstehen. Das<br />

soll die Debatte über den Wert<br />

von Musik befeuern – und ist<br />

cleveres Marketing für ein weiteres<br />

Album im Sommer.<br />

PWC<br />

Mehr Jobs<br />

Wirtschaftsprüfer Norbert<br />

Winkeljohann und Unternehmensberater<br />

Klaus-Peter<br />

Gushurst gehen gemeinsam<br />

auf Klientenfang. Das weltgrößte<br />

Prüfernetzwerk PwC mit<br />

rund 190 000 Mitarbeitern<br />

schluckt das Beratungshaus<br />

Booz & Co. mit 3000 Mann,<br />

weil das klassische Geschäft<br />

mit den jährlichen Bilanzchecks<br />

stark unter Preisdruck<br />

steht. „Zusammen wollen wir<br />

auf dem deutschen Markt deutlich<br />

über 500 Millionen Euro<br />

Beratungsumsatz jährlich erzielen“,<br />

sagt PwC-Deutschland-<br />

Chef Winkeljohann. PwC erzielte<br />

hierzulande zuletzt 357<br />

Millionen Euro Beratungsumsatz,<br />

Booz veröffentlicht keine<br />

Zahlen. Weltweit machen beide<br />

zehn Milliarden Dollar Umsatz<br />

mit Beratung.<br />

Der Prüfungsriese will im<br />

kommenden Geschäftsjahr in<br />

Deutschland 1050 neue Mitarbeiter<br />

einstellen. Die Ex-Booz-<br />

Leute führt PwC in einem<br />

Schwesterunternehmen erst<br />

mal an der langen Leine. Das<br />

soll den Strategievordenkern eine<br />

Kollision mit den bürokratieaffinen<br />

PwC-Prüfern ersparen.<br />

mark.fehr@wiwo.de | Frankfurt<br />

Wo die Deutschen ins Schwitzen kommen<br />

Die führenden Fitness-Studios<br />

in Deutschland*<br />

Alter der Studiokunden<br />

in Deutschland*<br />

27,7 %<br />

22,6%<br />

20,3%<br />

12,0%<br />

8,4% 9,1%<br />

Studiokette:<br />

Mitglieder:<br />

Anlagen:<br />

McFit Fitness First clever fit Kieser Training Injoy<br />

10<strong>04</strong>000 270000 245000 236000 2<strong>04</strong>000<br />

161 88 149 115 160<br />

unter 19<br />

20–29 30–39 40–49 50–59 über 60<br />

Jahre<br />

*2013; Quelle: Deloitte, DSSV, DHfPG<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 9<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

FLOSKELCHECK<br />

Kreativität<br />

Ursprünglich war<br />

Kreativität ein exklusiv<br />

dem Allmächtigen<br />

vorbehaltenes Talent,<br />

das zunächst nur auf<br />

die Genies der schönen<br />

Künste überging.<br />

Inzwischen gehört es<br />

bekanntlich schon zum<br />

Regelanforderungsprofil<br />

eines jeden<br />

Ferienpraktikanten.<br />

Der Schöpfergeist jeder<br />

menschlichen Kreatur<br />

ist folglich heute nicht<br />

mehr gefährliche<br />

Gotteslästerung,<br />

sondern – namentlich<br />

für Steuerjuristen –<br />

eine elementare<br />

Grundlage der<br />

ökonomischen<br />

Existenz in unserer<br />

fortschrittlichen<br />

Zivilisation.<br />

DER FLOSKELCHECKER<br />

Carlos A. Gebauer, 49,<br />

arbeitet als Rechtsanwalt in<br />

Düsseldorf, wurde auch als<br />

Fernsehanwalt von RTL und<br />

SAT.1 bekannt.<br />

INTERVIEW Konstantin Guericke<br />

»Deutschland ist<br />

nicht der beste Markt«<br />

Der LinkedIn-Gründer kritisiert die starke<br />

Fokussierung deutscher Start-ups auf ihre Heimat.<br />

Staatliche Hilfen hält er für wenig effektiv.<br />

Herr Guericke, Deutschland<br />

hinkt dem Silicon Valley hinterher.<br />

Was muss die Bundesregierung<br />

tun, damit es hier mehr<br />

erfolgreiche Start-ups gibt?<br />

Ich glaube gar nicht, dass die<br />

Politik eine große Rolle spielt.<br />

Jedes Jahr werden zwei oder<br />

drei richtig gute Firmen gegründet,<br />

egal, welche Förderprogramme<br />

aufgelegt werden.<br />

Eine steuerliche Förderung für<br />

Risikokapitalgeber würde also<br />

nicht viel bringen?<br />

Die zwei guten Ideen gibt es<br />

auch ohne Steuererleichterungen.<br />

Und wenn Sie die als Investor<br />

finden, ist es auch egal, wie<br />

viel Steuern Sie dabei zahlen.<br />

Woran machen Sie die zwei<br />

guten Ideen fest?<br />

Die Messlatte ist eine Bewertung<br />

von einer Milliarde Dollar.<br />

Werden Sie fündig? Zuletzt<br />

wurde diskutiert, ob die<br />

Berliner Start-ups nur ein<br />

Hype sind?<br />

Sicher gibt es noch keinen Welterfolg<br />

aus Berlin. Doch einige<br />

haben das Potenzial dazu.<br />

Soundcloud oder 6Wunderkinder.<br />

Deren App Wunderlist hat<br />

inzwischen mehr Nutzer in den<br />

USA als in Deutschland.<br />

Trotzdem bezweifeln manche,<br />

dass diese Unternehmen viel<br />

Geld verdienen können.<br />

Es ist eine Grundsatzdiskussion,<br />

ob man erst versucht, viele<br />

Nutzer zu bekommen oder diese<br />

gleich zu monetarisieren.<br />

Was raten Sie?<br />

Es gibt keine eindeutige Antwort.<br />

Deutsche versuchen früher,<br />

Geld zu verdienen. Das<br />

kann das Wachstum bremsen,<br />

wie man bei Xing gesehen hat.<br />

Was unterscheidet die deutschen<br />

noch von US-Start-ups?<br />

Hier sind die Teams schon in<br />

der Frühphase sehr groß, auch<br />

weil Arbeitskräfte in Städten<br />

wie Berlin günstiger sind.<br />

Doch WhatsApp oder Instagram<br />

haben gezeigt, dass man<br />

nur einige gute Ingenieure<br />

braucht. Dafür sollten die Startups<br />

nicht so mit Aktienoptionen<br />

geizen.<br />

DER NETZWERKER<br />

Guericke, 46, war 2002 Mitgründer<br />

des Business-Netzwerks<br />

LinkedIn und dort bis 2006 Marketing-Chef.<br />

Er ist nun Partner<br />

der Berliner Wagniskapitalgesellschaft<br />

Earlybird, die er<br />

schon seit zwei Jahren berät.<br />

Warum?<br />

In den USA hat jeder Optionen,<br />

hier haben es oft nur die Gründer<br />

und Geschäftsführer. Doch<br />

dann benehmen sich die Mitarbeiter<br />

auch wie Mitarbeiter und<br />

nicht wie Miteigentümer.<br />

Liegt das daran, dass es hier<br />

weniger Börsengänge gibt?<br />

Vor allem an der Größe der<br />

Exits, das kann ja auch ein Verkauf<br />

sein. Wenn Gründer davon<br />

ausgehen, dass am Ende dabei<br />

20 oder 30 Millionen herauskommen,<br />

muss natürlich der eigene<br />

Anteil größer sein, damit<br />

es sich lohnt. Wobei man auch<br />

sagen muss, dass sich Start-ups<br />

finanziell nicht lohnen. Die<br />

Chancen, dass es sich auszahlt,<br />

sind gering. Wem es ums Geldverdienen<br />

geht, der sollte also<br />

eher in den Finanzsektor oder<br />

zu Dax-Konzernen gehen.<br />

In welchen Bereichen suchen<br />

Sie derzeit Investments?<br />

Wir gucken nicht nach Segmenten,<br />

die Dichte der Start-ups ist<br />

einfach noch nicht so hoch,<br />

dass man sich das leisten kann.<br />

Viele fokussieren sich auch zu<br />

stark auf Deutschland. Damit<br />

zieht man einen leichten Markt<br />

vor und schiebt den schwierigsten<br />

vor sich her. Der ist dann oft<br />

kaum noch zu erobern.<br />

Gründer sollten also gleich die<br />

USA anpeilen?<br />

Man muss dahin gehen, wo der<br />

Markt am bereitesten ist, alles<br />

andere ist Zeitverschwendung.<br />

Außerdem ist Deutschland<br />

nicht der beste Markt, um mit<br />

Neuerungen zu starten. Die<br />

Konsumenten hier sind eher<br />

zögerlich. Sie fragen erst, ob<br />

man neue Produkte wirklich<br />

braucht, oder haben Bedenken<br />

wegen der Privatsphäre. Ich suche<br />

daher Start-ups mit globalen<br />

Ambitionen.<br />

Und wann kommt endlich<br />

ein großer Exit aus Deutschland?<br />

Da muss man Geduld haben,<br />

vieles wird man erst in fünf oder<br />

auch zehn Jahren sehen. Auch<br />

bei LinkedIn hat es bis zum Börsengang<br />

zehn Jahre gedauert.<br />

oliver.voss@wiwo.de<br />

ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER; FOTO: PR<br />

10 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

DEUTSCHE BÖRSE<br />

Spur führt zu Gaddafi<br />

Geschäfte mit dem Iran haben<br />

Reto Francioni, dem Chef der<br />

Deutschen Börse, neuen Ärger<br />

in den USA eingehandelt. Die<br />

Börsentochter Clearstream soll<br />

2008 US-Sanktionen umgangen<br />

haben, indem sie Wertpapiere<br />

der iranischen Zentralbank im<br />

Wert von mehreren Milliarden<br />

Dollar auf ein Konto bei einer<br />

europäischen Bank transferiert<br />

hat. Die Staatsanwaltschaft in<br />

New York hat strafrechtliche Ermittlungen<br />

eingeleitet. Sie prüfe<br />

mögliche Verstöße gegen Geldwäsche-<br />

und Sanktionsvorschriften,<br />

teilte die Börse mit.<br />

Nach Informationen der<br />

WirtschaftsWoche handelt es<br />

sich bei dem europäischen Institut<br />

um die italienisch-libysche<br />

Bank UBAE. Das bestätigte<br />

ein Insider, die Börse wollte sich<br />

nicht äußern, UBAE hat Fragen<br />

MIETWAGEN<br />

Streit um<br />

Smarts<br />

Daimler war begeistert. Schon<br />

im Dezember investierte der<br />

Autokonzern über seine Tochter<br />

Daimler Mobility Services<br />

einen zweistelligen Millionenbetrag<br />

in das junge Berliner<br />

Mietwagen-Unternehmen<br />

Blacklane. Berlins Taxifahrer<br />

beschimpfen es jetzt als<br />

„Drecksfirma“. Grund ist die<br />

jüngste Idee der beiden Firmengründer<br />

Jens Wohltorf<br />

und Frank Steuer. Sie bieten<br />

nicht nur Limousinen mit<br />

Chauffeur an, sondern neuerdings<br />

auch Smarts – selbstverständlich<br />

mit Fahrer.<br />

Die Konkurrenten werfen<br />

den Jungunternehmern Rechtsbruch<br />

vor. Denn laut Verordnung<br />

müssen Taxis und Mietwagen<br />

auf der rechten Seite<br />

mindestens zwei Türen haben.<br />

Ärger in den USA<br />

Börsenchef Francioni<br />

der WirtschaftsWoche nicht beantwortet.<br />

UBAE sitzt in Rom,<br />

gehört aber bis heute über die<br />

Libyan Foreign Bank mehrheitlich<br />

der libyschen Zentralbank.<br />

Die galt als Privatbank des Ex-<br />

Diktators Muammar al-Gaddafi,<br />

der 2011 ermordet wurde.<br />

Clearstream ist ein Zentralverwahrer,<br />

der Konzern lagert<br />

für Banken Wertpapiere und<br />

rechnet Handelsgeschäfte ab.<br />

Taxifahrer in Aufruhr<br />

Gründer Steuer und Wohltorf<br />

Clearstream musste Beziehungen<br />

zu iranischen Kunden aufgrund<br />

schärferer US-Sanktionen<br />

gegen das Regime<br />

aufgeben. Dabei könnte die Börsentochter<br />

Fehler gemacht haben.<br />

„Dieses neue Konto hat der<br />

iranischen Zentralbank weiterhin<br />

Zugriff auf die Wertpapiere<br />

über Clearstreams Konten in<br />

den USA ermöglicht“, heißt es<br />

beim Office of Foreign Assets<br />

Control (OFAC), das für die US-<br />

Regierung ausländische Konten<br />

überwacht. Clearstream müsse<br />

gewusst haben, dass die iranische<br />

Zentralbank die wirtschaftliche<br />

Berechtigung an den Papieren<br />

behalten habe.<br />

Eigentlich hatte die Börse den<br />

Fall im Januar für abgeschlossen<br />

erklärt. Clearstream hatte einen<br />

Vergleich mit dem OFAC geschlossen<br />

und knapp 152 Millionen<br />

Dollar gezahlt. Mit dem<br />

Vergleich aber gilt Clearstream<br />

nicht als rechtskräftig verurteilt.<br />

annina.reimann@wiwo.de | Frankfurt<br />

Brandenburg bleibt nicht untätig:<br />

Er bildet seine Mitglieder<br />

seit Kurzem zu VIP-Fahrern<br />

aus; sie sollen freundlicher<br />

sein. Zudem fordert Verbandsvorstand<br />

Boto Töpfer das Landesamt<br />

auf, die Mietwagen<br />

schärfer zu kontrollieren. Deren<br />

Fahrer dürfen nämlich<br />

nicht nach Fahrgästen am Straßenrand<br />

Ausschau halten – es<br />

sei denn, sie erhalten unterwegs<br />

per Telefon einen Auftrag.<br />

Genau das ermöglicht Blacklane<br />

mit seiner App.<br />

jens.toennesmann@wiwo.de<br />

DREI FRAGEN...<br />

...zur Energiewende<br />

Andreas<br />

Löschel<br />

42, Chef der<br />

Monitoring-<br />

Kommission<br />

Energiewende<br />

der Regierung<br />

Das Start-up beruft sich indes<br />

auf eine Sondergenehmigung<br />

des Berliner Landesamts für<br />

Bürger- und Ordnungsangelegenheiten:<br />

„Wir haben eine<br />

Ausnahme genehmigt, weil<br />

Smarts bauartbedingt keine<br />

Rücksitzbank aufweisen und<br />

deswegen alle Fahrgäste die<br />

Fahrzeuge sicher besteigen und<br />

verlassen können – auch ohne<br />

zweite Tür auf der rechten Seite.“<br />

Der Taxiverband Berlinn<br />

Bund und Länder haben<br />

sich auf Abstriche bei der<br />

Förderung erneuerbarer<br />

Energien geeinigt. Ist das<br />

sinnvoll?<br />

Das Ziel war, den Umbau der<br />

Energieversorgung effizienter<br />

zu gestalten. Das ist richtig, es<br />

wurde aber vieles aufgeweicht.<br />

Jede Energieart wird<br />

speziell gefördert. Ziel muss<br />

aber sein, die Erneuerbaren<br />

rasch an den Markt zu bringen<br />

und alles besser mit dem<br />

Netzausbau zu verbinden. Es<br />

wird sonst schlicht zu teuer.<br />

n Strom wird noch teurer?<br />

Die Kosten für Endverbraucher<br />

steigen seit zehn Jahren,<br />

und alle Indikatoren zeigen<br />

weiter stark nach oben. Die<br />

Dynamik wird nur etwas abgeflacht.<br />

Die Strompreise werden<br />

wieder nach oben gehen,<br />

wenn die Windparks auf See<br />

ans Netz gehen oder wenn<br />

herkömmliche Kraftwerke<br />

umfassender gefördert werden<br />

sollten. Auch der Netzausbau<br />

wird noch teuer. Bei<br />

der Umlage für Erneuerbare<br />

ist nicht bei sechseinhalb Cent<br />

Schluss. Die könnte in fünf<br />

Jahren um zwei Cent steigen.<br />

n Was muss die Regierung<br />

jetzt vorrangig für die Energiewende<br />

tun?<br />

Es fehlt die langfristige Perspektive.<br />

Wo will man in zehn<br />

Jahren hin? Sinnvoll wäre,<br />

erneuerbaren Energien eine<br />

einheitliche, fixe Prämie auf<br />

den Strompreis zuzugestehen.<br />

Dann bestehen die, die<br />

am ehesten marktfähig sind.<br />

(Siehe auch Seite 66.)<br />

cordula.tutt@wiwo.de | Berlin<br />

FOTOS: CORBIS/HORACIO VILLALOBOS, PR<br />

12 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

PIRATENSCHUTZ<br />

Ex-Chef von<br />

Karstadt geht<br />

Es war ein kurzes Engagement:<br />

Im vergangenen Jahr beteiligte<br />

sich der frühere KarstadtQuelle-Chef<br />

Wolfgang Urban über<br />

die Gesellschaft Fris Investment<br />

an dem deutschen Sicherheitsunternehmen<br />

SeaControl 360°,<br />

das Schiffe und Offshore-Anlagen<br />

vor Piraten schützen will.<br />

„Wir wollen Marktführer in<br />

Deutschland werden“, kündigte<br />

Geschäftsführer Marcus Ryll im<br />

Januar an. Jetzt zieht sich Urban<br />

wieder zurück. Das Darlehen<br />

von 280 000 Euro, das er Sea-<br />

Control gewährte, lässt er stehen.<br />

„Ich betrachte mich als<br />

Business Angel“, sagt Urban.<br />

Er hat sich aber die Option<br />

gesichert, im nächsten Jahr<br />

wieder einzusteigen, wenn das<br />

Geschäft läuft. Derzeit baut Ryll<br />

das Unternehmen um, will von<br />

Cuxhaven nach Berlin umziehen<br />

und einen Nachfolger als<br />

Geschäftsführer einstellen.<br />

SeaControl 360° gehört jetzt<br />

der MR Handelsgesellschaft.<br />

Hinter ihr stehen Ryll und<br />

Thorsten Mehles. Beide arbeiteten<br />

schon beim Sicherheitsunternehmen<br />

Prevent zusammen,<br />

das wegen seiner Ermittlungsmethoden<br />

bei der HSH Nordbank<br />

in die Kritik geraten war.<br />

hermann.olbermann@wiwo.de<br />

NESTLÉ<br />

Teekapseln<br />

weggeräumt<br />

Kaffee in Kapseln war für Nestlé<br />

eine der lukrativsten Neuheiten<br />

der letzten Jahre. Der Versuch,<br />

den Erfolg mit Tee zu wiederholen,<br />

gestaltet sich jedoch<br />

schwieriger. Vor anderthalb<br />

Jahren wurden in Deutschland<br />

unter der Marke Special.T Maschinen<br />

eingeführt, die Tee in<br />

Kapseln zubereiten. Doch im<br />

<strong>07</strong>.<strong>04</strong>. Indien Rund 814 Millionen Inder sind von Montag<br />

an aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Sie<br />

haben dafür bis zum 12. Mai Zeit. Erst dann schließen<br />

die Wahllokale. In einem Punkt sind sich die<br />

meisten Inder einig: Das Land muss sich ändern.<br />

08.<strong>04</strong>. Bundeshaushalt Der Bundestag berät am Dienstag<br />

in erster Lesung den Bundeshaushalt <strong>2014</strong>. Er<br />

sieht <strong>Ausgabe</strong>n des Bundes von 298,5 Milliarden<br />

Euro vor und eine Nettokreditaufnahme von 6,5<br />

Milliarden Euro.<br />

Konjunktur Der Internationale Währungsfonds<br />

veröffentlicht seinen halbjährlichen Ausblick auf<br />

die Weltwirtschaft. Im Januar prognostizierte er für<br />

<strong>2014</strong> ein Wachstum von 3,7 Prozent und für 2015<br />

ein Plus von 3,9 Prozent.<br />

Vorratsspeicherung Der Europäische Gerichtshof<br />

entscheidet, ob die Daten von Telefon- und Internet-Verbindungen<br />

der Bürger ohne konkreten Anlass<br />

gespeichert werden dürfen.<br />

09.<strong>04</strong>. Energiewende EU-Wettbewerbskommissar legt<br />

am Mittwoch Leitlinien für Energie und Klimaschutz<br />

vor. Sie geben auch Aufschluss darüber,<br />

welche Unternehmen <strong>vom</strong> Aufschlag zur Subventionierung<br />

des Ökostroms befreit werden dürfen.<br />

13.<strong>04</strong>. Klimawandel Der Weltklimarat IPCC präsentiert<br />

am Sonntag den dritten Teil des neuen Weltklimaberichts.<br />

Darin will er Maßnahmen gegen den Klimawandel<br />

aufzeigen. Der erste Teil des Berichts<br />

erschien im September, der zweite im März.<br />

vergangenen Monat sind die<br />

Werbe- und Verkaufsflächen in<br />

den hiesigen Nespresso-Läden<br />

verschwunden. Sie seien nur für<br />

eine begrenzte Zeit geplant gewesen,<br />

erklärt Nestlé, Special.T<br />

werde nur im Internet verkauft.<br />

Doch nur rund 15 000 Personen<br />

besuchen nach Zahlen des<br />

Online-Marktforschers Similar<br />

Web monatlich die deutsche<br />

Special.T-Seite. „Wir<br />

sind sehr zufrieden<br />

mit<br />

der Nachfrage<br />

in<br />

TOP-TERMINE VOM <strong>07</strong>.<strong>04</strong> BIS 13.<strong>04</strong>.<br />

Deutschland“, meint dagegen<br />

Nestlé. Zum Start hatte Special.T-Chef<br />

Pascal Lebailly als<br />

Ziel einen Marktanteil von einem<br />

Prozent ausgerufen. Wirtschaftlich<br />

hat das Geschäft für<br />

Nestlé offenbar keine große Bedeutung.<br />

Während der Konzern<br />

im Geschäftsbericht regelmäßig<br />

das Wachstum von Nespresso<br />

feiert, wurde Special.T<br />

in den vergangenen<br />

beiden Jahresberichten<br />

mit keinem<br />

Wort erwähnt.<br />

oliver.voss@wiwo.de<br />

VOLKSWAGEN<br />

Vergiftete<br />

Subventionen<br />

Das Bemühen von Volkswagen,<br />

im US-Werk Chattanooga einen<br />

Betriebsrat zu installieren, löst<br />

politische Turbulenzen aus.<br />

Tennessees Gouverneur Bill<br />

Haslam, ein vehementer<br />

Gewerkschaftsgegner, hat versucht,<br />

VW mit einem 300 Millionen<br />

Dollar schweren Subventionsprogramm<br />

umzustimmen.<br />

Das geht aus einem vertraulichen<br />

Papier hervor, das der<br />

WirtschaftsWoche vorliegt.<br />

„Die Subventionen sind davon<br />

abhängig“, heißt es dort,<br />

„dass die Diskussionen zwischen<br />

dem Bundesstaat Tennessee<br />

und Volkswagen über einen<br />

Betriebsrat im Sinne des<br />

Hilfe bei Verzicht auf Betriebsrat<br />

US-Gouverneur Haslam<br />

Bundesstaates abgeschlossen<br />

werden.“<br />

Die Einmischung des Gouverneurs<br />

könnte zur Folge haben,<br />

dass die Entscheidung der<br />

VW-Mitarbeiter gegen einen<br />

Betriebsrat im Februar ungültig<br />

war. Darüber urteilt ein US-Gericht<br />

am 21. April. VW rechnet<br />

fest mit den Subventionen. Benötigt<br />

werden sie für den Ausbau<br />

der Werkskapazität von<br />

140 000 auf 200 000 Fahrzeuge<br />

pro Jahr und für den Bau eines<br />

neuen Geländewagens. Bis Ende<br />

2016 könnten so über 1000<br />

neue Arbeitsplätze entstehen.<br />

martin.seiwert@wiwo.de | New York<br />

FOTOS: LAIF/SAMUEL ZUDER, DDP IMAGES/USA TODAY, PR<br />

14 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

CHEFSESSEL<br />

START-UP<br />

KFW<br />

Ingrid Hengster, 53, gehört<br />

jetzt dem Vorstand der<br />

Staatsbank an und leitet das<br />

inländische Fördergeschäft.<br />

Die langjährige Deutschland-Chefin<br />

der Royal Bank<br />

of Scotland ist eine der wenigen<br />

Frauen in einer Top-<br />

Position am Frankfurter<br />

Finanzplatz. Die für ihre direkte<br />

Art geschätzte Österreicherin<br />

hat sich vor allem im<br />

Geschäft mit großen Unternehmen<br />

profiliert. Für die<br />

KfW soll sie Ex-Wirtschaftsminister<br />

Philipp Rösler begeistert<br />

haben. Auch wenn<br />

der heute nichts mehr zu<br />

sagen hat, stehen Hengsters<br />

Chancen gut, KfW-Chef<br />

Ulrich Schröder, 64, zu beerben,<br />

wenn er in Rente geht.<br />

FAIRTRADE<br />

DAIMLER<br />

Ernst Lieb, 59, ist zurück im<br />

Geschäft: Der ehemalige<br />

Chef von Mercedes-Benz<br />

North America hat sich in<br />

die Autohandelsgruppe<br />

Motorworld Australia eingekauft,<br />

die sich auf Fahrzeuge<br />

des Fiat-Konzerns spezialisiert<br />

hat. Daimler hatte Lieb vor drei<br />

Jahren gefeuert, weil er auf Konzernkosten<br />

seine Dienstvilla<br />

aufwendig umgebaut hatte.<br />

REEMTSMA<br />

Luc Hyvernat, 45, wird am 1.<br />

Mai Chef des Hamburger Zigarettenunternehmens.<br />

Bisher<br />

arbeitet er als Marketing-<br />

Direktor bei der britischen<br />

Muttergesellschaft Imperial<br />

Tobacco in Bristol. Hyvernat<br />

übernimmt den Posten von<br />

Marcus Schmidt, 47, der als<br />

Global Brand Director in die<br />

Imperial-Zentrale wechselte.<br />

CONSTANTIN MEDIEN<br />

Fred Kogel, 53, scheidet nach<br />

fünf Jahren aus dem Aufsichtsrat<br />

aus, den er leitete. Am 1. Oktober<br />

wechselt er als Chief Operating<br />

Officer in den Vorstand<br />

von Constantin Medien. Zusätzlich<br />

soll er als Chief Operating<br />

Officer den Bereich TV und<br />

New Business im Vorstand der<br />

Konzerngesellschaft Constantin<br />

Film leiten.<br />

EYEEM<br />

Markus Spiering, 36, verlässt<br />

Flickr. Der Dresdner leitete seit<br />

2011 den Fotodienst von Yahoo.<br />

Nun hat ihn das Berliner Startup<br />

EyeEm abgeworben, Spiering<br />

soll für den deutschen<br />

Instagram-Konkurrenten das<br />

US-Geschäft ausbauen.<br />

1,72 Euro<br />

gibt im Schnitt jeder Deutsche im Jahr für Produkte mit dem Fairtrade-Siegel<br />

aus. Es sichert den Erzeugern einen Mindestpreis zu.<br />

Führend in Europa sind die Schweizer mit 21,06 Euro pro Kopf<br />

und Jahr vor Großbritannien mit 11,57 und Österreich mit 6,36<br />

Euro. Das weltweit etablierteste Fairtrade-Produkt ist Kaffee.<br />

KINEMATICS<br />

Legosteine zum<br />

Leben erwecken<br />

Der Plastikhund lernt erstaunlich schnell. Matthias Bürger (Mitte)<br />

drückt den Knopf auf der Brust des Tieres, bewegt dessen Beine<br />

hin und her und dreht dann dessen Hinterbein nach oben. Dann<br />

stellt er das Spielzeug auf den Boden, drückt einen anderen Knopf,<br />

und der Hund wiederholt die Bewegungen. Tinkerbots nennen<br />

Leonhard Oschütz, Bürger und Christian Guder (von links) die<br />

lernfähigen Spielzeugroboter ihres Start-ups Kinematics. Aus den<br />

Steinen lassen sich immer wieder neue Figuren bauen, sie sind<br />

sogar mit Lego-Steinen kompatibel. „Man kann damit den Lego-<br />

Kasten zum Leben erwecken“, sagt Bürger. Ähnliches bietet Lego<br />

mit seiner Reihe Mindstorms zwar auch, aber die ist deutlich komplexer<br />

und richtet sich an Kinder ab zehn Jahren. „Und dann muss<br />

oft der Papa dafür sorgen, dass es sich bewegt“, sagt Bürger. Die<br />

Tinkerbots seien dagegen schon für Fünfjährige geeignet.<br />

Von Donnerstag an können Interessenten das Spielzeug der drei<br />

Jungunternehmer auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo bestellen,<br />

bis Weihnachten<br />

Fakten zum Unternehmen<br />

Preise geplant sind für die Einsteigersets:<br />

99 bis 159 Dollar<br />

Finanzierung ein einstelliger Millionenbetrag<br />

von Seven Ventures<br />

und Brandenburg; nun über<br />

Crowdfunding 100 000 Dollar<br />

soll es ausgeliefert werden.<br />

„Wir wollen zeigen,<br />

dass Leute bereit sind,<br />

dafür zu zahlen“, sagt Bürger.<br />

Wenn alles gutgeht,<br />

soll schon im kommenden<br />

Jahr die Serienfertigung<br />

starten.<br />

oliver.voss@wiwo.de<br />

FOTOS: PR, MAURITIUS IMAGES/IMAGEBROKER<br />

16 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />

Cornelia Rudloff-Schäffer<br />

Präsidentin des Deutschen Patentamtes<br />

Ob Airbag, MP3-Technik oder<br />

Fischer-Dübel – Erfindungen<br />

sind bei Cornelia Rudloff-<br />

Schäffer, 57, in sicheren<br />

Händen. Die Präsidentin des<br />

Deutschen Patent- und Markenamtes<br />

in München wacht<br />

über mehr als 570 000 Patente<br />

und knapp 790 000 Markenrechte.<br />

„Kreativität und Innovationskraft<br />

sind unsere Rohstoffe“,<br />

beschreibt die Juristin<br />

ihre Arbeit. In der Regalwand<br />

hinter dem Schreibtisch stehen<br />

übersichtlich aufgereiht Leitz-<br />

Ordner, gefüllt mit<br />

Papieren zum europäischen<br />

Patentrecht<br />

sowie zum<br />

Kunden- und Beschwerdemanagement.<br />

Nach dem<br />

Abitur studierte Rudloff-Schäffer<br />

in Mainz<br />

360 Grad<br />

In unseren App-<br />

<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />

Sie an dieser<br />

Stelle ein interaktives<br />

360°-Bild<br />

neben Jura noch Politik und<br />

Publizistik. Es folgten Stationen<br />

beim Münchner Max-Planck-<br />

Institut für internationales<br />

Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht<br />

und beim Bundesjustizministerium.<br />

Von dort<br />

wechselte sie in die Rechtsabteilung<br />

des Deutschen Patentund<br />

Markenamtes, dessen<br />

Leitung sie im Januar 2009<br />

übernahm – als erste<br />

Frau. „Die Möbel<br />

in meinem Büro<br />

stammen noch von<br />

meinem Vorgänger<br />

Jürgen Schade“, erzählt<br />

Rudloff-Schäffer.<br />

Das bronzene<br />

Pferd auf der Fensterbank<br />

schenkten ihr Mitarbeiter<br />

des Patentamtes in Peking.<br />

Rudloff-Schäffer hilft den Chinesen,<br />

oft als gnadenlose Kopierer<br />

geschmäht, beim Aufbau<br />

eines Patentwesens. Auch das<br />

bunte Bild an der Wand neben<br />

dem Schreibtisch stammt aus<br />

der Volksrepublik. Es ist ein<br />

Werk des chinesischen Künstlers<br />

Wang Yao. „Ich bin von<br />

vielen schönen und nützlichen<br />

Dingen umgeben“, schwärmt<br />

Rudloff-Schäffer. Aber auf eine<br />

Innovation wartet sie bisher<br />

vergeblich. „Am liebsten“, sagt<br />

sie, „würde ich ein Kaffeesahnedöschen<br />

patentieren, das<br />

beim Öffnen nicht spritzt.“<br />

ulrich.groothuis@wiwo.de<br />

FOTO: DIETER MAYR FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

18 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

INNOVATION | Das<br />

Wesen der Demokratie<br />

ist der Kompromiss.<br />

Das Wesen des Kompromisses<br />

ist die Unzulänglichkeit.<br />

Wofür<br />

es sich lohnen würde,<br />

mal eine Ausnahme<br />

zu machen.<br />

12 Ideen, die<br />

Deutschland<br />

weiterbringen<br />

1 2<br />

Lohnfortzahlung für Abgeordnete<br />

Kinderwahlrecht<br />

Seit Jahren wird der Deutsche Bundestag von wenigen Berufsgruppen<br />

dominiert und bildet nicht den Querschnitt der Bevölkerung<br />

ab. Führend ist der öffentliche Dienst, mit 30 Prozent der<br />

Abgeordneten dreimal so stark vertreten wie in der arbeitenden<br />

Bevölkerung. Weitere 17 Prozent kommen aus Organisationen<br />

wie Parteien und Gewerkschaften. Ein Grund: Die Bezahlung<br />

(derzeit 8252 Euro monatlich) ist für diese Berufsgruppen hoch<br />

attraktiv, für Unternehmer und Manager bedeutet sie dagegen<br />

Gehaltsverzicht. Deshalb wäre es besser, jeder Abgeordnete bekäme<br />

sein bisheriges Einkommen weiterbezahlt. Wegen des Geldes<br />

müsste dann keiner mehr in die Politik gehen, und Gutverdiener<br />

müssten sich das Mandat nicht als Hobby leisten. Um die<br />

Unterschiede nicht zu groß werden zu lassen, könnte ein Mindestbetrag<br />

festgesetzt werden – auch um die Empfänglichkeit<br />

für Bestechungen zu reduzieren. Vor drei Jahrzehnten machte<br />

sich der Abgeordnete Adolf Herkenrath (CDU) mit der Idee jedoch<br />

wenig Freunde. Seitdem hat sich keiner mehr getraut.<br />

Fazit: richtige Anreize, unabhängige Politiker.<br />

Die große Koalition hat gleich zum Start gezeigt, wie wichtig mehr<br />

Rechte für Kinder und Jugendliche wären. Union und SPD brachten<br />

erst einmal Wohltaten für Rentner auf den Weg. Die Gerontokratie,<br />

also die Herrschaft der Betagten, nimmt Gestalt an. Umso<br />

wichtiger wäre ein Wahlrecht für Minderjährige. Ein Sechstel des<br />

Staatsvolks ist bisher ausgeschlossen. Vor zehn Jahren wurde<br />

das schon im Bundestag diskutiert. Das Wahlrecht könnte von Eltern<br />

treuhänderisch ausgeübt werden, bis der Nachwuchs es für<br />

sich beansprucht. Das wäre fair: Bisher bekommt etwa ein kinderloses<br />

Paar doppelt so viel Gewicht an der Wahlurne wie eine<br />

allein Erziehende mit drei Kindern. Umgekehrt fragt niemand, ob<br />

alle über 18 ihr Wahlrecht ernst nehmen, ob sie geschäftsfähig,<br />

politisch interessiert oder eines Verbrechens schuldig sind. Und<br />

wer weiß bei der Briefwahl auch heute immer so genau, wer das<br />

Kreuz gemacht hat? Sogar für den Fall zerstrittener Eltern fand<br />

der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof eine Lösung:<br />

Vater und Mutter bekommen je eine halbe Kinder-Stimme.<br />

Fazit: eine Stimme für die, die Politik langfristig trifft.<br />

FOTO: VARIO IMAGES/ROBERT GEISMAR<br />

20 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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3 4<br />

E-Government<br />

Gesetze mit Verfallsdatum<br />

Es gibt alte Hüte, die kommen nie aus der Mode. Seit Jahren preisen<br />

Experten die Vorteile des E-Governments an: Pässe beantragen,<br />

Urkunden beglaubigen, wählen gehen – alles ginge per<br />

Mausklick. Doch in Deutschland findet das nicht statt. Stattdessen<br />

bekämpfen sich Unternehmen mit elektronischen Standards<br />

wie dem E-Postbrief der Deutschen Post und der De-Mail, die<br />

Deutsche Telekom und 1&1 anbieten. Dabei zeigen Länder wie<br />

Singapur, Südkorea und Estland, wie es richtig geht: die Steuererklärung<br />

in zwei Stunden? Machen in Singapur 97 Prozent der<br />

fünf Millionen Einwohner. Sämtliche Behördengänge für Unternehmen<br />

elektronisch? In Südkorea selbstverständlich. Ein kostenloses<br />

Hotspot-Netz im Land? Estland macht es vor. Die erfolgreichen<br />

Länder bekennen sich zum E-Government. Der baltische<br />

Musterknabe garantiert seinen Einwohnern den Internet-Zugang<br />

sogar per Gesetz. Die Regierung in Tallinn erledigt ihre kompletten<br />

Amtsgeschäfte papierlos. Wahlen sind seit 20<strong>07</strong> auch über<br />

das Internet möglich – das nutzten zuletzt 15 Prozent der Wähler.<br />

Fazit: Politik muss E-Government wollen, dann klappt es.<br />

Ein Verfallsdatum für das Mindestlohngesetz oder für das Rentemit-63-Gesetz<br />

könnte sie zwar nicht mehr verhindern, aber zumindest<br />

die Hoffnung auf Korrekturen erhalten. Die Politik müsste<br />

sich nach ein paar Jahren wieder mit beiden Themen<br />

auseinandersetzen und könnte in der Zwischenzeit die ökonomischen<br />

und sozialen Folgen evaluieren. Danach müsste erneut<br />

eine parlamentarische Mehrheit gefunden werden, sonst würden<br />

beide auslaufen. Ein solcher Automatismus ist in einer Demokratie<br />

besser, als wenn sich erst eine Mehrheit finden muss, um ein<br />

umstrittenes Gesetz abzuschaffen. In den USA ist die „Sunset<br />

Legislation“ durchaus gebräuchlich. In Deutschland finden sich<br />

dafür nur wenige Fälle, etwa bei Konjunkturpaketen. Auch das<br />

Finanzausgleichgesetz und der Solidarpakt enden automatisch,<br />

und zwar 2019. Ohne dieses Verfallsdatum würde die massive<br />

Förderung in Ostdeutschland unendlich weiterlaufen. So aber<br />

gibt es eine lebhafte – und vielleicht fruchtbare – Debatte<br />

um eine Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen.<br />

Fazit: Wenn schon schlecht, dann nicht für immer.<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 21<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

5 6<br />

Die neue Ruhestands-Formel<br />

Elektronische Gesundheitskarte<br />

Otto von Bismarck schenkte den Deutschen 1889 die Rentenversicherung<br />

und verschloss seine Gabe gleich wieder im Tresor.<br />

In den Genuss kamen Arbeiter, die das 70. Lebensjahr erreichten,<br />

und damals bedeutete dies: fast keiner. 125 Jahre später ist<br />

Rente nicht mehr das Glück weniger Greise, sondern jahrzehntelanger<br />

Alltag der älteren Generation. 1960 betrug die Dauer des<br />

Rentenbezugs gerade einmal zehn Jahre, heute sind es bereits<br />

19. Das ist eine grandiose Errungenschaft der Medizin; zugleich<br />

aber fordert es den Sozialstaat aufs Heftigste. Die Wonnen eines<br />

langen Lebensabends werden deshalb nur zu finanzieren sein,<br />

wenn für sie länger gearbeitet wird. Um die blutdrucklastigen<br />

Debatten über die Rente mit 63, 67 oder gar 69 der Politik zu<br />

entziehen, böte sich die kluge 2:1-Formel des Demografieforschers<br />

Axel Börsch-Supan an. Einfach gesagt: Wenn die Lebenserwartung<br />

um drei Jahre steigt (was etwa alle 25 Jahre der Fall<br />

ist), greift ein Automatismus. Zwei Jahre müsste länger gearbeitet<br />

werden, um ein Jahr zusätzlichen Ruhestand zu ermöglichen.<br />

Fazit: Die Rente muss raus aus der politischen Arena!<br />

2001 schreckte der Skandal um den Cholesterinsenker Lipobay<br />

auf, der einzelne tödliche Wechselwirkungen hervorrief. Die<br />

Bundesregierung versprach die Gesundheitskarte. Sie sollte die<br />

Krankenversicherungskarte ersetzen und Daten über Therapien<br />

und Krankheiten beim Patienten bündeln. Doch bis heute wird<br />

die Umsetzung blockiert. Die Karte hat zwar fast jeder, doch<br />

ohne ihre wichtigsten Funktionen. Die vermurkste Einführung ist<br />

ein Lehrstück, wie schlagkräftige Lobbys unbequeme Neuerungen<br />

torpedieren können. Dabei liegen die Vorteile auf der Hand:<br />

In Notfällen reagieren Mediziner kundiger, Doppelchecks werden<br />

unnötig. Auch können Patienten ihre Therapie besser überschauen.<br />

Doch regelmäßig lehnt der Ärztetag die Karte ab. Die<br />

Daten seien nicht sicher, die Finanzierung ungeklärt. Das ließe<br />

sich lösen. So können Daten dezentral gespeichert und abgestuft<br />

zugänglich gemacht werden. Hinter dem Nein steckt etwas<br />

anderes: Viele Patienten könnten mit der Karte erkennen, wenn<br />

die Methode des Arztes nicht mehr aktuellem Wissen entspricht.<br />

Fazit: technisch machbar, aber politisch vermurkst.<br />

22 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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7 8<br />

Ausbildungspflicht<br />

Freier Eintritt in Museen<br />

FOTOS: LAIF/STEPHAN ELLERINGSMANN, LAIF/HEIKO SPECHT<br />

Forderungen, die mit „Pflicht“ beginnen, enden für gewöhnlich<br />

mit einem Aufschrei aller Liberalen und Wirtschaftsvertreter –<br />

meist zu Recht. Bei der Ausbildungspflicht ist das anders, denn<br />

hier geht es um den Vollzug der sogar von Liberalen anerkannten<br />

Schulpflicht. Die Idee: Jugendliche werden verpflichtet, entweder<br />

einen studienqualifizierenden Schulabschluss oder eine Ausbildung<br />

zu absolvieren. Das kann entweder an der Berufsschule<br />

oder im Betrieb geschehen. Derzeit endet die Schulpflicht<br />

mit dem Erreichen eines bestimmten Alters – inhaltlich oft im<br />

Nirgendwo. Nimmt man das Ziel dieser Pflicht ernst, nämlich<br />

Jugendliche so auszubilden, dass sie ihr Leben selbstständig<br />

meistern können, sollte die erreichte Qualifikation, nicht das Alter<br />

entscheidend sein. Besonders viel Innovation wäre dafür gar<br />

nicht nötig. In den meisten Bundesländern gibt es eine formale<br />

Berufsschulpflicht. Und in Hamburg wird die Sache mit dem Modell<br />

„Jugendberufsagentur“, die sich um alle Arbeitslosen unter<br />

25 Jahren kümmert, schon recht konsequent zu Ende gedacht.<br />

Fazit: Die Gesetze lassen es zu, man muss es nur wollen.<br />

Als Premierministerin Margaret Thatcher in den Achtzigerjahren<br />

staatliche Museen zur Eintreibung von Eintrittsgeldern zwang, regte<br />

sich das liberale Herz der Briten: Was für eine Unverschämtheit<br />

<strong>vom</strong> Staat, seinen Bürgern Geld für die Besichtigung von Werken<br />

abzuverlangen, die ihnen selbst gehören! Deswegen ist der Eintritt<br />

in die meisten Museen Großbritanniens heute wieder frei. Recht<br />

haben sie, die Briten! Ins British Museum, die Tate Modern und<br />

die National Gallery strömen jeweils fast viermal so viele Besucher<br />

wie ins Berliner Pergamonmuseum. Der nicht-statistische Erfolg<br />

der britischen Umsonst-Kultur: Briten gehen nicht nur öfter ins<br />

Museum, sondern auch gelassener, selbstverständlicher, beiläufiger<br />

– zum Beispiel in der Mittagspause, um ihrem Lieblingsbild<br />

einen Besuch abzustatten. Stell dir also vor, es gäbe nicht nur<br />

Kunst in Deutschland, sondern alle gingen auch noch hin! Dann<br />

liegt das babylonische Ischtar-Tor auf dem Weg <strong>vom</strong> Bahnhof<br />

Friedrichstraße zum Alexanderplatz – und man kann sich auf<br />

einen Nachmittagskaffee mit Nofretete verabreden.<br />

Fazit: das Museum – keine Burg, sondern ein offener Platz.<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 23<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

9 10<br />

Zuwanderung nach Punktesystem<br />

Bundesfinanzamt<br />

Studien zufolge wird Deutschland um 2050 elf Millionen weniger<br />

Einwohner haben, selbst wenn jedes Jahr 100 000 Zuwanderer<br />

einreisen. Und irgendwann ist die Krise in Südeuropa vorbei und<br />

der Zustrom junger Spanier und Griechen auch. Und dann? Ohne<br />

Zuwanderung würde sich die deutsche Erwerbsbevölkerung<br />

schon in diesem Jahrzehnt um vier Prozent verringern. Dabei<br />

suchen Millionen Menschen in aller Welt nach Arbeit und einer<br />

friedlichen Heimat. Diese beiden Probleme sollte man zusammenführen<br />

– zu einer Lösung, die allen hilft. Dafür muss man Zuwanderer<br />

klassifizieren. Wer gut qualifiziert ist und nicht zu alt,<br />

wer Sprachkenntnisse hat und vielleicht auch etwas tun will, was<br />

die Einheimischen eher verabscheuen (Altenpflege zum Beispiel),<br />

der sammelt für all diese Vorzüge Punkte. Wer genug Punkte hat,<br />

darf einreisen und sich einen Job suchen. Das funktioniert bereits<br />

wunderbar – nur leider nicht in Deutschland, sondern in Kanada.<br />

Die Übernahme dieses Systems in Deutschland hat eine Regierungskommission<br />

schon vorgeschlagen. Das war 2001.<br />

Fazit: Holt mehr Leute ins Land – aber die richtigen!<br />

Für Steuerhinterzieher ist der Föderalismus ein wahrer Segen.<br />

Denn die 16 Landessteuerverwaltungen sind miteinander kaum<br />

elektronisch vernetzt, in manchen Bundesländern sind wesentlich<br />

weniger Steuerfahnder unterwegs als in anderen. Die Idee einer<br />

Bundessteuerverwaltung war deshalb schon des Öfteren im<br />

Gespräch – doch stets wollten die laut Grundgesetz zuständigen<br />

Länder davon nichts wissen, zuletzt 2009. Dabei war die Einrichtung<br />

einer zentralen Steuerverwaltung einst im Entwurf des<br />

Grundgesetzes enthalten, sie scheiterte allerdings am Einspruch<br />

der Alliierten, die einen zu mächtigen Zentralstaat fürchteten.<br />

65 Jahre später hat sich die Welt verändert. Die Globalisierung hat<br />

uns Hunderte Doppelbesteuerungsabkommen, Verrechnungspreisprobleme<br />

und kriminelle Umsatzsteuerkarusselle beschert.<br />

Damit sind die Landessteuerbehörden überfordert, deswegen haben<br />

sie bereits notgedrungen (internationale) Kompetenzen an<br />

das Bundeszentralamt für Steuern abgegeben. Jetzt müssten weitere<br />

Schritte für eine schlagkräftige Steuerverwaltung folgen.<br />

Fazit: Effizienzgewinne von 15 Milliarden Euro sind möglich.<br />

24 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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11 12<br />

City-Maut<br />

Ausschreibung kritischer Infrastruktur<br />

FOTOS: LAIF/RUDOLF WICHERT, ULLSTEIN BILD/CARO/ CLAUDIA HECHTENBE<br />

London macht es, Stockholm und Oslo auch. Warum eigentlich<br />

nicht Berlin, München oder Hamburg? Die britische Hauptstadt<br />

kassiert seit 2003 von Autofahrern eine Gebühr von zehn Pfund<br />

(zwölf Euro) pro Tag, wenn sie in der Zeit von sieben Uhr morgens<br />

bis sechs Uhr abends in das Zentrum fahren. Eingeführt hatte<br />

die Maut der linke Bürgermeister Ken Livingstone, doch auch<br />

sein konservativer Nachfolger Boris Johnson findet Gefallen an<br />

der „Congestion Charge“ (Staugebühr). Denn sie funktioniert<br />

reibungslos. Öffentliche Überwachungskameras registrieren an<br />

Einfahrtsstraßen die Kennzeichen der Autos, abends findet ein<br />

Abgleich statt. Schwarzfahrer zahlen eine Strafe von bis zu 190<br />

Pfund. Pendler lassen den Betrag daher automatisch <strong>vom</strong> Konto<br />

abbuchen. Die Auswirkungen der City-Maut: Die Staus wurden<br />

weniger – bei zunehmendem Verkehr. Die Luftqualität verbesserte<br />

sich jedoch kaum. Allerdings kassiert die städtische Verkehrsgesellschaft<br />

pro Jahr fast 300 Millionen Pfund. Die Einnahmen<br />

fließen zurück in den Bau von Straßen, Schienen und Radwegen.<br />

Fazit: City-Maut reduziert Staus, verbessert die Straßen.<br />

Atommüll findet keiner gut, aber dass er weg muss, ist klar. Doch<br />

wohin? Die Bevölkerung steht Zwischenlagern vor der eigenen<br />

Haustüre oft skeptisch gegenüber. Eine <strong>vom</strong> Bund eingesetzte<br />

Kommission soll nun nach einem Endlager suchen. Zeitplan: ungewiss.<br />

Weitere Proteste: garantiert. Dabei ginge es viel einfacher.<br />

Als die spanische Regierung nach einem Standort für ein<br />

Zwischenlager suchte, schrieb sie das Projekt aus. Es bewarben<br />

sich rund ein Dutzend Gemeinden. 2011 erhielt das Dorf Villar de<br />

Cañas den Zuschlag. Der Jubel der 450 Einwohner war riesig,<br />

denn der Staat investiert bis 2018 knapp eine Milliarde Euro. Es<br />

entstehen Jobs und ein Forschungszentrum. Auch das finnische<br />

Eurajoki, eine Autostunde nördlich von Turku, profitiert auf diese<br />

Art. Finnland schrieb die Endlager-Suche aus. In Eurajoki war die<br />

Zustimmung am größten. Solche Modelle könnte Deutschland<br />

übernehmen und zudem auf viele Streitpunkte der Energiewende<br />

übertragen. Wo Wutbürger zu Beteiligten werden und finanziell<br />

profitieren, akzeptieren sie auch Windparks und Biogasanlagen.<br />

Fazit: Die Aussicht auf Geld und Jobs bricht Widerstände.<br />

konrad fischer, hans jakob ginsburg, max haerder | Berlin, henning krumrey, christian ramthun, christian schlesiger, dieter schnaas, cordula tutt, politik@wiwo.de<br />

25<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

HIGH-TECH-STRATEGIE |<br />

Patente gibt es zuhauf,<br />

Start-ups zu wenige.<br />

Die Bundesregierung<br />

will das ändern:<br />

Forschungsergebnisse<br />

sollen endlich wieder<br />

Weltkonzerne hervorbringen.<br />

Neue Gründerzeit<br />

Dafür statt dagegen Der<br />

Bund lässt erforschen, wann<br />

Bürger ihren Widerstand<br />

gegen Stromtrassen aufgeben<br />

Wie reagieren motivierte Start-up-<br />

Unternehmer, wenn man ihr heiß<br />

geliebtes neues Geschäftsmodell<br />

mal eben so in der Luft zerreißt? Microsoft-<br />

Manager Rahul Sood, der mit seinem Mentoren-Team<br />

weltweit talentierte Gründer<br />

unterstützt, beschrieb es auf einer Veranstaltung<br />

des IT-Riesen in Berlin Ende März<br />

so: Es kommt drauf an, in welchem Land<br />

die Start-ups sitzen.<br />

US-Amerikaner würden die Microsoft-<br />

Experten-Kritik voller Enthusiasmus aufsaugen<br />

und gingen vor Dankbarkeit über<br />

so viel Support fast auf Knie. Israelis reagierten<br />

meist harsch: „Was wisst Ihr Amerikaner<br />

schon von unsrem Land?“, um dann<br />

am Ende die guten Ideen still und leise<br />

doch umzusetzen. Inder dagegen seien<br />

erst nach tränenreicher Aufarbeitung der<br />

Kränkung in der Lage, weiter zu arbeiten.<br />

Und die Deutschen? Sie hielten den Mund,<br />

lehnten sich zurück und begönnen gedanklich<br />

sofort mit der Analyse. „Man<br />

kann ihre Hirne quasi dabei rattern hören“,<br />

lacht Microsoft-Manager Sood.<br />

Die Beschreibung der kulturellen Unterschiede<br />

traf den Nerv des Berliner Publikums.<br />

Neun Teams stellten anschließend<br />

ihre Produkte vor, um Kapitalgeber von<br />

ihrer Geschäftsidee zu überzeugen. Das<br />

deutsche Klischee des analytischen Ingenieurs<br />

schien bestätigt.<br />

Doch bei all der Lobhudelei könnte man<br />

vergessen, dass Deutschland schon lange<br />

keine IT-Schmiede von Weltrang mehr hervor<br />

gebracht hat. SAP war die letzte – vor 42<br />

Jahren. Stellt Deutschland die Weichen für<br />

Innovationen und deren Umsetzung in<br />

wirtschaftliche Geschäftsmodelle richtig?<br />

Die Bundesregierung will die Hebel umlegen.<br />

Noch im Frühjahr stellt Bundesforschungsministerin<br />

Johanna Wanka (CDU)<br />

ihre neue High-Tech-Strategie vor. Der<br />

Bund plant, so erfuhr die Wirtschafts-<br />

Woche, Änderungen in der Gründungs-<br />

»<br />

FOTO: DDP IMAGES/NIGEL TREBLIN<br />

26 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»<br />

förderung. Zudem will er die Forschung<br />

an Großprojekten wie der Energiewende<br />

ausrichten. Es wird mehr Geld geben, doch<br />

bei den steuerlichen Anreizen für die Industrie<br />

fehlt der Bundesregierung der Mut.<br />

Noch immer gehören Deutschlands<br />

Wissenschaftler zu den forschungsstärksten<br />

weltweit. Sie tüfteln an Hochschulen<br />

oder top ausgestatteten Helmholtz-Zentren<br />

wie dem Forschungszentrum in Jülich<br />

für teure Großforschung. Hinzu kommen<br />

Max-Planck-Gesellschaft, kleinere Leibniz-<br />

Institute und die anwendungsorientierte<br />

Fraunhofer-Gesellschaft. Deutschland<br />

meldet nach der Schweiz, Schweden und<br />

Finnland die meisten Weltpatente pro Einwohner<br />

an (siehe Grafik).<br />

KREATIVE ZERSTÖRUNG<br />

Doch was nützt es, wenn Forscher des<br />

Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie<br />

in Ilmenau den Audio-Standard<br />

MP3 entwickeln, aber US-Unternehmen<br />

den Umsatz mit Innovationen generieren?<br />

„Die Gründungskultur an deutschen<br />

Hochschulen bleibt weit hinter den<br />

Möglichkeiten zurück“, sagt Wolfgang Marquardt,<br />

Vorsitzender des Wissenschaftsrates,<br />

der Bund und Länder bei der Innovationspolitik<br />

berät. „Deutsche Forscher entwickeln<br />

oft disruptive Technologien mit<br />

dem Potenzial, andere Produkte und<br />

Dienstleistungen zu verdrängen.“ Doch die<br />

erfolgreiche Umsetzung am Markt über<br />

Ausgründungen oder Kooperationen mit<br />

Unternehmen lasse „zu wünschen übrig“.<br />

Die Bundesregierung will das ändern.<br />

„Wir wollen, dass Forschungsergebnisse<br />

künftig einfacher und schneller zu Unternehmensgründungen<br />

führen“, sagt Georg<br />

Schütte, Staatssekretär im Bundesforschungsministerium<br />

(BMBF). „Unser Ziel<br />

Klotzen statt kleckern<br />

Server des Zentralinstituts für<br />

angewandte Mathematik am<br />

Forschungszentrum Jülich<br />

ist es, dass deutsche Hochschulen Gründungsberatung<br />

direkt auf dem Campus anbieten<br />

werden.“ Orientieren sollten sie sich<br />

am Massachusetts Institute of Technology<br />

(MIT), wo sich ein Netz aus 140 Hochtechnologie-Kleinfirmen<br />

angesiedelt hat. Dort<br />

„funktioniert der Wissenstransfer von der<br />

Hochschule zur Produktentwicklung am<br />

besten“, so Schütte. Auf dem Campus erhalten<br />

Forscher Beratung bei Patentierung<br />

und Ausgründung von Geschäftsideen.<br />

„Das hat Vorbildcharakter.“ Solche Modelle<br />

will der Bund verstärkt fördern, indem er<br />

Hochschulen und Wissenschaftszentren<br />

mit den besten Konzepten in Wettbewerben<br />

gegeneinander antreten lässt.<br />

Bislang jedoch ist das Wort Unternehmertum<br />

ein Fremdwort in den Ohren deutscher<br />

Hochschulrektoren. Bei einer Umfrage<br />

unter ihnen gaben nur zehn Prozent den<br />

„Transfer in die Wirtschaft“ als Ziel der eigenen<br />

Aktivitäten an. Den „Transfer in die<br />

Zivilgesellschaft“ verfolgten sechs Prozent.<br />

Das Fazit des Stifterverbands für die Deutsche<br />

Wissenschaft, der sich mit seinem<br />

Gründungsradar intensiv mit der Problematik<br />

beschäftigt hat, fällt negativ aus:<br />

„Trotz beachtlicher Fortschritte sind das<br />

Thema Wissens- und Technologietransfer<br />

und insbesondere die Gründungsförderung<br />

noch nicht im Zentrum der Aktivitäten<br />

vieler Hochschulen angekommen.“<br />

Zwar gibt es Ausnahmen, in Lüneburg<br />

etwa. Die Leuphana Universität südlich<br />

von Hamburg gilt inzwischen als Unternehmerschmiede.<br />

Dort beschäftigen sich<br />

Erstsemester eine Woche lang mit dem<br />

Thema Gründung. Ein eigenes Unternehmen<br />

wird für die mehr als 7000 Studenten<br />

zur Karriereoption. 2012 gründeten 48 eine<br />

Firma. Damit ist Leuphana laut Stifterverband<br />

die gründungsstärkste Hochschule in<br />

Deutschland – noch vor den Eliteunis<br />

RWTH Aachen und der TU München.<br />

Forschungtop, Finanzierung flop<br />

Weltmarktpatente<br />

(pro Million Einwohner)<br />

<strong>Ausgabe</strong>n fürForschung undEntwicklung<br />

(in Prozent des Bruttoinlandsprodukts)<br />

Investiertes Risikokapital<br />

(in Milliarden Dollar)<br />

Schweiz 620<br />

Schweden 414<br />

Finnland 394<br />

Deutschland 384<br />

Japan 343<br />

Südkorea 242<br />

Niederlande 237<br />

Frankreich 188<br />

USA 174<br />

Großbritannien 138<br />

Italien 96<br />

Spanien 61<br />

Südkorea 4,0<br />

Finnland 3,6<br />

Schweden 3,4<br />

Japan 3,3<br />

Dänemark 3,0<br />

Deutschland 2,9<br />

Schweiz 2,9<br />

USA 2,8<br />

Frankreich 2,3<br />

Großbritannien 1,7<br />

Spanien 1,3<br />

Italien 1,3<br />

USA 26,7<br />

Japan 1,6<br />

Kanada 1,4<br />

Großbritannien 0,9<br />

Israel 0,9<br />

Frankreich 0,7<br />

Deutschland 0,7<br />

Südkorea 0,6<br />

Australien 0,3<br />

Schweden 0,3<br />

Niederlande 0,2<br />

Schweiz 0,2<br />

Quelle:BMBF Quelle:OECD Quelle:OECD<br />

FOTO: LAIF/HENRIK SPOHLER<br />

28 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Doch oft bleiben Forschungsergebnisse<br />

an der Laborschwelle hängen. Dabei ist<br />

das Ziel des Wissenstransfers in allen Landeshochschulgesetzen<br />

festgeschrieben.<br />

Seit 15 Jahren finanziert der Bund zudem<br />

über das Programm Exist Gründer aus<br />

Hochschulen mit bis zu 2500 Euro pro Monat.<br />

Bislang bietet aber erst ein Dutzend<br />

Hochschulen den Studierenden und Doktoranden<br />

die entsprechende Förderung an.<br />

Zudem sei oft nicht die Erstfinanzierung<br />

das Problem. „Häufig wird es dann in der<br />

Wachstumsphase kritisch, wenn es um ein<br />

bis zehn Millionen Euro geht, um das Geschäftsmodell<br />

auszubauen“, sagt Christian<br />

Flisek, Gründer-Experte der SPD. Risikokapital<br />

fließt in anglo-amerikanische Staaten<br />

und nach Japan. Selbst Israel liegt vor<br />

»Das Ziel ist die<br />

Gründungsberatung<br />

direkt auf<br />

dem Campus«<br />

Georg Schütte, Forschungsministerium<br />

Deutschland. „Wir werden zügig Eckpunkte<br />

für ein Venture-Capital-Gesetz vorlegen,<br />

das Deutschland für Wagniskapital attraktiver<br />

machen wird“, sagt Flisek. Zudem fordert<br />

er, „für Start-ups ein eigenes Börsensegment<br />

zu schaffen, um weitere attraktive<br />

Finanzierungsquellen zu erschließen“.<br />

Ändert sich nichts, könnten die Folgen<br />

fatal sein. Junge Bevölkerungen in wachstumskräftigen<br />

Ländern sind innovationsbereiter<br />

als zivilisationssatte Gesellschaften<br />

in Westeuropa. Südkorea gibt vier Prozent<br />

des Bruttoinlandsprodukts für Forschung<br />

aus. „Da ist Gefahr in Verzug“, sagt<br />

Marquardt. Denn die Zahlen würden nur<br />

öffentliche Mittel berücksichtigen, aber<br />

keine Privatinvestitionen, wie die Forschung<br />

von Samsung. „Wir dürfen nicht<br />

nachlassen in der Anstrengung, mehr Geld<br />

für Bildung und Forschung zu mobilisieren,<br />

um die Innovationsfähigkeit Deutschlands<br />

weiter zu stärken“, so Marquardt.<br />

Schon allein deshalb, um künftig auch<br />

Top-Gehälter zahlen zu können. „Spitzenforschung<br />

kostet Geld“, sagt der Frankfurter<br />

Ökonom Rüdiger Bachmann (siehe Interview<br />

Seite 30).<br />

Doch beim Geld tritt die Regierung auf<br />

die Bremse. Zwar investiert der Bund bis<br />

2017 zusätzlich drei Milliarden Euro, um<br />

außeruniversitäre Einrichtungen und<br />

Hochschulen besser auszustatten. Doch<br />

von Experten geforderte Abschreibungsanreize<br />

wird es kaum geben. „Eine steuerliche<br />

Förderung steht derzeit nicht an“,<br />

heißt es in einer Antwort der Bundesregierung<br />

auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten<br />

Kai Gehring. „Die große Koalition<br />

bremst Deutschland innovationspolitisch<br />

aus“, kritisiert Gehring. Gerade für<br />

kleine und mittlere Unternehmen sei das<br />

Aus der Steuergutschrift eine „schlechte<br />

Nachricht“.<br />

FÖRDERUNG AUF DEM PRÜFSTAND<br />

Tatsächlich wäre die steuerliche Forschungsförderung<br />

„ein hilfreicher Katalysator,<br />

um Forschungsergebnisse aus dem<br />

Labor in den Markt zu bringen“, sagt Marquardt.<br />

Dort, wo Grundlagenforschung gut<br />

gelaufen sei, müsste man Prototypen entwickeln<br />

und erproben, ob sie bei Endverbrauchern<br />

auf Akzeptanz stoßen. „Diese<br />

Aufgabe können Wissenschaft und Industrie<br />

nur gemeinsam übernehmen.“<br />

Doch die Regierung sieht in der Projektförderung<br />

den Schlüssel zum Erfolg. Anders<br />

als bislang – und das ist ein weiteres<br />

Element ihrer High-Tech-Strategie – soll die<br />

Förderung in den Dienst gesellschaftlicher<br />

Großprojekte wie Energiewende und Digitalisierung<br />

gestellt werden. „Wir stellen daher<br />

alle Förderprogramme auf den Prüfstand“,<br />

sagt Schütte. „Künftig wollen wir das<br />

Geld stärker dort investieren, wo der Nutzen<br />

für die Gesellschaft erkennbar ist.“<br />

So fördert die Regierung etwa Forschungsvorhaben,<br />

die zeigen, wie der Widerstand<br />

von Bürgerinitiativen gegen den<br />

Bau von Windrädern oder Stromtrassen<br />

gebrochen werden kann. So erarbeitet das<br />

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung<br />

eine Studie, „unter welchen Bedingungen<br />

Projektgegner ihren Widerstand<br />

aufgeben würden“, heißt es in der Projektskizze.<br />

Etwa, ob mehr Transparenz helfen<br />

würde oder eine Beteiligung am wirtschaftlichen<br />

Ertrag. Insgesamt investiert der<br />

Bund 30 Millionen Euro in 33 Projekte.<br />

Deutschland verabschiedet sich damit<br />

auch von Forschungsvorhaben, die nicht<br />

mehr in die politische Zeit passen. Zwar<br />

werde es weiterhin Geld geben, um den<br />

Rückbau der Atomkraftwerke oder die<br />

Endlagersuche zu optimieren. „Wir brauchen<br />

aber keine Forschung mehr für den<br />

Bau neuer Kernkraftwerke“, sagt Schütte. n<br />

christian.schlesiger@wiwo.de | Berlin,<br />

max haerder | Berlin, dieter schnaas | Berlin<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 29<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»Radikal verändern«<br />

INTERVIEW | Rüdiger Bachmann Der Frankfurter Hochschulprofessor<br />

hält die deutsche Uni-Landschaft für provinziell –<br />

und fordert Spitzengehälter für Spitzenforscher.<br />

Herr Bachmann, Sie haben zehn Jahre an<br />

US-Universitäten gearbeitet und kennen<br />

das amerikanische und deutsche Hochschulsystem<br />

gleichermaßen. Wo fühlen<br />

Sie sich wohler?<br />

Das lässt sich so einfach nicht beantworten.<br />

Die Systeme sind zu verschieden.<br />

Die Expertenkommission Forschung und<br />

Innovation (EFI) kritisiert in ihrem aktuellen<br />

Jahresgutachten für die Bundesregierung,<br />

das deutsche Hochschulsystem sei<br />

speziell für Spitzenforscher nicht attraktiv<br />

genug. Würden Sie das unterschreiben?<br />

Im Bereich der Naturwissenschaften gibt<br />

es einige Leuchttürme, auch die Max-<br />

Planck-Gesellschaft mit ihren Instituten ist<br />

ein attraktiver Arbeitgeber für Top-Wissenschaftler.<br />

Für das Gros der Universitäten<br />

gilt das trotz einiger Erfolge durch die Exzellenzinitiative<br />

nach meiner Einschätzung<br />

nicht – vor allem in der Volkswirtschaftslehre.<br />

Es gibt eine Reihe von großen<br />

und kleinen Dingen, die Deutschland für<br />

Spitzenforscher weniger attraktiv machen<br />

als etwa die USA.<br />

Und die wären?<br />

Der erste Punkt, ganz klar: das Gehalt. Spitzenforscher<br />

kosten Geld. Wir müssen künftig<br />

größere Gehaltsunterschiede innerhalb<br />

der Professorenschaft akzeptieren. Spitzenforschung<br />

in der Ökonomie ist – anders<br />

als etwa bei Germanistik oder Jura – ein internationaler<br />

Markt, da müssen wir Marktgehälter<br />

zahlen. Wir brauchen den Mut zu<br />

sagen: Wenn einer richtig klasse ist, soll er<br />

auch mehr Geld bekommen als Kollegen<br />

mit geringerer Reputation. In den USA<br />

kann ein aufstrebender Assistenzprofessor<br />

der Ökonomie mehr verdienen als ein ordentlicher<br />

Professor an der philosophischen<br />

Fakultät. Auch innerhalb der Disziplinen<br />

akzeptieren die Amerikaner hohe<br />

Gehaltsdifferenziale, oft um das Zwei- bis<br />

Dreifache. Das muss man nicht toll finden,<br />

sollte es aber zur Kenntnis nehmen.<br />

Lässt das öffentliche Dienstrecht eine<br />

Lohnspreizung bei uns überhaupt zu?<br />

Prinzipiell ja, zumindest zwischen den Disziplinen,<br />

nicht so sehr über Professorenränge<br />

hinweg. Es gibt bei den Besoldungsstufen<br />

zwar einen Deckel, der lässt sich<br />

aber durch die Landesregierung im Einzelfall<br />

nach oben verschieben.<br />

Was verdienen Top-Ökonomen denn so?<br />

An der Universität Michigan bringen es<br />

Spitzenreiter auf rund 300 000 Dollar im<br />

Jahr, bei privaten Hochschulen geht es dem<br />

Vernehmen nach bis auf 500 000 Dollar<br />

hoch. Der normale VWL-Professor in<br />

Deutschland liegt bei 80 000 Euro, die besseren<br />

knapp über 100 000 Euro.<br />

Um jungen Wissenschaftlern mit herausragender<br />

Promotion einen schnellen<br />

Einstieg in die Forschung zu ermöglichen,<br />

gibt es in Deutschland die Junior-Professur.<br />

Hat sich dieses Modell bewährt?<br />

DER GRENZGÄNGER<br />

Bachmann, 39, ist seit Anfang April<br />

Professor für Verhaltensökonomie<br />

an der Goethe-Universität Frankfurt.<br />

Der aus Alzenau/Unterfranken stammende<br />

Makroökonom hat zehn Jahre<br />

in den USA geforscht und gelehrt,<br />

unter anderem in Yale und an der<br />

University of Michigan. Zuletzt hatte<br />

er eine VWL-Professur in Aachen.<br />

Nein. Dieses Spezifikum des deutschen<br />

Laufbahnrechts ist komplett gescheitert.<br />

Die Junior-Professur ist eine Missgeburt,<br />

bei der man einige Elemente des US-Systems<br />

übernommen hat, andere – entscheidende<br />

– aber nicht.<br />

Wo liegt das Problem?<br />

In den USA bekommen Nachwuchswissenschaftler<br />

einen auf sechs bis sieben<br />

Jahre befristeten Vertrag als Assistenzprofessor.<br />

Damit verbunden ist die Zusage<br />

einer Festanstellung auf Lebenszeit bei<br />

herausragenden Leistungen. Man nennt<br />

das „tenure track“. Diese Chance gibt es<br />

bei uns viel zu wenig. Die Besoldung der<br />

Nachwuchswissenschaftler ist international<br />

nicht konkurrenzfähig. Juniorprofessoren<br />

haben zudem oft mehr Lehrverpflichtungen<br />

als früher der Habilitand.<br />

Welche Rolle spielen weiche Standortfaktoren<br />

bei der Akquise von Spitzenleuten?<br />

Eine ganz wichtige! Wir dürfen zum Beispiel<br />

familiäre Faktoren nicht unterschätzen.<br />

In den USA kümmern sich an den<br />

Unis ganze Abteilungen um „Joint-careerproblems“<br />

und sorgen dafür, dass auch den<br />

Partnern der umworbenen Wissenschaftler,<br />

die oft selber Spitzenwissenschaftler<br />

sind, ein adäquater Job angeboten wird. In<br />

Deutschland gibt es für die Partner oft<br />

nicht viel mehr als Broschüren und warme<br />

Worte. Das ist teilweise lachhaft.<br />

Fordern Sie ernsthaft, dass Universitäten<br />

die Partner ihrer neuen Professoren<br />

miteinstellen? Wer soll das denn bezahlen?<br />

Ich sage es gern noch einmal: Spitzenforschung<br />

kostet Geld. Wir reden hier ja über<br />

die Besten der Besten. Die gehen nun mal<br />

dorthin, wo sie die besten beruflichen und<br />

privaten Rahmenbedingungen vorfinden.<br />

Und das ist noch nicht alles: Die gesamte<br />

Willkommenskultur eines Landes ist für<br />

die Wechsel- und Migrationsentscheidung<br />

von Spitzenforschern wichtig. Das fängt<br />

bei Berufungsverfahren an und hört bei<br />

den Angeboten zur Kinderbetreuung auf.<br />

Und daran mangelt es in Deutschland?<br />

Auf Amerikaner machen deutsche Hochschulen<br />

nicht selten einen provinziellen<br />

Eindruck. Bisweilen ist es hier ja bereits ein<br />

Problem, Anschreiben und E-Mails auf<br />

Englisch zu verfassen. Es ist schwierig und<br />

mit bürokratischem Aufwand verbunden,<br />

einem Kandidaten ein Mittagessen zu bezahlen,<br />

von der Erstattung der Reisekosten<br />

ganz zu schweigen. Das sind so kleine Dinge,<br />

die sich aufsummieren und den Leuten<br />

signalisieren: Hier hat man an dir kein echtes<br />

Interesse. Besonders krass sind auch<br />

die Unterschiede bei Berufungsverfahren.<br />

FOTO: PETER WINANDY, LAIF/REDUX/THE NEW YORK TIMES, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

30 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Herein Die US-<br />

Universität Yale<br />

zieht Spitzenkräfte<br />

aus aller Welt an<br />

Heraus In Deutschland<br />

wanderten zuletzt<br />

mehr Wissenschaftler<br />

ab als zu<br />

Inwiefern?<br />

In den USA läuft das so: Der Kandidat hat<br />

den ganzen Tag über Meetings mit künftigen<br />

Kollegen. Er wird richtig in die Mangel<br />

genommen, es gibt einen intensiven Diskurs<br />

und am Ende einen 90-minütigen Forschungsvortrag.<br />

In Deutschland heißt es in<br />

der Regel: Kommen Sie morgen gegen<br />

10.30 Uhr da und da hin, sie dürfen einen<br />

Vortrag von 45 Minuten halten, danach<br />

gibt es 20 Minuten Diskussion. Man steht<br />

dann vor einer Berufungskommission, die<br />

– ich drücke es vorsichtig aus – nicht immer<br />

voll motiviert ist. Wird eine Berufungskommission<br />

gebildet, ducken sich viele weg. In<br />

den USA brennen die Leute darauf, in die<br />

Auswahlgremien zu gehen.<br />

Woran liegt das?<br />

Die freie Stelle, die es zu besetzen gilt, liegt<br />

in Deutschland oft in einem anderen Fachgebiet.<br />

VWL-Abteilungen sind meist relativ<br />

klein. Da gibt es sechs oder sieben Professoren<br />

– in den USA sind es 30 bis 40.<br />

Na und? Größe ist doch nicht per se ein<br />

Qualitätsvorteil.<br />

In Deutschland sind die Zuständigkeiten<br />

klar abgegrenzt, da gibt es vielleicht einen<br />

Makroökonomen, einen Mikroökonomen,<br />

einen Finanzwissenschaftler und einen für<br />

den Arbeitsmarkt. Das sind oft Einzelkämpfer,<br />

der befruchtende wissenschaftliche<br />

Diskurs ist schwierig. Wenn wie in den<br />

USA mehrere Makroökonomen an Bord<br />

sind, geht das einfacher. Solche Gruppenerfahrungen<br />

sind wichtig für die intellektuelle<br />

Stimulanz. US-Wissenschaftler schauen<br />

sich daher, bevor sie ins Ausland gehen,<br />

das wissenschaftliche Umfeld genau an.<br />

Sie haben keine Lust, in einem Team von<br />

sechs Personen das siebte Teilfach abzudecken,<br />

weil das gerade vakant ist.<br />

Was also schlagen Sie vor?<br />

Die deutsche Hochschullandschaft muss<br />

sich radikal verändern – gerade in den<br />

Wirtschaftswissenschaften. Es muss nicht<br />

jede Regionaluniversität einen internationalen<br />

Forschungsanspruch haben, sie<br />

kann sich auch auf die Grundlehre beschränken<br />

und mit reinen Lehrprofessuren<br />

arbeiten. Ich mache mir mit dieser Aussage<br />

keine Freunde, aber wir müssten viele<br />

VWL-Fakultäten in Deutschland dichtmachen<br />

und die wirtschaftswissenschaftliche<br />

Forschung an vielleicht zehn Standorten<br />

konzentrieren. Dann kämen auch mehr<br />

Spitzen-Ökonomen aus dem Ausland.<br />

»Wir müssten<br />

viele VWL-<br />

Fakultäten in<br />

Deutschland<br />

dichtmachen«<br />

Laut EFI haben zwischen 1996 und 2011<br />

rund 23 000 Wissenschaftler das Land<br />

verlassen, es kamen aber nur 19 000 aus<br />

dem Ausland nach Deutschland. Wie<br />

gefährlich ist dieser Brain Drain?<br />

Entscheidend ist doch: Wer kommt und<br />

wer geht? Bei einem der wichtigsten EU-<br />

Förderprogramme für die Wissenschaft<br />

2011 kamen 124 Gewinner von britischen<br />

Hochschulen, 64 von deutschen. Schaut<br />

man sich die Nationalitäten an, dreht sich<br />

das Verhältnis um: Darunter waren 83<br />

Deutsche und 57 Briten. Selbst innereuropäisch<br />

verlieren wir also Spitzenforscher.<br />

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka<br />

hat als Reaktion auf die EFI-Studie gesagt,<br />

die Abwanderung sei ein Phänomen<br />

der Neunzigerjahre, die Exzellenzinitiative<br />

trage erste Früchte. Wer hat recht?<br />

Die Erfolge der Exzellenzinitiative will ich<br />

nicht bestreiten. Die Grundidee einer<br />

Leuchtturmpolitik ist völlig richtig. Allerdings<br />

sind viele der neu geschaffenen<br />

Stellen nur befristet. Wie nachhaltig<br />

die Exzellenzstrategie ist und inwieweit<br />

Augenwischerei, das wird sich erst in<br />

einigen Jahren zeigen.<br />

Fakt ist aber, dass so viele ausländische<br />

Studenten wie nie zuvor in Deutschland<br />

studieren. So mittelmäßig scheint der<br />

Wissenschaftsstandort also nicht zu sein.<br />

Die Studentenmigration hat mit der Spitzenforschung<br />

nur bedingt etwas zu tun.<br />

Wir profitieren natürlich von der wachsenden<br />

Bildungsnachfrage in den Schwellenländern.<br />

Aber dass wir der chinesischen<br />

Mittelschicht ein kostenloses Studium bei<br />

uns ermöglichen, heißt ja noch nicht, dass<br />

die besten und klügsten Köpfe kommen.<br />

Wenn Sie den Wissenschaftsstandort<br />

Deutschland so kritisch sehen: Warum<br />

sind Sie dann zurückgekehrt?<br />

Heimatgefühle eben. Ich kenne viele, die<br />

lieber in München als in Palo Alto leben<br />

würden, wenn sie die gleichen beruflichen<br />

Bedingungen vorfinden würden. Hier liegt<br />

ein riesiges Potenzial für Deutschland.<br />

Gibt es etwas, das Sie am deutschen<br />

Wissenschaftsbetrieb richtig toll finden?<br />

Aber ja. Wir verfügen über eine gute<br />

Grundförderung im Hochschulbereich<br />

und sind noch nicht so stark von externen<br />

Drittmitteln abhängig wie die US-Universitäten.<br />

Hier sollten wir uns ausnahmsweise<br />

nicht an Amerika orientieren.<br />

n<br />

bert.losse@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 31<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Genial daneben<br />

INNOVATION | Wenn wegweisende Erfindungen zur<br />

falschen Zeit, zu radikal oder am Markt vorbei<br />

entwickelt werden, setzen sie sich nicht durch.<br />

Auch wenn die Idee gut war. Von Christian Deysson<br />

Kennen Sie Daniel Düsentrieb? Oder Professor Balduin Bienlein?<br />

Aus der Ikonografie der Popkultur sind diese Comic-<br />

Figuren nicht mehr wegzudenken: Seit mehr als einem halben<br />

Jahrhundert verkörpern sie den Archetyp des genialen, schrulligen<br />

Erfinders, der 1000 Ideen hat, aber mit keiner wirklichen Erfolg.<br />

Daniel Düsentrieb alias Gyro Gearloose geht in Walt Disneys<br />

„Micky Maus“ mit seinen verschrobenen Erfindungen hausieren –<br />

<strong>vom</strong> Einradroller über die Rückenkratzmaschine bis zum Regenbogenspanner.<br />

Und im mehrfach erfolgreich verfilmten Kultcomic<br />

„Tim und Struppi” des belgischen Zeichners Hergé setzt der kauzige<br />

Professor Balduin Bienlein die<br />

Welt mit gallisch-genialen, aber<br />

praktisch unbrauchbaren Erfindungen<br />

wie der gefürchteten Ultraschallwaffe,<br />

seinem Taschenunterseeboot<br />

oder den motorisierten<br />

Rollschuhen in immer<br />

neues Erstaunen.<br />

Was die beiden Comic-Helden<br />

eint, ist dies: Sie sind amüsant karikierte<br />

Musterbeispiele dafür, wie<br />

wenig Erfindungen – und seien sie<br />

noch so bahnbrechend – mit echter<br />

Innovation zu tun haben. Wie<br />

das? Kommt Innovation nicht<br />

<strong>vom</strong> lateinischen Wort innovatio,<br />

was doch so viel bedeutet wie Erneuerung?<br />

Und ist nicht jede Erfindung<br />

eine Erneuerung?<br />

DIFFUSER BEGRIFF<br />

Weil er so schön griffig ist, war der<br />

Begriff der Innovation immer<br />

schon positiv besetzt: Als 1901<br />

Belgiens größtes und elegantestes<br />

Kaufhaus in Brüssel eröffnete,<br />

trug es den stolzen Namen „A l’Innovation“.<br />

Und bis heute ist die<br />

Zugkraft des Wortes ungebrochen.<br />

Mehr noch, Innovation hat<br />

sich zu einem geradezu inflationär<br />

gebrauchten Schlagwort entwickelt.<br />

Kein noch so harmloser<br />

Der Überschall-Jet<br />

Concorde war ein<br />

Prestigeobjekt – und<br />

von Anfang an<br />

nicht wirtschaftlich<br />

Produktrelaunch, kein Software-Update und keine neue Dienstleistung,<br />

die nicht als fundamental innovativ angepriesen wird. In<br />

jeder zweiten oder dritten Stellenausschreibung wird innovatives<br />

Denken gefordert, und Jobkandidaten versäumen es folglich auch<br />

nicht, in den Bewerbungen ihre ausgeprägte Innovationsfreudigkeit<br />

herauszustreichen.<br />

Für Reinhold Bauer, der an der Universität Stuttgart Wirkungsgeschichte<br />

der Technik lehrt und seit Jahren über Innovation forscht,<br />

sind das allerdings großenteils Sprechblasen. Zwar sei allerorts von<br />

Innovation die Rede, aber häufig existiere nur eine vage Vorstellung<br />

davon, was der Begriff wirklich<br />

beinhalte, kritisiert der Wissenschaftler.<br />

Innovation drohe zu<br />

einer Art „Plastikbegriff“ zu verkommen<br />

– „er passt immer gut,<br />

hört sich irgendwie nach ‚neu‘ an<br />

und ist folglich auf jeden Fall begrüßenswert“.<br />

Doch nicht jeder Düsentrieb ist<br />

automatisch auch ein Innovator.<br />

Innovation setzt ein wirtschaftlich<br />

verwertbares Produkt oder einen<br />

veränderten Herstellungsprozess<br />

mit entsprechender Produktivitätssteigerung<br />

voraus. Daher hat<br />

es auch wenig Aussagekraft, wenn<br />

die Innovativität von Volkswirtschaften<br />

oder Unternehmen an<br />

der Zahl ihrer Patente gemessen<br />

wird, wie es seit ein paar Jahren in<br />

Mode gekommen ist.<br />

„Ein Patent bildet a priori einfach<br />

nur eine Erfindung ab“, sagt<br />

Bauer, der die Ergebnisse seiner<br />

Forschung in einem Werk über<br />

„Gescheiterte Innovationen –<br />

Fehlschläge und technologischer<br />

Wandel“ niedergelegt hat, „aber<br />

eine Erfindung ist, krass gesagt, etwas<br />

ohne jede wirtschaftliche Relevanz.<br />

Was sich nicht in der Bilanz<br />

niederschlägt, ist keine wirkliche<br />

Innovation.“<br />

FOTOS: CORBIS/REUTERS/JONATHAN BAINBRIDGE, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

34 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Seit Regierungen im späten 19.<br />

Jahrhundert die Bedeutung der<br />

Innovativität erkannt haben, versuchen<br />

sie immer wieder, neue<br />

Technologien gezielt zu fördern –<br />

nicht selten mit ausgesprochen<br />

kontraproduktiven Ergebnissen.<br />

„Hinter diesem Ansatz verbirgt<br />

sich ein industriepolitisches Denken,<br />

das schon vor Jahrzehnten<br />

gescheitert ist“, sagt Henning<br />

Klodt <strong>vom</strong> Kieler Institut für Weltwirtschaft.<br />

Tatsächlich schafft staatliche<br />

Förderung eine Art Innovationstreibhaus,<br />

in dessen geschütztem<br />

Biotop es sich die Forscher gemütlich<br />

machen – und das praktische<br />

Umfeld ihres Projekts leicht<br />

aus den Augen verlieren können.<br />

„Der geschlossene Raum der<br />

staatlichen Förderung schottet<br />

die Akteure der Innovatoren gewissermaßen<br />

von der rauen<br />

Wirklichkeit ab, also von den tatsächlichen<br />

Marktgegebenheiten<br />

und Nachfragebedingungen“,<br />

warnt Innovationsexperte Bauer.<br />

In solchen staatlich kontrollierten<br />

Entwicklungsräumen gedeihen<br />

dann auch schon mal Innovationen,<br />

„bei denen sich später<br />

schlimmstenfalls herausstellt,<br />

dass sie in der realen Welt weder nachgefragt noch lebensfähig<br />

sind“. Anders ausgedrückt:Sie sind eine Verschwendung von Ressourcen.<br />

Ein Beispiel für eine staatlich fehlgeleitete Innovation ist die<br />

Magnetschwebebahn Transrapid. Dabei hatte das staatlich massiv<br />

bezuschusste Projekt durchaus Sinn ergeben, als es Ende der Sechzigerjahre<br />

in Angriff genommen wurde: Zwischen den damals<br />

noch recht langsamen Eisenbahnen und schnellen, aber sehr teuren<br />

Flugverbindungen für Mittel- und Fernstrecken klaffte eine<br />

große Angebotslücke, die von der superschnellen Magnetschwebebahn<br />

sinnvoll geschlossen werden sollte.<br />

DIE LÜCKE WURDE IMMER KLEINER<br />

Doch mit den Jahren änderte sich das Umfeld der Verkehrssysteme<br />

nachhaltig: Die Entwicklung von Hochgeschwindigkeitszügen<br />

(TGV in Frankreich, ICE in Deutschland) machte die Eisenbahn<br />

um vieles schneller und konkurrenzfähiger. Gleichzeitig<br />

führten die Liberalisierung des Luftfahrtmarktes und der Boom<br />

der Billigflieger zu deutlich niedrigeren Flugtarifen. Das Fliegen<br />

auf kürzeren Entfernungen wurde plötzlich erschwinglich. Die<br />

Lücke im Verkehrsangebot, die der Transrapid eigentlich schließen<br />

sollte, wurde immer kleiner. Und eines kam noch hinzu: im<br />

Gegensatz zu Hochgeschwindigkeitszügen ließ sich die Magnetschwebebahn<br />

nicht ins vorhandene Verkehrssystem integrieren,<br />

sondern war auf ein eigenes paralleles Schienensystem angewiesen.<br />

Das machte ihre Verwirklichung unverhältnismäßig kompliziert<br />

und teuer.<br />

Der Wankelmotor<br />

wurde zu einem Opfer<br />

des Ölpreis-Schocks<br />

der Siebzigerjahre<br />

Gewiss, die Magnetschwebebahn<br />

erfüllt das Kriterium einer<br />

Innovation, weil sie tatsächlich<br />

ihre praktische Anwendung fand.<br />

Zwar nicht im europäischen Verkehrssystem,<br />

für das sie ursprünglich<br />

geplant war, aber immerhin<br />

wurde der Transrapid in Shanghai<br />

als Flughafenzubringer gebaut<br />

und pendelt dort seit Dezember<br />

2002 rund 50-mal am Tag. Allerdings<br />

wird die Höchstgeschwindigkeit<br />

von 430 Stundenkilometern<br />

auf der nur 30 Kilometer langen<br />

Strecke gerade mal 50 Sekunden<br />

gehalten. Dann muss der Zug<br />

schon wieder abbremsen, was das<br />

Durchschnittstempo auf 247 Stundenkilometer<br />

reduziert. Überdies<br />

befindet sich das „City“-Terminal<br />

an der Peripherie von Shanghai;<br />

von dort müssen die Reisenden<br />

mit viel Zeitverlust auf die konventionellen<br />

Verkehrsmittel der Innenstadt<br />

umsteigen.<br />

Zwar sind aus China immer<br />

wieder Meldungen über den geplanten<br />

Ausbau des Transrapid-<br />

Systems zu lesen. Doch bisher ist<br />

es bei den Ankündigungen geblieben.<br />

Eine Transrapid-Langstrecke<br />

ist auch in China nicht wirklich in<br />

Sicht. Technikhistoriker Bauer<br />

macht aus seiner persönlichen Einschätzung kein Geheimnis: „Ich<br />

halte den Transrapid für mausetot.“<br />

KURZE ÄRA<br />

Mausetot und im Museum aufgebockt ist auch ein anderes massiv<br />

staatlich gefördertes Innovationsprojekt: Nach knapp 25 Jahren<br />

Flugbetrieb endete die kurze Ära des Überschall-Passagierfluges<br />

am 25. Juli 2000 in Flammen und Rauch, als der britisch-französische<br />

Überschall-Jet Concorde am Pariser Flughafen Charles de<br />

Gaulle abstürzte und 109 Insassen in den Tod riss. Doch auch ohne<br />

den tragischen Crash wäre das Schicksal des wirtschaftlich unrentablen<br />

Fliegers besiegelt gewesen. Der in den Sechzigerjahren mit<br />

enormem staatlichem Aufwand entwickelte elegante Vogel, der<br />

1976 den Liniendienst aufnahm, sollte einen neuen Abschnitt im<br />

Luftverkehr eröffnen – doch die Wirtschaftlichkeit des Prestige-<br />

Fliegers war von Anfang an nie gegeben, nach den Ölkrisen der<br />

Siebzigerjahre noch weniger als vorher.<br />

Die damals staatlichen Airlines Air France und British Airways<br />

betrieben den Spritsäufer auf Geheiß ihrer Regierungen und mit<br />

staatlichen Zuschüssen. Andere Airlines, die anfangs noch Concorde-Kaufoptionen<br />

angemeldet hatten, sprangen bald wieder ab.<br />

„Die Concorde war ein staatliches Prestigeobjekt, bei dem nicht<br />

die Entwicklung eines superschnellen Verkehrssystems im Vordergrund<br />

stand“, kritisiert Bauer. Hier ging es dem Staat auch darum,<br />

sich über Innovativität und Technologie selbst darzustellen und zu<br />

repräsentieren. Als aber die Entscheidung für Entwicklung und<br />

Bau getroffen war, gerieten die Marktbedingungen und die Ren-<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 35<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»<br />

tabilität des Flugbetriebs in den abgeschotteten Entwicklungsbüros<br />

der beiden Flugzeugbauer immer mehr aus dem Blick.<br />

Wenn Innovationen scheitern, ist es meistens nur eine Frage der<br />

Zeit, wann die ersten Verschwörungstheorien auftauchen. Es gab<br />

sie bei der Concorde (angeblich hätten die amerikanischen Behörden<br />

und Boeing dem Projekt aus reinem Futterneid Steine in den<br />

Weg geworfen), so wie sie 1929 auch nach dem Absturz des Luftschiffs<br />

Hindenburg und dem ruhmlosen Ende der Zeppelin-Ära<br />

im Umlauf waren. Und auch viel später, als der von Felix Wankel<br />

entwickelte und nach ihm benannte Rotationskolben-Motor nach<br />

einer relativ kurzen Erfolgsstory in der avantgardistischen NSU-<br />

Limousine Ro80, dem Mercedes-Benz-Prototyp C-111 und einigen<br />

anderen Modellen Ende der Siebzigerjahre eingemottet wurde,<br />

tauchten Komplott-Theorien auf: Die etablierten Pkw-Hersteller,<br />

so wurde gemunkelt, hätten den Wankelmotor in heimlicher Absprache<br />

abgewürgt, um den Erfolg der konventionellen Hubkolbenmotoren<br />

nicht zu gefährden.<br />

FALSCHE ZEIT<br />

Alles Unsinn. Der Wankelmotor ist ein gutes Beispiel dafür, dass es<br />

keine Verschwörung braucht, um Innovationen scheitern zu lassen.<br />

„Es hat nichts mit Komplott zu tun, wenn eine Industriebranche,<br />

die in die Entwicklung und Produktion einer vorhandenen,<br />

bewährten und weiter entwicklungsfähigen Technologie viel Geld<br />

investiert hat, davor zurückschreckt, diese Technologie aufzugeben“,<br />

erklärt Bauer. Viel eher wurde auch der Wankelmotor mit seinem<br />

bautechnisch bedingten hohen Benzinverbrauch ein Opfer<br />

des Ölpreis-Schocks. Er war<br />

schlicht eine im Kern gute Innovation<br />

zur falschen Zeit.<br />

Ein ähnliches Schicksal könnte<br />

ungünstigenfalls einer weiteren<br />

radikalen Innovation im Autobau<br />

drohen – dem auf einer von Google<br />

entwickelten Technologie basierenden<br />

selbstfahrenden Automobil.<br />

Zwar experimentieren zahlreiche<br />

Autohersteller schon mit<br />

Prototypen, und Nissan will sogar<br />

2020 schon das erste selbstfahrende<br />

Auto auf den Markt bringen.<br />

Gleichwohl könnte sich diese Innovation<br />

am Ende als zu radikal erweisen.<br />

Knifflige Haftungsprobleme<br />

etwa drohen das Projekt auszubremsen.<br />

Wer ist juristisch verantwortlich,<br />

wenn selbstfahrende Autos<br />

in Unfälle verwickelt werden?<br />

Ist es der Hersteller, der das System<br />

konstruiert hat? Oder der Nutzer,<br />

weil er sich dem automatischen<br />

System willentlich anvertraut und<br />

das Unfallrisiko billigend in Kauf<br />

genommen hat? Oder vielleicht<br />

sogar der Gesetzgeber, der für einen<br />

entsprechenden legislativen<br />

Rahmen gesorgt hat, um das System<br />

auf die Straße zu bringen?<br />

Oder der Hersteller der Software,<br />

die das Fahrzeug steuert?<br />

Apple erreicht Kultstatus<br />

mit stetigen<br />

und schrittweisen<br />

Innovationen<br />

Ohnehin kommt bei gewagten Innovationen wie dem selbststeuernden<br />

Auto (ganz zu schweigen von noch radikaleren Konzepten<br />

wie robotergesteuerten Jets oder Schiffen – oder sogar die Paketzustellung<br />

durch Drohnen) die inhärente Furcht von Unternehmen<br />

vor allzu radikalen Neuerungen zum Tragen. Man könnte es auch<br />

das Unbehagen vor Alois Schumpeter nennen. Immerhin hatte der<br />

österreichische Ökonom die Innovation als einen Prozess der<br />

schöpferischen Zerstörung definiert. Innovation funktioniert nur<br />

wirklich, wenn der Ausbruch aus der Routine gewagt, Altes zerstört,<br />

Ressourcen anders kombiniert und in neue Verwendungszusammenhänge<br />

eingebunden werden. Das kann zu großartigen Resultaten<br />

führen. Doch je radikaler die Innovation, desto größer wird<br />

auch das Risiko des Scheiterns.<br />

Kein Wunder, dass sich Unternehmen in der Regel lieber für den<br />

weniger risikobehafteten Weg der inkrementellen Innovation, also<br />

der schrittweisen Neuerung, entscheiden. „Die Innovation, das<br />

Neue, ist eine Anomalie gegenüber dem Alten“, sagt der Medienphilosoph<br />

Rafael Capurro, emeritierter Professor für Informationswissenschaft<br />

an der Universität Stuttgart. „Eine Anomalie widerspricht<br />

dem Alten, dem Bisherigen und wirkt zunächst wie ein<br />

Fehler.“ Inkrementelle Innovation kann daher aus Unternehmenssicht<br />

durchaus eine sinnvolle und rationale Strategie sein.<br />

Nehmen wir das Beispiel der Boeing 747, deren Erstflug 1969 fast<br />

zeitgleich mit dem der Concorde stattfand. Doch während von dem<br />

radikal innovativen franko-britischen Überschall-Jet letztlich nur 20<br />

Exemplare gebaut wurden, entwickelte sich der weit weniger spektakuläre,<br />

eher behäbige Jumbo-Jet mit mehr als 1500 verkauften Exemplaren<br />

zum weltweiten Bestseller.<br />

In den 45 Jahren seit dem Erstflug<br />

erlebte das 747-Modell nicht weniger<br />

als elf große technische Überarbeitungen<br />

– ein Musterbeispiel für<br />

erfolgreiche inkrementelle Innovation.<br />

Und anders als die mit viel<br />

Vorschusslorbeer bedachte revolutionäre<br />

Concorde fliegt und verkauft<br />

sich Boeings Jumbo bis zum<br />

heutigen Tag erfolgreich.<br />

KULTUNTERNEHMEN APPLE<br />

Wenn es einen empirischen Beleg<br />

dafür braucht, dass man das Rad<br />

nicht alljährlich neu erfinden<br />

muss, sondern mit einer klugen Innovationsstrategie<br />

aus gelegentlichen<br />

radikalen und stetigen<br />

schrittweisen Neuerungen phänomenale<br />

Markterfolge erzielen<br />

kann, so hat ihn der US-Konzern<br />

Apple geliefert: Aus dem zeitweise<br />

pleitebedrohten Underdog aus Cupertino<br />

wurde dank seiner riskanten<br />

großen Würfe wie dem Macintosh<br />

(1984), dem iPhone (20<strong>07</strong>),<br />

dem iPad (2010) sowie jahrelanger<br />

inkrementeller Produktpflege ein<br />

Konzern mit Kultstatus. Heute ist<br />

Apple das mit Abstand vermögendste<br />

Unternehmen der Welt.<br />

Noch Fragen?<br />

n<br />

FOTO: PHOTOSHOT/XINHUA<br />

36 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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PARIS INTERN | Frankreichs neuer Premier macht<br />

den Kniefall vor der Linken, und im Wirtschaftsministerium<br />

gibt es gleich zum Start Streit um die<br />

Kompetenzen. Von Karin Finkenzeller<br />

Manuel allein zu Haus<br />

FOTOS: SAMMY HART, GETTY IMAGES, LAIF/REA/LAURENT CERINO<br />

Aber wer lacht zuletzt? Minister Montebourg<br />

(links), Regierungschef Valls<br />

Die Vorstellung des neuen<br />

Kabinetts musste einen<br />

Tag warten. Die Riege der<br />

Ministerinnen und Minister<br />

an einem 1. April zu präsentieren,<br />

hätte ja als Lachnummer<br />

aufgefasst werden<br />

können. Als Aprilscherz, der in Frankreich<br />

übrigens ein Aprilfisch, ein „poisson d’avril“<br />

ist, weil nach historisch nicht hundertprozentig<br />

gesicherten Angaben Scherzbolde<br />

im Mittelalter ihren ahnungslosen Mitmenschen<br />

Fische auf den Rücken klebten, die<br />

dann langsam anfingen zu stinken.<br />

Die Nase aber rümpften einige Kommentatoren.<br />

Hatten sie Montag vergangener<br />

Woche, als Staatschef François Hollande<br />

den bisherigen Innenminister Manuel Valls<br />

zum neuen Premier machte, noch gedacht,<br />

ein wirtschaftsliberaler Ministerpräsident<br />

werde auch einem solchen Kabinett vorstehen,<br />

lernten sie zwei Tage später das Gegenteil.<br />

Das ist Politik à la Hollande: ein<br />

Schritt vor, zwei zurück. Eine vernichtende<br />

Niederlage wie bei den jüngsten Kommunalwahlen<br />

ist dem Präsidenten genug.<br />

Weil das Entsetzen der Parteilinken über<br />

die Ernennung des Hardliners Valls groß<br />

war und der bisherige grüne Koalitionspartner<br />

die Zusammenarbeit mit ihm komplett<br />

verweigerte, sitzen am Kabinettstisch vor<br />

allem solche, die die linke Seele in Partei<br />

und Bevölkerung streicheln sollen.<br />

Wenn die neue Umweltministerin<br />

Ségolène Royal, die Präsidentschaftskandidatin<br />

von 20<strong>07</strong> und ehemalige<br />

Lebensgefährtin Hollandes, künftig bei<br />

öffentlichen Veranstaltungen wieder eine<br />

ihrer esoterisch angehauchten Reden anstimmt,<br />

werden sich die Anwesenden bei<br />

den Händen fassen – und die Energie wird<br />

nur so strömen.<br />

Dem zum Minister für Wirtschaft, Industrie<br />

und Informationstechnik beförderten<br />

Arnaud Montebourg gefällt an Valls, dass<br />

der Premier als Euro-Skeptiker gilt und<br />

2005 für ein „Nein“ der Franzosen zur europäischen<br />

Verfassung warb. Was dann ja<br />

auch klappte und die EU in eine schwere<br />

Krise gestürzt hat. Apropos Montebourg:<br />

Der 51-Jährige wollte am Mittwoch schon<br />

das Chefbüro im sechsten Stock des Wirtschaftsministeriums<br />

beziehen, um dann<br />

festzustellen, dass protokollarisch noch<br />

einer über ihm steht: Michel Sapin, bisher<br />

Arbeits- und nun Finanzminister. Nun muss<br />

sich der Globalisierungsgegner einige Etagen<br />

niedriger einrichten.<br />

Das kann noch spannend werden. Sapin<br />

wird in Brüssel über Haushaltsdefizite und<br />

Verschuldungsquoten verhandeln, die<br />

Montebourg für nötig hält, um Frankreichs<br />

sieche Wirtschaft wieder in Schwung zu<br />

bringen. Am Donnerstagmorgen übte sich<br />

Sapin bereits in verbaler Wirtschaftsgymnastik:<br />

„Im Interesse ganz Europas“ sei es<br />

wichtig, den „richtigen Rhythmus für die<br />

Defizitreduzierung zu finden“.<br />

Erste Reibereien gab es zudem zwischen<br />

dem Wirtschafts- und dem Außenministerium<br />

über die Zuständigkeit für den Außenhandel.<br />

Laurent Fabius, alter und neuer<br />

Außenminister, hatte in den vergangenen<br />

Monaten keinen Hehl daraus gemacht,<br />

dass er sein Haus als natürliche Adresse für<br />

Handelsdiplomatie hält – auch wenn diese<br />

dort bisher nie residiert hat. Drei Stunden<br />

lang zofften sich er und Montebourg am<br />

vorigen Mittwoch via Presseerklärungen,<br />

das Büro des Premierministers konnte zunächst<br />

keine Angaben machen, in wessen<br />

Bereich der Außenhandel angesiedelt sei.<br />

Am Donnerstagmorgen dann bestätigte<br />

der Regierungssprecher: Fabius hat sich<br />

durchgesetzt.<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 37<br />

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Der Volkswirt<br />

NACHGEFRAGT Frank-Jürgen Weise<br />

»Kein Spielraum<br />

für sinkende Beiträge«<br />

Der Chef der Bundesagentur für Arbeit sagt dem deutschen Arbeitsmarkt ein<br />

hervorragendes Jahr voraus – allerdings nicht für das Heer der Langzeitarbeitslosen.<br />

Herr Weise, die Zahl der Arbeitslosen<br />

hat sich bei knapp<br />

über drei Millionen stabilisiert,<br />

saisonbereinigt gehen die Zahlen<br />

seit drei Monaten zurück.<br />

Wird <strong>2014</strong> ein gutes Jahr für<br />

den Arbeitsmarkt?<br />

<strong>2014</strong> könnte sogar das beste<br />

Jahr seit Langem werden! Bis<br />

auf den Banken- und Versicherungsbereich<br />

suchen fast alle<br />

Branchen nach neuen Mitarbeitern.<br />

Besonders hoch ist die<br />

Nachfrage in technischen Berufen<br />

und im Gesundheitsbereich.<br />

Insgesamt rechnen wir<br />

<strong>2014</strong> mit einer durchschnittlichen<br />

Arbeitslosenzahl unter<br />

drei Millionen Menschen. Die<br />

Zahl der Erwerbstätigen dürfte<br />

auf 42,1 Millionen steigen.<br />

Woran liegt das?<br />

Der Export läuft stark, die Investitionen<br />

ziehen langsam an.<br />

Auch die Binnenkonjunktur ist<br />

in Schwung, weil Lohnsteigerungen<br />

und Produktivität in einer<br />

guten Balance sind. Ein<br />

Selbstläufer ist die gute Lage am<br />

Arbeitsmarkt gleichwohl nicht.<br />

Es dürfen keine externen<br />

Schocks eintreten, etwa durch<br />

die Krim-Krise. Wirtschaftssanktionen<br />

könnten in Deutschland<br />

Jobs bedrohen.<br />

Eine Gruppe profitiert <strong>vom</strong> Aufschwung<br />

am Arbeitsmarkt so<br />

gut wie gar nicht – die Langzeitarbeitslosen.<br />

Das stimmt so nicht. Seit 2006<br />

ist deren Zahl um 40 Prozent<br />

gesunken. Sie haben insofern<br />

recht, als dass sich die positive<br />

Entwicklung zuletzt nicht mehr<br />

fortgesetzt hat. Die Zahl der<br />

Langzeitarbeitslosen ist wieder<br />

leicht gestiegen und pendelt<br />

nun um die Millionengrenze.<br />

DER VERMITTLER<br />

Weise, 62, ist seit Februar 20<strong>04</strong><br />

Vorstandsvorsitzender der<br />

Bundesagentur für Arbeit (BA).<br />

Der Diplom-Betriebswirt und<br />

Oberst der Reserve arbeitete<br />

zuvor in der Privatwirtschaft.<br />

Wie lässt sich dieser Sockel<br />

abschmelzen?<br />

Nur durch Aus- und Weiterbildung.<br />

Für zwei Drittel dieser<br />

Menschen gilt mindestens eines<br />

der folgenden drei Kriterien: Sie<br />

haben keinen Schulabschluss,<br />

keinen Berufsabschluss oder<br />

sind älter als 50 Jahre. 400 000<br />

von ihnen sind sogar besonders<br />

hartnäckige Fälle, die seit 2005<br />

nicht mehr gearbeitet haben.<br />

Diese Gruppe lässt sich nur<br />

über ein langfristig angelegtes<br />

Programm aktivieren. Die Men-<br />

schen müssen qualifiziert werden<br />

und einen Arbeitgeber finden,<br />

der die Einstellung wagt –<br />

gern auch mit Lohnkostenzuschuss<br />

durch die Arbeitsagentur.<br />

Mit Verlaub: Welcher Betrieb<br />

stellt jemanden ein, der<br />

seit zehn Jahren nicht mehr<br />

gearbeitet hat?<br />

Natürlich ist das schwierig.<br />

Manche der Betroffenen haben<br />

aber keine schweren Defizite,<br />

sondern hatten schlicht keine<br />

Kinderbetreuung gefunden<br />

oder mussten Angehörige pflegen.<br />

Wenn wir das organisiert<br />

bekommen, können diese Leute<br />

arbeiten. Mit großer Motivation<br />

sogar. Und was ganz wichtig<br />

ist: Wir wollen die Integration in<br />

den ersten Arbeitsmarkt. Einen<br />

sozialen Arbeitsmarkt, der Beschäftigung<br />

nur simuliert, werde<br />

ich nicht herbeireden. Wir<br />

müssen die Arbeitgeber von unseren<br />

Kandidaten überzeugen:<br />

Schau dir den Menschen an<br />

und nicht die Zeugnisse. Und<br />

dann müssen wir beide Seiten<br />

begleiten, weil es ein anspruchsvoller<br />

Weg ist.<br />

Halten Sie mit Blick auf die<br />

Problemfälle im Arbeitslosenbestand<br />

den gesetzlichen Mindestlohn<br />

für eine gute Idee?<br />

Der Mindestlohn ist eine politische<br />

Entscheidung und wird<br />

von einer Mehrheit in der Bevölkerung<br />

gewünscht. Er führt<br />

dazu, dass gerade viele Ungelernte<br />

in Zukunft mehr leisten<br />

und eine Aus- oder Weiterbildung<br />

absolvieren müssen – damit<br />

sie die 8,50 Euro pro Stunde<br />

erwirtschaften können. Dazu<br />

gehört auch, selbst die Initiative<br />

zu ergreifen.<br />

2013 hat der Bundesrechnungshof<br />

kritisiert, dass sich<br />

manche BA-Vermittler wegen<br />

interner Vorgaben auf leichtere<br />

Fälle stürzen – und Langzeitarbeitslose,<br />

deren Vermittlung<br />

viel Arbeit macht, links liegen<br />

lassen. Haben Sie darauf organisatorisch<br />

reagiert?<br />

Eines vorweg: Unsere Strategie<br />

war richtig. Die vertreten wir<br />

auch weiterhin. Wenn je-<br />

»<br />

FOTO: MAX LAUTENSCHLÄGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

38 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Der Volkswirt<br />

»<br />

mand bei uns zur Tür reinkommt,<br />

muss der erste Gedanke<br />

sein: Wie kriegen wir ihn schnell<br />

wieder in einen Job? Das Problem<br />

war ein anderes: Es gab<br />

Arbeitsagenturen, die den Mittelstand<br />

als Ansprechpartner<br />

vernachlässigt und verstärkt<br />

Zeitarbeitsfirmen bedient haben.<br />

Das ist nicht die gewünschte<br />

Geschäftspolitik der BA. Ich<br />

will, dass die Leistung meiner<br />

Mitarbeiter von Jahr zu Jahr besser<br />

wird. Und da gab es intern<br />

bisweilen die Ansicht, höhere<br />

Vermittlungserfolge seien nur<br />

mit mehr Zeitarbeit möglich.<br />

Und nun?<br />

Wir haben <strong>2014</strong> die Vorgaben<br />

an die Vermittler nicht erhöht.<br />

Zugleich arbeiten wir an einem<br />

Zielsystem, das die schwierige<br />

Integration eines Langzeitarbeitslosen<br />

besser berücksichtigt.<br />

Wir vergleichen seit Jahren<br />

Agenturen in ähnlichen Regionen<br />

und Strukturen. Da suche<br />

ich mir die Besten raus und sage<br />

den anderen: Das müsst ihr<br />

auch schaffen.<br />

Halten Sie langfristig eine<br />

Arbeitslosenzahl von unter<br />

zwei Millionen für möglich?<br />

Wir haben derzeit rund eine<br />

Million Kurzzeitarbeitslose, die<br />

im Schnitt nicht länger als drei<br />

Monate ohne Job sind. Bei 42<br />

Millionen Beschäftigten und einem<br />

beweglichen Arbeitsmarkt<br />

ist das eine normale Größe, die<br />

sich kaum weiter senken lässt.<br />

In der Grundsicherung hingegen<br />

sind noch immer zwei Millionen<br />

Menschen arbeitslos.<br />

Diese Zahl müsste in den kommenden<br />

zehn Jahren zu halbieren<br />

sein.<br />

2013 gab es in Deutschland die<br />

höchste Netto-Zuwanderung<br />

seit mehr als 20 Jahren. Setzt<br />

sich dieser Trend fort?<br />

Ja. Die Zuwanderung nach<br />

Deutschland wird in diesem<br />

Jahr deutlich ansteigen. Wir<br />

rechnen mit einer Netto-Zuwanderung<br />

von 450 000 Personen.<br />

Das ist weit mehr, als alle<br />

lang- und kurzfristigen Prognosen<br />

vorhergesagt haben. Solange<br />

die ökonomische Entwicklung<br />

in Europa stark differiert,<br />

dürfte dieser Trend auch in den<br />

kommenden Jahren anhalten.<br />

Finden Sie das gut oder<br />

schlecht?<br />

In der Summe gut. Die Zuwanderung<br />

kann den demografiebedingten<br />

Rückgang der erwerbsfähigen<br />

Bevölkerung in<br />

Deutschland – <strong>2014</strong> sind das<br />

rund 300 000 Personen – derzeit<br />

mehr als kompensieren. Und<br />

wir bekommen nun auch viele<br />

hoch Qualifizierte aus Süd- und<br />

Osteuropa, die früher lieber<br />

nach England gegangen sind...<br />

...und die womöglich in ihre<br />

Heimatländer zurückkehren,<br />

sobald die Wirtschaft dort<br />

besser läuft.<br />

Na und? Wir sollten mehr europäisch<br />

denken. Wer fünf Jahre<br />

»Die Zuwanderung<br />

nach<br />

Deutschland<br />

wird <strong>2014</strong> deutlich<br />

ansteigen«<br />

bei uns lebt und dann zurück<br />

nach Spanien oder Portugal<br />

geht, kann trotzdem ein dauerhafter<br />

Gewinn für die deutsche<br />

Volkswirtschaft sein. Er nimmt<br />

dann vielleicht seinen BMW<br />

mit, hat Gefallen an deutschen<br />

Produkten gefunden und ist für<br />

die Auslandsniederlassungen<br />

deutscher Unternehmen ein interessanter<br />

Jobkandidat.<br />

Auf der anderen Seite wächst<br />

die Angst vor Zuwanderung von<br />

gering Qualifizierten in die<br />

Sozialsysteme, etwa aus Rumänien<br />

und Bulgarien. Ist das<br />

Hysterie oder eine berechtigte<br />

Sorge?<br />

Die Zahlen sind absolut gesehen<br />

noch überschaubar, sie<br />

wachsen prozentual aber stark<br />

an. Und es ballt sich in bestimmten<br />

Regionen, etwa Berlin,<br />

Duisburg und Mannheim.<br />

Beide Phänomene sind nicht<br />

ungefährlich. Wir müssen auf-<br />

passen, dass gering qualifizierte<br />

Zuwanderer aus Osteuropa, die<br />

hier allenfalls Helfertätigkeiten<br />

ausüben können, nicht zur<br />

Konkurrenz für unsere Langzeitarbeitslosen<br />

werden. Allerdings<br />

ist der Anteil der Arbeitslosen<br />

unter rumänischen und<br />

bulgarischen Migranten nach<br />

wie vor geringer als etwa in der<br />

Gruppe der türkischen Arbeitnehmer<br />

– und auch niedriger<br />

als bei ausländischen Arbeitnehmern<br />

insgesamt.<br />

Der Europäische Gerichtshof<br />

befasst sich derzeit mit der<br />

Frage, ob und wann arbeitslose<br />

EU-Ausländer in Deutschland<br />

ein Anrecht auf Hartz IV haben.<br />

Was ist Ihre Position?<br />

Dieses Urteil ist von entscheidender<br />

Bedeutung. Als Behördenchef<br />

respektiere ich das Sozialrecht<br />

in all seinen Facetten.<br />

Doch muss ich auf die Folgen<br />

hinweisen. Wenn künftig jeder<br />

Zuwanderer aus der EU ein Anrecht<br />

auf Grundsicherung ab<br />

dem ersten Tag hat, entfacht<br />

dies eine gefährliche Signalwirkung.<br />

Das ist arbeitsmarktpolitisch<br />

von der BA nicht mehr zu<br />

bewältigen, da werden am Ende<br />

alle Arbeitsmarktprogramme<br />

versagen.<br />

Führt die derzeit gute Arbeitsmarktlage<br />

dazu, dass sich die<br />

BA wieder ein dickes Finanzpolster<br />

für schlechte Zeiten<br />

zulegen kann?<br />

Nein. Wir haben aktuell Rücklagen<br />

von 2,4 Milliarden Euro.<br />

Das klingt viel, wäre aber schon<br />

bei einer wirtschaftlichen Eintrübung<br />

schnell verbraucht.<br />

Zum Vergleich: Vor der großen<br />

Wirtschaftskrise 2009 hatten<br />

wir 16 Milliarden Euro verfügbar.<br />

Mit dem derzeitigen Beitragssatz<br />

von drei Prozent können<br />

wir unsere originären<br />

Aufgaben erfüllen – mehr aber<br />

auch nicht.<br />

Die mittelfristige Finanzplanung<br />

der Bundesregierung<br />

sieht für die BA bis 2018<br />

keinerlei Zuschüsse mehr vor.<br />

Ihr Haus soll stattdessen<br />

Überschüsse erwirtschaften.<br />

Schaffen Sie das?<br />

Bei normaler Wirtschaftslage<br />

rechnen wir <strong>2014</strong> mit einem<br />

Überschuss um die 100 Millionen<br />

Euro. Bei einem Haushaltsvolumen<br />

von rund 53 Milliarden<br />

Euro ist das eine schwarze<br />

Null. Darin enthalten sind steigende<br />

<strong>Ausgabe</strong>n für Prävention<br />

und eine Konjunktur-Risikoreserve<br />

von 250 Millionen Euro.<br />

Wer mehr fordert, sollte sich an<br />

zwei Dinge erinnern: Die in den<br />

vergangenen Jahren erfolgte<br />

Absenkung des Beitragssatzes<br />

von 6,3 auf 3,0 Prozent kostet<br />

die BA jährlich 20 Milliarden<br />

Euro. Hinzu kommen weitere<br />

rund acht Milliarden Euro Mindereinnahmen<br />

durch den Wegfall<br />

des Mehrwertsteuerpunktes,<br />

den uns die Politik zunächst<br />

zugesprochen und später wieder<br />

genommen hat.<br />

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft<br />

hält gleichwohl 2015<br />

eine Absenkung des Beitragssatzes<br />

um 0,2 Punkte für<br />

finanzierbar – und auch für<br />

geboten.<br />

Ich sage ganz klar: Für sinkende<br />

Beitragssätze fehlt uns bis auf<br />

Weiteres der Spielraum. Da wir<br />

wegen des Mindestlohns künftig<br />

mit steigenden <strong>Ausgabe</strong>n für<br />

Weiterbildung rechnen müssen,<br />

ist schon die Stabilisierung des<br />

Beitrags eine enorme Leistung.<br />

Davon sind andere Zweige der<br />

deutschen Sozialversicherung<br />

ein gutes Stück entfernt.<br />

Eine persönliche Frage zum<br />

Schluss: Sie sind seit zehn<br />

Jahren im Amt und einer der<br />

dienstältesten BA-Chefs aller<br />

Zeiten. Wie lange wollen<br />

Sie den Job noch machen?<br />

Mein Vertrag läuft bis Mitte<br />

2017, und die Politik hat mich<br />

gebeten, dieses Mandat zu erfüllen.<br />

Danach spricht vieles<br />

dafür, die Leitung der BA in jüngere<br />

Hände zu geben. Es sei<br />

denn, es gibt vorher einen dramatischen<br />

Wirtschaftseinbruch.<br />

Dann wäre ein Oldie wie<br />

ich, der kühl bleibt, wenn andere<br />

aufgeregt sind, vielleicht<br />

doch noch mal gefragt... n<br />

max.haerder@wiwo.de | Berlin,<br />

bert.losse@wiwo.de<br />

40 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Der Volkswirt<br />

DENKFABRIK | Die Europäische Zentralbank kann die Konjunktur mit Staatsanleihenkäufen<br />

nicht ankurbeln. Sie läuft Gefahr, dadurch die außenwirtschaftlichen<br />

Ungleichgewichte in der Euro-Zone zu verstärken. Von Ansgar Belke und Daniel Gros<br />

Kontraproduktive Geldpolitik<br />

An den Finanzmärkten<br />

und in Ökonomenzirkeln<br />

wird derzeit heiß<br />

diskutiert, ob die<br />

Währungsunion auf eine Deflation,<br />

also einen allgemeinen<br />

Rückgang des Preisniveaus,<br />

zusteuert. Im März lag die<br />

Teuerungsrate nach vorläufigen<br />

Berechnungen bei nur 0,5<br />

Prozent. Die Europäische Zentralbank<br />

(EZB) strebt dagegen<br />

eine Inflationsrate von knapp<br />

unter zwei Prozent an, die sie<br />

als Preisstabilität definiert. Viele<br />

Experten fordern daher, die<br />

EZB müsse die Geldpolitik weiter<br />

lockern, um eine Deflation<br />

zu verhindern. Sie empfehlen<br />

ihr unter anderem, es der US-<br />

Zentralbank gleichzutun und<br />

langlaufende Staatsanleihen zu<br />

kaufen. Das senke die Zinsen<br />

und rege die Konjunktur an.<br />

Doch dieses Argument kann<br />

nicht überzeugen. Unserer<br />

Ansicht nach spricht vielmehr<br />

einiges dafür, dass niedrige<br />

Zinsen in der derzeitigen Lage<br />

sogar kontraproduktiv sind.<br />

SPARER LEIDEN<br />

Zuvorderst verringern fallende<br />

Zinssätze den Ertrag für<br />

Sparer. Die privaten Haushalte<br />

in Deutschland, die ihr Alterseinkommen<br />

durch private Ersparnisse<br />

aufbessern wollen,<br />

müssten zusätzlich sparen, um<br />

den von ihnen angestrebten Kapitalstock<br />

aufzubauen. Zudem<br />

würden die Kapitalrückflüsse<br />

aus den Lebensversicherungen<br />

sinken. Niedrigere Zinsen dürften<br />

in Deutschland daher nicht<br />

zu dem gewünschten Zuwachs<br />

der gesamtwirtschaftlichen<br />

Nachfrage führen.<br />

Aber könnten niedrigere<br />

Zinsen nicht wenigstens die<br />

»Bei niedrigeren<br />

Zinsen müssten<br />

die Deutschen<br />

mehr sparen,<br />

um genügend<br />

Kapital fürs Alter<br />

aufzubauen«<br />

ten kaum etwas von niedrigeren<br />

Langfristzinsen, da ihre Hypothekenzinsen<br />

an die Entwicklung der<br />

kurzfristigen Interbankensätze<br />

gekoppelt sind. Außerdem dürften<br />

die überschuldeten Haushalte<br />

und Unternehmen vorerst damit<br />

beschäftigt sein, ihre hohen<br />

Schulden abzubauen, daher werden<br />

sie kaum neue Kredite aufnehmen.<br />

Insgesamt könnten<br />

niedrigere Zinsen daher einen<br />

negativen Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche<br />

Nachfrage<br />

im Euro-Raum haben.<br />

Am Anfang der Währungsunion<br />

war dies anders. Damals war die<br />

Überschuldung noch nicht so ausgeprägt,<br />

und die Häuserpreise<br />

gen derzeit jedoch, was die Haushaltskassen<br />

der Bürger belastet.<br />

Zudem ist es in Deutschland<br />

schwierig, den Wertzuwachs von<br />

Immobilien für Konsumkredite zu<br />

nutzen. Hierzulande sind die Beleihungswerte<br />

meist konservativ<br />

angesetzt. Die meisten Banken<br />

dürften daher zögern, bei steigenden<br />

Immobilienwerten ihren Kunden<br />

mehr Konsumentenkredite<br />

auszureichen, auch wenn dies in<br />

Einzelfällen vorkommen mag.<br />

Geringere Zinsen erhöhen in<br />

der Theorie die Investitionsnachfrage<br />

von Unternehmen. Nahezu<br />

alle ökonomischen Modelle<br />

unterstellen dies. Aber eine große<br />

Mehrzahl empirischer Studien<br />

Nachfrage in den europäischen<br />

Krisenländern ankurbeln? Immerhin<br />

steht jedem Sparer ein<br />

Schuldner gegenüber, dessen<br />

Schuldenlast sinkt, wenn die Zinsen<br />

fallen. Deutschland ist der<br />

größte Nettogläubiger in der Euro-<br />

Zone. Die deutsche Volkswirtschaft<br />

erleidet deshalb einen Einkommensverlust,<br />

wenn die<br />

Zinssätze weiter fallen. Dagegen<br />

dürften Deutschlands Schuldner<br />

in der Peripherie von niedrigeren<br />

Zinsen profitieren.<br />

Doch ganz so einfach ist es<br />

nicht. Spanische Haushalte hätstiegen,<br />

während sie heute fallen.<br />

Die Befürworter niedrigerer Zinsen<br />

setzen zudem darauf, dass<br />

diese die Vermögenspreise, insbesondere<br />

die Häuserpreise,<br />

nach oben ziehen. Steigen die<br />

Vermögen, fühlen sich die Menschen<br />

reicher – und konsumieren<br />

mehr. In den USA lässt sich dieser<br />

Zusammenhang durchaus beobachten.<br />

Doch ob er auch für Europa<br />

gilt, ist fraglich. In Deutschland<br />

sind nur etwas mehr als 40 Prozent<br />

der Einwohner Eigentümer<br />

ihrer Wohnstätten. Die Mehrzahl<br />

wohnt zur Miete. Die Mieten steizeigt,<br />

dass die Zinssätze allenfalls<br />

einen marginalen Einfluss<br />

auf die Investitionen haben.<br />

Andere Faktoren dominieren.<br />

In Europa finanzieren sich die<br />

Unternehmen eher über Bankkredite<br />

mit kurzer bis mittlerer<br />

Laufzeit. Niedrigere langfristige<br />

Zinsen nutzen ihnen daher<br />

wenig.<br />

NEGATIVE WIRKUNG<br />

Insgesamt dürften Wertpapierkäufe<br />

der EZB auf die gesamtwirtschaftliche<br />

Nachfrage in<br />

Deutschland eher einen negativen<br />

Einfluss ausüben. In den<br />

Peripherieländern wäre der Impuls<br />

allenfalls marginal positiv.<br />

Würde die Binnennachfrage<br />

in Deutschland und anderen<br />

nordeuropäischen Ländern geschwächt,<br />

bremste dies deren<br />

Importe, und die Überschüsse<br />

in den Leistungsbilanzen nähmen<br />

weiter zu.<br />

Expansive geldpolitische<br />

Maßnahmen der EZB drohen<br />

daher die außenwirtschaftlichen<br />

Ungleichgewichte in der<br />

Euro-Zone zu verstärken. Die<br />

Währungshüter sollten der<br />

Versuchung widerstehen, in<br />

großem Stil Anleihen zu kaufen<br />

und die Zinsen nach unten zu<br />

drücken. Was in den USA und<br />

in Großbritannien funktioniert<br />

haben mag, wird in der Euro-<br />

Zone scheitern.<br />

Belke ist Professor für Makroökonomie<br />

an der Universität<br />

Duisburg-Essen und Associate<br />

Fellow des Centre for European<br />

Policy Studies in Brüssel.<br />

Gros ist Direktor des Centre<br />

for European Policy Studies<br />

(CEPS). Der in Chicago<br />

promovierte Ökonom berät<br />

das Europäische Parlament.<br />

FOTOS: PR, VISUM/MARKUS HANKE<br />

42 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

INNOVATIONS-RANKING |<br />

Eine Exklusiv-Studie<br />

im Auftrag der<br />

WirtschaftsWoche<br />

präsentiert die 50<br />

erfolg- und ideenreichsten<br />

deutschen<br />

Mittelständler. Dazu<br />

im Twitter-Stil, mit<br />

welchen Methoden es<br />

den Besten gelingt,<br />

unablässig Neues auf<br />

den Markt zu bringen.<br />

Kreativität am<br />

laufenden Band<br />

Deutschlands innovativste Unternehmerin<br />

ist 76 Jahre alt,<br />

lebt in einem Provinznest zwischen<br />

Schwäbischer Alb und<br />

Schwarzwald und erinnert äußerlich<br />

an eine italienische Operndiva. In<br />

Wahrheit gebietet die Seniorin mit dem<br />

tiefschwarzen Haar jedoch über ein höchst<br />

erfolgreiches Unternehmen: den Medizintechnik-Hersteller<br />

Karl Storz in Tuttlingen<br />

an der Donau. Der ist mit seinen Endoskopen<br />

für Chirurgen und mit seinen Operationssälen<br />

Deutschlands innovativster Mittelständler.<br />

Das ist das Ergebnis eines Rankings, das<br />

die Münchner Unternehmensberatung<br />

Munich Strategy Group (MSG) exklusiv für<br />

die WirtschaftsWoche erstellt hat. Dazu haben<br />

MSG-Gründer Sebastian Theopold<br />

und seine Mitarbeiter insgesamt 3000 Mittelständler<br />

für ihre Studie analysiert. Ergebnis<br />

ist eine Liste der 50 innovativsten<br />

deutschen Mittelständler (siehe Tabelle<br />

Seite 48). Unter den Top-Innovatoren finden<br />

sich vor allem Maschinenbau-Unternehmen<br />

sowie Spezialisten für Mess- und<br />

Regeltechnik, Software und Medizintechnik.<br />

Gewinner Storz schaffte es gleichzeitig<br />

ins Finale des Deutschen Innovationspreises<br />

(siehe Seite 82).<br />

Gerade die deutschen Medizintechniker<br />

hätten einen riesigen Innovationssprung<br />

gemacht, sagt Ranking-Autor Theopold:<br />

„Da tauchen neben Siemens viele junge,<br />

innovative Medizintechnik-Firmen auf, die<br />

es vor einigen Jahren noch gar nicht gab.“<br />

Allerdings offenbart das Ranking auch<br />

Schwächen. Unter den Top 50 finden sich<br />

kaum Biotech-Medikamentenhersteller.<br />

„Für sie sind die Markteintrittsbarrieren<br />

wegen der hohen Entwicklungskosten sehr<br />

hoch“, sagt Autor Theopold. Und in den<br />

USA stehen für die Biotechs mehr Kapitalgeber<br />

bereit. Ebenfalls schwach sind die<br />

deutschen Mittelständler bei der Nanotechnologie,<br />

die potenzielle Basis für neuartige<br />

Solarzellen oder Speichermedien.<br />

juergen.salz@wiwo.de, andreas macho<br />

Wie die Besten zu ihren Erfolgen kommen,<br />

lesen Sie im Twitter-Stil mit maximal 140<br />

Zeichen pro Satz auf den folgenden Seiten.<br />

#Kundenversteherin<br />

STORZ | Der Medizintechnik-Spezialist fertigt immer bessere<br />

Endoskope und OP-Säle, indem er die Ärzte befragt.<br />

Tuttlingen, Donau. Schwäb. Alb im Osten,<br />

Schwarzwald im Westen. Ganz netter<br />

Ort, viel Landschaft, total #Provinz.<br />

War früher schlimmer. Karstboden, arme<br />

Bäuerchen, lange Winter, viel Zeit zum<br />

Rumbasteln, Rumtüfteln, für Heimarbeit.<br />

Heute 400 Medizintechnik-Unternehmen<br />

auf 35 000 Einwohner, entstanden aus<br />

einer Messerschmiede von 1867.<br />

Aesculap ist der Ortsriese, Tochter von<br />

B. Braun Melsungen, Medizin- und Krankenhaus-Konzern<br />

aus Nordhessen.<br />

Größe ist nicht alles. Innovativer als<br />

B. Braun ist Karl Storz, Nummer eins im Innovationsranking<br />

der deutschen Mittelständler.<br />

High Tech, wo man hinschaut bei #Storz.<br />

Spezialität: Endoskope für Chirurgen zum<br />

Operieren ohne große Schnitte, moderne<br />

OP-Säle.<br />

Kein Wunder, bei so einer Chefin. Sybill<br />

Storz, zarte 76, hat noch immer die Hände<br />

straff an den Zügeln, sagt letztlich, wo es<br />

langgeht.<br />

Wo die Innovationen herkommen?<br />

O-Ton der Chefin: „Der Arzt sagt uns,<br />

was er will. Das hat schon mein Vater so<br />

gehalten.“ »<br />

FOTO: STEFAN KRÖGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

44 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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RANG<br />

1Sybill Storz<br />

Karl Storz<br />

Endoskope<br />

Dank der High-Tech-Geräte<br />

von Storz erkennen Ärzte in<br />

bester Bildqualität, was sie gerade<br />

operieren.<br />

Umsatz: 1,3 Milliarden Euro<br />

Mitarbeiter: 6700<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

Die alte Dame, ganz der Vater und Unternehmensgründer<br />

Karl. Forschte auch<br />

schon mit Ärzten an medizinischen Geräten.<br />

Aha, Kundenversteherin also. Storz: „Bei<br />

uns denkt sich nicht die Marketingabteilung<br />

aus, was die Ärzte wohl gebrauchen<br />

könnten.“<br />

Noch’n Gedicht der Chefin: „Der Kunde<br />

ist König. Das bringen wir neuen Mitarbeitern<br />

als Erstes bei.“<br />

Das Detail macht’s: Die Idee, wo etwa die<br />

Kamera an Endoskopie-Geräte angebracht<br />

wird, stammt häufig von den Ärzten, die<br />

operieren.<br />

Ärzte loben Storz. Außendienstler träten<br />

bescheiden auf und würden flexibel auf<br />

Wünsche reagieren.<br />

Von der Übersetzerin zur Chefin: Storz<br />

hat Fremdsprachenkorrespondentin gelernt.<br />

1996 Übernahme des Geschäfts.<br />

Tuttlingens berühmteste Unternehmerin:<br />

mehrere Ehrendoktortitel, zum Beispiel<br />

von den Universitäten Tübingen und<br />

Dundee in Schottland.<br />

Heute riesiger Laden, 1,3 Milliarden Euro<br />

Umsatz, typisch solide Schwaben, jedes<br />

Jahr Gewinn gemacht, seit der Gründung<br />

1945.<br />

Von Tuttlingen aus in die Welt: Drei Viertel<br />

des Umsatzes stammen aus dem Ausland.<br />

6700 Mitarbeiter weltweit, 2000 in<br />

Tuttlingen.<br />

Der Erfolg kommt <strong>vom</strong> großen Angebot:<br />

Etwa 8000 Produkte stehen im Katalog, oft<br />

besser als die Konkurrenz, allerdings auch<br />

teurer.<br />

Immer was Neues bei Storz: Mobiles Endoskop<br />

namens Tele Pack X lässt sich wie<br />

ein iPhone über den Bildschirm steuern.<br />

Matriarchin Storz will noch immer alles<br />

wissen. Liest Berichte der Außendienstler.<br />

Beim Lesen fällt ihr zuweilen auf, dass<br />

vor allem junge Mitarbeiter im Umgang<br />

mit Kunden besser werden könnten.<br />

Dann gibt es sicherlich auch schon mal<br />

einen Hinweis an den Vorgesetzten. Das<br />

kann dann wohl auch ungemütlich werden.<br />

Wie lange bleibt die Chefin noch? Ungewiss.<br />

Sohn Karl-Christian leitet die Forschung,<br />

aber noch mischt die Mutter munter<br />

mit.<br />

Sie denkt wohl noch nicht ans Aufhören.<br />

Fährt auf Promis ab, Fotos mit Papst Benedikt<br />

und Frankreichs Ex-Staatschef Jacques<br />

Chirac.<br />

Storz sagt, sie würde der @wiwo gern<br />

einmal das Anwendungszentrum für die<br />

neuesten Operationsgeräte in Berlin vorführen.<br />

Ah, Berlin, ist bestimmt mehr los als in<br />

Tuttlingen, #hauptstadtbonus.<br />

#Menschenkenner<br />

UZIN UTZ | Alle Kraft der Personalauswahl, lautet das Erfolgsrezept<br />

des Klebstoff-Spezialisten. Der Chef ist Psychologe.<br />

Klebstoff für Bodenbeläge, old, older,<br />

oldest Economy, denkt wohl jeder. Ein<br />

bisschen Uhu, ein bisschen Patex, fertig ist<br />

die Paste.<br />

Uzin Utz (komischer Name) stellt Klebstoff<br />

für Bodenbeläge her. Wie wird ausgerechnet<br />

so einer zweitinnovativster Mittelständler<br />

Deutschlands?<br />

Übrigens: „Uzin“ ist ein Kunstwort, zusammengesetzt<br />

aus dem Familiennamen<br />

„Utz“ und „Industrie“.<br />

Uzin-Utz-Chef Werner Utz schwört unbeirrt<br />

auf seine Methode: „Wir stellen die<br />

richtigen Leute ein.“ Klingt so alt wie Klebstoff,<br />

oder?<br />

Mooooment! In Altem kann auch viel<br />

Neues stecken. Wichtig ist, dass man es<br />

richtig macht. Uzin Utz in Ulm wäre ja<br />

sonst nicht so innovativ.<br />

Innovativ ist bei Uzin Utz der Ansatz. Erste<br />

Regel des Chefs: „Das Wollen der Bewerber<br />

ist manchmal wichtiger als ihr Können.“<br />

Auf die erste folgt die zweite Regel. Originalton<br />

Firmenchef Utz: „Motivation ist<br />

wichtiger als gute Noten.“<br />

Alle schlauen Dinge sind drei. Wie Utz<br />

das Wollen und die Motivation entdeckt?<br />

Ganz einfach: „Durch Intuition.“<br />

Früher hatte Utz ausgetüftelte Fragebögen<br />

für die Einstellungsgespräche. Heute<br />

sagt er: „Das Bauchgefühl ist besser.“<br />

Bitte, bitte nicht aufhören zu lesen! Utz<br />

schwafelt nicht, seine Sätze haben System.<br />

Der Mann hat immerhin Arbeitspsychologie<br />

studiert.<br />

Die Anwendung psychologischer Erkenntnisse,<br />

das ist bei dem Familienunternehmen<br />

der Schlüssel zu Innovationen.<br />

Utz übernahm die Firma 1978 von seinem<br />

Vater Willi Utz. Seitdem gilt im Personalmanagement<br />

die Devise „Wertschöpfung<br />

folgt Wertschätzung“.<br />

Die Devise Wertschöpfung durch Wertschätzung<br />

mündet bei Utz in Fördern<br />

durch Fordern.<br />

Wertschätzung durch Lob reicht dem<br />

Chef nicht, es muss Lob + Prämien sein.<br />

Uzin Utz ist ja kein Kindergeburtstag.<br />

Weil Prämien für Innovationen nur funktionieren,<br />

wenn Neues messbar ist, misst<br />

Utz viel. Ergebnis: Neuheitsquote.<br />

Die Formel versteht jeder: Neuheitsquote<br />

= Anteil jener Produkte am Gesamtumsatz,<br />

deren Einführung weniger als fünf<br />

Jahre zurückliegt.<br />

Kein Wunder, dass Uzin Utz weit vorn ist<br />

im Ranking der @wiwo. Neuheitsquote<br />

2013: 58 Prozent. Umsatz: 2<strong>07</strong> Millionen<br />

Euro. 940 Mitarbeiter.<br />

Nur zum Vergleich: Als Werner Utz das<br />

Unternehmen 1978 übernahm, hatte es<br />

100 Mitarbeiter, und der Umsatz lag bei<br />

zwölf Millionen Euro.<br />

Die Schwaben sind keine Eigenbrötler,<br />

die ihr Bauchgefühl ausleben. Seit 1997 an<br />

der Börse. Seitdem ein halbes Dutzend Firmenübernahmen.<br />

Vorstandschef Utz lässt nicht ab von seinem<br />

Credo: „Die wichtigste unternehmerische<br />

Entscheidung ist die Personalentscheidung.“<br />

Was bei Uzin Utz niemals passieren darf:<br />

Dass die Mitarbeiter Informationen über<br />

das Unternehmen als Erstes aus der Zeitung<br />

erfahren.<br />

Was bei Uzin Utz immer passiert: Führungspositionen<br />

werden ausschließlich<br />

durch Mitarbeiter aus dem eigenen Haus<br />

besetzt.<br />

Innovationen durch #Karrierechancen.<br />

RANG<br />

2Uzin Utz (Klebstoffe)<br />

Umsatz:<br />

2<strong>07</strong> Millionen Euro<br />

Mitarbeiter:<br />

940<br />

46 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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# Vorexerzierer<br />

EUROIMMUN | Der Chef der Lübecker Biofirma gilt bei seinen<br />

Mitarbeitern als wandelnde Ikone.<br />

Nicht schlecht für einen Mittelständler.<br />

Überall in der Zentrale in Lübeck Perserteppiche,<br />

Betriebskindergarten und Hort.<br />

Das nennt man Wohlfühlatmosphäre.<br />

Der Chef, Winfried Stöcker, Professor, absolut<br />

unprätentiös, duzt jeden, lässt sich<br />

duzen.<br />

Euroimmun ist Nummer drei unter den<br />

innovativen Mittelständlern. Die Wohlfühlatmosphäre<br />

ist der eine, der Chef der<br />

andere Erfolgsfaktor.<br />

Stöcker ist Dauererfinder. Er ersann Biochips,<br />

die Autoimmunerkrankungen erkennen,<br />

bei denen sich der Körper selbst<br />

bekämpft.<br />

Der Euroimmun-Chef lebt vor, was er erwartet.<br />

Privat ist er Hobbykoch. Prompt<br />

forschte er jahrelang an der perfekten Konfitüre.<br />

Kürzlich hat Stöcker mal wieder was entwickelt:<br />

ein Spülverfahren, um seine immunologischen<br />

Tests zu perfektionieren.<br />

Innovativ und erfolgreich: Euroimmun<br />

macht aktuell 150 Millionen Euro Umsatz,<br />

zu drei Vierteln im Ausland, 15 Prozent<br />

Rendite.<br />

Wird es knifflig, schalten Mediziner Stöcker<br />

und sein Vorzeigelabor ein. „Da analysieren<br />

wir schwierige Proben für die Laborärzte.“<br />

Kunden sind für Stöcker wie Ideenspender.<br />

„Etwa 1000 Laborärzte und -techniker<br />

kommen jedes Jahr nach Lübeck, geben<br />

uns Anregungen.“<br />

Was Euroimmun macht, hat Gewicht in<br />

der Medizin. Stöcker zertifiziert und berät<br />

Laborärzte beim Qualitätsmanagement.<br />

Stöcker setzt darauf, dass seine Leute<br />

machen, was er vorlebt. Gemeinsam Ziele<br />

entwickeln. Wie die jemand erreicht, ist<br />

dem Chef egal.<br />

Alle drei Monate tagen bei Euroimmun<br />

die 45 Abteilungsleiter. Da diskutieren<br />

dann alle, woran als Nächstes gearbeitet<br />

wird.<br />

Schönes machen Stöckers Leute nicht:<br />

Rattenleber und Schweinehirn in ultradünne<br />

Scheiben schneiden, um darauf<br />

Blutproben zu analysieren.<br />

»<br />

FOTO: STEFAN KRÖGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

RANG<br />

3<br />

Winfried<br />

Stöcker<br />

Euroimmun<br />

Labor-Reagenzien<br />

Mit der Technologie aus<br />

Lübeck können Laborärzte<br />

bessere Diagnosen stellen.<br />

Umsatz: 150 Millionen Euro<br />

Mitarbeiter: 1500<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 47<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

METHODE<br />

Formel des<br />

Erfolgs<br />

Wie im WirtschaftsWoche-Ranking<br />

Innovationen gemessen werden.<br />

Die Basis des WirtschaftsWoche-Rankings<br />

der innovativsten deutschen Mittelständler<br />

umfasste zunächst rund 3000<br />

deutsche Unternehmen mit einem Umsatz<br />

zwischen zehn Millionen und etwa einer<br />

Milliarde Euro. Die Münchner Unternehmensberatung<br />

Munich Strategy<br />

Group (MSG) analysierte deren Jahresabschlüsse<br />

und Firmenpräsentationen,<br />

führte Hunderte Gespräche mit Kunden<br />

und Verbänden sowie mit den Geschäftsführern,<br />

Inhabern und Beiräten der Unternehmen.<br />

EINE FRAGE DER KULTUR<br />

Von diesen 3000 wählte MSG – nach<br />

Auswertung der Experteninterviews und<br />

der Erfolgsanalyse – 400 Unternehmen<br />

aus. Für die so verbliebenen Mittelständler<br />

schuf MSG einen Vergleichswert, einen<br />

sogenannten Score, der für die Innovationskraft<br />

steht. In den Score fließt<br />

nicht nur die Zahl der neuen Produkte<br />

und deren Marktchancen ein. Er bewertete<br />

auch, in welchem Maß die Innovationskultur<br />

im Unternehmen verankert ist, etwa<br />

ob bei Innovationen alle Abteilungen<br />

eingebunden sind oder der Chef persönlich<br />

die Suche nach Neuem vorantreibt.<br />

Eine hohe Punktzahl vergaben die Berater<br />

etwa, wenn alle Unternehmensbereiche<br />

an den Innovationen beteiligt waren.<br />

Unternehmen, in denen sich nur eine<br />

Stabsstelle mit dem Thema Innovationen<br />

befasste, erreichten einen niedrigen<br />

Score. Auch die Umsatz- und Ertragskraft<br />

der Unternehmen floss in die Bewertung<br />

mit ein. „Innovationen sind kein Zufall,<br />

sondern entstehen dank einer fest implementierten<br />

und professionalisierten Innovationskultur“,<br />

sagt MSG-Gründer Sebastian<br />

Theopold.<br />

Zudem fragten die Berater nach den<br />

größten Hindernissen für Innovationen.<br />

Von staatlichen Regulierungen fühlen<br />

sich insbesondere die Chemiebetriebe<br />

gegängelt. Über den Mangel an qualifizierten<br />

Arbeitskräften klagen vor allem<br />

Maschinenbauer.<br />

Medizintechnik und Maschinenbau<br />

Die 50 innovativsten Mittelständler in Deutschland<br />

Rang<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

11<br />

12<br />

13<br />

14<br />

15<br />

16<br />

17<br />

18<br />

19<br />

20<br />

21<br />

22<br />

23<br />

24<br />

25<br />

26<br />

27<br />

28<br />

29<br />

30<br />

31<br />

32<br />

33<br />

34<br />

35<br />

36<br />

37<br />

38<br />

39<br />

40<br />

41<br />

42<br />

43<br />

44<br />

45<br />

46<br />

47<br />

48<br />

49<br />

50<br />

Unternehmen/Sitz<br />

Karl Storz/Tuttlingen<br />

Uzin Utz/Ulm<br />

Euroimmun/Lübeck<br />

Aluplast/Karlsruhe<br />

Delo/Windach<br />

Eckert & Ziegler/Berlin<br />

Sanha/Essen<br />

Kaffee Partner/Osnabrück<br />

Multivac/Wolfertschwenden<br />

Spanner Re²/Neufahrn i. NB<br />

Arku Maschinenbau/Baden-Baden<br />

RIB Software/Stuttgart<br />

Flyeralarm/Würzburg<br />

SimonsVoss Technol./Unterföhring<br />

Röhm/Sontheim<br />

LPKF Laser &Electronics/Garbsen<br />

Murrelektronik/Opperweiler<br />

Hermle/Gosheim<br />

MorphoSys/Martinsried<br />

Neosid Pemetzrieder/Halver<br />

Protection One/Meerbusch<br />

Wiss. Gerätebau Knauer/Berlin<br />

Duo Plast/Lauterbach<br />

Vapiano/Bonn<br />

Becker Marine Systems/Hamburg<br />

Wilo/Dortmund<br />

Walter Rau/Neuss<br />

GK Software/Schöneck<br />

Elementar Analysensysteme/Hanau<br />

Vacom /Jena<br />

SenerTec/Schweinfurt<br />

Sikora/Bremen<br />

GS Elektromediz. Geräte/Kaufering<br />

Romaco Pharmatechnik/Karlsruhe<br />

2G Energy/Heek<br />

Mobotix/Langmeil<br />

HAP/Dresden<br />

Hauff-Technik/Herberechtingen<br />

HEWI Heinrich Wilke/Bad Arolsen<br />

Fissler/Idar-Oberstein<br />

Licos Trucktec/Markdorf<br />

Rhodius/Weißenburg<br />

Grünbeck/Höchstädt<br />

MEA Meisinger/Aichbach<br />

Ewald Dörken/Hagen<br />

Testo/Lenzkirch<br />

Atoss Software/München<br />

Hautau/Helpsen<br />

Oschatz/Essen<br />

Königsee Implantate/Allendorf<br />

Schwerpunkt<br />

Endoskope und medizin. Instrumente<br />

Spezialchemikalien, Klebstoff f. Bodenbeläge<br />

Medizinische Labordiagnostik (Reagenzien)<br />

Fensterprofile<br />

Industrieklebstoffe (Chips, Fotovoltaik, Auto)<br />

Strahlen- und Medizintechnik<br />

Verbindungstechnik<br />

Direktvertrieb Kaffeemaschinen<br />

Verpackungsmaschinen<br />

BHKW 3 (Holzgas)<br />

Richtmaschinen und Bandanlagen (Bleche)<br />

Techn. ERP-Lösungen für das Bauwesen<br />

Online-Druckerei<br />

Schließ- und Zutrittskontrollsysteme<br />

Spannmittel<br />

Maschinen zur Materialbearbeitung<br />

Schaltschrank- und Steuerungsanlagen<br />

Fräsbearbeitungszentren<br />

Biotechnologie (Antikörpertechnologie)<br />

Elektrobau-Komponenten (Spulen, Drosseln)<br />

24h-Live-Fernüberwachungstechnik<br />

Produzent von Laborgeräten<br />

Packmittel (Folien)<br />

Systemgastronomie<br />

Steuersysteme für Schiffe<br />

Hersteller von Pumpen und Pumpsystemen<br />

Veredelung von Pflanzenfetten & Ölen<br />

Store-Solutions (IT für Filialen)<br />

Analytik nicht-metallischer Elemente<br />

Vakuum und Messtechnik<br />

Mini-BHKW 3 (Gas, Kraftstoffe)<br />

Mess-, Regel- und Testgeräte<br />

Medizintechnik, Intensivmedizin<br />

Verpackungsmaschinen<br />

BHKW 3 (Gas)<br />

Hochauflösende Videosysteme<br />

Robotik und Automatisierungstechnik<br />

Kabel-, Rohr- und Leitungsdurchführungen<br />

Systemanbieter Baubeschlag und Sanitär<br />

Kochgeschirr<br />

Entwicklung von Wasserpumpenkupplung<br />

Schleifwerkzeuge<br />

Produkte zur Wasseraufbereitung<br />

Entwässerungstechnik<br />

Bauverbundfolien, Bautenfarben<br />

Portable und stationäre Messtechnik<br />

Software für Workforce Management<br />

Beschlagindustrie<br />

Anlagenbau und Energierückgewinnung<br />

Medizintechnik<br />

Umsatz 1<br />

(in Mio. €)<br />

1300<br />

2<strong>07</strong><br />

150<br />

250<br />

50<br />

120<br />

110<br />

100<br />

285 4<br />

25<br />

39<br />

39<br />

238<br />

48<br />

157<br />

115<br />

153<br />

303<br />

52<br />

16<br />

26<br />

17<br />

45<br />

290<br />

74<br />

1187<br />

333<br />

27<br />

42<br />

16<br />

42<br />

30<br />

38<br />

42<br />

167<br />

82<br />

19<br />

1105<br />

71<br />

111<br />

14<br />

128<br />

71<br />

100<br />

263<br />

220<br />

33<br />

45<br />

63<br />

18<br />

1 letzt verfügbare Zahl, teilw. geschätzt; 2 ermittelt aus Unternehmensperformance und Innovationskultur;<br />

3 Blockheizkraftwerke; 4 Deutscher Teilkonzern; Quelle: Munich Strategy Partners<br />

Innovations-<br />

Score 2<br />

191<br />

188<br />

187<br />

183<br />

181<br />

178<br />

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1<strong>04</strong><br />

101<br />

FOTO: STEFAN KRÖGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

48 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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#Abgucker<br />

ALUPLAST | Der Fensterproduzent<br />

lässt sich <strong>vom</strong><br />

Know-how der Automobilbranche<br />

inspirieren. Mit<br />

erstaunlichem Erfolg.<br />

Was haben Fenster und Autos gemeinsam?<br />

Aus beiden guckt man raus. Banal?<br />

Aluplast macht trotzdem Innovationen daraus.<br />

Aluplast in Karlsruhe, 1250 Mitarbeiter,<br />

weltweit mehr als 20 Standorte, Umsatz<br />

250 Mio. €, ist viertinnovativster deutscher<br />

Mittelständler.<br />

Ausgefallener Einfall der beiden Brüder<br />

und Aluplast-Chefs Patrick und Dirk Seitz:<br />

Sie laden regelmäßig Autobauer zu sich<br />

ein.<br />

Die Badener haben die Erfahrung gemacht,<br />

dass Autobauer zu wichtigen Innovationen<br />

anregen.<br />

Dass Kunststofffenster energiesparend,<br />

bleifrei, recycelbar und schön sein müssen<br />

– geschenkt! Doch wie sie effizient herstellen?<br />

Die Autoindustrie besitzt Super-Knowhow<br />

in der Fertigung und bei Werkstoffen.<br />

Das schöpfen die Aluplast-Brüder ab.<br />

Jüngster Abgucker bei der Autoindustrie:<br />

Aluplast klebt die Scheiben in den Kunststoffrahmen,<br />

statt sie wie früher mechanisch<br />

zu befestigen.<br />

Noch eine Innovation à la Automobilindustrie:<br />

Aluplast produziert Fensterleisten,<br />

die vollautomatisch geformt werden<br />

können.<br />

RANG<br />

4<br />

Patrick und<br />

Dirk Seitz<br />

Aluplast<br />

Fensterprofile<br />

Die Fenster von Aluplast zeichnen<br />

sich dadurch aus, dass sie<br />

Energie sparen, bleifrei sind<br />

und die Kunststoffrahmen<br />

recycelt werden können.<br />

Umsatz: 250 Millionen Euro<br />

Mitarbeiter: 1250<br />

Die Aluplast-Brüder betätigen sich auch<br />

als Hellseher. Gerade grübeln sie, was wohl<br />

die wichtigsten Fenstertrends bis 2024<br />

sind.<br />

Patrick Seitz wagt eine Prognose: „Runde<br />

Fensterformen werden wiederkommen.“<br />

Jetzt liegen aber einmal die eckigen Fenster<br />

im Trend.<br />

#Multikulti-Unternehmer<br />

SANHA | Der Essener Rohrleitungshersteller findet Neues<br />

durch seine multikulturelle Belegschaft.<br />

Klingt erst mal langweilig. Sanha produziert<br />

Rohrleitungen und Verbindungsstücke.<br />

O Gott, o Gott! Hatten das<br />

nicht schon die Römer?<br />

Die Römer hatten Wasserleitungen, aber<br />

keine Rohre, die einfach mit Zange und<br />

Hammer zusammensteckbar waren!<br />

Sanha bietet als einziger Hersteller bleifreie<br />

Verbindungsstücke an, aus Siliziumbronze.<br />

Gut fürs Trinkwasser. Blei ist giftig.<br />

Firmen-Chef Bernd Kaimer ärgert sich:<br />

„Wir sind eine Branche hinter der Wand.<br />

Jeder kennt unsere Produkte, aber keiner<br />

sieht sie.“<br />

Unsichtbarkeit schadet nicht. Sanha,<br />

Platz 7 im Ranking der @wiwo, rund 110<br />

Millionen € Umsatz, 700 Mitarbeiter, ist<br />

Nummer vier in Europa.<br />

Neue Ideen sprudeln bei der Essener Firma<br />

so richtig seit dem Mauerfall 1989. Damals<br />

wagte Sanha den Sprung über die<br />

Grenze.<br />

Heute ist Sanha total international. Firmenchef<br />

Krämer: „Auch im mittleren Management<br />

arbeiten bei uns Leute aus der<br />

ganzen Welt.“<br />

Ob Polen, Engländer oder die Mitarbeiter<br />

im Werk Berlin, für Sanha ist die Mischung<br />

eine Art Innovationsmaschine.<br />

O-Ton Kaimer: „Jeder bringt die Mentalität<br />

aus seinem Heimatland mit. So gewinnen<br />

wir viele Perspektiven auf denselben<br />

Gegenstand.“<br />

Die Computer im Lager verstehen mehrere<br />

Sprachen. Deutsch ist nicht notwendig,<br />

um bei Sanha in Essen zu arbeiten.<br />

RANG<br />

7Sanha (Rohrleitungen)<br />

Umsatz:<br />

110 Millionen Euro<br />

Mitarbeiter:<br />

700<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 49<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

#Kommunikator<br />

KAFFEE PARTNER | Der Kaffeeautomaten-Distributor treibt<br />

seine Mitarbeiter mit Informationen zur Höchstleistung.<br />

RANG<br />

8<br />

Michael<br />

Koch<br />

Kaffee Partner<br />

Kaffeemaschinen<br />

Die Automaten von Kaffee<br />

Partner ordern selbstständig<br />

Nachschub und können aus<br />

der Ferne gewartet werden.<br />

Umsatz: 100 Millionen Euro<br />

Mitarbeiter: 500<br />

Die Zentrale – halb Cappuccino, halb<br />

Latte macchiato. Jede Etage eine kaffeebraune<br />

Wand, darüber Beton wie weißer<br />

Schaum.<br />

@kaffee_partner in Osnabrück stylt fast<br />

alles auf Milch und Mokka, auch die Wände<br />

in der Lobby. Man möchte am liebsten<br />

dran lecken.<br />

Große Ausnahme: Die Mitarbeiter des<br />

Kaffeegeräteherstellers in den Büros sind<br />

nicht von Mauern, sondern von Glas umgeben.<br />

Kaffee ist Kommunikation. Der Werbespruch<br />

scheint für @kaffee_partner auch<br />

nach innen zu gelten. Durch das Glas sieht<br />

jeder alles.<br />

Glas = Kommunikation = Innovation?<br />

Für Mitgründer Michael Koch wäre das zu<br />

kurz. Eher: Kontakt zu vielen = mehr Ideen<br />

= mehr Geschäft.<br />

Kommunikation ist bei @kaffee_partner<br />

eine Art Melange: Sichtkontakt + Intranet +<br />

drei (!!) Mitarbeiterzeitungen + ein Kundenblatt.<br />

Jeder Kaffee-Partner-Beschäftigte wird<br />

von seinem Arbeitgeber fast zugeschüttet<br />

mit Informationen über das Innen- und<br />

Außenleben des Unternehmens.<br />

Beispiel Außendienstler: Wer einen neuen<br />

Verkaufskniff findet, bekommt ein Heldenporträt<br />

in der hausinternen Zeitung.<br />

Bevor neue Mitarbeiter in ihre Glaskästen<br />

einziehen dürfen, müssen sie sämtliche<br />

Abteilungen der Firma @kaffee_partner<br />

durchlaufen.<br />

Was @kaffee_partner ersann, wird oft<br />

kopiert: Fernwartung von Kaffeemaschinen,<br />

per Telemetrie, 2012 eingeführt.<br />

Denkende Maschinen: Entdeckt der Apparat<br />

beim Kunden einen Fehler, schlägt er<br />

Alarm – bei @kaffee_partner.<br />

Die Kaffeemaschine denkt, @kaffee_partner<br />

lenkt (per Fernwartung). Geht<br />

der Kaffee zur Neige, ordert die Maschine<br />

Nachschub.<br />

@kaffee_partner ist gut im Geschäft:<br />

rund 100 Millionen Euro Umsatz 2013,<br />

auch mit anderen Marken wie @kaffee_partner<br />

Shop.<br />

Kein Unternehmen liefert mehr Kaffeemaschinen<br />

an deutsche Mittelständler<br />

zwischen 3 und 300 Mitarbeitern als @kaffee_partner.<br />

Das interne Blatt für die Vertriebler bei<br />

@kaffee_partner heißt „Geräte-Außendienst-Zeitung“.<br />

Geht nicht gerade runter<br />

wie Café au lait?<br />

Kleiner Tipp an Kaffee-Partner-Mitgründer<br />

Koch: Wie wär’s mit „Der Ausschenker“.<br />

Oder mit „Der Barista“?<br />

n<br />

FOTO: STEFAN KRÖGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

50 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»Das Vertrauen ist wieder da«<br />

INTERVIEW | Frédéric Oudéa Der Vorstandschef der französischen Großbank Société Générale will die<br />

Finanzkrise abhaken, fordert von Paris Reformen und will in Deutschland zulegen.<br />

Monsieur Oudéa, die Société Générale ist<br />

die am stärksten in Russland engagierte<br />

Bank Europas. Wie besorgt sind Sie?<br />

Unser Risiko ist begrenzt. In der Ukraine<br />

sind wir so gut wie nicht vertreten, unsere<br />

Kredite in Russland machen weniger als<br />

fünf Prozent unseres Gesamtengagements<br />

aus. Wir haben vorsichtig agiert und darauf<br />

geachtet, dass unser Wachstum vor allem<br />

aus lokaler Finanzierung hervorgeht. Bislang<br />

sind unsere russischen Aktivitäten<br />

nicht beeinträchtigt. In den nächsten<br />

Quartalen wird die Wirtschaft weniger<br />

wachsen, aber mittel- bis langfristig sehe<br />

ich für uns gute Chancen.<br />

Eine Eskalation der Krise und harte<br />

wechselseitige Sanktionen würden Sie<br />

aber empfindlich treffen, oder?<br />

Wir rechnen mit einem weiteren diplomatischen<br />

Dialog und moderaten Sanktionen,<br />

solange der Konflikt auf die Krim beschränkt<br />

bleibt. Dafür sind die wirtschaftlichen<br />

Verbindungen viel zu eng. Europa<br />

braucht dringend Wachstum. Das wird es –<br />

außer vielleicht in Deutschland – kaum<br />

durch mehr Staatsausgaben und mehr<br />

Konsum geben, sondern nur durch höhere<br />

Exporte und Investitionen. Russland bleibt<br />

ein besonders wichtiger Markt. Für die Politik<br />

steht zu viel auf dem Spiel. Euroskeptische<br />

Parteien gewinnen in vielen Ländern<br />

Stimmen, weil es zu wenig Wachstum gibt.<br />

Das gilt auch für Frankreich. Wird die<br />

Regierung wegen der Niederlage bei den<br />

Kommunalwahlen von ihrem vorsichtigen<br />

Reformkurs abweichen?<br />

Einen Rückzieher kann sie sich kaum leisten.<br />

Wir brauchen dringend weitere Strukturreformen.<br />

Die Staatsausgaben müssen<br />

sinken, damit die Steuern für Unternehmen<br />

und Privathaushalte sinken<br />

können. Die Unternehmensgewinne<br />

sind insbesondere<br />

wegen der hohen Steuern<br />

und Sozialabgaben unter<br />

Druck. Das hält von Investitionen<br />

ab, und ohne die gibt<br />

es kein Wachstum. Es müssen<br />

nicht alle Reformen auf einen<br />

Schlag passieren. Aber wir<br />

DER KRISENGEWINNER<br />

Oudéa, 50, wurde 2008<br />

Chef der Societé Générale,<br />

nachdem sein Vorgänger<br />

wegen des Skandals<br />

um den Trader Jerôme<br />

Kerviel gehen musste.<br />

Oudéa ist Absolvent<br />

zweier Elitehochschulen.<br />

brauchen einen klaren und verlässlichen<br />

Plan, um Vertrauen wieder aufzubauen.<br />

Sollte die EZB das Wachstum durch eine<br />

erneute Zinssenkung fördern?<br />

Wenn überhaupt, ginge es hier nur um<br />

symbolische Schritte mit dem Ziel, den<br />

Wert des Euro im Verhältnis zum US-Dollar<br />

zu schwächen und damit die Exporte<br />

anzukurbeln. Dazu dürfte es aber ohnehin<br />

kommen. Die US-Wirtschaft läuft immer<br />

besser, die Notenbank Fed bereitet einen<br />

Zinsanstieg vor, während die EZB die Zinsen<br />

wohl für lange Zeit niedrig halten wird.<br />

Wettbewerbsfähigkeit kann aber nicht auf<br />

Dauer von der Geldpolitik abhängen.<br />

Natürlich nicht, die einzelnen<br />

Volkswirtschaften müssen<br />

sich in ihrer Leistungsfähigkeit<br />

annähern. Dafür sind<br />

weitere Reformen auf dem<br />

Arbeitsmarkt und im Steuerrecht<br />

nötig. Zusätzlich brauchen<br />

wir mehr europäische<br />

Integration. In Schlüsselindustrien<br />

wie Energiever-<br />

»<br />

FOTO: FOTOGLORIA/LUZPHOTO/SIMONE PEROLARI<br />

52 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

sorgung und Telekommunikation fehlt<br />

ein einheitlicher gesetzlicher Rahmen.<br />

Als Schritt zu mehr Gemeinsamkeit geht<br />

in diesem Jahr die Bankenunion mit einer<br />

gemeinsamen Aufsicht über die größten<br />

Institute an den Start. Was erwarten Sie?<br />

Die Krise hat zu einer starken Fragmentierung<br />

der europäischen Finanzmärkte geführt.<br />

Jedes Land hat versucht, nationale<br />

Ersparnisse zu nutzen, um die eigene Wirtschaft<br />

zu finanzieren. Für eine internationale<br />

Großbank ist es enorm aufwendig,<br />

wenn sie in jedem Land andere Regeln beachten<br />

und umsetzen muss. Die einheitliche<br />

Regulierung wird das Bankensystem<br />

effektiver und leistungsfähiger machen.<br />

Zuerst müssen die Banken eine Bilanzprüfung<br />

und einen Stresstest bestehen.<br />

Natürlich will die EZB sicherstellen, dass<br />

die Banken gesund sind, bevor sie die Aufsicht<br />

übernimmt. Ich sehe darin keine Gefahr,<br />

sondern eine Chance. Wenn der Test<br />

zeigt, dass die Institute in guter Form sind,<br />

können wir sieben Jahre nach dem Ausbruch<br />

das Kapitel Bankenkrise schließen<br />

und uns auf Wachstum konzentrieren.<br />

Sie klingen sehr optimistisch. Wenn das<br />

Ergebnis zu positiv ausfällt, wird das Vertrauen<br />

in die Banken nicht zurückkehren.<br />

Es ist doch längst wieder da. Große Banken<br />

können problemlos Anleihen begeben und<br />

Einlagen einsammeln. Sie haben bereits eine<br />

Menge unternommen, um ihre Bilanzen<br />

zu stärken. Einige planen, noch vor der<br />

Prüfung Kapital aufzunehmen.<br />

Besteht die Société Générale den Test?<br />

Würden die verschärften Kapitalanforderungen<br />

des Regelwerks Basel III nicht erst<br />

2018, sondern schon heute komplett gelten,<br />

kämen wir aktuell auf eine Kernkapitalquote<br />

von zehn Prozent. Den Test sollten<br />

Banken bestehen, wenn sie nicht unter<br />

5,5 Prozent fallen. Ich kann mir kein Szenario<br />

vorstellen, das uns an die Nähe dieser<br />

Schwelle befördern könnte.<br />

Wird es nach dem Test zur Konsolidierung<br />

unter Europas Banken kommen?<br />

Innerhalb von Ländern wie Spanien und<br />

Griechenland findet sie bereits statt, in<br />

Frankreich hat man sie schon vor Jahren gesehen.<br />

Die digitalen Technologien verändern<br />

das Kundenverhalten, die Banken müssen<br />

sich an neue Rahmenbedingungen anpassen<br />

und gleichzeitig investieren. Das fällt<br />

ihnen leichter, wenn sie eine gewisse Größe<br />

haben. Für die Souveränität Europas würde<br />

ich gerne drei bis fünf paneuropäische Banken<br />

sehen, die im globalen Kapitalmarktund<br />

Finanzierungsgeschäft wettbewerbsfähig<br />

sind. Große Unternehmen sollten nicht<br />

nur auf Kreditinstitute aus den USA, Großbritannien<br />

und Asien angewiesen sein.<br />

Es kann nicht die richtige Lektion aus der<br />

Krise sein, dass Banken größer werden.<br />

In der Krise sind vor allem solche Banken<br />

in die Bredouille geraten, die nicht differenziert<br />

genug waren und sich zu stark bei<br />

riskanten Hauskrediten engagiert hatten.<br />

Natürlich müssen Großbanken angemessen<br />

kapitalisiert und überwacht sein, um<br />

den Steuerzahler zu schützen...<br />

»Unser Ziel für Deutschland ist Wachstum im<br />

hohen einstelligen Prozentbereich«<br />

...der im Zweifel doch wieder für ihre Rettung<br />

einspringen muss.<br />

Die Gefahr ist deutlich geringer als vor der<br />

Krise. Das System ist sicherer geworden.<br />

Die Kapitalausstattung der Banken hat sich<br />

verdoppelt. Und wenn das nicht reicht,<br />

müssen sich nach den Regeln des europäischen<br />

Abwicklungsmechanismus zunächst<br />

Anleihegläubiger und dann Anleger<br />

mit Einlagen von mehr als 100 000 Euro beteiligen.<br />

Und es gibt den europäischen Abwicklungsfonds.<br />

Diese Polster hätten in der<br />

vergangenen Krise ausgereicht.<br />

Wie groß muss eine Bank heute sein?<br />

Größe ist kein Selbstzweck. Je größer eine<br />

Bank ist, desto mehr Kapital braucht sie<br />

Süd-Länder vorne<br />

Die wertvollsten Banken der Euro-Zone<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

Bank/Land<br />

Santander/Spanien<br />

BNP Paribas/Frankreich<br />

BBVA/Spanien<br />

Nordea Bank/Schweden<br />

Intesa Sanpaolo/Italien<br />

UniCredit/Italien<br />

Société Générale/Frankreich<br />

Deutsche Bank/Deutschland<br />

Crédit Agricole/Frankreich<br />

CaixaBank/Spanien<br />

Quelle: Bloomberg<br />

Börsenwert<br />

in Mrd. €<br />

81,4<br />

71,6<br />

51,6<br />

42,4<br />

41,2<br />

39,0<br />

37,3<br />

33,8<br />

29,8<br />

24,1<br />

und desto strenger wird sie überwacht. Es<br />

kommt auf eine wettbewerbsfähige Größe<br />

an in den für das eigene Geschäft relevanten<br />

Segmenten und bei den Kunden. Wir<br />

sind im Investmentbanking vor allem im<br />

Aktiengeschäft stark und wollen uns auch<br />

darauf konzentrieren. Das gilt ebenso für<br />

die Finanzierung von Energie und Infrastruktur.<br />

Unser Private Banking in Asien haben<br />

wir verkauft, weil wir mittelfristig nicht<br />

auf die erforderliche Größe gekommen wären.<br />

Unsere Vermögensverwaltung haben<br />

wir mit Crédit Agricole zusammengelegt.<br />

Wir fokussieren uns auf Kerngeschäfte.<br />

Würde der Kauf der deutschen Commerzbank<br />

dazu passen?<br />

Nein. Der deutsche Markt für Privatkunden<br />

ist wenig profitabel. Wir sind nicht daran<br />

interessiert, unserem Geschäft nur Größe<br />

ohne ausreichende Synergien hinzuzufügen.<br />

Unsere Priorität liegt klar auf organischem<br />

Wachstum.<br />

Welche Ziele haben Sie in Deutschland?<br />

Wir sind in Segmenten wie zum Beispiel<br />

Leasing, Handelsfinanzierung und Investmentbanking<br />

gut vertreten und wollen<br />

weiter investieren. Unser Ziel ist Wachstum<br />

im hohen einstelligen Prozentbereich.<br />

Welche Renditen sind für Banken künftig<br />

noch realistisch?<br />

Bis Ende 2015 wollen wir eine Eigenkapitalrendite<br />

von zehn Prozent erreichen. Das<br />

ist weniger als bei den meisten Industrieunternehmen,<br />

aber höher als unsere<br />

Kapitalkosten. Das scheint mir eine angemessene<br />

Profitabilität zu sein.<br />

Früher waren die Zeile ehrgeiziger, heute<br />

redet die Branche <strong>vom</strong> Kulturwandel<br />

Das tun wir auch und zu Recht. Wir wollen<br />

verhindern, dass Leute bei uns arbeiten,<br />

die nur darauf aus sind, ihren persönlichen<br />

Profit zu maximieren.<br />

Der Händler Jérôme Kerviel, der mit<br />

Spekulationsgeschäften einen Milliardenverlust<br />

auslöste, arbeitete bei der Société<br />

Générale. Wäre ein solcher Fall heute<br />

noch möglich?<br />

Fehlverhalten eines Einzelnen können wir<br />

nie komplett ausschließen. Der Oberste<br />

Gerichtshof hat Kerviel strafrechtlich in allen<br />

Punkten schuldig gesprochen, aber<br />

auch auf Schwächen der bankinternen<br />

Kontrollsysteme hingewiesen. Wir haben<br />

Hunderte von Millionen Euro in neue Systeme<br />

investiert und viele Handlungsabläufe<br />

geändert. Wenn die Geschäfte von heute<br />

in einigen Jahren nicht zu Altlasten geworden<br />

sind, waren wir erfolgreich.<br />

n<br />

karin.finkenzeller@wiwo.de | Paris,<br />

cornelius.welp@wiwo.de | Frankfurt<br />

54 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Ändere dich oder stirb<br />

UNIQLO | In seinem Heimatland ist der japanische Bekleidungsriese ein Mega-Erfolg, in den USA der<br />

große Renner. Jetzt drängt der dickköpfige Konzernchef Tadashi Yanai nach Deutschland und will<br />

Zara und H&M überholen – indem er alles anders macht.<br />

Kauft hier wirklich jemand ein? Jede<br />

Öffnung in den endlosen Regalwänden<br />

ist bis zum Anschlag mit identischen<br />

Socken, Hemden und Pullovern gefüllt.<br />

An den Kleiderstangen hängen die<br />

immer gleichen Klamotten. Selbst die Textilien<br />

an den Schaufensterpuppen wirken<br />

unauffällig. Nur Größen und Farben sorgen<br />

für Abwechslung – und zwei rote Würfel<br />

mit dem Wort Uniqlo in japanischer und<br />

westlicher Schrift.<br />

Die seltsame Buchstabenfolge mit der<br />

sperrig spröden Anmutung stammt <strong>vom</strong><br />

Englischen „unique clothing“ und heißt<br />

auf Deutsch so viel wie „einzigartige Kleidung“.<br />

Doch ob Kunstwort oder der zwölfstöckige<br />

Flagship-Store auf der Einkaufsmeile<br />

Ginza in Tokio: Die Widersprüchlichkeit<br />

der Marke, die in Japan und Asien<br />

riesige Erfolge feiert, in den USA auf die<br />

Überholspur wechselt und nun auch nach<br />

Deutschland kommt, ist unübersehbar.<br />

Von wegen Einzigartigkeit – Uniqlo liefert<br />

das krasse Gegenteil, einfache textile<br />

Alltags-Basics. Von der Unterwäsche über<br />

Jeans bis zum Anorak, Ausgefallenes, gar<br />

für Individualisten oder besondere Anlässe,<br />

ist nicht vorgesehen, stattdessen „Life<br />

Wear“, also das, was man zum Leben halt<br />

so braucht. „Vom Teenager bis zur Großmutter<br />

sollen die Kunden unsere Kleidung<br />

so kombinieren können, dass sie damit gut<br />

aussehen“, sagt Design-Vorstand Yukihiro<br />

Katsuta in der Konzernzentrale im hippen<br />

Stadtviertel Tokyo Midtown.<br />

Vom 11. April an will der japanische<br />

Mutterkonzern Fast Retailing auch die<br />

Deutschen mit seiner Einheitsware beglücken.<br />

Dann eröffnet nahe der Berliner Gedächtniskirche<br />

die erste deutsche Uniqlo-<br />

Bunte Einheitsware Weltweit betreibt der<br />

japanische Einzelhändler inzwischen fast<br />

1300 Uniqlo-Läden<br />

Filiale und wirft Peek & Cloppenburg auf<br />

der anderen Straßenseite den Fehdehandschuh<br />

hin. Mit 2700 Quadratmetern Verkaufsfläche<br />

auf drei Etagen wird der Laden<br />

das größte Kaufhaus der Marke in Europa,<br />

nachdem Fast Retailing in Frankreich und<br />

England schon Fuß gefasst hat.<br />

GANG ÜBER DEN GLOBUS<br />

Der Schritt auf den größten und am härtesten<br />

umkämpften Markt Europas symbolisiert<br />

die globalen Ambitionen des japanischen<br />

Angreifers. Aktuell betreibt Fast Retailing<br />

in Japan 856 und im Ausland 512<br />

Uniqlo-Geschäfte. In diesem Jahr geht der<br />

Konzern außer in Deutschland auch in<br />

Australien an den Start und plant, weltweit<br />

jährlich bis zu 300 neue Läden zu eröffnen.<br />

Bis 2020 will Fast Retailing mit heute<br />

82000 Mitarbeitern den Umsatz auf 35 Milliarden<br />

Euro mehr als vervierfachen und damit<br />

die größeren Rivalen Inditex (Zara) aus<br />

FOTOS: NYT/REDUX/LAIF/HIROKO MASUIKE; REUTERS/CHARLES PLATIAU<br />

56 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Spanien, H&M aus Schweden und GAP aus<br />

den USA überholen. In Japan und Asien ist<br />

Uniqlo bereits die Nummer eins.<br />

„Wir sind durch organisches Wachstum<br />

auch ohne Zukäufe unterwegs zum globalen<br />

Marktführer“, gibt sich Gründer und Konzernchef<br />

Tadashi Yanai überzeugt. Schon in<br />

zwei Jahren will er mehr im Ausland als in Japan<br />

einnehmen. Fast Retailing ist das wertvollste<br />

Unternehmen im Nikkei-Index. Yanai<br />

will mit dem Gang über den Globus sein Lebenswerk<br />

krönen. Mit seinen knapp 46 Prozent<br />

an Fast Retailing, die 12,4 Milliarden<br />

Euro wert sind, ist er der reichste Japaner.<br />

Wer die Anfänge des heute 65-jährigen<br />

klein gewachsenen Mannes mit dem grauen<br />

Stoppelhaar und den abstehenden Ohren<br />

kennt, hätte diesen Erfolg niemals für<br />

möglich gehalten. Zwischen zwei Schwestern<br />

wuchs Yanai als einziger Sohn beschützt<br />

in der Wohnung über dem väterlichen<br />

Geschäft für Herrenanzüge in Japans<br />

Textilregion Yamaguchi auf. Das Studium<br />

der Wirtschaft und Politik an der renommierten<br />

Waseda-Universität in Tokio verbrachte<br />

er weniger im Hörsaal, sondern<br />

mehr an Mahjong-Spieltischen und Pachinko-Flipperautomaten.<br />

Chef und Tennisstar<br />

Gründer Yanai (rechts) mit<br />

Werbepartner Novak Djokovic<br />

Auch der erste Job beim japanischen<br />

Einzelhändler Aeon weckte bei dem Unternehmersprössling<br />

keine Arbeitslust. Lieber<br />

half der damals 23-Jährige ein bisschen im<br />

Geschäft seines Vaters aus und vergrätzte<br />

die Mitarbeiter. Sieben der acht Angestellten<br />

hörten auf, weil sie sich <strong>vom</strong> Junior des<br />

Chefs schlecht behandelt fühlten. Yanai<br />

blieb nur, der Not zu gehorchen und alle<br />

Arbeiten <strong>vom</strong> Wareneinkauf bis zur Buchhaltung<br />

selbst zu erledigen. Für den verzogenen<br />

Twen war dies offenbar die Initialzündung.<br />

Der Vater drückte ihm den Firmenstempel<br />

und das Sparbuch in die<br />

Hand, so lernte er das Geschäft von der<br />

Pike auf. Das Gefühl der Verantwortung,<br />

das elterliche Geschäft nicht pleitegehen<br />

zu lassen, weckte Ernst und Eifer in Yanai.<br />

Dennoch dauerte es ein Jahrzehnt, bis<br />

Yanai den Handel mit Anzügen aufgab.<br />

Nachdem zwei mächtige Konkurrenten<br />

landesweit expandiert waren, verlegte er<br />

sich auf Freizeitkleidung. Zudem war sich<br />

Yanai sicher, dass sich hochwertige Feierabendmode<br />

gut verkaufen ließ, wenn nur<br />

der Preis stimmt. Der Kurswechsel spiegelte<br />

sich im ersten eigenen Geschäft wider,<br />

das er Unique Clothing Warehouse nannte<br />

und bald mit Uniqlo abkürzte.<br />

Dazu kam die Begegnung mit dem Chinesen<br />

Jimmy Lai in Hongkong. Lai war mit<br />

der Textilkette Giordano und der gleichnamigen,<br />

komplett selbst produzierten<br />

Marke reich geworden. Vom Entwurf über<br />

den Stoffeinkauf bis zur Vermarktung hielt<br />

Lai alles in Händen und schaltete Zwischenhändler<br />

aus. „Was Lai gelang, sollte<br />

ich auch schaffen“, machte sich Yanai Mut.<br />

Er lagerte die Produktion nach China aus<br />

und siedelte Filialen in Vorstädten an. Die<br />

Einsparungen gab er an die Kunden weiter.<br />

Schon 1991 ging er als Fast Retailing an<br />

die Börse und baute die Kette rasant aus.<br />

JIL SANDER AN BORD<br />

Dabei bewies er Dickkopf und Durchhaltevermögen.<br />

Während der Dauerrezession in<br />

Japan in den Neunzigerjahren dominierte<br />

Yanai bald den Markt. Seine Niedrigpreise<br />

verursachten jedoch einen so negativen<br />

Ruf, dass die Japaner dafür gar das Wort<br />

„Unibare“ erfanden. Es beschrieb das peinliche<br />

Gefühl, als Uniqlo-Träger ertappt zu<br />

werden. Yanai kümmerte das nicht. Stattdessen<br />

erweiterte er nach der Jahrtausendwende<br />

sein Angebot für Frauen und expandierte<br />

gen Westen, teils auch durch Zukäufe.<br />

Neben den 1368 Uniqlo-Läden betreibt<br />

Fast Retailing schon 1200 weitere<br />

Textilfilialen, etwa die Billigkette GU.<br />

Heute ist das miese Image vergessen.<br />

„Anders als vor zehn Jahren tragen die Leute<br />

ihre Uniqlo-Sachen inzwischen nicht<br />

mehr nur versteckt drunter“, sagt De-<br />

»<br />

Auf Expansionskurs<br />

Entwicklung des Uniqlo-Mutterkonzerns Fast Retailing*<br />

Umsatz (in Mrd. €) Gewinn (in Mrd. €) Direkt betriebene Läden<br />

4,3<br />

808<br />

843 845 853<br />

4,2<br />

4,3<br />

4,8<br />

5,0<br />

866<br />

Uniqlo<br />

Japan<br />

0,9<br />

0,7<br />

0,7<br />

0,7<br />

0,8<br />

Uniqlo<br />

International<br />

0,5 136 0,7 181<br />

0,<strong>04</strong><br />

0,06<br />

292<br />

1,1<br />

0,08<br />

446<br />

1,8<br />

0,1<br />

2,4<br />

0,2<br />

629<br />

1169<br />

1064 1085 1150<br />

1261<br />

Sonstige<br />

globale<br />

Marken<br />

0,9<br />

0,05<br />

0,9<br />

1,1<br />

1,4<br />

0,06<br />

0,1<br />

0,1<br />

1,7<br />

0,2<br />

2010<br />

2011<br />

2012 2013 <strong>2014</strong><br />

*Geschäftsjahr <strong>vom</strong> 1. September bis 31. August; Quelle: Unternehmen<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 57<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Stau in Manhattan In New York betreiben<br />

die Japaner einen Vorzeigeladen auf der<br />

teuren Fifth Avenue<br />

»<br />

sign-Chef Katsuta. Schließlich fänden<br />

japanische Touristen ein Uniqlo-Kaufhaus<br />

inzwischen auch in der New Yorker Fifth<br />

Avenue, der Londoner Oxford Street und<br />

der Shanghaier West Nanjing Road. Zum<br />

Imagewandel beigetragen hat maßgeblich<br />

jedoch die Zusammenarbeit mit der deutschen<br />

Star-Designerin Jil Sander, die mit<br />

ihrer minimalistischen Handschrift von<br />

2009 bis 2011 für Uniqlo die hochwertige,<br />

aber bezahlbare Kollektion „+J“ entwarf.<br />

Yanai ist es so gelungen, Uniqlo ein neues<br />

Outfit zu verpassen und damit die Bekleidungsbranche<br />

zumindest in Japan umzukrempeln.<br />

„Die Uniqlo-Revolution besteht<br />

darin, dass Arme und Reiche diese<br />

Kleidung tragen“, sagt der Unternehmensberater<br />

Kensuke Kojima und Autor des Buches<br />

„Das Uniqlo-Syndrom“.<br />

Wie konnte das trotz Finanzkrise und der<br />

Konkurrenz durch Online-Handel gelingen?<br />

Mit der Antwort, die Yanai gibt, verballhornt<br />

er seinen Konzernnamen Fast<br />

Retailing, zu Deutsch: schnelles Verkaufen,<br />

geradezu. „Slow fashion“, langsame Mode,<br />

nennt er seine Uniqlo-Strategie. Während<br />

Konkurrenten wie Zara, H&M oder Esprit<br />

alle drei Monate ihr Sortiment wechseln,<br />

lässt sich Uniqlo Zeit und wendet für die<br />

Entwicklung eines Produktes ein Jahr auf.<br />

Design, Farben und Verarbeitung sollen so<br />

zeitlos und hochwertig sein wie ein Bauhaus-Möbel<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts.<br />

Die Ware ist weltweit gleich, nur Ärmellängen<br />

und Konfektionsgrößen variieren.<br />

Yanais zweiter Erfolgsfaktor ist das gute<br />

Preis-Leistungs-Verhältnis. Der erste<br />

Uniqlo-Bestseller war eine Fleece-Jacke für<br />

umgerechnet 13 Euro, die sich jeder vierte<br />

Japaner zulegte. Inzwischen liegen Kaschmir,<br />

Leinen und hochwertige Baumwolle<br />

zu Niedrigpreisen im Laden. Fast Retailing<br />

kauft nach dem Aldi-Prinzip teure Materialien<br />

ein Jahr im Voraus in Riesenmengen<br />

ein und sichert sich dabei extrem günstige<br />

Konditionen. Kürzlich verarbeitete der<br />

Konzern auf einen Schlag acht Prozent der<br />

Weltjahresproduktion von Seide der beiden<br />

höchsten Gütestufen.<br />

Aktien-Info Fast Retailing<br />

ISIN:JP3802300008<br />

Index: 1.1.2011 =100<br />

450<br />

400<br />

350<br />

Fast Retailing<br />

300<br />

250<br />

Inditex<br />

120<br />

150<br />

100<br />

H&M<br />

50 2011 2012 2013 <strong>2014</strong><br />

Umsatz (in Millionen Euro)<br />

Mitarbeiter<br />

Gewinn (Ebit, in Millionen Euro)<br />

Umsatzrendite (in Prozent)<br />

Eigenkapitalrendite (in Prozent)<br />

Kurs (in Euro, Börse Frankfurt)<br />

KGV<br />

Börsenwert (in Milliarden Euro)<br />

Geschäftsjahr zum 31.8.2013<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

Quelle:Thomson Reuters, Bloomberg,<br />

Unternehmen<br />

Fast Retailing<br />

9680<br />

47 517<br />

1126<br />

11,6<br />

19,<strong>07</strong><br />

260,26<br />

35,96<br />

27,98<br />

Hoch<br />

Zwar verbünden sichdie Japanernichtmehrwie noch<br />

voreinigen Jahren mitStar-Designernwie Jil Sander,<br />

dafürpunkten sie weltweitmit guter Qualität und<br />

Kleidung mitZusatzfunktionen, diesie weniger<br />

anfälligmachtfür Modetrends undKonjunktur.<br />

Das Risiko, auf der Ware sitzen zu bleiben,<br />

ist für Fast Retailing begrenzt, da sich<br />

Uniqlo <strong>vom</strong> schnellen Modezyklus abzusetzen<br />

versucht. Bei den Kunden kommt<br />

das an: „Ich kann es mir nicht leisten, ständig<br />

Neues zu kaufen, das nach dem dritten<br />

Waschen zerfällt“, begründet eine japanische<br />

Studentin ihren Einkauf bei Uniqlo.<br />

Yanais dritter Erfolgsfaktor ist innovatives<br />

Funktionsgewebe. Mit „AIRism“ hat<br />

Fast Retailing ein dehnbares Gewebe aus<br />

atmungsaktiven Mikrofasern entwickelt,<br />

das Schwitzflecken verhindert, Geruch<br />

neutralisiert und die Haut feucht hält. „In<br />

diesem Material steckt ein enormer Aufwand<br />

an Forschung und Entwicklung, den<br />

keiner außer uns betreibt“, betont Vertriebschef<br />

Shuichi Nakajima.<br />

Umgekehrt hält das speziell strukturierte<br />

Mikroacryl-Gewebe namens „Heattech“<br />

etwa für Unterwäsche und Socken den<br />

Körper warm und erzeugt durch natürliche<br />

Aminosäuren ein samtiges Tragegefühl.<br />

Form und Funktion bleiben beim Waschen<br />

erhalten. „Dank der hohen Funktionalitäten<br />

setzt sich Uniqlo im stark umkämpften<br />

Niedrigpreissegment durch“, meint Helene<br />

Burger von der Unternehmensberatung<br />

Roland Berger in Japan.<br />

KLEINER BEUTEL<br />

Die jüngste dieser „Japan-Technologien“,<br />

mit denen Uniqlo wirbt, nennt sich „Ultra<br />

Light-down“, federleichte Jacken und Westen,<br />

die warm halten, nicht auftragen und<br />

in einen kleinen Beutel passen, den der<br />

Kunde dazu bekommt. Das Obermaterial<br />

der Kleidungsstücke besteht aus extrem<br />

dünnen Kunstfasern, die durch eine Spezialbehandlung<br />

so dicht gepackt sind, dass<br />

sich Daunenpolster ohne eigenen Bezug<br />

einnähen lassen. Materiallieferant ist der<br />

japanische Kunstfaserspezialist Toray, der<br />

auch das ultraleichte Karbon für die<br />

Dreamliner von Boeing produziert. Drei<br />

Toray-Entwickler sind von Anfang an in<br />

den Designprozess integriert. Toray liefert<br />

exklusiv an Uniqlo und betreibt eine eigene<br />

Fabrik für die Spezialmaterialien.<br />

Konzernchef Yanai weiß, dass er mit seiner<br />

Expansion den Kampf um die globale<br />

Führung im Bekleidungsgeschäft anzettelt,<br />

und hat seine Belegschaft in Japan entsprechend<br />

eingeschworen. „Unsere internationalen<br />

Gegner Zara, H&M und Gap sind<br />

nicht leicht zu schlagen, und wir müssen<br />

FOTO: MAURITIUS IMAGES/ALAMY<br />

58 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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auch mit Adidas, Nike und LVMH konkurrieren“,<br />

sagte er Anfang März vor 4000 Mitarbeitern<br />

in Tokio. „Ich verlange von jedem<br />

Verkäufer die doppelte Effizienz.“ Jede<br />

Uniqlo-Filiale müsse darum kämpfen, am<br />

meisten zu verkaufen. „Ich mache 50 neue<br />

Läden auf und 50 erfolglose Läden zu“,<br />

drohte er. Allein die Uniqlo-Geschäfte in<br />

Japan sollen pro Jahr 700 Millionen Euro<br />

mehr Umsatz bringen.<br />

Damit verrät Yanai gleichzeitig eine gewisse<br />

Nervosität. Denn der Vorstoß auf<br />

westliche Märke geht richtig ins Geld. So<br />

schreibt Uniqlo in den USA auch nach fast<br />

einem Jahrzehnt rote Zahlen. Japan bleibt<br />

daher das Rückgrat des Konzerns. Im halb<br />

abgelaufenen Geschäftsjahr <strong>2014</strong> wird Fast<br />

Retailing nur 55 Prozent der Einnahmen,<br />

aber 80 Prozent des operativen Gewinns in<br />

Japan erzielen. Daher darf die Textilkette in<br />

der Heimat nicht ins Schlingern geraten.<br />

Doch die schnell alternde und schrumpfende<br />

Bevölkerung macht dem Umsatz<br />

ebenso zu schaffen wie neue Konkurrenz,<br />

die Uniqlo schamlos kopiert. Als Gegenmaßnahme<br />

schließt der Konzern inzwischen<br />

kleine Filialen in den Vororten und<br />

eröffnet größere Kaufhäuser in zentralen<br />

Lagen. Dort lässt sich mehr Umsatz pro<br />

Quadratmeter Verkaufsfläche erwirtschaften.<br />

Der Wandel gipfelte vor zwei Jahren in<br />

der Eröffnung eines Uniqlo-Kaufhauses<br />

auf der teuersten Tokioter Einkaufsstraße.<br />

SCHWARZE LISTEN<br />

Auf die Weise verschafft Yanai zwar seiner<br />

wichtigsten Marke Respekt, nicht aber sich<br />

als Arbeitgeber. Fast Retail steht auf<br />

schwarzen Listen, die an Unis kursieren<br />

und vor Arbeitgebern warnen, die junge<br />

Leute en masse nach dem Studium als billige<br />

Arbeitskräfte einstellen. Japans Presse<br />

berichtet über Stress und Depressionen<br />

überarbeiteter Uniqlo-Beschäftigter. Jeder<br />

zweite Berufsanfänger, der von Uniqlo eingestellt<br />

wird, kündigt innerhalb von drei<br />

Jahren. Ein Grund dafür war, dass die Neuen<br />

sich schon nach sechs Monaten als Filialmanager<br />

qualifizieren mussten. Darauf<br />

verzichtet Uniqlo inzwischen.<br />

Dennoch ist der Arbeitsdruck enorm.<br />

Die Regale müssen jederzeit auf über 90<br />

Prozent aufgefüllt werden, um Kunden zu<br />

beeindrucken. Store-Chefs klagten, dass<br />

sie sich abends an der Stechuhr abmeldeten<br />

und dann zur Erfüllung ihres Pensums<br />

weiterarbeiteten. Um nicht ganz ins Abseits<br />

zu geraten, hat Yanai angeordnet, dass<br />

Uniqlo 16 000 Mitarbeiter mit befristeten<br />

Verträgen fest anstellt. Damit sichert er sich<br />

in Zeiten wachsenden Arbeitskräftemangels<br />

gute Leute. Seine Einstellung zu Mitarbeitern<br />

dürfte der Mittsechziger indes<br />

kaum geändert haben. Einer seiner Wahlsprüche<br />

hieß zeit seines Lebens: „Wer<br />

nicht schwimmen kann, soll untergehen.“<br />

Bei Ansprachen fordert er oft: „Ändere<br />

dich oder stirb“. Der Spruch hängt auch im<br />

Korridor zu seinem Büro. Den japantypischen<br />

Führungsstil, Mitarbeiter wie Familienangehörige<br />

zu behandeln und im Konsens<br />

zu entscheiden, sieht er als Einengung<br />

der unternehmerischen Freiheit.<br />

Gleichwohl besitzt Yanai die Stärke, zu<br />

seinen eigenen Fehlern zu stehen. Vor einem<br />

Jahrzehnt scheiterte er mit dem Versuch,<br />

sich auch im Lebensmittelhandel zu<br />

etablieren. Den Flop arbeitete er in dem<br />

Buch „Wie man seinen Erfolg an einem Tag<br />

wegwirft“ auf. Und seine Autobiografie betitelte<br />

er – ungewöhnlich in einem Land,<br />

wo Scheitern ein Makel ist – mit „Ein Sieg,<br />

neun Niederlagen“.<br />

n<br />

martin.fritz@wiwo.de | Tokio<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Ungeliebter Kumpel<br />

BOSTON CONSULTING GROUP | Innerhalb der Beratung tobt ein<br />

Kulturkampf. Ramponiert Deutschland-Chef Carsten Kratz die<br />

Identität und damit die Zukunft der intellektuellen Elitetruppe?<br />

Der Mann hat Wichtiges zu sagen, er<br />

ist hoch konzentriert, die Hände gehen<br />

auf und nieder, seine Stirn legt<br />

er in Dauerfalten, zieht die Augenbrauen<br />

so stark nach oben, dass das gewellt-gescheitelte<br />

Haar darüber sanft im Takt der<br />

Worte mitwippt. Damit die Videobotschaft<br />

gut rüberkommt, hat sein Arbeitgeber extra<br />

einen Teleprompter angeschafft, wie ihn<br />

auch die Tagesschau-Sprecher nutzen.<br />

„Was kann Deutschland tun, um seine Produktivität<br />

und Innovationskraft zu halten<br />

oder weiter auszubauen?“, liest der Mann<br />

mit angespannter Intensität vor. Ein großes<br />

Thema für wenig Zeit: Sechs Minuten und<br />

25 Sekunden dauert der Beitrag zur Optimierung<br />

der Nation.<br />

Der Mann heißt Carsten Kratz und ist als<br />

Deutschland-Chef der Boston Consulting<br />

Group (BCG) qua Amt berufen, gedankliche<br />

Anstupser auf höchstem Niveau zu geben.<br />

Die unter dem Motto „Gemeinsam<br />

mutig voranschreiten“ vor der Bundestagswahl<br />

2013 an Abgeordnete verschickte Ansprache<br />

beeindruckt aber eher als Parade<br />

der Plattitüden. „Kluge Familien- und<br />

Wirtschaftspolitik gehen Hand in Hand“,<br />

lautet ein Ratschlag. „Deutschland sollte<br />

sich auf Industriezweige konzentrieren<br />

und Unternehmen fördern, die in zukunftsfähigen<br />

Branchen tätig sind“, ein<br />

weiterer. Das Fazit: „Nur wenn das Boot gemeinsam<br />

für die Stürme der Weltwirtschaft<br />

seetauglich gemacht wird, wird es langfristig<br />

allen Insassen gut gehen.“<br />

Stagnierende Geschäfte bei Boston Consulting<br />

Umsatz in Deutschlandund Österreich<br />

(in Millionen Euro)<br />

600<br />

500<br />

400<br />

300<br />

Durchschnittliches<br />

jährliches Wachstum<br />

seit 20<strong>04</strong>: 8%<br />

seit 2011: 2%<br />

200<br />

20<strong>04</strong> 05 06 <strong>07</strong> 08 09 10 11 12 13 2009<br />

Quelle: Unternehmen<br />

Politiker haben die Ausführungen nur<br />

beiläufig zur Kenntnis genommen. Bei<br />

BCG haben sie umso mehr eingeschlagen –<br />

als Bumerang. Ungewollt haben sie Kratz’<br />

Gegenspielern Munition geliefert. Die werfen<br />

dem Deutschitaliener vor, den intellektuellen<br />

Schlussverkauf zu betreiben, eine<br />

langfristige Strategie der kurzfristigen Profitmaximierung<br />

zu opfern und abweichende<br />

Ansichten niederzubügeln. Wenn Kratz<br />

nicht gestoppt werde, ramponiere er Identität,<br />

Image und Erfolg der zweitgrößten<br />

Strategieberatung in Deutschland.<br />

TIEFPUNKT DES NIEDERGANGS<br />

Seit Kratz’ Berufung an die Spitze Ende<br />

2012 ist der interne Konflikt eskaliert. Kritiker<br />

sehen in der Personalie den vorläufigen<br />

Tiefpunkt eines vor Jahren eingeläuteten<br />

Niedergangs. „Die Kultur des Unternehmens<br />

war schon vor Kratz krank“, klagt ein<br />

hochrangiger Ex-BCGler. „Nun ist sie tot.“<br />

BCG galt einst als kreative Alternative<br />

zum als Kostenkiller gefürchteten Marktführer<br />

McKinsey, als erste Adresse für globale<br />

Wachstumsstrategien, als intellektueller<br />

Sparringspartner für Vorstandsvorsitzende.<br />

Konzepte wie die „BCG-Matrix“ zur<br />

Bewertung von Produkten anhand von Lebenszyklus<br />

und Marktanteil sind in Wissenschaft<br />

und Praxis tief verankert. In<br />

Deutschland prägte über Jahre der erste<br />

BCG-Landeschef Bolko von Oetinger das<br />

Bild. Ausgiebig befasste der sich zum Beispiel<br />

mit der Anwendbarkeit der Taktiken<br />

Neueinstellungen in Deutschland<br />

und Österreich<br />

170 170<br />

220 220<br />

180<br />

200<br />

10 11 12 13 14<br />

Weiß er wirklich,<br />

wo es langgeht?<br />

Umstrittener BCG-<br />

Deutschland-Chef Kratz<br />

des Preußengenerals Carl von Clausewitz<br />

auf das Management. Das brachte zwar<br />

kaum Geld ein, beförderte aber das Image.<br />

Die Zeiten unbehelligter Freigeisterei<br />

ohne zählbares Resultat sind vorbei, der<br />

Wettbewerb ist härter. Statt Vorständen<br />

entscheiden Einkaufsabteilungen über<br />

den Einsatz der Berater. Und von unten<br />

drängen Wirtschaftsprüfer in den Markt,<br />

die nicht ganz so intellektuell auftreten, deren<br />

Tagessätze aber auch nur halb so hoch<br />

sind wie die der vermeintlichen Elite.<br />

Dass Anpassungen erforderlich sind,<br />

leugnet darum kaum jemand. Doch etliche<br />

BCGler fürchten, dass die Führung den<br />

Wandel überzieht und den Kern der Marke<br />

vaporisiert. Kratz und Konsorten seien<br />

beim tiefen Austausch mit Top-Managern<br />

über deren Strategie überfordert. Sonderlich<br />

einträglich war die Disziplin zwar nie.<br />

„Aber es ist wie in der Mode“, sagt ein Berater.<br />

„Sie müssen das extravagante Abendkleid<br />

im Programm haben, damit sie den<br />

Regenschirm teuer verkaufen können. Gibt<br />

es nur noch Konfektionsware, wird die immer<br />

austauschbarer – und preiswerter.“<br />

Kratz selbst weist die Kritik zurück:<br />

„BCG hat sich immer über Inhalte profiliert<br />

und soll weiter für Wertzuwachs, globale<br />

Expertise und Innovation stehen.“ Die Be-<br />

FOTO: BERND ROSELIEB<br />

60 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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atung biete ihren Kunden „signifikant höhere<br />

Wertschöpfung, was uns von Wettbewerbern<br />

abgrenzt und höhere Tagessätze<br />

rechtfertigt“. Letztlich zeige der Erfolg, dass<br />

sich BCG auf dem richtigen Kurs befinde.<br />

„Wir waren in den vergangenen Jahren<br />

weltweit die Beratung, die sich am erfolgreichsten<br />

entwickelt hat“, sagt Kratz.<br />

VERGIFTETE ATMOSPHÄRE<br />

In Deutschland lief es aber lange eher mau.<br />

2012 mussten sich die deutschen BCG-<br />

Partner mit Nullwachstum bescheiden,<br />

Anfang 2013 brach das Geschäft ein und<br />

berappelte sich bis zum Jahresende nur einigermaßen.<br />

BCG Deutschland schnitt mit<br />

vier Prozent Plus nicht nur schlechter ab<br />

als BCG weltweit – der Gesamtumsatz stieg<br />

um sechs Prozent auf 3,95 Milliarden Dollar<br />

–, sondern auch als der deutsche Markt,<br />

für den der Bundesverband der Unternehmensberater<br />

6,3 Prozent Plus errechnete.<br />

Aktuell wächst der Umsatz im zweistelligen<br />

Prozentbereich. Den Zwischenboom verdankt<br />

BCG vor allem einigen Großprojekten,<br />

etwa bei Bilfinger.<br />

Doch hinter der Fassade rumort es<br />

weiter. Kratz’ Gegner würden ihn lieber<br />

gestern als heute abservieren, etliche<br />

sollen in die innere Emigration gegangen<br />

sein. Die Atmosphäre ist so vergiftet, dass<br />

seine Feinde jede Kratz-Äußerung umgehend<br />

mit Spott bedenken. Als in der<br />

vergangenen Woche das Partnertreffen in<br />

Zagreb dem Streik der Piloten zum Opfer<br />

zu fallen drohte, schrieb Kratz in einer<br />

internen Mail, dass „ich noch mal direkt<br />

mit den Verantwortlichen bei der LH (Lufthansa)<br />

sprechen werde“. Prompt unterstellten<br />

ihm seine Gegner Allmachtsfantasien:<br />

Ihr Chef werde wohl nicht nur den<br />

Pilotenstreik, sondern bald auch die<br />

Krim-Krise lösen.<br />

Kratz, da sind sich selbst seine Feinde einig,<br />

hat Qualitäten. Die Stärken des Wirtschaftsingenieurs<br />

liegen im Tagesgeschäft,<br />

in der Organisation großer Projekte, der<br />

exakten Planung einzelner Arbeitsschritte:<br />

Eines seiner Lieblingswörter ist „durchdeklinieren“.<br />

Siemens war lange sein größter<br />

Kunde. Der ganz kurze Draht in die Vorstandsetagen<br />

fehlt ihm aber bis heute, bei<br />

Treffen der Wirtschaftselite wirkt er mitunter<br />

wie ein Fremdkörper. Selbst bei der Feier<br />

des 50-jährigen BCG-Jubiläums im<br />

Herbst 2013 in Frankfurt wirkte er unsicher.<br />

Was Gesprächspartner häufig irritiert:<br />

Kratz lässt Distanz vermissen, nicht nur<br />

Menschen, die er kennt, kommt er unangenehm<br />

nahe. Er macht das bewusst so: Ein<br />

internes Video zeigt ihn, wie er Mitarbeiter<br />

reihenweise in den Arm nimmt. Jeden<br />

Partner will er zweimal im Jahr besuchen<br />

und unter vier Augen sprechen, auf internen<br />

„Roadshows“ sucht er den Austausch.<br />

Das kommt nicht nur gut an. Mit Grauen<br />

erzählen BCGler von mit Bildern aus Formel-1-Rennen<br />

und Analogien zum Fußball<br />

gespickten Vorträgen. Einige der Einser-<br />

Absolventen titulierten ihren Chef ob<br />

solcher Motivationstricks aus der Mottenkiste<br />

zum „Maschi“ – in Anlehnung an den<br />

umstrittenen AWD-Gründer Carsten<br />

Maschmeyer.<br />

MENSCH SEIN<br />

Eine aktuelle interne Präsentation zum<br />

Thema Innovation schmückt ein aus heutiger<br />

Sicht kurioses Privatfoto von Kratz zu<br />

Beginn seiner Beraterkarriere 1990. Er will<br />

auch für seine Mitarbeiter Mensch sein<br />

und sieht sich damit als Prototyp einer<br />

neuen, lockereren Generation von Managern.<br />

Seiner Vorliebe für Polohemden einer<br />

italienischen Nobelmarke frönt er auch<br />

mal im Büro. Und selbst bei älteren Geschäftspartnern<br />

geht er schnell, für manche<br />

zu schnell, zum Du über.<br />

Nicht nur sein Kumpeltum macht<br />

Kratz zum personifizierten Kulturbruch.<br />

BCG-Berater verdienten immer blendend,<br />

nach außen aber war Bescheidenheit<br />

angesagt. Der aktuelle Chef fuhr eine<br />

Weile Maserati, hat eine Yacht vor Sardinien<br />

und eine Villa in Frankfurt, die auch<br />

Vorstände von Dax-Unternehmen in ihrer<br />

Opulenz beeindruckt. Sogar sein Jahresgehalt<br />

in Millionenhöhe ist ein von ihm<br />

selbst nur schwach gehütetes Geheimnis.<br />

Einen schweren Stand hat er auch<br />

wegen der angeblichen Umstände seiner<br />

Berufung. Sie soll, wie Insider berichten,<br />

das letzte Glied einer Kette von Allianzen<br />

und Versprechen sein. So habe sein<br />

Vorgänger Christian Veith bei der Wahl<br />

des Weltchefs dem US-Kandidaten Rich<br />

Lesser europäische Stimmen gesichert. Im<br />

Gegenzug rückte Veith zum Co-Chef in<br />

Europa auf.<br />

Für seinen vakanten Posten favorisierten<br />

etliche deutsche Berater Hubertus Meinecke.<br />

Der hatte bei der Weltchef-Wahl mit<br />

gerade mal 40 Jahren einen sensationellen<br />

dritten Platz belegt. Meinecke, der in seiner<br />

Freizeit Extrem-Marathons in der Wüste<br />

läuft, gilt als Verkörperung alter BCG-Tugenden.<br />

Er hätte jedoch, meinen Insider,<br />

die deutschen Aktivitäten einer ähnlich rigorosen<br />

Analyse unterzogen, wie sie die Berater<br />

auch bei ihren Kunden durchexer-»<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 61<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

zieren. Veith habe die Berufung durch einige<br />

Anrufe und Indiskretionen verhindert,<br />

sodass schließlich sein Gefolgsmann Kratz<br />

auf dem begehrten Platz landete.<br />

LOHN DER LOYALITÄT<br />

Veith, der von 2006 bis 2012 an der Spitze der<br />

deutschen BCG stand, gilt als eigentlicher<br />

Pionier der intellektuellen Sklerose, auch<br />

wenn er „wenigstens eine humanistische<br />

Bildung hat“, wie ein Insider lästert. Der Jurist<br />

denke nur in politischen Allianzen, „sein<br />

einziger Freund ist er selbst“, sagt ein Berater,<br />

der ihn seit Jahrzehnten kennt. Zwischenzeitlich<br />

soll sich Veith von Kratz abgewendet<br />

und diesen in kleiner Runde für verzichtbar<br />

erklärt haben. Nur die Besserung der Auftragslage<br />

habe wieder für Frieden gesorgt.<br />

Kratz betont, dass das Verhältnis zu seinem<br />

Vorgänger „sehr gut und eng ist, seit wir uns<br />

kennen“.<br />

Veith selbst verdankt seinen Aufstieg vor<br />

allem der bedingungslosen Loyalität zu<br />

Hans-Paul Bürkner. Der erste deutsche Weltchef<br />

einer großen Beratung läutete vor mehr<br />

als zehn Jahren eine Revolution bei BCG ein.<br />

Er schaffte teure Firmentreffen ab, trimmte<br />

die Beratung auf Effizienz und verordnete<br />

ihr einen aggressiven Wachstumskurs mit<br />

dem Ziel, mittelfristig zu McKinsey aufzuschließen.<br />

Je länger Bürkner amtierte, desto<br />

mehr mutierte das Unternehmen zu einer<br />

Truppe ergebener Ja-Sager. Veith habe das<br />

Prinzip verinnerlicht: „Er blüht auf, wenn<br />

andere exakt seiner Meinung sind“, sagt ein<br />

Partner.<br />

Dabei sind die BCG-Wurzeln andere.<br />

Gründer Bruce Henderson hatte seinen<br />

Jüngern den provokativen Disput verordnet<br />

und ihre Erkenntnisse zum „Schlag<br />

zwischen die Augen“ ihrer Kunden deklariert.<br />

Die permanente Auseinandersetzung<br />

forderte er auch intern ein. „Immer hieß es,<br />

wir sollten ihn herausfordern, ihn überzeugen“,<br />

erinnert sich ein langjähriger BCG-<br />

Berater an ein persönliches Treffen. Das<br />

permanente Ringen unterschiedlicher<br />

Charaktere mit unterschiedlichen Auffassungen<br />

habe die Beratung stark gemacht.<br />

Davon sei wenig geblieben: Heute nivelliere<br />

ein mildes Konsensklima alle Differenzen.<br />

Widerspruch sei unerwünscht.<br />

Meister taktischer Machtspiele BCG-Co-<br />

Europa-Chef Veith<br />

Als symbolhaft dafür gilt der Abgang des<br />

Starberaters Daniel Stelter 2013. Der hatte<br />

sich mit ebenso provokanten wie düsteren<br />

Äußerungen zur Euro-Krise profiliert. Das<br />

missfiel der Führung, Insider berichten,<br />

dass sie Stelter mit Macht aus dem Unternehmen<br />

drängte. Kratz will sich nicht konkret<br />

äußern, sagt aber: „Wir unterstützen<br />

provokative Aussagen in einem Rahmen,<br />

der uns als Unternehmen dient.“<br />

Andere Aushängeschilder wie die Österreicherin<br />

Antonella Mei-Pochtler sind<br />

noch da, treten aber kaum noch in Erscheinung.<br />

Die Rolle des Vordenkers würde<br />

Kratz gerne selbst übernehmen. Doch dafür<br />

hat er zu wenig zu sagen.<br />

Andere Abgänge schmerzen weniger in<br />

der Außendarstellung als wirtschaftlich. So<br />

leidet etwa die Bankenabteilung noch immer<br />

unter dem Verlust der Top-Berater<br />

Walter Sinn und Levin Holle, die sich zum<br />

Konkurrenten Bain und als Abteilungsleiter<br />

ins Bundesfinanzministerium verabschiedeten.<br />

Die einstige Paradedisziplin<br />

von BCG ist inzwischen eher ein Schwachpunkt.<br />

Das Großprojekt der Integration<br />

»Wir unterstützen provokative Aussagen,<br />

die uns als Unternehmen dienen«<br />

BCG-Chef Carsten Kratz<br />

von Commerzbank und Dresdner Bank ist<br />

beendet, und bei der prestigeträchtigen<br />

Beratung der Deutschen Bank war BCG<br />

zeitweise gar nicht mehr vertreten, obwohl<br />

sich Veith als Bankenexperte selbst um den<br />

Klienten kümmerte. Nun gibt es einen kleineren<br />

Auftrag im Digitalgeschäft. Für die<br />

eigenen Ansprüche ist das viel zu wenig.<br />

AUFFORDERUNG ZUR ANPASSUNG<br />

Dass große Aufträge heute öfter durch die<br />

Lappen gehen, führen Insider auch auf veränderte<br />

Kriterien bei der Beförderung zurück.<br />

Für die Wahl zum Partner ist allein<br />

der erzielte Umsatz entscheidend, zudem<br />

müssen die Berater Anschlussprojekte<br />

beim gleichen Klienten nachweisen. Das<br />

führe dazu, dass Berater sich vor allem dort<br />

um Aufträge bemühten, wo ohnehin schon<br />

viel zu holen sei. Kreativität könne sich so<br />

kaum entfalten, sagen Kritiker.<br />

Das abgeflachte Wachstum führe zudem<br />

dazu, dass nicht mehr alle geeigneten<br />

Jungberater Partner werden könnten. Das<br />

mache sie empfänglich für Abwerbeversuche<br />

und intern zu braven Befehlsempfängern.<br />

Um ihre These zu untermauern, verweisen<br />

Kratz’ Kritiker auf das 2013 veröffentlichte<br />

Buch „Die kaputte Elite“. Dessen<br />

Autor Benedikt Herles lässt seinen Arbeitgeber<br />

anonym, BCGler berichten jedoch,<br />

dass es die Verhältnisse in ihrem eigenen<br />

Unternehmen widerspiegele. Dabei beschränkt<br />

sich Herles’ Insiderwissen auf ein<br />

dreimonatiges Praktikum.<br />

Von getrübten Perspektiven und Missstimmungen<br />

will Kratz nichts wissen. Die<br />

Beratung berufe zurzeit jährlich intern etwa<br />

zehn Partner und hole bis zu fünf von<br />

außen dazu. Die Kritik an sich selbst sieht<br />

er als Folge seines kompromisslosen Führungsstils<br />

und eines Einschnitts: Ende 2013<br />

trennte sich die Beratung von rund zehn<br />

Prozent der Partner, und nicht alle gingen<br />

freiwillig. Die Leistungsträger sieht er auf<br />

seiner Seite: „Stimmung und Zusammenhalt<br />

sind hervorragend“, sagt Kratz. 80 Prozent<br />

der Mitarbeiter hätten bei einer internen<br />

Befragung zuletzt erklärt, dass er der<br />

richtige Mann auf dem Chef-Posten sei.<br />

Dennoch kursieren intern wie extern Namen<br />

möglicher Nachfolger. Eine Ablösung<br />

vor Ende der dreijährigen Amtszeit scheint<br />

zwar vorerst kein Thema mehr. Aber Kratz’<br />

Feinde hoffen auf die Zeit danach. Als Berater<br />

wissen sie, dass es dauert, bis eine<br />

Marke ramponiert ist. Aber auch, dass es<br />

fast unmöglich ist, sie wiederzubeleben. n<br />

cornelius.welp@wiwo.de | Frankfurt,<br />

hans-jürgen klesse, julia leendertse<br />

FOTO: LAIF/DAVID KLAMMER<br />

62 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

FOTO: O2<br />

Ins Leere laufen<br />

MOBILFUNK | Die Fusion von O2 und E-Plus könnte den Wettbewerb<br />

schwächen und Preise steigen lassen, wie Österreich zeigt.<br />

Jochen Homann, der mächtige Präsident<br />

der Bundesnetzagentur, lässt sich<br />

ungern in die Karten schauen. Als<br />

beim TK-Gipfel am 26. März im Düsseldorfer<br />

Airporthotel ein neugieriger Manager<br />

wissen wollte, wie denn seine Behörde die<br />

Fusion von Telefónica Deutschland (Marke:<br />

O2) und E-Plus beurteile, blieb er eine<br />

klare Antwort schuldig. Er habe „keine<br />

konkreten Indizien“, welche Auflagen es<br />

geben könnte, lächelte der Behördenchef<br />

den Fragesteller verschmitzt an. „Im Prinzip<br />

ist das eine offene Entscheidung.“<br />

Gut geblufft, Herr Präsident. Schon fünf<br />

Tage später lüftete Homann sein so streng<br />

gehütetes Geheimnis. Telefónica, mit 19,4<br />

Millionen Kunden die Nummer vier auf<br />

dem deutschen Mobilfunkmarkt, wird<br />

wohl grünes Licht für die Übernahme von<br />

E-Plus bekommen. Die am vergangenen<br />

Montag verkündeten Pläne der Bundesnetzagentur<br />

für eine neue Frequenzordnung<br />

im Mobilfunk lassen nur diese<br />

Schlussfolgerung zu.<br />

In enger Absprache mit der EU-Kommission<br />

hat die Bundesnetzagentur zugleich<br />

beschlossen, ein Oligopol mit nur noch<br />

drei fast gleichstarken Mobilfunkbetreibern<br />

unter sehr strengen Auflagen zuzulassen.<br />

Die Gefahr ist allerdings<br />

groß, dass die ins Leere laufen und<br />

durch die Fusion der Preiswettbewerb<br />

doch ausgehebelt wird, wie der<br />

Fall Österreich zeigt.<br />

Die wichtigste Auflage<br />

betrifft die üppige Ausstattung<br />

mit Mobilfunkfrequenzen<br />

einer vereinigten<br />

O2-/E-Plus-Gruppe. Beide<br />

Betreiber, so der jetzt<br />

vorgestellte Plan der<br />

Bundesnetzagentur, sollen<br />

einen Teil ihres wegen<br />

der guten Ausbreitungseigenschaften<br />

besonders wertvollen<br />

Spektrums in den<br />

Frequenzbändern<br />

900 und 1800 Megahertz<br />

vorzeitig räumen.<br />

Zusammen<br />

mit anderen Fre-<br />

Drei statt vier Nach<br />

der Fusion mit E-Plus<br />

soll O2 lukrative<br />

Frequenzen räumen<br />

quenzen sollen sie möglichst noch <strong>2014</strong><br />

versteigert werden. „O2/E-Plus könnten<br />

ihre ohnehin starke Kundenbasis stark ausbauen“,<br />

befürchtet die Bundesnetzagentur.<br />

Auch ein Neueinsteiger soll die Chance bekommen,<br />

diese Frequenzen zu erwerben.<br />

Die EU-Kommission, die bis zum 14. Mai<br />

ihr Votum zu O2/E-Plus verkünden muss,<br />

sieht die Gefahr einer Schieflage auf dem<br />

bisher prächtig funktionierenden deutschen<br />

Mobilfunkmarkt. Durch die Übernahme<br />

von E-Plus, ließ die Kommission<br />

schon bei der ersten Voruntersuchung anklingen,<br />

würde der derzeit preisaggressivste<br />

Wettbewerber wegfallen. Das Risiko steige,<br />

das die verbleibenden drei großen Mobilfunkbetreiber<br />

Telekom, Vodafone<br />

und O2/E-Plus ihr<br />

Wettbewerbsverhalten abstimmten<br />

und die Preise<br />

erhöhten.<br />

E-Plus gewinnt seit<br />

Jahren als Preisbrecher<br />

Marktanteile. Ein Großteil der weit<br />

über 50 Mobilfunk-Discounter wie Aldi<br />

und nun auch Whatsapp, die den Wettbewerb<br />

anheizen, nutzen als virtuelle Anbieter<br />

ohne eigenes Netz die Infrastruktur von<br />

E-Plus. Brüssel will diese Form des Wettbewerbs<br />

erhalten. Eine der Auflagen wird<br />

deshalb sein, dass O2 eine Bestandsgarantie<br />

für die bisher aktiven virtuellen Anbieter<br />

abgeben und Übertragungskapazitäten<br />

für Neueinsteiger in einem vereinten<br />

O2-/E-Plus-Netz reservieren muss.<br />

BLAUPAUSE FÜR ANDERE LÄNDER<br />

Fraglich ist allerdings, ob diese Auflagen<br />

ausreichen, um die Wettbewerbsintensität<br />

hoch zu halten. Mit großer Sorge blicken<br />

die Wettbewerbshüter in Brüssel nach Österreich.<br />

Am 12. Dezember 2012 hatte die<br />

EU-Kommission die Fusion von Hutchison<br />

und Orange mit ähnlich harten Auflagen<br />

gebilligt, die als Blaupause für andere Länder<br />

dienen sollten. Heute, 15 Monate nach<br />

der Freigabe, fällt die Zwischenbilanz mager<br />

aus: Die drei verbliebenen Mobilfunkbetreiber<br />

Telekom Austria, T-Mobile und<br />

Hutchison haben ihre Preiskämpfe eingestellt.<br />

Einige Tarife wurden sogar erhöht,<br />

wie Telekom-Austria-Chef Hannes Ametsreiter<br />

einräumt (siehe Interview Seite 64).<br />

Ein Grund: Fast alle Auflagen verpufften.<br />

Auch in Österreich reservierte die dortige<br />

Regulierungsbehörde Frequenzen für einen<br />

Neueinsteiger, der als vierter Netzbetreiber<br />

die etablierten Anbieter aufmischen<br />

sollte. Bei der dann folgenden Versteigerung<br />

meldete aber kein Unternehmen<br />

Interesse an.<br />

Auch die zweitwichtigste Auflage verfehlte<br />

ihr Ziel. Hutchison muss 16 virtuellen<br />

Mobilfunkanbietern ohne eigenes<br />

Netz einen sehr kostengünstigen<br />

Zugang zur eigenen Infrastruktur<br />

gewähren. Bis jetzt – 15 Monate nach<br />

der Genehmigung – ist aber noch<br />

kein neuer Anbieter in Österreich<br />

gestartet. Lediglich drei Newcomer<br />

unterschrieben solche Kooperationsverträge<br />

und kündigten einen<br />

Markteintritt für die zweite Jahreshälfte<br />

an.<br />

Solch ein Fiasko will die EU-<br />

Kommission nicht noch einmal<br />

erleben. Trotz der Proteste der<br />

Telekomkonzerne: Den Start von<br />

Neulingen könnten die Wettbewerbshüter<br />

noch stärker fördern. n<br />

juergen.berke@wiwo.de<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 64 »<br />

63<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

INTERVIEW Hannes Ametsreiter<br />

»Keine Trittbrettfahrer«<br />

Der Vorstandschef von Telekom Austria will den Wettbewerb im<br />

Mobilfunk auf drei Anbieter beschränken.<br />

Herr Ametsreiter, die EU-Kommission<br />

prüft derzeit den Zusammenschluss der<br />

beiden deutschen Mobilfunkbetreiber<br />

O2 und E-Plus. In Österreich gibt es<br />

nach der Übernahme von Orange durch<br />

Hutchison nur noch drei Mobilfunkbetreiber.<br />

Reicht diese Zahl für einen funktionierenden<br />

Wettbewerb?<br />

Ametsreiter: Ich kann und will nicht für<br />

Deutschland sprechen. Aber für ein kleines<br />

Land wie Österreich reichen drei<br />

Mobilfunkbetreiber aus. Wir<br />

haben die billigsten Tarife in<br />

Europa und liegen heute<br />

mit unseren Preisen etwa 40<br />

Prozent unter dem europäischen<br />

Durchschnitt. Exzellent<br />

ausgebaute Mobilfunknetze<br />

bis in die topografisch<br />

anspruchsvollen alpinen<br />

Skigebiete bei äußerst niedrigen<br />

Tarifen sind betriebswirtschaftlich<br />

eine Herausforderung.<br />

Orange<br />

Österreich war so gut wie<br />

pleite, und die Gruppe hat<br />

sich deshalb aus Österreich<br />

zurückgezogen.<br />

Kürzlich erhöhte Telekom<br />

Austria die ersten Mobilfunktarife.<br />

Sind das die ersten Anzeichen<br />

für ein Ende der Preiskämpfe?<br />

Das kann man so nicht sagen. Einige<br />

Preise sind gestiegen, aber auch die Leistung.<br />

So haben wir unlimitierte Flatrates<br />

für Telefonie und SMS eingeführt und<br />

den Preis dafür um fünf Euro erhöht.<br />

Auch andere Tarife wurden angepasst.<br />

Das hängt auch mit den hohen Summen<br />

zusammen, die wir nach der letzten Versteigerung<br />

für die neuen Mobilfunkfrequenzen<br />

zahlen mussten.<br />

Die EU-Kommission hat die Fusion von<br />

Hutchison und Orange mit hohen Auflagen<br />

genehmigt, die bisher allerdings<br />

ins Leere laufen. So sollte ein neuer,<br />

vierter Mobilfunkbetreiber in Österreich<br />

an den Start gehen. Die dafür benötigten<br />

Frequenzen wurden reserviert, aber<br />

bei der Auktion nicht abgerufen. Warum<br />

hat kein Newcomer mitgeboten?<br />

Mich hat das nicht überrascht. Die Wettbewerbsintensität<br />

ist in Österreich so stark,<br />

dass es sich jeder zweimal überlegt, als<br />

Neuling zu starten. Außerdem waren die<br />

Gebote extrem hoch. Mit rund einer Milliarde<br />

Euro musste Telekom Austria die<br />

relativ höchsten Preise für Frequenzen in<br />

Europa zahlen. Das ist selbst für uns als<br />

Marktführer eine hohe Belastung.<br />

DER NETZWERKER<br />

Ametsreiter, 47, ist seit 1. April 2009 Chef<br />

des Ex-Monopolisten Telekom Austria mit<br />

einem Umsatz von 4,2 Milliarden Euro. Der<br />

Kommunikationswissenschaftler kam 1996<br />

von Procter & Gamble zur Mobilfunk-Tochter<br />

Mobilkom Austria.<br />

Österreich ist auch der Testmarkt für eine<br />

zweite wichtige Auflage, die ein Oligopol<br />

zwischen den drei verbliebenen Betreibern<br />

und Tariferhöhungen verhindern soll.<br />

Die EU-Kommission erleichtert den<br />

Markteintritt von virtuellen Mobilfunkbetreibern<br />

ohne eigenes Netz: Die dürfen<br />

jetzt das ihres Konkurrenten Hutchison<br />

mitbenutzen. Was bedeutet das für den<br />

Wettbewerb?<br />

Die EU-Kommission hat entschieden, dass<br />

Hutchison als jetzt drittgrößter Anbieter<br />

sein Netz in den kommenden zwölf Jahren<br />

öffnen muss für bis zu 16 virtuelle<br />

Mobilfunkanbieter ohne eigenes Netz –<br />

zu Konditionen, die unter den Betriebskosten<br />

liegen. Ich halte das für eine falsche<br />

Entscheidung, weil Investitionen in<br />

die Infrastruktur nicht gefördert werden.<br />

Ich kann nicht verstehen, wieso die EU-<br />

Kommission den Markteintritt solcher<br />

Trittbrettfahrer fördert.<br />

So leicht scheint der Markteintritt nicht<br />

zu sein. Bisher ist noch keiner gestartet.<br />

Ich rechne damit, dass etwa ein halbes<br />

Dutzend virtueller Anbieter <strong>2014</strong> einen<br />

Marktstart wagen wird.<br />

Warum dauert das so lange?<br />

Die Verträge brauchen eine Vorlaufzeit<br />

von mehreren Monaten. Im zweiten<br />

Halbjahr <strong>2014</strong> werden aber die ersten<br />

Anbieter kommen. Der TV-Kabelnetzbetreiber<br />

UPC will seinen<br />

Kunden auch Mobilfunk<br />

anbieten. Mass Response,<br />

ein Spezialist für Televoting<br />

bei Fernsehsendungen, will<br />

ins Mobilfunkgeschäft expandieren.<br />

Und auch Michael<br />

Krammer, der Ex-<br />

E-Plus-Chef und neue<br />

Präsident <strong>vom</strong> Fußballklub<br />

Rapid Wien, hat den Start<br />

eines neuen Mobilfunkanbieters<br />

angekündigt.<br />

Hätte Hutchison eine solch<br />

harte Auflage überhaupt<br />

akzeptieren dürfen?<br />

Die Auflagen sind in der Tat<br />

hart an der Grenze. Es ist<br />

absurd, eine Situation zu<br />

schaffen, bei der es günstiger ist, keine<br />

Infrastruktur zu besitzen. Es muss Anreize<br />

geben, in Infrastruktur zu investieren<br />

und Arbeitsplätze zu schaffen.<br />

Was wünschen Sie sich aus Brüssel?<br />

Dass sich Wettbewerbskommissar Joaquin<br />

Almunia und die Kommissarin für<br />

digitale Wirtschaft, Neelie Kroes, besser<br />

abstimmen und gemeinsam eine Vision<br />

kreieren, wie der Telekommunikationsmarkt<br />

aussehen soll. Europa hat den Anschluss<br />

an die USA verloren. Almunia<br />

und Kroes sollten gemeinsam das Ziel<br />

ausgeben, dass Europa wieder mehr in<br />

Infrastrukturen investiert und eine führende<br />

Macht im Kommunikationssektor<br />

wird. Hier gibt es noch große Inkonsistenzen<br />

und Defizite.<br />

n<br />

juergen.berke@wiwo.de<br />

FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE/RENE PROHASKA<br />

64 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Arme Bäcker, glückliche Windmüller<br />

ENERGIEWENDE | Die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes durch die große Koalition bringt<br />

kaum Entlastung. Die wichtigsten Gewinner (grün) und Verlierer (rot).<br />

Energieintensive Mittelständler und Kleinbetriebe<br />

Zum Beispiel Bäckereien, Gießereien, Wäschereien.<br />

Begründung: Die Unternehmen müssen trotz ihres hohen Energiekostenanteils<br />

weiterhin die volle Umlage zahlen, weil ihr absoluter<br />

Verbrauch unter der Befreiungsschwelle liegt. Und weil die durch<br />

Ausnahmen begünstigte Strommenge der Großunternehmen kaum<br />

sinkt, werden die Ökostromkosten nicht auf mehr Schultern verteilt.<br />

Private Haushalte<br />

Experten erwarten, dass die Ökostrom-Umlage bis 2020 von heute<br />

6,24 Cent pro Kilowattstunde auf 8 Cent steigt. Damit ist mit einer<br />

Mehrbelastung für einen Vier-Personen-Haushalt von 300 Euro jährlich<br />

zu rechnen. Das Wirtschaftsministerium erwartet 7 Cent.<br />

Begründung: Die Reform ist zu zaghaft. Einkaufsgenossenschaften<br />

privater Haushalte wurden nicht von der EEG-Umlage befreit.<br />

Landschaft<br />

In vielen Regionen dürften bis zu 40 Prozent der Ackerflächen mit<br />

Mais für Biogasanlagen bepflanzt werden. Viele Landschaften<br />

besonders in Bayern veröden durch Überdüngung und Monokultur.<br />

Die Begrenzung auf den Einsatz von Rest- und Abfallstoffen kommt<br />

zu spät. Neue Windräder vor allem in Süddeutschland drohen<br />

wertvolle Urlaubsregionen zu verspargeln, etwa den Schwarzwald.<br />

Projektierer und Hersteller von Biomasseanlagen<br />

Zum Beispiel Envitec Biogas, BioEnergiePlus.<br />

Begründung: Biomasseanlagen laufen zwar auch dann, wenn<br />

Sonne und Wind keinen Strom liefern. Trotzdem wird der Ausbau<br />

gebremst, indem die Vergütung begrenzt wird. Nicht nur der Widerstand<br />

in der Bevölkerung wächst. Zudem ist Elektrizität aus Biogas<br />

teurer als Windstrom an Land und selbst als Solarenergie.<br />

Klima<br />

Vorfahrtberechtigter Strom aus Solar- und Windkraftwerken verdrängt<br />

Strom aus konventionellen Anlagen. Allein Braunkohlemeiler<br />

rechnen sich noch, auch weil durch den Boom des Ökostroms die<br />

Verschmutzungsrechte (CO 2 -Zertifikate) immer billiger werden.<br />

Braunkohle hat aber relativ den höchsten CO 2 -Ausstoß. Folge der<br />

Energiewende: Deutschland verfehlt die EU-Klimaziele.<br />

Bahnkunden<br />

Kleinere Bahnbetriebe müssen künftig höhere EEG-Umlage zahlen,<br />

die Fahrgäste höhere Ticketpreise. Bei den Berliner Nahverkehrsbetrieben<br />

beispielsweise müsste der Fahrschein 20 Cent teurer<br />

werden (auf 2,80 Euro). Die Deutsche Bahn bleibt verschont.<br />

Begründung: Auf Brüsseler Druck reduziert die Bundesregierung<br />

die Zahl der Unternehmen, die von der Umlage befreit sind.<br />

FOTOS: BARBARA DOMBROWSKI/LAIF; ENVITEC BIOGAS AG; ULLSTEIN BILD; CARO / DAHL; ULLSTEIN BILD; DPA PICTURE-ALLIANCE / JENS WOLF; ANDREAS DUNKER; IMAGEBROKER /<br />

VARIO IMAGES/BERNHARD CLAßEN; ZENIT/LAIF/PAUL LANGROCK; ACTION PRESS/WAZ FOTOPOOL/ILJA HÖPPING; VISUM/THOMAS LANGREDER ; GETTY IMAGES/SEAN GALLUP<br />

66 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Betreiber von Biomasseanlagen<br />

Zum Beispiel Stadtwerke und kommunale Genossenschaften.<br />

Begründung: Zwar wird der Zubau neuer Anlagen faktisch auf<br />

100 Megawatt pro Jahr gedeckelt (weil darüber die Einspeisevergütung<br />

kräftig sinkt), aber die Erweiterung vorhandener<br />

Anlagen bleibt möglich.<br />

Zusätzliche Kosten der Lockerung: 264 Millionen Euro<br />

Betreiber von Solarparks<br />

Zum Beispiel Capital Stage (größter Solarparkbetreiber<br />

Deutschlands).<br />

Begründung: Alte Anlagen haben Bestandsschutz, die Betreiber<br />

müssen sich also nicht an Sparbemühungen beteiligen.<br />

Allerdings sinkt die Vergütung für neue Anlagen – das war aber<br />

schon mit der letzten Novelle beschlossen worden.<br />

Betreiber von Offshore-Windparks<br />

Zum Beispiel EnBW (geplant: 1000 Megawatt), RWE (669 Megawatt),<br />

Vattenfall (288 Megawatt), E.On (288 Megawatt).<br />

Begründung: Die neue Obergrenze von 6500 Megawatt bis 2020<br />

wird wegen Verzögerungen beim Bau nicht erreicht, bedeutet also<br />

keine Einschränkung. Die Vergütung bleibt mit 19 Cent (18 Cent<br />

ab 2018) pro Kilowattstunde hoch; die weitere Kürzung entfällt.<br />

Große energieintensive Unternehmen<br />

Zum Beispiel ThyssenKrupp (Stahl), BASF (Chemie)<br />

Begründung: Die weitgehende Befreiung von der EEG-Umlage<br />

bleibt. Welchen Sockelbetrag die Unternehmen zahlen müssen,<br />

hängt noch von der künftigen EU-Beihilfenregelung ab.<br />

Risiko: Offen bleibt der Ausgang des EU-Verfahrens für die vergangenen<br />

Jahre: Wertet Brüssel die Ausnahme als unerlaubte Beihilfe?<br />

Große Eigenstromerzeuger<br />

Zum Beispiel BASF, Bayer, Volkswagen, ThyssenKrupp.<br />

Begründung: Weiterhin keine volle Ökostrom-Umlage. Vorhandene<br />

Anlagen bleiben komplett von der Umlage befreit (anders als in dem<br />

Eckpunktepapier von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ursprünglich<br />

vorgesehen), neue müssen allerdings einen Solidaritätsbeitrag<br />

von 1,2 Cent pro Kilowattstunde anstelle des Regelbetrags von 6,24<br />

Cent bezahlen.<br />

Onshore-Windrad-Bauer, Zulieferer, Entwickler<br />

Zum Beispiel Nordex, Senvion (früher Repower), Enercon, Siemens,<br />

ThyssenKrupp, Juwi, WPD, PNE Wind.<br />

Begründung: Der Deckel eines jährlichen Zubaus von 2500 Megawatt<br />

ist keine Einschränkung (Zubau 2013: 2232 MW aus zusätzlichen<br />

Anlagen). Austausch vorhandener durch leistungsfähigere<br />

Rotoren geht extra. Kosten dieser Lockerung: 113 Millionen Euro.<br />

mario.brueck@wiwo.de, henning krumrey, andreas wildhagen<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 67<br />

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Spezial | Hannover Messe Industrie<br />

INDUSTRIE 4.0 | Die<br />

Macher der vierten industriellen<br />

Revolution<br />

sind vielfach nicht<br />

die Konzerne, sondern<br />

die Mittelständler.<br />

Produzieren wie<br />

im Schlaf<br />

In der futuristischen Fabrik regiert die<br />

Geisterhand. Kleine Kunststoffschlitten<br />

schieben sich erratisch durch eine<br />

große Halle wie künstliche Lebewesen.<br />

Die Gefährte transportieren<br />

handtellergroße grüne Plastikdeckel, die<br />

mit einer Leiterplatte, unzähligen Metallkontakten<br />

und elektronischen Bauteilen<br />

bestückt sind, von einer Maschine zur anderen.<br />

Mal graviert einer der Automaten<br />

per Laser ein Schaltbild oder eine Typbezeichnung<br />

ein, mal fügt er neue Bauteile<br />

hinzu, mal verlötet er eine Bauteilgruppe.<br />

Glaskästen schirmen die Maschinen und<br />

die Plastikteile von der Außenwelt ab.<br />

Jens Beverung, Maschinenführer beim<br />

Verbindungstechnik-Hersteller Phoenix<br />

Contact im niedersächsischen Bad Pyrmont,<br />

scheint wie die laptopgroßen Kunststoffschlitten<br />

von höheren Mächten gelenkt.<br />

Denn ein Bildschirm schreibt ihm jeden Arbeitsschritt<br />

vor: „Beschriftung prüfen“, drei<br />

Minuten später „Deckplatte aufsetzen“. Hat<br />

das Plastikteil alle Stationen durchlaufen<br />

und Beverung alle Anweisungen befolgt, ist<br />

aus dem Werkstück eine Art Transformator<br />

geworden, der in Chemiefabriken und der<br />

Pharmaindustrie seinen Dienst tut.<br />

Für die Anweisungen sorgt ein kleiner sogenannter<br />

RFID-Chip, der an jedem Werkzeugträger<br />

prangt. Die Abkürzung steht für<br />

Radiofrequenz-Identifikation, die drahtlose<br />

Erkennung von Gegenständen, deren Nummer<br />

in dem Chip gespeichert ist. Dank der<br />

Signale des RFID-Chips und der Computerprogramme,<br />

die diese Befehle umsetzen,<br />

wissen Beverung und die nächste Maschine<br />

immer, was sie als Nächstes tun müssen.<br />

PHOENIX CONTACT<br />

Verbindungstechnik<br />

Ein Chip auf jedem Werkzeugträger<br />

löst Anweisungen für<br />

einzelne Arbeitsschritte aus,<br />

denen der Facharbeiter folgt.<br />

Täglich 100 verschiedene<br />

Varianten von Transformatoren<br />

BEFEHL UND GEHORSAM<br />

Das ist die Zukunft der Fertigung: die selbstständige<br />

Kommunikation zwischen Produktionsanlage<br />

und Werkstück ohne Steuerung<br />

durch Zentralrechner – und der<br />

Mensch eingebettet in ein automatisches<br />

System von Befehl und Gehorsam. Mechatroniker<br />

Beverung empfindet die Anweisungen<br />

aus dem Computer trotzdem nicht<br />

als Bevormundung, sondern als Hilfe: „Wir<br />

haben hier so viele Arbeitsschritte, das kann<br />

sich keiner merken“, sagt er. Immerhin laufen<br />

durch seine Anlage fast täglich wechselnde<br />

bis zu 100 verschiedene Varianten<br />

der Transformatoren, und das in drei unterschiedlichen<br />

Bearbeitungsstufen. Selten<br />

muss Beverung mehr als 1000 gleiche Stücke<br />

auf einmal abwickeln.<br />

Die Produktion der Baugruppen bei dem<br />

Familienunternehmen mit 13000 Mitarbeitern<br />

und 1,64 Milliarden Euro Jahresumsatz<br />

gibt einen Vorgeschmack auf „Industrie 4.0“,<br />

wie in Deutschland die künftige Vernetzung<br />

von Produkten und Maschinen heißt. „Das<br />

ist für uns eine Frage der Flexibilität und damit<br />

der Wettbewerbsfähigkeit“, sagt An-<br />

»<br />

FOTO: MICHAEL LÖWA FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

68 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Spezial | Hannover Messe Industrie<br />

HALI<br />

Büromöbel<br />

Inhaber Siegmund Gruber<br />

(vorn) und Geschäftsführer<br />

Christoph Königslehner produzieren<br />

profitabel Einzelstücke.<br />

Dank Industrie 4.0 sind 48<br />

Millionen Varianten möglich<br />

»<br />

dreas Schreiber, Chef der Abteilung Technologieentwicklung<br />

im Maschinenbau.<br />

Industrie 4.0 oder das Internet der Dinge,<br />

wie die Amerikaner dazu sagen, macht<br />

Produkte intelligent und überall kontrollierbar.<br />

Sie funken ständig ihren aktuellen<br />

Zustand, ihre bisherige Geschichte und<br />

den geplanten Endzustand an ausgewählte<br />

Empfänger, ob Mensch, Maschine oder<br />

Computer. Auf diese Weise kommuniziert<br />

jedes Möbelteil, jedes Autoblech oder jede<br />

Komponente einer Flugzeugturbine mit<br />

der Maschine in der Werkhalle, aber auch<br />

mit der Einkaufs- und Vertriebsabteilung.<br />

Einmal in Gebrauch, bleibt jedes Gut lebenslang<br />

mit den Wartungsabteilungen<br />

verbunden, via Internet. „Es entsteht eine<br />

völlig neue Produktionslogik“, prophezeit<br />

Henning Kagermann, Präsident der Deutschen<br />

Akademie der Technikwissenschaften<br />

und langjähriger Chef des Softwareriesen<br />

SAP. Wie wichtig das Thema für Wirtschaft<br />

und Politik ist, zeigt die Hannover<br />

Messe, die in dieser Woche unter dem Motto<br />

„Integrated Industry“ startet – dem gleichen<br />

wie im vergangenen Jahr.<br />

Doch eines unterscheidet die anlaufende<br />

vierte industrielle Revolution von ihren<br />

Vorgängerinnen. Waren frühere Umwälzungen<br />

von Großunternehmen geprägt,<br />

die neue Produktionsverhältnisse durchsetzten,<br />

dürften es diesmal vor allem die<br />

Mittelständler sein. Den Grund nennt Johann<br />

Hofmann, der in einem mehrjährigen<br />

Prozess die Regensburger Maschinenfabrik<br />

Reinhausen (MR), ein Familienunternehmen<br />

mit rund 2700 Mitarbeitern, in<br />

die neue Zeit geschoben hat. „Es geht bei<br />

Industrie 4.0 nicht so sehr um Vorteile in<br />

der standardisierten Massenproduktion“,<br />

sagt Hofmann, der heute Chef der Softwaretochter<br />

MR Valuefacturing ist.<br />

Im Zentrum stehe das einzelne Werkstück<br />

und nicht der schematisierte Arbeitsablauf.<br />

Deshalb sei der Mittelstand, der<br />

häufig viele Varianten in kleinen Stückzahlen<br />

fertige, „der Pionier der vierten industriellen<br />

Umwälzung“. Für die deutsche Industrie<br />

ergeben sich daraus jede Menge<br />

Chancen. Bis zu 50 Prozent Umweltressourcen<br />

ließen sich einsparen, im gleichen<br />

Maß steige die Produktivität, schätzt die<br />

»Es entsteht gerade eine völlig neue<br />

Produktionslogistik«<br />

Ex-SAP-Chef Kagermann<br />

Deutsche Akademie der Technikwissenschaften.<br />

Schon heute lassen sich laut einer Studie<br />

der Universität Passau im Maschinenbau<br />

40 Prozent der Arbeitsschritte und 38 Prozent<br />

bei den Umbauzeiten von Maschinen<br />

durch Industrie-4.0-Anwendungen einsparen.<br />

Davon profitieren vor allem kleinere<br />

Hersteller, die wegen der geringen Stückzahlen<br />

ihre Maschinen immer wieder umrüsten<br />

müssen. Für Experten steht fest,<br />

dass Mittelständler mit Industrie 4.0 die<br />

Produktion noch viel tiefer verändern werden,<br />

als es einst die Konzerne taten, als sie<br />

die Fließbandproduktion einführten oder<br />

Handarbeit durch Maschinenfertigung ersetzten.<br />

Das lassen die Vorreiter schon jetzt<br />

erkennen.<br />

ELEKTRONISCHE WÄCHTER<br />

Bevor Achim Guski, Juniorchef des Maschinenbauers<br />

Müller & Guski, zu Bett<br />

geht, checkt er <strong>vom</strong> Computer daheim<br />

noch kurz die Drehbänke in seiner 15 Kilometer<br />

entfernten Fabrik. Das Schlimmste,<br />

was dem Unternehmer aus dem sauerländischen<br />

Herscheid passieren könnte, wäre<br />

ein Produktionsausfall an einer Maschine<br />

während der Nachtschicht. Die Angst, dass<br />

ein stumpf gewordenes Werkzeug unbemerkt<br />

die Werkstücke zerstört, ist inzwischen<br />

vollständig gewichen. „Dann schaltet<br />

sich die Maschine automatisch aus“,<br />

sagt Guski beruhigt, „und ich bekomme einen<br />

automatischen Anruf.“ Je nachdem,<br />

wie zeitkritisch der Auftrag ist, setzt sich<br />

Guski dann persönlich ins Auto und fährt<br />

die Viertelstunde zur Fabrik, um das Werkzeug<br />

auszuwechseln.<br />

Das Signal, das Guski ruhig schlafen<br />

lässt, verdankt er einem Überwachungssystem<br />

des Maschinenbauers Nordmann<br />

aus Hürth bei Köln, das Drehbänke und<br />

andere Werkzeugmaschinen einer ausgeklügelten<br />

Dauerdiagnose unterzieht. „Unsere<br />

Anlagen arbeiten mit Schall- oder<br />

Leistungsmessung“, sagt Unternehmenschef<br />

Klaus Nordmann.<br />

Wird ein Werkzeug stumpf, verändert<br />

sich der Ton, den das Werkstück von sich<br />

gibt. Oder die Maschine verbraucht mehr<br />

Strom, weil der Motor wegen des stumpfen<br />

Werkzeugs mehr Widerstand überwinden<br />

muss. Noch vor wenigen Jahren waren die<br />

Datenmengen, die dabei anfallen, für die<br />

gängigen Rechner zu groß. Heute gelingt<br />

dies, weil die IT viel leistungsfähiger geworden<br />

ist. Ohne elektronische Wächter wären<br />

Nachtschichten ohne Personal oder fast<br />

menschenleere Maschinenhallen bei<br />

»<br />

FOTO: HALI BÜROMÖBEL GMBH<br />

70 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Spezial | Hannover Messe Industrie<br />

»<br />

Unternehmen wie BMW oder Opel, die<br />

zu Nordmann-Kunden gehören, zu riskant.<br />

Seit Jahren lastet auf den Mittelständlern,<br />

die vielfach von der Anfertigung geringer<br />

Stückzahlen leben, der Albtraum<br />

„Losgröße 1“. Damit meinen Fertigungstechniker,<br />

dass von bestimmten Produkten<br />

nur ein einziges hergestellt wird, etwa ein<br />

großes Möbelstück, das in ein bestimmtes<br />

Gebäude mit ungenormten Maßen passen<br />

muss. Theoretisch ist das kein Problem, in<br />

der industriellen Praxis scheitert das Unterfangen<br />

aber oft am Preis.<br />

Homag, Weltmarktführer für Holzbearbeitungsmaschinen<br />

im schwäbischen<br />

Schopfloch, hat mit einer Anlage <strong>vom</strong> Typ<br />

Industrie 4.0 den Durchbruch zur Losgröße<br />

1 geschafft. Die Rüst- und Umbauzeiten<br />

der Maschine von einem zum anderen<br />

Produkt dauern nur noch bis zu 1,5 Sekunden.<br />

„Was früher als Sonderfertigung galt,<br />

ist mit dieser Anlage Standard“, sagt Homag-Vorstandsvorsitzender<br />

Markus Flik.<br />

Einer der Nutznießer ist Hali, ein Büromöbelhersteller<br />

mit 250 Beschäftigten in Eferding<br />

bei Linz in Österreich. 48 Millionen<br />

Produktvarianten kann Hali heute wirtschaftlich<br />

produzieren, zwei Drittel mehr<br />

als vor der Umstellung. Das funktioniert<br />

nur, weil die Anlagen bei Hali alle für die<br />

Produktion erforderlichen Informationen<br />

in sich tragen, diese selbstständig verarbeiten<br />

und genau wissen, welches Teil sie als<br />

Nächstes wie bearbeiten müssen.<br />

Dank einer ausgeklügelten Software ist<br />

die Produktionslinie darüber informiert,<br />

dass das 30. Teil der Morgenschicht die<br />

Rückwand eines bestimmten Schrankes ist<br />

und das 141. Teil zu einer Schublade gehört.<br />

Sie weiß auch, dass die Vorderfront,<br />

die gerade vorbeigleitet, eine empfindliche<br />

Beschichtung besitzt und deshalb mit aller<br />

Vorsicht zu behandeln ist. Etiketten mit<br />

Barcodes oder RFID-Aufkleber an den Möbelteilen<br />

gibt es bei Hali nicht. „Dann<br />

müssten wir jede Woche 20 000 Etiketten<br />

entfernen“, sagt Technikchef Albert Nopp.<br />

Die Folgen von Industrie 4.0 bei Hali<br />

sind frappierend. Die Zeit, die ein Möbelstück<br />

von Bestellung bis Auslieferung benötigt,<br />

hat sich mehr als halbiert. Statt nach<br />

sechs Wochen bekommt der Kunde den<br />

Schreibtisch oder den Rollcontainer schon<br />

nach 15 Tagen. Sondergrößen verlängern<br />

weder die Lieferfrist, noch treiben sie Produktionskosten<br />

wesentlich nach oben. Mit<br />

der gleichen Mannschaft und in der gleichen<br />

Halle kann der Büromöbelhersteller<br />

nun ein Drittel mehr Möbel fertigen.<br />

LÜCKENLOSE IDENTIFIZIERUNG<br />

Hali ist der erste Anwender der neuen Produktionslinie<br />

in der Branche, aber nicht<br />

mehr der einzige. „Die Möbelhersteller vor<br />

allem in den deutschsprachigen Ländern<br />

sind sehr interessiert an der neuen Technik“,<br />

sagt Homag-Chef Flik. Der Einstieg in<br />

Industrie 4.0 sei für viele der mittelständischen<br />

Kunden der 5000-Mitarbeiter-Firma<br />

eine Überlebensfrage. „Durch den Einsatz<br />

Die größten Hindernisse<br />

Barrieren gegendie Ausbreitungvon<br />

Industrie4.0 (inProzent derBefragten)*<br />

66<br />

43<br />

43<br />

35<br />

31<br />

Lücken in der IT-Sicherheit<br />

Fehlende Normen<br />

Fehlende Fachleute<br />

MangelndeInfrastruktur<br />

Hohe Kosten<br />

*Mehrfachnennungen möglich;1300Befragte<br />

ausUnternehmenund Hochschulen;<br />

Quelle:VDE 2013<br />

der vernetzten Anlagen können die Möbelhersteller<br />

in Hochlohnländern wettbewerbsfähig<br />

produzieren.“<br />

Doch die Einführung von Industrie 4.0<br />

beschränkt sich nicht auf Produktionsstandorte<br />

mit teuren Arbeitskräften. Das<br />

zeigt der Autozulieferer Kirchhoff Automotive<br />

aus Iserlohn in seinem Werk im rumänischen<br />

Craiova. Das Familienunternehmen<br />

mit über 8000 Beschäftigten verarbeitet<br />

dort Komponenten, teils nur wenige<br />

Gramm leichte Verbindungsstücke oder<br />

bis zu 1,40 Meter lange Blechteile, für den<br />

Rohbau des Kleinwagens B-Max von Ford.<br />

Kirchhoff setzt im Armenhaus Europas auf<br />

Industrie 4.0, um die Lagerhaltung zu optimieren<br />

und stets zu wissen, wo sich ein bestimmtes<br />

Werkstück gerade befindet. Dadurch<br />

konnten die Sauerländer ihr Vorla-<br />

»Der Mittelstand ist Pionier der vierten<br />

industriellen Umwälzung«<br />

MR-Chef Hofmann<br />

ger in Rumänien um rund 75 Prozent verkleinern.<br />

Statt Vorprodukte für zehn Produktionstage<br />

einzulagern, reicht nun ein<br />

Vorrat für zwei bis drei Tage. „Und das trotz<br />

der Anlieferungen aus weit entfernten<br />

Standorten wie in Polen oder der Türkei“,<br />

sagt Andreas Denso, Logistik-Verantwortlicher<br />

bei Kirchhoff Automotive.<br />

Möglich macht dies die lückenlose Identifizierung<br />

der Teile. „Eine schlechte Anlieferung,<br />

die irgendwann mal Probleme<br />

macht, können wir immer zurückverfolgen“,<br />

sagt Denso. Für die Identifizierung<br />

nutzen die Sauerländer Barcodes statt aufwendiger<br />

RFID-Chips.<br />

Bei Kirchhoff, Homag oder Müller &<br />

Guski ist die Zukunft der Fertigung in wichtigen<br />

Abteilungen schon Wirklichkeit. Bis<br />

Industrie 4.0 sich aber 100-prozentig<br />

durchgesetzt hat und alle Abteilungen und<br />

Arbeitsschritte komplett bestimmt, wird es<br />

noch dauern. Zwar gehen acht von zehn<br />

Hochschulen und Unternehmen einer<br />

Umfrage des Verbands der Elektrotechnik,<br />

Elektronik und Informationstechnik davon<br />

aus, dass Industrie 4.0 sich weitgehend<br />

durchsetzt – allerdings nicht vor 2025.<br />

Die Erfolge sind trotzdem schon heute<br />

weit verbreitet. Weidmüller, ein Hersteller<br />

von Verbindungstechnik im westfälischen<br />

Detmold, entwickelt Systeme für Stanzen<br />

und Walzen, die selbsttätig Abweichungen<br />

von Soll-Maßen durch Verschleiß korrigieren.<br />

Wittenstein, Antriebshersteller mit Sitz<br />

im fränkisch-hohenlohischen Igersheim,<br />

hat für zwölf Millionen Euro eine Laborfabrik<br />

in Stuttgart hochgezogen.<br />

Erster Schritt in Richtung Industrie 4.0<br />

war die Beseitigung des Daten-Grabens<br />

zwischen kaufmännischer Verwaltung und<br />

der Produktion. Dadurch konnte die Materialanlieferung<br />

an die Produktionslinie automatisiert<br />

und die Aufwendungen für die<br />

innerbetriebliche Logistik um mehr als ein<br />

Drittel gesenkt werden. Und beim Matratzenhersteller<br />

Eurofoam Sachsen kontrollieren<br />

RFID-bestückte Matratzen ihren<br />

Lauf durch die Produktion bis hin zur Stapelhöhe<br />

im Lastwagen inzwischen selbst.<br />

„Natürlich gibt es noch Mittelständler,<br />

die überwiegend mit Papierunterlagen arbeiten“,<br />

sagt Rainer Glatz, beim Maschinenbauverband<br />

VDMA Geschäftsführer<br />

Software und elektrische Automation,<br />

„aber es werden immer weniger, und das<br />

Internet der Dinge wird diese Entwicklung<br />

erheblich beschleunigen.“<br />

n<br />

lothar schnitzler | unternehmen@ wiwo.de<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 74 »<br />

72 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Spezial | Hannover Messe Industrie<br />

Industrie 4.0 – so funktioniert die Fabrik der Zukunft<br />

Hier steuertnicht mehr derMensch dieProduktion, sonderndie Produkte undMaschinen<br />

kommunizieren elektronischdirektmiteinander undsteuern denAblauf<br />

Im Shampoo-Werk laufen die Geschäfte gut. Das<br />

Unternehmen produziert große und kleine Mengen<br />

unterschiedlicher Shampoos, je nachdem, was die<br />

Kunden wollen.<br />

Von der Anlieferung der Shampoo-Zutaten bis zur<br />

Auslieferung der fertig abgefüllten Flaschen sind<br />

alle Arbeitsschritte über Datenleitung und Funk<br />

verbunden: Einkauf, Produktion, Lager, Versand.<br />

Damit die Kommunikation funktioniert, wird jedes Vorprodukt<br />

und jede Flasche mit einem Datenträger, einem Chip, versehen,<br />

auf dem alle Arbeitsschritte und Informationen für den Kunden<br />

gespeichert sind. So wird jede Flasche individuell produziert.<br />

Die einen Flaschen werden etwa mit Kindershampoo<br />

gefüllt und bekommen bunte Aufkleber. Die nächsten 50<br />

Flaschen enthalten Hundeshampoo. Die Flaschen sagen<br />

der Maschine, welchen Inhalt sie brauchen.<br />

Hundeglück<br />

Kinderland<br />

Die Maschinen melden direkt an das<br />

Flaschenwerk, wenn sie neue Flaschen<br />

brauchen. Auch die zuständige Mitarbeiterin<br />

im Einkauf der Shampoo-Firma<br />

bekommt die Nachricht. Sie muss sich<br />

nicht mehr selbst um eine neue<br />

Order kümmern.<br />

Die gefüllten und speziell etikettierten<br />

Flaschen melden noch in der Produktionsanlage,<br />

wer ihre Empfänger<br />

sind. Der eine Teil geht an das Unternehmen<br />

Kinderland, die andere<br />

Charge an den Tiermarkt<br />

Hundeglück.<br />

Der Chef der Firma Kinderland sieht<br />

an seinem Computer, dass seine Ware<br />

auf dem Weg zu ihm ist, und schickt<br />

gleich eine neue Bestellung. Dieses Mal<br />

sollen es 300 Flaschen Kindershampoo<br />

auf Eigelbbasis und mit Hasenstickern<br />

sein.<br />

74 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Technik&Wissen<br />

KREATIVITÄT | Von der<br />

genialen Idee zum<br />

erfolgreichen Produkt:<br />

Die Sieger und Nominierten<br />

des Deutschen<br />

Innovationspreises<br />

<strong>2014</strong> haben das geschafft.<br />

Vier Strategien<br />

helfen Ihnen, genauso<br />

erfolgreich zu werden.<br />

Schöpfung<br />

mit System<br />

trachten. Und der fränkische Mittelständler<br />

Actuator Solutions stellt mit Gedächtnismetall<br />

Objektive in Smartphones scharf.<br />

Die gute Nachricht für alle weniger innovativen<br />

Firmen: Es gibt mittlerweile eine<br />

Fülle von Techniken, die Kreativität der eigenen<br />

Mitarbeiter, der Kunden und des Internets<br />

gezielt zu aktivieren, um so systematisch<br />

neue attraktive Produkte zu entwickeln.<br />

Vier erfolgreiche Strategien:<br />

n Brainstorming hat den Ruf, vor allem<br />

Laut-Sprechern und Vielrednern eine Bühne<br />

zu bieten. Tatsächlich aber wird es –<br />

kombiniert mit Fragetechniken, die den<br />

Beteiligten Orientierung geben – richtig ef-<br />

AUSSCHREIBUNG<br />

Neue Runde<br />

Nach dem Wettbewerb ist vor dem<br />

Wettbewerb. Haben Sie als Konzern,<br />

Mittelständler oder Start-up eine tolle<br />

Idee, dann bewerben auch Sie sich<br />

für den Deutschen Innovationspreis.<br />

Verpassen Sie nicht den Start<br />

der nächsten Ausschreibung und<br />

registrieren Sie sich unter www.derdeutsche-innovationspreis.de<br />

Sie sind die wichtigsten<br />

Rohstoffe des 21. Jahrhunderts<br />

– Wissen, Kreativität,<br />

Innovation. Alle reden darüber,<br />

alle wollen sie haben.<br />

Und dann das: Nur<br />

vier Prozent der Manager<br />

halten ihr Unternehmen<br />

für „sehr innovativ“, wie eine Befragung<br />

von 250 deutschen Führungskräften ermittelt<br />

hat. Die große Mehrheit klagt, es hapere<br />

an der Innovationskultur in ihren Unternehmen.<br />

Das ist nicht das einzige Alarmsignal,<br />

wenn es um die Innovationsstärke der<br />

deutschen Wirtschaft geht. Erst jüngst<br />

hat die Europäische Union in ihrem Innovation<br />

Scoreboard Deutschland um einen<br />

auf den dritten Platz herabgestuft. Besonders<br />

beunruhigend: Der Anteil neu eingeführter,<br />

besonders innovativer Produkte an<br />

den Umsätzen geht zurück. Ein Indiz, dass<br />

sich die Unternehmen zu sehr auf die<br />

klugen Ideen der Vergangenheit verlassen.<br />

Wahr ist aber auch: Noch immer gibt es<br />

viele positive Gegenbeispiele. Das beweisen<br />

die Sieger und Nominierten des Deutschen<br />

Innovationspreises <strong>2014</strong>: Der Hamburger<br />

Handelskonzern Otto etwa überzeugt<br />

mit einer Software, die die Verkäufe<br />

kommender Monate beeindruckend präzise<br />

vorhersagt. Das Münchner Startup<br />

iThera Medical erzeugt mit Licht Töne und<br />

ermöglicht Ärzten so, Adern, Gewebe oder<br />

Zellen in nie gekannter Auflösung zu befektiv.<br />

Statt pauschal Geschäftsideen einzufordern,<br />

fragen Sie konkret. Etwa: Wie<br />

lässt sich das, was Kinder mögen, teuer an<br />

Erwachsene verkaufen? Eine mögliche,<br />

schnell zu findende Antwort:Inlineskates.<br />

n Open Innovation zapft das Wissen externer<br />

Experten an. Unternehmen schreiben<br />

etwa wissenschaftliche Probleme auf Online-Plattformen<br />

wie Innocentive aus. Erfinder<br />

bieten Lösungen an. Wessen Vorschlag<br />

siegt, der erhält ein Preisgeld. Die<br />

US-Weltraumbehörde Nasa kam so auf<br />

eine Testmethode für Kevlar-Bauteile.<br />

n Co-Creation bindet Kunden in die Entwicklung<br />

eines neuen Produkts ein. Auf<br />

Internet-Plattformen wie Affinnova und<br />

Hyve bewerten Testpersonen Tausende<br />

Versionen eines neuen Produkts – mit grünem<br />

oder gelbem Schriftzug, diesem oder<br />

jenem Namen. Der Kosmetikhersteller Beiersdorf<br />

hat so ein Deo entwickelt, dessen<br />

Produkteinführung zur erfolgreichsten in<br />

der Geschichte des Unternehmens wurde.<br />

n Design Thinking greift auf Methoden aus<br />

dem Produktdesign zurück: verstehen, beobachten,<br />

sehr früh Prototypen testen.<br />

Wichtigste Regel: Die Kundenwünsche stehen<br />

im Mittelpunkt. Die Fluggesellschaft<br />

Air New Zealand hat so einen Sitz für die<br />

Economy Class entworfen, in dem sich Reisende<br />

der Länge nach ausstrecken können.<br />

Wie unsere Preisträger und Nominierten<br />

auf ihre Ideen gekommen sind, erfahren<br />

Sie auf den folgenden Seiten.<br />

andreas.menn@wiwo.de, lothar kuhn<br />

FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

76 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Das Online-Orakel<br />

Der Versandhändler Otto weiß, was Kunden wollen –<br />

bevor die es selbst wissen. Dank der Atomphysik.<br />

SIEGER<br />

Kategorie Großunternehmen<br />

Otto, Hamburg<br />

Michael Sinn, Direktor Category Support<br />

(links), und Michael Heller, Bereichsvorstand<br />

Categories, ordern dank Big-Data-<br />

Analysen nun optimale Warenmengen.<br />

Jeder Kioskbesitzer kennt das Dilemma<br />

von Angebot und Nachfrage: Bestellt<br />

er am Anfang der Woche zu<br />

wenig Limo, Lakritz und Brötchen, dann<br />

stehen die Kunden schon nach ein paar<br />

Tagen vor leeren Regalen. Ordert er zu<br />

viel, werden die Brötchen alt und bleiben<br />

liegen. Je ungenauer seine Prognose,<br />

desto schlechter die Geschäfte.<br />

Was schon im Laden um die Ecke mit<br />

ein paar Hundert Produkten ein teures<br />

Problem sein kann, wird für die Branchengrößen<br />

im Online-Handel zur Herkulesaufgabe.<br />

Allein der Hamburger Ver-<br />

sandhändler Otto etwa hat mehr als zwei<br />

Millionen verschiedene Artikel im Sortiment:T-Shirts<br />

und Taschen, Handtücher<br />

und Gardinen, Fernseher und Waschmaschinen.<br />

Und oft müssen seine Einkäufer<br />

schon Monate im Voraus einschätzen,<br />

was die Kunden später kaufen.<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 77<br />

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Technik&Wissen<br />

Die Jury<br />

Aus den zahlreichen Bewerbungen<br />

wählt ein Kreis hochrangiger Experten<br />

die besten und kürt die Sieger.<br />

Peter Fritz, ehemaliger Vizepräsident<br />

des Karlsruher Instituts für Technologie,<br />

berät die Jury wissenschaftlich.<br />

Roland Tichy<br />

Vorsitzender der Jury<br />

und Chefredakteur der<br />

WirtschaftsWoche<br />

Gerd Binnig<br />

Nobelpreisträger für<br />

Physik<br />

Hubertus Christ<br />

ehemaliger Vorsitzender,<br />

Deutscher Verband<br />

Technisch-Wissenschaftlicher<br />

Vereine<br />

Klaus Engel<br />

Vorstandschef, Evonik<br />

in Essen<br />

Matthias Kleiner<br />

Designierter<br />

Präsident der Leibniz-<br />

Gemeinschaft<br />

Frank Mastiaux<br />

Vorsitzender des<br />

Vorstands, EnBW<br />

Frank Riemensperger<br />

Vorsitzender der<br />

Geschäftsführung,<br />

Accenture<br />

Cornelia Rudloff-<br />

Schäffer<br />

Präsidentin des<br />

Deutschen Patentund<br />

Markenamtes<br />

Andreas Schmitz<br />

Sprecher des Vorstands,<br />

HSBC Trinkaus<br />

& Burkhardt AG<br />

Günther Schuh<br />

Lehrstuhl für<br />

Produktionssystematik,<br />

RWTH Aachen<br />

Manfred Wittenstein<br />

Vorstandschef,<br />

Wittenstein AG<br />

»<br />

Wie viele T-Shirts der Marke X, in Rot,<br />

Größe M, werden die Kunden in Kalenderwoche<br />

23 bestellen? Wie hoch muss der<br />

Verkaufspreis liegen, um alle Artikel an den<br />

Mann zu bringen? Und wie viele Käufer<br />

werden das T-Shirt zurückschicken?<br />

Um Fragen wie diese treffsicher zu beantworten,<br />

hat Otto eine Prognose-Software<br />

entwickelt, die ihresgleichen sucht:<br />

Für jeden einzelnen Artikel im Sortiment<br />

des Versandhändlers berechnet sie tagesaktuell<br />

die Verkaufsprognosen der kommenden<br />

Wochen oder Monate. Und das<br />

deutlich genauer, als es früher möglich war.<br />

Das digitale Orakel hat die Jury des Deutschen<br />

Innovationspreises überzeugt. „Unternehmen,<br />

die die wachsende Datenflut<br />

von Computernetzwerken intelligent auswerten,<br />

schaffen sich einen strategischen<br />

Vorteil“, sagt Frank Riemensperger,<br />

Deutschland-Chef der Unternehmensberatung<br />

Accenture. „Die Prognose-Software<br />

der Otto<br />

Group zeigt vorbildlich, wie<br />

Big Data Geschäftsprozesse<br />

viel effizienter und produktiver<br />

macht.“ Otto belegt daher<br />

in der Kategorie Großunternehmen<br />

Platz eins.<br />

Rund 200 Variablen fließen<br />

in die Berechnung ein,<br />

etwa die Verkaufszahlen des Vorjahres, aktuelle<br />

Werbekampagnen für das Produkt<br />

oder gar die Wettervorhersage: Scheint in<br />

der nächsten Woche die Sonne, dann wird<br />

der Absatz von Sommerkleidern steigen.<br />

Regnet es, sinken die Absatzzahlen. Rund<br />

um die Uhr füttern die Mitarbeiter das System<br />

mit neuen Informationen.<br />

FÜNF MILLIARDEN PROGNOSEN<br />

„Die Software ist ein selbstlernendes System,<br />

das sich laufend aktualisiert“, sagt Michael<br />

Sinn, Direktor Category Support bei<br />

Otto. Server mit der Rechenkraft von 250<br />

Schreibtischcomputern erstellen auf diese<br />

Weise fünf Milliarden Prognosen im Jahr.<br />

„Unsere Disponenten bekommen jeden<br />

Morgen frische Prognosen auf den Bildschirm“,<br />

sagt Sinn. Das rote T-Shirt in Größe<br />

M, steht dann vielleicht auf dem Monitor,<br />

wird in den kommenden acht Wochen<br />

vermutlich 4567 Mal verkauft. Die Mitarbeiter<br />

können entsprechend viele Exemplare<br />

beim Hersteller bestellen.<br />

Das Ergebnis ist beeindruckend: Gegenüber<br />

früheren Prognose-Verfahren, die oft<br />

nicht viel mehr als die Verkaufszahlen des<br />

Vorjahres berücksichtigten, kann Otto heute<br />

die Verkäufe je nach Produktkategorie<br />

MEHR ZUM THEMA<br />

Eine ausführliche Bildergalerie<br />

von der Verleihung<br />

des Deutschen Innovationspreises<br />

in München finden<br />

Sie im Internet unter<br />

wiwo.de/innovationspreis<br />

um 20 bis 40 Prozent genauer vorhersagen.<br />

Die Folge: Die Produkte sind nicht mehr zu<br />

früh ausverkauft – und bleiben trotzdem<br />

auch seltener im Lager liegen. „Das ist gut<br />

für unsere Kunden“, sagt Michael Heller,<br />

Otto-Bereichsvorstand Categories und zuständig<br />

für Einkauf, Vertrieb und Angebotssteuerung,<br />

„es ist gut für uns, und nicht<br />

zuletzt auch gut für die Umwelt.“<br />

Hinter Ottos Orakel, das inzwischen<br />

beim Tochterunternehmen Blue Yonder<br />

seinen Dienst tut, steht ein Algorithmus<br />

namens Neurobayes, eine komplizierte Rechenfolge,<br />

die der Physiker Michael Feindt<br />

vor Jahren entwickelt hat. Es ging dem Forscher<br />

damals nicht um Artikel aus dem Online-Shop,<br />

sondern um Atome: Feindt, Leiter<br />

des Instituts für experimentelle Kernphysik<br />

an der Universität Karlsruhe, baute<br />

Neurobayes mit dem Ziel, Ereignisse zu<br />

prognostizieren, die bei der Kollision von<br />

Atomen im Teilchenbeschleuniger<br />

am CERN nahe<br />

Genf stattfinden, dem weltweit<br />

größten seiner Art.<br />

Im Jahr 2012 entdeckten<br />

die CERN-Forscher das langgesuchte<br />

Higgs-Teilchen,<br />

nicht zuletzt auch dank des<br />

Neurobayes-Algorithmus.<br />

Das alles war sechs Jahre<br />

zuvor noch nicht zu erahnen, als Otto-Mitarbeiter<br />

auf Feindts Entwicklung stießen.<br />

Der Konzern hatte gerade ein Team ausschwärmen<br />

lassen, um nach Software zu<br />

suchen, mit der sich das Sortiment des Versenders<br />

präziser steuern lassen würde. „Es<br />

war absehbar, dass herkömmliche Prognoseverfahren<br />

der zunehmenden Komplexität<br />

des Geschäftsmodells auf Dauer nicht<br />

mehr gerecht werden können“, sagt Vorstand<br />

Heller. „Daher war es uns wichtig,<br />

neue Wege zu gehen und zu schauen, welche<br />

Alternativen denkbar sind.“<br />

Drei verschiedene Programme traten im<br />

Wettbewerb gegeneinander an, gefüttert<br />

mit reichlich Daten von Otto. „Feindts Ergebnisse<br />

waren um Längen besser als die<br />

der anderen“, erinnert sich Otto-Datenexperte<br />

Sinn. Das Management entschied<br />

sich dazu, den Atom-Algorithmus für den<br />

Versandhandel umzuschreiben. Eine Entscheidung<br />

ohne Erfolgsgarantie.<br />

Doch sie sollte sich auszahlen. Die Restbestände<br />

zum Saisonende sanken um bis<br />

zu 20 Prozent. „Und unsere Mitarbeiter“,<br />

sagt Otto-Experte Sinn, „können sich jetzt<br />

ganz auf die Vermarktung unserer Waren<br />

konzentrieren.“<br />

andreas.menn@wiwo.de<br />

FOTOS: HEIKE ROST FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, DIETER MAYR FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE (2), DDP IMAGES, PICTURE-ALLIANCE/DPA, PR (7)<br />

78 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Muskeln aus Drahtseilen<br />

Der Mittelständler Actuator Solutions hat Metallfäden mit<br />

Gedächtnis entwickelt. Damit schießen Handys schärfere Fotos.<br />

SIEGER<br />

Kategorie Mittelständler<br />

Actuator Solutions Gunzenhausen<br />

Schnellerer Fokus, schärfere Bilder – mit intelligenten Mikro-Drähten wollen<br />

Markus Köpfer (rechts, CEO Actuator Solutions) und Markus Gebhardt (Vorstand<br />

Alfmeier Präzision) den Handymarkt aufmischen. In Kameras von Smartphones<br />

spart ihre Technik gegenüber herkömmlichen Lösungen zwei Drittel an Gewicht,<br />

außerdem benötigt sie weniger Strom und Platz.<br />

Es klingt wie Science-Fiction: Damit<br />

Urlaubsfotos oder Selfies scharf werden,<br />

genügt ein Draht. Aber ein besonderer,<br />

denn er kann sich wie ein Muskel<br />

zusammenziehen und ausdehnen. Etwa<br />

drei Mal dünner als ein menschliches Haar<br />

ist er, aber stark genug, um eine Tafel Schokolade<br />

mehr als eine Million Mal anzuheben.<br />

Das ist kein verspäteter April-Scherz,<br />

den Draht gibt es wirklich.<br />

Und Markus Köpfer will ihn millionenfach<br />

in Handys verbauen. Der 47-jährige<br />

Ingenieur ist Geschäftsführer bei Actuator<br />

Solutions im fränkischen Gunzenhausen.<br />

Der deutsche Autozulieferer Alfmeier Präzision<br />

und der italienische Metallspezialist<br />

SAES Getters haben das Joint Venture 2011<br />

gegründet. 2013 machte das Unternehmen<br />

mit 65 Mitarbeitern schon elf Millionen<br />

Euro Umsatz. „In einigen Jahren könnten<br />

es mehr als 100 Millionen sein“, hofft<br />

Köpfer.<br />

Ermöglichen soll das ein Draht<br />

aus einer Formgedächtnislegierung:<br />

Je nachdem, wie stark das<br />

Metall erhitzt wird, zieht es sich<br />

zusammen; kühlt es ab, nimmt es<br />

wieder die alte Form an. Der Metallfaden<br />

aus Nickel und Titan behält<br />

quasi im Gedächtnis, welche<br />

Videos<br />

In den App-<br />

<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />

Sie an dieser<br />

Stelle Video-<br />

Porträts der Sieger.<br />

Form er einmal hatte. Um ihn zu steuern,<br />

genügt es, Strom hindurchzuleiten. Dabei<br />

kann er um bis zu sieben Prozent seiner<br />

Länge schrumpfen.<br />

Für die teils mikroskopisch kleinen Bauteile<br />

in Handykameras will Köpfer den Effekt<br />

nutzen, um per Stromimpuls die Kameralinse<br />

zu bewegen – und so das Bild<br />

scharf zu stellen. Vorteil der Konstruktion:<br />

„Unsere Technik ist zwei Drittel leichter,<br />

stromsparender und kleiner als die bisher<br />

genutzten Elektromotoren“, verspricht<br />

Köpfer. Im Herbst will ein Hersteller aus<br />

China die ersten Handys mit Gedächtnis-<br />

Draht im Objektiv auf den Markt bringen.<br />

Die ausgefeilte Technik war nicht der<br />

einzige Grund für die Jury, Actuator Solutions<br />

mit dem Deutschen Innovationspreis<br />

zu prämieren. „Die Juroren hat auch begeistert,<br />

wie dem Unternehmen der Technologietransfer<br />

<strong>vom</strong> Autobau in den<br />

Smartphone-Markt gelungen ist“, sagt<br />

EnBW-Chef und Jurymitglied Frank Mastiaux.<br />

Denn unbekannt waren die Fähigkeiten<br />

der Gedächtnismetalle bisher nicht.<br />

Vor zwölf Jahren begann der Actuator-<br />

Mutterkonzern Alfmeier aus dem bayrischen<br />

Treuchtlingen mit dem Metall zu experimentieren,<br />

erzählt Markus Gebhardt,<br />

Vorstand und Gesellschafter bei Alfmeier.<br />

Die Idee: In Autos könnte der Draht die<br />

Ventile steuern, über die sich die in Komfortsitzen<br />

eingebauten Luftkissen regeln<br />

lassen. Sie geben den Passagieren Halt in<br />

Kurven und haben eine Massagefunktion.<br />

Erster Einsatzort war Daimlers S-Klasse<br />

2005. Dort arbeiteten zuvor elektromagnetisch<br />

gesteuerte Ventile. Die aber waren<br />

lauter und nicht so genau wie die Alfmeier-Entwicklung.<br />

Und so arbeiten inzwischen<br />

mehr als zehn Millionen Ventile mit<br />

dem Gedächtnismetall in Autositzen deutscher<br />

Premiumhersteller, sagt Alfmeier-<br />

Vorstand Gebhardt.<br />

Während Actuator Solutions zehn Millionen<br />

Euro in die Anpassung der Technik<br />

an die Handywelt steckte, gaben Wettbewerber<br />

die Arbeit mit Gedächtnismetallen<br />

auf: darunter Fiat, Continental und Bosch.<br />

Das habe ihnen einen Vorsprung von zehn<br />

Jahren beschert, glaubt Actuator-<br />

Chef Köpfer.<br />

Er hat auch schon die nächste<br />

Idee, wie er sein Produkt einsetzen<br />

will: Bald schon soll der Draht nicht<br />

mehr nur Bilder in Handykameras<br />

scharf stellen, sondern sie auch<br />

stabilisieren, um verwackelte Aufnahmen<br />

zu vermeiden.<br />

»<br />

benjamin.reuter@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 79<br />

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Technik&Wissen<br />

Der Klang der Krankheit<br />

Das Start-up iThera Medical erzeugt mit Lichtblitzen Töne.<br />

Der verblüffende Effekt hilft Ärzten, Krebszellen aufzuspüren.<br />

SIEGER<br />

Kategorie Start-ups<br />

iThera München<br />

Eine völlig neues medizinisches Bildgebungsverfahren<br />

haben iThera-Geschäftsführer<br />

Christian Wiest (von links), Finanzchef Philipp<br />

Bell und die Professoren Daniel Razansky und<br />

Vasilis Ntziachristos auf den Markt gebracht.<br />

Mit Laserimpulsen Druckwellen<br />

auszulösen, das ist der neuste<br />

Trick, mit dem Forscher Adern,<br />

Gewebe oder Zellen sichtbar machen. Bei<br />

dieser völlig neuen Darstellungsmethode,<br />

der Opto-Akustik, jagen sie kurze Lichtblitze<br />

in den Körper. Dort wird das Licht absorbiert,<br />

von Haut, Fett oder Blut – je dunkler<br />

die Strukturen sind, desto stärker.<br />

Der Effekt: Bei jedem auftreffenden<br />

Lichtblitz erwärmt sich das Gewebe und<br />

dehnt sich dabei für einen kurzen Moment<br />

ein ganz klein wenig aus. Diese Minibewegungen<br />

erzeugen wiederum Druckwellen,<br />

die wie beim Ultraschall aus dem Körper<br />

zurückstrahlen. Diese akustischen Signale<br />

registrieren Detektoren, ein Rechner setzt<br />

daraus ein Bild zusammen.<br />

Entwickelt haben das Verfahren mit dem<br />

Respekt einflößenden Namen multispektrale<br />

optoakustische Tomografie (MSOT)<br />

zwei Professoren für biologische Bildgebung<br />

des Helmholtz-Zentrums und der<br />

Technischen Universität München: Vasilis<br />

Ntziachristos und Daniel Razansky. Gemeinsam<br />

mit Christian Wiest, der zuvor im<br />

Vertrieb für General Electric Healthcare arbeitete,<br />

gründeten sie 2010 iThera Medical,<br />

um die Idee aus der Grundlagenforschung<br />

für die Anwendung fit zu machen. Extrem<br />

hilfreich war dabei die drei Millionen Euro<br />

starke Förderung aus dem GO-Bio-Programm<br />

des Bundesforschungsministeriums,<br />

sagt iThera-Geschäftsführer Wiest:<br />

„Privaten Investoren war diese frühe Phase<br />

der Technikentwicklung zu riskant.“<br />

Der Vorstandschef des Technologiekonzerns<br />

Evonik und Juror des Innovationspreises<br />

Klaus Engel ist beeindruckt <strong>vom</strong> Erfindergeist<br />

der iThera-Gründer: „Mit Lichtpulsen<br />

Töne zu erzeugen und diese wieder<br />

in Bilder zu verwandeln – auf die Idee muss<br />

man erst einmal kommen.“ Und weil diese<br />

schonende Diagnosetechnik bisher unsichtbare<br />

Dinge wie einzelne Zellen, etwa<br />

rote Blutkörperchen, sichtbar macht, haben<br />

Engel und seine Mit-Juroren den<br />

Münchnern in der Kategorie Start-up den<br />

ersten Preis verliehen.<br />

Engel ist überzeugt: „Wenn sich diese<br />

Technik durchsetzt und bewährt, können<br />

Ärzte in Zukunft viele Krankheiten früher<br />

erkennen und besser behandeln.“<br />

Tatsächlich erlaubt es MSOT, selbst einzelne<br />

Krebszellen zu orten – am klarsten<br />

die dunklen Zellen des sehr aggressiven<br />

schwarzen Hautkrebses. Aber auch andere<br />

Tumorzellen lassen sich an ihrem Klangmuster<br />

gut von gesunden Zellen unterscheiden.<br />

So können Chirurgen bald während<br />

einer Tumoroperation kontrollieren,<br />

ob sie alle Krebszellen entfernt haben.<br />

Aber auch einzelne Zellen, die aus einem<br />

Tumor bis in die Lymphknoten gewandert<br />

sind, können die MSOT-Geräte finden.<br />

Auch rote, mit sauerstoffreichem Hämoglobin<br />

gesättigte Blutkörperchen erkennen<br />

Ärzte in ersten Tests glasklar. Kleinste Gefäße<br />

werden so sichtbar. Und es lässt sich mit<br />

der Methode sogar feststellen, ob ein Organ<br />

wie etwa die Leber auch gut mit Sauerstoff<br />

versorgt wird, also gesund ist.<br />

Erste Geräte hat iThera Medical bereits<br />

gebaut und weltweit inzwischen 16 Mal<br />

verkauft, derzeit vor allem für die Forschung.<br />

Medizinische Analysegeräte für<br />

Kliniken sollen folgen.<br />

»<br />

susanne.kutter@wiwo.de<br />

FOTO: ROBERT BREMBECK FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

80 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Technik&Wissen<br />

Mobiler Retter<br />

Der Medizintechnikspezialist Karl Storz macht einst klobige<br />

Untersuchungs- und Operationsgeräte extrem handlich.<br />

NOMINIERTER<br />

Kategorie Großunternehmen<br />

Karl Storz Tuttlingen<br />

Ihr etwa 10 000 Euro teures, tragbares<br />

Endoskop haben Karl-Storz-Projektleiter<br />

Fritz Hensler (von links), Peter Schwarz,<br />

der Abteilungsleiter Forschung Bildgebung,<br />

und Forschungschef Klaus Irion<br />

schon mehrere Tausend Mal verkauft.<br />

Dem Amoklauf auf der Spur<br />

Autoimmunerkrankungen zu erkennen war aufwendige,<br />

manuelle Arbeit. Nun erledigt sie ein Roboter von Aesku Systems.<br />

Es ist ein tragischer Irrtum: Nicht immer<br />

funktioniert das Abwehrsystem<br />

des Menschen so, wie es sollte. Statt<br />

Krankheitserreger zu bekämpfen, greift es<br />

zuweilen den eigenen Körper an – und<br />

schädigt ihn dabei schwer. Rheuma und<br />

Diabetes sind bekannte Beispiele für solche<br />

Autoimmunerkrankungen, von denen<br />

es Hunderte gibt. Was sie eint: Sie sind oft<br />

nur schwer zu diagnostizieren.<br />

Durch dünne Schläuche, die Endoskope,<br />

spähen Ärzte schon seit Jahren<br />

sehr erfolgreich den Körper<br />

aus: Sie schieben Kameras, Leuchten und<br />

bei Bedarf sogar winzige Werkzeuge wie<br />

Pinzetten oder Scheren durch diese Rohre<br />

in Magen, Darm, Lunge oder Stirnhöhlen.<br />

Sogar Operationen sind ohne Schnitte<br />

möglich, wenn Chirurgen die fingerdicken<br />

Endoskope durch Körperöffnungen wie<br />

Speise- oder Luftröhre ins Innere der Patienten<br />

lenken.<br />

Bisher waren dabei aber mehrere große<br />

Apparaturen notwendig, die neben dem<br />

Personal auf mannshohen Wägelchen im<br />

Operationssaal standen. Nun aber hat der<br />

Endoskop-Spezialist Karl Storz aus dem<br />

schwäbischen Tuttlingen die Technik drastisch<br />

geschrumpft.<br />

Genau das findet Frank Riemensperger,<br />

Juror des Innovationspreises und Deutschland-Chef<br />

der Beratung Accenture, so<br />

spannend: „Die Ingenieure von Karl Storz<br />

haben es geschafft, die vormals sperrigen<br />

Einzelgeräte wie Lichtquellen, Pumpen,<br />

Monitore und Rechner platzsparend in einem<br />

einzigen, nur sieben Kilogramm<br />

schweren Gerät zusammenzufassen.“ Der<br />

Effekt laut Riemensperger: „Als preiswerteres<br />

Mobil-Endoskop im Aktenkoffer-Format<br />

wird diese innovative Technik die Praxen<br />

von niedergelassenen Ärzte und Kliniken<br />

in entwicklungsschwachen Gebieten<br />

dieser Welt erobern“ (siehe auch Seite 44).<br />

Daneben eignet sich das Gerät namens<br />

Tele Pack X gut für den Einsatz in Rettungswagen,<br />

so Klaus Irion, Forschungschef von<br />

Karl Storz – oder für Materialprüfer, die<br />

Turbinen kontrollieren. Was ihn besonders<br />

freut: „Es lässt sich ganz einfach wie ein<br />

iPhone über den Bildschirm steuern.“<br />

susanne.kutter@wiwo.de<br />

Die Folge: „Viele Menschen mit Autoimmunerkrankungen<br />

wie Lupus, Morbus<br />

Crohn oder Zöliakie leiden nicht nur<br />

erheblich – Ihre Krankheiten werden oft<br />

jahrelang nicht richtig erkannt“, sagt Jurymitglied<br />

Frank Mastiaux. Der Vorstandsvorsitzende<br />

des Energieversorgers EnBW<br />

setzt daher große Hoffnungen auf den<br />

Mittelständler Aesku Systems aus<br />

Wendelsheim in Rheinland-Pfalz: „Die<br />

schnelle und kostensparende Analysetechnik<br />

des Helios-Systems kann hier<br />

Abhilfe schaffen.“<br />

Denn Torsten Matthias, der Chef von<br />

Aesku Systems, hat mit seinem Team den<br />

weltweit ersten Diagnoseroboter ent-<br />

FOTOS: DENIZ SAYLAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE (2)<br />

82 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Das Meer ist <strong>vom</strong> Stadtteil Fürstenhausen<br />

der saarländischen Kleinstadt<br />

Völklingen weit entfernt. Mindestens<br />

400 Kilometer sind es bis zur Nordsee.<br />

Trotzdem gedeihen im deutschen<br />

Südwesten seit gut einem Jahr Meeresfische<br />

wie Wolfsbarsche, Doraden und sogar<br />

Störe für die Kaviargewinnung.<br />

Ein Aquarium im XXL-Format des Anlagenbauers<br />

Neomar aus der Nähe von Hannover<br />

macht das möglich. Dank eines geschlossenen<br />

Wasserkreislaufs und aufwendiger<br />

Filtertechnik gedeihen die Salzwasserbewohner<br />

auch fernab der Küsten; 650<br />

Tonnen sollen es in der neuen Anlage pro<br />

Jahr sein. Damit ist sie eine der ersten dieser<br />

Art im Binnenland. „Von Ostern <strong>2014</strong><br />

an startet der Verkauf durch einen großen<br />

Lebensmittelhändler“, sagt Neomar-Geschäftsführer<br />

Bert Wecker.<br />

Die Nachfrage nach der innovativen<br />

Technik wird in den nächsten Jahren deutlich<br />

wachsen. Denn der Bedarf an Meerestieren<br />

steigt ständig, auch weil sie als gesund<br />

gelten: Jeder Deutsche aß 2012 rund<br />

15,2 Kilogramm Fisch und Meeresfrüchte.<br />

20<strong>04</strong> waren es 13,8 Kilogramm. Weltweit<br />

liegt der Fischkonsum sogar bei 17 Kilogramm<br />

pro Kopf – das ist fast doppelt so<br />

viel wie in den Sechzigerjahren.<br />

Die Meere allein können diesen Bedarf<br />

längst nicht mehr decken. Weltweit gelten<br />

über 75 Prozent der kommerziell gewickelt,<br />

der den Amoklauf des Immunsystems<br />

vollautomatisch aufspüren kann.<br />

Die Helios genannte Maschine – das Kürzel<br />

steht für Helmed Integrated Optical System<br />

– sieht aus wie ein Helm mit verdunkeltem<br />

Visier. Es bereitet Blut- oder Serumproben<br />

von Patienten nicht nur für die bisher sehr<br />

zeitaufwendige Immunfluoreszenzanalyse<br />

auf, sondern wertet sie auch gleich aus.<br />

Das Verfahren erzeugt typische Leuchtmuster,<br />

die ihrerseits die Autoimmunerkrankungen<br />

verraten. „Die Probenröhrchen<br />

bekommen einen Barcode und werden<br />

in den Automaten gestellt, alles andere<br />

macht der Helios ganz alleine“, sagt Wissenschaftler<br />

Torsten Matthias, der vor zehn<br />

Jahren das auf Labordiagnostik spezialisierte<br />

Unternehmen gründete.<br />

Zuvor forschte er selbst gut 20 Jahre lang<br />

an Autoimmunerkrankungen. Deshalb<br />

weiß Matthias genau, wie mühsam es ist,<br />

diese Leiden zu analysieren. Bisher nämlich<br />

müssen Labormitarbeiter die Proben<br />

auf beschichteten Objektträgern ausstreichen,<br />

sie dann – nach unterschiedlich lan-<br />

NOMINIERTER<br />

Kategorie Mittelständler<br />

Aesku Systems Wendelsheim<br />

Der Diagnoseautomat von Bioverfahrenstechnikerin<br />

Miriam Strauß<br />

(von rechts), Elektroniker Matthias<br />

Wende, Aesku-Chef Torsten<br />

Matthias und Assistent Alexander<br />

Frey erkennt Leiden wie Rheuma<br />

oder Schuppenflechte.<br />

gen Wartezeiten – mit anderen Flüssigkeiten<br />

beträufeln und schließlich mit einem<br />

Deckgläschen verschließen. Erst dann<br />

können sie die Proben mit einem Mikroskop<br />

untersuchen.<br />

Dabei müssen die Laboranten die Muster<br />

jeder Probe genau betrachten, bewerten<br />

und fotografieren – und zwar bei völliger<br />

Dunkelheit. „In großen Labors, die Tausende<br />

solcher Tests täglich durchführen,<br />

stehen die Mitarbeiter oft bis zu fünf Stunden<br />

am Stück in der Dunkelkammer“, erzählt<br />

Matthias.<br />

Der Helios-Roboter, den er nach dem<br />

griechischen Sonnengott benannte, macht<br />

damit Schluss. Das Gerät fasst bis zu 190<br />

Proben und übernimmt alle Arbeitsschritte<br />

zeit- und kostensparend vollautomatisch<br />

– <strong>vom</strong> Aufbereiten der Proben bis zu<br />

den fertigen Digitalfotos der Muster. Die<br />

können die Mitarbeiter dann im Hellen auf<br />

dem Rechnerbildschirm begutachten.<br />

Mehr als 60 Mal hat Aesku Systems den<br />

Roboter bereits weltweit verkauft.<br />

susanne.kutter@wiwo.de<br />

Doraden aus Völklingen<br />

Die Gründer von Neomar züchten erstmals Salzwasserfisch<br />

an Land und entlasten damit die Küstengewässer.<br />

NOMINIERTER<br />

Kategorie Start-ups<br />

Neomar Uelze-Eltze<br />

Die Macher von Neomar,<br />

Jochen Dahm, Bert Wecker,<br />

Uwe Waller (von links), verkaufen<br />

bald tonnenweise Meeresfische<br />

aus Binnengewässern.<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 83<br />

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Technik&Wissen<br />

»<br />

nutzten Fischbestände als überfischt.<br />

Das bedeutet: Der Mensch holt mehr Tiere<br />

aus dem Meer, als neue nachwachsen.<br />

Deshalb hat die Idee der Aufzucht mit<br />

geschlossenem Wasserkreislauf die Jury<br />

des Innovationspreises überzeugt: „Anlagen,<br />

wie Neomar sie anbietet, entlasten die<br />

küstennahen Gewässer, die sonst oft durch<br />

Ausscheidungen der Fische von Zuchtanlagen<br />

verunreinigt werden“ sagt Klaus Engel,<br />

Vorstandschef des Spezialchemie-<br />

Konzerns Evonik und Co-Juror des Deutschen<br />

Innovationspreises. Das Salzwasser<br />

in dem 30 auf 30 Meter großen und etwa<br />

zwei Meter tiefen Betonbecken in Völklingen<br />

zirkuliert immer wieder durch verschiedene<br />

Filter. Das klappt bei Neomar so<br />

gut, dass „wir pro Tag nicht einmal ein Prozent<br />

des Salzwassers auswechseln müssen“,<br />

so Wecker.<br />

Und das ist nicht der einzige Vorteil: So<br />

entweichen aus den Zuchtanlagen in den<br />

Küstengewässern immer wieder Fische. Da<br />

sie häufig nicht aus der betreffenden Meeresregion<br />

stammen, verändert dies das<br />

Ökosystem. Empfindlichere Arten werden<br />

verdrängt – mit unabsehbaren Folgen für<br />

die Umwelt. Und: „Die Anlagen machen<br />

den Betreiber unabhängig von Schwankungen<br />

der Fangmenge“, lobt Juror Engel.<br />

Schließlich sind die Wege des Fisches<br />

<strong>vom</strong> Fang bis zum Verbraucher deutlich<br />

kürzer als bisher. Kommt beispielsweise<br />

der Lachs aus Norwegen oder die Dorade<br />

aus dem Mittelmeer, kann es bis zu sechs<br />

Tage dauern, bis der Fisch in Deutschland<br />

in der Theke landet. Bei Neomar sollen die<br />

Tiere schon nach zwei Tagen im Handel<br />

sein. Damit bekäme der Kunde den Meeresfisch<br />

in Zukunft auch deutlich frischer<br />

als bisher auf den Tisch.<br />

juergen.rees@wiwo.de<br />

Eintracht im Technikzoo<br />

Die Qivicon-Plattform der Deutschen Telekom beendet die<br />

babylonische Sprachverwirrung im Smart Home.<br />

NOMINIERTER<br />

Kategorie Großunternehmen<br />

Deutsche Telekom Bonn<br />

Zukunftsideen à la Star Trek<br />

begeisterten Holger Knöpke<br />

schon als Jugendlichen. Heute<br />

arbeitet er als Leiter Connected<br />

Home der Telekom daran, sie<br />

wenigstens zum Teil Wirklichkeit<br />

werden zu lassen.<br />

Der Kühlschrank offen; die Dusche<br />

kalt, weil die Heizung stillsteht; das<br />

ungute Gefühl, wenn beim Heimkommen<br />

das Küchenfenster gekippt ist:<br />

Holger Knöpke kennt sie alle, die kleinen<br />

und größeren Schrecken der Hausbesitzer.<br />

Weil er selbst eines hat, vor allem aber,<br />

weil der Innovationsmanager bei der Deutschen<br />

Telekom es nicht beim Klagen über<br />

Technik oder Vergesslichkeit belassen<br />

wollte. Das Haus gehört vernetzt, beschloss<br />

der 47-Jährige vor drei Jahren beim Einzug<br />

in sein neues Haus. „Immerhin gibt es die<br />

nötige Technik fürs vernetzte Heim längst;<br />

Sensoren, Schalter, Stellmotoren, die bei<br />

Bedarf Türen oder Fenster schließen.“<br />

Doch was er fand, war entweder Technik<br />

für Gewerbebauten und zu teuer. „Oder die<br />

Komponenten funktionierten, weil über<br />

verschiedene Funktechniken verbunden,<br />

nicht zusammen“, beschreibt Knöpke seine<br />

Erkenntnis: „Was nützt es, wenn die Heizungssteuerung<br />

nicht mitbekommt, dass<br />

das Fenster offen steht?“<br />

Andere hätten entnervt aufgegeben. Der<br />

Technikfan, der sich seit seiner Jugend für<br />

Roboter und Star Trek begeistert, dagegen<br />

wurde erst recht aktiv. Gemeinsam mit Kollegen<br />

aus der Innovationsabteilung der Telekom<br />

beschloss Knöpke 2011, der babylonischen<br />

Sprachverwirrung in der Hausvernetzung<br />

ein Ende zu bereiten.<br />

Statt aber selbst ein Portfolio aus vernetzbarer<br />

Technik zu entwickeln, wollte<br />

die Smart-Home-Truppe der Telekom die<br />

technischen Hürden zwischen vorhandenen<br />

Systemen überwinden. Das Ergebnis:<br />

die Qivicon genannte Plattform zur Heimvernetzung.<br />

Sie präsentierte Knöpke, heute<br />

Leiter der Connected-Home-Sparte, im<br />

vergangenen Jahr auf der Elektronikmesse<br />

IFA in Berlin einem Millionenpublikum.<br />

Herzstück ihrer Lösung ist eine zentrale<br />

Schaltbox, die mehrere Funktechniken<br />

»<br />

FOTO: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

84 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Technik&Wissen<br />

»<br />

len bereitstehen oder erkennt, ob ein Lkw<br />

richtig zum Beladen an der Rampe steht.<br />

Das vielseitige Ding mit so überragenden<br />

Eigenschaften ist ein optischer Sensor<br />

mit einer neuartigen Technik, Photomischdetektor<br />

(PMD) genannt. Er misst über einen<br />

integrierten Chip die Zeit, die ein Laserstrahl<br />

<strong>vom</strong> Sensor zum Objekt und zurück<br />

braucht. Viel genauer und störungsbeherrscht<br />

und sich für weitere nachrüsten<br />

lässt. Damit fungiert dieses Home<br />

Gateway als Übersetzer und ermöglicht es<br />

zudem, ganze Schaltfolgen zu definieren;<br />

es kann also etwa den Küchenherd ausstellen,<br />

wenn ein Bewohner die Haustür abschließt.<br />

Dank integriertem Web-Zugang<br />

lässt sich der Technikzoo zudem von außen<br />

über eine Smartphone-App bändigen.<br />

„Die Vielzahl inkompatibler Technologien<br />

war eines der größten Hemmnisse<br />

für den Markterfolg des Smart Home“,<br />

analysiert Frank Riemensperger, Deutschland-Chef<br />

der Unternehmensberatung<br />

Accenture und Juror beim Deutschen<br />

Innovationspreis. Die Qivicon-Entwickler<br />

hätten das Problem besonders geschickt<br />

gelöst. Weil die Intelligenz der Plattform<br />

nicht in der Schaltbox steckt, sondern als<br />

Software in den Rechenzentren der Telekom<br />

läuft – als passwortgeschützter Cloud-<br />

Service –, ist die Qivicon-Plattform für<br />

Erweiterungen offen. „So bietet das Angebot<br />

die Chance, dem Markt als Ganzes<br />

durch Netzwerkeffekte Wachstumsimpulse<br />

zu geben, die weit über das Geschäftspotenzial<br />

von Qivicon selbst hinausgehen“,<br />

lobt Accenture-Mann Riemensperger.<br />

Inzwischen ist der Start geglückt, hat<br />

Knöpke – <strong>vom</strong> Steuertechnikproduzenten<br />

Bitron über den Hausgerätehersteller<br />

Miele bis zum Energiekonzern EnBW – die<br />

ersten Systempartner gewonnen. Und ab<br />

Herbst will die Qivicon-Truppe die Plattform<br />

auch für externe Entwickler öffnen.<br />

Das soll es ermöglichen, ganz neue Funktionen<br />

zu programmieren.<br />

Wie das aussehen kann, da hat Roboter-<br />

Fan Knöpke schon ganz konkrete Vorstellungen:<br />

„Wenn etwa der Wetterdienst im<br />

Internet für meinen Wohnort eine Sturmwarnung<br />

herausgibt, dann fahren ohne<br />

mein Zutun, die Jalousien rein und die<br />

Stellmotoren schließen die Dachfenster.“<br />

thomas.kuhn@wiwo.de<br />

Klein, klug, billig<br />

Ein neuer optischer Sensor macht Roboter und Werkzeugmaschinen<br />

produktiver – und lässt sich nicht mehr täuschen.<br />

NOMINIERTER<br />

Kategorie Mittelständler<br />

ifm electronic Essen<br />

Technikchef Rolf Fensterle, Geschäftsführer<br />

Michael Paintner und Entwickler Eduard<br />

Gjabri (von links nach rechts) wollen schon<br />

Ende nächsten Jahres gut eine Million ihrer<br />

intelligenten Detektoren verkauft haben.<br />

Das Gerät, kleiner als eine Zigarettenschachtel,<br />

wirkt völlig unscheinbar.<br />

Und dennoch bewirkt es Großes: Es<br />

erhöht die Zuverlässigkeit und Produktivität<br />

von Fertigungsanlagen auf drastische<br />

Weise – und das äußerst preiswert. Befestigt<br />

an Förderbändern, Maschinen und Decken,<br />

hilft es Robotern beim Greifen, signalisiert<br />

Düsen, wann Flaschen zum Einfül-<br />

freier, als herkömmliche Lichtschranken<br />

das tun, die der PMD nach Überzeugung<br />

von Experten ablösen wird.<br />

Entwickelt hat die smarte Technik die<br />

ifm electronic. Sie ist nur eine unter vielen<br />

Erfindungen des Essener Mittelständlers,<br />

der in manchen Jahren bis zu 14 Prozent<br />

seines Umsatzes in Forschung und Entwicklung<br />

investiert. Der PMD ist aber nach<br />

Ansicht der Juroren des Deutschen Innovationspreises<br />

besonders herausragend.<br />

„Die Photomischdetektoren bringen ein<br />

neues Maß an Präzision, Zuverlässigkeit<br />

und Tempo“, lobt Jury-Mitglied Frank Mastiaux,<br />

Vorstandschef der EnBW Energie Baden-Württemberg.<br />

„Und dies zum Preis<br />

der alten Technik.“ Tatsächlich kosten die<br />

PMD mit knapp 140 Euro etwa gleich viel<br />

wie eine übliche Lichtschranke – sind jedoch<br />

ungleich leistungsfähiger:<br />

n Sie lassen sich beim Berechnen des Abstands<br />

weder von glänzenden Oberflächen<br />

irritieren noch von verschiedenen Farben.<br />

n Sie erfassen Kisten und Bauteile noch auf<br />

zwei Meter Entfernung. Lichtschranken<br />

schaffen einen halben Meter – bestenfalls.<br />

n Und die Anwender können die PMD in<br />

fast jeder beliebigen Ausrichtung zum Objekt<br />

montieren.<br />

Ebenso wie die Technik schätzen die<br />

Kunden aber laut Michael Paintner, Mitglied<br />

der ifm-Konzern-Geschäftsführung,<br />

die einfache Bedienbarkeit des Sensors: Er<br />

wird über zwei simple Tasten oder einen<br />

Drehring auf den Gegenstand eingestellt.<br />

„Das kann jeder Laie, ohne ein Handbuch<br />

aufschlagen zu müssen“, sagt er.<br />

So viele Vorteile überzeugen. Seit der<br />

Markteinführung im vergangenen Jahr verkauften<br />

die Essener mehr als 10 000 Exemplare.<br />

Bis Ende nächsten Jahres sollen es<br />

schon mehr als eine Million sein.<br />

dieter.duerand@wiwo.de<br />

FOTOS: DENIZ SAYLAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, MARTIN HANGEN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

86 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Unknackbar gut<br />

Die Gründer von Secomba sorgen mit ihrer Verschlüsselungssoftware<br />

Boxcryptor für mehr Sicherheit in der Cloud.<br />

NOMINIERTER<br />

Kategorie Start-ups<br />

Secomba Augsburg<br />

Anfangs wollten Andrea Pfundmeier<br />

und Robert Freudenreich<br />

nur eigene Daten sicher im Netz<br />

speichern. Jetzt nutzen weltweit<br />

mehr als eine Million Menschen<br />

ihre Software Boxcryptor<br />

Fast wirkt es so, als hätten sich Robert<br />

Freudenreich und Andrea Pfundmeier<br />

mit Edward Snowden abgesprochen.<br />

Just als der ehemalige US-Geheimdienstler<br />

im Juni 2013 die Späh-Aktivitäten<br />

der National Security Agency (NSA)<br />

öffentlich machte, brachten die beiden<br />

Gründer mit ihrem Start-up Secomba die<br />

neue Verschlüsselungssoftware Boxcryptor<br />

auf den Markt.<br />

Sie trafen einen Nerv: Tausende Onliner<br />

weltweit luden das Programm auf<br />

Smartphones, Tablets und PCs. Heute nutzen<br />

es mehr als eine Million Menschen.<br />

Mit der Software lassen sich Dateien einfach<br />

verschlüsseln, bevor sie übers Netz<br />

auf Speicherdienste wie Dropbox oder<br />

Google Drive in die Cloud übertragen werden<br />

– die Datenwolke im Internet. Beim<br />

Abruf der Daten über den PC oder das<br />

Smartphone entschlüsselt die Software sie<br />

wieder. Hacker und Geheimdienste ohne<br />

Passwort sehen nur Zeichenmüll.<br />

Wie wichtig das einmal sein würde, war<br />

Freudenreich und Pfundmeier noch nicht<br />

klar, als Secomba 2011 startete. Damals arbeiteten<br />

der Informatiker und die Wirtschaftswissenschaftlerin<br />

an einem Service,<br />

mit dem sich Studentenausweise digitalisieren<br />

und überprüfen lassen. Sie wollten<br />

die Daten nicht unverschlüsselt im Netz<br />

speichern, fanden aber keine passende<br />

Software.<br />

„Alle Programme stammten aus einer<br />

Zeit, in der es die Cloud noch nicht gab“,<br />

sagt Freudenreich. Kurzerhand schrieb er<br />

die Software selbst. Als er sie in einem Online-Forum<br />

veröffentlichte, war die Resonanz<br />

riesig: In nur einer Woche installierten<br />

mehr als 1000 Nutzer das Programm.<br />

„Da haben wir uns von der Ausweis-Idee<br />

verabschiedet.“<br />

Heute lässt sich Boxcryptor mit 22<br />

Cloud-Speicherdiensten und auf acht Betriebssystemen<br />

nutzen – von Apples iOS<br />

bis Microsofts Windows. Damit ist das Unternehmen<br />

aus Augsburg der Konkurrenz<br />

weit voraus.<br />

„Secomba hat eine innovative Verschlüsselungstechnologie<br />

entwickelt, die das<br />

wachsende Bedürfnis nach Datensicherheit<br />

im Cloud-Zeitalter stillt“, sagt Klaus<br />

Engel, Chef des Spezialchemie-Konzerns<br />

Evonik und Juror des Innovationspreises.<br />

„Die Gründer bewiesen nicht nur erstklassiges<br />

Gespür, sondern auch Leidenschaft<br />

und digitale Expertise.“<br />

Die Augsburger vermarkten ihre Software<br />

als Freemium-Produkt:In der Grundversion<br />

ist Boxcryptor gratis. Wer es als Einzelnutzer<br />

auf mehr als zwei Geräten einsetzen<br />

möchte, bekommt das Jahres-Abo für<br />

36 Euro, als Unternehmenskunde für 72<br />

Euro. Aktuell zahlt jeder Zehnte. Genug für<br />

Secomba, um Profit zu machen. Tendenz<br />

steigend: Nutzerzahl und Umsatz wachsen<br />

derzeit um zehn Prozent – im Monat. n<br />

jens.toennesmann@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 87<br />

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Management&Erfolg<br />

ERFINDERGEIST | Ob<br />

Kaffeekapseln, Textmarker<br />

oder ein Regal<br />

namens Billy: Fast<br />

jeder kennt diese innovativen<br />

Produkte.<br />

Doch wer sind die<br />

kreativen Köpfe dahinter?<br />

Und wie kamen sie<br />

zu ihren Einfällen?<br />

Die WirtschaftsWoche<br />

stellt acht Erfinder und<br />

ihre besten Ideen vor.<br />

Die Idee<br />

meines Lebens<br />

NESPRESSO<br />

Die Idee den besten<br />

Kaffee für jedermann<br />

Der Erfinder Eric Favre<br />

Der Kapselkönig Eric Favre presste<br />

für Nestlé erst Kaffee in Nespresso-Kapseln.<br />

Und später auf eigene<br />

Rechnung auch Tee.<br />

Die Idee seines Lebens verdankt Eric<br />

Favre seiner Frau: Auf einer Reise<br />

nach Rom 1976 probierten sich der<br />

junge Nestlé-Ingenieur und seine frisch Angetraute<br />

durch unzählige Espressi-Bars. Die<br />

gebürtige Italienerin führte ihren Mann auch<br />

in die unter Kaffeeliebhabern berühmte Bar<br />

Sant Eustachio. Der Kaffee schmeckte<br />

köstlich. Favres Idee, geboren mit der Espresso-Tasse<br />

in der Hand: „Ich wollte die<br />

Technologie der italienischen Bar auf eine<br />

kleine Kapsel und eine handliche Maschine<br />

übertragen“, sagt er, „damit jeder den besten<br />

Kaffee genießen kann.“<br />

Um alles über die perfekte Bohne und den<br />

besten Mahlgrad, die richtige Temperatur<br />

und den idealen Wasserdruck zu lernen,<br />

kehrte Favre in seiner Freizeit immer wieder<br />

in die Bar zurück. Schließlich erzählte Favre<br />

seinem Chef von seiner Idee. Die Antwort:<br />

„Keine Chance“.<br />

Favre aber ließ sich nicht entmutigen. Anfang<br />

1977 stellte er die ersten Prototypen von<br />

Maschine und Kapsel in seinem Haus fertig.<br />

Und nervte Kollegen und Vorgesetzte solange,<br />

bis das Produkt 1985 endlich<br />

auf den Markt kam – ausgerechnet<br />

im Tee-Land Japan,<br />

wo es floppte. „Nestlé war<br />

einfach nicht in der Lage, Innovationen auf<br />

den Markt zu bringen“, sagt Favre, „die letzte<br />

Erfindung war Nescafé – und das war 1938.“<br />

Favre will kündigen, aber der damalige<br />

Nestlé-Chef Helmut Maucher lässt ihn nicht<br />

gehen. Stattdessen schlägt er ihm vor, eine<br />

eigene Firma zu gründen. Favre willigt ein<br />

und entwickelt mit einem vierköpfigen Team<br />

Technologie und Lizenzierung der Kaffeemaschinen<br />

sowie die Vermarktung über exklusive<br />

Läden. Den ersten „Nespresso-Club“ eröffnete<br />

Favre 1989 in Mailand.<br />

„Ich wollte den Italienern zeigen, dass wir<br />

besser sind als der italienische Kaffee“, sagt<br />

er. Der Erfolg gibt ihm recht, im gleichen Jahr<br />

verkaufte Nestlé bereits 28 Millionen Kapseln.<br />

Trotz des Triumphs verlässt Favre wenig<br />

später den Lebensmittelkonzern und gründet<br />

eine eigene Firma. Für seine Erfindung, bekommt<br />

er von Nestlé keinen Cent – weil er<br />

lieber selbst Kapseln auf den Markt bringt<br />

und so zum Wettbewerber seines alten Arbeitgebers<br />

wird. 2011 stellt er ausgerechnet<br />

im Tee-Land China das Kapselsystem<br />

„Tpresso“ vor. Nicht zuletzt, um seinem ehemaligen<br />

Vorgesetzten zu beweisen, dass er<br />

nicht nur Kaffee, sondern auch Tee besser<br />

vermarkten kann.<br />

FOTOS: BILDFOLIO/BERT BOSTELMANN, IMAGEBROKER, PR<br />

88 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Der Vater von Catan Klaus Teuber machte<br />

sein Hobby zum Beruf und wurde Deutschlands<br />

erfolgreichster Spieleentwickler<br />

SIEDLER VON CATAN<br />

Die Idee die Besiedlung Islands<br />

nachspielen<br />

Der Erfinder Klaus Teuber<br />

Weil er als Kind von Wikingerfigürchen fasziniert war und Bücher<br />

über ihre Schiffe und Expeditionen gelesen hatte, entwickelt er gut<br />

30 Jahre nach seiner ersten imaginären Begegnung mit den Wikingern<br />

eine neue Idee: die Besiedlung Islands als Brettspiel.<br />

Wieder grübelt Teuber nach Feierabend: Welche Rohstoffe<br />

brauchten Menschen damals zum Überleben? Und wie soll das<br />

Spielfeld aussehen? In seinem Bastelzimmer sägt er kleine Häuschen<br />

aus Holz, bemalt Karton und schneidet ihn in sechseckige<br />

Plättchen, aus denen das Spielfeld entsteht. Es gewinnt, wer auf einer<br />

fiktiven Insel am schnellsten Siedlungen und Straßen errichtet.<br />

Teuber bietet das Spiel großen Verlagen an, zwei lehnen ab – ein<br />

millionenschwerer Fehler. Beim dritten Anlauf klappt es: Kosmos<br />

veröffentlicht das Spiel 1995 unter dem Namen Siedler von Catan,<br />

es wird rasch ein Kassenschlager, bis heute haben sich Basisspiel<br />

plus Erweiterungen etwa 18 Millionen Mal verkauft.<br />

1999 gibt Teuber sein Dentallabor auf und macht sein Hobby<br />

zum Beruf. Heute ist er in Deutschland einer der wenigen Spieleautoren,<br />

die von ihren Ideen gut leben können.<br />

Lange Arbeitstage im Dentallabor und altgediente Mitarbeiter,<br />

die ihm ständig reinquatschten: Wenn Klaus Teuber abends<br />

den Familienbetrieb verließ, war er meist frustriert. Schon mit<br />

Mitte 20 war der Zahntechniker zum Stellvertreter seines Vaters aufgestiegen<br />

– wirklich geliebt hat er die Aufgabe nie. „Ich brauchte<br />

einen Ausgleich“, erinnert sich Teuber. Und flüchtet sich nach Feierabend<br />

in eine Welt fernab von Gebissen und Zahnprothesen, dominiert<br />

von Fantasiefiguren und Entdeckungsreisen. Die Fantasy-Trilogie<br />

„Erdzauber“ von US-Autorin Patricia McKillip fesselte ihn so<br />

sehr, dass Teuber nebenbei ein Brettspiel entwickelte, das auf ihren<br />

Erzählungen basierte: Barbarossa – Spiel des Jahres 1988. »<br />

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Management&Erfolg<br />

CHRISTBAUMSTÄNDER<br />

Die Idee nie wieder Streit um den Weihnachtsbaum<br />

Der Erfinder Klaus Krinner<br />

Der Weihnachtsretter Mit seinem patentierten<br />

Christbaumständer machte Klaus Krinner<br />

das Aufstellen des Weihnachtsbaums<br />

zum Kinderspiel<br />

Mit der einen Hand hält er die Tanne,<br />

mit der anderen dreht er drei Schrauben<br />

im Christbaumständer fest, die<br />

den Stamm fixieren sollen: Alles andere als bequem<br />

ist das, als Klaus Krinner am Nachmittag<br />

des Heiligen Abends 1988 unter den Ästen seines<br />

Weihnachtsbaums hängt. Er braucht mehrere<br />

Versuche, bis die Tanne fest und gerade<br />

im Ständer steckt. „Des is a Glump“, denkt der<br />

Landwirt aus Niederbayern. Auf gut Deutsch:<br />

Der Ständer ist eine Fehlkonstruktion.<br />

Statt nur zu jammern – wie fast alle, die Jahr<br />

für Jahr vor dem gleichen Problem knien –,<br />

sucht Krinner einen Ausweg: Im September<br />

1989, nach neun Monaten Grübelei, schießt<br />

ihm die Lösung in den Kopf, die er sofort<br />

aufzeichnet: Vier Greifer sollen den Stamm<br />

halten. Sie sind über eine Drahtschlinge verbunden,<br />

die mit einer Ratsche fest um den<br />

Baumstamm gezogen wird. Damit, ist Krinner<br />

überzeugt, steht selbst ein schief gewachsener<br />

Baum kerzengerade.<br />

Innerhalb von vier Stunden baut einer<br />

seiner Arbeiter auf dem Hof einen<br />

Prototypen auf Basis von Krinners<br />

Skizze: ein Stück Blech als Boden,<br />

ein abgeschnittenes Rohr, ein<br />

Drahtseil, eine Ratsche <strong>vom</strong> Zurrgurt<br />

und vier Greifer. „Damit es niemand<br />

sieht“, packt Krinner seinen Blechschatz<br />

in ein Tuch ein und fährt noch<br />

am selben Tag zum Patentanwalt.<br />

Mehr<br />

Wer die WC-Ente<br />

erfunden hat und<br />

wie Toyota zu seinem<br />

Slogan kam,<br />

lesen Sie in unserer<br />

App-<strong>Ausgabe</strong><br />

Die ersten 100 Christbaumständer lässt<br />

Krinner 1989 in Polen produzieren, schon im<br />

Jahr darauf vertreibt er 25 000 Stück.<br />

„Das ging nur so schnell, weil ich beim Vertrieb<br />

alles falsch gemacht habe, was man<br />

falsch machen kann“, sagt der heute 75-Jährige.<br />

Ohne Voranmeldung besucht er damals die<br />

Zentrale eines großen Handelsunternehmens<br />

in Düsseldorf. „Mit einer ordentlichen Anmeldung<br />

hätte ich doch nie einen Termin bekommen“,<br />

sagt Krinner. „Die Leute müssen meinen<br />

Christbaumständer sehen – dann überzeugt<br />

er sie, da jeder das Problem kennt.“ Krinner<br />

behält recht: Der Handelskonzern bestellt<br />

5000 Stück.<br />

Mittlerweile wurden die weihnachtlichen<br />

Stammhalter von Krinner millionenfach verkauft.<br />

Alleine 2013 waren es etwa 800 000<br />

Stück – von der grünen Standardvariante ab<br />

22,95 Euro bis hin zur Luxusversion mit 9800<br />

Swarovskisteinen für etwa 10 000 Euro.<br />

Eine Goldgrube, von der auch andere profitieren<br />

wollen: Ein mehrjähriger<br />

Rechtsstreit um das Patent endet<br />

vor dem Bundesgerichtshof zu<br />

Krinners Gunsten, Kaufofferten<br />

lehnt er konsequent ab. „Mein<br />

Christbaumständer wahrt in Tausenden<br />

Familien jedes Jahr den<br />

Weihnachtsfrieden“, sagt Krinner.<br />

„Diese Aufgabe kann ich doch niemand<br />

anderem überlassen.“<br />

FOTOS: IMAGETRUST/MARIA IRL, INTER IKEA SYSTEMS B.V.<br />

REGAL BILLY<br />

Die Idee<br />

ein schlichtes Bücherbord<br />

für jedermann<br />

Der Erfinder<br />

Gillis Lundgren<br />

90 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Alter Schwede Mehr als 60 Millionen<br />

Billy-Regale hat Ikea verkauft, seit Gillis<br />

Lungren den Klassiker in den Siebzigerjahren<br />

entworfen hat.<br />

Mal war es eine Zeitung, mal kritzelte er auf einen Briefumschlag:<br />

Gillis Lundgren zeichnete seine Einfälle auf alles,<br />

was ihm unter den Bleistift kam. „Ideen sind flüchtig. Man<br />

muss sie schnell festhalten“, sagt der heute 84-Jährige.<br />

1953 stieg Lundgren bei Ikea ein, als vierter Mitarbeiter. Seinen<br />

Vertrag vereinbarte der Schwede mündlich mit Firmengründer Ingvar<br />

Kamprad – der Beginn einer vertrauensvollen Zusammenarbeit.<br />

„Ingvar philosophierte, ich zeichnete“, sagt Ikeas erster Designmanager.<br />

„So sind viele gute Sachen entstanden.“ Seine genialste Idee<br />

sollte Lundgren haben, als er schon mehr als 20 Jahre im Konzern<br />

arbeitet: Diesmal war es eine Serviette, die er zur Hand hatte, als<br />

sein Chef laut über ein Regal nachdachte, in das möglichst viele<br />

Bücher hineinpassen, ohne dass sich die Zwischenbretter verbiegen.<br />

Günstig sollte es sein und in jedes Zimmer passen. Lundgrens<br />

Lösung: ein Bücherbord, das an Schlichtheit kaum zu überbieten ist.<br />

Sein Name: Billy. 1979 kam es auf den Markt, bis heute hat Ikea<br />

weltweit mehr als 60 Millionen verkauft. „Ich versuche herauszufinden,<br />

was die Bedürfnisse der Menschen sind“, erklärt Lundgren sein<br />

Erfolgsrezept. „Die Ideen sind Ergebnisse meiner Recherchen und<br />

nichts, was einfach <strong>vom</strong> Himmel fällt.“ »<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 91<br />

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Management&Erfolg<br />

TEXTMARKER<br />

Die Idee<br />

ein Stift, der Texte zum<br />

Leuchten bringt<br />

Der Erfinder<br />

Günter Schwanhäußer<br />

Blau, Grün, Gelb und Pink: Vier<br />

Textmarker liegen auf seinem<br />

Schreibtisch aus dunklem Mahagoni.<br />

Bis heute benutzt Günter<br />

Schwanhäußer seine Erfindung täglich.<br />

„Der Stabilo Boss“, sagt der<br />

85-jährige jahrzehntelange Chef von<br />

Schwan Stabilo, „hat die Stifte-Sparte<br />

der Firma geprägt.“ Als der gelernte<br />

Landwirt 1950 in das Familienunternehmen<br />

einstieg, betrug der Umsatz<br />

nur wenige Millionen Mark. 1995, als<br />

Schwanhäußer in Rente geht, sind es<br />

361 Millionen Mark – nicht zuletzt<br />

dank des Textmarkers: Zwei Milliarden<br />

Stück hat das fränkische Unternehmen<br />

bis heute verkauft. Die Idee seines<br />

Lebens kam Schwanhäußer 1970 während<br />

einer Geschäftsreise. Durch das<br />

Schaufenster eines Buchladens in Chicago<br />

beobachtete der damals 42-jährige<br />

Unternehmer Studenten dabei, wie<br />

sie ein Stück Holz, um das ein wenig<br />

Schaumstoff gewickelt war, in eine<br />

bräunliche Flüssigkeit tunkten und auf<br />

Passagen ihres Texts tupften. „Das<br />

geht besser“, dachte sich Schwanhäußer<br />

und nahm ein paar der Konstrukte<br />

mit ins heimische Nürnberg.<br />

Ein Jahr später kam der Stabilo Boss<br />

auf den Markt. Wieso Boss? „Wir verkaufen<br />

keine gelben Linien, sondern<br />

Zeitersparnis“, sagt Schwanhäußer.<br />

Und das nütze vor allem<br />

Menschen, die viel Post und<br />

wenig Zeit haben – kurz Bosse. Um die<br />

von dem Marker zu überzeugen, verschickte<br />

Schwanhäußer seine Stifte an<br />

800 Manager und Minister. Der Handel<br />

zeigte sich zunächst skeptisch – auch,<br />

weil der Marker sehr teuer war. Dass<br />

sich das bald änderte, wundert ihn bis<br />

heute nicht: „Ein Boss“, sagt er, „will<br />

doch jeder gern sein.“<br />

Freund der Bosse Günter Schwanhäußer<br />

half viel beschäftigten Managern durch<br />

seine Textmarker Zeit zu sparen<br />

FOTO: PR<br />

92 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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TELEKOM-JINGLE<br />

Die Idee<br />

ein Audio-Logo für alle<br />

Märkte<br />

Der Erfinder<br />

Christopher McHale<br />

Der Anstoß zu Christopher McHales bekanntester<br />

Idee kam per Post. Es war<br />

im Jahr 1998, als der braune Briefumschlag<br />

im New Yorker Studio des amerikanischen<br />

Komponisten eintraf. Darin befand<br />

sich ein mehr als 40 Seiten dickes Exposé, in<br />

dem die Agentur Interbrand die Grundlagen<br />

des weltweit neu geplanten Markenauftritts<br />

der Deutschen Telekom erläuterte. Der Auftrag<br />

an McHale: die Komposition eines Audio-Logos<br />

– schlicht, elegant und vor allem<br />

nicht zu deutsch sollte es klingen.<br />

Beim Lesen stieß McHale bald auf das bereits<br />

entwickelte Markenzeichen des Telekommunikationskonzerns:<br />

drei graue Kästchen,<br />

ein pinkfarbenes T, daneben ein viertes<br />

graues Kästchen. McHales erster Gedanke:<br />

Die kleinen Rechtecke stehen für tiefere<br />

Töne, beim T musste es nach oben gehen.<br />

„Die erste Idee ist meistens die beste“,<br />

sagt McHale. Anschließend durchforstet er in<br />

einer Bücherei Wörterbücher nach Begrüßungsformeln<br />

aus aller Welt – seiner Meinung<br />

nach genau richtig für einen international<br />

aufgestellten Kommunikationskonzern.<br />

Er trifft sich mit Textern und Toningenieuren,<br />

sie diskutieren, schreiben Zeilen, testen Tonfolgen.<br />

Am Ende steht das dreieinhalb Minuten<br />

lange Lied „Hello, Hola“. Den Song kennt<br />

heute kaum mehr jemand – bis auf die fünf<br />

Töne, die selbst 15 Jahre nach dem ersten<br />

Einsatz immer noch in aller Ohren sind: dadadadida.<br />

Die Tonfolge, die McHale selbst mit zwei<br />

Fingern auf seinem Flügel eingespielt hat, ertönt<br />

in der Fernsehwerbung, im Stadion des<br />

von der Telekom gesponserten Fußballclubs<br />

FC Bayern München und sogar in New Yorks<br />

Straßen. Und wenn McHale im Supermarkt<br />

vor dem Joghurtregal steht und die Melodie<br />

ertönt auf dem Handy eines anderen Kunden,<br />

muss er jedes Mal grinsen. „Die Menschen<br />

haben ja keine Ahnung, dass der Produzent<br />

direkt neben ihnen steht.“<br />

EVONIK<br />

Die Idee ein moderner<br />

Name für ein angestaubtes<br />

Unternehmen<br />

Der Erfinder Manfred Gotta<br />

Als er im September 20<strong>07</strong> den Zuschlag<br />

von der Ruhrkohle AG bekommen<br />

hatte, schlich er erst mal eine<br />

Viertelstunde undercover durch die Flure<br />

seines Auftraggebers. „Ich wollte die Atmosphäre<br />

spüren, sehen, wie aufmerksam, wie<br />

freundlich die Mitarbeiter sind“, erinnert<br />

sich Manfred Gotta, Deutschlands erfolgreichster<br />

Erfinder von Produkt- und Unternehmensnamen,<br />

an seinen Besuch in der<br />

Essener Konzernzentrale. Sein Auftrag: einen<br />

„neuen, kantigen und typischen Namen“<br />

finden für den traditionsbehafteten<br />

Kohlekonzern. Nichts Gelecktes, Glattes,<br />

sondern einen Begriff mit Charakter, der<br />

außerdem klar macht, dass Kohle im Geschäftsmodell<br />

des Konzerns keine Rolle<br />

mehr spielt. Codewort des streng geheimen<br />

Projekts: NB wie New Business.<br />

Von 20 Ideenlieferanten sammelte Gotta<br />

als Erstes 150 Vorschläge ein, von denen er<br />

15 herauspickte, die ihm gefielen. Es folgten<br />

Diskussionsrunden mit Verbrauchern, Gotta<br />

notierte Argumente und analysierte die<br />

Mimik der Diskutanten. Übrig blieb Gottas<br />

Favorit Evonik und ein zweiter Name, den<br />

Gotta aber stets für sich behalten hat. Beide<br />

ließ er für 60 Länder auf Phonetik und juristische<br />

Fallstricke prüfen, bevor er sie dem<br />

damaligen Konzernvorstand Werner Müller<br />

und einer Expertenrunde vorlegte. Die waren<br />

von Gottas Favorit begeistert – und Evonik<br />

beschlossene Sache. »<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 93<br />

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Management&Erfolg<br />

Der Versüßer Heinz Leopold überzog 1989<br />

ein großes Vanilleeis am Stil mit echter<br />

Schokolade – seitdem wurde Magnum an<br />

Millionen Schleckermäuler weltweit verkauft<br />

MAGNUM<br />

Die Idee<br />

ein Eis für Erwachsene<br />

Der Erfinder<br />

Heinz Leopold<br />

Dolomiti für Kinder, Nogger für<br />

Jugendlichen und für Erwachsene<br />

die Fürst-Pückler-Rolle: Wer<br />

Mitte der Achtzigerjahre Lust auf ein Eis<br />

bekam, hatte nur begrenzt Auswahl.<br />

Heinz Leopold und sein Team sollten<br />

das ändern: Gerade 23 Jahre war er alt,<br />

als er nach dem BWL-Studium seinen<br />

ersten Job beim Konsumgüterkonzern<br />

Unilever antrat. Leopold sollte eine Variation<br />

des Verkaufsschlagers Nogger<br />

entwickeln. Größer und schokoladiger,<br />

speziell für Erwachsene. Der Name<br />

stand schon fest: Nogger Magnum, aus<br />

dem Lateinischen übersetzt „das Große“.<br />

Doch die ersten Proben schmeckten<br />

furchtbar: Das Eis wurde in extra viel<br />

kakaohaltige Fettglasur getunkt, garniert<br />

mit noch mehr Nüssen, innen ein<br />

riesiger Schokoladenkern. Kurz: Es war<br />

zu viel von allem. „Ich war mit dem Geschmack<br />

nicht zufrieden“, erinnert sich<br />

der heute 49-Jährige. Warum stattdessen<br />

nicht einfach gutes Vanilleeis mit<br />

echter Schokolade überziehen?<br />

Magnum war geboren. Obwohl es im<br />

Winter 1989 auf den Markt kommt, ist<br />

das erste Eis am Stiel mit echter Schokolade<br />

sofort ausverkauft. Heute vernaschen<br />

die Deutschen pro Jahr knapp<br />

250 Millionen Stück, die beliebteste<br />

Sorte ist Magnum Mandel. Leopold<br />

schnitt vor der Einführung die Nüsse<br />

noch selbst klein. „Das erste Muster<br />

sah aus wie ein Igel“, erinnert er sich,<br />

„die Stücke waren zu lang.“ Leopold arbeitet<br />

heute als Personalberater, dort<br />

vermittelt er auch Produktmanager.<br />

Was er ihnen rät? „Hört auf euer Gefühl<br />

und denkt an eure Konsumenten“, sagt<br />

er. „Das Lächeln eines zufriedenen<br />

Kunden ist eine tolle Belohnung.“ n<br />

lin.freitag@wiwo.de, kristin schmidt,<br />

claudia tödtmann<br />

FOTO: FLORIAN SCHÜPPEL<br />

94 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse<br />

BARGELD | Münzen und<br />

Scheine verursachen<br />

enorme Kosten.<br />

Finanzbranche und<br />

Handel würden sie am<br />

liebsten abschaffen.<br />

Die Deutschen aber<br />

hängen am Bargeld.<br />

Welche Technologien<br />

kommen, was heute<br />

schon läuft – und ein<br />

eher ernüchternder<br />

Selbstversuch.<br />

Wie wir morgen<br />

zahlen, was der<br />

Preis dafür ist<br />

Ginge es nach Jan Deepen, würden<br />

wir schon längst keine<br />

Münzen und Scheine mehr mit<br />

uns herumschleppen. Der Mitgründer<br />

von SumUp, einem<br />

mobilen Bezahldienst, arbeitet daran, Cash<br />

überflüssig zu machen. Klingt alles ganz<br />

einfach: Der Kunde installiert eine App auf<br />

seinem Smartphone. Bei SumUp hinterlegt<br />

er seine Bankdaten und ein Foto. Geht er<br />

dann in das Geschäft eines teilnehmenden<br />

Händlers, bekommt der über das Internet<br />

auf sein Kassensystem automatisch die<br />

Meldung eingespielt, wer gerade bei ihm<br />

einkauft.<br />

Will der Kunde bezahlen, nennt er seinen<br />

Namen, der Händler muss nur noch<br />

prüfen, ob die Person vor ihm mit der auf<br />

dem hinterlegten Foto identisch ist. Passt<br />

alles, wird das Geld abgebucht. Der Kunde<br />

selbst macht keinen Finger krumm. „Es ist<br />

ganz offensichtlich, wir steuern auf eine<br />

bargeldlose Gesellschaft zu“, sagt Deepen<br />

zufrieden.<br />

Die Zahlfunktion, an der SumUp arbeitet,<br />

ist eine der fortschrittlichsten und hätte<br />

die größten Auswirkungen darauf, wie wir<br />

künftig einkaufen. Marktführer PayPal testet<br />

ähnliche Konzepte. Die Deutschen lieben<br />

zwar ihr Bargeld, aber Kartenzahlung<br />

und bargeldlose Transaktionen im Internet<br />

nehmen stetig zu. Ohne dass wir uns bewusst<br />

dafür entscheiden, verschwindet das<br />

Bargeld langsam aus unserem Alltag.<br />

Bargeldlos bezahlen, immer<br />

und überall? Um zu testen,<br />

ob das in Deutschland wirklich<br />

so einfach funktioniert,<br />

wie Deepen hofft, starte<br />

ich einen Selbstversuch: ein Wochenende<br />

ohne Bargeld. Es geht nach Bayern, ein<br />

Ausflug an die Donau steht an, mit Freundin.<br />

Vor der Abfahrt am Freitagabend<br />

wollen die Kollegen in der Redaktion mir<br />

direkt meine Geldbörse abnehmen. Ich<br />

wehre mich, behalte die Börse mit EC- und<br />

Kreditkarte und stecke noch 20 Euro ein,<br />

für den absoluten Notfall.<br />

Los geht die bargeldlose Zukunft auf der<br />

Internet-Seite der Bahn. Meine Tickets zahle<br />

ich dort schon lange per PayPal, wähle aus,<br />

ob ich Kreditkarte oder Girokonto belaste.<br />

Das Ticket kann ich dann ausdrucken oder<br />

über die Smartphone-App als QR-Code<br />

auf dem Handy speichern. Alles simpel.<br />

Vor der Abfahrt möchte ich am Düsseldorfer<br />

Hauptbahnhof noch schnell einen<br />

Snack für die Fahrt kaufen. Rein zum Billigbäcker<br />

mit Selbstbedienung. Ich lege ein<br />

Croissant aufs Tablett und reihe mich ein in<br />

die Schlange der Bahnpendler. Das gibt<br />

mir etwas Zeit, um die Registrierkasse zu<br />

begutachten. Mir fällt auf:kein Kartenlesegerät.<br />

Als ich an der Reihe bin, frage ich<br />

die Kassiererin, ob ich mein Hörnchen mit<br />

Karte bezahlen kann. „Nein“, lautet die<br />

klare Antwort. „Kreditkarte, EC-Karte, Sie<br />

akzeptieren gar nichts?“ „Nein.“ Dass<br />

ich meinen Notgroschen so früh anbrechen<br />

muss, hätte ich nicht erwartet.<br />

Nächster Laden, nächster Versuch: eine<br />

Flasche Wasser für unterwegs. Nun probiere<br />

ich den Drogeriemarkt im Bahnhofsgebäude.<br />

Die Schlange reicht auch hier bis mitten<br />

in den Laden hinein; Wochenendpendler.<br />

Von Weitem erkenne ich: Die nehmen alle<br />

gängigen Karten, auch meine Kreditkarte.<br />

An der Kasse angekommen, knicke ich<br />

aber ein: mein Zug kommt gleich, ich muss<br />

zum Gleis. Außerdem drängelt die Schlange<br />

hinter mir, und das Wechselgeld aus der<br />

Backstube klimpert noch in meiner Hosentasche.<br />

Schnell zücke ich eine Euro-Münze<br />

und zahle mein Wasser bar. Das dauert<br />

wenige Sekunden. Keine Unterschrift, keine<br />

PIN-Eingabe. Bargeldloses Wochenende?<br />

Der Start ist verschoben.<br />

Mit der Kreditkarte lassen sich an der Supermarktkasse<br />

auch kleine Beträge begleichen.<br />

Wer bei Ebay bestellt, muss sich nicht<br />

ins Online-Banking einloggen, sondern<br />

kann per PayPal zahlen. Und wer sein<br />

Bahnticket bar am Automaten zahlt, verzweifelt,<br />

wenn der nur Münzen zurückgibt,<br />

die die Geldbörse zum Platzen bringen.<br />

n Haupttreiber für Fortschritte beim Zahlungsverkehr<br />

– das Smartphone wird zum<br />

Multifunktionsgerät, soll bald als digitale<br />

Geldbörse das Portemonnaie ablösen – ist<br />

das Internet. Nebeneffekt: Noch mehr Daten<br />

für Industrie und Online-Handel.<br />

»<br />

ILLUSTRATION: KARSTEN PETRAT<br />

96 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Chinesen zahlen mobil, Deutsche blechen fürs Bargeld<br />

Befragte,die schon per Smartphone<br />

oder Tablet gezahlt haben1 (in Prozent)<br />

Bargeldkosten und -erträge nach Sektoren<br />

in Deutschland (in Millionen Euro)2<br />

China<br />

49<br />

Erträge<br />

Südkorea Chinesen 35 zahlen mobil, Deutsche blechen Kosten fürs Bargeld<br />

2524<br />

Russland<br />

26<br />

1879<br />

Transferzahlungen<br />

Befragte,die schon per Smartphone Bargeldkosten und -erträge nach Sektoren<br />

Schweden<br />

19<br />

(Zinsgewinne/-verluste)<br />

oder Tablet gezahlt haben1 (in Prozent) in Deutschland (in Millionen Euro)2<br />

USA 19<br />

Staatund<br />

Privatpersonen<br />

Erträge<br />

Banken Handel<br />

Italien China17<br />

Deutsche49<br />

Bundesbank<br />

Großbritannien Südkorea 13<br />

35 –246<br />

–548 –20 Kosten<br />

2524<br />

Deutschland Russland 13<br />

26<br />

1879<br />

Transferzahlungen<br />

–1311<br />

Frankreich Schweden 10<br />

19<br />

–3933<br />

(Zinsgewinne/-verluste)<br />

Japan 6 USA 19<br />

Staatund –6669<br />

Privatpersonen<br />

Banken Handel<br />

Italien 17<br />

Deutsche Bundesbank<br />

1Kontaktlose Zahlungen mit dem Handy und Online-Bestellungen über Apps, 190 000 Personen in 27 Ländern, Zahlungen im ersten<br />

Quartal 2013; 2Daten Großbritannien für 2011; Quelle: Bain &Company; 13 Steinbeis-Hochschule Berlin 2013<br />

–246<br />

–548 –20<br />

Deutschland 13<br />

–1311<br />

Frankreich 10<br />

–3933<br />

Japan 6<br />

–6669<br />

1Kontaktlose Zahlungen mit dem Handy und Online-Bestellungen über Apps, 190 000 Personen in 27 Ländern, Zahlungen im ersten<br />

Quartal 2013; 2Daten für 2011; Quelle: Bain &Company; Steinbeis-Hochschule Berlin 2013<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 97<br />

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Geld&Börse<br />

»<br />

n Stationären Händlern sind Bevorratung<br />

und Abtransport von Bargeld zu teuer<br />

(siehe Seite 97, Chart rechts), und auch<br />

Banken machen Druck. Bargeld kostet,<br />

während die Finanzbranche an Kreditkarten<br />

und bargeldlosen Transaktionen verdient.<br />

Schon längst nicht mehr können<br />

Kunden überall in Europa am Bankschalter<br />

beliebig viel Geld ein- oder sich auszahlen<br />

lassen.<br />

n Hinzu kommen politische Motive: Steuerhinterziehung,<br />

Geldwäsche und Schwarzarbeit<br />

wären ohne Bargeld leichter verfolgbar.<br />

Geldpolitische Instrumente könnten ihre<br />

volle Schlagkraft zurückgewinnen, wenn<br />

Bürger Geld nicht mehr einfach <strong>vom</strong> Konto<br />

abheben und so dem Zugriff der Notenbanker<br />

entziehen könnten.<br />

Bei aller Euphorie für den elektronischen<br />

Zahlungsverkehr gibt es also durchaus<br />

Anlass zu Befürchtungen, dass mit<br />

dem Bargeld auch ein Stück Freiheit und<br />

Sicherheit verschwinden würde. Wie realistisch<br />

sind diese Befürchtungen? Und<br />

wie stehen die Chancen wirklich, dass<br />

Bargeld allmählich abgelöst wird?<br />

NUR BAR IST WAHR<br />

Die Deutschen gelten als konstant unfortschrittlich,<br />

verglichen etwa mit den Schweden,<br />

für die bargeldloses Zahlen selbstverständlich<br />

ist (siehe Grafik unten). Deepen<br />

von SumUp bleibt eine Ausnahme, wenn<br />

er sagt: „Ich kann mich gar nicht erinnern,<br />

wann ich das letzte Mal am Bankautomaten<br />

Geld abgehoben habe.“<br />

Die Europäische Zentralbank (EZB), von<br />

den Deutschen ohnehin nicht ins Herz geschlossen,<br />

ist sich der Sensibilität des Themas<br />

bewusst. Besuch bei Wiebe Ruttenberg,<br />

Leiter der Abteilung Market Integration,<br />

der in einem unauffälligen Nebengebäude<br />

des Eurotower in der Frankfurter Innenstadt<br />

sitzt. Sein Büro, mit blau gewebtem<br />

Teppich, nüchternes Corporate Design<br />

im Europa-Stil, wirkt wenig luxuriös –<br />

und ist doch Zentrum des aktuell wichtigsten<br />

technischen Projekts der EZB. Von hier<br />

hat Ruttenberg die Einführung des SEPA-<br />

Zahlungssystems geleitet. Neue, einheitliche<br />

Kontonummern für alle Europäer – ein<br />

mächtiges Projekt, dessen Sinn sich erst<br />

mal überhaupt nicht erschließt. Es soll einen<br />

einheitlichen, bargeldlosen Zahlungsraum<br />

Europa ermöglichen. SEPA ist aber<br />

dennoch nicht Teil eines Masterplans, dem<br />

Bargeld zu entsagen: „In Europa wird es<br />

keine bargeldlose Gesellschaft geben“, antwortet<br />

EZB-Fachmann Ruttenberg auf die<br />

Frage, wann denn neue Zahlungsmittel<br />

das Bargeld wohl ablösen werden – ohne<br />

zu zögern.<br />

Mein nächster Versuch: ein<br />

Feierabendbier im Bordbistro.<br />

3,70 Euro soll das kosten. „Mit<br />

Karte bitte“, hauche ich verlegen<br />

über den Tresen und erwarte<br />

schon die nächste Enttäuschung. „Wir<br />

nehmen aber nur Kreditkarten“, lautet dann<br />

die sehnlichst erwartete Antwort. Das ist mir<br />

ohnehin am liebsten. Denn ich bin Kunde<br />

bei einer Direktbank. Die stellt mir eine<br />

Kreditkarte aus, mit der ich weltweit kostenlos<br />

Bargeld abheben – und in Deutschland<br />

auch ohne Gebühren bezahlen kann. Ein<br />

erster Erfolg. Zwar muss ich mein Bier aus<br />

einem Plastikbecher am Platz trinken, der<br />

erste Schluck schmeckt trotzdem fantastisch.<br />

So kann die bargeldlose Zukunft starten.<br />

Auf der anderen Seite des Atlantiks ticken<br />

manche schon anders. Larry Summers,<br />

ehemaliger US-Finanzminister, dachte auf<br />

einer Konferenz in Washington laut über<br />

die Abschaffung des Bargelds nach. Nur<br />

dann könnten Zentralbanken negative Leitzinsen<br />

einführen, zur Abwehr der Deflation<br />

und zum Ankurbeln des Konsums. „Die<br />

globale Finanzkrise ist noch nicht überstanden.<br />

Deshalb müssen wir in den kommenden<br />

Jahren darüber nachdenken, wie<br />

wir eine Volkswirtschaft managen, in der<br />

nominale Zinssätze von null chronische<br />

Hemmstoffe sind, die unsere Volkswirtschaften<br />

hinter ihrem Potenzial zurückhalten“,<br />

sagte Summers.<br />

Der Gedanke dahinter: Weil die Zinssätze<br />

schon nahe null sind, könnte die Geldhaltung<br />

auf Konten mit negativen Zinsen<br />

bestraft werden. Wer Geld bei der Bank<br />

parkt, zahlt eine Gebühr. Normalerweise<br />

würden die Menschen dann auf Bargeld<br />

ausweichen, der Negativzins würde wirkungslos.<br />

Können sie aber nicht mehr bar<br />

bezahlen, würde das Geld auf die Konten<br />

getrieben – oder ausgegeben. So könnte<br />

der Konsum angekurbelt werden.<br />

OHNE CASH: TABLET-KASSEN<br />

Wer wissen will, wie die bargeldlose Zukunft<br />

aussieht, muss sich in Messehallen<br />

drängen. Etwa auf der Euroshop in Düsseldorf,<br />

der weltweit größten Messe für den<br />

Einzelhandel. Dort wird klar: Wo heute<br />

noch graue Supermarkt-Kassenklötze aus<br />

Hartplastik stehen, sollen demnächst<br />

schlanke Tablet-Computer Zahlungen abwickeln.<br />

Am besten ohne Bargeld. Denn<br />

Tablet-Kassen mit Flachbildschirmen bieten<br />

keinen Platz mehr für Münzen und<br />

Blühe, einig Bargeldland<br />

Anteil der Bezahlvorgänge an der Kasse<br />

(in Prozent)<br />

Bargeld<br />

EC-Karte<br />

Kreditkarte<br />

Sonstiges*<br />

0 20 40 60 80 100<br />

Österreich<br />

Polen<br />

Deutschland<br />

Italien<br />

Spanien<br />

Großbritannien<br />

Niederlande<br />

Belgien<br />

Schweden<br />

Frankreich<br />

Welche Summen die Deutschen wie<br />

bezahlen (in Prozent)<br />

Bargeld EC-Karte Kreditkarte<br />

Internet-Zahlung Überweisung Sonstiges<br />

0 20 40 60 80 100<br />

Bis 5Euro<br />

5bis 20 Euro<br />

20 bis 50 Euro<br />

50 bis 100 Euro<br />

100 bis 500 Euro<br />

Ab 500 Euro<br />

Wie viel Bargelddie Deutschen im<br />

Portemonnaie haben<br />

300 Euro und mehr<br />

200 bis 300 Euro<br />

150 bis 200 Euro<br />

100 bis 150 Euro<br />

50 bis 100 Euro<br />

20 bis 50 Euro<br />

bis 20 Euro<br />

18<br />

12 4<br />

7<br />

30<br />

%<br />

Mittelwert: 103 Euro<br />

davon Münzen: 5,90 Euro<br />

10<br />

18<br />

*Kundenkarten, Schecks, PayPal, Lastschrifteinzug etc.; Quelle: Deutsche Bundesbank, 2011; Europäische Kommission und Deloitte <strong>2014</strong>, vorläufige Ergebnisse<br />

98 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Zahlungen sicherer werden können. Etwa<br />

so: Wie der Zoll bei der Einreise am Flughafen<br />

in den USA scannt ein kleines Gerät an<br />

der Kasse den Fingerabdruck des Käufers.<br />

Dann wird die Zahlung drahtlos über eine<br />

spezielle Chipkarte, die der Käufer bei sich<br />

führen muss, abgewickelt. Der Fingerabdruck<br />

dient sozusagen als fälschungssichere<br />

Unterschrift oder PIN.<br />

Da Fingerabdruckscanner bereits in Mobiltelefonen<br />

von Samsung oder Apple verbaut<br />

sind, dürfte die Zahlung mit dem Fingertip<br />

bald an Fahrt aufnehmen. Jüngst hat<br />

PayPal dazu eine Kooperation mit Samsung<br />

gestartet.<br />

ILLUSTRATION: KARSTEN PETRAT<br />

Scheine. Die wandern allenfalls noch in eine<br />

zusätzliche Schublade, die in den Verkaufstresen<br />

eingelassen werden muss, wie<br />

etwa heute schon in manchem Apple-Store<br />

– eine Übergangslösung, für Bargeld-Nostalgiker<br />

unter den Kunden.<br />

Smartphones der Konsumenten und<br />

Tablet-Computer der Händler gehen, so erlebt<br />

man es auf der Messe, eine Symbiose<br />

ein. Für Zahlungen, klar, aber auch für neues<br />

Marketing: Zum Beispiel für Sonderangebote,<br />

die dem Verbraucher direkt aufs<br />

Smartphone gespielt werden, wenn er an<br />

einem Laden vorbeiläuft. Er geht kurz rein,<br />

bezahlt mit dem Smartphone und rennt<br />

weiter zum nächsten Angebot.<br />

Für manchen Konsumenten eine Horrorvision,<br />

für andere nur lästig oder gar eine<br />

willkommene Bereicherung. „Ich zahle<br />

möglichst nur mit Bargeld,“ sagt Claudia<br />

Franke, „da behalte ich die Kontrolle, wie<br />

viel ich ausgeben kann.“ Ihre Kunden aber<br />

lässt die Düsseldorfer Unternehmerin, die<br />

unter anderem Tierpflegeprodukte auf<br />

Schulungen oder Messen verkauft, unterwegs<br />

am liebsten über ein mobiles Kartenterminal<br />

bezahlen. Den Adapter von Sum-<br />

Up steckt Franke an ihr Smartphone oder<br />

Ohne Cash wird<br />

Schwarzarbeit<br />

viel schwieriger<br />

Tablet. Ihre Kunden können mit dem Finger<br />

auf dem Display unterschreiben, sagt<br />

sie, bekommen anschließend Quittungen<br />

per E-Mail oder SMS zugeschickt. „Am<br />

liebsten wäre mir, wenn alle mit Karte zahlen<br />

würden“, sagt Franke.<br />

KARTENLOS: ABDRUCK GENÜGT<br />

Noch einfacher wird es für Kunden, wenn<br />

sie ihre Karte gar nicht mehr aus dem<br />

Portemonnaie kramen müssen, um sie an<br />

der Kasse oder am mobilen Lesegerät<br />

scannen zu lassen. Warum nicht mit biometrischen<br />

Daten bezahlen? Sprich: mit<br />

dem Fingerabdruck? Auch das zeigen erste<br />

Versuche auf der Düsseldorfer Messe. Die<br />

Natural Security Alliance, getragen unter<br />

anderem von BNP Paribas, Crédit Agricole<br />

und Mastercard, testet hier, wie digitale<br />

Samstagnachmittag, ein<br />

kurzer Abstecher in ein<br />

Shoppingoutlet. Die Logos<br />

in den Läden zeigen mir,<br />

dass sie sich auf meine Visa,<br />

Mastercard oder American Express freuen.<br />

Nur finde ich bei ihnen weder Schuhe noch<br />

Hemden, die mir gefallen. Bei sonnigem<br />

Frühlingswetter soll wenigstens ein Eis das<br />

Gedrängel vor den Schaufenstern versüßen.<br />

Die Eisdiele verlangt 3,60 Euro für drei<br />

Kugeln. Eigentlich würde ich mit der Kassiererin<br />

gern über die Preise diskutieren.<br />

Ihre Aussage, dass ich nur bar bezahlen<br />

kann, nimmt mir aber die Lust. 20 Euro<br />

hatte ich am Freitag vor der Bahnfahrt für<br />

den Notfall eingesteckt. Die aber schwinden<br />

schnell dahin. Am Samstagnachmittag<br />

treibt es mich – in weiser Voraussicht – an<br />

den nächsten Bankautomaten. Ich muss<br />

meinen Notgroschen aufstocken.<br />

Thilo Weichert, Landes-Datenschutzbeauftragter<br />

in Kiel, sieht die Datenspuren,<br />

die Nutzer von digitalen Zahlungsmitteln<br />

hinterlassen, mit Sorge: „Auch bei allen<br />

denkbaren technischen Sicherungen sind<br />

digitale Spuren zumeist leichter festzustellen,<br />

automatisiert auszuwerten und dadurch<br />

umfassend zu überwachen.“ Knackpunkt<br />

dabei: Die Zahlungsströme laufen<br />

fast alle über die USA. Im Rahmen der<br />

Snowden-Enthüllungen wurde im Herbst<br />

bekannt, dass die amerikanische NSA auch<br />

Kreditkartendaten in den USA ausliest.<br />

„Dass wir keine europäische Infrastruktur<br />

haben, ist ein Problem. Auch das europäische<br />

Überweisungssystem SEPA wird daran<br />

nichts ändern, dazu war es gar nicht gedacht“,<br />

sagt Constanze Kurz, Projektleiterin<br />

am Forschungszentrum für Kultur und<br />

Informatik der Hochschule für Technik<br />

und Wirtschaft in Berlin. „Nur über Bargeld<br />

lässt sich auch nur ansatzweise langfris-<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 99<br />

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Geld&Börse<br />

»<br />

tig die Anonymität des Zahlungsverkehrs<br />

gewährleisten“, sagt Weichert.<br />

Bargeld-Lösungen sind auf der Düsseldorfer<br />

Messe zwar noch vertreten, aber<br />

schon in Nischen gedrängt – wie die Münzprüfmaschinen<br />

von WH Münzprüfer aus<br />

Berlin. Die CD-großen Elemente lassen<br />

Münzen durch ihren Einwurfschlitz in einen<br />

transparenten Schaukasten klackern,<br />

scheinen in Halle 6 aber nur noch geduldet,<br />

vereinsamt in einem Durchgang neben<br />

den pompösen Multimedia-Ständen<br />

der bargeldlosen Konkurrenz.<br />

„An unserem Geschäft sehen wir, dass<br />

Münzen weltweit immer noch eine wichtige<br />

Rolle spielen, trotz der Weiterentwicklung<br />

beim bargeldlosen Zahlen“, sagt Geschäftsführer<br />

Christian Trenner. Spiel- und<br />

Ticketautomaten, aber auch Selbstbediener-Kassen<br />

im Supermarkt brauchen Maschinen,<br />

die Euro-Münzen von Hosenknöpfen<br />

unterscheiden können. Den Messebesuchern<br />

erscheint das irgendwie bieder<br />

– sie erliegen dem Charme von Tablets<br />

und Smartphones. Wer will da noch Münzen<br />

prüfen?<br />

„SWISH“: VON HANDY ZU HANDY<br />

Schweden jedenfalls braucht heute schon<br />

nur noch wenige Münzprüfautomaten.<br />

Bargeld spielt kaum noch eine Rolle. Selbst<br />

Zeitungen und Kaugummi können mobil<br />

oder mit Karte gezahlt werden. Die schwedischen<br />

Banken, vorneweg die Großbanken<br />

SEB und Nordea, haben sich für ein<br />

mobiles Zahlsystem namens Swish zusammengetan.<br />

Zahlungen von privat zu privat<br />

sind einfach über eine App auf dem<br />

Smartphone möglich. Wer etwa sein Fahrrad<br />

gebraucht verkaufen möchte, kann vor<br />

Ort von einem Telefon zum anderen bezahlen.<br />

Im Sommer sollen auch schwedische<br />

Unternehmen mit Swish die Zahlungen<br />

ihrer Kunden entgegennehmen können.<br />

In Deutschland gibt es einen ähnlichen<br />

Ansatz namens Kesh, von der BIW<br />

Bank. Generell halten sich Deutschlands<br />

Banken aber zurück; man beobachte die<br />

Entwicklungen, sagt der Bankenverband,<br />

der die Privatbanken vertritt.<br />

Schwedische Banken haben seit 2010 ihren<br />

Bargeldservice schrittweise eingestellt.<br />

Nordea etwa bietet nur noch in einem Drittel<br />

ihrer 256 Filialen Bargeldservices an.<br />

„Bargeld ist immer noch teuer zu transportieren<br />

und zu verwalten, die Risiken von<br />

Überfällen haben es in den vergangenen<br />

Jahren auch nicht günstiger gemacht,“ sagte<br />

bereits 2008 Lars Nyberg, damals Vorstand<br />

der schwedischen Zentralbank.<br />

Prominentester Unterstützer der schwedischen<br />

Bargeldlos-Bewegung ist Abba-<br />

Star Björn Ulvaeus. Im Stockholmer Abba-<br />

Museum können Besucher inzwischen nur<br />

noch mit Karte zahlen. Privat verzichtete<br />

Ulvaeus in einem Selbstversuch ein Jahr<br />

lang auf Bargeld: „Die einzige Unannehmlichkeit,<br />

die mir im Alltag begegnet ist:Man<br />

braucht eine Münze, um im Supermarkt einen<br />

Wagen zu leihen“, schreibt er auf der<br />

Homepage des Museums. Seine Kritiker<br />

werfen Ulvaeus vor, er sei bei der Aktion<br />

vor allem durch einen der Hauptsponsoren<br />

seines Abba-Museums getrieben worden:<br />

Kreditkarten-Gigant Mastercard.<br />

Am Samstagabend möchten<br />

wir zum Italiener. Bei der<br />

Restaurantkette Vapiano<br />

bekomme ich als Gast schon<br />

am Eingang eine Chipkarte,<br />

auf der meine Bestellungen eingehen.<br />

Hier muss ich mich an Selbstbedienungstheken<br />

anstellen, Köche bereiten die<br />

Nudeln vor meinen Augen zu. Was mich<br />

meine Bestellung kostet, erkenne ich nach<br />

jeder Bestellung in einem Display, wenn<br />

meine Karte gescannt wird. Zum Bezahlen<br />

Spuren digitaler<br />

Zahlungen sind<br />

leicht verfolgbar<br />

wird sie an der Kasse nach dem Essen<br />

ausgelesen. Und dort erkenne ich gleich:<br />

ein NFC-Terminal. Fantastisch! Da zeigt<br />

sie sich endlich, die bargeldlose Zukunft.<br />

Denn mit der sogenannten Near Field<br />

Communication könnte ich mein Abendessen<br />

jetzt über das Smartphone bezahlen.<br />

Einfach, indem ich das Telefon im Umkreis<br />

von etwa zehn Zentimetern an das Lesegerät<br />

lege oder darüber halte. Abgebucht<br />

wird kontaktlos. Leider bin ich von der bargeldlosen<br />

Zukunft ausgeschlossen, weder<br />

mein Handy noch meine Kreditkarte sind<br />

für NFC-Zahlungen gerüstet. Also muss<br />

ich dann doch meine Kreditkarte einlesen<br />

lassen und die PIN eingeben. Die Kassiererin<br />

tröstet mich: „Seit unserer Eröffnung<br />

vor etwa zwei Jahren hat bei mir bisher nur<br />

ein einziger Kunde kontaktlos bezahlt.“<br />

ILLUSTRATION: KARSTEN PETRAT<br />

100 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Dass Geld bereitgehalten, gewechselt,<br />

transportiert, gesichert und bewacht werden<br />

muss und dass dies alles kostet, leuchtet<br />

ein. Doch auch bargeldlose Abwicklungen<br />

kosten Geld. „Zahlungen können nicht<br />

kostenlos sein, das müssen die Leute verstehen“,<br />

sagt Ruttenberg von der EZB. Nur<br />

seien diese Kosten eben im System versteckt.<br />

Händler zahlen in Deutschland<br />

durchschnittlich 1,25 Prozent der Transaktionssummen<br />

an Banken und Kreditkartenanbieter.<br />

Diese werden natürlich meist<br />

an die Kunden weitergegeben. Die Europäische<br />

Kommission arbeitet deshalb gerade<br />

an einer Richtlinie, alle Kreditkartengebühren<br />

für Händler auf 0,3 Prozent zu<br />

reduzieren. Kommt die, bekämen Karten<br />

einen neuen Schub.<br />

Unter dem Strich, für bare und bargeldlose<br />

Zahlungen zusammen, kosten Zahlungen<br />

in der EU etwa 130 Milliarden Euro,<br />

schätzt Ruttenberg – ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts.<br />

Vom Bargeld abrücken<br />

möchte er deshalb aber nicht. Vielmehr<br />

sollten die bisherigen Infrastrukturen, wie<br />

Debit- und Kreditkarten, effizienter genutzt<br />

werden. „Die bargeldlose Gesellschaft ist<br />

etwa so wahrscheinlich wie das papierlose<br />

Büro“, sagt Ruttenberg. Sein eigener<br />

Schreibtisch wirkt zwar aufgeräumt, aber<br />

dort stapeln sich Papierbögen, keine Frage.<br />

Sonntagvormittag, Sonnenschein<br />

und blauer Himmel.<br />

Wir fahren zum Kloster<br />

Weltenburg an die Donau.<br />

Das Kloster ist für Besucher<br />

nur zu Fuß erreichbar, also biegen wir auf<br />

einen Parkplatz ab, 500 Meter vor dem<br />

Kloster. Eine junge Frau in Warnweste verteilt<br />

Parkscheine – und will Bargeld sehen.<br />

Ich frage nicht einmal nach Kartenzahlung,<br />

sie wird kaum ein mobiles Kartenterminal<br />

in ihrer Weste versteckt halten. Auch einen<br />

Kassenautomat mit Kartenschlitz suche ich<br />

vergebens. Ich drücke die Münzen ab und<br />

überlege, den Selbstversuch abzubrechen.<br />

Nach einem Spaziergang an der Donau<br />

kehren wir im Kloster ein. Es gibt Haxe,<br />

Knödel und Kraut. Neben uns spachteln<br />

auch Amerikaner und Spanier. Da es<br />

so international zugeht, verlange ich selbstbewusst<br />

nach Kartenzahlung . Die Bedienung<br />

schüttelt den Kopf. Gut, dass ich<br />

am Bankautomaten war.<br />

Ganz offensiv, zumindest verbal, wird Bargeld<br />

in Italien der Kampf angesagt. „Der<br />

Kampf gegen das Bargeld ist ein wahrer<br />

Kampf der Zivilisation“ – der Spruch von<br />

Giovanni Sabatini, Generaldirektor der<br />

Bankenvereinigung ABI, ist heute schon legendär.<br />

Dafür erntete er zwar reichlich<br />

Spott. „Sabatini erzählt Quatsch, weil er<br />

verbergen will, dass die Banken an allen<br />

Zahlungen mitverdienen, nur eben am<br />

Bargeld nicht“, ätzte Komiker Beppe Grillo,<br />

ein überzeugter Bargeld-Anhänger.<br />

Aber: Bestechung und Hinterziehung<br />

sind vor allem mit Bargeld möglich. Der<br />

deutsche Staat würde jährlich 35 Milliarden<br />

Euro mehr einnehmen, wenn nach<br />

Abschaffung des Bargelds die Schattenwirtschaft<br />

eingedämmt würde. Das schätzen<br />

Forscher der Steinbeis-Hochschule.<br />

Ein Bargeldverbot würde Schwarzarbeit erschweren,<br />

aber auch Drogenhandel, Prostitution<br />

und illegales Glücksspiel.<br />

BITCOINS: DAS FESTPLATTEN-GELD<br />

Aber auch ohne Bargeld lassen sich illegale<br />

Geschäfte finanzieren – etwa mit der Digitalwährung<br />

Bitcoins. Jeder, der über rechenstarke<br />

Computer verfügt, kann Bitcoins<br />

kreieren. Mittlerweile ein aufwendiger<br />

und sehr teurer Prozess – für die Geldschöpfer<br />

ein Fulltime-Job. Bitcoins waren<br />

anfangs Zahlungsmittel für Drogen und<br />

Waffen. Heute werden sie längst auch regulär<br />

genutzt, in den USA verkaufte ein Autohaus<br />

sogar ein Tesla-Elektroauto gegen<br />

Bitcoins.<br />

Bislang wissen weder Staaten noch Notenbanken,<br />

wie sie mit der digitalen Währung<br />

umgehen sollen. Bundesbank-Vorstand<br />

Carl-Ludwig Thiele etwa hält Bitcoins<br />

für hochspekulative Finanzinstrumente,<br />

auf keinen Fall für Zahlungsmittel.<br />

Alex Werkman, IT-Berater aus Köln, lässt<br />

sich seinen Enthusiasmus nicht nehmen:<br />

„Wenn man sich ansieht, was die EZB mit<br />

dem Euro macht, wäre doch eine Ausweichwährung<br />

nicht schlecht“ – etwa bei<br />

Inflation. Werkmans Frau betreibt eine<br />

Über dem Zenit?<br />

Wert eines Bitcoins, produzierte Menge<br />

13 1000<br />

12<br />

11<br />

10<br />

9<br />

8<br />

7<br />

6<br />

5<br />

0<br />

11 12 13 14<br />

Quelle:Coindesk<br />

Anzahl<br />

in Millionen<br />

Preis in Dollar<br />

750<br />

500<br />

250<br />

Kindertagesstätte – und er hat für diese ein<br />

System eingeführt, das es Eltern erlaubt,<br />

mit Bitcoins zu zahlen. Zahlungen sind<br />

kostenfrei, Nutzer müssten nur etwas Wartezeit<br />

in Kauf nehmen. Zehn Minuten dauert<br />

eine selbst durchgeführte Bezahlaktion,<br />

schätzt Werkman. Nur wer professionelle<br />

Anbieter wie Bitpay nutzt, zahlt Gebühren<br />

für Bitcoin-Transaktionen. Dafür wandelt<br />

Bitpay Coins auch in Euro um.<br />

Alles ziemlich zukunftsträchtig – nur ist<br />

die Nachfrage vonseiten der Tagesstätten-<br />

Eltern leider null. „Kann ja noch kommen“,<br />

sagt Werkman , „ich wollte eben mal etwas<br />

anderes ausprobieren.“ Dass ihm seine im<br />

Wert stark gestiegenen Coins (siehe Chart<br />

unten) verloren gehen, fürchtet er nicht.<br />

„Ich habe sie mehrfach auf Festplatten gespeichert.“<br />

So umgeht er Probleme, wie sie<br />

Tausende Anleger mit der Bitcoin-Börse<br />

Mt.Gox hatten, die in der Insolvenz vermutlich<br />

mehrere Hundert Millionen Euro<br />

Kundengeld vernichtet hat.<br />

Resigniert setze ich mich am<br />

Abend in den ICE. Zum<br />

Abschluss will ich es aber<br />

noch mal wissen: Ein Ticket<br />

für die Fahrt mit der Frankfurter<br />

U-Bahn muss ich doch auch ohne<br />

Bargeld bekommen können, am besten als<br />

Code auf mein Handy. Dafür lade ich<br />

mir die App des Verkehrsverbunds Rhein-<br />

Main herunter. In den Nutzungsbedingungen<br />

steht, dass ich damit den Zugriff auf<br />

meinen Telefonstatus und die Telefon-ID<br />

zulasse. Eigentlich bin ich damit nicht<br />

einverstanden, aber es hilft ja nichts. Einmal<br />

installiert, wähle ich über die App eine<br />

Verbindung und tippe auf „Ticket kaufen“ –<br />

2,60 Euro. Nun bietet die App mir an, mich<br />

als Nutzer zu registrieren. Das ist mir zu<br />

aufwendig, ich lehne ab. Ich kann ja auch<br />

über die Mobilfunkrechnung bezahlen. Also<br />

tippe ich meine Handynummer ein, packe<br />

eine E-Mail-Adresse dazu und erstelle ein<br />

Passwort. Im nächsten Schritt erwarte ich<br />

dann mein Ticket. Von wegen! Ich bekomme<br />

den Hinweis, dass für die Abrechnung<br />

über mein Handy eine zusätzliche Gebühr<br />

anfällt. Wie hoch die ist, zeigt die App mir<br />

freundlicherweise nicht an. Und mir fehlt die<br />

Zeit, die Geschäftsbedingungen durchzulesen,<br />

meine Bahn fährt ein. Lust auf seitenweise<br />

Kleingedrucktes habe ich schon gar<br />

nicht. Also eile ich zum nächsten Ticketautomaten<br />

und beende mein bargeldloses Wochenende,<br />

wie es angefangen hat:indem ich<br />

Münzen aus dem Portemonnaie krame. n<br />

sebastian.kirsch@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 101<br />

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Geld&Börse<br />

Hungrig, nicht nur auf Kredite<br />

Lendico-Mitarbeiter in Berlin<br />

Bankraub erlaubt<br />

Ein Unternehmen der Samwer-Brüder vermittelt online<br />

Kredite von privat an privat. Was taugt das Modell?<br />

Inden Lofts herrscht ein Gewimmel wie<br />

auf einer Geflügelfarm von Wiesenhof.<br />

An die 100 junge Menschen sitzen dicht<br />

an dicht in langen Reihen vor ihren Laptops.<br />

Die Schreibtische bestehen großenteils<br />

aus Spanplatten, die auf Holzböcken<br />

ruhen. Einziger Schmuck der kargen Büros<br />

sind Bilder an der Wand, auf denen Butch<br />

Cassidy, John Dillinger, Robin Hood und<br />

andere legendäre Räuber zu sehen sind.<br />

Neben jedem Porträt stehen die Sätze:<br />

„Stealing money from banks will get you in<br />

jail. Making more money by cutting out<br />

banks will get you rich.”<br />

„Es ist verboten, eine Bank auszurauben,<br />

aber höchst rentierlich, den Geldhäusern<br />

die lukrativsten Geschäfte abzuknöpfen“ –<br />

so lautet, frei übersetzt, das Motto der Firma<br />

Lendico.<br />

Sie ist das jüngste Unternehmen, das die<br />

Samwer-Brüder Oliver, Marc und Alexander<br />

gegründet haben. Ebenso wie ihre Holding<br />

Rocket Internet hat Lendico seinen<br />

Sitz in einer ehemaligen Zigarettenfabrik in<br />

Berlin-Mitte. Nach Online-Auktionen<br />

(Alando), Klingeltönen (Jamba) und Mode<br />

(Zalando) wollen Deutschlands größte Internet-Unternehmer<br />

jetzt in ein neues Geschäft<br />

einsteigen: die Vermittlung von Krediten<br />

unter Privatleuten.<br />

Dort wittern die Samwers enorme Chancen.<br />

Angeblich verdienen Banken mit<br />

kaum einem Geschäft so viel Geld wie mit<br />

Konsumentenkrediten. „Hier beträgt die<br />

Zinsspanne im Durchschnitt sieben Prozent.<br />

Wir wollen dafür sorgen, dass die gewaltige<br />

Gewinnspanne zu großen Teilen an<br />

die Kreditnehmer und Kreditgeber geht“,<br />

sagt Lendico-Geschäftsführer Dominik<br />

Steinkühler. Der 33-Jährige war zuvor Investmentbanker<br />

bei Rothschild und Projektleiter<br />

bei Boston Consulting.<br />

Das Geschäftsmodell ist simpel: Kreditnehmer,<br />

die ein Auto, neue Möbel oder einen<br />

Fernseher kaufen wollen, melden sich<br />

auf der Plattform von Lendico an. Dort<br />

können dann andere Privatleute mit kleinen<br />

und kleinsten Beiträgen das beantragte<br />

Darlehen finanzieren. Lendico verspricht<br />

nichts weniger als ein kleines Finanzwunder:<br />

Die Kreditnehmer sollen weniger<br />

Zinsen zahlen als bei der Bank und<br />

die Kreditgeber höhere Renditen bekommen<br />

als auf dem Sparbuch.<br />

„P2P“ oder „Peer to Peer“ (von Gleich zu<br />

Gleich) heißt das angebliche Mirakel, an<br />

dem sich schon andere Unternehmen versucht<br />

haben. Wirklich erfolgreich war keines,<br />

viele P2P-Anbieter gaben auf, in<br />

Deutschland etwa eLolly und SOS Money.<br />

Die Kunden wollten von den Kreditbörsen<br />

wenig wissen. Bei traditionellen Banken<br />

sind die Zinsen oft deutlich niedriger als<br />

bei den Online-Börsen. Zugleich scheuen<br />

sich Privatleute hierzulande, fremden<br />

Menschen Geld zu leihen. Die Gefahr, dass<br />

Kreditnehmer nicht zahlen, ist in der Tat<br />

groß. Angesichts der hohen Ausfallwahrscheinlichkeit<br />

können die üppigen Renditen,<br />

die den Investoren in Aussicht gestellt<br />

werden, sehr schnell schrumpfen.<br />

ZWEI MILLIARDEN IM VISIER<br />

Das P2P-Konzept stammt, wie so viele Geschäftsideen<br />

der Samwers, ursprünglich<br />

aus den USA. Marktführer bei Privatkrediten<br />

ist in Amerika der Lending Club, der<br />

2013 Kredite über zwei Milliarden Dollar<br />

vergab. In ähnliche Dimensionen will auch<br />

Lendico vorstoßen, deren Hauptgesellschafter<br />

die Holding Rocket Internet ist.<br />

„Die ausstehenden Konsumentenkredite<br />

haben in Deutschland ein Volumen von<br />

insgesamt rund 200 Milliarden Euro“, sagt<br />

Steinkühler. „Davon wollen wir einen Anteil<br />

von mindestens einem Prozent.“<br />

Ein Kreditvolumen von zwei Milliarden<br />

Euro – hiervon ist Lendico aber noch weit<br />

entfernt. In den ersten vier Monaten stellte<br />

FOTOS: MATTHIAS LUEDECKE<br />

102 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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die Firma Kreditanfragen über 6,5 Millionen<br />

Euro auf ihre Plattform. Nicht viel besser<br />

schaut es bei den Konkurrenten aus, die<br />

bereits seit mehreren Jahren aktiv sind.<br />

Auxmoney, 20<strong>07</strong> in Düsseldorf gegründet,<br />

hat bislang erst Online-Kredite über 86<br />

Millionen Euro vermittelt. „Damit sind wir<br />

in Deutschland klar Marktführer“, sagt Auxmoney-Geschäftsführer<br />

Raffael Johnen.<br />

Die Gewinnzone hat die Kreditbörse trotzdem<br />

noch nicht erreicht.<br />

Die Online-Börse Smava aus Berlin hat<br />

das P2P-Modell sogar weitgehend wieder<br />

aufgegeben. Offenbar war die Nachfrage<br />

nicht groß genug. „Die Vermittlung von<br />

Krediten unter Privatleuten spielt bei uns<br />

keine tragende Rolle mehr“, sagt Geschäftsführer<br />

Alexander Artopé. Vorrang hat bei<br />

Smava jetzt die Vermittlung ganz normaler<br />

Bankkredite per Internet. „Die haben eine<br />

Kehrtwende um 180 Grad vollzogen“,<br />

höhnt ein Konkurrent.<br />

EXPANSION IN EUROPA<br />

Als würde es die Misserfolge nicht geben,<br />

treten die Samwers aufs Gaspedal. Anfang<br />

Dezember startete das deutsche Lendico-<br />

Portal. Am 10. Februar ging die Plattform<br />

für Spanien live. Im März folgten Kreditbörsen<br />

für Österreich und Polen. „Wir wollen<br />

in weitere europäische Länder expandieren“,<br />

sagt Geschäftsführer Steinkühler.<br />

Derzeit vermittelt Lendico Konsumentenkredite<br />

von 1000 bis 25 000 Euro; es wird<br />

daran gedacht, künftig auch Baugeld und<br />

Autofinanzierungen anzubieten.<br />

Ende März startete außerdem Zencap,<br />

ein Portal zur Finanzierung von Kleinunternehmen.<br />

Was will die Samwer-Firma<br />

besser machen als die glücklosen Konkurrenten?<br />

„Wir prüfen die Bonität der Kreditnehmer<br />

sorgfältiger als die Mitbewerber“,<br />

versichert Steinkühler. „Mehr als 90 Prozent<br />

der Kreditanträge haben wir bisher<br />

abgelehnt.“ Doch auch bei Auxmoney<br />

scheitern 80 Prozent der Antragsteller bei<br />

der Bonitätsprüfung. Wer bei seiner Sparkasse<br />

kein Geld mehr bekommt, darf sich<br />

kaum Hoffnungen machen, dass Lendico<br />

ihm aus der Patsche hilft.<br />

Interessenten für einen Kredit stellen<br />

ihre Projekte online kurz vor, die Palette<br />

reicht aktuell von „Umschuldung vor der<br />

Hochzeit“ (12 000 Euro zu 13,88 Prozent)<br />

bis „Dachrenovierung“ (18 000 Euro zu<br />

5,87 Prozent). Investoren können für die<br />

Projekte sogar Kleckerbeträge in 25-Euro-<br />

Tranchen verleihen.<br />

Lendico ist nicht immer billig. Die effektiven<br />

Zinsen betragen, je nach Bonität des<br />

Kreditnehmers, zwischen 2,99 und 15,91<br />

Prozent. Traditionelle Banken offerieren<br />

im Internet Konsumentenkredite oft schon<br />

für weniger als zwei Prozent. „Online-<br />

Bankkredite bieten im Schnitt günstigere<br />

Zinsen und auch ein breiteres Produktangebot<br />

als reine P2P-Kredite“, sagt Smava-<br />

Chef Artopé. Genau aus diesem Grund sei<br />

die Kreditbörse auf die Vermittlung klassischer<br />

Bankdarlehen umgeschwenkt. „Wir<br />

sind nie die teuersten, aber auch nicht immer<br />

die günstigsten Anbieter“, räumt Lendico-Chef<br />

Steinkühler ein.<br />

Wer bei der Online-Börse einen Kredit<br />

beantragt, muss sich von Lendico genauso<br />

durchleuchten lassen wie ein Bankkunde:<br />

Für die letzten drei Monate sind Gehaltsnachweise<br />

und Kontoauszüge beizubringen.<br />

Eine Schufa-Auskunft ist ohnehin obligatorisch.<br />

„In unsere Bonitäts-Scores gehen<br />

weitere Informationen ein. Wir fragen<br />

beispielsweise bei der Post nach, wie oft<br />

»Gut 90 Prozent<br />

der Anträge<br />

auf Kredit wurden<br />

abgelehnt«<br />

Lendico-Chef Steinkühler<br />

Alex im Rücken Lendico-Chef und<br />

-Mitgründer Steinkühler<br />

ein Kreditnehmer seine Adresse gewechselt<br />

hat“, sagt Steinkühler.<br />

Die Kunden, die nach der Prüfung akzeptiert<br />

werden, teilt Lendico in fünf Gruppen<br />

ein. Klasse A enthält die Schuldner mit<br />

der besten Bonität, Klasse E jene mit der<br />

schlechtesten. Hier beträgt die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass ein Schuldner bereits<br />

im ersten Jahr zahlungsunfähig wird, laut<br />

Lendico acht bis zwölf Prozent. Diesem hohen<br />

Risiko entsprechen die in Aussicht gestellten<br />

Renditen kaum, die in Klasse E derzeit<br />

über zwei Jahre 11,81 bis 14,97 Prozent<br />

betragen – inklusive eines noch bis Ende<br />

Juni geltenden Werbebonus von zwei Prozentpunkten.<br />

Rechnet man in einer Durchschnittsbetrachtung<br />

die Ausfallquoten mit<br />

ein, kann die jährliche Rendite für Kreditgeber<br />

auf Werte um zwei Prozent sinken.<br />

Generell müssen Kreditgeber bei einer<br />

Insolvenz befürchten, ihr gesamtes Geld zu<br />

verlieren. Denn besicherte Darlehen werden<br />

bei Lendico nicht vermittelt. Zudem<br />

unterliegt die Plattform keiner Kontrolle<br />

durch die Finanzmarktaufsicht BaFin: Lendico<br />

ist rein rechtlich gesehen keine Bank,<br />

sondern ein Kreditvermittler. Die Online-<br />

Börse muss daher auch kein Eigenkapital<br />

zur Deckung von Kreditrisiken vorhalten.<br />

Macht ein Schuldner Bankrott, springt keine<br />

Einlagensicherung ein – die Gläubiger<br />

stehen allein im Regen.<br />

HAPPIGE GEBÜHREN<br />

Dafür müssen sie, eher branchenunüblich,<br />

Gebühren zahlen, sobald die Kredite zurückgezahlt<br />

werden. Von jeder Rate an die<br />

Kreditgeber behält Lendico ein Prozent zur<br />

Deckung seiner Kosten ein. Auch bei den<br />

Schuldnern langt die Online-Börse zu. Sie<br />

müssen, je nach Bonität und Laufzeit der<br />

Kredite, Einmal-Gebühren von 0,5 bis 4,5<br />

Prozent berappen. Das werden bei einem<br />

größeren Darlehen schon mal annähernd<br />

vierstellige Summen. Mit dem Versprechen,<br />

die Zinsmarge zwischen Schuldner<br />

und Gläubiger aufzuteilen, ist es mithin<br />

nicht weit her – auch Lendico kommt auf<br />

üppige Spannen, so wie klassische Banken.<br />

Einen großen Unterschied gibt es freilich:<br />

Banken, Sparkassen und Volksbanken tragen<br />

in voller Höhe die Risiken, wenn ein<br />

Kreditnehmer sein Darlehen nicht zurückzahlt.<br />

Das Gesetz zwingt die Banken, Rückstellungen<br />

zu bilden, die aus dem Zinsüberschuss<br />

finanziert werden. Lendico aber<br />

wälzt das Ausfallrisiko auf die Kreditgeber<br />

ab – will also verdienen wie eine Bank, ohne<br />

deren Risiken zu übernehmen.<br />

n<br />

günter heismann | geld@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 103<br />

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Geld&Börse<br />

Fluch der Karibik<br />

FAIRVESTA | Anleger haben der Immobilienfondsgesellschaft Fairvesta 866 Millionen Euro<br />

anvertraut. Sie hoffen auf zweistellige Renditen. Doch die Zweifel am Geschäftsmodell wachsen.<br />

Otmar Knoll, Handlungsbevollmächtigter<br />

und starker Mann beim Immobilienfondsanbieter<br />

Fairvesta,<br />

gab sich bestürzt. Ein Finanzportal von<br />

zweifelhaftem Ruf hatte einen Wettbewerber<br />

angeschossen. Sogar Betrug wurde<br />

dem Konkurrenten aus Kassel vorgeworfen<br />

– wie kann man nur. Er könne „keine Schadenfreude<br />

über die negativen Beiträge“<br />

empfinden, schrieb Knoll an seine Vertriebsmannschaft.<br />

„Wir wünschen uns unmissverständlich<br />

Frieden mit allen Mitbewerbern.“<br />

Und natürlich steckten weder er<br />

selbst noch Fairvesta hinter den bösen Online-Artikeln<br />

über die liebe Konkurrenz.<br />

Die Szene ist typisch für Knoll, der sich<br />

gern als friedliebenden und ehrlichen Geschäftsmann<br />

inszeniert. Sein Vertrauter<br />

Dieter Müller* konnte es kaum fassen.<br />

* Name von der Redaktion geändert<br />

„Manchmal frage ich mich, wieso du kein<br />

Politiker geworden bist. Die schaffen es<br />

nicht, so viel Geflunker in nur einem Satz<br />

unterzubringen“, schrieb er an Knoll.<br />

Müller muss es wissen. Offenbar hatte er<br />

mit Knolls Wissen einen Plan ausgeheckt,<br />

um dem Kasseler Konkurrenten zu schaden.<br />

Knoll-Freund Müller gab sich als Vertriebspartner<br />

der Kasseler aus und erstattete<br />

anonym Anzeige gegen deren Vorstände.<br />

Darin heißt es: Er und Kollegen würden<br />

angehalten, „riskante Geldanlagen ohne<br />

die gesetzlich vorgeschriebenen Risikohinweise<br />

an unbedarfte, normale Menschen<br />

zu verkaufen“. Mit dem frisch eingezahlten<br />

Geld der Anleger würden Alt-Anleger ausgezahlt.<br />

„Dem Internet entnehme ich, dass<br />

man so was als Schneeballsystem bezeichnet“,<br />

schrieb Müller betont naiv.<br />

„Schneeballsystem“ – das ist auf dem<br />

grauen Kapitalmarkt, auf dem sich die Kasseler<br />

und Fairvesta tummeln, das unaussprechliche<br />

S-Wort, der härteste Vorwurf.<br />

Wer ein Schneeballsystem betreibt, dessen<br />

Fonds schaffen es nicht, die versprochenen<br />

Beträge mit Immobilien oder Schiffen zu<br />

erwirtschaften. Er muss neue Anleger anwerben<br />

und mit deren Geld alte Kunden<br />

bedienen – bis das Modell auffliegt.<br />

SIMPLES GESCHÄFTSMODELL<br />

Knoll hat das Treiben seines Vertrauten gekannt:<br />

„Hallo Otmar“, schrieb Müller im<br />

August 2009 an Knoll „es ist vollbracht. Anliegend<br />

erhältst du den Finalentwurf für<br />

die Strafanzeige.“ Änderungswünsche erbat<br />

Müller „in einer anderen Farbe“. „Es ist<br />

jetzt deine Entscheidung ob und wann<br />

Feuer frei.“ Damit konfrontiert, sagen Müller<br />

und Knoll heute, Knoll habe die Anzeige<br />

weder beauftragt noch bearbeitet. Knoll<br />

habe ihn wissen lassen, sagt Müller, „dass<br />

FOTO: PR<br />

1<strong>04</strong> Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Pirmasens,<br />

Lemberger Straße<br />

Miete:<br />

60 000 Euro oder<br />

154 000 Euro?<br />

Kaufpreis:<br />

270 000 Euro oder<br />

725 000 Euro?<br />

Wert:<br />

1,5 Mio. Euro oder<br />

2,2 Mio. Euro?<br />

– Miete laut Pressekonferenz im Dezember<br />

2013: 60 000 Euro, laut Info an den Käufer<br />

im Juni 2012: 154 000 Euro<br />

– Kaufpreis laut Pressekonferenz im<br />

Dezember 2013: 270 000 Euro, laut Fondsgeschäftsberichten:<br />

725 000 Euro<br />

– Wert laut Fondsgeschäftsberichten:<br />

1,5 Millionen Euro, laut Info an den Käufer<br />

im Juni 2012: 2,2 Millionen Euro<br />

er sich nicht an sowas beteiligen wolle“.<br />

Fakt ist: Die Staatsanwaltschaft ermittelte<br />

später gegen Knolls Kasseler Konkurrenten,<br />

stellte das Verfahren aber ein.<br />

Solche Aktionen werfen kein gutes Licht<br />

auf die Branche. Die Fairvesta-Gruppe mit<br />

Sitz in Tübingen hat bei Anlegern 866 Millionen<br />

Euro eingesammelt. Das Geschäftsmodell<br />

ist simpel: Fairvesta will Immobilien<br />

billig einkaufen und sie nach kurzer<br />

Zeit mit hohem Gewinn weiterveräußern.<br />

Im Schnitt, so gibt Fairvesta an, sollen mit<br />

derlei Geschäften jährlich zweistellige<br />

Renditen erwirtschaftet werden.<br />

Diese Renditen existieren bislang zum<br />

Großteil aber nur auf dem Papier. Der<br />

Grund: Fairvesta kauft Immobilien zu Preisen<br />

unter dem Verkehrswert. Der Verkehrswert<br />

ist der Preis, der sich gewöhnlich für<br />

ein Haus in der Lage und mit der Ausstattung<br />

beim Verkauf erzielen lässt. Wurde eine<br />

Immobilie unter Verkehrswert gekauft,<br />

setzt Fairvesta diese zur Renditeberechnung<br />

der Fonds aber zum Verkehrswert an.<br />

Auf dem Papier entsteht so ein Gewinn.<br />

Warum aber bekommt Fairvesta Häuser<br />

unter Verkehrswert? Angeblich profitiert<br />

man von Sondersituationen: Verkäufe aus<br />

Geldmangel, unter Zeitdruck, bei Zwangsversteigerungen.<br />

Solche ungewöhnlichen<br />

Verhältnisse drücken den Preis, nicht aber<br />

den Verkehrswert. Für Anleger zahlt sich<br />

der Papier-Gewinn aber nur in klingender<br />

Münze aus, wenn es Fairvesta später gelingt,<br />

die Immobilien mit Aufschlag, möglichst<br />

zum Verkehrswert, zu verkaufen.<br />

Dass das in der Realität stets klappt, ist<br />

zweifelhaft. So hat Knoll mehrfach widersprüchliche<br />

Angaben zur Anzahl der von<br />

Fairvesta weiterverkauften Objekte gemacht<br />

(WirtschaftsWoche 42/2013) und<br />

damit an Glaubwürdigkeit eingebüßt.<br />

Derlei Kritik wischt Knoll mit dem Argument<br />

<strong>vom</strong> Tisch, dass er doch mit seinem<br />

Fonds Fairvesta 2 bewiesen habe, dass sein<br />

Geschäftsmodell funktioniere: Der Fonds<br />

wurde 2011 aufgelöst. Anleger bekamen<br />

ihr Kapital nebst stolzen 12,4 Prozent Rendite<br />

pro Jahr. Die zum Schluss noch dem<br />

Fonds gehörenden sechs Immobilien mit<br />

angeblich 15,3 Millionen Euro Verkehrswert<br />

will Knoll sogar über Verkehrswert an<br />

einen „ausländischen Investor“ verkauft<br />

haben. Der Verdacht, die Fondsanleger seien<br />

aus anderen Quellen – Achtung, S-Wort<br />

– bedient worden, wäre so ausgeräumt.<br />

Den Namen des ausländischen Investors,<br />

so Knoll 2013, dürfe er nicht nennen.<br />

Der Verkauf der sechs Immobilien erfolgte<br />

auch nicht direkt, sondern über eine Verbriefung.<br />

Folge: Der 2011 eigentlich aufgelöste<br />

Fonds Fairvesta 2 steht weiter als Eigentümer<br />

der Immobilien im Grundbuch.<br />

Doch Recherchen der WirtschaftsWoche<br />

legen den Verdacht nahe, dass auch diese<br />

Angaben nicht stimmen.<br />

n So hat der ausländische Investor, der als<br />

Käufer der sechs Immobilien mit einem<br />

Verkehrswert von 15,3 Millionen Euro genannt<br />

wird, offenbar nur 2,1 Millionen Euro<br />

selbst zur Verfügung gestellt.<br />

n Zusätzlich nahm der ausländische Investor<br />

für den Immobilienkauf einen Kredit<br />

auf. Es gibt Indizien dafür, dass bei diesem<br />

Kredit auch Gelder von Fairvesta-Anlegern<br />

im Spiel waren. Fairvesta-Handlungsbevollmächtigter<br />

Knoll bestreitet jede<br />

interne Verschiebung von Anlegergeldern.<br />

n Selbst die Summe aus 2,1 Millionen Euro<br />

Investment und dem Kredit reicht nicht für<br />

den von Fairvesta genannten Verkaufspreis<br />

der sechs Immobilien. Woher der Rest<br />

kam, ist unklar. Eventuell gab es weitere Investoren.<br />

So ist in einer anwaltlichen Stellungnahme<br />

von Fairvesta plötzlich von<br />

mehreren „ausländischen Investoren“ die<br />

Rede. Ansonsten wollten Fairvesta und<br />

Knoll gestellte Fragen nicht beantworten.<br />

Knoll hatte den Verkauf der sechs Immobilien<br />

des Fairvesta 2 an den bisher genannten<br />

„ausländischen Investor“ als Beweis<br />

für ein funktionierendes Geschäftsmodell<br />

gewertet. Doch dieser Beweis<br />

wankt massiv.<br />

FONDS AUS DEM STEUERPARADIES<br />

Ein Geheimnis, immerhin, ist gelüftet:<br />

Hinter Knolls ominösem „ausländischem<br />

Investor“ verbergen sich ein auf den Britischen<br />

Jungferninseln in der Karibik beheimateter<br />

Fonds und eine Liechtensteiner<br />

Gesellschaft, die zwischen den Karibik-<br />

Fonds und den Immobilienverkäufer Fairvesta<br />

2 geschaltet wurde.<br />

Die Liechtensteiner Gesellschaft heißt<br />

REOPP Real Estate Opportunity Private<br />

Placement und residiert in einem Gewerbegebiet<br />

am Ortsausgang von Vaduz. Ihre<br />

Führung steht Fairvesta nahe: So gehörten<br />

die REOPP-Chefs laut Wertpapierprospekt<br />

auch zur Leitung der Fairvesta Europe,<br />

über die Fairvesta Anleihen ausgegeben<br />

hat. REOPP ist laut eigenem Geschäftsbericht<br />

aber nur „das Investmentvehikel eines<br />

Fonds“ – des Karibik-Fonds. Dieser Karibik-Fonds<br />

gehört tatsächlich nicht zu<br />

Fairvesta. So weit passt die Darstellung also<br />

zu dem, was Fairvesta stets behauptet hat.<br />

Doch was der von der WirtschaftsWoche<br />

aufgespürte Manager des bislang geheim<br />

gehaltenen Karibik-Fonds sonst berichtet,<br />

deckt sich nicht mit Fairvestas Angaben. So<br />

investierte der Karibik-Fonds zum einen<br />

deutlich weniger, als zur Auflösung von<br />

Fairvesta 2 nötig war. Zum anderen steckte<br />

er erst im Mai 2012 Geld in REOPP, fast ein<br />

Jahr, nachdem Fairvesta 2 angeblich aufgelöst,<br />

die Immobilien verkauft und Anleger<br />

ausgezahlt worden waren. Mit welchem<br />

Geld aber?<br />

Er habe nach der 2,1-Millionen-Investition<br />

in REOPP von Fairvesta eine Liste mit<br />

sechs Immobilien erhalten, die REOPP angeblich<br />

von dem Geld und dem aufgenommenen<br />

Kredit gekauft habe, sagt der Karibik-Fondsmanager.<br />

Größtenteils sind das<br />

wohl die Objekte, die vorher dem Fonds<br />

Fairvesta 2 und damit den ausgezahlten<br />

Anlegern gehörten. Die Immobilien stehen<br />

jedenfalls in jenen Orten, in denen auch<br />

Fairvesta 2 Immobilien besaß.<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 105<br />

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Geld&Börse<br />

»<br />

Bei vier der sechs Immobilien (Pirmasens,<br />

Mühlhausen, Ansbach und Chemnitz)<br />

stimmen die Daten auf der dem Karibik-Fondsmanager<br />

übergebenen Liste mit<br />

den Fairvesta-Angaben zu den Objekten<br />

des Fonds Fairvesta 2 überein: gleiche Straßen<br />

und passende Quadratmeterzahlen.<br />

Bei den beiden anderen Standorten (Leipzig<br />

und Schwerin) passen die Angaben zumindest<br />

auf einen Teil der von Fairvesta 2<br />

gehaltenen Komplexe. Wo der Rest gelandet<br />

ist, ist unbekannt.<br />

MYSTERIÖSE KREDITE<br />

Neue Hinweise auf interne Verschiebungen<br />

von Anlegergeldern, die Fairvesta weiter<br />

bestreitet, liefert der zum Kauf der sechs<br />

Immobilien aufgenommene Kredit. Der<br />

Karibik-Fonds wollte nach Aussage des<br />

Fondsmanagers, dass REOPP Bankkredite<br />

aufnimmt. So sollten mit anfangs 2,1 Millionen<br />

Euro Kapital des Karibik-Fonds Immobilien<br />

höheren Wertes gekauft werden.<br />

Tatsächlich nahm REOPP laut Geschäftsbericht<br />

2012 auch einen Kredit auf.<br />

Woher dieser Kredit stammt, ist unklar.<br />

Einige Indizien legen den Verdacht nahe,<br />

dass dieser aus den von Fairvesta aufgelegten<br />

und an Privatanleger vertickten Maximus-Anleihen<br />

stammen könnte. So heißt<br />

es im REOPP-Geschäftsbericht 2012, dass<br />

der aufgenommene Kredit „durch erstrangige<br />

Briefgrundschulden auf ein Immobilienportfolio<br />

im Verkehrswert von 9,005<br />

Millionen Euro abgesichert“ sei. Auf gut<br />

Deutsch: REOPP hat seinem Kreditgeber<br />

Immobilien mit diesem Gegenwert als<br />

Kreditsicherheit gestellt. Im Geschäftsbericht<br />

2012 der Fairvesta Europe, die die Maximus-Anleihen<br />

begeben hat, taucht nun<br />

ein vergebener Kredit auf, dem Sicherheiten<br />

mit demselben Verkehrswert – 9,005<br />

Millionen Euro – gegenüberstehen sollen.<br />

Dass es sich hierbei trotz gleicher Werte<br />

um verschiedene Portfolios handelt, ist<br />

sehr unwahrscheinlich. Zur Erinnerung:<br />

Geschäftsführer der REOPP, die einen Kredit<br />

aufgenommen hat (und Immobilien für<br />

9,005 Millionen Euro als Sicherheit gestellt<br />

hat), zählten zumindest früher auch zur<br />

Führung der Fairvesta Europe, die einen<br />

Kredit vergeben hat (dem Sicherheiten für<br />

9,005 Millionen Euro gegenüberstehen).<br />

Wenn es sich um dieselben Immobilien<br />

handelt, wäre das für die Anleger ein brisantes<br />

Detail: Denn damit wäre letztlich<br />

Geld aus den an Privatanleger verkauften<br />

Maximus-Anleihen für den Kauf von Immobilien<br />

aus dem Fonds Fairvesta 2 genutzt<br />

worden. Der Fonds Fairvesta 2 wäre<br />

Der Karibik-<br />

Fonds fordert<br />

2,1 Millionen<br />

Euro zurück<br />

damit ein Beleg dafür, dass das Fairvesta-<br />

Geschäftsmodell nicht funktioniert. Denn<br />

wären die Immobilien tatsächlich so großartig,<br />

wie Knoll behauptet, wären solche<br />

Quersubventionierungen kaum nötig.<br />

Starker Mann Handlungsbevollmächtigter<br />

Knoll hat sich mehrfach widersprochen<br />

VERQUERE VERKEHRSWERTE<br />

Die Liste der sechs Immobilien, die Fairvesta<br />

dem Karibik-Fondsmanager 2012<br />

übergab, liegt der WirtschaftsWoche vor.<br />

Was Anleger misstrauisch machen dürfte:<br />

Laut Liste soll REOPP und damit letztlich<br />

der Karibik-Fonds die Immobilien zu 67<br />

Prozent des Verkehrswertes gekauft haben.<br />

Bei der Auflösung von Fairvesta 2 hieß es<br />

gegenüber den Anlegern noch, die Fairvesta-2-Immobilien<br />

seien zu über 100 Prozent<br />

des Verkehrswerts verkauft worden.<br />

Weil Fairvesta dem Karibik-Fondsmanager<br />

auf einmal viel höhere Verkehrswerte<br />

nannte, glaubte dieser an ein gutes Geschäft.<br />

Die Wertsprünge aber lassen daran<br />

zweifeln, wie viel Aussagekraft die von Fairvesta<br />

angegebenen Verkehrswerte haben.<br />

Für die Fondsanleger der 13 noch aktiven<br />

Immobilienfonds dürfte diese Frage nicht<br />

unbedeutend sein. Ob ihr Fonds in den roten<br />

oder in den schwarzen Zahlen steckt,<br />

hängt stark von den Verkehrswerten der in<br />

ihren Fonds enthaltenen Immobilien ab.<br />

Die Zahlen auf der Liste werfen jedenfalls<br />

weitere Fragen auf:<br />

n Der Wert der Chemnitzer Immobilie<br />

wurde nach dem Verkauf durch Fairvesta 2<br />

an REOPP mit 1,1 Millionen Euro angegeben.<br />

Ein Jahr zuvor hatte Fairvesta gegenüber<br />

den Fairvesta-2-Anlegern noch von<br />

815 000 Euro gesprochen. Wenn die Immobilie<br />

so viel wertvoller geworden ist, stellt<br />

sich die Frage, warum sie aktuell für<br />

713 000 Euro angeboten wird.<br />

n Das Objekt in Mühlhausen bei Augsburg<br />

soll 2,2 Millionen wert sein, wurde aber im<br />

Herbst 2013 von einem Makler für 1,7 Millionen<br />

Euro zum Kauf angeboten.<br />

n Ein Leipziger Bürogebäude, das früher<br />

Fairvesta 2 gehörte, ist 2012 erneut weiterverkauft<br />

worden. Der Preis ist unklar. Der<br />

Geschäftsbericht des Käufers, eine kurz<br />

vorher gegründete Leipziger Gesellschaft,<br />

weist Sachanlagen – dazu zählen Immobilien<br />

– von 530 000 Euro aus. Es ist naheliegend,<br />

dass es sich um den Immobilienkaufpreis<br />

handelt. Die Leipziger Gesellschaft<br />

will sich dazu nicht äußern. Sollte<br />

der Kaufpreis 530 000 Euro betragen, würde<br />

auch das auf weit hergeholte Verkehrswerte<br />

hindeuten. Gegenüber dem Karibik-<br />

Fonds wurden nämlich 1,2 Millionen Euro<br />

Verkehrswert genannt.<br />

n Weitere Hinweise darauf, dass die von<br />

Fairvesta publizierten Zahlen nicht unbedingt<br />

der Realität entsprechen, bietet ein<br />

Wohn- und Geschäftshaus in Pirmasens.<br />

Auf der Liste, die dem Karibik-Fonds zur<br />

Verfügung gestellt wurde, wird behauptet,<br />

die Mieteinnahmen betrügen 154 000 Euro<br />

pro Jahr. In einer Kundeninfo nannte Fairvesta<br />

2012 dagegen 83 000 Euro Miete. Bei<br />

einer Pressekonferenz im Dezember 2013<br />

sprach Knoll von 60 000 Euro. Auch zum<br />

früheren Kaufpreis machte Fairvesta widersprüchliche<br />

Angaben (siehe Seite 105).<br />

Dass Fairvesta derart mit Verkehrswerten,<br />

Mieteinnahmen und Kaufpreisen jongliert,<br />

ist ein Alarmsignal für Anleger. Sie<br />

müssen sich fragen, ob sie sich darauf verlassen<br />

können, ihre zweistelligen Traumrenditen<br />

auch tatsächlich zu erhalten.<br />

Privatanleger haben Fairvesta noch im<br />

vergangenen Jahr 177 Millionen Euro neu<br />

anvertraut. Der Karibik-Fonds aber hat sein<br />

Vertrauen verloren. Er fordert die 2,1 Millionen<br />

Euro zurück und will das Kapitel Fairvesta<br />

dann schleunigst beenden. Ob ihm<br />

das gelingt, ist aber mehr als fraglich. n<br />

niklas.hoyer@wiwo.de, melanie bergermann I Frankfurt<br />

FOTO: DIRK HASSKARL/HASSKARL.DE<br />

106 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse | Steuern und Recht<br />

DIENSTWAGEN<br />

Keine Steuer<br />

auf Verdacht<br />

BERATERHAFTUNG<br />

Wer zu spät klagt, zahlt<br />

Wann Anwälte und Steuerberater für Fehler haften müssen<br />

Uli Hoeneß hätte sich mit einer wirksamen<br />

Selbstanzeige eine Haftstraße erspart. Grundsätzlich<br />

können Steuersünder ihren Anwalt oder<br />

Steuerberater wegen einer mangelhaften Selbstanzeige<br />

nur unter bestimmten Umständen haftbar<br />

machen. „Es reicht nicht, dem Berater einen<br />

Fehler nachzuweisen, der Mandant muss auch<br />

den wirtschaftlichen Schaden belegen können“,<br />

sagt Stefan Hiebl, Partner der Kanzlei Eimer Heuschmid<br />

Mehle in Bonn. Auch wenn die Selbstanzeige<br />

wirksam sei, müsse der Steuersünder die<br />

Steuerschuld plus Verzugszinsen und Strafzuschlag<br />

zahlen. Allerdings könne der Mandant<br />

den Anwalt beispielsweise für Anwalts- und Gerichtskosten<br />

haftbar machen, die bei einer wirksamen<br />

Selbstanzeige nicht angefallen wären.<br />

Auch bei der allgemeinen Steuerberatung können<br />

Berater haftbar gemacht werden. Beispiel:<br />

Der Berater konstruiert ein Steuermodell, das für<br />

den Steuerzahler nachteilig ist. Der Mandant hat,<br />

nachdem er den Fehler bemerkt hat, drei Jahre<br />

Zeit, auf Schadensersatz zu klagen. Gleiches gilt<br />

für Fälle, in denen es um Kapitalanlagen geht<br />

und der Anwalt etwa zu spät geklagt hat. „Auch<br />

wenn Anwälte strategische Fehler machen, kann<br />

dies zu Schadensersatzansprüchen führen“, sagt<br />

Anwalt Hiebl. Derzeit streitet sich die Deutsche<br />

Bank mit der Kanzlei Hengeler Müller. Die Anwälte,<br />

so die Bank, hätten geraten, den Medienunternehmer<br />

Leo Kirch wegen seiner Pleite nicht<br />

zu entschädigen. Der spätere Vergleich mit<br />

Kirchs Erben sei für die Bank teurer gewesen.<br />

Ein Arbeitnehmer war im Unternehmen<br />

seines Vaters angestellt.<br />

Als Dienstwagen stellte<br />

ihm das Unternehmen einen<br />

Audi A6 zur Verfügung. Laut einer<br />

schriftlichen Vereinbarung<br />

durfte er das Auto nicht zu privaten<br />

Zwecken verwenden.<br />

Nach einer Steuerprüfung des<br />

Finanzamts sollte sein Arbeitgeber<br />

dennoch die private Nutzung<br />

des Dienstwagens als<br />

geldwerten Vorteil versteuern.<br />

Das Finanzamt rechtfertigte<br />

dies damit, dass der Arbeitgeber,<br />

in diesem Fall der Vater,<br />

nicht habe ausschließen können,<br />

dass sein Sohn den A6 für<br />

private Fahrten genutzt habe.<br />

Allein die herausgehobene Stellung<br />

als künftiger Geschäftsführer<br />

des Unternehmens habe es<br />

dem Steuerzahler ermöglicht,<br />

den Dienstwagen privat zu nutzen,<br />

argumentierte das Finanzgericht<br />

in der ersten Instanz.<br />

Der Bundesfinanzhof stellte<br />

sich jedoch auf die Seite des<br />

Unternehmersohns (VI R<br />

25/13). Allein die Vermutung,<br />

dass der Steuerzahler trotz<br />

schriftlichen Verbots den<br />

Dienstwagen privat nutzen<br />

könnte, reiche für eine Steuerpflicht<br />

nicht aus. Das Finanzgericht<br />

müsse den Fall noch einmal<br />

prüfen und erneut<br />

entscheiden.<br />

RECHT EINFACH | Möbelhaus<br />

Im Frühling wird neu eingerichtet.<br />

Nicht jedes Möbelstück hält,<br />

was es verspricht. Nach dem Einkauf<br />

wird oft direkt prozessiert.<br />

§<br />

Fleckenschutz. Ein Rheinländer<br />

kaufte sich eine<br />

hellbeige Polstergarnitur.<br />

Wegen der empfindlichen<br />

Farbe warb das Möbelcenter mit<br />

einer „5-jährigen Fleckenimprägnierung“.<br />

Der angebliche Fleckenschutz<br />

hielt nicht einmal zwei Monate.<br />

Dunkle Jeans hinterließen<br />

Spuren. Der Käufer verlangte die<br />

7700 Euro Kaufpreis zurück. Vom<br />

Gericht bekam er 7000 Euro. Der<br />

versprochene Fleckenschutz sei bei<br />

dem Material und der Farbe gar<br />

nicht möglich gewesen. 700 Euro<br />

zogen die Juristen für die bisherige<br />

Nutzungszeit ab (Oberlandesgericht<br />

Köln, 6 U 109/<strong>04</strong>).<br />

Domino. Eine Konstanzerin wollte<br />

in einem Möbelhaus einen Bilderrahmen<br />

kaufen. Als die Kundin aus<br />

einem Regal einen Rahmen herauszog,<br />

löste sie eine Dominowelle aus:<br />

Die Rahmen kippten und begruben<br />

die Kundin unter sich. Schadensersatz<br />

und Schmerzensgeld wollte<br />

das Geschäft nicht leisten. Begründung:<br />

Das Rahmenopfer hätte<br />

ja einen Mitarbeiter um Hilfe<br />

bitten können. Vor Gericht bekam<br />

die Geschädigte recht. Verkaufsflächen,<br />

so die Richter, müssten<br />

für Käufer gefahrlos sein (Landgericht<br />

Konstanz, 6 O 197/12 B).<br />

Unikat. „Totalräumungsverkauf<br />

wegen Umbau – Alles muss raus“.<br />

Mit diesem Slogan warb ein<br />

Möbelhaus in einer Anzeige. Als<br />

Blickfang diente eine Einbauküche<br />

für 1998 Euro. Es handelte<br />

sich dabei jedoch um ein Einzelstück,<br />

das schon zu Beginn der<br />

Werbeaktion vergriffen war. Gegen<br />

den Anbieter der Küche klagte ein<br />

anderes Möbelhaus. „Irreführende<br />

Werbung“, urteilten die Richter<br />

und untersagten die umstrittene<br />

Werbeaktion (Oberlandesgericht<br />

Oldenburg, 1 U 121/05).<br />

FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/DPA/CHARISIUS, DDP IMAGES, PR<br />

108 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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QUELLENSTEUER<br />

Weniger zahlen für Auslandsdividenden<br />

Ein Ehepaar hatte 20<strong>07</strong> Kapitaleinkünfte<br />

von 78 203 Euro. Davon<br />

waren 24 111 Euro Dividenden<br />

auf ausländische Aktien.<br />

Die im Ausland gezahlte Steuer<br />

auf Dividenden wurde auf die<br />

deutsche Einkommensteuer<br />

angerechnet. Die beiden Anleger<br />

waren jedoch nicht damit<br />

einverstanden, auf welche Art<br />

und Weise das Finanzamt die<br />

ausländische Steuer angerechnet<br />

hatte. Ihrer Meinung nach<br />

hätte die ausländische Quellensteuer<br />

auf das zu versteuernde<br />

Einkommen und nicht auf die<br />

Summe der Einkünfte angerechnet<br />

werden müssen. Beim<br />

zu versteuernden Einkommen<br />

ASBEST IN MIETWOHNUNGEN<br />

Eigentümer haftet nicht<br />

SCHNELLGERICHT<br />

GELD FÜR LAHMEN GAUL<br />

§<br />

Der Besitzer eines Dressurpferds ließ das Tier auf<br />

Anraten des Tierarztes operieren. Nach der Operation<br />

lahmte das Pferd, obendrein stellte sich der<br />

Eingriff als unnötig heraus. Der Tierarzt musste dem<br />

Besitzer 60 000 Euro Schadensersatz zahlen (Oberlandesgericht<br />

Hamm, 26 U 3/11). Der Arzt habe ohne<br />

ausreichende Diagnose operiert und den Besitzer des<br />

Dressurpferds nicht ausreichend über die Risiken des<br />

Eingriffs informiert, so die Richter.<br />

BETRÜGER DÜRFEN GENANNT WERDEN<br />

§<br />

Ärzte, die schwere Verfehlungen begangen haben,<br />

beispielsweise Abrechnungen für Privatpatienten<br />

gemacht haben, die gar nicht in der Praxis waren,<br />

sind bereits Freibeträge und außergewöhnliche<br />

Belastungen<br />

abgezogen. Unter dem Strich<br />

wäre die Einkommensteuer für<br />

das Ehepaar mit dieser Rechenmethode<br />

spürbar geringer. Zusätzlich,<br />

so die Steuerzahler,<br />

hätte das Finanzamt den Betrag,<br />

um den die ausländische<br />

Quellensteuer höher ist als die<br />

deutsche, bei der Berechnung<br />

der Einkommensteuer berücksichtigen<br />

müssen. Der Bundesfinanzhof<br />

folgte teilweise den<br />

Argumenten des Ehepaars (I R<br />

71/10). Das Finanzamt müsse<br />

die Einkommensteuer zugunsten<br />

der Anleger neu berechnen.<br />

Die im Ausland anfallende<br />

Eine Familie wohnte von 1998<br />

bis 2008 in einer Mietwohnung.<br />

Der Fußboden bestand bei Einzug<br />

aus Vinylplatten. Später verlegte<br />

der Vater der Familie Teppich<br />

über die Vinylplatten. 2005<br />

löste sich der Teppich an einigen<br />

Stellen von den Vinylplatten.<br />

Als der Mieter den Schaden<br />

begutachtete, stellte er fest, dass<br />

einige Vinylplatten beschädigt<br />

waren. Der Eigentümer ließ die<br />

Platten erneuern. Erst 2006 erfuhr<br />

der Mieter, dass die Platten<br />

unterhalb des Teppichs asbesthaltig<br />

waren. 2008 zogen die<br />

Mieter aus. Die Kinder der Familie<br />

klagten später gegen den<br />

Vermieter. Er solle für alle durch<br />

das Asbest zukünftig entstehenden<br />

Gesundheitsschäden haften.<br />

Ein <strong>vom</strong> Gericht bestellter<br />

Gutachter konnte zwar nicht<br />

ausschließen, dass Asbestfasern<br />

in die Lungen der<br />

Kläger gelangt seien, er stufte<br />

das Krebsrisiko aber als sehr gering<br />

ein. Der Bundesgerichtshof<br />

hielt die Klage der Mieter daher<br />

für unzulässig (VIII ZR 1913).<br />

Quellensteuer sei auf das zu<br />

versteuernde Einkommen anzurechnen.<br />

Anderenfalls läge<br />

ein Verstoß gegen geltendes<br />

EU-Recht vor. So habe der Europäische<br />

Gerichtshof entschieden,<br />

dass persönliche Freibeträge<br />

und Sonderausgaben bei<br />

der Anrechnung der ausländischer<br />

Quellensteuer zu berücksichtigen<br />

sind (DStR 2013, 518).<br />

Das, was die Anleger im Ausland<br />

mehr an Steuern auf Dividenden<br />

und Zinsen zu zahlen<br />

hätten, lasse sich dagegen nicht<br />

anrechnen, so die Richter. Weder<br />

EU-Recht noch die deutsche<br />

Verfassung rechtfertigten<br />

ein solches Vorgehen.<br />

ERBSCHAFTSTEUER<br />

Abschlag nur<br />

für Vermieter<br />

Wer ein Grundstück mit Erbbaurecht<br />

erbt, bekommt bei der<br />

Berechnung der Erbschaftsteuer<br />

nicht den Abschlag von zehn<br />

Prozent auf den Immobilienwert,<br />

der für vermietete Wohnimmobilien<br />

gilt (Finanzgericht<br />

Düsseldorf, 4 K 1106/13 Erb).<br />

Erbbaurechte sichern gegen<br />

Zinszahlung das Recht, auf dem<br />

betreffenden Grundstück ein<br />

Gebäude zu bauen. Das Urteil<br />

ist noch nicht rechtskräftig.<br />

dürfen im Ärzteblatt mit Namen genannt werden<br />

(Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 1128/13).<br />

UNFALLKOSTEN HÄLFTIG GETEILT<br />

§<br />

Eine Autofahrerin fuhr 2011 in Gronau mit ihrem<br />

Wagen auf eine Reihe von Fahrzeugen auf und<br />

löste dabei eine Kette von Auffahrunfällen aus, bei<br />

der vier Autos beschädigt wurden. Es ließ sich nicht<br />

klären, ob allein die zuerst auffahrende Autobesitzerin<br />

schuld am Unfall war. Es gab auch Indizien dafür,<br />

dass eine andere Fahrerin bereits zuvor auf ihren<br />

Vordermann aufgefahren war. Die Richter entschieden<br />

daher, die Kosten des Unfalls je zur Hälfte auf<br />

beide Autofahrerinnen zu verteilen (Oberlandesgericht<br />

Hamm, 6 U 101/13).<br />

SOLARSTROM<br />

STEFAN DIEMER<br />

ist Anwalt für<br />

Steuerrecht in<br />

der Kanzlei<br />

Heisse Kursawe<br />

Eversheds<br />

in München.<br />

n Herr Diemer, Privathaushalte,<br />

die mit neuen Anlagen<br />

Solarstrom erzeugen, sollen<br />

künftig auf den selbst verbrauchten<br />

Anteil Ökostromumlage<br />

zahlen.<br />

Bisher war der selbst erzeugte<br />

und verbrauchte Solarstrom<br />

von der Umlage nicht betroffen,<br />

wenn der Strom nicht<br />

durchs öffentliche Netz geleitet<br />

wurde. Das gilt für die<br />

meisten Solaranlagen privater<br />

Haushalte.<br />

n Gibt es Ausnahmen von<br />

dieser Umlage?<br />

Kleine Anlagen sollen von der<br />

Neuregelung ausgenommen<br />

werden. Die genauen Grenzen<br />

stehen noch nicht fest. Das<br />

Wirtschaftsministerium hat<br />

ein Limit von zehn Kilowatt<br />

Leistung pro Anlage ins Gespräch<br />

gebracht.<br />

n Wie ist der Eigenverbrauch<br />

zu versteuern?<br />

Wenn private Haushalte auch<br />

Strom ins Netz speisen, gilt<br />

der selbst verbrauchte Strom<br />

als „betriebliche Entnahme“.<br />

Die eingesparten Stromkosten<br />

werden zu den Einnahmen für<br />

den eingespeisten und nicht<br />

selbst verbrauchten Strom<br />

addiert. Bleibt nach Abzug der<br />

jährlichen Abschreibungen für<br />

die Anschaffungs- und Herstellungskosten<br />

sowie weiteren<br />

abzugsfähigen Kosten,<br />

etwa für Reparaturen, ein Gewinn,<br />

ist dieser im Rahmen<br />

der Einkommensteuer mit<br />

dem persönlichen Satz zu versteuern.<br />

Gewerbesteuer fällt<br />

bei kleinen Solaranlagen in<br />

der Regel nicht an, weil deren<br />

Gewinn den Freibetrag von<br />

24 500 Euro pro Jahr nicht<br />

ausschöpft.<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 Redaktion: martin.gerth@wiwo.de, niklas hoyer<br />

109<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

KOMMENTAR | Manipulieren<br />

Hochfrequenzhändler den Markt?<br />

Das ist umstritten, aber klar ist: Es<br />

ginge ohne sie. Von Stefan Hajek<br />

Braucht niemand<br />

Es ist schon selten, dass<br />

es Wirtschaftsbücher<br />

in die Bestsellerlisten<br />

schaffen. Noch seltener<br />

ist, dass ein so sperriges<br />

Thema wie der computergestützte<br />

Hochfrequenz-Börsenhandel,<br />

auch Flash Trading genannt,<br />

die Massen begeistert.<br />

„Flash Boys“, neustes Werk des<br />

US-Erfolgsautors Michael Lewis,<br />

handelt genau davon – und<br />

steht in den Amazon-Verkaufscharts<br />

auf Rang eins. Lewis beschreibt,<br />

wie einige Händler,<br />

mit Unterstützung der großen<br />

Börsen, ein System der permanenten<br />

Abzocke ersonnen und<br />

in den letzten Jahren umgesetzt<br />

hat. Der Vorwurf: Flash Trader<br />

übervorteilten andere Anleger,<br />

indem sie winzige Informationsvorsprünge<br />

ausnutzten, die ihre<br />

Computer aus den Handelssystemen<br />

der Börsen lesen.<br />

Sie deckten sich etwa billig<br />

mit Aktien ein, bei denen sie größere<br />

Kauforders kommen sehen.<br />

Sobald die großen Orders<br />

den Kurs nach oben gezogen haben,<br />

verkaufen sie dann die Aktien<br />

teurer. Das können sie nur,<br />

weil sie von den Börsen die Informationen<br />

über Kauf- und Verkaufslimits<br />

anderer Marktteilnehmer<br />

mit Zeitvorsprung<br />

bekommen.<br />

KLEINVIEH UND MIST<br />

Am Dienstag dieser Woche kulminierte<br />

der Streit zwischen Kritikern<br />

und Börsenbetreibern um<br />

die schnellen Computerhändler<br />

im US-TV-Sender CNBC, auf<br />

dem sich Gegner und Befürworter<br />

über eine halbe Stunde lang<br />

beschimpften und gegenseitig<br />

Falschinformation vorwarfen.<br />

Fakt ist: Mit Hochfrequenzhandel<br />

kann man viel Geld verdienen.<br />

Zwar nur ein paar Cent-<br />

Bruchteile pro Deal; aber wer<br />

das Hunderttausende von Malen<br />

am Tag und bei Tausenden<br />

von Aktien, Anleihen, Währungskontrakten<br />

und Rohstoffen<br />

macht, wird reich. Der New<br />

Yorker High Frequency Trader<br />

Virtu, für geschätzte acht<br />

Prozent aller US-Aktien-Deals<br />

verantwortlich, stellt Kurse für<br />

mehr als 10 000 Wertpapiere an<br />

210 Börsen weltweit. Laut Börsen-Prospekt<br />

setzte Virtu 2013<br />

damit 664,5 Millionen Dollar um<br />

und machte daraus beeindruckende<br />

182 Million Dollar Nettogewinn.<br />

Konkurrent KCG schaffte<br />

„nur“ 120 Millionen Gewinn<br />

aus einer Milliarde Umsatz.<br />

Nun verschiebt die höchst profitable<br />

Virtu plötzlich ihren Börsengang.<br />

Schuld daran, sagen<br />

Kritiker, seien natürlich die Untersuchungen<br />

der US-Börsenaufsicht<br />

und der Bundespolizei<br />

FBI, die den Flash Tradern ins<br />

Handwerk pfuschten. Motto:<br />

Wo Rauch ist, ist auch Feuer.<br />

Mögliche Käufer der Virtu-Aktie<br />

könnten kalte Füße bekommen,<br />

erst mal die Untersuchungen<br />

abwarten. Auch so ist klar: Die<br />

Flash Trader braucht eigentlich<br />

niemand. Der Handel funktionierte<br />

vor 2008 gut ohne sie.<br />

Virtu will beim Börsengang 250<br />

Millionen Dollar für 8,3 Prozent<br />

der Anteile (ohne Stimmrecht)<br />

eincashen, wäre damit drei Milliarden<br />

Dollar wert. Gründer Vincent<br />

Viola, dem 65 Prozent der<br />

Anteile gehören (und dessen<br />

Aktien jeweils zehn Stimmrechte<br />

behalten), würde Milliardär.<br />

Statt solche Geschäftsmodelle<br />

zu mästen, sollten die Börsen<br />

sich lieber wieder auf ihren eigentlichen<br />

Job besinnen und<br />

Angebot und echte Nachfrage<br />

zusammenführen. Es wäre genug<br />

Liquidität da. Für alle.<br />

TREND DER WOCHE<br />

Gefährliche Prognosen<br />

Die Gewinnhochrechnungen für den Dax sind zu optimistisch.<br />

Das macht Aktien anfällig für Rückschläge.<br />

Gewinne am Fließband<br />

Nur die Besten legen<br />

zweistellig zu<br />

Weil der Online-Handel<br />

brummt, baut die Deutsche<br />

Post ihr florierendes Paketgeschäft<br />

aus und dürfte in diesem<br />

Jahr die 2,2 Milliarden Euro<br />

Reingewinn aus 2013 locker<br />

überspringen. Industriekonzern<br />

Siemens profitiert von<br />

deutlich gestiegenen Neuaufträgen<br />

(plus 21 Prozent) und<br />

der Hoffnung auf einen Konzernumbau,<br />

der zu höheren Erträgen<br />

führt. Continental wird<br />

<strong>vom</strong> steigenden Bedarf an Assistenz-<br />

und Sicherheitssystemen<br />

im Fahrzeug angetrieben.<br />

Mit 2,5 Milliarden Euro könnte<br />

der Autozulieferer dieses Jahr<br />

so viel verdienen wie noch nie.<br />

Post, Siemens, Conti – das<br />

sind drei Top-Unternehmen im<br />

Dax, die trotz Krise in Russland<br />

und Unsicherheit in China womöglich<br />

ein zweistelliges Gewinnplus<br />

schaffen. Sie tragen<br />

wesentlich dazu bei, dass die<br />

Durchschnittsgewinne im Dax<br />

<strong>2014</strong> insgesamt über dem Niveau<br />

von 2013 liegen können.<br />

Doch wenn die besten Dax-<br />

Unternehmen gerade ein zweistelliges<br />

Gewinnplus schaffen,<br />

wo sollen dann die mehr als<br />

30 Prozent Ertragszuwachs herkommen,<br />

die von Analysten für<br />

<strong>2014</strong> erwartet werden? Und nur<br />

mit diesen utopischen Hochrechnungen<br />

kommen deutsche<br />

Aktien insgesamt auf eine moderate<br />

13-fache Gewinnbewertung<br />

(KGV <strong>2014</strong>). Stutzt man die<br />

Prognosen auf realistische plus<br />

zehn Prozent zusammen, liegt<br />

die Bewertung beim 17-Fachen.<br />

Damit sind deutsche Aktien teuer<br />

und anfällig für Rückschläge.<br />

Trends der Woche<br />

Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />

Stand: 3.4.<strong>2014</strong> / 18.01 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />

Dax 30 9628,82 +1,9 +22,3<br />

MDax 16628,84 +1,8 +23,7<br />

Euro Stoxx 50 3206,76 +2,3 +21,5<br />

S&P 500 1887,38 +2,1 +21,5<br />

Euro in Dollar 1,3771 +0,1 +7,4<br />

Bund-Rendite (10 Jahre) 1 1,62 +0,08 2 +0,32 2<br />

US-Rendite (10 Jahre) 1 2,80 +0,12 2 +0,95 2<br />

Rohöl (Brent) 3 105,79 –1,7 –1,8<br />

Gold 4 1284,00 –0,9 –18,5<br />

Kupfer 5 6606,00 +0,4 –10,8<br />

1<br />

in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />

umgerechnet 936,27 Euro; 5 in Dollar pro Tonne; Quelle: vwd group<br />

FOTOS: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, PICTURE-ALLIANCE/DPA/GABBERT, REUTERS<br />

110 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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DAX-AKTIEN<br />

Lange Schatten<br />

Ein Ermittlungsverfahren von US-Behörden drückt<br />

die Ertragsaussichten der Deutschen Börse AG.<br />

HITLISTE<br />

Knapp 130 Millionen Euro für<br />

Vergleich und Prozessaufwand<br />

ließ es sich die Deutsche<br />

Börse AG im Herbst 2013<br />

kosten, die jahrelange Auseinandersetzung<br />

ihrer Tochtergesellschaft<br />

Clearstream<br />

(Wertpapierabwicklungen)<br />

um deren Iran-Geschäfte zu<br />

beenden. Der Nettogewinn<br />

des vergangenen Jahres war<br />

deshalb um mehr als ein Viertel<br />

auf 478 Millionen Euro eingebrochen.<br />

Nun der Schock:<br />

Trotz des mit der Exportbehörde<br />

OFAC geschlossenen<br />

Vergleichs haben New Yorker<br />

Staatsanwälte ein strafrechtliches<br />

Ermittlungsverfahren wegen<br />

des Verstoßes gegen Sanktionsvorschriften<br />

eingeleitet<br />

(siehe Seite 12). Wie teuer dieser<br />

Prozess die Deutsche Börse<br />

insgesamt kommt, ist offen.<br />

Rückstellungen, das zeigt ein<br />

Blick in die Bilanz, sind bisher<br />

keine gebildet. Schon aus Vorsichtsgründen<br />

dürfte die Börse<br />

das jetzt nachholen. Der bisher<br />

erwartete Gewinnanstieg auf<br />

rund 700 Millionen Euro ist<br />

damit sehr fraglich geworden.<br />

Scheinwelten<br />

In China platzt die<br />

Immobilienblase<br />

CHINA<br />

Gigantomanie<br />

Die Exzesse am chinesischen Immobilienmarkt<br />

lassen sich nicht mehr leugnen.<br />

Dax<br />

Kurs Kursent- Gewinn KGV Börsen- Dividen-<br />

(€) wicklung pro Aktie (€) wert den-<br />

1 Woche 1 Jahr 2013 <strong>2014</strong> <strong>2014</strong><br />

(Mio. €) rendite<br />

(%) 1<br />

Dax 9628,82 +1,9 +22,3<br />

Aktie<br />

Stand: 3.4.<strong>2014</strong> / 18.01 Uhr<br />

Adidas 79,13 +1,5 –2,7 4,51 4,38 18 16555 1,71<br />

Allianz 122,95 +0,2 +15,0 12,65 13,57 9 56059 3,66<br />

BASF NA 80,03 +1,0 +15,5 5,88 5,91 14 73506 3,25<br />

Bayer NA 98,46 +1,3 +19,6 5,66 6,13 16 81421 1,93<br />

Beiersdorf 71,03 +1,1 –2,0 2,38 2,57 28 17900 0,99<br />

BMW St 93,<strong>04</strong> +1,9 +36,0 7,77 8,59 11 59809 2,69<br />

Commerzbank 14,12 +9,1 +66,0 0,50 0,72 20 16<strong>07</strong>6 -<br />

Continental 177,65 +3,0 +86,9 10,02 12,58 14 35531 1,27<br />

Daimler 69,80 +4,0 +63,8 4,56 5,90 12 74646 3,15<br />

Deutsche Bank 32,95 +3,3 +7,1 4,08 3,56 9 33584 2,28<br />

Deutsche Börse 57,06 –1,0 +19,1 3,79 3,87 15 11013 4,03<br />

Deutsche Post 28,06 +4,1 +55,4 1,45 1,69 17 33919 2,50<br />

Deutsche Telekom 11,59 ±0 +38,7 0,69 0,64 18 51589 6,<strong>04</strong><br />

E.ON 14,19 +1,8 +2,1 1,29 0,95 15 28384 7,75<br />

Fresenius Med.C. St 52,18 +2,8 –3,5 3,75 3,68 14 16<strong>04</strong>8 1,44<br />

Fresenius SE&Co 112,30 –0,6 +13,4 5,82 6,38 18 25344 0,85<br />

Heidelberg Cement St 63,91 +5,1 +11,6 3,56 3,97 16 11983 0,74<br />

Henkel Vz 77,77 +1,9 +3,6 4,03 4,30 18 32634 1,57<br />

Infineon 8,84 +3,3 +43,1 0,26 0,40 22 9550 1,36<br />

K+S NA 23,43 –1,2 –34,5 2,92 1,28 18 4484 5,98<br />

Lanxess 55,81 +5,2 +1,7 3,31 2,68 21 4644 1,79<br />

Linde 145,35 +0,6 –0,2 8,48 8,41 17 26984 1,86<br />

Lufthansa 19,68 +5,1 +27,3 1,25 1,80 11 9052 -<br />

Merck 121,20 –0,7 +1,3 8,57 9,17 13 7832 1,40<br />

Münchener Rückv. 158,70 +0,4 +5,7 16,94 17,02 9 28461 4,41<br />

RWE St 29,32 +2,1 +0,8 3,91 2,38 12 17790 6,82<br />

SAP 58,99 +1,2 –6,1 3,37 3,46 17 72469 1,86<br />

Siemens 98,98 +1,4 +21,6 4,80 6,75 15 87201 3,03<br />

ThyssenKrupp 19,84 +4,7 +32,2 -0,55 0,49 40 10205 -<br />

Volkswagen Vz. 190,70 +3,5 +22,1 21,42 21,85 9 87068 1,87<br />

1<br />

berechnet mit der zuletzt gezahlten Dividende<br />

2013 wurden in China 2596<br />

Milliarden Quadratmeter<br />

neue Wohnfläche fertiggestellt,<br />

fünfmal so viel wie 2000.<br />

Der Anteil von Wohnungsbauinvestitionen<br />

an der chinesischen<br />

Wirtschaftsleistung<br />

erreicht fast zehn Prozent.<br />

Der Anteil ist höher als auf<br />

den Höhepunkten früherer<br />

Immobilienblasen in anderen<br />

Ländern. Auf jeden registrierten<br />

Stadtbewohner in China<br />

kommen 37 Quadratmeter<br />

Wohnfläche, in Japan sind es<br />

35 Quadratmeter. Es wird<br />

über Bedarf gebaut. Schätzungen<br />

zufolge steht ein Viertel<br />

der Apartments leer. Der<br />

zum Verkauf stehende Wohnungsbestand<br />

hat sich zwischen<br />

2009 und 2013 um 182<br />

Prozent erhöht. Die Lücke zwischen<br />

Neubaubeginnen und<br />

-verkäufen weitet sich immer<br />

weiter aus. Die Wohneigentumsquote<br />

liegt in China inzwischen<br />

bei über 100 Prozent. In<br />

den USA platzte die Blase bei einer<br />

Quote von 68 Prozent. Der<br />

Trend ging bei reichen Chinesen<br />

zuletzt zur Zweit-, Drittoder<br />

Viertwohnung. Kalkuliert<br />

wurde nicht mit einer Mietrendite,<br />

sondern es wurde spekuliert<br />

auf weiter steigende Preise.<br />

Doch der Zyklus dreht jetzt<br />

nach unten. Nach Einschätzung<br />

von Zhiwei Zjang, Ökonom bei<br />

der japanischen Bank Nomura,<br />

wird die Regierung in Peking einen<br />

aus dem Überangebot resultierenden<br />

Preisverfall nicht<br />

aufhalten können.<br />

Wohnungsbauinvestitionen (in Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung)<br />

in China und in 17 anderen Ländern – jeweils in den Jahren, in denen die<br />

Immobilien-Haussen dieser Länder ihren Höhepunkt erreichten<br />

Spanien<br />

Thailand<br />

China<br />

Zypern<br />

Japan<br />

Südkorea<br />

Frankreich<br />

Deutschland<br />

Finnland<br />

2006<br />

1991<br />

2012<br />

2008<br />

1973<br />

1991<br />

1980<br />

1994<br />

1990<br />

Quelle: CEIC, Haver Analytics, IWF<br />

12,5<br />

9,9<br />

9,5<br />

9,2<br />

8,7<br />

8,4<br />

8,3<br />

7,8<br />

7,5<br />

Italien<br />

Mexiko<br />

Island<br />

Dänemark<br />

USA<br />

Belgien<br />

Taiwan<br />

Südafrika<br />

Indien<br />

1981<br />

2008<br />

20<strong>07</strong><br />

2006<br />

2005<br />

1980<br />

1980<br />

1971<br />

2000<br />

7,5<br />

7,2<br />

6,9<br />

6,6<br />

6,5<br />

6,5<br />

4,2<br />

3,9<br />

2,5<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 111<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

AKTIE Hewlett-Packard<br />

Neue Hoffnung für<br />

die Hardware<br />

Feste Verbindung Mehr<br />

Bestellungen von Großkunden<br />

Aller Voraussicht nach wird<br />

Hewlett-Packard (HP) Mitte<br />

des Jahres einen eigenen<br />

3-D-Drucker ankündigen.<br />

Drucker für die Herstellung<br />

dreidimensionaler Endprodukte<br />

(etwa Knochenimplantate<br />

oder besonders feine<br />

Maschinenteile) sind Hoffnungsträger<br />

der Hardwareindustrie.<br />

Und so einen braucht<br />

Hewlett-Packard, damit die<br />

einstige High-Tech-Ikone auf<br />

ihren Kerngeschäftsfeldern<br />

wieder Wachstum verspricht<br />

und nicht nur den Schrumpfkurs<br />

der vergangenen Jahre<br />

hinauszögert.<br />

Drucker machen bei HP ein<br />

Fünftel <strong>vom</strong> Umsatz aus.<br />

Schwerpunkt (28 Prozent Umsatzanteil)<br />

von HP sind klassische<br />

PCs und Bürorechner.<br />

Hier ging der globale Markt im<br />

vergangenen Jahr um zehn<br />

Prozent zurück. Dennoch gibt<br />

es Anzeichen einer Wende. Mit<br />

200 Milliarden Dollar jährlichem<br />

Volumen ist dieses Geschäft<br />

keineswegs tot. Seit die<br />

Konjunktur in großen Abnehmerländern<br />

(vor allem den<br />

USA, zunehmend auch in Europa)<br />

robuster wird, wechseln<br />

immer mehr Unternehmen<br />

und Behörden ihre alten Computer<br />

aus. Dass Programmriese<br />

Microsoft sein altes Betriebssystem<br />

XP nicht mehr unterstützt,<br />

hilft zusätzlich. Viele<br />

Kunden steigen nun gleich auf<br />

neue Computer um. Den<br />

Boom bei Tablets und Smartphones<br />

muss HP nicht fürchten, der<br />

macht sich im wichtigen Großkunden-Geschäft<br />

weniger bemerkbar.<br />

Dafür profitiert die<br />

Sparte Netzwerke, Server und IT<br />

(rund 25 Prozent Umsatzanteil)<br />

davon, dass wegen der Datenflut<br />

und des Cloud-Computings große<br />

Rechenzentren immer wichtiger<br />

werden. Das vierte große Geschäftsfeld,<br />

IT-Service (gut 20<br />

Prozent Umsatzanteil), leidet<br />

zwar besonders unter dem Preisdruck<br />

in der Branche. HP steuert<br />

jedoch mit einem Kostensenkungsprogramm<br />

dagegen, bei<br />

dem im Konzern 34000 Stellen<br />

abgebaut werden, etwa ein<br />

Zehntel der Belegschaft.<br />

Das Geschäftsjahr <strong>2014</strong> (bis<br />

31. Oktober) könnte bei einem<br />

stabilisierten Umsatz (rund 110<br />

Milliarden Dollar) wieder steigende<br />

Gewinne bringen. Nach<br />

dem bitteren Jahr 2012 (12,7 Milliarden<br />

Dollar Verlust) und der<br />

ersten Erholung 2013 (5,1 Milliarden<br />

Dollar Gewinn) wäre damit<br />

die Wende geschafft. Auch<br />

finanziell wird HP stärker. Im<br />

vergangenen Jahr stieg die Eigenkapitalquote<br />

von 21 auf 26<br />

Prozent. Ende <strong>2014</strong> könnten es<br />

an die 30 Prozent werden.<br />

Hewlett-Packard<br />

ISIN:US4282361033<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

15<br />

10<br />

Kurs/Stoppkurs(in Dollar): 32,30/27,45<br />

KGV 2013/<strong>2014</strong>: 12,3/8,7<br />

Dividendenrendite(in Prozent):1,8<br />

Chance<br />

Risiko<br />

50-Tage-Linie<br />

200-Tage-Linie<br />

09 10 11 12 13 14<br />

Niedrig<br />

Quelle:FactSet<br />

Hoch<br />

AKTIE Enagás<br />

Nicht ganz Spanien<br />

steckt in der Krise<br />

Voll Gas<br />

Flüssiggas-Tanker vor Barcelona<br />

Wegen der Möglichkeit, Gas<br />

zu verflüssigen und auf Spezialschiffen<br />

weltweit zu transportieren,<br />

wird es irgendwann<br />

einen globalen<br />

Gasmarkt geben. Doch das<br />

wird noch dauern. Das liegt<br />

an den gewaltigen Investitionen,<br />

die benötigt werden, etwa<br />

für die Verladeterminals.<br />

Der spanische Versorger Enagás<br />

betreibt in Spanien neben<br />

einem 10 000 Kilometer langen<br />

Pipelinenetz und drei unterirdischen<br />

Gasspeichern<br />

fünf dieser Terminals. In Barcelona,<br />

Huelva, Cartagena,<br />

Gijón und Bilbao lassen sich<br />

insgesamt 2,7 Millionen Kubikmeter<br />

verflüssigtes Erdgas,<br />

das per Schiff angeliefert wurde,<br />

wieder in den ursprünglichen<br />

Aggregatzustand umwandeln.<br />

Weil Enagás sein Gasnetz<br />

im Staatsauftrag betreibt und<br />

vier Fünftel der Erlöse aus regulatorisch<br />

abgeschirmten<br />

Bereichen kommen, ging die<br />

tiefe Krise im Heimatland<br />

weitgehend am Konzern vorbei.<br />

Obwohl 2013 vier Prozent<br />

weniger Gas durch die Pipelines<br />

strömte, zogen die Erlöse<br />

um 9,2 Prozent auf 1,308<br />

Milliarden Euro an. Unter<br />

dem Strich wurden 403 Millionen<br />

Euro verdient, gut sechs<br />

Prozent mehr als 2012. Mit der<br />

Dividende, die zwei Mal pro<br />

Jahr ausgeschüttet wird, geht es<br />

ebenfalls weiter nach oben, um<br />

rund 14 Prozent auf insgesamt<br />

1,27 Euro pro Aktie, was einer<br />

Rendite von 5,7 Prozent ergibt.<br />

Die spanische Staatsholding<br />

Sepi hält noch fünf Prozent des<br />

Aktienkapitals. Ein überschaubarer<br />

Brocken, sollte der Anteil<br />

doch noch zur Finanzierung<br />

der klammen Staatskasse in<br />

den Verkauf gehen. Zudem<br />

stünden genügend Käufer<br />

bereit. Chinas Stromkonzern<br />

State Grid soll schon einmal in<br />

Madrid angeklopft haben.<br />

Enagás<br />

ISIN: ES0130960018<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

50-Tage-Linie<br />

200-Tage-Linie<br />

5<br />

03 2005 2010 14<br />

Kurs/Stoppkurs(Euro): 22,27/19,30<br />

KGV 2013/<strong>2014</strong>: 13,2/13,5<br />

Dividendenrendite(in Prozent):5,7<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

Quelle:FactSet<br />

Hoch<br />

FOTOS: BLOOMBERG/KEPLER/LABURU/WRIGHT/HELGESEN<br />

112 Redaktion: Geldwoche+Zertifikate: Frank Doll, Anton Riedl<br />

Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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ZERTIFIKATE Euro/Dollar-Short<br />

Amerikanischer<br />

Vorsprung wird größer<br />

USA in Fahrt Drei Prozent BIP-<br />

Wachstum beflügeln den Dollar<br />

Nur noch 0,5 Prozent beträgt<br />

die Teuerungsrate in der Euro-<br />

Zone. Die Inflation ist auf den<br />

niedrigsten Stand seit vier Jahren<br />

gesunken – und sie ist<br />

deutlich unter der von der Notenbank<br />

formulierten Obergrenze<br />

von zwei Prozent. Die<br />

EZB hätte damit Spielraum für<br />

weitere, expansive Konjunkturhilfen.<br />

Die könnten notwendig<br />

werden, wenn die europäische<br />

Wirtschaft als Folge<br />

der Russland-Krise oder des<br />

Abschwungs in China wieder<br />

an Dynamik verliert.<br />

Das sieht jenseits des Atlantiks<br />

anders aus. Bei erwarteten<br />

Wetten gegen den Euro<br />

2,8 bis 3,0 Prozent an jährlichem<br />

Wachstum im Zeitraum<br />

<strong>2014</strong> bis 2016 kündigt Fed-Chefin<br />

Janet Yellen für nächstes Jahr<br />

die erste Leitzinserhöhung an.<br />

Bis dahin werden die Käufe von<br />

Staatsanleihen, mit denen die<br />

Fed die langfristigen Zinsen<br />

drückte, reduziert und voraussichtlich<br />

im Herbst auslaufen.<br />

Bei kurzfristigen, in drei Monaten<br />

fälligen Geldanlagen hat<br />

der Dollar gegenüber dem Euro<br />

schon einen Zinsvorsprung von<br />

0,7 Prozentpunkten; bei zehnjährigen<br />

Anleihen sind es 1,1<br />

Prozentpunkte. „Die Ausweitung<br />

dieses Zinsspreads zugunsten<br />

der USA spricht für eine<br />

Aufwertung des US-Dollar in<br />

den kommenden Monaten“,<br />

sagt Rainer Sartoris, Anleiheexperte<br />

bei der Großbank HSBC.<br />

Sein Ziel ist ein Euro-Kurs von<br />

1,28 Dollar.<br />

Wer sich das Risiko zutraut,<br />

kann mit Shortzertifikaten eine<br />

Wechselkursspekulation Euro<br />

gegen Dollar starten.<br />

Zertifikate auf einen Rückgang des Euro gegenüber dem Dollar<br />

(aktuell: 1,00 Euro = 1,38 Dollar)<br />

Kurs (Euro)<br />

Stoppkurs (Euro)<br />

Funktion<br />

Kauf-Verkaufs-<br />

Spanne (Prozent)<br />

Emittentin<br />

(Ausfallprämie)<br />

ISIN<br />

Chance/Risiko<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

Faktorzertifikat<br />

für kurzfristige Spekulation<br />

4,10<br />

3,08<br />

Verstärkt die täglichen Euro-<br />

Dollar-Schwankungen mit zehnfachem<br />

Hebel. Beispiel: Sinkt<br />

der Euro an einem Tag um 0,5<br />

Prozent (etwa von 1,3800 auf<br />

1,3731 Dollar), steigt das Zertifikat<br />

um fünf Prozent; Achtung:<br />

Leichte Verluste in Seitwärtsphasen<br />

möglich, große Verluste<br />

bei steigendem Euro; keine<br />

Laufzeitgrenze, kein Knockout<br />

2,2<br />

Commerzbank (1,1 Prozent =<br />

mittleres Ausfallrisiko)<br />

DE000CZ60BR4<br />

10/9<br />

Hebelzertifikat<br />

für langfristige Spekulation<br />

24,70<br />

19,70<br />

Verstärkt die Euro-Dollar-Kursbewegungen<br />

unterhalb des Basispreises<br />

(aktuell 1,7187 Dollar) mit etwa<br />

vierfachem Hebel. Beispiel: Sinkt der<br />

Euro in einer Woche um drei Prozent<br />

(etwa von 1,3800 auf 1,3386 Dollar),<br />

steigt das Zertifikat um rund<br />

zwölf Prozent; Achtung: Berührt<br />

oder überschreitet der Euro den<br />

Basispreis, kommt es zum Totalverlust;<br />

keine feste Laufzeitgrenze<br />

0,1<br />

Deutsche Bank (0,8 Prozent =<br />

geringes Ausfallrisiko)<br />

DE000DX9L668<br />

9/8<br />

ANLEIHE Norwegen<br />

In Europa<br />

ganz oben<br />

Seitdem die Finanzkrise in<br />

Europa ihren Schrecken verloren<br />

hat, erholt sich der Euro.<br />

Verlierer dieser Entwicklung<br />

war bisher die norwegische<br />

Krone, deren Wert gegenüber<br />

dem EU-Geld seit Ende 2012<br />

von 13,8 Euro-Cent auf 11,8<br />

Euro-Cent zurückging. Mit aktuell<br />

12,1 Euro-Cent (ein Euro<br />

gleich 8,26 Kronen) steht die<br />

Norwegen-Krone gegenüber<br />

dem Euro immer noch ein<br />

Stück unter dem langjährigen<br />

Durchschnitt, der bei 12,5 Euro-Cent<br />

liegt.<br />

Doch die Norwegen-Krone<br />

dürfte wieder kommen. Auslöser<br />

dafür ist die wachsende<br />

Bedeutung, die das Land als<br />

Energieproduzent vor allem<br />

für die Euro-Zone hat. Mit 7,5<br />

Milliarden Barrel Rohölreserven<br />

und 2,1 Billionen Kubikmetern<br />

Erdgas ist Norwegen<br />

in Europa das Land mit den<br />

meisten fossilen Brennstoffen.<br />

Für Deutschland ist Norwegen<br />

– nach Russland – der<br />

wichtigste Lieferant von Öl<br />

und Gas. Mehr als 35 Prozent<br />

der norwegischen Wirtschaftsleistung<br />

stammen aus<br />

dem Energiegeschäft.<br />

Die stabilen Einnahmen<br />

aus dem Export von Öl und<br />

Gas tragen wesentlich dazu<br />

bei, dass das Land reich ist.<br />

Der Anteil der Staatsschulden<br />

an der Wirtschaftsleistung<br />

liegt nur bei 27 Prozent. Das<br />

ist deutlich weniger als die 78<br />

Prozent, auf die Deutschland<br />

derzeit kommt.<br />

Mit den Einnahmen aus<br />

dem Energiegeschäft finanzieren<br />

die Norweger über<br />

einen staatlichen Pensionsfonds<br />

die Altersvorsorge ihrer<br />

Bürger. Bei 5,1 Billionen Kronen<br />

Fondsvolumen hat der<br />

Staat mittlerweile für jeden<br />

der 5,1 Millionen Norweger<br />

Rendite aus der Tiefe Bohrinsel<br />

der norwegischen Statoil<br />

rechnerisch eine Million Kronen<br />

auf die hohe Kante gelegt.<br />

Natürlich, ein Preisrückgang<br />

beim Öl könnte die norwegische<br />

Wirtschaft bremsen. Doch<br />

da die Norweger bei ihren<br />

Haushaltsplanungen nur einen<br />

Ölpreis von 65 Dollar je Barrel<br />

ansetzen, bestehen genug Reserven<br />

auch in schwierigen<br />

Marktphasen.<br />

Die OECD rechnet damit,<br />

dass die norwegische Wirtschaft<br />

<strong>2014</strong> und 2015 jeweils um<br />

2,0 bis 2,5 Prozent zulegt. Die<br />

Inflation ist mit knapp zwei Prozent<br />

überschaubar. Notenbankgouverneur<br />

Oyestein Olsen<br />

sieht die Konjunktur des Landes<br />

auf gutem Weg, die erste<br />

Leitzinserhöhung ist für Herbst<br />

2015 ins Auge gefasst.<br />

Norwegen gehört zu den wenigen<br />

Ländern, die immer noch<br />

über das Top-Rating AAA verfügen<br />

und das auch auf absehbare<br />

Zeit behalten dürften. In einem<br />

international aufgebauten<br />

Anleihedepot sind Norwegen-<br />

Anleihen ein Basisinvestment.<br />

An die 2,6 Prozent Jahresrendite<br />

sind dafür ein guter Zins. Und<br />

die Chance auf einen Währungsgewinn<br />

besteht noch zusätzlich.<br />

Kurs (%) 1<strong>07</strong>,69<br />

Kupon (%) 3,75<br />

Rendite (%) 2,56<br />

Laufzeit bis 25. Mai 2021<br />

Währung Norwegische Kronen<br />

ISIN<br />

NO0010572878<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 113<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

FONDS iShares MSCI World<br />

Auf kleine Stürmer oder<br />

die Weltauswahl wetten<br />

Starke Schultern Anleger kehren<br />

an Mailands Börse zurück<br />

Börsengehandelte Indexfonds<br />

gehören zu den erfolgreichsten<br />

Innovationen in der<br />

Geldanlage. Die ETF genannten<br />

Produkte sind schnell<br />

handelbar, gesetzlich strenger<br />

reguliert als Zertifikate und<br />

kosten ein Drittel von dem,<br />

was bei traditionellen Fonds<br />

üblich ist. So ist in Europa in<br />

zehn Jahren ein gigantischer<br />

Markt mit 320 Milliarden Euro<br />

Volumen und 2100 Produkten<br />

entstanden, den iShares, db<br />

x-trackers und Lyxor dominieren.<br />

Längst bilden ETFs aber<br />

nicht mehr nur stur Aktienindizes<br />

ab. In der Niedrigzinsphase<br />

sind günstige Anleihe-<br />

ETFs gefragt. Und auch<br />

gehebelte ETFs, die bestenfalls<br />

überproportional steigen,<br />

wenn etwa der Dax zulegt,<br />

werden rege gehandelt.<br />

„Die speziellen ETFs werden<br />

von Anlegern eingesetzt, die<br />

eine klare Marktmeinung haben<br />

und ihr Depot täglich beobachten“,<br />

sagt Heike Fürpaß-<br />

Peter, bei Lyxor für deutsche<br />

Privatanleger zuständig.<br />

Tritt ein Index auf der Stelle,<br />

sieht es bei ETFs generell mau<br />

aus. Doch aktive Anleger<br />

finden Chancen: Zu den Verkaufsschlagern<br />

gehörten zuletzt<br />

Aktien-ETFs für Italien,<br />

Griechenland, Spanien und<br />

Portugal, in die netto seit Oktober<br />

monatlich 300 Millionen<br />

Euro flossen und die zu<br />

den Top-Performern zählen<br />

(siehe Tabelle). Wer sich das<br />

Timing in den Länder-Märkten<br />

nicht zutraut, ist bei einem breit<br />

gemischten Aktien-ETF wie<br />

dem MSCI World gut aufgehoben<br />

(siehe Chart). Er belastet<br />

jährlich nur 0,5 Prozent Kosten.<br />

Vieles spricht dafür, dass<br />

ETFs weiter wachsen: Anbieter<br />

und Aufseher haben auf das<br />

Misstrauen der Anleger gegenüber<br />

manchen Praktiken<br />

reagiert, etwa den Einsatz von<br />

Derivaten. Die Branche ist<br />

transparenter geworden. db<br />

x-trackers und Lyxor bilden jetzt<br />

mehr ETFs mit den Aktien oder<br />

Anleihen nach, die im Index<br />

stecken, statt Tauschgeschäfte<br />

(Swaps) mit einer Bank zu<br />

schließen. Dabei überlässt sie<br />

dem ETF Aktien, verbucht deren<br />

Gewinne oder Verluste, und<br />

der ETF erhält von ihr die Indexperformance.<br />

Steigen die<br />

Aktien im ETF um zwei Prozent,<br />

der Index aber um vier, müsste<br />

die Swap-Bank zwei Prozent an<br />

den ETF zahlen. Ginge sie pleite,<br />

droht ein Verlust. Sobald der<br />

Swap-Partner zahlen muss,<br />

lässt sich Lyxor deshalb von ihm<br />

Wertpapiere liefern, deren Gegenwert<br />

die Zahlungsverpflichtung<br />

sogar noch übersteigt.<br />

iSharesMSCIWorld ETF<br />

ISIN: IE00B0M62Q58<br />

140<br />

130<br />

120<br />

110<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

IndizesinEuroumbasiert;<br />

Quelle:Thomson Reuters<br />

LyxorETF FTSE<br />

MIB-AktienItalien<br />

2011 2012 2013 14<br />

Hoch<br />

Die besten börsengehandelten Indexfonds<br />

Die Gewinner unter den großen ETF-Portfolios<br />

Fondsname<br />

Aktien<br />

iShares Euro Stoxx Banks (DE)<br />

Source Euro Stoxx Optimised Banks<br />

Lyxor ETF FTSE ATHEX 20 (Griechenl.)<br />

iShares Stoxx Europe 600 Auto & Parts<br />

Lyxor ETF FTSE MIB (Italien)<br />

iShares MSCI Italy Capped<br />

iShares Global Clean Energy<br />

iShares Euro Total Market Value Large<br />

Lyxor ETF MSCI EMU Small Cap<br />

Lyxor ETF Ibex 35 (Spanien)<br />

Amundi ETF MSCI Spain<br />

Amundi ETF MSCI EMU High Dividend<br />

iShares TecDAX<br />

Lyxor ETF MSCI EMU Value (Eurozone)<br />

ComStage Portugal Stock Index 20 ETF<br />

iShares Euro Stoxx Telecomm (DE)<br />

ComStage DivDAX ETF<br />

Lyxor ETF Stoxx Europ. 600 Bau & Mat.<br />

iShares Euro Stoxx Mid Cap<br />

iShares Euro Stoxx Small Cap<br />

iShares DivDAX<br />

db x-trackers MSCI European Small Cap<br />

iShares UK Property<br />

PowerShares FTSE RAFI Eur. Small Mid<br />

Anleihen<br />

db x-trackers II iTraxx Crossover<br />

iShares Spain Government Bond<br />

iShares Italy Government Bond<br />

db x-trackers II iBoxx Sov.Euroz. Yield<br />

Amundi ETF Gov. Bond EuroMTS Inv. Gr.<br />

Lyxor ETF iBoxx € High Yield 30 ex Fin.<br />

iShares Euro High Yield Corporate Bond<br />

Deka iBoxx EUR Liquid Sov. Div. 5-7 year<br />

Amundi ETF Gov. Bond Euro MTS Broad<br />

Lyxor ETF EuroMTS Global<br />

db x-trackers iBoxx Sovereign Eurozone<br />

iShares Euro Government Bond<br />

iShares Euro Covered Bond<br />

iShares Euro Corporate Bond<br />

Alternatives (z.B. Leverage, bewegt sich überproportional zum Index)<br />

ComStage Portugal Stock 20 Leverage<br />

Lyxor ETF Euro Stoxx 50 Daily Leverage<br />

db x-trackers Leverage DAX Daily ETF<br />

ComStage CAC 40 Leverage ETF<br />

db x-trackers S&P 500 2x Leverage<br />

Amundi ETF Lev. MSCI Europe Daily<br />

ETFS Daily Short Silver ETC<br />

ETFS Daily Short Gold ETC<br />

ComStage Bund-Future Leverage TR<br />

UBS ETF HFRX Global Hedge Fund Index<br />

ISIN<br />

DE0006289309<br />

IE00B3Q19T94<br />

FR001<strong>04</strong>05431<br />

DE000A0Q4R28<br />

FR0010010827<br />

US4642868552<br />

IE00B1XNHC34<br />

IE00B0M62T89<br />

FR0010168773<br />

FR0010251744<br />

FR0010655746<br />

FR001<strong>07</strong>17090<br />

DE0005933972<br />

FR0010168781<br />

LU<strong>04</strong>44605215<br />

DE0006289317<br />

LU0603933895<br />

FR00103455<strong>04</strong><br />

IE00B02KXL92<br />

IE00B02KXM00<br />

DE0002635273<br />

LU0322253906<br />

IE00B1TXLS18<br />

IE00B23D8Y98<br />

LU0290359032<br />

IE00B428Z6<strong>04</strong><br />

IE00B7LW6Y90<br />

LU0524480265<br />

FR0010892190<br />

FR0010975771<br />

IE00B66F4759<br />

DE000ETFL144<br />

FR001<strong>07</strong>54192<br />

FR0010028860<br />

LU0290355717<br />

IE00B4WXJJ64<br />

IE00B3B8Q275<br />

IE00B3F81R35<br />

LU<strong>04</strong>44605306<br />

FR001<strong>04</strong>68983<br />

LU<strong>04</strong>11<strong>07</strong>5376<br />

LU<strong>04</strong>19741094<br />

LU<strong>04</strong>11<strong>07</strong>8552<br />

FR001<strong>07</strong>56080<br />

JE00B24DKK82<br />

JE00B24DKC09<br />

LU0530118024<br />

IE00B54DDP56<br />

Wertentwicklung<br />

in Prozent<br />

seit 3<br />

Jahren 1<br />

1 jährlicher Durchschnitt (in Euro gerechnet); 2 je höher die Jahresvolatilität<br />

(Schwankungsintensität) in den vergangenen drei Jahren, desto riskanter der Fonds;<br />

Quelle: Morningstar; Stand: 1. April <strong>2014</strong><br />

0,7<br />

–<br />

–16,9<br />

19,1<br />

3,0<br />

2,6<br />

–12,3<br />

6,3<br />

10,3<br />

4,2<br />

3,1<br />

7,2<br />

10,5<br />

6,0<br />

2,0<br />

–3,5<br />

–<br />

9,6<br />

9,5<br />

7,2<br />

12,6<br />

13,4<br />

15,8<br />

11,2<br />

10,2<br />

–<br />

–<br />

8,4<br />

8,0<br />

8,7<br />

9,1<br />

8,4<br />

6,8<br />

6,2<br />

6,9<br />

7,0<br />

6,9<br />

6,3<br />

–0,6<br />

6,5<br />

15,9<br />

7,4<br />

26,1<br />

15,1<br />

8,2<br />

–0,4<br />

16,7<br />

–1,4<br />

seit 1<br />

Jahr<br />

56,5<br />

56,3<br />

54,1<br />

53,3<br />

45,1<br />

44,3<br />

43,3<br />

38,5<br />

37,1<br />

35,6<br />

34,6<br />

34,2<br />

33,7<br />

33,6<br />

33,5<br />

33,5<br />

31,2<br />

31,1<br />

30,8<br />

30,7<br />

30,4<br />

29,6<br />

29,6<br />

29,2<br />

17,0<br />

14,3<br />

12,5<br />

11,6<br />

10,7<br />

8,9<br />

8,6<br />

6,6<br />

6,0<br />

5,8<br />

5,7<br />

5,5<br />

4,1<br />

4,1<br />

70,0<br />

48,9<br />

42,6<br />

42,3<br />

31,5<br />

31,4<br />

18,3<br />

8,5<br />

2,4<br />

2,2<br />

Volatilität<br />

2<br />

in<br />

Prozent<br />

30,3<br />

–<br />

44,7<br />

28,1<br />

23,2<br />

22,5<br />

23,9<br />

19,1<br />

16,1<br />

21,5<br />

22,2<br />

15,1<br />

15,6<br />

18,2<br />

17,3<br />

17,2<br />

–<br />

18,6<br />

15,5<br />

15,4<br />

19,0<br />

14,7<br />

14,9<br />

13,7<br />

9,0<br />

–<br />

–<br />

7,9<br />

7,9<br />

8,1<br />

7,8<br />

5,0<br />

5,2<br />

4,8<br />

4,7<br />

4,6<br />

2,8<br />

4,3<br />

34,6<br />

33,5<br />

36,9<br />

30,8<br />

20,6<br />

25,1<br />

46,9<br />

26,6<br />

12,8<br />

4,2<br />

FOTO: PR<br />

114 Redaktion Fonds: Martin Gerth, Heike Schwerdtfeger<br />

Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Perspektiven&Debatte<br />

DESIGN | Von Musik<br />

über Kunst bis<br />

zu Mode und Möbeln –<br />

schöne Dinge,<br />

die unser Leben<br />

bereichern, benötigen<br />

Innovationen.<br />

Innovation in<br />

Formen<br />

Die Idee soll keiner sehen, die Lösung<br />

sich klein, fast unsichtbar<br />

machen und den Betrachter an<br />

der Nase herumführen, damit<br />

er nicht gleich weiß, um was für<br />

einen Gegenstand es sich handelt. In diesem<br />

Fall heißt das Produkt „Straßenfeger“. Es ist<br />

im Sixties-Design hellblau und orange bemalt,<br />

sein Rahmen und sein Gummiriemenantrieb<br />

machen das Fahrrad zu einem Hingucker.<br />

Wer zweimal hinguckt, sieht:Im Vorderrad<br />

steckt ein Elektromotor; die einseitig<br />

montierte Gabel versteckt den Akku, dessen<br />

Reserveanzeige dezent oben am Lenkerkopf<br />

leuchtet. Electrolyte heißt der Berliner Hersteller,<br />

der es nicht nur schafft, mit 16 Kilo ein<br />

sehr leichtes Pedelec herzustellen, sondern<br />

auch eins, das nicht nach einem Fahrrad mit<br />

Hilfsmotor für nicht mehr ganz so bewegungsfreudige<br />

Menschen aussieht.<br />

Möglich ist diese Verwandlung eines<br />

technischen Mauerblümchen-Produkts für<br />

die Radwege durchs Grüne in ein zeitgenössisches<br />

Lifestyle-Objekt für die Straßen Berlins<br />

dank der Zusammenarbeit von Techniker<br />

und Gestaltern. Die Zeiten, in denen Ingenieure<br />

sich clevere Lösungen ausdachten<br />

und Designer hinterher eine gute Form finden<br />

mussten, sind genauso Vergangenheit<br />

wie die, in denen Designer eine Leuchte, ein<br />

Auto oder Sofas zeichneten und die Techniker<br />

rätseln mussten, wie das Fantasieobjekt<br />

denn funktionieren könne. „Die wesentlichen<br />

Impulse im Design werden heute<br />

durch die Technologie getrieben“, sagt Peter<br />

Zec, Geschäftsführer des Designpreises Red<br />

Dot Design Award. „Je technischer das Produkt,<br />

desto höher der Anteil an Designern,<br />

die zum Unternehmen gehören und von<br />

Anfang an die Gestaltung begleiten.“<br />

Innovation und Technologie – von gutem<br />

Essen bis zur Mode gehen diese Begriffe<br />

Hand in Hand mit der Schönheit des Gegenstands<br />

oder dem Genuss, den er dem Menschen<br />

bietet. Als der spanische Koch Ferran<br />

Adrià begann, in akribischer Kleinarbeit Pilze,<br />

Gemüse oder Fleisch zu katalogisieren<br />

und in einer Datenbank die Eigenschaften<br />

einzupflegen, legte er den Grundstein für<br />

die Erneuerung der Hochküche. Adrià verwendete<br />

zudem Zubereitungstechniken aus<br />

der sogenannten Molekularküche, deren<br />

mit flüssigem Stickstoff gefrorene Zutaten<br />

bis dahin unbekannte Geschmackserfahrungen<br />

ermöglichten.<br />

Adrià plant inzwischen nach der Schließung<br />

seines Restaurants El Bulli ein Institut,<br />

das sich der Zukunft der Spitzengastronomie<br />

widmen soll. „Innovation ist auf diesem<br />

Feld der entscheidende Faktor für den Erfolg“,<br />

sagt Bernd Matthies, Restaurantkritiker<br />

HOCKER<br />

Mit Laser<br />

geschnittenes<br />

Alu, das an<br />

der Perforation<br />

geknickt<br />

wird. Filigran<br />

und dennoch<br />

stabil<br />

des „Berliner Tagesspiegel“. Auch wenn<br />

Deutschland nicht wie einst Frankreich,<br />

dann Spanien und nun Skandinavien die<br />

Spitzenküche inhaltlich vorantreibe, beantwortet<br />

Matthies die Frage, ob er sich Sorgen<br />

mache, ob hierzulande Stillstand drohe, mit<br />

einem simplen: „Nö.“<br />

MODE AUS NANOFASERN<br />

In der Modebranche hingegen hat Deutschland<br />

nur wenig Einfluss. „Gestalterisch wird<br />

deutsche Mode mit dem Bauhaus verknüpft:<br />

reduziert und spartanisch“, sagt Sabine<br />

Resch von der Akademie für Mode &<br />

Design in München. Die Dozentin für Modetheorie<br />

kennt jedoch den wichtigen Einfluss<br />

deutscher Unternehmen auf die Mode:<br />

„In der Gewebetechnologie sind deutsche<br />

Unternehmen weit vorne.“<br />

Vor allem die Sportartikelhersteller entwerfen<br />

immer neue Produkte, deren Eigenschaften<br />

mit Leinen und Baumwolle nicht<br />

zu realisieren waren. „Es ist seit mehr als<br />

zehn Jahren ausschließlich die Materialtechnologie,<br />

die in der Mode Innovationen<br />

bringt“, sagt Resch. Zu den Errungenschaften<br />

gehören Nanofasern, die Schweiß abtransportieren<br />

und dabei Form und Farbe<br />

nicht verändern. Dank Lasermessern sind<br />

Schnittkanten und Auslassungen möglich,<br />

die sich Designer zuvor nur in der Fantasie<br />

ausmalen durften, die immer feineren Garne<br />

sorgen für Wohlgefühl auf der Haut. So<br />

kann der Mensch den Fortschritt nicht nur<br />

sehen, sondern spüren.<br />

n<br />

thorsten.firlus@wiwo.de<br />

FOTOS: PR<br />

116 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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KÜCHENMESSER<br />

Die Klinge von Fisslers „bionic“ ahmt Biberzähne nach<br />

und muss nie geschärft werden<br />

PEDELEC<br />

Das Modell<br />

„Straßenfeger“<br />

von Electrolyte<br />

mit dezentem<br />

Motor<br />

WASCHTISCH<br />

Dieses als Prototyp entwickelte<br />

Modell von Lago ist nicht<br />

nur hauchdünn, das Material<br />

lässt sich zudem verbiegen<br />

MOLEKULARKÜCHE<br />

Küchenavantgardist<br />

Ferran Adrià ersann in<br />

einem Labor neue Techniken<br />

wie die Schäume<br />

OUTDOORKLEIDUNG<br />

Dünne, winddichte<br />

Materialien, die Schweiß<br />

nach außen transportieren,<br />

erlauben der Sportmodeindustrie<br />

mehr<br />

Gestaltungsfreiheit<br />

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Perspektiven&Debatte | Kost-Bar<br />

ALLES ODER NICHTS<br />

KATJA HOLERT<br />

Geschäftsführerin des Gartenmöbelherstellers<br />

Garpa<br />

Aktien oder Gold?<br />

Schon der Haptik wegen:<br />

Gold.<br />

Cabrio oder SUV?<br />

Gibt es etwas Schöneres<br />

als warmen Fahrtwind im<br />

Gesicht?<br />

Schaltung oder Automatik?<br />

Automatik! Früher verpönt,<br />

heute geliebt.<br />

Apartment oder Villa?<br />

Ein Apartment. Am liebsten<br />

ganz oben!<br />

Fitnessstudio oder<br />

Waldlauf?<br />

Ganz ehrlich? Keins von<br />

beiden.<br />

Buch oder DVD?<br />

Beim Lesen führt die eigene<br />

Fantasie Regie. Darum eindeutig:<br />

Buch.<br />

Paris oder London?<br />

London für die Chelsea Flower<br />

Show und die Parks, Paris fürs<br />

Savoir-vivre.<br />

Rotwein oder Weißwein?<br />

Es gibt ganz vorzügliche<br />

deutsche Grauburgunder.<br />

Jazz oder Klassik?<br />

Am liebsten die Berliner<br />

Symphoniker.<br />

Mountainbike oder<br />

Rennrad?<br />

Die goldene Mitte: das<br />

Trekkingbike.<br />

Berge oder Meer?<br />

Wandern im Engadin!<br />

KUNST IN DÜSSELDORF<br />

Das große Schweigen<br />

MUSIK IN SCHWETZINGEN<br />

Barockmeister<br />

Die Opern-Uraufführung der<br />

Schwetzinger SWR-Festspiele<br />

<strong>vom</strong> 25. 4. bis 7. 6. gilt Bernhard<br />

Langs „Rei:gen“ nach Arthur<br />

Schnitzlers gleichnamigem<br />

Drama. Eine Wiederentdeckung<br />

ist Johann Adolph Hasses Oper<br />

„Leucippo“, die 1757 zum ersten<br />

Mal in Schwetzingen erklang.<br />

Weitere Höhepunkte: der Tenor<br />

Christoph Pregardien mit einem<br />

Balladen-Programm, das Artemis<br />

Quartett mit Schuberts „Der<br />

Tod und das Mädchen“ und<br />

das Radio-Sinfonieorchester<br />

Stuttgart, das die Barockmeister<br />

Lully, Rameau und Telemann<br />

spielt. swr.de<br />

THE NEW YORKER<br />

Der Weg zur Formaskese,<br />

zur Abstraktion, führte in der<br />

bildenden Kunst zu Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts vor allem<br />

über die Farbe Weiß. Die Ausstellung<br />

„Der weiße Abgrund<br />

Unendlichkeit“ in der Kunstsammlung<br />

NRW, zugleich Auftakt<br />

der Düsseldorfer Quadriennale,<br />

präsentiert <strong>vom</strong> 5. April<br />

bis 6. Juli Hauptwerke von<br />

Kasimir Malewitsch (Bild), Wassilij<br />

Kandinsky und Piet Mondrian,<br />

die zwischen 1909 und 1940<br />

entstanden sind und in denen<br />

die Führungsrolle der „Nicht-<br />

Farbe“ Weiß als Symbol der<br />

Reinheit und höheren Geistigkeit<br />

ihren Ausdruck findet.<br />

Parallel zur Ausstellung hat der<br />

Künstler Olafur Eliasson einen<br />

Erfahrungsraum geschaffen, der<br />

die Besucher für „das große<br />

Schweigen“ und „die komplexen<br />

Wahrnehmungs- und Materialqualitäten<br />

des Weiß sensibilisieren<br />

soll“. kunstsammlung.de<br />

„Technology is ruining us.“<br />

FOTOS: KUNSTSAMMLUNG NRW – KASIMIR MALEWITSCH, MALERISCHER REALISMUS: JUNGE MIT TORNISTER - FARBIGE MASSEN IN DER 4. DIMENSION, 1915, ÖL AUF LEINWAND,<br />

71,1 X 44,5 CM, THE MUSEUM OF MODERN ART, NEW YORK, PR, CARTOON: FARLEY KATZ/CONDÉ NAST PUBLICATIONS/WWW.CARTOONBANK.COM<br />

118 Redaktion: christopher.schwarz@wiwo.de<br />

Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Leserforum<br />

Buchhandel Fünf Milliarden Euro Umsatz 2013 im Internet erzielt<br />

Unternehmen&Märkte<br />

Exklusivstudie: Wen Online-Händler<br />

<strong>vom</strong> Markt fegen können.<br />

Heft 14/<strong>2014</strong><br />

Mobilmachen<br />

Die Bedrohung der Einzelhändler<br />

wird durch das Versagen ihrer<br />

Verbände verschärft. Einerseits<br />

könnten sie neue Erlösmodelle<br />

entwickeln (zum Beispiel Beratungsgebühren<br />

für Fachgeschäfte),<br />

andererseits hätten sie schon<br />

vor Jahren gegen die Buchpreisbindung<br />

mobilmachen müssen.<br />

Diese sorgt dafür, dass Amazon<br />

seine Einkaufsvorteile vollständig<br />

behalten und so die Expansion<br />

in andere Branchen finanzieren<br />

kann. Während Discounter<br />

den Vorteil niedrigerer Einkaufspreise<br />

zum Großteil an die Verbraucher<br />

weiterreichen müssen,<br />

geschieht dies im Buchgeschäft<br />

nicht.<br />

Guido Bruch<br />

Neubiberg (Bayern)<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

Justiz: Die fragwürdigen Nebenverdienste<br />

deutscher Richter.<br />

Heft 14/2013<br />

Weiterleiten<br />

Diese Seiten schicken Sie doch<br />

bitte der Richtervereinigung<br />

und den obersten Gerichten zu.<br />

Die Unabhängigkeit wird hier<br />

wohl nicht immer gewahrt, und<br />

gerade die ist in diesem Bereich<br />

unerlässlich.<br />

Reinhard Steinki<br />

Diepholz (Niedersachsen)<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

Wie die EU-Kommission gegen internationale<br />

Steuertricksereien vorgeht.<br />

Heft 13/<strong>2014</strong><br />

Schneller reagieren<br />

Endlich geht die EU-Kommission<br />

die Steuervermeidungsstrategien<br />

großer Konzerne in Europa<br />

an. Diese haben in den<br />

letzten Jahren nicht nur zu Steuermindereinnahmen,<br />

sondern<br />

auch zu klaren Wettbewerbsverzerrungen<br />

zum Beispiel gegenüber<br />

dem stationären Einzelhandel<br />

geführt. Natürlich kann<br />

man besser kalkulieren, wenn<br />

man so gut wie keine Steuern<br />

zahlt. Es ist zu hoffen, dass die<br />

EU-Kommission den subtilen<br />

Steuerstrategien spezialisierter<br />

Kanzleien endlich gewachsen ist<br />

und zukünftig wesentlich<br />

schneller auf solche Fehlentwicklungen<br />

reagiert.<br />

Wolfgang Trede<br />

Seesen (Niedersachsen)<br />

Technik&Wissen<br />

Auto: Staat und Industrie sitzen<br />

immer häufiger mit am Steuer.<br />

Heft 13/<strong>2014</strong><br />

Wie Roboter<br />

Das Endziel ist scheinbar der implantierte<br />

Chip im Hinterkopf,<br />

der uns dann zu gleichgeschalteten<br />

Robotern macht. Als ließe<br />

sich der Mensch auf Messdaten<br />

wie Puls und Blutdruck reduzieren,<br />

als würden weniger Unfälle<br />

deshalb passieren. Das Gegenteil<br />

ist der Fall, je mehr die Systeme<br />

im Auto das Fahren übernehmen,<br />

desto weniger können die<br />

Menschen fahren und scheitern<br />

bereits bei den geringsten Unregelmäßigkeiten<br />

im Verkehr. Wie<br />

schön ist es, mit meinen Oldtimern<br />

zu fahren – ohne Gurt, ohne<br />

ABS, ohne Airbag, sogar mit<br />

Trommelbremsen ohne Bremskraftverstärker,<br />

und niemand<br />

registriert, wann ich in welcher<br />

Stimmung wohin fahre. Das<br />

Leben selbst ist Risiko, und der<br />

Mensch tut gut daran, flexibel zu<br />

bleiben.<br />

Michael Forster<br />

München<br />

Einblick<br />

Chefredakteur Roland Tichy über den<br />

Fall Hoeneß und die Hausaufgaben<br />

des Staates. Heft 12/<strong>2014</strong><br />

Restlos bedient<br />

Ich bin restlos bedient von der<br />

öffentlichen Reaktion. Wenn Uli<br />

Hoeneß nach dem Urteil seine<br />

Steuerschulden plus einer<br />

Geldbuße beglichen haben<br />

wird, dann ist effektiv niemand<br />

geschädigt worden. Dafür soll<br />

dieser Mann jetzt ins Gefängnis?<br />

Diejenigen, die den Steuerzahler<br />

um Unsummen für Nürburgring,<br />

Elbphilharmonie und<br />

Flughafen BER geschädigt haben,<br />

laufen frei herum.<br />

Jürgen Lux<br />

Endingen (Baden-Württemberg)<br />

Der Volkswirt<br />

ifo-Präsident Hans-Werner Sinn über<br />

Deutschland und das russische Gas.<br />

Heft 12/<strong>2014</strong><br />

Amerikahörig<br />

Wissen wir eigentlich, was wir<br />

tun?, fragt Professor Hans-<br />

Werner Sinn am Schluss seiner<br />

klaren, realistischen Ausführungen.<br />

Die unter den rapide steigenden<br />

Stromkosten leidende<br />

Bevölkerung und die gefährdete<br />

Industrie wissen es; unsere amerikahörigen<br />

Politiker sind offensichtlich<br />

ahnungslos. Hat die damalige<br />

Sowjetunion gegen den<br />

Volksentscheid im Saargebiet<br />

und gegen den Beitritt der DDR<br />

zur BRD protestiert? Die USA<br />

sollte sich um die über eine Million<br />

obdachlosen Bürger und das<br />

verfallene Detroit kümmern und<br />

das Lager Guantanamo endlich<br />

auflösen, statt unablässig Russland<br />

zu drohen.<br />

Kurt und Marianne Fiebich<br />

Düsseldorf<br />

Aus dem Schneider<br />

Richtig ist, dass es ohne Russengas<br />

keine Energiewende gibt,<br />

aber wenn die USA „fracken“<br />

wie verrückt, sind wir aus dem<br />

Schneider. Von wegen abhängig!<br />

Fakt ist:Durch die Subventionierung<br />

der Energiewende<br />

verzerrt Deutschland den europäischen<br />

Markt und damit die<br />

Stromerzeugung in anderen<br />

Ländern. So rechnet sich in der<br />

Schweiz die Produktion von<br />

Strom aus Wasserkraft mit<br />

Pumpspeicheranlagen nicht<br />

mehr. Dort verzichtet man wegen<br />

der fehlenden Wirtschaftlichkeit<br />

auf Investitionen.<br />

Rudolf Klimesch<br />

Berlin<br />

Geld&Börse<br />

Welche Dax-Unternehmen künftig<br />

hohe Ausschüttungen liefern.<br />

Heft 9/<strong>2014</strong><br />

Gute Arbeit<br />

Ich kaufe nur Papiere, die Zinsen<br />

oder Dividenden zahlen, ich will<br />

Cash. Es ist deshalb hilfreich,<br />

dass die WirtschaftsWoche bei<br />

jeder Aktienvorstellung die<br />

Dividendenrendite angibt. Dank<br />

an das Ressort Geld & Börse für<br />

über 20 Jahre ausgezeichnete<br />

Informationen zur Geldanlage.<br />

Meine Ergebnisse zeigen, dass<br />

Ihre Kurzvorstellungen und Berichte<br />

und meine Anlageprinzipien<br />

harmonieren.<br />

Joachim Güthe<br />

München<br />

Leserbriefe geben die Meinung des<br />

Schreibers wieder, die nicht mit der<br />

Redaktionsmeinung übereinstimmen<br />

muss. Die Redaktion behält sich vor,<br />

Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.<br />

WirtschaftsWoche<br />

Postfach 10 54 65<br />

40<strong>04</strong>5 Düsseldorf<br />

E-Mail: leserforum@wiwo.de<br />

Bei Zuschriften per E-Mail bitten wir<br />

um Angabe Ihrer Postadresse.<br />

FOTO: DDP IMAGES/MICHAEL KAPPELER<br />

120 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Firmenindex<br />

Hervorgegangen aus<br />

DER DEUTSCHE VOLKSWIRT<br />

Gegründet 1926<br />

Pflichtblatt der Wertpapierbörsen in<br />

Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart<br />

40<strong>04</strong>5 Düsseldorf, Postfach 105465,<br />

(für Briefe)<br />

40213 Düsseldorf, Kasernenstraße 67,<br />

(für Pakete, Päckchen und Frachtsendungen)<br />

Fon (0211) 887–0, E-Mail wiwo@wiwo.de<br />

REDAKTION<br />

Chefredakteur Roland Tichy<br />

Stellvertretende Chefredakteure Henning Krumrey,<br />

Franz W. Rother<br />

Geschäftsführende Redakteurin/Chefin <strong>vom</strong> Dienst<br />

Angela Kürzdörfer<br />

Creative Director/Leiter Produktentwicklung Holger Windfuhr<br />

Chefreporter Dieter Schnaas<br />

Chefreporter international Florian Willershausen<br />

Menschen der Wirtschaft Hermann J. Olbermann;<br />

Thomas Stölzel, Oliver Voß<br />

Politik & Weltwirtschaft Konrad Handschuch; Bert Losse,<br />

Jens Konrad Fischer, Malte Fischer, Hans Jakob Ginsburg<br />

Unternehmen & Märkte Reinhold Böhmer, Stephanie Heise;<br />

Jürgen Berke, Mario Brück, Nele Hansen, Henryk Hielscher,<br />

Rüdiger Kiani-Kreß, Michael Kroker, Peter Steinkirchner,<br />

Reporter: Anke Henrich, Hans-Jürgen Klesse, Jürgen Salz,<br />

Harald Schumacher, Dr. Andreas Wildhagen, Management:<br />

Julia Leendertse*<br />

Technik & Wissen Lothar Kuhn; Thomas Kuhn, Dieter Dürand<br />

(Dossiers), Wolfgang Kempkens (Autor)*, Susanne Kutter,<br />

Andreas Menn, Jürgen Rees<br />

Management & Erfolg Manfred Engeser; Lin Freitag, Daniel Rettig,<br />

Kristin Schmidt, Claudia Tödtmann<br />

Geld & Börse Hauke Reimer; Christof Schürmann, Frank Doll,<br />

Martin Gerth, Stefan Hajek, Niklas Hoyer, Sebastian Kirsch,<br />

Dr. Anton Riedl<br />

Perspektiven & Debatte Thorsten Firlus-Emmrich;<br />

Dr. Christopher Schwarz (Reporter)<br />

Layout Svenja Kruse (stv. AD); Beate Clever, Karin Heine,<br />

Claudia Immig, Horst Mügge<br />

Bildredaktion Silke Eisen; Lena Flamme, Patrick Schuch<br />

Syndication wiwo-foto.de<br />

Bildbearbeitung Uwe Schmidt<br />

Informationsgrafik Anna Tabea Hönscheid, Konstantin Megas,<br />

Carsten Stollmann, Gerd Weber<br />

Schlussredaktion Martina Bünsow; Dieter Petzold<br />

Produktion Markus Berg, Petra Jeanette Schmitz<br />

BÜROS<br />

Berlin Henning Krumrey; Dr. Christian Ramthun, Max Haerder,<br />

Christian Schlesiger, Dieter Schnaas, Cordula Tutt (Autorin)<br />

Askanischer Platz 3, 10963 Berlin,<br />

Fon (030) 61686–121, Fax (030) 61686–170<br />

Brüssel Silke Wettach*, 13b, Av. de Tervuren, B-1<strong>04</strong>0 Bruxelles,<br />

Fon (00322) 2346452, Fax (00322)2346459<br />

E-Mail silke.wettach@wiwo.de<br />

Frankfurt<br />

Melanie Bergermann (Reporterin), Florian Zerfaß<br />

Unternehmen & Märkte Mark Fehr, Cornelius Welp,<br />

Politik & Weltwirtschaft Angela Hennersdorf<br />

Geld & Börse Hauke Reimer; Annina Reimann, Heike Schwerdtfeger<br />

Eschersheimer Landstraße 50, 60322 Frankfurt<br />

Fon (069) 2424–4903, Fax (069) 2424594903<br />

London Yvonne Esterházy*, 1 Mansel Road,<br />

London SW19 4AA, Fon (0<strong>04</strong>4) 2089446985,<br />

E-Mail yvonne.esterhazy@wiwo.de<br />

München Matthias Kamp, Nymphenburger Straße 14,<br />

80335 München, Fon (089) 5459<strong>07</strong>–28, Fax (0211) 887–978718<br />

New York Martin Seiwert, 44 Wall Street, 7 th floor, Suite 702,<br />

New York, NY 10005, Fon (001) 6465900672<br />

E-Mail martin.seiwert@wiwo.de<br />

Paris Karin Finkenzeller*, 21 Boulevard de la Chapelle,<br />

75010 Paris, Fon (0033) 695929240<br />

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São Paulo Alexander Busch*, R. Otavio de Moraes<br />

Dantas, N.° 15, apto. <strong>04</strong> – Vila Marina, CEP <strong>04</strong>012–110<br />

São Paulo, Brasilien, Fon/Fax (005511) 50281112,<br />

E-Mail alexander.busch@wiwo.de<br />

Shanghai Philipp Mattheis*, 100 Changshu Lu, No 2/App. 105,<br />

200<strong>04</strong>0 Shanghai,<br />

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Silicon Valley Matthias Hohensee*, 809 B Cuesta Drive # 147,<br />

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Tokio Martin Fritz*, c/o Foreign Correspondents’ Club of Japan<br />

Yurakucho Denki North Building 20F, Yurakucho 1–7–1, Chiyoda-ku,<br />

100–0006 Tokyo, Japan<br />

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(*Freie/r Mitarbeiter/in)<br />

Verantwortlich für diese <strong>Ausgabe</strong> i.S.d.P.<br />

Konrad Handschuch (Politik&Weltwirtschaft, Der Volkswirt),<br />

Reinhold Böhmer (Unternehmen&Märkte), Hauke Reimer<br />

(Geld&Börse), Manfred Engeser (Management&Erfolg),<br />

Thorsten Firlus (Perspektiven&Debatte), Hermann J. Olbermann<br />

(Menschen der Wirtschaft), Lothar Kuhn (Technik&Wissen)<br />

ONLINE<br />

Leitung Franziska Bluhm<br />

Chefin <strong>vom</strong> Dienst Dr. Silke Fredrich<br />

Redaktion Rebecca Eisert, Stephan Happel, Ferdinand Knauß, Saskia<br />

Littmann, Meike Lorenzen, Tim Roman Rahmann, Andreas Toller<br />

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Printed in Germany.<br />

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keine Gewähr.<br />

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Die Angaben bezeichnen den<br />

Anfang des jeweiligen Artikels<br />

A<br />

Accenture........................................ 77, 82, 84<br />

Actuator Solutions.................................. 76, 79<br />

Aesculap......................................................44<br />

Aesku Systems............................................. 82<br />

Air Berlin........................................................9<br />

Aldi..............................................................63<br />

Alfmeier....................................................... 79<br />

Apple........................................................... 87<br />

Auxmoney.................................................. 102<br />

AWD.............................................................60<br />

B<br />

B.Braun........................................................44<br />

Bain.............................................................60<br />

BASF............................................................67<br />

Bayer........................................................... 67<br />

Beiersdorf.................................................... 76<br />

Bilfinger....................................................... 60<br />

Bitron...........................................................84<br />

Blacklane..................................................... 12<br />

Blue Yonder..................................................77<br />

BMW............................................................68<br />

Booz & Co.......................................................9<br />

Bosch...........................................................79<br />

Boston Consulting Group...............................60<br />

C<br />

Capital Stage................................................67<br />

Clearstream..................................................12<br />

Commerzbank........................................ 52, 60<br />

Constantin Medien........................................16<br />

Continental.......................................... 79, 110<br />

Crédit Agricole..............................................52<br />

D<br />

Daimler............................................ 12, 16, 79<br />

Deutsche Bahn.............................................66<br />

Deutsche Bank.............................................60<br />

Deutsche Börse.................................... 12, 111<br />

Deutsche Lufthansa......................................60<br />

Deutsche Post............................................ 110<br />

Deutsche Telekom............................ 63, 84, 93<br />

Dresdner Bank..............................................60<br />

Dropbox....................................................... 87<br />

E<br />

E.On.............................................................67<br />

Electrolyte..................................................116<br />

Enagás.......................................................112<br />

EnBW......................................... 67, 79, 82, 84<br />

Enercon....................................................... 67<br />

Envitec Biogas..............................................66<br />

E-Plus.................................................... 63, 64<br />

Esprit........................................................... 56<br />

Etihad............................................................ 9<br />

Evonik.............................................. 80, 83, 93<br />

EyeEm..........................................................16<br />

F<br />

Fairvesta.................................................... 1<strong>04</strong><br />

Fast Retailing................................................56<br />

Fiat..............................................................79<br />

Flickr............................................................16<br />

Fris Investment.............................................14<br />

G<br />

GAP............................................................. 56<br />

GE Healthcare.............................................. 80<br />

Google......................................................... 87<br />

H<br />

H&M............................................................ 56<br />

Hali..............................................................68<br />

Hewlett-Packard.........................................112<br />

Homag......................................................... 68<br />

HSH Nordbank..............................................14<br />

Hutchison...............................................63, 64<br />

I<br />

Ikea............................................................. 90<br />

Imperial Tobacco.......................................... 16<br />

Inditex..........................................................56<br />

Instagram...............................................10, 16<br />

Interbrand....................................................93<br />

iThera Medical........................................76, 80<br />

J<br />

Juwi............................................................. 67<br />

K<br />

KfW..............................................................16<br />

Kinematics................................................... 16<br />

Kirchhoff Automotive....................................68<br />

Kosmos........................................................89<br />

L<br />

Lego.............................................................16<br />

Lendico......................................................102<br />

Lending Club.............................................. 102<br />

Libyan Foreign Bank......................................12<br />

LinkedIn.......................................................10<br />

Lyxor..........................................................114<br />

M<br />

McKinsey..................................................... 60<br />

Microsoft..............................................87, 112<br />

Miele............................................................84<br />

Mobilkom Austria..........................................64<br />

Motorworld Australia.................................... 16<br />

MR Handelsgesellschaft................................14<br />

MR Valuefacturing........................................ 68<br />

Müller & Guski..............................................68<br />

Munich Strategy Group........................... 44, 48<br />

N<br />

Neomar........................................................83<br />

Nestlé.................................................... 14, 88<br />

Nordex,........................................................ 67<br />

O<br />

Opel.............................................................68<br />

Otto....................................................... 76, 77<br />

P<br />

Phoenix Contact........................................... 68<br />

PNE Wind.....................................................67<br />

Prevent........................................................ 14<br />

Procter & Gamble......................................... 64<br />

PwC............................................................... 9<br />

R<br />

Rocket Internet.......................................... 102<br />

Royal Bank of Scotland................................. 16<br />

RWE.............................................................67<br />

S<br />

SAES Getters................................................79<br />

Jil Sander..................................................... 56<br />

SAP..............................................................68<br />

Schwan Stabilo.............................................92<br />

SeaControl 360............................................14<br />

6Wunderkinder.............................................10<br />

Secomba......................................................87<br />

Senvion........................................................67<br />

Siemens................................... 44, 60, 67, 110<br />

Smava........................................................102<br />

Société Générale.......................................... 52<br />

Soundcloud..................................................10<br />

Statoil........................................................ 113<br />

Karl Storz............................................... 44, 82<br />

T<br />

Telefónica.................................................... 63<br />

Telekom Austria......................................63, 64<br />

ThyssenKrupp.............................................. 67<br />

T-Mobile.......................................................63<br />

TUI.................................................................9<br />

Twitter......................................................... 44<br />

U<br />

UBAE........................................................... 12<br />

Unilever....................................................... 94<br />

Uniqlo.......................................................... 56<br />

UPC.............................................................64<br />

V<br />

Vattenfall......................................................67<br />

Virtu...........................................................110<br />

Vodafone......................................................63<br />

Volkswagen............................................ 14, 67<br />

W<br />

WhatsApp...............................................10, 63<br />

WPD............................................................ 67<br />

X<br />

Xing............................................................. 10<br />

Y<br />

Yahoo...........................................................16<br />

Z<br />

Zalando..........................................................8<br />

Zencap.......................................................102<br />

WirtschaftsWoche 7.4.<strong>2014</strong> Nr. 15 121<br />

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Ausblick<br />

„In unserem Geschäft<br />

respektiert man nicht Tradition,<br />

sondern ob man auch künftig<br />

innovativ und relevant ist.“<br />

Satya Nadella<br />

Microsoft-Chef<br />

„Jedes Geschäftsmodell,<br />

das prinzipiell das<br />

Urheberrecht infrage stellt, ist<br />

ein No-Go: Nicht mit uns!“<br />

Philip Ginthör<br />

Deutschland-Chef von Sony,<br />

über die Sperrung von Musikvideos<br />

für die Google-Tochter YouTube<br />

„Ein Land, in dem<br />

die Regierung ihren Kritikern<br />

droht und das demokratische<br />

Werte mit Füßen tritt, kann<br />

nicht zu Europa gehören.“<br />

Andreas Scheuer<br />

CSU-Generalsekretär, über die<br />

Türkei und ihren Ministerpräsidenten<br />

Recep Tayyip Erdogan<br />

„Fracking ist die falsche<br />

Antwort auf die Energiefrage.“<br />

Barbara Hendricks<br />

Bundesumweltministerin (SPD),<br />

zur Förderung von Schiefergas<br />

„Die Idee des Urhebers verweist<br />

etymologisch auf Gott.<br />

Der Schöpfer wird zu einer<br />

Leitfigur der Moderne.“<br />

Monika Dommann<br />

Historikerin an der Universität Zürich<br />

„Wenn Schiefergas Gift wäre,<br />

dürfte man es auch nicht aus<br />

anderen Ländern beziehen.“<br />

Peter Ramsauer<br />

Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses<br />

im Bundestag (CSU),<br />

zum Fracking und den Importmöglichkeiten<br />

von Schiefergas<br />

„Das Unmögliche ist leichter<br />

als das Schwierige, denn<br />

an das Unmögliche sind keine<br />

Erwartungen geknüpft.“<br />

Daniel Barenboim<br />

Pianist und Dirigent<br />

„Wer nix im Boden hat,<br />

muss es in der Birne haben.“<br />

Volker Kauder<br />

Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU,<br />

über das rohstoffarme Deutschland<br />

„Der Kunde ist ein scheues Reh,<br />

aber das Reh kommt<br />

durchaus auch zurück.“<br />

Frank Asbeck<br />

Chef des Fotovoltaikkonzerns<br />

Solarworld, zum Verlust von<br />

431 Millionen Euro im Jahr 2013<br />

„Bei völliger Freiheit<br />

statt Reglementierung wäre<br />

im Autoverkehr die Hölle los.<br />

Dann gute Nacht.“<br />

Simone Peter<br />

Vorsitzende der Grünen, zu ihrer<br />

Forderung nach einem absoluten<br />

Alkoholverbot für Autofahrer<br />

„Offen gesagt, wir sehen keinen<br />

anderen Weg für eine stabile<br />

Entwicklung des ukrainischen<br />

Staates als eine Föderation.“<br />

Sergej Lawrow<br />

russischer Außenminister<br />

„Solche Methoden hat<br />

schon der Hitler im<br />

Sudetenland übernommen.“<br />

Wolfgang Schäuble<br />

Bundesfinanzminister (CDU), zum<br />

Vorgehen Russlands in der Ukraine<br />

und der Besetzung von<br />

Teilen der Tschechoslowakei durch<br />

die Deutschen 1938<br />

„Bis in ihre Höhlen<br />

werden wir sie verfolgen.“<br />

Recep Tayyip Erdogan<br />

türkischer Ministerpräsident, über<br />

seine Gegner nach dem Sieg seiner<br />

Partei bei den Kommunalwahlen<br />

»Ein Highlight waren sicherlich<br />

die Schlauchboote der Bundeswehr, deren<br />

Heckmotoren so schwer waren, dass<br />

die Boote nach unten absackten. Absurd war<br />

auch die Bestellung von Rinderohrhaaren<br />

zum Säubern von Bildschirmen.«<br />

Dieter Engels<br />

Präsident des Bundesrechnungshofes, über die kuriosesten Fälle<br />

von Verschwendung öffentlicher Gelder in seiner zwölfjährigen Amtszeit,<br />

die am Dienstag endet<br />

„Die Regulierung der<br />

Vergütungen verschafft uns<br />

global einen Nachteil im<br />

Wettbewerb um Mitarbeiter.“<br />

Jürgen Fitschen<br />

Co-Vorstandsvorsitzender der<br />

Deutschen Bank<br />

„Dieses Internet ist<br />

schon eine tolle Sache. Extreme<br />

Reichweite und keine Einnahmen.<br />

Da kann ich die Gags<br />

auch zum Fenster rausschreien.“<br />

Harald Schmidt<br />

Kabarettist<br />

„Ich stelle mir niemals die<br />

Frage, wie teuer etwas ist,<br />

sondern wie viel es mir wert ist.“<br />

Harald Glööckner<br />

Modedesigner<br />

ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />

122 Nr. 15 7.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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