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Thomas Richter<br />
Autoritäre Herrschaft, materielle Ressourcen<br />
und Außenwirtschaftsreformen
Politik und Gesellschaft des Nahen Ostens<br />
Die Herausgeber:<br />
Dr. Martin Beck ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am GIGA Institut<br />
für Nahost-Studien und Privatdozent am Institut für Politische Wissenschaft<br />
der Universität Hamburg<br />
Dr. Cilja Harders ist Professorin für Politikwissenschaft und Leiterin<br />
der „Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients“ am Otto-Suhr-Institut<br />
für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin<br />
Dr. Annette Jünemann ist Professorin für Politikwissenschaft am Institut<br />
für Internationale Politik der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg<br />
Dr. Stephan Stetter ist Professor für Internationale Politik und<br />
Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München<br />
Die Reihe „Politik und Gesellschaft des Nahen Ostens“ beschäftigt sich mit aktuellen<br />
Entwicklungen und Umbrüchen im Nahen Osten – einer Region, die von hoher globaler<br />
Bedeutung ist und deren Dynamiken insbesondere auch auf Europa ausstrahlen. Konflikt<br />
und Kooperation etwa im Rahmen der euro-mediterranen Partnerschaft, der Nahostkonflikt,<br />
energiepolitische Fragen, Umweltprobleme, Migration, Islam und Islamismus sowie<br />
Autoritarismus sind wichtige Stichworte. Der Schwerpunkt liegt auf politikwissenschaftlichen<br />
Werken, die die gesamte theoretische Breite des Faches abdecken, berücksichtigt<br />
werden aber auch Beiträge aus anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die relevante<br />
politische Zusammenhänge behandeln.
Thomas Richter<br />
Autoritäre Herrschaft,<br />
materielle Ressourcen<br />
und Außenwirtschaftsreformen<br />
Marokko, Tunesien, Ägypten<br />
und Jordanien im Vergleich<br />
Mit einem Geleitwort von Martin Beck
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der<br />
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<br />
abrufbar.<br />
Zugl.: Universität Bremen, Dissertation, 2008<br />
Gedruckt mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung<br />
.<br />
1. Auflage 2011<br />
Alle Rechte vorbehalten<br />
© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011<br />
Lektorat: Monika Mülhausen<br />
VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien.<br />
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www.vs-verlag.de<br />
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede<br />
Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist<br />
ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbeson dere<br />
für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung<br />
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem<br />
Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche<br />
Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten<br />
wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.<br />
Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg<br />
Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach<br />
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier<br />
Printed in Germany<br />
ISBN 978-3-531-17338-2
Danksagung<br />
Danksagung<br />
Von den Personen, die den Entstehungsprozess dieses Buchs am nachdrücklichsten<br />
begleitet haben, gilt es an erster Stelle Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Senghaas und<br />
PD Dr. Martin Beck zu danken. Mir immer die nötigen inhaltlichen Freiheiten<br />
gebend, hat Dieter Senghaas diese Arbeit in seiner unnachahmlichen Art und<br />
Weise auf den Punkt genau betreut. Martin Beck danke ich vor allem für die<br />
Einbindung in seine eigenen Arbeiten zum Rentierstaat und für die offene Tür<br />
am Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA) in Hamburg.<br />
Ohne die finanzielle Unterstützung durch die Hans-Böckler-Stiftung (HBS)<br />
wäre diese Studie nicht möglich gewesen. Ein herzlicher Dank gilt deswegen<br />
neben den MitarbeiterInnen der Stiftung allen GutachterInnen und meinem Vertrauensdozenten<br />
Prof. Dr. Hans Joas, die an meiner Aufnahme in die HBS-<br />
Promotionsförderung und Weiterförderung in dieser maßgeblich beteiligt waren.<br />
Gleichzeitig war die Graduate School of Social Sciences (GSSS) und ab Januar<br />
2008 die Bremen International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS) ein<br />
aus meiner Sicht idealer Platz, um von der Pike auf das Geschäft Wissenschaft<br />
begreifen zu lernen. Allen MitarbeiterInnen der Bremer Graduiertenschule<br />
(Hartmut Asendorf, Lisa Bäumle, Margret Gels, Jasmin Hennemann, Susanna<br />
Kowalik, Karin Müller, Anne Schlüter) und besonders Werner Dressel sei für die<br />
Bereitstellung der ausgezeichneten Arbeitsbedingungen im FVG-West herzlichst<br />
gedankt.<br />
Ein wesentlicher Teil der empirischen Auswertung in dieser Studie hätte<br />
ohne die Existenz der umfangreichen Dokumentensammlungen im Archiv des<br />
Internationalen Währungsfonds nicht geleistet werden können. Ich bin mir sicher,<br />
dass ich ohne die Unterstützung des Teams in den IMF Archives diese<br />
Studie nicht hätte fertigstellen können. Mein herzlichster Dank geht daher insbesondere<br />
an Clare Huang, Jean Marcouyeux and Premela Isaac für ihre unermüdliche<br />
Unterstützung im Frühjahr 2006 in Washington D.C. Beste Erinnerungen<br />
verbinden mich aus dieser Zeit an die herzliche Aufnahmen im International<br />
Guest House durch die damaligen Herbergseltern Joyce und Leroy Bontrager.<br />
Von den KollegInnnen, die durch Diskussionen und Gespräche Phasen der<br />
Ideenfindung und der Entstehung der Studie maßgeblich mitbegleitet und beeinflusst<br />
haben, sind neben den TeilnehmerInnen der GSSS/InIIS-Kolloquien vor<br />
allem Holger Albrecht, André Bank, Rainer Baumann, Thilo Bodenstein, Oliver
6 Danksagung<br />
Buntrock, Juliane Brach, Henner Fürtig, Regine Köller, Janet Kursawe, Peter<br />
Mayer, Nadja Meisterhans, Pete Moore, Patrizia Nanz, Andreas Obermaier, Anja<br />
Plomien, Oliver Schlumberger, Christian Steiner, Stephan Stetter, Steffen<br />
Wippel, Sean Yom und Bernhard Zangl zu nennen. Nicht zuletzt waren es Rolf<br />
Schwarz in Princeton im Januar 2006 und Dawid Friedrich und Christian Völkel<br />
im Sommer 2008 in Bremen, die mit ihren treffenden Ratschlägen maßgeblich<br />
zur Verbesserung und Fertigstellung der Studie beigetragen haben. Christian<br />
Martin danke ich für die unkomplizierte Bereitstellung des von ihm kodierten<br />
Datensatzes zur Messung außenwirtschaftlicher Offenheit. Margit Reuter hat<br />
kurz vor Abgabe entscheidend mitgeholfen, die sprachliche Qualität des Manuskripts<br />
deutlich zu verbessern.<br />
Und ohne meine wunderbare Familie Inken, Hanaan, Elin und Jonte wäre sowieso<br />
alles ganz anders gekommen.<br />
Thomas Richter Bremen, im März 2011
Inhaltsverzeichnis 7<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Tabellenverzeichnis .......................................................................................... 11<br />
Abbildungsverzeichnis ..................................................................................... 13<br />
Abkürzungsverzeichnis .................................................................................... 17<br />
Vorwort .............................................................................................................. 19<br />
1 Einleitung ................................................................................................... 23<br />
2 Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern:<br />
Forschungsstand, Forschungslücken und Forschungsdesign ............... 27<br />
2.1 Folgen und Ursachen von außenwirtschaftlicher Liberalisierung in<br />
Entwicklungsländern ........................................................................... 27<br />
2.1.1 Außenwirtschaftsliberalisierung als unabhängige Variable ..... 30<br />
2.1.2 Außenwirtschaftsliberalisierung als abhängige Variable ......... 33<br />
2.2 Indikatoren und Messverfahren von regulativer<br />
Außenwirtschaftsliberalisierung ......................................................... 39<br />
2.3 Methodische und empirische Lücken im Forschungsprogramm ......... 45<br />
2.4 Autoritäre Außenwirtschaftsliberalisierung: ein Forschungsdesign.... 49<br />
3 Fallauswahl und Datenlage ...................................................................... 53<br />
3.1 Außenwirtschaftliberalisierung bei Entwicklungsländern:<br />
ein interregionaler Vergleich............................................................... 54<br />
3.2 Regimeform und Rente als Determinanten von autoritärer<br />
Außenwirtschaftsliberalisierung innerhalb der Region Nordafrika<br />
und Mittlerer Osten ............................................................................. 59<br />
3.3 Auswahl von heuristischen Fällen innerhalb der Region<br />
Nordafrika und Mittlerer Osten ........................................................... 71<br />
3.4 Datenlage und Analysezeitraum ......................................................... 78
8 Inhaltsverzeichnis<br />
4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen:<br />
Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien zwischen 1970<br />
und 2003 ..................................................................................................... 81<br />
4.1 Marokko – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 ....... 84<br />
4.1.1 Die Entwicklung der marokkanischen<br />
Wechselkursregulierungen ........................................................ 84<br />
4.1.2 Die Entwicklung der marokkanischen<br />
Zahlungsverkehrregulierungen ................................................. 88<br />
4.1.3 Die Entwicklung der marokkanischen Handelsregulierungen .... 94<br />
4.2 Tunesien – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 ..... 100<br />
4.2.1 Die Entwicklung der tunesischen<br />
Wechselkursregulierungen ...................................................... 100<br />
4.2.2 Die Entwicklung der tunesischen<br />
Zahlungsverkehrregulierungen ............................................... 104<br />
4.2.3 Die Entwicklung der tunesischen Handelsregulierungen ....... 108<br />
4.3 Ägypten – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 ...... 114<br />
4.3.1 Die Entwicklung der ägyptischen<br />
Wechselkursregulierungen ...................................................... 114<br />
4.3.2 Die Entwicklung der ägyptischen<br />
Zahlungsverkehrregulierungen ............................................... 131<br />
4.3.3 Die Entwicklung der ägyptischen<br />
Handelsbilanzregulierungen ................................................... 137<br />
4.4 Jordanien – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 .... 149<br />
4.4.1 Die Entwicklung der jordanischen<br />
Wechselkursregulierungen ...................................................... 149<br />
4.4.2 Die Entwicklung der jordanischen<br />
Zahlungsverkehrregulierungen ............................................... 154<br />
4.4.3 Die Entwicklung der jordanischen Handelsregulierungen ..... 158<br />
4.5 Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei außenwirtschaftlichen<br />
Liberalisierungsprozessen in Marokko, Tunesien, Ägypten und<br />
Jordanien ........................................................................................... 164
Inhaltsverzeichnis 9<br />
5 Motive für Außenwirtschaftsreformen in Marokko, Tunesien,<br />
Ägypten und Jordanien: eine Inhaltsanalyse von Dokumenten<br />
des IWF .................................................................................................... 173<br />
5.1 Motive für Reformen der Wechselkursregulierung zwischen<br />
1970 und 2003................................................................................... 174<br />
5.2 Motive für die Veränderung der Regulierung des internationalen<br />
Zahlungsverkehrs zwischen 1970 und 2003 ..................................... 186<br />
5.3 Motive für die Aufrechterhaltung und Reform von<br />
Handelsrestriktionen zwischen 1970 und 2003 ................................. 193<br />
5.4 Synopsis ............................................................................................ 208<br />
6 Außenwirtschaftliche Reformen in Marokko, Tunesien, Ägypten<br />
und Jordanien zwischen 1970 und 2003: ein Vergleich<br />
makro-ökonomischer und fiskalischer Einflussfaktoren ..................... 211<br />
6.1 Wirtschaftspolitische Entwicklung in Marokko, Tunesien, Ägypten<br />
und Jordanien bis zum Beginn allgemeiner<br />
Außenwirtschaftsliberalisierung im historischen Vergleich ............. 212<br />
6.1.1 Marokko – Phosphatboom, späte Importsubstitution und<br />
frühe Außenwirtschaftsliberalisierung .................................... 212<br />
6.1.2 Tunesien – staatlich gelenkte Importsubstitution und<br />
Liberalisierung der regulativen Außenwirtschaft seit 1986 .... 216<br />
6.1.3 Ägypten – der lange Weg vom arabischen Sozialismus<br />
zur systematischen außenwirtschaftlichen Liberalisierung<br />
ab 1991 ................................................................................... 220<br />
6.1.4 Jordanien – staatlich-private Importsubstitution,<br />
Erdölboom und außenwirtschaftliche Liberalisierung<br />
in den frühen 1990er Jahren ................................................... 224<br />
6.2 Ökonomische Krisen und der Beginn von allgemeiner<br />
außenwirtschaftlicher Liberalisierung ............................................... 228<br />
6.3 Der Einfluss von Rohstoffrente und politischer Rente auf den<br />
Beginn von außenwirtschaftlicher Liberalisierung in Marokko,<br />
Tunesien, Ägypten und Jordanien ..................................................... 248<br />
6.4 Umsatz- und Mehrwertsteuerreformen und die Reichweite des<br />
Abbaus von tarifären Regulierungen im Außenhandel ..................... 262
10 Inhaltsverzeichnis<br />
7 Außenwirtschaftliche Reformen in autoritären Staaten:<br />
Vielfalt, Konvergenz und der Einfluss von materiellen<br />
Ressourcen in Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien<br />
zwischen 1970 und 2003.......................................................................... 277<br />
8 Literaturverzeichnis ............................................................................... 287<br />
9 Anhänge ................................................................................................... 323
Tabellenverzeichnis<br />
Tabellenverzeichnis<br />
Tabelle 3.1 Demokratieniveau, Demokratisierung und relative<br />
Veränderungen der regulativen Außenwirtschaftsoffenheit<br />
zwischen 1978–2003 .................................................................. 57<br />
Tabelle 3.2 Eine Typologie von Staatlichkeit für die arabischen Staaten<br />
in Nordafrika und dem Mittleren Osten ..................................... 62<br />
Tabelle 3.3 Außenwirtschaftsreformen in den arabischen Staaten<br />
Nordafrikas und dem Mittleren Osten, 1978–2003 .................... 70<br />
Tabelle 3.4 Empirischer Befund und konkurrierende Erklärungen zur<br />
außenwirtschaftlichen Liberalisierung in Marokko, Tunesien,<br />
Ägypten und Jordanien .............................................................. 76<br />
Tabelle 4.1 Übersicht staatlicher Regulierungsformen in der<br />
Außenwirtschaft ......................................................................... 83<br />
Tabelle 4.2 Entwicklung der Warenimporte in Ägypten, 1968–1990......... 142<br />
Tabelle 4.3 Vergleich unterschiedlicher Indikatoren von tarifären und<br />
nicht-tarifären Handelsregulierungen in Jordanien, 1988<br />
und 2004 .................................................................................. 162<br />
Tabelle 4.4 Ein Vergleich außenwirtschaftlicher Reformen in Marokko,<br />
Tunesien, Ägypten und Jordanien, 1970–2003 ........................ 164<br />
Tabelle 6.1 Zusammenfassung der Bedingungen in Bezug auf den<br />
Beginn außenwirtschaftlicher Liberalisierung in Marokko,<br />
Tunesien, Ägypten und Jordanien ............................................ 233<br />
Tabelle 6.2 Einnahmen aus Zöllen in Marokko, Tunesien, Ägypten<br />
und Jordanien in Prozent der jährlichen Staatseinnahmen,<br />
1970–2003 ............................................................................... 265<br />
Tabelle 6.3 Ein Vergleich der Einführung von Umsatzund<br />
Mehrwertsteuersystemen in Marokko, Tunesien,<br />
Ägypten und Jordanien ............................................................ 273<br />
Tabelle 9.1 Jährlicher Außenhandelsquotient in Prozent für Marokko,<br />
Tunesien, Ägypten und Jordanien von 1978 bis 2000 ............. 323<br />
Tabelle 9.2 Übersicht zur Entwicklung ausgewählter<br />
Zahlungsverkehrbeschränkungen in Marokko, 1970–2003 ..... 325<br />
Tabelle 9.3 Entwicklung des Importvolumens und der<br />
Vorabimporteinlagen in Marokko, 1969–1995 ........................ 336
12 Tabellenverzeichnis<br />
Tabelle 9.4<br />
Tabelle 9.5<br />
Tabelle 9.6<br />
Tabelle 9.7<br />
Tabelle 9.8<br />
Tabelle 9.9<br />
Tabelle 9.10<br />
Tabelle 9.11<br />
Tabelle 9.12<br />
Entwicklung ausgewählter marokkanischer tarifärer<br />
Handelsrestriktionen, 1970–2003 ............................................ 339<br />
Übersicht zur Entwicklung ausgewählter<br />
Zahlungsverkehrbeschränkungen in Tunesien, 1970–2003 ..... 346<br />
Verteilung der jährlichen Importe auf die unterschiedlichen<br />
Importbestimmungen in Prozent der Gesamtimporte in<br />
Tunesien, 1982–1994 ............................................................... 358<br />
Entwicklung ausgewählter tunesischer tarifärer<br />
Handelsrestriktionen, 1970–2003 ............................................ 360<br />
Übersicht zur Entwicklung ausgewählter<br />
Zahlungsverkehrbeschränkungen in Ägypten, 1970–2003 ...... 362<br />
Entwicklung ausgewählter ägyptischer tarifärer und<br />
nicht-tarifärer Handelsrestriktionen, 1970–2003 ..................... 369<br />
Übersicht zur Entwicklung ausgewählter<br />
Zahlungsverkehrbeschränkungen in Jordanien, 1970–2003 .... 372<br />
Entwicklung ausgewählter jordanischer tarifärer<br />
Handelsrestriktionen, 1970–2003 ............................................ 378<br />
IWF-Programme in Marokko, Tunesien, Ägypten und<br />
Jordanien, 1970–2003 .............................................................. 381
Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 3.1<br />
Abbildung 3.2<br />
Abbildung 3.3<br />
Abbildung 3.4<br />
Abbildung 3.5<br />
Abbildung 3.6<br />
Abbildung 3.7<br />
Abbildung 3.8<br />
Abbildung 3.9<br />
Abbildung 3.10<br />
Abbildung 3.11<br />
Abbildung 3.12<br />
Abbildung 4.1<br />
Durchschnittliche Außenhandelsrestriktivität (TRADE)<br />
nach Weltregionen im CACAO-Index, 1978–2003 ................ 54<br />
Durchschnittliche Kapitalverkehrsrestriktivität (CAPITEL)<br />
nach Regionen im CACAO-Index, 1978–2003 ...................... 55<br />
Durchschnittliche Niveaus der Verfasstheit politischer<br />
Systeme nach Regionen, 1978–2003 ...................................... 56<br />
Die Standardabweichung der durchschnittlichen<br />
Außenhandelsregulierung nach Regionen 1978–2003 ........... 58<br />
Die Standardabweichung der durchschnittlichen<br />
Zahlungsverkehrsregulierung nach Regionen 1978–2003 ...... 58<br />
Jährliche Mittelwerte der Außenwirtschaftsoffenheit bei den<br />
arabischen Staaten in Nordafrika und im Mittleren Osten,<br />
1978–2003 (CACAO-Index Handelsbilanz).......................... 63<br />
Jährliche Mittelwerte der Außenwirtschaftsoffenheit bei<br />
den arabischen Staaten in Nordafrika und im Mittleren<br />
Osten, 1978–2003 (CACAO-Index Kapitalbilanz) ................. 64<br />
Standardabweichungen der Dimension Handelsbilanz im<br />
CACAO-Index für die arabischen Staaten in Nordafrika<br />
und dem Mittleren Osten, 1978–2002 .................................... 65<br />
Standardabweichungen der Dimension Kapitalbilanz im<br />
CACAO-Index für die arabischen Staaten in Nordafrika<br />
und dem Mittleren Osten, 1978–2002 .................................... 66<br />
Standardabweichungen der Handels- und der<br />
Kapitalbilanzdimension im CACAO-Index für alle<br />
arabischen Staaten in Nordafrika und dem Mittleren Osten,<br />
1978–2003 .............................................................................. 68<br />
Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien im<br />
CACAO-Index (Trade)........................................................... 74<br />
Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien im<br />
CACAO-Index (Kapitalverkehr) ............................................ 75<br />
Wechselkurs marokkanischer Dirham / U.S. Dollar,<br />
Nominal Effective Exchange Index und Real Effective<br />
Exchange Index von 1960 bis 2004 ........................................ 85
14 Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 4.2<br />
Abbildung 4.3<br />
Abbildung 4.4<br />
Abbildung 4.5<br />
Abbildung 4.6<br />
Abbildung 4.7<br />
Abbildung 4.8<br />
Abbildung 6.1<br />
Abbildung 6.2<br />
Abbildung 6.3<br />
Abbildung 6.4<br />
Abbildung 6.5<br />
Abbildung 6.6<br />
Abbildung 6.7<br />
Abbildung 6.8<br />
Abbildung 6.9<br />
Abbildung 6.10<br />
Abbildung 6.11<br />
Wechselkurs tunesisches Dinar / U.S. Dollar, Nominal<br />
Effective Exchange Index und Real Effective Exchange<br />
Index von 1960 bis 2004 ...................................................... 101<br />
Wechselkurs ägyptisches Pfund-U.S. Dollar und<br />
ägyptisches Pfund-SDR zwischen 1960 und 2004 ............... 121<br />
Die Entwicklung unterschiedlicher Wechselkurse im<br />
ägyptischen Wechselkurssystem, 1981–1988 ....................... 127<br />
Wechselkurs jordanisches Dinar-U.S. Dollar und<br />
jordanisches Dinar-SDR zwischen 1960 und 2004 .............. 153<br />
Nominale Abwertungsphasen der Wechselkurse in<br />
Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien, 1970–2003 .... 168<br />
Reformphasen der Zahlungsverkehrregulierungen in<br />
Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien, 1970–2003 .... 169<br />
Reformphasen der Handelsregulierungen in Marokko,<br />
Tunesien, Ägypten und Jordanien, 1970–2003 ..................... 171<br />
Marokko, jährliches Wachstum des BIP in Prozent,<br />
1970–2003 ............................................................................ 235<br />
Tunesien, jährliches Wachstum des BIP in Prozent,<br />
1970–2003 ............................................................................ 235<br />
Ägypten, jährliches Wachstum des BIP in Prozent,<br />
1970–2003 ............................................................................ 236<br />
Jordanien, jährliches Wachstum des BIP in Prozent,<br />
1970–2003 ............................................................................ 236<br />
Marokko, jährliche Inflationsrate (CPI) in Prozent,<br />
1970–2003 ............................................................................ 237<br />
Tunesien, jährliche Inflationsrate (WPI) in Prozent,<br />
1970–2003 ............................................................................ 237<br />
Ägypten, jährliche Inflationsrate (CPI) in Prozent,<br />
1970–2003 ............................................................................ 238<br />
Jordanien, jährliche Inflationsrate (CPI) in Prozent,<br />
1970–2003 ............................................................................ 238<br />
Marokko, jährliches Saldo des Staatsbudgets in<br />
Prozent BIP, 1970–2003 ....................................................... 240<br />
Tunesien, jährliches Saldo des Staatsbudgets in<br />
Prozent BIP, 1970–2003 ....................................................... 240<br />
Ägypten, jährliches Saldo des Staatsbudgets in<br />
Prozent BIP, 1970–2003 ....................................................... 241<br />
Abbildung 6.12 Jordanien, jährliches Saldo des Staatsbudgets in<br />
Prozent BIP, 1970–2003 ....................................................... 241
Abbildungsverzeichnis 15<br />
Abbildung 6.13 Marokko, jährliches Saldo der Leistungsbilanz in<br />
Prozent BIP, 1970–2003 ....................................................... 242<br />
Abbildung 6.14 Tunesien, jährliches Saldo der Leistungsbilanz in<br />
Prozent BIP, 1970–2003 ....................................................... 242<br />
Abbildung 6.15 Ägypten, jährliches Saldo der Leistungsbilanz in<br />
Prozent BIP, 1970–2003 ....................................................... 243<br />
Abbildung 6.16 Jordanien, jährliches Saldo der Leistungsbilanz in<br />
Prozent BIP, 1970–2003 ....................................................... 243<br />
Abbildung 6.17 Marokko, jährliche Devisenreserven in Prozent des<br />
Importvolumens, 1970–2003 ................................................ 245<br />
Abbildung 6.18 Tunesien, jährliche Devisenreserven in Prozent des<br />
Importvolumens, 1970–2003 ................................................ 245<br />
Abbildung 6.19 Ägypten, jährliche Devisenreserven in Prozent des<br />
Importvolumens, 1970–2003 ................................................ 246<br />
Abbildung 6.20 Jordanien, jährliche Devisenreserven in Prozent des<br />
Importvolumens,1970–2003 ................................................. 246<br />
Abbildung 6.21 Rohstoffexporte in der marokkanischen und tunesischen<br />
Zahlungsbilanz als prozentuale Anteile am BIP,<br />
1970–2003 ............................................................................ 253<br />
Abbildung 6.22 Rohstoffexporte und Einnahmen aus dem Suezkanal in<br />
der ägyptischen Zahlungsbilanz als prozentuale Anteile<br />
am BIP, 1970–2003 ............................................................. 254<br />
Abbildung 6.23 Rohstoffexporte in der jordanischen Zahlungsbilanz als<br />
prozentualer Anteil am BIP, 1970- 2003 .............................. 255<br />
Abbildung 6.24 Marokko, offizielle zwischenstaatliche Transfers (TOF)<br />
in Prozent BIP, 1970–2003 ................................................... 258<br />
Abbildung 6.25 Tunesien, offizielle zwischenstaatliche Transfers (TOF)<br />
in Prozent BIP, 1970–2003 ................................................... 259<br />
Abbildung 6.26 Ägypten, offizielle zwischenstaatliche Transfers (TOF)<br />
in Prozent BIP, 1970–2003 ................................................... 260<br />
Abbildung 6.27 Jordanien, offizielle zwischenstaatliche Transfers (TOF)<br />
in Prozent BIP, 1970–2003 ................................................... 261<br />
Abbildung 6.28 Trends der Entwicklung tarifärer Handelsrestriktionen in<br />
Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien, 1981–2003 .... 264<br />
Abbildung 6.29 Staatliche Einnahmen aus der Umsatz- und<br />
Mehrwertsteuer und Zöllen in Marokko als prozentualer<br />
Anteil am BIP, 1970–2003 ................................................... 267<br />
Abbildung 6.30 Staatliche Einnahmen aus Zöllen und der<br />
Warenbesteuerung in Tunesien als prozentualer Anteil<br />
am BIP, 1970–2003 .............................................................. 268
16 Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 6.31<br />
Abbildung 6.32<br />
Abbildung 6.33<br />
Abbildung 9.1<br />
Abbildung 9.2<br />
Staatliche Einnahmen aus Zöllen und der<br />
Warenbesteuerung in Jordanien als prozentualer Anteil<br />
am BIP, 1970–2003 .............................................................. 269<br />
Staatliche Einnahmen aus Zöllen und der Verkaufssteuer<br />
in Ägypten als prozentualer Anteil am BIP, 1970–2003 ...... 270<br />
Der substitutive Zusammenhang zwischen Zolleinnahmen<br />
und Einnahmen aus der Umsatz- und Mehrwertsteuer in<br />
Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien, 1991–2003 .... 271<br />
Jährlicher Außenhandelsquotient in Prozent für Marokko,<br />
Tunesien, Ägypten und Jordanien zwischen<br />
1978 und 2004 ...................................................................... 324<br />
Korrelationen und deskriptive Statistik der Entwicklung<br />
der durchschnittlich angewandten Zollsätze in Marokko,<br />
Tunesien, Ägypten und Jordanien, 1981–2003 ..................... 385
Abkürzungsverzeichnis<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
BCP Banque du Crédit Populaire (größte marokkanische Staatsbank)<br />
BIP Bruttoinlandsprodukt<br />
CIT Corporate Income Tax = Unternehmenssteuer in Marokko<br />
CPI Consumer Price Index<br />
SSR Tschechoslowakische Sozialistische Republik<br />
D<br />
tunesische Währung - Dinar<br />
DH marokkanische Währung – Dirham<br />
DDR Deutsche Demokratische Republik<br />
EGPC Egyptian General Petroleum Company<br />
EL ägyptische Währung – Pfund<br />
FDI Foreign Direct Investment<br />
FF französische Währung – Franc<br />
GASC General Authority for the Supply of Commodities, staatliche<br />
ägyptische Importagentur<br />
GATT General Agreement on Tariffs and Trade<br />
GCFCG Gulf Crisis Financial Coordination Group<br />
GDP Gross Domestic Product = BIP<br />
IGR Impôt Général sur le Revenu = allgemeine Einkommenssteuer in<br />
Marokko<br />
IFI Internationale Finanzinstitutionen = International Financial Institutions,<br />
gemeint sind damit der IWF und die Weltbank<br />
IRC Import Rationalization Committee = staatliche Organisation, die<br />
in Ägypten Lizenzen zum Import von Waren mit eigenen Devisen<br />
erteilt<br />
ISI Importsubstitutionsindustrialisierung<br />
IWF Internationaler Währungsfond<br />
IWF-EFF Extended Fund Facility des Internationalen Währungsfonds<br />
JD jordanisches Dinar<br />
ODA Offical Development Aid<br />
OECD Organisation for Economic Co-operation and Development<br />
P.L. 480 loans U.S. support for overseas food aid was formalized in the Agricultural<br />
Trade Development and assistance Act of 1954, also known<br />
as P.L. 480 Food for Peace
18 Abkürzungsverzeichnis<br />
RGW<br />
SDR<br />
SUMED-<br />
Pipeline<br />
TOF<br />
UDSSR<br />
UNDP<br />
WB<br />
WB-ASAL<br />
WB-SAL<br />
WPI<br />
WTO<br />
Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe<br />
Special Drawing Rights<br />
Suez-Mediterranean pipeline<br />
Total Official Transfers<br />
Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken = Sowjetunion<br />
United Nations Development Programme<br />
Weltbank = World Bank<br />
World Bank Agricultural Structural Adjustment Loan<br />
World Bank Structural Adjustment Loan<br />
Wholesale Price Index<br />
World Trade Organization
Vorwort<br />
Vorwort<br />
Vorwort<br />
Noch in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts gehörte der Nahe Osten zu den<br />
dynamischsten und innovativsten Weltregionen überhaupt. Angestoßen durch die<br />
Ägyptische Revolution von oben 1952 durchliefen mehrere arabische Länder<br />
tiefgreifende Transformationsprozesse, in denen sie sich nicht nur von Monarchien<br />
zu Republiken wandelten, sondern auch vielversprechende sozioökonomische<br />
Modernisierungsprozesse durchliefen. Heute schwer vorstellbar ist, dass die<br />
Regierung in Kairo auf Augenhöhe mit jener in Neu-Delhi in der Blockfreienbewegung<br />
eine regionale Führungsmachtrolle mit weltpolitischen Ambitionen zu<br />
verknüpfen imstande war.<br />
Die „Jasminrevolution“ in Tunesien und der Sturz Hosni Mubaraks in<br />
Ägypten, aber auch soziale Proteste in anderen arabischen Ländern haben dieser<br />
Tage zum ersten Male seit Jahrzehnten wieder für eine Aufbruchstimmung in der<br />
arabischen Welt gesorgt. Über deren Nachhaltigkeit kann im Moment nur spekuliert<br />
werden, und ganz sicher ist es für ein abschließendes wissenschaftliches<br />
Urteil zu früh. Gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung ist<br />
es hingegen höchste Zeit für fundierte wissenschaftliche Analysen zum Problem<br />
der verzerrten sozioökonomischen Entwicklungen der arabischen Welt in den<br />
letzten Jahrzehnten sowie zur Frage, wie die politischen Eliten damit umgegangen<br />
sind. Thomas Richter, der sich anhand von vier Fällen des Nahen Ostens mit<br />
den Determinanten und Motiven außenwirtschaftlicher Reformen beschäftigt,<br />
legt mit diesem Buch eine solche dringend notwendige Arbeit vor. Anders als<br />
viele westliche Autoren, die häufig einseitig Variablen aus den Bereichen Kultur<br />
und Religion oder auch Sicherheit in den Vordergrund stellen, betont er den<br />
Konnex zwischen ökonomischer und politischer Entwicklung.<br />
Vor dem Hintergrund eines von ihm ermittelten vergleichenden empirischen<br />
Befunds über Art und Zeitpunkt außenwirtschaftspolitischer Liberalisierungen in<br />
Ägypten, Jordanien, Marokko und Tunesien zeigt Thomas Richter, dass in der<br />
wissenschaftlichen Literatur prominente Erklärungen zu außenwirtschaftlicher<br />
Liberalisierung für diese vier Fälle nicht greifen. Dies wirft die Frage auf, welche<br />
bisher von der Forschung vernachlässigten Faktoren den von ihm aufgeworfenen<br />
empirischen Befund erklären können. Das solcherart ermittelte Forschungsproblem<br />
wird gelöst, indem er zum einen auf der Basis eigener Forschung das empirische<br />
Phänomen genau beschreibt und sich zum anderen eines in der verglei-
20 Vorwort<br />
chenden Regionalforschung insbesondere zum Nahen Osten zwar etablierten, an<br />
die allgemeine theoretische Literatur zur (Außen-)Wirtschaftspolitik aber häufig<br />
nur unzureichend angebundenen Konzepts – des Rentierstaats-Ansatzes – bedient.<br />
Der entscheidende Mehrwert der Arbeit liegt weniger darin, dass Thomas<br />
Richter einen neuen empirischen Befund herausarbeitet oder einen bekannten<br />
empirischen Befund mit Hilfe bisher vernachlässigter Variablen erklärt: Dass<br />
Umfang und Zeitpunkt außenwirtschaftlicher Reformen in arabischen Staaten<br />
mit durch den Zufluss von Renten bestimmt werden, ist auch schon andernorts<br />
dargelegt worden. Allerdings gelingt Thomas Richter eine theoretisch und methodisch<br />
sehr viel genauere und damit ungleich überzeugendere Begründung. Ein<br />
zentrales Verdienst des Autors besteht insbesondere darin, die wirtschafts- und<br />
politikwissenschaftliche Theoriebildung durch Fallanalysen des Nahen Ostens zu<br />
befruchten. So vermag Thomas Richter bisher in der Forschung hoch gehandelte<br />
Thesen über den Zusammenhang von Demokratisierung und Reformpolitiken in<br />
Entwicklungsländern sowie die Konvergenzthese der Globalisierungsforschung<br />
in Frage zu stellen – und zwar mit theoretischen und methodologischen Mitteln,<br />
die in der Forschung eine hohe Reputation besitzen. Dies ist auch deshalb besonders<br />
bemerkenswert, weil die Forschung über den Nahen Osten – sofern sie<br />
überhaupt theoriegeleitet ist – häufig mit Ansätzen arbeitet, die nur mangelhaft<br />
an die allgemeine Theoriedebatte angeschlossen sind, oder sich damit bescheidet,<br />
den Nahen Osten als abweichenden Fall zu kennzeichnen, ohne die Mittel zu<br />
besitzen, auf existierende Theoriedebatten zurückzuwirken. Durch sein komplexes<br />
Forschungsdesign, das er konsequent durchhält, baut Thomas Richter eine<br />
Brücke, durch die bisher weitgehend von einander getrennte Forschungsbereiche<br />
mit einander verbunden werden. Methodologisch setzt Thomas Richter souverän<br />
seine Kompetenzen als Politikwissenschaftler und Ökonom in Wert und kombiniert<br />
wie häufig gefordert, aber selten durchgeführt Elemente qualitativer und<br />
quantitativer Methoden. Aber auch vor empirischer Kernerarbeit schreckt der<br />
Autor nicht zurück: Mit einer ebenso differenzierten wie detaillierten Aufarbeitung<br />
von Originalquellen aus dem Archiv des IWF betritt er für die Forschung<br />
zum Nahen Osten empirisches Neuland, und dies nicht nur für einen Fall, sondern<br />
für vier Länder, die in systematischer Weise mit einander verglichen werden.<br />
Als Regionalspezialist des Nahen Ostens, der seine Arbeit an die theoretisch<br />
differenziertesten und methodologisch anspruchsvollsten Forschungen im Bereich<br />
Außenwirtschaftsreformen anbindet, steht Thomas Richter auf den Schultern<br />
von vergleichsweise kleinen Riesen: Während zu vielen anderen Weltregionen<br />
– und zwar auch jenseits der OECD-Welt etwa zu Lateinamerika und Asien –<br />
Forschungsergebnisse vorliegen, die die eigene Forschungsagenda entlasten, hat
Vorwort 21<br />
Thomas Richter einen besonders hohen Anteil seiner Grundlagenforschung allein<br />
geleistet. Damit reiht er sich in hervorragender Art in die Reihe „Politik und<br />
Gesellschaft des Nahen Ostens“ ein, in der es darum geht, zentrale empirische<br />
Phänomene dieser Weltregion mit Hilfe von Theorien der Politikwissenschaft,<br />
der Internationalen Beziehungen und anderer sozialwissenschaftlicher Disziplinen<br />
zu analysieren und dabei zugleich auf existierende Theoriedebatten zurückzuwirken.<br />
Amman, den 12. Februar 2011<br />
Martin Beck
1 Einleitung<br />
1 Einleitung<br />
1 Einleitung<br />
Als Ende September 1982 die mexikanische Regierung ihre externe Zahlungsunfähigkeit<br />
erklären musste, war dies nur der Höhepunkt einer Entwicklung, die<br />
offensichtlich machte, dass in vielen Ländern der Dritten Welt eine ineffiziente<br />
Importsubstitutionsstrategie an ihre fiskalischen Grenzen gestoßen war. Ein Entwicklungsland<br />
nach dem anderen begann in den darauf folgenden Jahren, seine<br />
Staatsunternehmen zu verkaufen, den Bankensektor zu liberalisieren, Steuern zu<br />
erhöhen, Staatsausgaben zu senken und seine Ökonomie durch den Abbau von<br />
außenwirtschaftlichen Restriktionen in die Weltwirtschaft zu reintegrieren. In<br />
einigen jüngeren makro-quantitativen Studien wird diese steigende Außenwirtschaftsoffenheit<br />
kausal mit der gleichzeitig beginnenden dritten Welle der Demokratisierung<br />
verknüpft: Je demokratischer ein politisches System sei, wird<br />
argumentiert, desto weniger ist bei Regierungen die Notwendigkeit ausgeprägt,<br />
außenwirtschaftliche Barrieren als eine Strategie zur Aufrechterhaltung der eigenen<br />
Herrschaft einzusetzen. Demokratischere Entwicklungsländer reduzieren<br />
deshalb ihre regulative Außenwirtschaft stärker, während autoritärere Staaten<br />
infolge von ökonomischen Krisen zum Aufbau von zusätzlichen Außenwirtschaftsbarrieren<br />
neigen. Warum aber von einigen der nicht-demokratisierenden<br />
Staaten ebenfalls massiv außenwirtschaftliche Restriktionen abgebaut wurden,<br />
bleibt aus dieser Perspektive bisher ungeklärt.<br />
Im Gegensatz zu dem von Teilen der positiven politischen Ökonomie kausal<br />
miteinander in Verbindung gebrachten Trend einer doppelten liberalen Transformation<br />
wendet sich diese Studie ausschließlich politischen Systemen zu, die<br />
in der Vergangenheit gar nicht oder nur marginal gesellschaftliche Partizipationsrechte<br />
ausgeweitet haben. Frei vom heuristischen Schleier einer mit politischer<br />
Liberalisierung und Demokratisierung verknüpften Anpassung regulativer<br />
und institutioneller außenwirtschaftlicher Aspekte wird es damit möglich, nach<br />
Determinanten und Motiven von außenwirtschaftlichen Reformen zu suchen, die<br />
unabhängig von der Ausweitung staatsbürgerlicher Rechte getätigt worden sind.<br />
Mit einer vergleichenden historischen Untersuchung von regulativen außenwirtschaftlichen<br />
Anpassungsprozessen zwischen 1970 und 2003 in den vier autoritären<br />
arabischen Staaten Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien kann damit<br />
in mehreren Bereichen zu den Debatten über die Bestimmungsfaktoren eines<br />
‚rush to free trade (Rodrik 1994) beigetragen werden.<br />
T. Richter, Autoritäre Herrschaft, materielle Ressourcen und Außenwirtschaftsreformen,<br />
DOI 10.1007/978-3-531-93254-5_1,<br />
© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
24 1 Einleitung<br />
A. Die Ausstattung der nationalen Volkswirtschaft mit internationalen Zahlungsmitteln<br />
ist zentral für die außenwirtschaftspolitische Entscheidungsfindung<br />
in autoritären politischen Systemen. Wurden die internationalen<br />
Devisenreserven der Zentralbank knapp, behalfen sich autoritäre<br />
wirtschaftspolitische Eliten neben der Aufnahme von Kapital auf internationalen<br />
privaten und staatlichen Kapitalmärkten zunächst mit einer Verschärfung<br />
existierender außenwirtschaftlicher Regulierungen. Erst wenn<br />
(alle) diese Maßnahmen nicht mehr dazu beitragen konnten, den Mangel an<br />
Devisen in der nationalen Ökonomie zu beseitigen, waren sie bereit, sich<br />
auf die an eine Implementierung neo-klassischer Regulierungsformen gebundenen<br />
materiellen Hilfen von IWF und Weltbank einzulassen.<br />
B. Die zeitlichen Unterschiede in Bezug auf den Beginn dieser Anpassungsprozesse<br />
lassen sich vor allem mit einem Blick auf die Einbindung dieser<br />
Staaten in jeweils spezifische internationale Kapitalströme verstehen: Unterschiedliche<br />
Zyklen von Einnahmen aus dem Export von natürlichen<br />
Ressourcen, genauso wie eine unterschiedlich intensive Einbindung in das<br />
innerarabische Distributionssystem des Petrolismus sowie eine von außenpolitischen<br />
Strategiewechseln abhängige Inklusion in die vor allem durch<br />
die USA geprägten globalen westlichen Allokationsnetzwerke sind in der<br />
Lage, den Zeitpunkt der Implementierung einer neo-klassischen außenwirtschaftlichen<br />
Wende entscheidend mitzubestimmen.<br />
C. Neben jeweils spezifischen pfadabhängigen und gleichzeitig historisch<br />
kontingenten nationalen Akteurs- und Strukturkonstellationen ist die Einführung<br />
eines Mehrwert- oder Verkaufssteuersystems eine wichtige (Vor-)<br />
Bedingung, um den nachhaltigen Abbau tarifärer außenwirtschaftlicher<br />
Restriktionen in autoritären politischen Systemen erklären zu können.<br />
D. Schließlich verweist die detaillierte Rekonstruktion außenwirtschaftlicher<br />
Regulierungsformen über insgesamt mehr als drei Dekaden in den vier untersuchten<br />
Staaten auf weiterhin bestehende Validitätsprobleme bei wichtigen<br />
Messverfahren außenwirtschaftlicher Offenheit hin. Zum einen wird<br />
vor allem in den 1970er und 1980er Jahren die Breite und Höhe der außenwirtschaftlichen<br />
Regulierungsvielfalt systematisch unterschätzt. Zum<br />
anderen bleibt trotz der Verwendung komplexerer mathematischer Aggregationsverfahren,<br />
neben dem Problem fehlender Daten, die Gewichtung der<br />
einzelnen restriktiven Elemente außenwirtschaftlicher Regulierungsformen<br />
grundsätzlich ungelöst. Das heißt, auch bei der Zusammensetzung neuerer<br />
Indizes bleibt unreflektiert, ob beispielsweise eine mengenmäßige Beschränkung,<br />
ein Zollsatz oder eine andere administrative Beschränkung relativ<br />
gewichtiger für die volkswirtschaftliche Wohlfahrtsentwicklung gewesen<br />
ist.
1 Einleitung 25<br />
Insgesamt ist diese Studie in sieben Kapitel unterteilt. Nach der Einleitung werden<br />
im zweiten Kapitel die wichtigsten Strömungen der gegenwärtigen empirischen<br />
Forschung zu den Folgen und Bestimmungsfaktoren außenwirtschaftlicher<br />
Liberalisierung zusammengefasst und zentrale empirische und methodische<br />
Lücken innerhalb dieses Forschungsprogramms herausgearbeitet. Im Anschluss<br />
daran werden im dritten Kapitel vier autoritäre Staaten in Nordafrika und dem<br />
Mittleren Osten ausgewählt, um mit Hilfe heuristischer Fallstudien Motive und<br />
Determinanten von außenwirtschaftlichen Reformen in diesen politischen Systemen<br />
zu identifizieren.<br />
Im vierten Kapitel wird in insgesamt vier Abschnitten zu jedem Land eine<br />
historische Rekonstruktion der Regulation des Wechselkurssystems, des internationalen<br />
Zahlungs- und Handelsverkehrs vorgenommen. In einer ersten Zusammenfassung<br />
können im Anschluss an diese dichten Beschreibungen Phasen des<br />
Auf- und Abbaus regulativer Barrieren in der Außenwirtschaft herausgearbeitet<br />
werden. Im fünften Kapitel werden mit Hilfe einer Inhaltsanalyse von historischen<br />
Dokumenten des IWF die zentralen, in diesen Quellen zur Sprache gebrachten<br />
Motive für Außenwirtschaftreformen herausgearbeitet: Überraschenderweise<br />
waren es vor allem makro-ökonomische und fiskalische Aggregatgrößen,<br />
die einen Einfluss auf die Entscheidungen wirtschaftspolitischer Entscheidungsträger<br />
in Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien hatten.<br />
Im folgenden sechsten Kapitel werden die wichtigsten dieser zuvor identifizierten<br />
Größen im Hinblick auf ihren Einfluss auf den Beginn allgemeiner Außenwirtschaftsliberalisierung<br />
miteinander verglichen. Dabei ist es vor allem der<br />
Rückgang der internationalen Devisenreserven, der einer staatlichen Anpassungsstrategie<br />
am deutlichsten vorausgeht. Anschließend wird zum einen der<br />
Einfluss von internationalen Kapitalströmen aus dem Verkauf von Rohstoffen,<br />
der Einbindung in das regionale System eines Petrolismus und der Allokation<br />
von westlichen Gebern auf den Beginn des Abbaus von Außenwirtschaftsbarrieren<br />
dargestellt. Zum anderen wird gezeigt, welchen Einfluss die erfolgreiche<br />
Substitution der zurückgehenden Einnahmen aus der Verzollung von Importen<br />
durch die Einführung eines Verkaufs- und Mehrwertsteuersystems auf den langfristigen<br />
Abbau von tarifären außenwirtschaftlichen Barrieren hatte. Im siebten<br />
und letzten Kapitel werden die in dieser Arbeit insgesamt herausgearbeiteten<br />
Ergebnisse zusammengefasst und an einige wichtige Elemente der aktuellen<br />
Debatten über die Trends und Bestimmungsfaktoren von außenwirtschaftlicher<br />
Liberalisierung in Entwicklungsländern rückgebunden.
2 Außenwirtschaftsreformen in<br />
Entwicklungsländern: Forschungsstand,<br />
Forschungslücken und Forschungsdesign<br />
2 Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern<br />
2 Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern<br />
Um Antworten auf die Frage nach den speziellen Gründen von regulativer Außenwirtschaftsliberalisierung<br />
bei autoritären Entwicklungsländern finden zu<br />
können, ist es zunächst notwendig, bisherige Erklärungsversuche des ‚rush to<br />
free trade in Entwicklungsländern zu erfassen und kritisch zu begutachten. Die<br />
folgenden Abschnitte beschäftigen sich deshalb mit zentralen Analysen zu außenwirtschaftlichen<br />
Reformprozessen und arbeiten je unterschiedliche Perspektiven<br />
auf Folgen und Ursachen von regulativer Außenwirtschaftsliberalisierung<br />
heraus (Abschnitt 2.1). Die zunehmende Dominanz von durch makro-quantitativen<br />
Datenanalyseverfahren bestimmten Fragestellungen in diesem Forschungsbereich<br />
macht es notwendig, sich detaillierter mit den diesen Analysen<br />
zugrunde liegenden Operationalisierungen und Messungen von regulativer Außenhandelsoffenheit<br />
zu beschäftigen. Im Abschnitt 2.2 des Kapitels werden deswegen<br />
eine Reihe jüngerer Versuche vorgestellt, regulative Außenwirtschaftsoffenheit<br />
abzubilden. Anhand ausgewählter Beispiele werden Vor- und Nachteile<br />
dieser Messverfahren diskutiert und vor dem Hintergrund einer solchen Bestandsaufnahme<br />
drei zentrale Lücken im bisherigen Forschungsprogramm identifiziert<br />
(Abschnitt 2.3). Dabei kann deutlich gemacht werden, dass ganz besonderer<br />
Bedarf in Bezug auf die Spezifizierung von Determinanten zur Erfassung und<br />
Erklärung von autoritärer Außenwirtschaftsliberalisierung besteht. Diese Forschungslücken<br />
aufgreifend entwickelt der abschließende Abschnitt ein eigenes<br />
Forschungsdesign (Abschnitt 2.4).<br />
2.1 Folgen und Ursachen von außenwirtschaftlicher Liberalisierung in<br />
Entwicklungsländern<br />
2.1 Folgen und Ursachen von außenwirtschaftlicher Liberalisierung<br />
Die Literatur der letzten beiden Jahrzehnte zum Nexus von Außenwirtschaftsliberalisierung,<br />
politischer und ökonomischer Entwicklung in den Ländern des<br />
globalen Südens ist weit davon entfernt, unumstrittene Aussagen über Ursachen<br />
oder Wirkungen einer Veränderung der staatlichen außenwirtschaftlichen Regu-<br />
T. Richter, Autoritäre Herrschaft, materielle Ressourcen und Außenwirtschaftsreformen,<br />
DOI 10.1007/978-3-531-93254-5_2,<br />
© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
28 2 Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern<br />
lierungen liefern zu können. Weder ist eindeutig bestimmt, ob und in welchem<br />
Ausmaß Außenwirtschaftsliberalisierung nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum<br />
induziert oder eine Demokratisierung von Entwicklungsgesellschaften unterstützt<br />
hat, noch existiert ein allgemeiner Konsens über die ursächlichen Triebkräfte<br />
des seit Beginn der 1980er Jahre diagnostizierten weltweiten Abbaus außenwirtschaftlicher<br />
Barrieren.<br />
Aus einer epistemologischen Perspektive sind weite Teile der Literatur zu<br />
Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern zweigeteilt. 1 Auf der einen<br />
Seite finden sich Beiträge, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei der Genese<br />
von Außenwirtschaftspolitik über möglichst viele Staaten hinweg mit Hilfe<br />
makro-quantitativer Verfahren analysieren. Dabei steht die Suche nach verallgemeinerungsfähigen<br />
Erklärungsmustern im Zentrum des Erkenntnisinteresses.<br />
Diese als kausale Effekte 2 bezeichneten Erklärungen versuchen sich durch einen<br />
möglichst universellen Gültigkeitsgrad auszuzeichnen (hohe externe Validität). 3<br />
Demgegenüber existiert eine Gruppe von Beiträgen, die sich unter unterschiedlichen<br />
ontologischen Prämissen und mit unterschiedlichen Methoden mit<br />
Außenwirtschaftsprozessen in spezifischen Ländern oder Ländergruppen beschäftigt<br />
haben. Neben einer möglichst dichten Beschreibung relevanter Ereignisse<br />
rückt dabei vor allem die Suche nach kausalen Mechanismen, d.h. die Identifizierung<br />
einer Sequenz von miteinander in Verbindung stehenden Einflussfaktoren,<br />
4 ins Zentrum des Erkenntnisinteresses. Hier wird ganz besonderer Wert<br />
auf eine möglichst hohe interne Validität gelegt, also den Grad, mit dem von den<br />
Analyseergebnissen auf die Gültigkeit für jeden einzelnen untersuchten Fall<br />
geschlossen werden kann (Seawright und Collier 2004: 277). 5 Quer zu dieser<br />
1 Ich folge in der Klassifizierung und der darauf folgenden Strukturierung des Forschungsfeldes<br />
implizit dem von mir so verstandenen Vorschlag von Peter Mayer, metatheoretisch eine Unterscheidung<br />
zwischen 1) Ontologie als der Grundstruktur des Seins, 2) Epistemologie als der erkenntnisphilosophischen<br />
Grundlage von Wissensgenerierung und 3) Methodologie als der Lehre<br />
von den konkreten Regeln und Instrumenten der Wissensgenerierung zu treffen (Mayer<br />
2003).<br />
2 “More specifically, other things being equal, the causal effect is the difference between the two<br />
values of the dependent variable that arise according to whether an independent variable assumes<br />
one of two specific values. Causal inference seeks to estimate such causal effects”<br />
(Seawright und Collier 2004: 275-276).<br />
3 “The degree to which descriptive or causal inferences for a given set of cases can be generalized<br />
to other cases” (Seawright und Collier 2004: 288).<br />
4 “In a relationship between a given independent variable and a given dependent variable, a<br />
causal mechanism posits additional variables, sometimes called intervening variables, that<br />
yield insight into how the independent variable actually produces the outcome, including the<br />
sequence through which it occurs” (Seawright und Collier 2004: 277).<br />
5 Alexander George und Andrew Bennett benutzen in diesem Zusammenhang den Begriff<br />
konzeptuelle Validität (conceptual validity). “Case studies allow a researcher to achieve high<br />
levels of conceptual validity, or to identify and measure the indicators that best represents the
2.1 Folgen und Ursachen von außenwirtschaftlicher Liberalisierung 29<br />
epistemologischen Unterscheidung lassen sich vereinfacht ausgedrückt zwei<br />
zentrale analytische Perspektiven auf außenwirtschaftliche Reformen von Entwicklungsländern<br />
identifizieren. Entweder wird Außenwirtschaftsreform als<br />
erklärender, etwas verursachender Faktor untersucht, oder aber als zu erklärender,<br />
verursachter Aspekt betrachtet. In der ersten Perspektive wird Außenwirtschaftsreform<br />
im Folgenden als unabhängige Variable bezeichnet, in der zweiten<br />
Perspektive als abhängige Variable. 6<br />
Unabhängig vom jeweiligen ontologischen und epistemologischen Standpunkt<br />
und egal welches methodische Vorgehen bevorzugt wird, einig ist sich die<br />
Literatur allein darüber, dass die in den letzten 30 Jahren einsetzenden außenwirtschaftlichen<br />
Reformprozesse in Entwicklungsländern irgendwie mit dem<br />
Komplex verstärkter politischer und ökonomischer Liberalisierung sowie einer<br />
wirtschaftspolitischen Neuorientierung weg von der importsubstituierenden<br />
Industrialisierung hin zu einem mehr exportorientierten wirtschaftspolitischen<br />
Fokus verbunden sind.<br />
Der Beginn dieser allgemeinen außenwirtschaftspolitischen Wandlungsprozesse<br />
wird gemeinhin auf die frühen 1980er Jahre datiert. 7 Zu diesem Zeitpunkt<br />
mussten als Folge (1.) steigender US-amerikanischer Zinsen (Volcker-Schock),<br />
(2.) der zweiten Phase der Erdölpreisrevolution und (3.) der dadurch mitverursachten<br />
zunehmenden Verschuldung der Entwicklungsländer (Mexikokrise<br />
1982) die bisher durch steigende ausländische Kreditaufnahme abgesicherten<br />
Importsubstitutionsindustrialisierungen (ISI) wegen der sich ausweitenden Außenhandelsdefizite<br />
aufgegeben werden, da die an die Zinspolitik der US-amerikanischen<br />
Notenbank gebundenen internationalen Kreditzinsen für die meisten<br />
Entwicklungsländer nun nicht mehr zu finanzieren waren.<br />
theoretical concepts the researcher intends to measure […] This requires a detailed consideration<br />
of contextual factors, which is extremely difficult to do in statistical studies but is common<br />
in case studies” (George und Bennett 2005: 19).<br />
6 Obwohl große Teile der fallstudienorientierten Literatur die Variablen zentrierte Begrifflichkeit<br />
der makro-quantitativen Forschung nicht verwenden oder sogar ablehnen, nutze ich diese Terminologie,<br />
da sie mir unter allen Alternativen die mit der größten intersubjektiv geteilten<br />
Schnittmenge zwischen den unterschiedlichen epistemologischen und methodologischen Lagern<br />
zu sein scheint.<br />
7 “Over five to ten years after 1982 one developing country after another liberalized trade,<br />
deregulated banks, sold off government enterprises, raised taxes and cut spending, and integrated<br />
its economy into world markets” (Frieden 2006: 374). Diese Einschätzung wird unabhängig<br />
vom theoretischen Standpunkt, methodischen Vorgehen oder empirischen Schwerpunkt<br />
von einer Reihe von AutorInnen geteilt (Nelson 1990b, Frieden 1991, Clawson 1992, Haggard<br />
und Kaufman 1992a, Stallings 1992, Auty 1993, Rodrik 1994, Dornbusch und Edwards 1995,<br />
Geddes 1995, Sachs und Warner 1995, Henry 1996, Jilberto und Mommen 1996a, Rodrik<br />
1996, The World Bank 1997, Obstfeld 1998, Milner 1999, Morley, Machado und Pettinato<br />
1999, Waterbury 1999, Rivlin 2001, White 2001, Vos, Taylor und Barros 2002, Vreeland<br />
2003, Biglaiser und Brown 2005, Brooks und Kurtz 2007).
30 2 Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern<br />
2.1.1 Außenwirtschaftsliberalisierung als unabhängige Variable<br />
Eingebettet in die Debatte, ob und unter welchen Bedingungen ökonomische<br />
Liberalisierung, meist verstanden im Sinne des so genannten Washington Consensus,<br />
8 eine weitere Demokratisierung fördert oder nicht (Bunce 2001, Kwon<br />
2004, Fish und Choudhry 2007), sind es heute vor allem Ökonomen, die einen<br />
positiven (langfristigen) ursächlichen Einfluss von außenwirtschaftlicher Öffnung<br />
auf Demokratisierung vermuten (Barro 1998, Nabli und De Kleine 2000,<br />
Bhagwati 2004, Papaioannou und Siourounis 2004, López-Córdova und Meissner<br />
2005, Busse und Gröning 2007). 9<br />
Von weiten Teilen der fallstudienorientierten und regionalwissenschaftlichen<br />
Literatur wird dieser Zusammenhang allerdings als monokausal und deterministisch<br />
verworfen, denn „[e]conomic and political reforms are indeed linked,<br />
but in ways that are complex and nondetermining“ (Bellin 2004: 14). Zwar existieren<br />
auch in den Reihen der Regionalspezialisten Perspektiven, die ökonomische<br />
Liberalisierung und die damit einhergehende Außenhandelsliberalisierung<br />
zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt mit einer beginnenden Demokratisierung<br />
verbunden haben (Remmer 1986, Brynen 1992, Clawson 1992, Sandbrook<br />
1996), allerdings wurden gleichermaßen überzeugende Argumente gegen<br />
einen direkten Zusammenhang gemacht (Herbst 1990, Bienen und Herbst<br />
1996). 10 Im Allgemeinen wird heute der Erfolg einer Demokratisierung weniger<br />
8 Der Begriff geht auf John Williamson (1990, 1994) zurück. Dabei war ursprünglich allerdings<br />
kein uneingeschränkter Abbau von staatlicher Regulierung oder die Einführung eines radikalen<br />
Marktliberalismus gemeint, obwohl der Begriff in vielen Fällen mit dieser zuletzt genannten<br />
Konnotation Verwendung gefunden hat und immer noch findet. John Williamson selbst bezieht<br />
den Begriff ausschließlich auf „[…] the lowest common denominator of policy advice being<br />
addressed by the Washington-based institutions to Latin American countries as of 1989“<br />
(2000: 252). Dazu gehören (1.) Haushaltsdisziplin, (2.) eine Umorientierung staatlicher Investitionen<br />
in Bereichen mit hohen ‚economic returns und Potential zur Einkommensumverteilung,<br />
wie Gesundheitsfürsorge, Schulbildung und Infrastruktur, (3.) Steuerreformen mit dem Ziel einer<br />
niedrigen marginalen Steuerrate und einer breiteren Steuerbasis, (4.) Liberalisierung der<br />
inländischen Zinsen, (5.) ein wettbewerbsfähiger Wechselkurs, (6.) Abbau von Außenhandelsbarrieren,<br />
(7.) Liberalisierung von ausländischen Direktinvestitionen, (8.) Privatisierung von<br />
Staatsbetrieben, (9.) innerstaatliche Deregulierung und (10.) Stärkung von Eigentumsrechten.<br />
9 Detaillierter wird in diesem Zusammenhang argumentiert, dass in Verbindung mit den positiven<br />
Folgen einer auf die Öffnung des Außenhandels folgenden Industrialisierung und wirtschaftlichen<br />
Spezialisierung soziostruktureller Wandel in Gang gesetzt wird, der dann wiederum<br />
Urbanisierung, zunehmende soziale Gleichheit und steigendes Bildungsniveau bewirken<br />
kann. Diese strukturellen Veränderungen, so wird angenommen, haben schlussendlich einen<br />
positiven Einfluss auf die Akzeptanz formaldemokratischer Prozesse (Hadenius 1992, Bhagwati<br />
2004) bzw. tragen langfristig zur Stabilisierung von Demokratien bei (Rogowski 1987).<br />
10 Vgl. dazu auch die zahlreichen Länderbeispiele und detaillierten Fallstudien in z.B. (Niblock<br />
und Murphy 1993, Haggard und Kaufman 1995, Jilberto und Mommen 1996b, Edwards und<br />
Lederman 1998).
2.1 Folgen und Ursachen von außenwirtschaftlicher Liberalisierung 31<br />
von der eingeschlagenen wirtschaftspolitischen Richtung als vielmehr von der<br />
wirtschaftlichen Performanz der eingeleiteten Reformen abhängig gemacht<br />
(Haggard und Kaufman 1997).<br />
Auch die Befunde einer jüngeren makro-quantitativen politikwissenschaftlichen<br />
Literatur verweisen auf einen ambivalenten Zusammenhang zwischen Außenwirtschaftsöffnung<br />
und Demokratisierung (Weiffen 2006). 11 Unter anderem<br />
wird neuerdings vermutet, dass regionale (Bunce 2001: 59) und/oder güterspezifische<br />
(Weiffen 2006: 83) Wirkungsunterschiede zwischen Außenhandelsoffenheit<br />
bzw. ökonomischer Liberalisierung und Demokratisierung existieren.<br />
Für die neo-klassische Wachstumstheorie ist die kausale Wirkung des Abbaus<br />
von Außenhandelsbarrieren auf wirtschaftliches Wachstum der zentrale Befund<br />
der volkswirtschaftlichen Forschung innerhalb der letzten drei Jahrzehnte<br />
(Grossman und Helpman 1991, Eicher 1999). Der Abbau von staatlicher Regulierung,<br />
oder die Implementierung von ‚structural adjustment policies (Balassa<br />
1982, 1984), sei die einzig mögliche und deswegen notwendige politische Anpassungsstrategie,<br />
um durch die effizientere Verteilung von Ressourcen nach<br />
dem Scheitern der ISI-Politiken wirtschaftliches Wachstum in Entwicklungsländern<br />
zu generieren (Krueger 1990, Summers und Thomas 1993, Barro 1998,<br />
Miles et al. 2005) und langfristig Armut zu verringern (Winters, McCulloch und<br />
McKay 2004).<br />
In der empirischen volkswirtschaftlichen Forschung ist ökonomische Liberalisierung<br />
in den meisten Fällen als Außenhandelsliberalisierung operationalisiert<br />
und positiv mit ökonomischem Wachstum korreliert (für eine Übersicht<br />
vgl. Bourguignon et al. 2002: 37ff., Baldwin 2003, World Trade Organization<br />
2007). 12 Jeffrey Sachs und Andrew Warner (1995) konnten als Erste mit einem<br />
Index außenwirtschaftlicher Offenheit nachweisen, dass entsprechend der Prä-<br />
11 Vgl. dazu die Zusammenfassung von Brigitte Weiffen in der sie schreibt: „Dabei ist bemerkenswert,<br />
dass diese Heterogenität der Ergebnisse nur zum Teil durch die Verwendung unterschiedlicher<br />
Indikatoren für unabhängige und abhängige Variablen zustande kommt. Vor allem<br />
für die unabhängige Variable Außenhandel wird mit dem Anteil der Im- und Exporte am Bruttoinlandsprodukt<br />
fast immer der gleiche Indikator verwendet, so dass die divergierenden Resultate<br />
vor allem in den unterschiedlichen verwendeten Datenanalysemethoden begründet sein<br />
müssen“ (Weiffen 2006: 75). Ein ähnlich ambiguer Eindruck entsteht, wenn man sich den Debatten<br />
der makro-quantitativen Forschung in Bezug auf den Zusammenhang zwischen allgemeiner<br />
ökonomischer Liberalisierung und Demokratisierung widmet. Obwohl identische Datensätze<br />
Verwendung finden, verändern Korrelationskoeffizienten ihre Richtung allein aufgrund<br />
von veränderten modellinhärenten Spezifikationen. Vgl. dazu z.B. (Kurtz und Barnes<br />
2002, Fish und Choudhry 2007).<br />
12 So erläutern zum Beispiel die AutorInnen des Index of Economic Freedom: “Not only is a<br />
higher level of economic freedom clearly associated with a higher level of per capita gross domestic<br />
product (GDP), but GDP growth rates also increase as a country’s economic freedom<br />
score improves” (Miles et al. 2005: 2).
32 2 Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern<br />
skription der neoklassischen Außenhandelstheorie zwischen 1979 und 1989<br />
regulative Außenhandelsoffenheit mit relativ höherem ökonomischem Wachstum<br />
verbunden war. 13 Auch wenn der Sachs-Warner-Effekt für die 1990er Jahre<br />
nur in abgeschwächter Form nachgewiesen werden konnte (Wacziarg und Welch<br />
2003) oder neuerdings verstärkt auf die Interaktion zwischen ökonomischen und<br />
politischen Reformen hingewiesen wird, 14 ist der Zusammenhang einer wirtschaftliches<br />
Wachstum generierenden Außenwirtschaftsliberalisierung, trotz erneut<br />
an vielen Stellen geäußerter Zweifel in Bezug auf die Validität existierender<br />
Indikatoren und Indizes (Rodriguez und Rodrik 2000, Baldwin 2003) sowie der<br />
Richtung der Kausalität (Brune, Garret, Gusinger und Sorens 2001, Baldwin<br />
2003: 29-30, Betz 2006: 203), bis heute fester Bestandteil der wirtschaftspolitischen<br />
Beratung (The World Bank 1991, 1996, Abed und Davoodi 2003), der<br />
angewandten Policyforschung (Miles et al. 2005) und der Einführungsliteratur in<br />
die Globalisierungsforschung (Schirm 2006).<br />
In diesem Zusammenhang macht die fallstudienorientierte Literatur zum<br />
Zusammenhang von außenwirtschaftlicher Liberalisierung und ökonomischem<br />
Wachstum deutlich differenziertere Aussagen. Neben einzelnen Länderstudien,<br />
wie z.B. zu Ägypten, die darauf verweisen, dass eine Liberalisierung des Außenhandels<br />
in der Vergangenheit nicht zu einer gewünschten Aktivierung der für<br />
den Export produzierenden Industriesektoren geführt hat (Morley und Perdikis<br />
2000, Richter und Steiner 2008), haben auch interne Untersuchungen des IWF<br />
gezeigt, dass zumindest kurzfristig betrachtet Strukturanpassungsmaßnahmen<br />
und der darin enthaltene Abbau von Außenwirtschaftsbarrieren vor allem zu<br />
einem Rückgang von Investitionen und damit von ökonomischem Wachstum<br />
geführt haben. Erst mittelfristig waren in einigen (aber nicht in allen) untersuchten<br />
Ländern steigende private Investitionen und Produktivitätssteigerungen zu<br />
beobachten (IMF Archives 1995b: 12-15).<br />
Im Gegensatz zum positiv herausgestellten Zusammenhang zwischen Außenhandelsoffenheit<br />
und wirtschaftlichem Wachstum in der volkswirtschaftlichen<br />
Literatur ist Außenwirtschaftsliberalisierung in der Armutsforschung bzw.<br />
der neueren Literatur zur Überwindung von Unterentwicklung der wichtigste<br />
Faktor zur Erklärung von neuer oder sich verstärkender Armut im globalen Süden<br />
(Singerman 1997, Meyer 2000, Cornia und Court 2001, Harders 2003,<br />
13 Später konnte dieses Ergebnis auch für einzelne Dimensionen außenwirtschaftlicher Regulierung<br />
nachgewiesen werden. So findet zum Beispiel Dennis Quinn einen statistisch signifikanten<br />
und robusten Zusammenhang zwischen der Liberalisierung des außenwirtschaftlichen Zahlungsverkehrs<br />
und wirtschaftlichem Wachstum (Quinn 1997).<br />
14 “[…] sequence matters. Countries that first liberalize the economy, and then make the transition<br />
to a democracy, do better, in terms of growth, investment, trade volume and macro policies,<br />
than those that adopt the two reforms in the reverse order” (Giavazzi und Tabellini 2005:<br />
1322).
2.1 Folgen und Ursachen von außenwirtschaftlicher Liberalisierung 33<br />
Nuruzzaman 2005). Darüber hinaus gehend verweisen jüngere Untersuchungen<br />
ähnlich wie in der Forschung über den Zusammenhang zwischen Außenwirtschaftsliberalisierung<br />
und Demokratisierung auf unterschiedliche regionale und<br />
sektorspezifische Trends bei der Entwicklung wachstumsrelevanter Indikatoren<br />
infolge von außenwirtschaftlichen Liberalisierungsprozessen (Taylor und Vos<br />
2002, Vos 2007: 5). 15<br />
2.1.2 Außenwirtschaftsliberalisierung als abhängige Variable<br />
Im Vergleich zur Literatur über die Wirkung des Abbaus von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
auf politische und ökonomische Entwicklung ist die komparativempirische<br />
Forschung zu den Bestimmungsfaktoren des ‚rush to free trade ausgesprochen<br />
jung. Trotz einer bis in das 19. Jahrhundert zurückreichenden und<br />
heute die volkswirtschaftliche Forschung dominierenden Tradition, die ausschließlich<br />
danach fragt, warum Staaten trotz der wohlfahrtssteigernden Wirkung<br />
von Freihandel überhaupt Handelsbarrieren aufgebaut haben und auf der anderen<br />
Seite einer Reihe von dazu konträr argumentierenden erfahrungswissenschaftlichen<br />
Paradigmen, die vor allem danach fragen, aus welchen Gründen die Reform<br />
von Außenwirtschaftsregulierung motiviert war oder sein sollte, steckt die vergleichend-historische<br />
Forschung zu den Bestimmungsfaktoren außenwirtschaftlicher<br />
Reformprozesse in Entwicklungsländern immer noch in ihren Kinderschuhen.<br />
In der modernen neo-klassischen Wohlfahrtsökonomie existiert heute ein<br />
quasi universeller Konsens, dass der Abbau von Außenwirtschaftsbarrieren im<br />
Aggregat gesamtgesellschaftlich wohlfahrtssteigernde Wirkungen hat bzw. haben<br />
muss. Abhängig von der theoretischen Vorstellung, wie tatsächlich Wohlfahrtseffekte<br />
aufgrund einer außenwirtschaftlichen Liberalisierung innerhalb der<br />
nationalen Ökonomie erzielt werden, wird zwischen drei unterschiedlichen Varianten<br />
von Determinanten außenwirtschaftlicher Liberalisierung unterschieden<br />
(für Übersichten vgl. Frieden und Rogowski 1996: 37-38, Milner 1999: 95f.,<br />
Martin 2005: 25ff., Bodenstein 2006: 236-239). Allen Varianten gemeinsam ist<br />
die Annahme, dass Außenwirtschaftsbarrieren durch die jeweils modellabhängig<br />
gewählte Konstellation nationaler Akteure und Akteursgruppen entweder (1.)<br />
akteurspezifisch (importkonkurrierende Industrien und Eigentümer von Importli-<br />
15 So hat zum Beispiel in den asiatischen Tigerstaaten die exportorientierte Öffnungsstrategie seit<br />
etwa den 1960er Jahren zu einer Reduktion der Einkommensunterschiede geführt, während in<br />
Lateinamerika die Öffnung nationaler Märkte in den meisten Fällen mit einer sich verstärkenden<br />
Ungleichheit verbunden war (Vos 2007: 5).
34 2 Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern<br />
zenzen), 16 (2.) sektorspezifisch (global relativ weniger wettbewerbsfähige Sektoren)<br />
17 oder (3.) faktorspezifisch (global relativ knapper vorhandene Produktionsfaktoren)<br />
18 in der Vergangenheit politisch durchgesetzt worden sind und in<br />
der Gegenwart und Zukunft verteidigt werden. Allerdings ist sich die neoklassische<br />
empirische Forschung kaum einig darüber, welches der Modelle die<br />
empirische Realität des tatsächlichen Abbaus von Außenhandelsbarrieren zwischen<br />
unterschiedlichen Staaten im Zeitverlauf am besten erklären kann (Milner<br />
1999: 96, Martin 2005: 28).<br />
Im Gegensatz zu dieser volkswirtschaftlichen Perspektive sehen PolitikwissenschaftlerInnen<br />
und politische SoziologInnen in einer Regulierung der<br />
Außenwirtschaft den Normalfall einer souveränen Staatlichkeit. Basierend auf<br />
dieser Annahme fragen sie vor allem nach den Intentionen und Einflussfaktoren,<br />
die den Auf- und Abbau von Außenwirtschaftsbarrieren im Zeitverlauf erklären<br />
können (Milner 1999: 92). In einer explizit auf den Staat als zentraler Akteur in<br />
der Wirtschaftspolitik rekurrierenden Strömung innerhalb der Politikwissenschaft<br />
und politischen Ökonomie lassen sich dabei (vereinfacht gesprochen) drei<br />
wichtige Perspektiven unterscheiden.<br />
Erstens argumentieren z.B. Margaret Levi (1988) oder Peter Evans (1989),<br />
dass nutzenmaximierende staatliche Akteure alles daran setzen werden, der eigenen<br />
Gesellschaft ein Maximum an materiellen Ressourcen abzutrotzen. Aus<br />
dieser Perspektive sei die Ausgestaltung der außenwirtschaftlichen Regulierung<br />
die Strategie eines repressiven Staates (predatory state), den Kollektivnutzen<br />
einer (nach-kolonialen) Elite zu maximieren (Lal 1988, Bergesen, Haugland und<br />
Lunde 2000). Zweitens wird innerhalb der Literatur über autozentrierte Entwicklung<br />
und später zum ‚developmental state’ die regulative Ausgestaltung des<br />
Außenhandels als politisches Instrument interpretiert, das die nachholende (binnenmarktorientierte)<br />
Entwicklung einer Entwicklungsgesellschaft unterstützen<br />
kann und soll (Senghaas 1977, Wade 1993, Woo-Cumings 1999). Neuerdings<br />
16 Dabei werden Renten als Folge des Abbaus von außenwirtschaftlichen Barrieren von den durch<br />
Handelsbarrieren geschützten Industrien oder den Inhabern von Importlizenzen hin zu den<br />
Konsumenten verschoben (Harberger 1964). Einheimische Produzenten importkonkurrierender<br />
Produktionen und Halter von Importlizenzen sind aus dieser Perspektive die eigentlichen Profiteure<br />
von hohen Außenwirtschaftsbarrieren und damit auch die entschiedensten Gegner einer<br />
Liberalisierung.<br />
17 Dabei finden in Folge des Abbaus von Außenwirtschaftsbarrieren intersektorale Verschiebungen<br />
von Ressourcen statt. Dem Ricardo-Viner-Theorem entsprechend werden sich Länder in<br />
Folge von außenwirtschaftlicher Liberalisierung auf die Produktion von Gütern mit globalen<br />
komparativen Kostenvorteilen spezialisieren.<br />
18 Dabei können sich entsprechend des Stolper-Samuelson-Theorems als Folge einer Liberalisierung<br />
des Außenhandels faktorspezifische Wohlfahrtseffekte ergeben. Relativ reichlich vorhandene<br />
Faktoren gewinnen durch Freihandel, während relativ knapp vorhandene Faktoren nur<br />
durch die Aufrechterhaltung von Barrieren profitieren.
2.1 Folgen und Ursachen von außenwirtschaftlicher Liberalisierung 35<br />
wird drittens argumentiert, dass Außenwirtschaftsliberalisierung als ‚race to the<br />
bottom eine sich zwangsläufig ergebende Anpassungsstrategie aufgrund zunehmender<br />
Globalisierung bzw. Denationalisierung sei (Rodrik 1996, Grindle<br />
2000, Geddes 2002, Zürn 2002). In diesem zuletzt genannten Sinne wird häufig<br />
neben einer institutionellen Konvergenz der politischen Systeme (Demokratisierung)<br />
ebenso eine zunehmend inhaltliche Übereinstimmung von Politikzielen<br />
und -instrumenten innerhalb einzelner Politikfelder vermutet (Rodrik 1996, Geddes<br />
2002: 369, Meseguer 2003, Holzinger und Knill 2005).<br />
In der vergleichend-historischen polit-ökonomischen Forschung zur Außenwirtschaftsregulierung<br />
von Entwicklungsländern finden diese Paradigmen allerdings<br />
kaum Beachtung. Hier haben in der Vergangenheit vor allem stärker induktiv<br />
orientierte Fallstudien und neuerdings auf die neo-klassische Wohlfahrtsökonomie<br />
Bezug nehmende quantitative Analysen dominiert. So beginnt sich zu<br />
Beginn der 1990er Jahre eine Gruppe von AutorInnen empirisch detaillierter mit<br />
den Ursachen der seit den frühen 1980er Jahren stark zugenommenen Strukturanpassungs-<br />
und ökonomischen Liberalisierungspolitiken in Entwicklungsländern<br />
zu beschäftigen (vgl. dazu z.B. Nelson 1989, Herbst 1990, Nelson<br />
1990c, Frieden 1991, Barkey 1992, Haggard und Kaufman 1992b, Harik und<br />
Sullivan 1992, Haggard und Webb 1993, Nelson 1993, Niblock und Murphy<br />
1993, Haggard und Webb 1994, Dornbusch und Edwards 1995, Henry 1996). In<br />
dieser Literatur stehen neben Außenwirtschaftsreformen zahlreiche weitere Aspekte<br />
wirtschaftspolitischer Anpassungsmaßnahmen im Mittelpunkt. In den<br />
meisten Fällen primär beschreibend, wurden Varianzen im Grad wie auch im Gehalt<br />
von wirtschaftspolitischer Reform in diesem Zusammenhang ausschließlich<br />
mithilfe von unterschiedlichen Faktorkonstellationen auf nationalstaatlicher<br />
Ebene als Antwort auf einheitliche globale Trends erklärt. 19 Dabei reichten mögliche<br />
Einflussfaktoren vom Regimetyp, dem Grad staatlicher Autonomie, den<br />
administrativen Kapazitäten des Staates über Wahlzyklen und Regimewechsel<br />
bis hin zur Reichweite und Schwere der ökonomischen Krise sowie Erfahrungen<br />
aus früheren Krisen und der Einkommensverteilung innerhalb der Gesellschaft.<br />
Allerdings waren diese Einflussfaktoren in den seltensten Fällen systematisch<br />
miteinander verknüpft. Einzig der Einfluss von externen Akteuren, wie internationalen<br />
Finanzorganisationen und Gebern, wurde konsensual als weniger wichtig<br />
für den Erfolg von (außen)wirtschaftlichen Reformen betrachtet (Remmer<br />
1986: 21, Nelson 1990a: 330).<br />
Während sich die Literatur in den 1990er Jahren auf ein breites Spektrum<br />
der im Rahmen des ‚Washington consensus (Williamson 1990, 1994) eingelei-<br />
19 Dabei scheint diese auf Entwicklungsländer fokussierte Literatur (noch) ganz in der Tradition<br />
der Forschung zu den wirtschaftspolitischen Reaktionen der europäischen Staaten in der Zwischenkriegszeit<br />
(Katzenstein 1985, Gourevitch 1986, Rogowski 1989) zu stehen.
36 2 Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern<br />
teten Veränderungen der wirtschaftspolitischen Regelsetzung konzentriert hatte<br />
und darüber hinaus vor allem, wenn auch oft implizit, die Wirkung von Reformmaßnahmen<br />
auf ökonomisches Wachstum in den Blick nahm, entwickelten<br />
sich in den letzten Jahren verschiedene Debatten zu einzelnen wirtschaftspolitischen<br />
Aspekten dieser weltweiten regulativen Veränderungen. Untersuchungen<br />
zu Reformen der staatlichen Regulierungen im Politikfeld Außenwirtschaft nehmen<br />
dabei eine prominente Rolle ein.<br />
In ihrer Zusammenfassung der Literatur zur Außenhandelspolitik bis zum<br />
Ende der 1990er Jahre isoliert Helen Milner (1999) 20 drei zentrale Bündel von<br />
Einflussfaktoren, die in oft jeweils spezifischen Ausprägungen und Kombinationen<br />
versuchen, eine Erklärung für die zunehmende Liberalisierung des Außenhandels<br />
bei Entwicklungsländern seit Beginn der 1980er Jahre zu finden.<br />
Dabei stehen erstens der Einfluss und der Präferenzwandel von spezifischen<br />
Interessengruppen, wie Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden, von Wählern<br />
und von politischen Eliten im Mittelpunkt unterschiedlicher Erklärungsmodelle.<br />
Zweitens werden unterschiedliche Aspekte der Qualität und des Wandels politischer<br />
Institutionen, wie zum Beispiel die Rolle von ‚change teams (Waterbury<br />
1992) und administrativer Kapazitäten des Staates, von Regimetyp und Demokratisierung<br />
oder von institutioneller Fragmentierung und Vetospielerstruktur für<br />
den zunehmenden Abbau von außenwirtschaftlichen Barrieren verantwortlich<br />
gemacht. Schließlich wird drittens vorgeschlagen, dass internationale systemische<br />
Faktoren wie Machtverteilung und Sicherheitskooperation zwischen Staaten<br />
und/oder die Präsens und der Einfluss internationaler Organisationen für den<br />
‚rush to free trade außerhalb der OECD-Welt verantwortlich gewesen sind. 21<br />
Allerdings sind laut Milner alle drei Erklärungsvarianten defizitär, da die<br />
reale Herausforderung in Bezug auf Entwicklungsländer darin besteht, den abrupten<br />
Wechsel weg von einer importsubstituierenden und Protektionismus bevorzugenden<br />
Außenwirtschaftspolitik hin zu einem liberalen Außenwirtschaftssystem<br />
zu erklären. Zwar gesteht sie ein, dass sich wandelnde Präferenzen, insbesondere<br />
bei politischen Entscheidungsträgern, eine wichtige Rolle bei der<br />
20 Helen Milner bezieht sich tatsächlich nur auf die regulative staatliche Organisation des Außenhandels<br />
als Außenwirtschaftspolitik im engeren Sinne, indem sie zum Beispiel den Bereich der<br />
Wechselkurspolitik von vorneherein von ihrer Zusammenfassung ausschließt (Milner 1999:<br />
93).<br />
21 Milner arbeitet neben diesen drei Aspekten als vierten Bereich den Einfluss von sich<br />
verändernden realen Außenhandelsintensitäten auf die innerstaatliche Präferenzentwicklung im<br />
Zeitverlauf heraus. Allerdings stellt sie fest, dass diese Form der Erklärung für Entwicklungsländer<br />
so gut wie keine Relevanz besitzt. „[…] increasing exposure to trade leads to increasing<br />
pressure against protection, thus creating a virtuous cycle of rising demand for freer<br />
trade. As an explanation for trade policy in the advanced industrial countries over the past few<br />
decades, this type of argument seems very plausible” (Milner 1999: 108).
2.1 Folgen und Ursachen von außenwirtschaftlicher Liberalisierung 37<br />
Außenwirtschaftsliberalisierung gespielt haben, allerdings bemerkt sie auch, dass<br />
„[…] our models of such preferences seem the most underspecified and post hoc.<br />
There are few theories about the conditions under which policy makers will<br />
abandon ideas that produce bad results and what ideas they will adopt in their<br />
stead” (Milner 1999: 100). Einen relevanten Einfluss von politischen Institutionen<br />
sieht Milner allein im Zusammenspiel mit sich verändernden Akteurspräferenzen<br />
gegeben: “Although strong evidence has not yet been presented, at<br />
this point changes in political regimes, and specifically the spread of democracy,<br />
may be the institutional change that best helps explain the rush to free trade”<br />
(Milner 1999: 104). 22<br />
Neuere statistische bzw. ökonometrische Arbeiten haben dabei, ähnlich wie<br />
die frühere Literatur zur Strukturanpassung, ihren Fokus auf den Nationalstaat,<br />
die nationale Gesellschaft oder die nationale Volkswirtschaft gelegt, um zu erklären,<br />
warum Entwicklungsländer ihre außenwirtschaftlichen Regelsysteme<br />
liberalisieren. Dabei ist es vor allem die von Helen Milner oben zuletzt genannte<br />
Vermutung, die durch die Analyse größerer Datensätze ergänzt und mithin bestätigt<br />
wurde.<br />
Im Gegensatz zu der auch noch zu Beginn der 1990er Jahre populären These,<br />
dass autoritäre Regime marktorientierte Wirtschaftsreformen besser und effizienter<br />
implementieren könnten als demokratische (Sheahan 1980, Haggard und<br />
Kaufman 1989, Nelson 1990a), 23 begann sich in den letzten drei bis vier Jahren<br />
innerhalb der Debatten über die Determinanten von Außenwirtschaftsliberalisierung<br />
ein neues Paradigma zu etablieren: Steigende Außenwirtschaftsliberalisierung<br />
wird dabei ursächlich mit einer vorausgehenden Demokratisierung verbunden<br />
(Frye und Mansfield 2004, Martin 2004, Bodenstein 2005, Martin 2005,<br />
Milner und Kubota 2005, Bodenstein 2006, Kennedy 2007), wohingegen autoritären<br />
politischen Systemen eine systematische Neigung zugunsten relativ mehr<br />
bzw. relativ höherer Außenhandelsbarrieren unterstellt wird (Banerji und<br />
Ghanem 1997, Giavazzi und Tabellini 2005). 24<br />
So finden zum Beispiel Timothy Fry und Edward Mansfield bei einer Analyse<br />
der osteuropäischen Transformationsstaaten zwischen 1990 und 1999 einen<br />
positiven Zusammenhang zwischen Demokratisierung und Außenwirtschaftsli-<br />
22 Vgl. dazu bereits Barbara Geddes in einem allgemeineren Sinn: “[“] regime or government<br />
change can increase the likelihood of economic liberalization because it breaks the link between<br />
incumbents and the main beneficiaries of statist policies by installing a new set of incumbents”<br />
(Geddes 1995: 197).<br />
23 Vgl. (Remmer 1986, Haggard und Kaufman 1989) für zwei sehr gute Zusammenfassungen zu<br />
diesem Komplex.<br />
24 “[…] authoritarianism may be associated with higher trade protection” (Banerji und Ghanem<br />
1997: 188) und “[…] autocrats are less likely to open up the economy” (Giavazzi und Tabellini<br />
2005: 26).
38 2 Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern<br />
beralisierung und machen darüber hinaus auf die erhöhte Wahrscheinlichkeit des<br />
Abbaus von Außenwirtschaftsbarrieren kurz nach erfolgten demokratischen<br />
Wahlen aufmerksam (Frye und Mansfield 2004). Thilo Bodenstein (2005, 2006)<br />
hat in seinen Arbeiten zeigen können, dass die Form des Übergangs in ein so<br />
genanntes post-sozialistisches politisches System einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit<br />
regulativer Reformen hatte: Je größer der Einfluss von institutionellen<br />
Vetospielern in Form von institutionellen Einschränkungen der Regierung,<br />
desto eher wurden außenwirtschaftliche Reformen umgesetzt und insbesondere<br />
nicht-tarifäre Handelshemmnisse abgebaut (Bodenstein 2005: 170). Diese Ergebnisse<br />
sind von Ryan Kennedy dahingehend bestätigt worden, dass er nachweisen<br />
konnte, dass die Fragmentierung von Entscheidungsbefugnissen sowie ein höherer<br />
allgemeiner gesellschaftlicher Pluralismus seit Beginn der 1990er Jahre einen<br />
positiven Einfluss auf außenwirtschaftliche Liberalisierung im ehemaligen Einfluss-<br />
und Staatsbereich der Sowjetunion hatten (Kennedy 2007: 165).<br />
Christian Martin (Martin 2004, 2005) kann in seiner Untersuchung von 90<br />
Entwicklungsländern zwischen 1978 und 1999 einen allgemeinen Zusammenhang<br />
zwischen Demokratieniveau und Außenwirtschaftsliberalisierung belegen.<br />
Erstens wird die Wahl handelspolitischer Instrumente (tarifäre versus nichttarifäre<br />
Restriktionen) in Entwicklungsländern durch unterschiedliche Demokratisierungsgrade<br />
bestimmt. Ein höheres Maß an Demokratie senkt die Wahrscheinlichkeit<br />
der Implementierung quantitativer Restriktionen (Martin 2004:<br />
52). Zum Zweiten beeinflusst das aktuelle Demokratieniveau, aber nicht der<br />
Grad der Demokratisierung über die Zeit, die Wahrscheinlichkeit, dass infolge<br />
von externen makroökonomischen Schocks Außenhandelsbarrieren abgebaut<br />
werden: Je demokratischer ein Land ist, desto wahrscheinlicher wird infolge<br />
einer makroökonomischen Krise eine Liberalisierung der außenwirtschaftlichen<br />
Regelsetzung (Martin 2005: 141). 25<br />
Dieser allgemeine Zusammenhang zwischen Demokratieniveau und Außenwirtschaftsliberalisierung<br />
wird durch eine Reihe weiterer Arbeiten bestätigt<br />
(Brune et al. 2001: 25, Quinn 2002, Milner und Kubota 2005). So finden zum<br />
25 Interessant an diesem Argument ist, dass hier die für alle Entwicklungsländer relativ ähnlichen<br />
Bedingungen globaler Märkte mit nationalen institutionellen Bedingungen im Zeitverlauf<br />
kombiniert werden. „Dass demokratische Staaten erst ab etwa dem Ende der achtziger Jahre<br />
begannen, einen im Vergleich zu Autokratien systematisch liberaleren Kurs der außenwirtschaftlichen<br />
Regulierung zu verfolgen, lässt sich auf den Zeitpunkt der krisenhaften Verschlechterung<br />
der Wirtschaftslage in vielen Entwicklungsländern zurückführen. Der Liberalisierungstrend<br />
demokratischer Entwicklungsländer findet seine Erklärung damit weder in einem<br />
genuinen Einfluss der historischen Zeit, noch in den institutionellen Besonderheiten demokratisch<br />
verfasster Staaten per se. Vielmehr wirken die makroökonomischen Krisen […] zusammen<br />
mit ihrer Vermittlung durch das institutionelle Umfeld positiv auf die Wahrscheinlichkeit<br />
einer außenwirtschaftlichen Öffnung“ (Martin 2005: 143).
2.2 Indikatoren und Messverfahren 39<br />
Beispiel Helen Milner und Keiko Kubota einen signifikanten und gegenüber<br />
einer großen Bandbreite von verschiedenen ökonomischen und politischen Einflussfaktoren<br />
robusten Zusammenhang zwischen Demokratieniveau und regulativer<br />
Außenhandelsoffenheit (Milner und Kubota 2005). Ganz ähnlich wie Christian<br />
Martin erklären Milner und Kubota diesen Zusammenhang mit einer systematischen<br />
Ausweitung von individuellen Partizipationsrechten. Denn diese erst<br />
ermöglichen, rationale und nutzenmaximierende Wähler vorausgesetzt, eine die<br />
Gesamtwohlfahrt der Volkswirtschaft bevorzugende Politik innerhalb der institutionellen<br />
Entscheidungsregeln eines politischen Systems. 26<br />
Theoretisch wird die Neigung von demokratischen bzw. demokratischeren<br />
Staaten zur Außenhandelsoffenheit mit dem Verweis auf einen zentralen Unterschied<br />
zwischen Autokratien und Demokratien begründet. Autoritäre politische<br />
Systeme finden es aufgrund der eingeschränkten politischen Beteiligungsrechte<br />
machtpolitisch effizienter, Renten an ausgewählte Segmente und Gruppen innerhalb<br />
der eigenen Gesellschaft zu verteilen. Demokratien hingegen, auf eine breitere<br />
gesellschaftliche Unterstützung angewiesen, können sich diesen Luxus nicht<br />
leisten und neigen deswegen eher zu Politiken, von denen die Gesamtbevölkerung<br />
profitiert. Unter den Konkurrenzbedingungen einer Demokratie sinkt deswegen<br />
der „[…] Preis, den Regierungen in Form wohlfahrtsmindernder restriktiver<br />
Außenwirtschaftspolitiken als Gegenleistung für die politische Unterstützung<br />
organisierter Interessengruppen zu entrichten haben“ (Martin 2005: 170). Da<br />
angenommen wird, dass Außenhandelsliberalisierung gesamtgesellschaftlich<br />
positive Wohlfahrtseffekte bereitstellt, diese aber allein unter demokratischen<br />
Bedingungen ihre Wirkung ausüben können, scheint der kausale Zusammenhang<br />
von einer Demokratisierung nachfolgender Außenwirtschaftsliberalisierung auch<br />
theoretisch solide begründet.<br />
2.2 Indikatoren und Messverfahren von regulativer<br />
Außenwirtschaftsliberalisierung<br />
2.2 Indikatoren und Messverfahren<br />
Welches sind nun die einer Forschung zu den Ursachen und Folgen von Außenwirtschaftsliberalisierung<br />
zugrunde liegenden zentralen Indikatoren und Messverfahren?<br />
Im folgenden Abschnitt wird in eine Reihe von wichtigen Indizes<br />
26 “Democratization, which implies an increase in the selectorate's size, changes the calculations<br />
of political leaders about the optimal level of trade barriers; it induces the adoption of trade<br />
policies that better promote the welfare of consumers/voters at large, which implies trade liberalization<br />
in this context. While protectionist interest groups remain important in developing<br />
democracies, other groups preferring lower trade barriers become more important for political<br />
leaders because they are now part of the selectorate upon which leaders depend for their political<br />
survival” (Milner und Kubota 2005: 137).
40 2 Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern<br />
eingeführt, die versucht haben, regulative Außenhandelsoffenheit für eine größere<br />
Anzahl von Ländern und Zeitperioden abzubilden. Darüber hinausgehend wird<br />
diskutiert, welche Vor- und Nachteile diese Messverfahren im Hinblick auf eine<br />
Verwendung zur Identifizierung von Bestimmungsfaktoren autoritärer Außenwirtschaftsliberalisierung<br />
haben.<br />
In den Wirtschaftswissenschaften, in der internationalen politischen Ökonomie,<br />
aber auch in der politikwissenschaftlichen Literatur zur Globalisierung<br />
wird bis heute der Außenhandelsquotient, d.h. das Verhältnis der Summe aus<br />
Importen und Exporten zum Bruttosozialprodukt, als Offenheitsmaß für eine<br />
Volkswirtschaft verwendet (jüngere Beispiele sind Rudra 2005, Combes und<br />
Saadi-Sedik 2006, Weiffen 2006, Busse und Gröning 2007). Diese Messverfahren<br />
wurden vor allem mit dem Hinweis kritisiert, dass die Größe einer Volkswirtschaft<br />
einen entscheidenden Einfluss auf den Außenhandelsquotienten eines<br />
Staates haben kann. So haben kleine Länder systematisch höhere Außenhandelsquotienten.<br />
27 Dazu kommt, dass bei Staaten mit gleicher Bevölkerungszahl die<br />
Außenhandelsquotienten bei den Staaten höher sind, deren Ökonomie von einem<br />
Rohstoffsektor dominiert wird. Das wohl schwerwiegendere Problem ist allerdings,<br />
dass grenzüberschreitende Güterströme nicht direkt die politische Regelungsintensität<br />
außenwirtschaftlicher Aktivitäten abzubilden in der Lage sind.<br />
Im Wissen um dieses Defizit sind in den letzten Jahren verstärkt Bemühungen<br />
unternommen worden, direkte Indikatoren außenwirtschaftlicher Regulierung<br />
zu finden und in größeren Datensätzen zusammenzufassen. Zollniveaus, die<br />
entweder als Spannweite, einfacher Durchschnitt oder gewichtet nach Handelsvolumina<br />
berechnet werden, wurden deswegen in vielen Zusammenhängen als<br />
ein einfaches erstes direktes Maß der Regelungsintensität des Außenhandels<br />
verwendet. Das im ‚Index of Economic Freedom (Miles et al. 2005) enthaltene<br />
Handelsoffenheitsmaß ist ein Beispiel für ein durch gewichtete Durchschnittszölle<br />
abgebildetes Niveau von außenwirtschaftlicher Offenheit. 28 Allerdings sind<br />
Daten zu gewichteten Zöllen in keiner mir bekannten Quelle für Zeiträume vor<br />
dem Eintritt in das GATT oder die WTO verfügbar. Zum anderen würde der<br />
Fokus auf Zölle die Bedeutung von anderen Regelungsvarianten des Außenhandels,<br />
wie Import- und Exportsteuern, Finanzierungs- und Lizenzauflagen, Imund<br />
Exportverbote, für bestimmte Produkte und quantitative Beschränkungen<br />
des Außenhandels unberücksichtigt lassen.<br />
27 Vgl. für eine ausführliche Kritik an der Verwendung des Außenhandelsquotienten bei der<br />
Bestimmung von Außenhandelsoffenheit (Bodenstein 2005: 23-30, Martin 2005: 67-73).<br />
28 Der Index ist als eine Abstufung von fünf Niveaus konstruiert. 1 = gewichteter Durchschnittszoll<br />
kleiner oder gleich 4 Prozent; 2 = gewichteter Durchschnittszoll kleiner oder gleich<br />
9 Prozent; 3 = gewichteter Durchschnittszoll kleiner oder gleich 14 Prozent; 4 = gewichteter<br />
Durchschnittszoll kleiner oder gleich 19 Prozent; gewichteter Durchschnittszoll größer 19 Prozent<br />
(Miles et al. 2005: 61).
2.2 Indikatoren und Messverfahren 41<br />
Jeffrey Sachs und Andrew Warner (Sachs und Warner 1995) entwickelten<br />
einen Index von regulativer Außenhandelsoffenheit, der über ein reines Zollniveau<br />
hinausgeht. Dabei gilt ein Staat als geschlossen, wenn mindestens eins von<br />
insgesamt fünf Kriterien erfüllt ist: nicht-tarifäre Handelshemmnisse für mehr als<br />
40 Prozent des Außenhandels, Durchschnittszoll höher als 40 Prozent, Schwarzmarktwechselkurs<br />
mehr als 20 Prozent unter dem offiziellen Wechselkurs, Exportmonopol<br />
des Staates über wichtige Exportgüter, sozialistisches Wirtschaftssystem.<br />
Bei dieser Aufzählung wird bereits ersichtlich, dass das tatsächliche<br />
Bedingungsspektrum von Geschlossenheit deutlich mehr Regelungsvarianten<br />
enthält als der Status Offenheit. Der Grund dafür liegt in der Verwendung einer<br />
Dummy-Variable, bei der dem Niveau Geschlossenheit insgesamt fünf Indikatoren<br />
zugrunde liegen, welche wiederum mit einem inklusiven ‚Oder 29 verbunden<br />
sind. Später wurde nachgewiesen, dass Geschlossenheit im Sachs-Warner-Index<br />
von einer (Harrison und Hanson 1999) bzw. zwei (Rodriguez und Rodrik 2000)<br />
der Kriterien über die Maßen bestimmt ist. 30 Trotzdem wird dieser Index, wohl<br />
vor allem aufgrund seiner Einfachheit und bis vor kurzem auch wegen mangelnder<br />
Alternativen, immer noch ausgesprochen häufig in makro-quantitativen Analysen<br />
verwendet. 31 Als Antwort auf die Defizite des Sachs-Warner-Index sind in<br />
den letzten Jahren weitere Datensätze entstanden, die versuchen, die regulative<br />
Vielfalt des Phänomens Außenwirtschaft besser abzubilden. Viele von diesen<br />
Versuchen sind allerdings auf spezifische Dimensionen, Zeitperioden und/oder<br />
bestimmte Weltregionen beschränkt.<br />
So war Dennis Quinn vermutlich einer der Ersten, der im Anschluss an<br />
Sachs und Warner einen Index staatlicher Regulierung im Politikfeld Außenwirtschaft<br />
vorgelegt hat (Quinn 1997). Seine Kodierung des jährlich vom IWF publizierten<br />
‚Annual Report on Exchange Restrictions bezieht sich allerdings ausschließlich<br />
auf die staatliche Regulierung des internationalen Zahlungsverkehrs.<br />
Tarifäre und nicht-tarifäre Handelsbarrieren, wie Zölle, Exportsubventionen oder<br />
mengenmäßige Beschränkungen des internationalen Warenverkehrs, werden von<br />
seinem Index nicht erfasst.<br />
29 Ein inklusives ‚Oder ist eine logische Verknüpfung binärer Werte, die unabhängig von der<br />
Anzahl der Eingangswerte das Ergebnis 1 ergeben, wenn mindestens einer der Eingangswerte<br />
einen Wert von 1 annimmt.<br />
30 Zum einen ist der Index vom Kriterium sozialistisches Wirtschaftssystem (Harrison und Hanson<br />
1999) und zum Zweiten von einer Kombination der Kriterien Schwarzmarktpremium und<br />
staatliches Exportmonopol überdeterminiert (Rodriguez und Rodrik 2000).<br />
31 So haben Wacziarg und Welch (2003) den Sachs-Warner-Index für den Zeitraum von 1990 bis<br />
1999 nachkodiert, ohne seinen grundsätzlichen Aufbau zu verändern. Giavazzi und Tabellini<br />
(2005) nutzen diesen Index als ein Maß für ‚economic liberalization, um die Interaktion zwischen<br />
politischer und ökonomischer Reform zu analysieren. Auch Harrison und Hanson<br />
(1999), Quinn (2002), Heckelman und Knack (2005) und Milner und Kubota (2005) verwenden<br />
den Index in ihren statistischen Modellen als einen von mehreren Indikatoren.
42 2 Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern<br />
Seit 1997 werden in der ‚Trade Policy Information Database (TPID) des<br />
IWF wichtige Dimensionen außenwirtschaftlicher Regulierung aller IWF-Mitgliedsstaaten<br />
zusammen getragen. Dabei werden Zollsätze und nicht-tarifäre<br />
Außenhandelsbarrieren in eine zehnstufige Skala integriert und anschließend zu<br />
drei qualitativ unterschiedlichen Offenheitsmaßen verdichtet (1 bis 4 = offen, 5<br />
bis 6 = mäßig beschränkt und 7 bis 10 = restriktiv). Leider steht dieser Index<br />
noch nicht öffentlich zur Verfügung, obwohl die darin enthaltenen Daten in der<br />
Vergangenheit bereits durch IWF-Mitarbeiter in Analysen verwendet wurden<br />
(Wu und Zeng 2008).<br />
Thilo Bodenstein hat einen Index der Handelsverkehrs- und Kapitalverkehrsregime<br />
für 24 post-sozialistische Transformationsstaaten für die Periode<br />
1993 bis 2000 entwickelt. Quinn folgend, kodiert er ebenfalls auf Basis der ‚Annual<br />
Reports on Exchange Restrictions des IWF eine Reihe von administrativen<br />
und nicht-tarifären staatlichen Außenhandelsbarrieren in diesen Staaten (Bodenstein,<br />
Plümper und Schneider 2003, Bodenstein 2005). Für die Transformationsländer<br />
in Osteuropa und Zentralasien wird zudem innerhalb der Transitionsindizes<br />
der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) ein<br />
eigener fünfstufiger Index von Außenwirtschaftsoffenheit, der nach Einschätzung<br />
der Spezialisten der EBRD seit 1991 jährlich kodiert wurde, bereitgestellt. 32<br />
Für die Länder Lateinamerikas existiert ein Index struktureller Reformen (Morley,<br />
Machado und Pettinato 1999), der neben einem Maß für Außenhandels- und<br />
Zahlungsverkehrsoffenheit ebenso Indikatoren für die Reform der innerstaatlichen<br />
Finanzstrukturen, des Steuersystems und des staatlichen Industriesektors<br />
bereitstellt. Der darin enthaltene Indikator für Außenwirtschaftsregulierung beschränkt<br />
sich allerdings ähnlich wie beim ‚Index of Economic Freedom allein<br />
auf Angaben zu ungewichteten durchschnittlichen Zöllen und der Varianz der<br />
unterschiedlichen Zollsätze in einem Land. Der Indikator für Zahlungsverkehrsregulierung<br />
hingegen ist allein auf die Regulierung von FDI, den Regeln für die<br />
Gewinn- und Zinsrückführungspflichten, und die staatlichen Einschränkungen in<br />
Bezug auf die Aufnahme von externen Krediten und internationalen Kapitaltransfers<br />
konzentriert.<br />
Seit einigen Jahren existiert ein an der Universität Konstanz entwickelter<br />
Index für die Regulierungsdichte der Außenwirtschaft, bei dem die Offenheit der<br />
Leistungs- und Kapitalbilanz für inzwischen über 100 Entwicklungsländer zwischen<br />
1978 und 2003 abgebildet wird. 33 Die außenwirtschaftliche Regelungsin-<br />
32 Vgl. dazu auch die Angaben der EBRD auf http://www.ebrd.com/country/sector/econo/<br />
stats/timeth.htm, 22. Juni 2008.<br />
33 Der ‚Current Account and Capital Account Openess-Datensatz (CACAO) nutzt Quinn (1997)<br />
folgend, ebenfalls ganz ähnlich wie Bodenstein (Bodenstein 2005) die ‚Annual Reports on Exchange<br />
Restrictions des IWF, als Quelle und bildet aus insgesamt 24 bzw. elf Indikatoren sie-
2.2 Indikatoren und Messverfahren 43<br />
tensität wird darin nicht nur über Zölle, sondern eben auch über weitere relevante<br />
staatliche Aktivitäten gemessen. 34 Vergleicht man diesen Index außenwirtschaftlicher<br />
Offenheit mit den zur Auswahl stehenden Alternativen, dann ist auf<br />
den ersten Blick Christian Martin zuzustimmen, der meint, dass die von ihm<br />
entwickelten Indikatoren eine „[…] valide Operationalisierung […] der Konzepte<br />
Handelsoffenheit und Kapitalverkehrsfreiheit dar[stellen] […]“ (Martin<br />
2005: 90). 35<br />
Auch wenn der CACAO-Index das Spektrum an staatlicher Regelung im<br />
Außenhandel besser erfasst als die existierenden Alternativen (Außenhandelsquotient,<br />
Index of Economic Freedom und Sachs/Warner-Index), ist er aus folgenden<br />
Gründen keineswegs unproblematisch. 36 Die Variable IMPORT1 in der<br />
Handelsdimension des Index qualifiziert für einen Wert = 1, wenn eine von vier<br />
Bedingungen erfüllt ist (inklusives ODER): (1.) es werden Import-Aufschläge<br />
erhoben (Import Surcharges), (2.) es existiert eine Lizenzierungspflicht, (3.) es<br />
existieren Quoten für bestimmte Produkte, (4.) der Maximalzoll beträgt 100<br />
Prozent oder mehr. Im Vergleich dazu setzt sich die Variable IMPORT2 aus<br />
folgenden vier ebenfalls mit einem inklusiven ODER verknüpften Bedingungen<br />
zusammen: (1.) es existiert ein staatliches Devisenbudget, (2.) es existiert ein<br />
staatliches Importmonopol für einzelne Güter, (3.) es existiert eine Negativliste<br />
von Gütern, deren Einfuhr verboten ist, (4.) es existiert eine Positivliste von<br />
Gütern, für deren Einfuhr bestimmte Sonderbestimmungen zu beachten sind oder<br />
deren Einfuhr überhaupt nur erlaubt ist. In den weiteren Erläuterungen zur Konstruktion<br />
des Index wird allerdings nicht ausgeführt, warum diese jeweils vier<br />
Indikatoren in jeweils die eine oder die andere dem eigentlichen Index zugrunde<br />
liegende Variable (IMPORT1 und IMPORT) zusammengeführt wurden. So<br />
ben bzw. vier als Dummys kodierte Variablen, die dann zu einem siebenstufigen Index der<br />
Leistungsbilanzoffenheit und zu einem fünfstufigen Index der Kapitalbilanzoffenheit addiert<br />
werden (vgl. dazu ausführlicher Martin 2005: 82-91).<br />
34 So fließen in den Index der Leistungsbilanzoffenheit zum Beispiel Im- und Exportlizenzierungsverpflichtungen,<br />
Im- und Exportmonopole, Negativ- und Positivlisten, Vorabzahlungspflichten<br />
oder ‚letter of credits für Importe sowie multiple Wechselkurspraktiken ein. Im Index<br />
der Kapitalbilanzoffenheit werden FDI und Rücktransfer, Restriktionen bei Investitionen,<br />
aber auch Einschränkungen bei der Haltung von Devisen im Inland erfasst.<br />
35 Streng genommen ist Martins Überprüfung der Validität des CACAO-Index (Martin 2005: 88-<br />
91) ein vergleichsweise schwacher Test in Hinblick auf Validität. Hauptgrund dafür ist, dass er<br />
seine Messung allein mit den Messungen von auf anderen Quellen basierenden Indizes vergleicht.<br />
Mit diesen so genannten Kreuzvalidierungen ist aber eben nicht abzuschätzen, inwieweit<br />
sich der Index wirklich auf das reale Phänomen Außenwirtschaftsregulierung bzw. -<br />
offenheit bezieht. Deswegen können damit allenfalls Aussagen zur Reliabilität des Index<br />
getätigt werden. Zu einer Diskussion über die Bewertung von Indizes in der Politikwissenschaft<br />
siehe neuerdings die exzellente Arbeit von Müller und Pickel (2007) zur Bewertung von<br />
Demokratieindizes.<br />
36 Vgl. zu den folgenden Angaben (Martin 2005: 85f.).
44 2 Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern<br />
bleibt zum Beispiel völlig offen, wieso eine allgemeine Lizenzierungspflicht und<br />
ein staatliches Importmonopol in zwei unterschiedlichen Variablen des Index<br />
erfasst werden. Ist nicht ein staatliches Importmonopol nur die Extremform einer<br />
allgemeinen Lizenzierungspflicht und wäre damit viel besser als eine Unterkategorie<br />
der zuletzt genannten Regulierungsform aufzufassen? Ähnliche Fragen in<br />
Bezug auf die Zuordnungskriterien ließen sich auch für eine Reihe von weiteren<br />
Ausgangsvariablen stellen.<br />
Zweitens ist im CACAO-Index das Problem der Gewichtung zwischen den<br />
Ausgangsvariablen, die unterschiedliche Regulierungsvarianten und damit unterschiedliche<br />
Protektionsqualitäten und -niveaus abbilden, nicht abschließend gelöst.<br />
Um an das soeben beschriebene Beispiel anzuknüpfen: Es erscheint wenig<br />
plausibel, warum eine allgemeine Lizenzierungspflicht, allgemeine Quoten und<br />
ein Maximalzoll von über 100 Prozent nur ein identisches Maß an Einfluss innerhalb<br />
eines von sieben Teilen im CACAO-Index darstellen sollen. Durch die<br />
interne Verknüpfung dieser drei Variablen mit einem inklusiven ODER sind z.B.<br />
Staaten, die alle drei Regulierungen aktiv betreiben, auf gleichem Niveau klassifiziert<br />
wie jene Staaten, die nur je eine dieser Regulierungen implementiert haben.<br />
Vor allem wegen der Popularität von Regulierungsformen wie Quoten,<br />
Lizenzen und Zöllen erscheint dieses Manko keineswegs trivial.<br />
Aus diesen Gründen kann beim CACAO-Index nicht grundsätzlich ausgeschlossen<br />
werden, dass die Werte des Index nicht über die Maßen durch eine<br />
spezifische Indikatorenkombination (vor)determiniert sind. Hinzu kommt, dass<br />
viele Aspekte staatlicher Regulierungen eben keiner Nominalskala entsprechen,<br />
sondern eher als Ordinal- oder sogar als Intervallskala abgebildet werden müssten.<br />
37 Bedenkt man, dass die Neoklassik einen idealen Markt ohne Staatseingriff<br />
fordert, sollte man wirtschaftspolitische Regelungsniveaus wohl sogar als Verhältnisskala<br />
abbilden. Dennoch bleibt unter dem Strich der CACAO-Index die<br />
momentan beste aller zur Verfügung stehenden Alternativen, um außenwirtschaftliches<br />
Regulierungsniveau von Entwicklungsländern zu messen. Da die<br />
Daten für einen Zeitraum von 1978 bis 2003 vorliegen, kann der Index unproblematisch<br />
zur Abbildung von Veränderungen über diesen Zeitraum hinweg genutzt<br />
werden.<br />
37 Ähnlich hat Maurice Obstfeld im Hinblick auf die Skalierung von Wechselkurssystemen<br />
argumentiert: “The choice between fixed and floating exchange rates should not be viewed as<br />
dichotomous. In reality, the degree of exchange-rate flexibility lies on a continuum, with exchange-rate<br />
target zones, crawling pegs, crawling zones, and managed floats of various other<br />
kinds residing between the extremes of floating and irrevocably fixed” (Obstfeld 1998: 15).
2.3 Methodische und empirische Lücken im Forschungsprogramm 45<br />
2.3 Methodische und empirische Lücken im Forschungsprogramm<br />
2.3 Methodische und empirische Lücken im Forschungsprogramm<br />
Trotz des unumstrittenen empirischen Befunds einer nicht nur zwischen den<br />
hoch industrialisierten Staaten der OECD-Welt seit Beginn der 1980er Jahre<br />
gestiegenen außenwirtschaftlichen Offenheit, ist wie in Abschnitt 2.1 dargelegt<br />
wurde, ein allgemeiner Konsens über sowohl die Wirkung als auch die Triebkräfte<br />
dieses Abbaus staatlicher Regulierung im Politikfeld Außenwirtschaft<br />
nicht in Sicht. Die Debatten über die kausale Wirkung von Außenwirtschaftsliberalisierung<br />
auf wirtschaftliches Wachstum innerhalb der Volkswirtschaftslehre<br />
werden auch heute noch fast ausschließlich durch die deduktiv begründeten<br />
Argumente einer liberalen Freihandelslehre dominiert. Wo diese allerdings unter<br />
Zuhilfenahme von disaggregierten Datensätzen erneut in Frage gestellt werden,<br />
erscheint der Blick auf regionale und güterspezifische Wirkungen von Außenwirtschaftsliberalisierung<br />
auf Demokratisierungsprozesse und ökonomisches<br />
Wachstum vielversprechend. Aber auch in diesem Zusammenhang wird in Zukunft<br />
genau zu prüfen sein, welche historischen akteurs- und strukturspezifischen<br />
Voraussetzungen hinter solchen Konfigurationen verborgen liegen.<br />
Die im Abschnitt 2.2 herausgearbeiteten Aspekte einer Debatte über die<br />
Triebfedern des ‚rush to free trade haben im Vergleich zur mehr oder weniger<br />
eklektizistischen Aneinanderreihung von Erklärungsfaktoren in den 1990er Jahren<br />
38 durch die Verknüpfung mit der Welle politischer Transformationen (Demokratisierung)<br />
in den letzten Jahren einen Konsens über einen wichtigen Bestimmungsfaktor<br />
von Außenwirtschaftsliberalisierung entstehen lassen. Mit<br />
einem Blick auf diese jüngeren Arbeiten und die Diskussion der dabei verwendeten<br />
Indizes von regulativer Außenhandelsoffenheit (Abschnitt 2.3) lassen sich<br />
mindestens drei Komplexe identifizieren, die sowohl alte Schwächen als auch<br />
neue Herausforderungen innerhalb dieses Forschungsfeldes offenlegen:<br />
A. Während insbesondere die volkswirtschaftliche und neuerdings die von der<br />
neo-klassischen Wohlfahrtsökonomie inspirierte politikwissenschaftliche<br />
Literatur durch ihre konsistente Modellbildung beeindruckt, ist es vor allem<br />
die Verknüpfung zwischen theoretischem Konzept und empirischem Indikator,<br />
die in vielen Bereichen der makro-quantitativen Forschung wenig zu<br />
38 Obwohl die fallstudienzentrierte Literatur der frühen 1990er Jahre bereits darum bemüht war<br />
„[…] to single out those [factors, TR] that best explain why governments followed similar or<br />
different adjustment paths“ (Nelson 1990a: 325), zeichnete sich ihr methodisches Vorgehen,<br />
trotz des Bemühens um hohe interne Validität, durch eine eklektische Mischung von induktiven<br />
und deduktiven Elementen aus. Damit konnten zwar eine Reihe von Faktorkombinationen<br />
isoliert werden, die Außenwirtschaftsliberalisierung beeinflusst haben (könnten), eine Generalisierung,<br />
auch mit nur geringerer Reichweite, war in diesem Kontext allerdings kaum möglich<br />
(Wilson 1991: 1478).
46 2 Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern<br />
überzeugen vermag: Allzu divers erscheinen die verwendeten oder selbst<br />
generierten Indizes, zu oft sind wichtige unabhängige Variablen und Indikatoren<br />
ad hoc gewählt, und zu wenig werden unterschiedliche Konzepte und<br />
Theorien miteinander verbunden und in ein gemeinsames Modell integriert<br />
und systematisch getestet. Ganz zu schweigen von der in jüngster Zeit immer<br />
häufiger geäußerten Skepsis in Bezug auf die Angemessenheit der<br />
Verwendung makro-quantitativer Verfahren beim zeitabhängigen Vergleich<br />
von politischen Systemen. 39<br />
Bis heute hat zum Beispiel der Außenhandelsquotient wenig von seiner<br />
Dominanz als bevorzugte Messvariante von außenwirtschaftlicher Offenheit<br />
verloren. Als Outputindikator misst er eben nicht die durch staatliche Vorgaben<br />
bestimmte Integration einer Volkswirtschaft in globale Märkte, sondern<br />
ist höchstens ein Maß für nationale Grenzen überschreitende Güterströme.<br />
Zwar wurden in den letzten Jahren verstärkt Bemühungen unternommen,<br />
die unterschiedlichen Niveaus staatlicher Regulierung im Außenhandel<br />
besser zu bestimmen, die Reliabilität der Messverfahren zu erhöhen<br />
und rein dichotome Kodierungen beispielsweise durch komplexere Indizes<br />
zu ersetzen, trotzdem konnten auch durch diese jüngeren Messverfahren<br />
grundsätzliche Zweifel bezüglich der angemessenen Erfassung aller empirisch<br />
relevanten Instrumente staatlicher Außenhandelsregulierung einerseits<br />
und die gewichtete Verknüpfung dieser einzelnen Dimensionen in einem<br />
ordinal- oder sogar intervallskalierten Index andererseits nicht grundsätzlich<br />
beseitigt werden.<br />
Die Einschätzung hoch reliabel, aber wenig valide gilt gleichfalls für<br />
eine Reihe von weiteren in den makro-quantitativen Analysen verwendeten<br />
Indikatoren, wie z.B. das Demokratieniveau. Dafür wird fast ausschließlich<br />
der Polity-IV-Index (Marshall, Jaggers und Gurr 2006) verwendet, der nach<br />
Ansicht einer Reihe von Demokratisierungsexperten nur begrenzt in der<br />
Lage ist, ein komplexes Phänomen wie Demokratie abzubilden oder die Unterschiede<br />
zwischen autoritären und demokratischen politischen Systemen<br />
39 Angemessenheit bezieht sich hier insbesondere auf zwei Elemente: Erstens sind bei der Verwendung<br />
von makro-quantitativen Verfahren in Bezug auf die historische Analyse von Staaten<br />
zentrale Grundannahmen der statistischen Inferenz nicht erfüllt. Weder sind die Fälle homogen<br />
noch viele der gewählten aggregierten Indikatoren unabhängig voneinander (Ebbinghaus<br />
2005). Zweitens leiden makro-quantitative Verfahren unter den nur begrenzt vorhandenen<br />
Möglichkeiten, die Robustheit der Analyseergebnisse systematisch zu überprüfen. So ist es<br />
z.B. nicht schwer, durch einfache Modifikationen des Modells oder des Datensatzes die Vorzeichen<br />
oder Signifikanzniveaus der Koeffizienten zu verändern (Kittel 2006).
2.3 Methodische und empirische Lücken im Forschungsprogramm 47<br />
zu erfassen (Berg-Schlosser 2004, Pickel und Müller 2006, Müller und Pickel<br />
2007). 40<br />
Schließlich sind häufig verwendete Indikatoren, wie die Inflationsrate<br />
oder das Wachstum des Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukts aus einer Reihe<br />
von Gründen weniger gut geeignet, um ein so komplexes Phänomen, wie<br />
ökonomische Krisen – neben Demokratisierung einer der wichtigsten potentiellen<br />
Einflussfaktoren für Außenhandelsliberalisierung – erfassen zu können:<br />
(1.) Die Erfassung volkswirtschaftlicher Indikatoren ist in den meisten<br />
Entwicklungsländern bis heute wegen der schlechten Ausstattung der nationalen<br />
Statistikbüros sowie der mengenmäßigen Dominanz von informellen<br />
ökonomischen Aktivitäten ausgesprochen unzuverlässig. (2.) Wirtschaftswachstum<br />
wie auch Inflationsrate sind streng genommen reine Outputindikatoren,<br />
die einer wirtschaftlichen Krise mehr nach- als vorauslaufen. (3.)<br />
Ökonomische Krisen in Entwicklungsländern sind nicht nur wegen der Informationsbeschaffung<br />
schwierig zu bestimmen, sondern auch, weil aufgrund<br />
der nicht-öffentlichen und hierarchisierten politischen Systeme mögliche<br />
Krisen von einzelnen Akteuren im Staatsapparat bereits wahrgenommen<br />
werden, ohne dass eine breitere Öffentlichkeit darüber informiert ist.<br />
Diese Akteure sind dann unter Umständen schon in der Lage, wirtschaftspolitische<br />
Änderungen einzuleiten, bevor es überhaupt zum Ausschlag einer<br />
der makro-ökonomischen Indikatoren kommt.<br />
B. Ähnlich wie in anderen Bereichen der sozialwissenschaftlichen Forschung<br />
lassen sich klare Grenzen zwischen sowie innerhalb der einzelnen im Forschungsfeld<br />
aktiven Disziplinen identifizieren. Während Volkswirte ausschließlich<br />
an einer Erklärung mit hoher externer Validität in Bezug auf<br />
globale Güterströme interessiert sind, wenden sie sich dem Phänomen Außenwirtschaftsliberalisierung<br />
vor allem durch die Verwendung von hoch<br />
aggregierten Makroindikatoren in neo-klassisch inspirierten Modellen mit<br />
Hilfe von statistischen Verfahren zu. Bis auf hin und wieder auf mikroökonomischen<br />
Ansätzen basierenden Fallstudien oder kleinräumigen Erhe-<br />
40 Dirk Berg-Schlosser verweist auf den starken institutionellen Fokus von Polity-IV: “Its focus<br />
on the institutional side of democracy neglects certain broader aspects of social and political<br />
reality, such as the extent and kind of actual participation or the observance of civil liberties<br />
and human rights. It also tends to take some of the coded features of the institutional democracies<br />
at their face value without being able to assess their substance and actual performance. A<br />
certain coding bias favoring an American type of democracy, with a strict separation of powers,<br />
is also evident” (Berg-Schlosser 2004: 55, Hervorhebungen im Original). Bei einer Evaluierung<br />
von insgesamt sechs unterschiedlichen Demokratie-Indizes platzierte sich Polity-IV<br />
im Mittelfeld mit (relativen) Schwächen bei der Konzeptualisierung, der Validität der Indikatoren<br />
(mangelnde Trennschärfe), einer fehlenden theoretischen Begründung in Bezug auf das<br />
Messniveau, einer fehlenden Begründung für die Aggregationsregeln sowie die Schwellenwerte<br />
zwischen zum Beispiel Demokratie und Autokratie (Müller und Pickel 2007).
48 2 Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern<br />
bungen gibt es dazu weder eine wirtschaftstheoretische noch eine methodische<br />
Alternative. In der Politikwissenschaft und politischen Soziologie ist<br />
die Dominanz der neo-klassischen makro-quantitativen Forschung (noch)<br />
bei weitem nicht so stark spürbar, obwohl statistische Analysen, hier vor allem<br />
Panelverfahren, in den letzten Jahren auffällig an Bedeutung gewonnen<br />
haben. Neben einer Reihe von empirisch reichhaltigen Fallstudien und dichten<br />
Beschreibungen, die vor allem aus den Regionalstudien kommen und<br />
um hohe interne Validität bemüht sind, finden sich hier zusätzlich Diskursanalysen,<br />
‚within-case-Studien und Vergleiche mit einer geringeren Fallzahl.<br />
Dabei ist auffällig, dass sich viele der Arbeiten nur innerhalb des<br />
selbst gewählten methodischen oder epistemologischen Profils aufeinander<br />
beziehen. Makro-quantitative Arbeiten ignorieren die regionale und fallstudienorientierte<br />
Literatur fast vollständig, während sich diese wiederum<br />
kaum auf Ergebnisse der Untersuchungen mit großen Fallzahlen beziehen.<br />
Wenn gemeinsame Bezüge existieren, dann meist nur in Bezug auf Globalisierungsparadigmen<br />
wie ,race to the bottom oder die Konvergenzthese. 41<br />
C. Nimmt man den beginnenden Siegeszug des neuen Paradigmas von der mit<br />
Demokratisierung assoziierten Außenwirtschaftsliberalisierung genauer ins<br />
Visier, dann ist erstaunlich, dass obwohl in der Vergangenheit Demokratien<br />
mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als Autokratien ihre außenwirtschaftlichen<br />
Barrieren abgebaut haben, eine Reihe von autoritären Staaten existiert,<br />
die ebenfalls trotz ausbleibender Demokratisierung ihre außenwirtschaftliche<br />
Regulierung einer weitgehenden Liberalisierung unterzogen haben.<br />
So hat zwar beispielsweise Christian Martin (2005) mit Hilfe seines<br />
Datensatzes unterschiedlicher Restriktivitätsniveaus der Handels- und Kapitalbilanzregulierungen<br />
gezeigt, dass die meisten Liberalisierungsepisoden in<br />
Staaten stattfanden, die zum Zeitpunkt der Liberalisierung bereits einen relativ<br />
hohen Wert auf dem Polity-IV-Index aufweisen konnten, also ausgesprochen<br />
demokratisch verfasst gewesen sind. Dazu kommt, dass die Liberalisierungsprozesse,<br />
die in sehr offene Außenwirtschaftsregime geführt haben,<br />
in über 50 Prozent von bereits stark demokratisierten Staaten implementiert<br />
wurden, obwohl diese nur 30 Prozent der Staaten im Sample ausgemacht<br />
haben (Martin 2005: 110-111). Schaut man sich allerdings Martins<br />
Kalkulationen genauer an, dann wird man feststellen, dass trotz der relati-<br />
41 Eine der wenigen Ausnahmen dazu ist Dani Rodrik, der von der makro-quantitativen Forschung<br />
wie von einer Reihe von Fallstudien sowohl in der Volkswirtschaft als auch in der Politikwissenschaft,<br />
mit seinen Ideen wahrgenommen zu werden scheint. Vgl. dazu zum Beispiel<br />
die Zitationen von Rodriks ‚The Rush to Free Trade in the Developing World (1994) bei Google<br />
Scholar http://scholar.google.de/scholar?num=50&hl=de&lr=&cites=15936064562071600008,<br />
4. Juli 2008). Dort finden sich Artikel in sowohl wichtigen volkswirtschaftlichen als auch politikwissenschaftlichen<br />
Journals.
2.4 Autoritäre Außenwirtschaftsliberalisierung: ein Forschungsdesign 49<br />
ven Dominanz von demokratischeren außenwirtschaftlichen Liberalisierungen<br />
ein nicht unerheblicher Teil der autoritären politischen Systeme in<br />
seinem Sample ebenfalls massiv Außenwirtschaftsbarrieren abgebaut haben.<br />
Wie aber lässt sich diese autoritäre Außenwirtschaftsliberalisierung erklären,<br />
ohne auf die mit dem Demokratisierungsargument verbundene Forderung<br />
eines rational handelnden Medinawählers nach Maximierung des<br />
gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsniveaus Bezug nehmen zu müssen oder<br />
diese autoritäre Liberalisierung ausschließlich mit dem Zwang durch externe<br />
Akteure erklären zu wollen? Gibt es möglicherweise Einflussfaktoren,<br />
die ausschließlich Außenwirtschaftsliberalisierungen in autoritären Regimen<br />
erklären können? Oder existieren bisher unerkannt gebliebene Einflussfaktoren,<br />
die besser als das Demokratisierungsargument zur Erklärung<br />
einer gemeinsamen Welle von außenwirtschaftlicher Liberalisierung bei autoritären<br />
und demokratischen Staaten herangezogen werden müssen?<br />
Insgesamt bleibt damit festzuhalten, dass die Literatur zu den Veränderungsdeterminanten<br />
der regulativen Ausgestaltung von Außenwirtschaftsbeziehungen in<br />
Entwicklungsländern eine Reihe von überraschenden Lücken aufweist. Insbesondere<br />
die beginnende Dominanz des Erklärungsfaktors Demokratieniveau<br />
bzw. Demokratisierung im Kontext einer um möglichst hohe externe Validität<br />
bemühten makro-quantitativen Forschung sollte unter Kenntnis der empirischen<br />
Vielfalt politischer Systeme und Prozesse im globalen Süden eher misstrauisch<br />
stimmen. Um sich von dieser doppelten Dominanz einer um hohe externe Validität<br />
bemühten ‚crazy methodology (Kittel 2006) auf der einen Seite und Demokratisierung<br />
als wichtigstem Faktor für Außenwirtschaftsliberalisierung auf der<br />
anderen Seite lösen zu können, wird im folgenden letzten Abschnitt ausgeführt,<br />
wie so genannte heuristische Fallstudien (George und Bennett 2005: 75) helfen<br />
können, neue Einsichten über die Determinanten von autoritärer außenwirtschaftlicher<br />
Reform zu gewinnen.<br />
2.4 Autoritäre Außenwirtschaftsliberalisierung: ein Forschungsdesign<br />
2.4 Autoritäre Außenwirtschaftsliberalisierung: ein Forschungsdesign<br />
Gegen die in den letzten Jahren entstandene Dominanz makro-quantitativer Forschung<br />
im Bereich Außenwirtschaftsliberalisierung lassen sich zwei zentrale<br />
Einwände formulieren: Aus einer regionalwissenschaftlichen, die Entwicklungen<br />
in einzelnen Staaten in den Mittelpunkt stellenden und dabei ganz besonders die<br />
interne (Seawright und Collier 2004: 292, Gerring 2007: 217) oder konzeptuelle<br />
Validität (George und Bennett 2005: 19) von kausalen Aussagen im Auge behaltenden<br />
Forschungstradition erscheint es als wenig plausibel, dass in der Vergan-
50 2 Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern<br />
genheit allein eine systematische Ausweitung von Partizipationsrechten (Demokratisierung)<br />
innerhalb politischer Systeme den Abbau von Außenhandelsbarrieren<br />
bewirkt haben soll. Zweitens sind in Anbetracht der zahlreichen und systematischen<br />
Probleme bei der Bestimmung von Indikatoren und Indizes, der Wahl<br />
der untersuchten Fälle und der Untersuchungsperiode, aber auch der technischen<br />
Spezifikationen der statistischen Modelle in den letzten Jahren zunehmend Zweifel<br />
geäußert worden, ob die mit makro-quantitativen Verfahren produzierten<br />
Ergebnisse überhaupt ein robustes, valides und generalisierbares Bild von den<br />
Bestimmungsfaktoren kollektiven Handels in diesem Bereich zulassen. 42<br />
Als Antwort auf diese Defizite greife ich auf Vorschläge der in den letzten<br />
Jahren wieder aufgelebten Diskussion um den methodischen Mehrwert von Fallstudien<br />
zurück (Brady und Collier 2004, Gerring 2004, George und Bennett<br />
2005, Blatter, Janning und Wagemann 2007, Gerring 2007), um durch die gezielte<br />
Auswahl von interessanten Fällen die bisher vor allem durch die makroquantitative<br />
Literatur gemachten Ergebnisse zu ergänzen und gegebenenfalls zu<br />
modifizieren. Dabei nehme ich an, dass eine fallstudienorientierte und prozessrekonstruierende<br />
und damit eine stärker induktive Positionen einnehmende Forschungsperspektive<br />
besser geeignet ist, einen Beitrag zur Genese neuer theoretischer<br />
Zusammenhänge zu leisten (George und Bennett 2005: 3-36, Blatter,<br />
Janning und Wagemann 2007: 128, Gerring 2007: 39-63).<br />
In der jüngeren Literatur zu Fallstudien wird betont, dass neben der Funktion<br />
von Fallstudien als Methode zur reinen Falsifikation und vertieften Verifikation<br />
(Aufdeckung kausaler Mechanismen) von in Regressionsanalysen gefundenen<br />
durchschnittlichen Zusammenhängen vor allem das intensive Studium von<br />
Einzellfällen und Ereignissen unentbehrlich bei der Genese neuer, insbesondere<br />
untertheoretisierter kausaler Zusammenhänge sei. Fallstudien sind in diesem<br />
Sinne eine geeignete kreative Form, um neues Wissen und neue Sichtweisen auf<br />
bereits bekannte Probleme und Fragen zu generieren (Gerring 2004, George und<br />
Bennett 2005, Blatter, Janning und Wagemann 2007). 43 Diese so genannten<br />
42 Die Kritik an makro-quantitativen Verfahren kommt dabei aus mehreren Richtungen. Erstens<br />
wird kritisiert, dass bei makro-quantitativen Vergleichen von Nationalstaaten fundamentale<br />
Grundannahmen statistischer Inferenz nicht erfüllt seien (Ebbinghaus 2005). Zweitens wird die<br />
mangelnde Robustheit von makro-quantitativen Verfahren bei der Suche nach stabilen Analyseergebnissen<br />
bemängelt (Kittel 2006). Und drittens wird von den Anhängern prozessanalytischer<br />
Verfahren ganz grundsätzlich angezweifelt, ob statistische Korrelationsverfahren überhaupt<br />
geeignet sind, eine Analyse von kausalen Zusammenhängen leisten zu können. Vgl. dazu<br />
die exzellente Übersicht von Frank Schimmelfennig (Schimmelfennig 2006).<br />
43 So argumentieren z.B. Alexander Georg und Andrew Bennett: „Case studies have powerful<br />
advantages in the heuristic identification of new variables and hypothesis through the study of<br />
deviant or outlier cases and in the course of field work – such as archival research and interviews<br />
with participants, area experts, and historians […] The popular refrain that observations<br />
are theory-laden does not mean that they are theory-determined. If we ask one question of indi-
2.4 Autoritäre Außenwirtschaftsliberalisierung: ein Forschungsdesign 51<br />
heuristischen Fallstudien, die „[…] inductively identify new variables, hypotheses,<br />
causal mechanisms, and causal paths“ (George und Bennett 2005: 75),<br />
sind damit die notwendige Voraussetzung für eine gleichberechtigt neben Induktion<br />
und Deduktion stehende logische Schlussform, die als Abduktion, d.h. die<br />
Formulierung einer empirische begründeten Hypothese, bezeichnet wird (Kelle<br />
und Kluge 1999: 21, Sturm 2006). Die eingangs wiederholte Erkenntnis von<br />
einer ungenügenden Beschäftigung mit den möglicherweise spezifischen Gründen<br />
autoritärer Außenhandelsliberalisierung aufgreifend, scheint die eigentliche<br />
Herausforderung darin zu bestehen, eine Systematik zu finden, nach der möglichst<br />
interessante, d.h. für das Aufdecken neuer Zusammenhänge möglichst<br />
vielversprechende Fälle für eine weitere Analyse ausgewählt werden können.<br />
Dem Ideal eines ‚most similar systems design folgend (Przeworski und<br />
Teune 1970: 32-34, George und Bennett 2005: 153-160, Berg-Schlosser 2006:<br />
111-113, Blatter, Janning und Wagemann 2007: 142-147, Gerring 2007: 203-<br />
204), achte ich in diesem Auswahlprozess auf eine optimale Kombination von<br />
zwei Prinzipien: (1.) eine möglichst hohe Varianz auf der abhängigen Variable<br />
Außenwirtschaftsliberalisierung und (2.) eine möglichst hohe Homogenität in<br />
Bezug auf eine Reihe von Einflussfaktoren, die in der Literatur neben Demokratisierung<br />
als unter Umständen einflussreich auf die Veränderung der außenwirtschaftlichen<br />
Regulierung beschrieben worden sind. Ziel dieser strukturierten<br />
Fallauswahl ist es, die Suche nach neuen bisher unberücksichtigten Einflussfaktoren<br />
möglichst eng in die bisherigen Debatten um die Determinanten von Außenwirtschaftsliberalisierung<br />
einzubetten. In einem weiteren Schritt rekonstruiere<br />
ich unter Zuhilfenahme von historischen Dokumenten des IWF die regulativen<br />
Anpassungsprozesse für die von mir ausgewählten Fälle und lege diese in Form<br />
einer dichten Beschreibung dar. Dabei werden mit Hilfe einer Inhaltsanalyse die<br />
in diesen Dokumenten enthaltenen Motive für den Auf- und Abbau von außenwirtschaftlicher<br />
Restriktion herausgearbeitet. Zusätzlich wird die historische<br />
Rekonstruktion dieser regulativen Veränderungsprozesse synchron wie diachron<br />
miteinander verglichen. Damit kann in einem vierten Schritt eine Reihe von<br />
zusammenfassenden Hypothesen generiert werden, die Aussagen treffen können,<br />
welchen Motivationen und strukturellen Merkmalen folgend staatliche Regulierung<br />
im Politikfeld Außenwirtschaft bei den von mir untersuchten nichtdemokratischen<br />
politischen Systemen unterworfen gewesen sind. In möglichen<br />
späteren Forschungsschritten können diese Hypothesen dann für Untersuchungen<br />
mit anderen Fällen Verwendung finden.<br />
viduals or documents but get an entirely different answer, we may move to develop new theories<br />
that can be tested through previously unexamined evidence” (George und Bennett 2005:<br />
20-21).
52 2 Außenwirtschaftsreformen in Entwicklungsländern<br />
Obwohl ein entsprechendes Design im Lichte der beginnenden makroquantitativen<br />
Dominanz im Forschungsfeld als relativ ungewöhnlich gelten<br />
muss, scheint es für die Verbesserung und Erweiterung der Perspektiven auf die<br />
Triebkräfte des ‚rush to free trade unerlässlich. Ist es doch vor allem eine sequentielle<br />
gegenseitige Befruchtung von fallzentrierter und makro-quantitativer<br />
Forschung, die auch in Zukunft den Weg zu einem besseren Verständnis der<br />
politischen Prozesse im globalen Süden freimachen kann. 44<br />
44 Dani Rodrick hat ein solches Vorgehen bereits vor mehr als 10 Jahren angemahnt: “[…] there<br />
is by now a wealth of case-study material on the experiences with policy reform. This material<br />
provides plenty to chew on for anyone interested in the interactions between economics and<br />
politics. The next step should be to integrate evidence from these case studies more systematically<br />
into the analytical work, and in turn to use the analytical models as a springboard for<br />
more rigorous case studies” (Rodrik 1996: 38-39).
3 Fallauswahl und Datenlage<br />
3 Fallauswahl und Datenlage<br />
Ein ausführlicher Blick auf die allgemeine Literatur zu den Determinanten des<br />
‚rush to free trade bei Entwicklungsländern hat deutlich machen können, dass,<br />
wie neuerdings vermutet wird, ein erfolgreicher Abbau von außenwirtschaftlichen<br />
Barrieren vor allem durch eine zeitlich vorausgehende Demokratisierung<br />
politischer Systeme (mit)bestimmt war. In einem weiteren Schritt erscheint es<br />
deswegen vielversprechend, sich allein auf Fälle zu konzentrieren, die im Verlauf<br />
von regulativen Veränderungsprozessen ihre politische Verfasstheit nicht<br />
oder nur relativ wenig demokratisiert haben. Sollte es in solchen Staaten ebenfalls<br />
zur Liberalisierung der außenwirtschaftlichen Regulierung gekommen sein,<br />
dann ist anzunehmen, dass dieser Abbau von Außenhandelsbarrieren nicht auf<br />
die allgemeine Ausweitung gesellschaftlicher Partizipationsrechte zurückgeführt<br />
werden kann. Darüber hinaus ist gleichzeitig an unterschiedlichen Stellen, aber<br />
unter Verwendung identischer Datensätze auf den Einfluss von regionalspezifischen<br />
Pfadabhängigkeiten in Bezug auf wirtschaftliche Reformen im Allgemeinen<br />
(Bunce 2001) sowie bei der Anpassung der regulativen Ausgestaltung der<br />
Außenwirtschaft im Besonderen aufmerksam gemacht worden (Martin und<br />
Schneider 2007).<br />
Diesen beiden Überlegungen folgend wähle ich in diesem Kapitel in einem<br />
dreistufigen Prozess insgesamt vier Fälle aus, die ich später als heuristische Fallstudien<br />
intensiver bearbeite. Dabei konzentriere ich mich zuerst auf die interregionalen<br />
Unterschiede von Außenwirtschaftsliberalisierung bei Entwicklungsländern<br />
(Abschnitt 3.1). Nachdem ich die Region Nordafrika und Mittlerer Osten<br />
als besonders vielversprechend für die Suche nach solchen Fällen charakterisiert<br />
habe, nutze ich eine regionale Typologie von Staatlichkeit, um zu überprüfen, ob<br />
die darin erfassten Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Staaten innerhalb der<br />
Region bereits ausreichen, die unterschiedlichen Verläufe von außenwirtschaftlicher<br />
Liberalisierung innerhalb der arabischen Welt zu erklären (Abschnitt 3.2).<br />
Allerdings ist die Varianz zwischen den einzelnen Staaten innerhalb einiger der<br />
Subtypen der Typologie überraschend hoch. Eine Dimension der Typologie mit<br />
insgesamt zwei dieser Subtypen herausgreifend, identifiziere ich schließlich die<br />
Fälle Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien als besonders geeignet für die<br />
Durchführung von heuristischen Fallstudien zu den Motiven und Determinanten<br />
von autoritärer Außenwirtschaftsliberalisierung (Abschnitt 3.3). Abschließend<br />
T. Richter, Autoritäre Herrschaft, materielle Ressourcen und Außenwirtschaftsreformen,<br />
DOI 10.1007/978-3-531-93254-5_3,<br />
© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
54 3 Fallauswahl und Datenlage<br />
erläutere ich, welche Daten und Dokumente ich für eine Rekonstruktion der<br />
regulativen Reformen im Politikfeld Außenwirtschaft in diesen vier Staaten<br />
herangezogen habe (Abschnitt 3.4).<br />
3.1 Außenwirtschaftsliberalisierung bei Entwicklungsländern:<br />
ein interregionaler Vergleich<br />
3.1 Außenwirtschaftsliberalisierung bei Entwicklungsländern<br />
Um weltweite regionale Muster von außenwirtschaftlicher Liberalisierung miteinander<br />
vergleichen zu können, habe ich die Länderdaten im CACAO-Index, dem<br />
bisher besten aller Maße von regulativer Außenwirtschaftsoffenheit, nach Regionen<br />
geordnet, Mittelwerte gebildet und diese graphisch dargestellt. 45 Zudem<br />
nutze ich Angaben aus dem Polity-IV-Datensatz, um gleichzeitig die regional<br />
unterschiedliche Verfasstheit der im CACAO-Datensatz enthaltenen politischen<br />
Systeme darzustellen.<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002<br />
Lateinamerika und Karibik Asien Afrika südlich der Sahara Nordafrika und Mittlerer Osten<br />
Abbildung 3.1<br />
Durchschnittliche Außenhandelsrestriktivität (TRADE) nach<br />
Weltregionen im CACAO-Index, 1978–2003<br />
Quelle: eigene Berechnung auf Basis des CACAO-Index<br />
45 An dieser Stelle gilt es Christian Martin zu danken, der mir seinen Datensatz unkompliziert zur<br />
Verfügung gestellt hat.
3.1 Außenwirtschaftsliberalisierung bei Entwicklungsländern 55<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002<br />
Lateinamerika und Karibik Asien Afrika südlich der Sahara Nordafrika und Mittlerer Osten<br />
Abbildung 3.2<br />
Durchschnittliche Kapitalverkehrsrestriktivität (CAPITEL) nach<br />
Regionen im CACAO-Index, 1978–2003<br />
Quelle: eigene Berechnung auf Basis des CACAO-Index<br />
Während die Entwicklungsländer aller Weltregionen in einer ersten Phase auf<br />
etwa gleichem Niveau Außenwirtschaftsbarrieren aufgebaut hatten, beginnen<br />
sich ab Ende der 1980er Jahre deutliche regionale Unterschiede zu zeigen, wie<br />
die Abbildungen 3.1 und 3.2 gut verdeutlichen. 46 Während in Lateinamerika und<br />
der Karibik regulative Restriktionen durchschnittlich relativ stärker abgebaut<br />
wurden, haben die Länder Asiens kaum Außenhandelsbarrieren reduziert. Kontrastiert<br />
man diese Entwicklung mit der Veränderungen der politischen Verfasstheit<br />
dieser Staaten, dargestellt in Abbildung 3.3, dann wird ersichtlich, warum in<br />
den letzten Jahren eine Reihe von Untersuchungen nachweisen konnten, dass<br />
Demokratisierung und das Demokratieniveau einen Einfluss auf die Regulierung<br />
der Außenwirtschaftsbeziehung in Entwicklungsländern hatten.<br />
46 Vgl. für ein ähnliches Vorgehen Martin (2005: 98-100).
56 3 Fallauswahl und Datenlage<br />
20<br />
18<br />
16<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002<br />
Lateinamerika und Karibik Asien Afrika südlich der Sahara Nordafrika und Mittlerer Osten<br />
Abbildung 3.3<br />
Durchschnittliche Niveaus der Verfasstheit politischer Systeme nach<br />
Regionen, 1978–2003<br />
Quelle: eigene Berechnung auf Basis des Polity-IV-Index<br />
Offensichtlich ist, dass die im CACAO-Datensatz enthaltenen Staaten Lateinamerikas<br />
und der Karibik einer Liberalisierung ihrer Außenwirtschaftsregulierungen<br />
zeitlich vorausgehend am deutlichsten von allen Weltregionen demokratisiert<br />
haben. Im Gegensatz dazu haben sich die Staaten im Afrika südlich der<br />
Sahara zwar auch stark demokratisiert, ihre Außenhandelsregulierungen aber<br />
weniger deutlich abgebaut. Die Länder Asiens haben im Vergleich dazu weniger<br />
deutlich demokratisiert und ihre Außenhandelsrestriktionen am schwächsten von<br />
allen Regionen reduziert.
3.1 Außenwirtschaftsliberalisierung bei Entwicklungsländern 57<br />
Tabelle 3.1<br />
Demokratieniveau, Demokratisierung und relative Veränderungen der<br />
regulativen Außenwirtschaftsoffenheit zwischen 1978–2003<br />
Durchschnittliches<br />
Demokratieniveau<br />
aller Staaten im<br />
CACAO-Index,<br />
1978–2003<br />
Durchschnittliche<br />
prozentuale<br />
Veränderung des<br />
Demokratieniveaus<br />
aller<br />
Staaten im<br />
CACAO-Index,<br />
1978–2003<br />
Durchschnittliche<br />
prozentuale<br />
Veränderung<br />
der<br />
Handelverkehrsoffenheit,<br />
1978–2003<br />
Prozentuale Veränderung<br />
der Kapitalverkehrsoffenheit,<br />
1978–2003<br />
Lateinamerika<br />
und Karibik<br />
14,83 173,14 -31,00 -45,23<br />
Asien 9,66 52,68 -2,34 4,65<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara<br />
7,66 134,48 -8,92 -9,26<br />
Nordafrika und<br />
Mittlerer Osten<br />
4,37 63,98 -8,11 -9,26<br />
Quelle: eigene Berechnungen auf Grundlage der Daten des Polity-IV-Index und des CACAO-Index<br />
Um nun herausfinden zu können, welche möglichen weiteren Einflussfaktoren,<br />
über Demokratisierung und das Demokratieniveau hinaus, einen Abbau von<br />
Außenhandelsregulierung bei Entwicklungsländern beeinflusst haben könnten,<br />
erscheint es sinnvoll, heuristische Fallstudien in einer Weltregion durchzuführen,<br />
in der, unter sonst gleichen Bedingungen, trotz eines relativ geringen durchschnittlichen<br />
Demokratieniveaus bzw. einer geringen Demokratisierung, außenwirtschaftliche<br />
Barrieren zumindest teilweise abgebaut wurden.<br />
Die Region Lateinamerika und Karibik scheint sowohl mit einem relativ<br />
hohen durchschnittlichen Demokratieniveau als auch mit einem hohen Grad der<br />
prozentualen durchschnittlichen Demokratisierung am besten in das Bild einer<br />
doppelten Transformation von politischer Verfasstheit und Außenwirtschaftsregulierung<br />
zu passen. Asien auf der anderen Seite, mit einem mittleren Demokratieniveau<br />
und der relativ geringsten prozentualen Veränderung des Demokratieniveaus,<br />
hat seine außenwirtschaftliche Regulierung zwischen 1978 und 2003<br />
nur geringfügig verändert. Auch das entspricht dem Bild bisheriger Untersuchungen.<br />
Die Staaten der Regionen Afrika sowie Nordafrika und Mittlerer Osten<br />
hingegen weisen im Aggregat ähnlich hohe Veränderungsraten in der Außenhandelsregulierung<br />
auf. Zentraler Unterschied zwischen diesen beiden Regionen<br />
ist jedoch, dass in Nordafrika und dem Mittleren Osten die politischen Systeme<br />
bis heute im Durchschnitt deutlich stärker autoritär verfasst sind als in Afrika<br />
(vgl. dazu auch Tabelle 3.1). Wenn man nun zusätzlich zu den arithmetischen<br />
Mitteln die Standardabweichung als Maß für die intraregionale Heterogenität<br />
von außenwirtschaftlicher Regulierung betrachtet, dann lassen sich auch zwi-
58 3 Fallauswahl und Datenlage<br />
schen Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten weitere markante Unterschiede<br />
feststellen.<br />
3<br />
2<br />
2<br />
1<br />
1<br />
0<br />
1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002<br />
Lateinamerika und Karibik Asien Afrika südlich der Sahara Nordafrika und Mittlerer Osten<br />
Abbildung 3.4<br />
Die Standardabweichung der durchschnittlichen<br />
Außenhandelsregulierung nach Regionen 1978–2003<br />
Quelle: eigene Berechnung auf Basis des CACAO-Index<br />
3<br />
2<br />
2<br />
1<br />
1<br />
0<br />
1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002<br />
Lateinamerika und Karibik Asien Afrika südlich der Sahara Nordafrika und Mittlerer Osten<br />
Abbildung 3.5<br />
Die Standardabweichung der durchschnittlichen<br />
Zahlungsverkehrsregulierung nach Regionen 1978–2003<br />
Quelle: eigene Berechnung auf Basis des CACAO-Index
3.2 Regimeform und Rente 59<br />
Wie in Abbildung 3.4 und 3.5 deutlich zu erkennen, sind es gerade die Staaten in<br />
Nordafrika und dem Mittleren Osten, bei denen die Heterogenität der Außenwirtschaftsregulierung<br />
vom vergleichbar niedrigsten Niveau 1978 bis Ende der<br />
1990er Jahre im Vergleich zu allen anderen Weltregionen am stärksten zugenommen<br />
hat. Es muss also gerade in dieser Region auf dem vergleichbar niedrigsten<br />
weltweiten Demokratieniveau bei einigen Ländern, aber eben nicht bei<br />
allen, zu ausgeprägten außenwirtschaftlichen Liberalisierungsprozessen gekommen<br />
sein. Unter der Annahme, dass die Unterschiede in Bezug auf eine Vielzahl<br />
von historischen, kulturellen, politischen und ökonomischen Kontextbedingungen<br />
innerhalb dieser Region geringer ausfallen als zwischen allen Staaten in<br />
allen Weltregionen bzw. zwischen Nordafrika und dem Mittleren Osten und<br />
jeder einzelnen anderen Region, lässt sich davon ausgehen, dass es gerade im<br />
autoritären Nordafrika und Mittleren Osten über Demokratisierung hinausgehende,<br />
zu identifizierende Einflussfaktoren gegeben haben sollte, die einen Einfluss<br />
auf den Abbau von außenwirtschaftlichen Barrieren ausgeübt haben.<br />
3.2 Regimeform und Rente als Determinanten von autoritärer<br />
Außenwirtschaftsliberalisierung innerhalb der Region Nordafrika<br />
und Mittlerer Osten<br />
3.2 Regimeform und Rente<br />
Nachdem ich im vorherigen Abschnitt in einer ersten empirischen Annäherung<br />
die Region Nordafrika und Mittlerer Osten als ganz besonders viel versprechend<br />
zur Durchführung von heuristischen Fallstudien identifiziert habe, um mögliche<br />
Determinanten von autoritärer außenwirtschaftlicher Liberalisierung zu identifizieren,<br />
gehe ich in diesem Abschnitt der Frage nach, ob bereits in der existierenden<br />
regionalwissenschaftlichen Literatur zur politischen Ökonomie dieser<br />
Region eine Antwort auf die Frage nach den Bestimmungsfaktoren unterschiedlicher<br />
Anpassungstiefen im Politikfeld Außenwirtschaft zu finden ist.<br />
Dabei verwende ich eine in der jüngeren deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen<br />
Komparatistik zu Nordafrika und dem Mittleren Osten verwendete<br />
Typologie von Staatlichkeit, die zwei spezifische Merkmalskombinationen der<br />
autoritären politischen Systeme dieser Region miteinander verknüpft, um ökonomische<br />
und politische Entwicklungstrends über lange Zeiträume besser erfassen<br />
zu können. 47 Bei dieser Vorgehensweise wird die Ausstattung eines Staates<br />
mit Rente (Ressourcendimension) mit dem Regimetyp (Herrschaftsdimension)<br />
47 Da sich diese Typologie ausschließlich auf die in dieser Region in der Mehrheit befindlichen<br />
arabischen Staaten bezieht, folge ich dieser Vorgabe insoweit, dass ich die beiden einzigen<br />
nicht-arabischen Staaten der Region, Türkei und Iran, in meinen folgenden Analysen nicht weiter<br />
berücksichtige.
60 3 Fallauswahl und Datenlage<br />
eines Staates kombiniert. Zu prüfen ist nun, ob diese Typologie in der Lage ist,<br />
die im vorherigen Abschnitt identifizierte intraregionale Heterogenität zwischen<br />
den unterschiedlichen staatlichen Liberalisierungsstrategien erklären kann. 48<br />
Innerhalb der Ressourcendimension der Typologie wird zwischen Staaten<br />
mit hohen Renteneinnahmen (Rentierstaaten) und Staaten mit niedrigen Renteneinnahmen<br />
(Semi-Rentierstaaten) unterschieden. Renten sind finanzielle Einkommen,<br />
die einem Staat von außen zufließen und denen keine entsprechenden<br />
gesellschaftlichen Investitionen und Arbeitsleistungen gegenüberstehen bzw.<br />
vorausgehen. Sie unterliegen nicht dem Zwang einer ökonomisch effizienten<br />
Reinvestition und stehen damit der politischen Führung zur freien (politischen)<br />
Disposition. 49 Rente kommt im arabischen Vorderen Orient vor allem in fünf<br />
verschiedenen Formen vor: (1.) Rohstoffrente durch den Verkauf von mineralischen<br />
Rohstoffen (z.B. Erdöl, Erdgas und Phospat), (2.) Lagerente durch die<br />
staatliche Kontrolle von Transporteinrichtungen wie Pipelines und Wasserverkehrsstraßen<br />
(z.B. Suezkanal), (3.) strategische Rente in Form von zwischenstaatlichen<br />
Transfers, (4.) politische Rente in Form von bi- und multilateralen<br />
Zahlungen im Rahmen des Weltentwicklungsregimes und (5.) Migrantenrente in<br />
Form von Rücküberweisungen von Gastarbeitern in ihre Heimatländer. 50<br />
48 Bis zum heutigen Zeitpunkt sind eine Reihe von Arbeiten entstanden, die versuchen, mit Hilfe<br />
dieser Typologie wichtige politische und ökonomische Entwicklungen im arabischen Vorderen<br />
Orient zu verstehen. So hat z.B. Peter Pawelka Teile davon verwendet, um verschiedene Entwicklungstrends<br />
in der arabischen Welt zu charakterisieren. In den 1990er Jahren stand dabei<br />
insbesondere die Ressourcendimension im Mittelpunkt. Hier wurden die wichtigsten strukturellen<br />
Unterschiede zwischen Rentier- und Semirentierstaaten herausgearbeitet (Pawelka 1993)<br />
oder ressourcenabhängige Unterschiede der Ausprägung von politischen Inhalten und politischem<br />
Handeln in bestimmten Politikfeldern charakterisiert (Pawelka 1991, 1994). Spätere<br />
Beiträge bezeichnen dann vor allem die Unterschiede in der Herrschaftsstruktur als ursächlich<br />
für Unterschiede in Bezug auf arabische Demokratisierungsbemühungen (Pawelka 2002) oder<br />
Anpassungsstrategien von arabischen Staaten auf zunehmende Globalisierung (Pawelka 2003).<br />
Während einige Autoren die oben skizzierte Typologie verwendet haben, um innerhalb eines<br />
komparativen Forschungsdesigns eine Fallauswahl zu begründen (so zum Beispiel Schlumberger<br />
2004, Richter 2006, Schwarz 2007), waren es vor allem Markus Loewe (1998, 2004)<br />
und Oliver Schlumberger (2002b), die explizit mit beiden Variablen der Typologie gearbeitet<br />
haben, um spezifische Charaktereigenschaften der Systeme sozialer Sicherungen (Loewe) und<br />
der politischen Transformationsprozesse (Schlumberger) im arabischen Vorderen Orient auf<br />
die Merkmalskombination von Ressourcenausstattung und Regimetyp zurückzuführen.<br />
49 Vgl. zu diesem Rentenbegriff zum Beispiel Schmid (1991), Pawelka (1993), Beck und<br />
Schlumberger (1999) und Beck (2002, 2007b).<br />
50 Für eine detaillierte Darstellung der unterschiedlichen Formen von Rente und der unterschiedlichen<br />
staatlichen Zugriffsmöglichkeiten auf diese Ressourcen innerhalb der Region Nordafrika<br />
und Mittlerer Osten vgl. ursprünglich Mahdavy (1970) und neuerdings Richter (2007). Für eine<br />
über diese stark durch den ausschließlichen Fokus auf die Region Nordafrika und Mittlerer Osten<br />
geprägte Definition hinausgehende Klassifizierung von Rente vgl. beispielsweise Elsenhans<br />
(2001), der Rente und Profit als grundsätzliche Dichotomie von Mehrwert auffasst. Für einen<br />
neo-klassischen Rentenbegriff, bei dem Rente als der Anteil von Einnahmen verstanden wird,
3.2 Regimeform und Rente 61<br />
In der Herrschaftsdimension wird zwischen Staaten unterschieden, in denen<br />
die traditionellen politischen Eliten das Ende des Kolonialismus und die darauf<br />
folgende Phase der Nationalisierung überlebt haben (bürokratisch-autoritäre<br />
Monarchien), und Staaten, in denen diese traditionellen Eliten von sozial-revolutionären<br />
Bewegungen hinweggefegt wurden (autoritär-patrimoniale Staatsklassenregime).<br />
Bürokratisch-autoritäre Monarchien sind Staaten, in denen sich die<br />
traditionellen politischen Eliten (Fürstenfamilien aus der Handelsklasse) bis heute<br />
an der Macht behaupten konnten. Wichtige Elemente dieser politischen Herrschaftssysteme<br />
sind die Rückbindung an die eigene Großfamilie und den Clan.<br />
Andere soziale Gruppen wie Unternehmer und Rechtsgelehrte werden durch<br />
Kooptation gebunden und/oder durch Konsultation an Entscheidungsprozessen<br />
beteiligt. Die politische Elite bedient sich in diesen Staaten vor allem traditioneller,<br />
religiöser und fiskalischer Elemente, um ihre Herrschaft zu legitimieren<br />
(vgl. dazu Pawelka 2002, Schlumberger 2002b). Autoritär-patrimoniale Staatsklassenregime<br />
sind Staaten, in denen die politische Dominanz der traditionellen<br />
Eliten durch eine sozial-revolutionäre Bewegung (zivile und militärische Bürokraten<br />
aus modernen gebildeten Mittelschichten) vor Beginn der Erdölrevolution<br />
beendet wurde. Ein wichtiges Element dieser politischen Herrschaftssysteme ist<br />
die Rolle des Herrschers (Präsident) als Schiedsrichter zwischen verschiedenen<br />
Elitensegmenten sowie die Elitenrekrutierung qua Loyalität. Andere soziale<br />
Gruppen werden vor allem durch systematische Kooptation eingebunden. Die<br />
politische Elite bedient sich einer sozial-revolutionären Rhetorik (Ideologie) und<br />
fiskalischer Instrumente, um ihre Herrschaft zu legitimieren (vgl. dazu Pawelka<br />
2002, Schlumberger 2002b). Verteilt man alle arabischen Staaten des Vorderen<br />
Orients auf diese Typologie, dann entsteht folgendes in Tabelle 3.2 dargestelltes<br />
Bild.<br />
der systematisch über den Grenzkosten einer Investition liegt, vgl. Buchanan (1980) oder Khan<br />
(2000). In diesem zuletzt genannten Sinne können Renten auch im internationalen System der<br />
Arbeitsteilung entstehen, wenn beispielsweise Produktionen in Niedriglohnländer verlagert<br />
werden, diese Kostensenkungen aber nicht an die Konsumenten weitergegeben werden. Solche<br />
Rentenformen spielen für die Staaten in Nordafrika und im Mittleren Osten allerdings keine<br />
Rolle.
62 3 Fallauswahl und Datenlage<br />
Tabelle 3.2<br />
Eine Typologie von Staatlichkeit für die arabischen Staaten in<br />
Nordafrika und im Mittleren Osten 51<br />
Rentierstaaten<br />
Semi-Rentierstaaten<br />
BÜROKRATISCH-<br />
AUTORITÄRE<br />
MONARCHIEN<br />
(a) reiche Monarchien<br />
Bahrain, Katar, Kuwait, Oman,<br />
Saudi-Arabien, Vereinigte Arab.<br />
Emirate<br />
(b) arme Monarchien<br />
Marokko, Jordanien<br />
AUTORITÄR-PATRIMONIALE<br />
STAATSKLASSEN-REGIME<br />
(c) reiche Republiken<br />
Algerien, Irak, Libyen<br />
(d) arme Republiken<br />
Ägypten, Jemen, Mauretanien, Sudan,<br />
Syrien, Tunesien<br />
Quelle: eigene Zusammenstellung basierend auf Pawelka (2002), Schlumberger (2002b), Loewe (2004)<br />
Der analytische Mehrwert einer solchen Systematik besteht nun darin, dass sie<br />
erstens eine heuristische Struktur anbietet, mit der die arabischen Staaten in vier<br />
Typen von Staatlichkeit aufgeteilt werden können. Wenn diese Aufteilung Erkenntnisgewinne<br />
mit sich bringen soll, dann muss sie zweitens zwei Bedingungen<br />
erfüllen: Die so gebildeten Staatstypen sollten politische, soziale und ökonomische<br />
Entwicklungen besser verstehen lassen, als wenn (1.) alle arabischen<br />
Staaten einem Typ von Staatlichkeit angehörten und (2.) alle arabischen Staaten<br />
entweder nur anhand der Ressourcendimension oder nur der Herrschaftsdimension<br />
klassifiziert würden.<br />
Mit Hilfe der Werte des CACAO-Index 52 prüfe ich, wie ähnlich bzw. unähnlich<br />
die Regelungsniveaus im Außenhandel der arabischen Staaten zwischen<br />
1978 und 2003 gewesen sind. Dazu bilde ich (1.) die Mittelwerte und (2.) die<br />
Standardabweichung der jährlichen Indexwerte für alle Länder und ordne diese<br />
51 Allein der Libanon kann dieser Typologie schwer zugeordnet werden. Dort haben traditionelle<br />
Eliten der Handelsbourgeoisie die Dekolonialisierung und Wirren der letzten 50 Jahre bis heute<br />
überlebt, ohne ihre politische Macht an eine sozial-revolutionäre Staatsklasse abgeben zu müssen.<br />
Dies würde eine Zuordnung als bürokratisch-autoritär rechtfertigen. Auf der anderen Seite<br />
gibt es im Libanon keine zentrale Herrscherfigur (König oder Präsident). Vielmehr zeichnet<br />
sich das auf traditioneller und religiöser Legitimität basierende libanesische politische System<br />
durch einen bisher von anderen arabischen Staaten so nicht erreichten Grad an politischer Pluralität<br />
aus, der es gerechtfertigt erscheinen lässt, den Libanon als ein nicht-autoritäres politisches<br />
System zu charakterisieren, das andererseits aber auch nur wenige Merkmale einer westlichen<br />
Demokratie aufweist.<br />
52 Der CACAO-Datensatz in der mir vorliegenden Version enthält Daten zu mehr als 100 Entwicklungs-<br />
und Schwellenländern. Von den 18 arabischen Staaten des Nahen und Mittleren<br />
Ostens sind zwölf Staaten im Datensatz enthalten. Dies sind in alphabetischer Reihenfolge: Algerien,<br />
Ägypten, Jemen, Jordanien, Libyen, Marokko, Mauretanien, Oman, Saudi-Arabien, Sudan,<br />
Syrien und Tunesien. Zwischen 1978 und 1992 sind die Indexwerte für Jordanien vom<br />
Autor nachkodiert worden.
3.2 Regimeform und Rente 63<br />
jeweils neun unterschiedlichen Gruppen zu. Der Mittelwert vermittelt einen<br />
Eindruck über die durchschnittliche Höhe des Regelungsniveaus, während die<br />
Standardabweichung ein Maß für die Homogenität bzw. Heterogenität der staatlichen<br />
Regelsetzung innerhalb einer Gruppe ist. Es gilt: Je höher die Standardabweichung,<br />
desto unterschiedlicher die Regelungsniveaus. Zusätzlich zu den<br />
vier Staatstypen der oben eingeführten Typologie bilde ich fünf Vergleichsgruppen.<br />
Vergleichsgruppe 1 sind alle im Datensatz enthaltenen arabischen Staaten.<br />
Vergleichsgruppe 2 alle Rentierstaaten, Vergleichsgruppe 3 alle Semi-Rentierstaaten,<br />
Vergleichsgruppe 4 alle Republiken und Vergleichsgruppe 5 alle Monarchien<br />
der arabischen Welt.<br />
8,00<br />
7,50<br />
7,00<br />
6,50<br />
6,00<br />
5,50<br />
5,00<br />
4,50<br />
4,00<br />
3,50<br />
3,00<br />
2,50<br />
2,00<br />
1,50<br />
1,00<br />
0,50<br />
0,00<br />
Abbildung 3.6<br />
1978<br />
1979<br />
1980<br />
1981<br />
1982<br />
1983<br />
1984<br />
1985<br />
1986<br />
1987<br />
1988<br />
1989<br />
1990<br />
1991<br />
1992<br />
1993<br />
1994<br />
1995<br />
1996<br />
1997<br />
1998<br />
1999<br />
2000<br />
2001<br />
2002<br />
2003<br />
(a) reiche Monarchien (b) arme Monarchien (c) reiche Republiken (d) arme Republiken<br />
Jährliche Mittelwerte der Außenwirtschaftsoffenheit bei den<br />
arabischen Staaten in Nordafrika und im Mittleren Osten,<br />
1978–2003 (CACAO-Index Handelsbilanz)<br />
Quelle: eigene Berechnung auf Basis des CACAO-Index<br />
Während Abbildung 3.6 die Mittelwerte der staatlichen Regelsetzung für die<br />
Güter abbildet, die durch die Handelsbilanz statistisch erfasst werden, stellt Abbildung<br />
3.7 die Mittelwerte der staatlichen Regelsetzung dar, die Kapitalbilanzgüter<br />
betreffen. 53 Eine Darstellung über die Zeit lässt zwei Dinge erkennen. Erstens<br />
war die Außenhandelsoffenheit (-restriktivität) der arabischen Golfstaaten<br />
53 Die Handelsbilanzdimension des CACAO-Index kann einen maximalen Skalenwert von 7<br />
annehmen, wohingegen die CACAO-Kapitalbilanzdimension nur einen Höchstwert von 5 erreicht.<br />
Entsprechend habe ich den Höchstwert der y-Achse in den Abbildungen gewählt. Je<br />
niedriger/höher der Wert auf dem Index ist, desto offener/restriktiver ist die staatliche Regelsetzung<br />
im Politikfeld.
64 3 Fallauswahl und Datenlage<br />
(reiche Monarchien) schon immer höher (niedriger) als im Rest der arabischen<br />
Welt. Zweitens waren es alle anderen arabischen Staaten, die ihre Außenhandelsregulierungen<br />
seit Mitte der 1990er Jahre im Aggregat liberalisiert haben.<br />
Einzige Ausnahmen davon sind die reichen Republiken innerhalb der Kapitalbilanzdimension<br />
des Index.<br />
6,00<br />
5,50<br />
5,00<br />
4,50<br />
4,00<br />
3,50<br />
3,00<br />
2,50<br />
2,00<br />
1,50<br />
1,00<br />
0,50<br />
0,00<br />
1978<br />
1979<br />
1980<br />
1981<br />
1982<br />
1983<br />
1984<br />
1985<br />
1986<br />
1987<br />
1988<br />
1989<br />
1990<br />
1991<br />
1992<br />
1993<br />
1994<br />
1995<br />
1996<br />
1997<br />
1998<br />
1999<br />
2000<br />
2001<br />
2002<br />
2003<br />
(a) reiche Monarchien (b) arme Monarchien (c) reiche Republiken (d) arme Republiken<br />
Abbildung 3.7<br />
Jährliche Mittelwerte der Außenwirtschaftsoffenheit bei den<br />
arabischen Staaten in Nordafrika und im Mittleren Osten,<br />
1978–2003 (CACAO-Index Kapitalbilanz)<br />
Quelle: eigene Berechnung auf Basis des CACAO-Index<br />
In den Abbildungen 3.8 und 3.9 verwende ich die Standardabweichungen, um<br />
die Homogenität bzw. Heterogenität der staatlichen Regelsetzung in der Außenwirtschaft<br />
aufzuzeigen. Hier habe ich eine dreidimensionale Darstellung gewählt,<br />
um die Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppierungen (a bis d und 1 bis 5)<br />
grafisch zu veranschaulichen. 54<br />
54 Je höher die Standardabweichung, desto heterogener ist die Regelsetzung der einzelnen Staaten<br />
in der Gruppe. Ein Wert von 0 signalisiert eine vollständige Homogenität der staatlichen Regelsetzung,<br />
während alle darüber liegenden Werte auf eine entsprechend höhere Heterogenität<br />
verweisen.
3.2 Regimeform und Rente 65<br />
1978<br />
1980<br />
1982<br />
1984<br />
1986<br />
1988<br />
1990<br />
1992<br />
1994<br />
1996<br />
1998<br />
2000<br />
2002<br />
(a) reiche<br />
Monarchien<br />
(b) arme<br />
Monarchien<br />
(c) reiche<br />
Republiken<br />
(d) arme<br />
Republiken<br />
(1) arabische<br />
Staaten<br />
(2) Rentierstaaten (3) Semi-<br />
Rentierstaaten<br />
(4) Republiken (5) Monarchien<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
Abbildung 3.8<br />
Standardabweichungen der Dimension Handelsbilanz im<br />
CACAO-Index für die arabischen Staaten in Nordafrika und dem<br />
Mittleren Osten, 1978–2002<br />
Quelle: eigene Berechnungen auf Basis des CACAO-Index
66 3 Fallauswahl und Datenlage<br />
1978<br />
1980<br />
1982<br />
1984<br />
1986<br />
1988<br />
1990<br />
1992<br />
1994<br />
1996<br />
1998<br />
2000<br />
2002<br />
(a) reiche<br />
Monarchien<br />
(b) arme<br />
Monarchien<br />
(c) reiche<br />
Republiken<br />
(d) arme<br />
Republiken<br />
(1) arabische<br />
Staaten<br />
(2)<br />
Rentierstaaten<br />
(3) Semi-<br />
Rentierstaaten<br />
(4) Republiken (5) Monarchien<br />
3,00<br />
2,00<br />
1,00<br />
0,00<br />
Abbildung 3.9<br />
Standardabweichungen der Dimension Kapitalbilanz im<br />
CACAO-Index für die arabischen Staaten in Nordafrika und dem<br />
Mittleren Osten, 1978–2002<br />
Quelle: eigene Berechnungen auf Basis des CACAO-Index
3.2 Regimeform und Rente 67<br />
In einem dritten Schritt vergleiche ich die gruppierten Mittelwerte und Standardabweichungen.<br />
Um zu prüfen, wie gut die eingeführte Typologie die Gemeinsamkeiten<br />
innerhalb der Staatstypen und die Unterschiede zwischen ihnen erfasst,<br />
definiere ich zwei Bedingungen: Erstens, eine Zunahme der Standardabweichung<br />
über die Zeit ist notwendige Bedingung für die Divergenz der Regelungsintensität<br />
im Politikfeld Außenwirtschaft, eine Abnahme notwendige Bedingung<br />
für eine Konvergenz. 55 Zweitens, je geringer die Standardabweichung<br />
einer Gruppe von Staaten relativ zu den anderen Gruppen, desto besser können<br />
die Kriterien der Gruppierung das (gleiche) Niveau der Außenwirtschaftsregulierung<br />
erfassen. Je größer die Standardabweichung innerhalb einer Gruppe von<br />
Staaten, desto schlechter können die Kriterien der Gruppierung das (gleiche)<br />
Niveau von Außenwirtschaftsregulierung erfassen. Mit vier zentralen Punkten ist<br />
es abschließend möglich, die in den Abbildungen 3.6, 3.7, 3.8, 3.9 und 3.10<br />
dargestellten Trends außenwirtschaftlicher Liberalisierung zusammenzufassen.<br />
A. Ein Blick auf die Standardabweichungen der arabischen Staaten in Abbildung<br />
3.10 lässt folgende erste allgemeine Schlussfolgerung zu. Es lässt sich<br />
weder ein klarer Trend zur Konvergenz staatlicher Regelsetzung in der Außenwirtschaft<br />
noch ein deutlicher Trend zur Divergenz erkennen. Die Standardabweichung<br />
für alle zwölf arabischen Staaten bleibt über den gesamten<br />
Zeitraum hinweg relativ hoch und stabil, die linearen Trendgeraden lassen<br />
nur einen sehr kleinen Anstieg über den gesamten Untersuchungszeitraum<br />
erkennen (vgl. dazu Abbildung 3.10). Das zeugt von einer stabilen relativen<br />
Unterschiedlichkeit der außenwirtschaftlichen Regelungsniveaus innerhalb<br />
der arabischen Welt. Dieser Befund widerspricht sowohl der häufig in der<br />
allgemeinen Literatur zu Globalisierung geäußerten Konvergenzthese (Geddes<br />
2002) als auch der von Christian Martin und Gerald Schneider kürzlich<br />
gefundenen deutlichen Divergenz staatlicher Regelung in der Außenwirtschaft<br />
als Folge von Globalisierung (Martin und Schneider 2007). Das<br />
heißt, auf der einen Seite scheint die außenwirtschaftspolitische Entwicklung<br />
das allgemeine Urteil vieler Beobachter über diese Region zu bestätigen:<br />
Die arabische Welt stagniert! Auf der anderen Seite deutet die relative<br />
hohe Standardabweichung aber darauf hin, dass allein das Kriterium arabisch<br />
ein homogenes Regelungsniveau der Außenwirtschaft nicht gut bestimmt,<br />
ist doch die Standardabweichung insgesamt relativ hoch. Damit<br />
sind andere Kriterien zur Gruppierung von Staaten mit ähnlichen Außenwirtschaftsregulierungen<br />
nötig.<br />
55 Ich folge hier einem Vorschlag von Martin und Schneider (2007).
68 3 Fallauswahl und Datenlage<br />
3<br />
3<br />
2<br />
2<br />
1<br />
1<br />
0<br />
1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002<br />
Handelsbilanzregulierung Kapitalbilanzregulierung Linear (Handelsbilanzregulierung) Linear (Kapitalbilanzregulierung)<br />
Abbildung 3.10<br />
Standardabweichungen der Handels- und der<br />
Kapitalbilanzdimension im CACAO-Index für alle arabischen Staaten<br />
in Nordafrika und dem Mittleren Osten, 1978–2003<br />
Quelle: eigene Berechnung auf Basis des CACAO-Index<br />
B. Die Mittelwerte der vier verschiedenen Staatstypen (Abbildungen 3.6 und<br />
3.7) lassen folgende weitere Schlussfolgerungen zu: Die Regelungsintensität<br />
der Außenwirtschaft war bei allen Staaten mit wenig Rente hoch, aber<br />
nicht alle Staaten mit einer hohen Regelungsintensität waren arm. Die Regelungsintensität<br />
war bei allen Staaten mit modernen bürokratischen Eliten<br />
an der Macht hoch, aber nicht alle Staaten mit einer hohen Regelungsintensität<br />
waren Republiken. Die außenwirtschaftliche Regelungsintensität<br />
war allein bei den von traditionellen Eliten kontrollierten Rentierstaaten<br />
(reiche Monarchien) über den gesamten Zeitraum niedrig. 56 Eine geringe<br />
Ausstattung mit Ressourcen und eine moderne bürokratische politische Elite<br />
waren daher in der Vergangenheit hinreichende Bedingungen für hohe Außenwirtschaftsbarrieren<br />
in der arabischen Welt. Wenn beide Voraussetzungen,<br />
auch unabhängig voneinander, eingetreten sind, dann wurde die<br />
Außenwirtschaft stark durch den Staat reguliert. Notwendige Bedingungen<br />
allerdings lassen sich mit Hilfe der hier verwendeten Typologie von arabischer<br />
Staatlichkeit nicht identifizieren, denn weder waren alle Staaten mit<br />
hohen Außenwirtschaftsbarrieren arm, noch wurde die Politik der hoch-<br />
56 Dabei vernachlässige ich den Anstieg des Regelungsniveaus bei den reichen Monarchien von<br />
Mitte der 1990er Jahre bis 2000, da es sich dabei nur um relativ geringe Veränderungen der<br />
Mittelwerte handelt.
3.2 Regimeform und Rente 69<br />
verregelten Staaten ausschließlich durch einen bürokratischen Apparat mit<br />
modernen revolutionären Eliten gelenkt.<br />
C. Wenn man sich nun, zum Dritten, der Frage vom Nutzen der Typologie in<br />
Bezug auf die Erfassung von typenabhängiger Veränderung über die Zeit<br />
zuwendet, dann lässt sich mit dem Verweis auf die Abbildungen 3.8 und 3.9<br />
zeigen, dass sich die Heterogenität der Außenwirtschaftsregulierungen in<br />
der arabischen Welt deutlich reduziert, sobald man alle arabischen Staaten<br />
den von der Typologie vorgeschlagenen Staatstypen zuordnet. Das heißt,<br />
die Standardabweichung der Regelungsniveaus ist bei allen vier Staatstypen<br />
geringer, als wenn man alle arabischen Staaten zusammenfasst (Vergleich<br />
von Graphen a bis d mit dem Graph 1 in Abbildung 3.8 und 3.9). Zudem<br />
macht die Gruppierung anhand der Typologie Sinn, wenn man sie mit den<br />
Kontrollgruppen 2 bis 5 vergleicht. Weder eine alleinige Gruppierung nach<br />
dem Kriterium „Ressourcen“ (Graphen 2 und 3) noch nach dem Kriterium<br />
„Herrschaft“ (Graphen 4 und 5) reduziert die Standardabweichung so deutlich<br />
wie eine Gruppierung anhand der Typologie. Auf einen ersten Blick<br />
scheint sich damit die Typologie als heuristisches Instrument zur Strukturierung<br />
von Staatlichkeit auch für das Politikfeld Außenwirtschaft zu bewähren.<br />
D. Betrachtet man allerdings die Veränderung der Standardabweichung über<br />
die Zeit, dann wird deutlich, dass allein bei den reichen Monarchien die<br />
Homogenität des Regelungsniveau über den ganzen Zeitraum gleich bzw.<br />
ähnlich geblieben ist (jeweils Graph a in den Abbildungen 3.8 und 3.9). Bei<br />
den restlichen drei Staatstypen (arme Monarchien, reiche Republiken und<br />
arme Republiken) steigt die Standardabweichung seit Beginn der 1990er<br />
Jahre auffällig an. Mitte der 1990er Jahre ist sie dabei in vielen Fällen höher<br />
als in den Vergleichsgruppen. Bei den Republiken fällt die in den Graphen a<br />
und b abgebildete Standardabweichung dann nach einigen Jahren wieder ab.<br />
Da die Standardabweichung ein Maß für die Abweichung vom Mittelwert<br />
ist, kann dieser Anstieg als Außenwirtschaftsliberalisierung einzelner Staaten<br />
innerhalb der Typen arme Monarchien, reiche und arme Republiken interpretiert<br />
werden. Ein Blick auf die Indexwerte zu den einzelnen Staaten<br />
gibt dieser Interpretation Recht.
70 3 Fallauswahl und Datenlage<br />
Tabelle 3.3<br />
Außenwirtschaftsreformen in den arabischen Staaten<br />
Nordafrikas und dem Mittleren Osten, 1978–2003<br />
LAND TYPOLOGISCHE MERKMALE REGELUNGSINTENSITÄT DER<br />
AUSSENWIRTSCHAFT<br />
(CACAO-INDEX)<br />
Saudi<br />
Arabien<br />
Reich<br />
Oman Reich bürokratischautoritäre<br />
Monarchie<br />
bürokratischautoritäre<br />
Monarchie<br />
Jordanien Arm bürokratischautoritäre<br />
Monarchie<br />
Marokko Arm bürokratischautoritäre<br />
Monarchie<br />
Algerien Reich autoritärpatrimoniales<br />
Staatsklassen-<br />
Regime<br />
Libyen Reich autoritärpatrimoniales<br />
Staatsklassen-<br />
Regime<br />
Ägypten Arm autoritärpatrimoniales<br />
Staatsklassen-<br />
Regime<br />
Jemen Arm autoritärpatrimoniales<br />
Staatsklassen-<br />
Regime<br />
Arm<br />
Mauretanien<br />
autoritärpatrimoniales<br />
Staatsklassen-<br />
Regime<br />
Sudan Arm autoritärpatrimoniales<br />
Staatsklassen-<br />
Regime<br />
Syrien Arm autoritärpatrimoniales<br />
Staatsklassen-<br />
Regime<br />
Tunesien Arm autoritärpatrimoniales<br />
Staatsklassen-<br />
Regime<br />
Staatstyp<br />
(a) reiche<br />
Monarchie<br />
(a) reiche<br />
Monarchie<br />
(b) arme<br />
Monarchie<br />
(b) arme<br />
Monarchie<br />
(c) reiche<br />
Republik<br />
(c) reiche<br />
Republik<br />
(d) arme<br />
Republik<br />
(d) arme<br />
Republik<br />
(d) arme<br />
Republik<br />
(d) arme<br />
Republik<br />
(d) arme<br />
Republik<br />
(d) arme<br />
Republik<br />
Ressourcendimension<br />
Herrschaftsdimension<br />
Ausgangsniveau<br />
1978<br />
Niedrig<br />
Niedrig<br />
Hoch<br />
Hoch<br />
Hoch<br />
Hoch<br />
Hoch<br />
Hoch<br />
Hoch<br />
Hoch<br />
Hoch<br />
Hoch<br />
anhaltend niedrig<br />
anhaltend niedrig<br />
Trend bis 2003<br />
hoch bis Mitte der 1990er, seitdem<br />
umfangreiche Außenwirtschaftsliberalisierung,<br />
die bis heute anhält<br />
anhaltend hoch<br />
hoch bis Mitte der 1990er, seitdem<br />
geringe Außenwirtschaftsliberalisierung,<br />
Deliberalisierung seit<br />
2000/2001<br />
anhaltend hoch<br />
hoch bis Mitte der 1990er, seitdem<br />
umfangreiche Außenwirtschaftsliberalisierung,<br />
Deliberalisierung<br />
seit 2000<br />
hoch bis Mitte der 1990er, seitdem<br />
umfangreiche Außenwirtschaftsliberalisierung,<br />
Deliberalisierung in<br />
der Handelsdimension seit 2000<br />
hoch bis Mitte der 1990er, seitdem<br />
geringe Außenwirtschaftsliberalisierung,<br />
Deliberalisierung in der<br />
Handelsdimension seit 2000<br />
anhaltend hoch<br />
anhaltend hoch<br />
anhaltend hoch<br />
Quelle: eigene Zusammenstellung auf Basis der Länderdaten im CACAO-Index
3.3 Auswahl von heuristischen Fällen 71<br />
Tabelle 3.3 fasst die diesbezüglichen Trends zusammen. Dabei wird deutlich,<br />
dass die Liberalisierer erstaunlicherweise keinem spezifischen Staatstyp zuzuordnen<br />
sind, sondern quer zur Typologie liegen. Weil die Monarchien am Golf<br />
(Saudi-Arabien und Oman) weiter ein offenes Außenwirtschaftsregime aufrechterhalten,<br />
sind es neben der jordanischen Monarchie die algerischen, ägyptischen,<br />
jemenitischen und mauretanischen Staatsklassen, die beginnen, ihre Außenwirtschaftsregime<br />
zu liberalisieren. Allerdings hält dieser Abbau von Außenwirtschaftsbeschränkungen<br />
in Richtung auf das Niveau der Golfstaaten allein in<br />
Jordanien bis heute ungebrochen an. Damit lässt sich zusammenfassend feststellen,<br />
dass insbesondere in den Staatstypen des arabischen Vorderen Orients, in<br />
denen im Lauf der letzten 15 Jahre eine Anpassung der staatlichen Regelsetzung<br />
im Politikfeld Außenwirtschaft stattgefunden hat, keine typologische Pfadabhängigkeit<br />
vorzuliegen scheint.<br />
3.3 Auswahl von heuristischen Fällen innerhalb der Region Nordafrika<br />
und Mittlerer Osten<br />
3.3 Auswahl von heuristischen Fällen<br />
Im vorherigen Abschnitt konnte aufgezeigt werden, dass die in der politikwissenschaftlichen<br />
Literatur zum arabischen Nordafrika und Mittleren Osten gebräuchlichste<br />
Typologie von Staatlichkeit die zeitabhängige Veränderung in der<br />
Außenwirtschaftsregulierung der autoritären arabischen Staaten nicht erklären<br />
kann. Deshalb müssen im Sinne einer theoriegenerierenden Vorgehensweise im<br />
Folgenden solche Fälle für eine weitere Analyse ausgewählt werden, die möglichst<br />
vielversprechend im Hinblick auf das Auffinden bisher unberücksichtigter<br />
Determinanten von Außenwirtschaftsliberalisierung sein könnten. Da alle arabischen<br />
Staaten bis heute als durchgehend nicht-demokratisch charakterisiert werden,<br />
57 sind sie alle als potentielle Kandidaten für eine weitere Fallauswahl hinzuzuziehen.<br />
Es gilt also aus dieser verbleibenden Menge, Fälle für eine vergleichende<br />
Untersuchung auszuwählen. Hierzu existieren in der sozialwissenschaftlichen<br />
Komparatistik zwei besonders geeignete quasi-experimentelle Verfahren. 58 Im<br />
57 Darüber ist sich die Literatur zur Demokratisierung in der arabischen Welt einig (Salamé 1994,<br />
Pawelka 2002, Schlumberger 2002b, Albrecht und Schlumberger 2004). Ein Blick auf die<br />
Polity-IV-Daten sichert diese Einschätzung ab. Alle Staaten bleiben im gesamten Untersuchungszeitraum<br />
autoritär. Allein der Sudan ist zwischen 1986 und 1988 als demokratisch kodiert.<br />
Für den Libanon existieren nur bis 1988 Daten, die das Land als weder demokratisch<br />
noch autoritär charakterisieren.<br />
58 Für Adam Przeworski und Henry Teune sind es vor allem forschungspragmatische Kriterien,<br />
die es mit sich bringen, dass man in diesem Zusammenhang beispielsweise auf Auswahlverfahren<br />
per Zufall verzichtet: „For practical reasons the selection of countries can rarely be random.
72 3 Fallauswahl und Datenlage<br />
‚most similar systems design (Przeworski und Teune 1970: 32-34), im deutschen<br />
Sprachgebrauch überwiegend als Differenzmethode bezeichnet (Blatter,<br />
Janning und Wagemann 2007: 142-149), werden Fälle so ausgewählt, dass sich<br />
viele ihrer Aspekte möglichst ähnlich sind, die Merkmalsausprägung auf der<br />
abhängigen Variable aber möglichst stark variiert. Im ‚most different systems<br />
design (Przeworski und Teune 1970: 34-39), im Deutschen als Konkordanzmethode<br />
bezeichnet (Blatter, Janning und Wagemann 2007: 142-149), werden<br />
Fälle ausgewählt, die sich in Bezug auf ihre abhängige Variable gleichen, aber<br />
ansonsten möglichst divers sind. Während es sich bei der zuletzt genannten Methode<br />
insbesondere um ein Verfahren handelt, das sich um eine Eliminierung<br />
irrelevanter Faktoren bemüht (Przeworski und Teune 1970: 35), steht hinter der<br />
Differenzmethode eine Maximierungsstrategie in Bezug auf die relative Homogenität<br />
potentieller unabhängiger Variablen. 59 Obwohl ich in der folgenden Fallauswahl<br />
in den Grundzügen vor allem auf die Rationalität des ,most similar systems<br />
design zurückgreife, nutze ich ebenfalls das eben angesprochene Element<br />
des ‚most different systems design, um gegebenenfalls irrelevante Einflussfaktoren<br />
zu eliminieren.<br />
In einem ersten Schritt wende ich mich den Subtypen in der oben vorgestellten<br />
Typologie von arabischer Staatlichkeit zu, deren Mitglieder im Zeitverlauf<br />
ihre staatliche außenwirtschaftliche Liberalisierung am unterschiedlichsten<br />
verändert haben (maximale Varianz auf den abhängigen Variablen). Wie die im<br />
vorherigen Abschnitt geleistete Analyse mit einem Blick auf die Abbildung 3.8<br />
und Abbildung 3.9 sowie auf Tabelle 3.3 zeigen konnte, hat das mit Hilfe des<br />
CACAO-Index gemessene Heterogenitätsniveau sowohl bei den armen Monarchien<br />
wie aber auch bei den armen Republiken in beiden Dimensionen des Index<br />
relativ am stärksten zugenommen. Während Marokko und Tunesien die beiden<br />
Even though the universe of social systems – countries, nations-states, cultures, and so forth –<br />
is fairly limited, the cost of conducting a study within random samples taken within each system<br />
will for a long time remain prohibitive. Therefore cross-national studies often have a<br />
quasi-experimental form, and the tactical choices are limited to the question of the “best” combination<br />
of countries, given the overwhelming limitations of money, access and social scientists”<br />
(Przeworski und Teune 1970: 32, Hervorhebungen im Original). Für Bernhard Ebbinghaus<br />
ist die Verwendung von Standardverfahren der sozial-statistischen Fallauswahl, wie Zufallsstichproben,<br />
bei der Analyse von sozialen Makroeinheiten wie Staaten generell ungeeignet:<br />
„[…] all comparative research of social entities, whether quantitative or qualitative, faces<br />
the same problem of contingency, the fact that the observable pool of macro-social units has<br />
been shaped by historical social processes. As a result of complex processes of nation-state<br />
formation and international cooperation, particular types of countries are over- or underrepresented<br />
in comparative analyses, not to speak of particular biases due to availability of data”<br />
(Ebbinghaus 2005: 134).<br />
59 “It is anticipated that if some important differences are found among these otherwise similar<br />
countries, then the number of factors attributable to these differences will be sufficiently small<br />
to warrant explanation in terms of those differences alone” (Przeworski und Teune 1970: 32).
3.3 Auswahl von heuristischen Fällen 73<br />
einzigen armen Monarchien in der arabischen Welt sind, zählt der Subtyp arme<br />
Republiken mit Mauretanien, Tunesien, Ägypten, Sudan, Jemen und Syrien<br />
insgesamt sechs potentiell zu untersuchende Fälle.<br />
Betrachtet man allerdings diese sechs Länder genauer, so erscheint es aus<br />
einer Reihe von Gründen weniger sinnvoll, sich mit den Fällen Jemen, Mauretanien<br />
und Sudan intensiver auseinanderzusetzen. In allen drei Staaten ist aufgrund<br />
ihrer peripheren Randlage innerhalb der arabischen Welt damit zu rechnen,<br />
dass sie mit den verbleibenden armen Republiken relativ weniger strukturelle<br />
Gemeinsamkeiten teilen. Im Sudan ist der Staat zudem bis heute nicht in<br />
der Lage, über alle Landesteile hinweg sein Gewaltenmonopol aufrechtzuerhalten.<br />
In Bezug auf den Jemen und auch Mauretanien gilt Ähnliches, wenn auch<br />
vielleicht in einem geringeren Ausmaß. Zusätzliches Problem beim Jemen ist,<br />
dass das Land in seiner heutigen Form erst seit Mai 1990 existiert.<br />
Obwohl Syrien mit Tunesien und Ägypten eine Reihe von wichtigen historischen<br />
und deswegen auch strukturellen Eigenschaften teilt, verweisen zwei<br />
wichtige Charakteristika auf einen syrischen Sonderweg: Erstens ist Syrien aufgrund<br />
seiner Ölvorkommen ein Grenzgänger zwischen den beiden Kategorien<br />
Semi-Rentier und Rentier der Ressourcendimension innerhalb der arabischen<br />
Typologie von Staatlichkeit – der Anteil der Öleinnahmen im syrischen Staatshaushalt<br />
lag in den 1990er Jahren im Durchschnitt deutlich über 50 Prozent, erst<br />
in den letzten Jahren ist dieser Anteil auf etwa 30 Prozent abgesunken (The Economist<br />
Intelligence Unit 2007: 30) – und zweitens ist die politische Elite Syriens,<br />
im Gegensatz zu der Tunesiens und Ägyptens, durch eine kleine, sich religiös<br />
und ethnisch von der Mehrheit der syrischen Bevölkerung unterscheidende Minderheit<br />
dominiert. Das verweist auf wichtige, möglicherweise entscheidende<br />
Unterschiede in Bezug auf die konkrete Ausgestaltung von Herrschaft im syrischen<br />
politischen System. Zum einen standen dem syrischen Staat ähnlich wie in<br />
den reichen Republiken und reichen Monarchien relativ höhere Erdölrenten zur<br />
Verfügung, um damit strategische Gruppen zu alimentieren und an den Staat zu<br />
binden. Zum anderen war der syrische Staat aufgrund der relativ kleinen Kernelite<br />
(Dominanz der alawitischen Minderheit) im Vergleich zu Tunesien und Ägypten<br />
weniger stark auf eine Inklusion breiterer Teile der Gesellschaft in Bezug auf<br />
die Prozesse von Politikformulierung und -implementierung angewiesen.<br />
Wendet man sich nun den beiden armen Monarchien Marokko und Jordanien<br />
auf der einen Seite und den beiden armen Republiken Tunesien und Ägypten<br />
auf der anderen Seite zu, dann scheinen diese vier Fälle je einen unterschiedlichen<br />
Verlauf der Veränderung staatlicher Außenwirtschaftsregulierung in ihrem<br />
Subtyp arabischer Staatlichkeit zu repräsentieren. Die in den Abbildungen 3.11<br />
und 3.12 dargestellten Verlaufsformen vermögen das deutlich zu machen. Während<br />
Marokko und Tunesien ihre außenwirtschaftlichen Barrieren laut CACAO-
74 3 Fallauswahl und Datenlage<br />
Index gar nicht liberalisierten, haben Ägypten und Jordanien ihre Außenwirtschaftsoffenheit<br />
im Zeitverlauf relativ stark erhöht, wobei allein im Fall Jordanien<br />
ein vergleichbar niedriges außenwirtschaftliches Regulierungsniveau bis zum<br />
Ende der Untersuchungsperiode beibehalten wurde.<br />
7<br />
6<br />
1978<br />
1980<br />
1982<br />
1984<br />
1986<br />
1988<br />
1990<br />
1992<br />
1994<br />
1996<br />
1998<br />
2000<br />
Abbildung 3.11<br />
Quelle: CACAO-Index<br />
Marokko Tunesien Ägypten Jordanien<br />
Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien im<br />
CACAO-Index (Trade)<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
Aufgrund der für eine Reihe von Eigenschaften gekreuzten paarweise relativ<br />
ähnlicheren Strategie außenwirtschaftlicher Liberalisierung zwischen diesen vier<br />
Fällen können nun im Sinne der Rationalität eines ‚most different systems design<br />
– unterschiedliche unabhängige Variablen können gleiche abhängige Variablen<br />
nicht erklären – eine Reihe von subtypenabhängigen Charaktereigenschaften<br />
für eine Erklärung dieser Synchronität ausgeschlossen werden. Zusätzlich<br />
kann im Sinne eines ‚most similar systems design in den folgenden Fallstudien<br />
gezielt nach einer diesem Liberalisierungsmuster synchronen Ausprägung potentieller<br />
Einflussfaktoren gesucht werden.
3.3 Auswahl von heuristischen Fällen 75<br />
5<br />
4<br />
1978<br />
1980<br />
1982<br />
1984<br />
1986<br />
1988<br />
1990<br />
1992<br />
1994<br />
1996<br />
1998<br />
2000<br />
Marokko Tunesien Ägypten Jordanien<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
Abbildung 3.12<br />
Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien im CACAO-Index<br />
(Kapitalverkehr)<br />
Quelle: CACAO-Index<br />
Alle vier Staaten sind trotz temporärer Episoden politischer Liberalisierung im<br />
gesamten durch die Indexdaten erfassten Zeitverlauf autoritär geblieben und<br />
konnten ihre Staatlichkeit im Gegensatz zu anderen Staaten der Region, wie<br />
beispielsweise Algerien, Sudan oder Jemen, konstant aufrechterhalten. 60 Alle<br />
vier Staaten gehören laut Klassifikation der Weltbank zu den ‚lower-middleincome<br />
countries und liegen auch laut Angaben des Human Development Index<br />
(HDI) der UNDP beim menschlichen Entwicklungsniveau auf relativ ähnlichem<br />
Niveau. 61 Dazu kommt, dass allein diese vier Staaten in der Region ernsthafte<br />
ökonomische Stabilisierungs- und Strukturanpassungsprogramme implementiert<br />
60 In allen vier Ländern ist es der herrschenden Elite, trotz der zu unterschiedlichen Zeitpunkten<br />
stattgefundenen personalen Veränderungen an der Spitze des Staates (1981 in Ägypten (Sadat<br />
zu Mubarak), 1987 in Tunesien (Bourghiba zu Ben Ali) und 1999 in Jordanien (Hussein zu<br />
Abdallah II.) und Marokko (Hassan II. zu Mohammed VI.)), größtenteils gelungen, ihre kollektive<br />
Macht aufrechtzuerhalten.<br />
61 Von 177 im HDI erfassten Ländern lag Jordanien 2007/08 auf Platz 86, Tunesien auf Platz 91,<br />
Ägypten auf Platz 112 und Marokko auf Platz 126; http://hdr.undp.org/en/statistics/, 19. Juni<br />
2008.
76 3 Fallauswahl und Datenlage<br />
haben. 62 Selbst der Verweis auf die länderspezifischen Unterschiede beim Außenhandelsquotienten<br />
– ein höherer Anteil von Importen und Exporten am Bruttosozialprodukt<br />
könnte einen Staat geneigter für eine Liberalisierung des Außenhandels<br />
machen – kann die bestehenden Unterschiede bei der zeitabhängigen<br />
Veränderung der Außenwirtschaftsregulierung nicht erfassen. 63<br />
Tabelle 3.4<br />
Empirischer Befund und konkurrierende Erklärungen zur<br />
außenwirtschaftlichen Liberalisierung in Marokko, Tunesien,<br />
Ägypten und Jordanien<br />
MAROKKO TUNESIEN ÄGYPTEN JORDANIEN<br />
empirischer Befund<br />
Außenwirtschaftliche<br />
Liberalisierung<br />
(CACAO-Index)<br />
Außenwirtschaftliche<br />
Offenheit am Ende der<br />
Untersuchungsperiode<br />
2004 (CACAO-Index)<br />
nicht liberalisiert<br />
nicht liberalisiert<br />
liberalisiert<br />
liberalisiert<br />
geschlossen geschlossen geschlossen offen<br />
konkurrierende Erklärungen<br />
Autokratien sind protektionistischer<br />
(Banerji<br />
und Ghanem 1997,<br />
Giavazzi und Tabellini<br />
2005: 26) und Demokratien<br />
offener (Milner und<br />
Kubota 2005)<br />
IWF und Weltbankprogramme<br />
(ökonomische<br />
Stabilisierung und<br />
Strukturanpassung)<br />
geschlossen geschlossen geschlossen geschlossen<br />
offen/liberalisiert<br />
offen/liberalisiert<br />
offen/liberalisiert<br />
offen/liberalisiert<br />
62 “[…] the attitude toward structural adjustment and privatization was far less enthusiastic. Here<br />
the region showed significant variation. Only a few middle income countries (Egypt, Jordan,<br />
Morocco and Tunisia) proved truly receptive to such reform, whereas the poorest (for example,<br />
Yemen, Sudan, Mauritania), the richest (for example, the Gulf Cooperation Council countries),<br />
and the remainder of middle income countries (for example, Algeria, Iran, Syria) largely<br />
spurned it” (Bellin 2004: 6).<br />
63 Die durchschnittlichen Außenhandelsquotienten zwischen 1978 und 2004 lagen bei 52 Prozent<br />
für Marokko, 86,34 Prozent für Tunesien, 53,13 Prozent für Ägypten und 120,08 Prozent für<br />
Jordanien. Vgl. für die jährlichen Werte der Außenhandelsquotienten Tabelle 9.1 und Abbildung<br />
9.1 im Anhang. Dabei wird auch deutlich, dass der sehr hohe durchschnittliche Wert für<br />
Jordanien vor allem durch die zwei lokalen Spitzen zwischen 1981 und 1982 und erneut zwischen<br />
1989 und 1993 geprägt ist.
3.3 Auswahl von heuristischen Fällen 77<br />
MAROKKO TUNESIEN ÄGYPTEN JORDANIEN<br />
Außenhandelsquotient geschlossener geschlossener geschlossener geschlossener<br />
ökonomische Krise und<br />
Demokratieniveau<br />
(Martin 2005)<br />
geschlossen geschlossen geschlossen geschlossen<br />
Regimetyp (Monarchie<br />
versus Republik =<br />
starker Privatsektor<br />
versus starker öffentlicher<br />
Sektor) (Henry und<br />
Springborg 2001)<br />
Offenheit nach<br />
Faktorausstattung im<br />
Sinne des Heckscher-<br />
Ohlin- Theorems<br />
offener geschlossener geschlossener offener<br />
offen<br />
(Arbeit reichlich<br />
& Kapital<br />
knapp)<br />
offen<br />
(Arbeit reichlich<br />
& Kapital<br />
knapp)<br />
offen<br />
(Arbeit reichlich<br />
& Kapital<br />
knapp)<br />
offen<br />
(Arbeit reichlich<br />
& Kapital<br />
knapp)<br />
Sektorale Spezialisierung<br />
im Sinne des<br />
Ricardo-Viner- Theorems<br />
Phosphat und<br />
Agrarprodukte<br />
Phosphat,<br />
Erdöl und<br />
Agrarprodukte<br />
Erdöl und<br />
Agrarprodukte<br />
Phosphat,<br />
Potasche und<br />
Agrarprodukte<br />
Quelle: eigene Zusammenstellung<br />
Die beiden in der jüngeren Literatur wichtigsten Determinanten von Außenwirtschaftsliberalisierung<br />
bei Entwicklungsländern, (a) ein allgemeine Demokratisierung<br />
(Milner und Kubota 2005) und (b) eine Kombination von ökonomischer<br />
Krise und unterschiedlichen Demokratieniveaus (Je demokratischer ein Land,<br />
desto eher wird es infolge einer ökonomischen Krise seine Außenwirtschaftsbarrieren<br />
abbauen) (Martin 2005), sind ebenfalls nicht hinreichend, um das Muster<br />
von Außenwirtschaftsliberalisierung bei diesen vier Staaten zu erklären. Auch in<br />
Bezug auf Faktorausstattung und sektoraler Spezifizierung reichen die existierenden<br />
Unterschiede zwischen diesen vier Ländern nicht aus, um die unterschiedlichen<br />
Liberalisierungspfade zwischen Marokko und Tunesien auf der<br />
einen Seite und Ägypten und Jordanien auf der anderen Seite hinreichend deutlich<br />
zu machen. Verblüffend ist, dass trotz einer in der regionalen Literatur häufig<br />
vertretenen Auffassung, dass die Monarchien der arabischen Welt relative
78 3 Fallauswahl und Datenlage<br />
Vorreiter in Sachen Globalisierung seien und deswegen durch ihre politischen<br />
Eliten besser als zum Beispiel die Republiken in die Weltwirtschaft integriert<br />
werden, 64 auf der einen Seite, und einer Reihe von strukturellen Gemeinsamkeiten<br />
der beiden armen Republiken Tunesien und Ägypten (importsubstituierende<br />
Industrialisierung in den 1960er und 1970er Jahren, bis heute dominanter Einfluss<br />
des Staatssektors, Einparteiensystem), auf der anderen Seite, kein dementsprechend<br />
synchrones außenwirtschaftliches Liberalisierungsmuster zu erkennen<br />
ist.<br />
Tabelle 3.4 fasst den bisherigen vergleichenden empirischen Befund zusammen<br />
und verweist darüber hinaus auf eine Reihe von miteinander potentiell<br />
konkurrierender Erklärungen, die allesamt nicht in der Lage sind, den unterschiedlichen<br />
Verlauf der bisherigen Außenwirtschaftsliberalisierung in Marokko,<br />
Tunesien, Ägypten und Jordanien zu erfassen. Diese Zusammenfassung macht<br />
die Notwendigkeit einer detaillierteren Suche nach darüber hinausgehenden<br />
Determinanten von Außenwirtschaftsliberalisierung mehr als deutlich.<br />
3.4 Datenlage und Analysezeitraum<br />
3.4 Datenlage und Analysezeitraum<br />
Obwohl sich die im Rahmen von heuristischen Fallstudien durchzuführenden<br />
historischen Rekonstruktionen idealerweise auf möglichst alle zur Verfügung<br />
stehenden Informationen stützen sollten, sind in der Forschungsrealität eine<br />
Reihe von zeitlich- und ressourcenbedingten Kompromissen einzugehen. Die<br />
Entscheidung, sich aus methodischen Erwägungen mit den Außenwirtschaftsreformen<br />
in insgesamt vier autoritären Staaten in Nordafrika und dem Mittleren<br />
Osten zu beschäftigen, machte es notwendig, sich bei der Auswahl der zu einer<br />
solchen Untersuchung notwendigen Quellen auf für alle Fälle gleichermaßen<br />
vorhandenes und zugängliches Material zu konzentrieren. Nach der Sondierung<br />
einer Reihe von unterschiedlichen Quellen habe ich mich entschieden, primär auf<br />
eine Auswahl von offiziellen Dokumenten des IWF zurückzugreifen. Da alle vier<br />
Staaten Mitglied dieser internationalen Organisation sind, wurden und werden<br />
sie in regelmäßigen Abständen entsprechend Artikel IV bzw. XIV der IWF-<br />
64 “Just as traditional political orders in the monarchies were less disrupted by colonial encounters,<br />
so, too, their commercial elites typically survived rather than being swept aside by either<br />
colonial settlers or radical nationalists. Thus both state and market in monarchies have greater<br />
continuity than their equivalents among the praetorian republics, and the influence of the market<br />
over the state is usually greater in the monarchies than in these republics. It is not surprising,<br />
therefore, that monarchical polities and economics tend on the whole to be more open and<br />
competitive and hence display greater capacities to respond effectively to the challenges and<br />
opportunities of globalization” (Henry und Springborg 2001: 63-64).
3.4 Datenlage und Analysezeitraum 79<br />
Statute in Bezug auf ihre außenwirtschaftlichen Restriktionen konsultiert. 65 Diese<br />
Konsultationen brachten es mit sich, dass in so gut wie jedem Jahr ein Gruppe<br />
von IWF-MitarbeiterInnen in alle Mitgliedsstaaten reiste, um sich von jedem<br />
Land ein grundlegendes Bild von den ökonomischen Bedingungen und der außenwirtschaftlichen<br />
Regulierung bzw. der Veränderung dieser Regulierung zu<br />
verschaffen. In Zusammenarbeit mit staatlichen Akteuren und Institutionen wurden<br />
dabei eine Reihe von aktuellen ökonomischen und wirtschaftspolitischen<br />
Veränderungen erfasst und durch umfangreiche statistische Angaben ergänzt.<br />
Die als Resultat dieser Konsultationen entstandenen so genannten ‚staff reports<br />
und ‚recent economic developments sind Berichte, die ursprünglich als Informationsquelle<br />
für die Entscheidungen der ‚Executive Directors des IWF für die<br />
jährlichen Konsultationen gedacht waren und heute im IWF-Archiv eingesehen<br />
werden können. 66 Diese Dokumente bieten eine Fülle von Informationen zu den<br />
ökonomischen Bedingungen und der regulativen Ausgestaltung der Außenwirtschaftspolitik,<br />
die größtenteils deutlich über die Angaben in den ‚Annual Reports<br />
on Exchange Arrangements and Exchange Restrictions hinausgehen. Zudem<br />
gewähren sie rare Einblicke in die Konsultations- und Verhandlungsprozesse<br />
zwischen nationalen und internationalen Bürokratien und verweisen, wenn auch<br />
nur selektiv, auf die Gründe, warum sich eine Regierung entschlossen hat, eine<br />
bestimmte außenwirtschaftspolitische Regulierung zu verändern oder beizube-<br />
65 In Artikel XIV Paragraph 3 heißt es: “The Fund shall make annual reports on the restrictions in<br />
force under Section 2 of this Article. Any member retaining any restrictions inconsistent with<br />
Article VIII, Sections 2, 3, or 4 shall consult the Fund annually as to their further retention. The<br />
Fund may, if it deems such action necessary in exceptional circumstances, make representations<br />
to any member that conditions are favorable for the withdrawal of any particular restriction,<br />
or for the general abandonment of restrictions, inconsistent with the provisions of any<br />
other articles of this Agreement. The member shall be given a suitable time to reply to such representations.<br />
If the Fund finds that the member persists in maintaining restrictions which are<br />
inconsistent with the purposes of the Fund, the member shall be subject to Article XXVI, Section<br />
2(a)”; http://www.imf.org/external/pubs/ft/aa/aa04.htm, 25. Juni 2008.<br />
In Artikel IV Paragraph 3 Absatz b der IWF-Statute heißt es: “In order to fulfill its functions<br />
[…] the Fund shall exercise firm surveillance over the exchange rate policies of members, and<br />
shall adopt specific principles for the guidance of all members with respect to those policies.<br />
Each member shall provide the Fund with the information necessary for such surveillance, and,<br />
when requested by the Fund, shall consult with it on the member’s exchange rate policies. The<br />
principles adopted by the Fund shall be consistent with cooperative arrangements by which<br />
members maintain the value of their currencies in relation to the value of the currency or currencies<br />
of other members, as well as with other exchange arrangements of a member’s choice<br />
consistent with the purposes of the Fund and Section 1 of this Article. These principles shall<br />
respect the domestic social and political policies of members, and in applying these principles<br />
the Fund shall pay due regard to the circumstances of members.” http://www.imf.org/external/<br />
pubs/ft/aa/aa04.htm, 25. Juni 2008.<br />
66 Während eines Aufenthaltes in den Archiven des IWF im Januar und Februar 2006 hatte ich<br />
die Gelegenheit, entsprechende Länderdokumente einzusehen und davon Kopien anzufertigen.
80 3 Fallauswahl und Datenlage<br />
halten. Damit stellen diese Dokumente eine so bisher noch nicht ausgewertete<br />
Quelle dar, die sich im Hinblick auf mögliche Alternativen gut eignet, eine für<br />
heuristische Fallstudien angemessene Rekonstruktion außenwirtschaftlicher Reformprozesse<br />
vorzunehmen.<br />
Der dabei gewählte Analysezeitraum wird an seinem gegenwartsnahen Ende<br />
durch die Verfügbarkeit dieser eben erwähnten primären Quellen begrenzt.<br />
Da alle internen IWF-Dokumente üblicherweise für mindestens 5 Jahre im Hinblick<br />
auf eine nicht-interne Verwendung gesperrt sind, wäre eine vergleichbare<br />
Analyse, die über das Jahr 2003 hinausgeht, nicht in ähnlichem Umfang möglich<br />
gewesen. Der Untersuchungsbeginn ist mit dem Jahr 1970 vor allem in Hinblick<br />
auf zwei Aspekte gesetzt worden: Erstens beginnen die Dokumente des IWF erst<br />
etwa zu Beginn der 1970er Jahre eine für die Rekonstruktion von außenwirtschaftlicher<br />
Regulierung notwendige Dichte und Struktur vorzuweisen. Zudem<br />
war es wichtig, zwei entscheidende historische Ereignisse mit in die Untersuchungsperiode<br />
aufzunehmen: zum einen das bewusste politische Ende der postkolonialen<br />
Importsubstitutionsstrategien in den beiden Republiken Tunesien und<br />
Ägypten, welches durch die Ausrufung einer so genannten Öffnungspolitik<br />
(infitah), in Tunesien Anfang und in Ägypten Mitte der 1970er Jahre, eingeläutet<br />
worden ist. Zum anderen war es von entscheidender Bedeutung, wichtige Phasen<br />
einer von der Höhe des Ölpreises getriebenen wirtschaftlichen Performanz und<br />
regionalen polit-ökonomischen Strukturentwicklung mit in die Untersuchung zu<br />
integrieren. Erst eine solche Inklusion eines Vorher-nachher-Vergleichs in Bezug<br />
auf die Ölpreisrevolution und die Ausformung eines Systems der innerregionalen<br />
Verteilung der Öleinnahmen (Petrolismus) 67 lässt Schlüsse auf die<br />
mögliche Wirkung von zeitlich abhängigen Unterschieden beim Bezug der die<br />
Staatshaushalte der arabischen Welt dominiert habenden Erdölrente auf die Regulierung<br />
der Außenwirtschaft zu.<br />
67 Der Begriff Petrolismus und die ursprüngliche Charakterisierung dieses innerarabischen Verteilungssystems<br />
geht auf Baghat Korany zurück (Korany 1986).
4 Ausgangspunkt und Genese von<br />
Außenwirtschaftsregulierungen: Marokko,<br />
Tunesien, Ägypten und Jordanien zwischen<br />
1970 und 2003<br />
4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Wenn man sich im Sinne von Alexander George und Andrew Bennett (2005) auf<br />
eine Analyse von heuristischen Fällen konzentriert, um bisher unberücksichtigte<br />
Einflussfaktoren auf außenwirtschaftliche Reformen innerhalb von autoritären<br />
Staaten zu identifizieren, ist es in einem weiteren Schritt unerlässlich, eine genaue<br />
Beschreibung des im Zentrum stehenden empirischen Phänomens abzugeben.<br />
In den folgenden vier Abschnitten stelle ich in einer Abfolge von dichten<br />
Beschreibungen die Entwicklungen der staatlichen Außenwirtschaftsregulierungen<br />
in Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien zwischen 1970 und 2003<br />
dar. Ziel dieses Kapitels ist es, Perioden und Zeitpunkte verstärkter Reformbemühungen<br />
im Politikfeld Außenwirtschaft zu identifizieren, um darüber zu einer<br />
Einschätzung in Bezug auf die qualitative Entwicklungsrichtung der staatlichen<br />
außenwirtschaftlichen Regelsetzung zu gelangen.<br />
Da die konkrete regulative Ausgestaltung der Außenwirtschaft gerade bei<br />
Entwicklungsländern empirisch ausgesprochen vielfältig und komplex ausfallen<br />
kann, folgt die sich anschließende Darstellung der regulativen außenwirtschaftlichen<br />
Veränderungen dem Vorgehen bisheriger Untersuchungen, die prinzipiell<br />
zwischen Regulierungen des internationalen Zahlungsverkehrs einerseits und des<br />
internationalen Handelsverkehrs andererseits unterscheiden. 68 Darüber hinaus<br />
werden zusätzlich als dritte Dimension Wechselkursregulierungen mit in die<br />
Betrachtungen einbezogen. Außenwirtschaftliche Regulierungen, die den direkten<br />
Tausch von nationaler Währung in Devisen betreffen, sind bisher im Rahmen<br />
der Suche nach Bestimmungsfaktoren von außenwirtschaftlichen Reformen,<br />
wenn überhaupt, dann nur am Rande betrachtet worden. 69 Das ist umso erstaunlicher,<br />
da Wechselkurse im Kontext von außenwirtschaftlicher Liberalisierung<br />
68 Vgl. dazu beispielsweise Bodenstein (2005) und Martin (2005).<br />
69 Allein Carmen Reinhardt und Kenneth Rogoff (2002) beschäftigen sich meines Wissens systematisch<br />
mit unterschiedlichen staatlichen Regulierungsvarianten der Wechselkurse in Entwicklungsländern.<br />
T. Richter, Autoritäre Herrschaft, materielle Ressourcen und Außenwirtschaftsreformen,<br />
DOI 10.1007/978-3-531-93254-5_4,<br />
© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
82 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
eigentlich als zentraler Regulierungsmechanismus zwischen den Preisniveaus nationaler<br />
und internationaler Märkte an vorderster Stelle betrachtet werden müssten.<br />
In den folgenden Abschnitten wird daher zwischen drei Dimensionen außenwirtschaftlicher<br />
staatlicher Regulierung unterschieden:<br />
(1.) Wechselkursregulierungen sind alle staatlichen Regulierungen, die bestimmen,<br />
zu welchen Preisen und Mengen nationale Währungen in internationale<br />
Währungen getauscht werden dürfen.<br />
(2.) Zahlungsverkehrregulierungen sind alle staatlichen Regulierungen, die<br />
bestimmen, zu welchen Preisen und Mengen geldwertige nationale Grenzen<br />
überschreitende Transaktionen in Bezug auf den Handel von Waren, Dienstleistungen<br />
und Kapital abgewickelt werden dürfen.<br />
(3.) Handelsregulierungen sind alle staatlichen Regulierungen, die bestimmen,<br />
zu welchen Preisen und Mengen Güter und Dienstleistungen über nationale<br />
Grenzen hinweg ausgetauscht werden dürfen.<br />
Zusätzlich zu diesen drei Dimensionen wird im Allgemeinen zwischen tarifären<br />
und nicht-tarifären staatlichen außenwirtschaftlichen Regulierungsformen differenziert.<br />
Kombiniert man diese Aspekte, so entsteht das folgende in Tabelle 4.1<br />
dargestellte Bild. Beim internationalen Handels- und Zahlungsverkehr kommen<br />
in der Form häufig ähnliche tarifäre, aber auch nicht-tarifäre Regulierungen zum<br />
Einsatz. Zölle, Im- und Exportbesteuerungen sowie Subventionen sind in diesem<br />
Zusammenhang die wohl bekanntesten Beispiele. Auch für Währungstauschprozesse<br />
sind aus der Praxis von Entwicklungsländern Gebühren oder Steuern als<br />
Formen tarifärer Regulierung bekannt. Im Bereich der nicht-tarifären Regulierungen<br />
waren in der Vergangenheit vor allem mengenmäßige Beschränkungen<br />
in Bezug auf den Handel von Gütern und Dienstleistungen sowie Devisenrationierung,<br />
die Einschränkung von ausländischen Investitionen und die Rückführungs-<br />
bzw. Umtauschpflicht von Devisen einige der am häufigsten anzutreffenden<br />
staatlichen außenwirtschaftlichen Restriktionen. In der Gegenwart sind es<br />
neben Negativlisten vor allem so genannte Qualitätskontrollen, die neuerdings<br />
im internationalen Güterverkehr eine wichtige Rolle zu spielen begonnen haben.<br />
Bei Wechselkursregulierungen ist die Vielfalt der nicht-tarifären staatlichen<br />
Regulierung ganz besonders intensiv ausgeprägt. Im Gegensatz zu einem völlig<br />
freigegebenen Wechselkurs – hier bestimmt allein das Angebot von und die<br />
Nachfrage nach Währungstauschgeschäften zwischen nationaler Währung und<br />
Devisen den aktuellen Umtauschkurs – existieren in diesem Bereich zahlreiche<br />
regulative Varianten, die von einem festen Wechselkursverhältnis über sektoral
4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen 83<br />
oder devisenspezifisch multiple Wechselkurse bis hin zu unterschiedlichen Formen<br />
der Anbindung einer nationalen Währung an einen Währungskorb reichen. 70<br />
Tabelle 4.1<br />
Übersicht staatlicher Regulierungsformen in der Außenwirtschaft<br />
TARIFÄRE RE-<br />
GULIERUNGEN<br />
NICHT-TARIFÄRE<br />
REGULIERUNGEN<br />
1. WECHSELKURS<br />
Beispiele:<br />
Steuer und Gebühren auf<br />
Wechselkurstransaktionen<br />
Beispiele:<br />
Fixer Wechselkurs versus<br />
flexibler Wechselkurs als<br />
extreme Ausprägungen –<br />
empirisch existieren<br />
zahlreiche Varianten und<br />
Mischformen (z.B. multiple<br />
Wechselkurse, Bindung<br />
an einzelne Währungen<br />
oder Währungskörbe,<br />
Bindung an monetäre<br />
Zielgrößen innerhalb eines<br />
Bandes)<br />
2. ZAHLUNGSVER-<br />
KEHR<br />
3. HANDEL<br />
Beispiele:<br />
Zölle, Besteuerung und Subventionen –<br />
Gebühren und Zuschläge, die entweder<br />
pauschal oder prozentual in Bezug auf den<br />
Wert oder die Menge des Gutes bei Einoder<br />
Ausfuhr durch den Hersteller oder<br />
Händler zu entrichten sind (Gebühren und<br />
Steuern) oder durch Dritte an den Hersteller<br />
oder Händler fließen<br />
Beispiele:<br />
Lizenzen für die Ein- und Ausfuhr von<br />
Gütern, mengenmäßige Beschränkung<br />
(Quoten), qualitative Beschränkungen,<br />
Negativ- oder Positivlisten, Vorabzahlungspflicht<br />
(advance import deposit),<br />
güterspezifische Marketingkommissionen,<br />
Rationierung von Devisen, Devisenbudgets<br />
Quelle: eigene Zusammenstellung<br />
In der Praxis speist sich eine Veränderung dieser möglichen Formen staatlicher<br />
Regelsetzung in der Außenwirtschaft aus zwei Quellen: erstens der Verabschiedung<br />
von Gesetzen und zum Zweiten dem Erlass von Durchführungsbestimmungen.<br />
Beide Formen sind vor allem in nicht-demokratischen politischen Systemen<br />
stark durch die Exekutive, d. h. durch Minister, Ministerpräsidenten, Präsidenten,<br />
Emire und Könige, geprägt. Es sind vor allem diese legalen exekutiven Dokumente,<br />
auf die sich die ausgewerteten IWF-Dokumente insbesondere stützen.<br />
Damit bleibt die folgende Rekonstruktion zwangsläufig auf die „[…] gesetzlichen<br />
und administrativen Maßnahmen, welche die praktische Anwendung der<br />
Regel[n] ermöglichen […]“ (Börzel und Risse 2002: 144), beschränkt und lässt<br />
70 Vgl. anschaulich für die Vielfalt von Wechselkursregulierungen Reinhart und Rogoff (2002).
84 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
die Ebenen der Umsetzung der Maßnahmen, wie auch die Wirkung der veränderten<br />
Regelsetzung, auf das sozioökonomische Umfeld zunächst unbeachtet.<br />
4.1 Marokko – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003<br />
4.1 Marokko – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003<br />
4.1.1 Die Entwicklung der marokkanischen Wechselkursregulierungen<br />
Die marokkanische Währung, das Dirham (DH), war seit den späten 1950er<br />
Jahren, wie eigentlich alle Währungen der IWF-Mitgliedsstaaten, in einem festen<br />
Verhältnis zum U.S. Dollar in das weltweite System paritätischer Wechselkurse<br />
eingebunden (IMF Archives 1970f: 40). Zu Beginn der 1970er Jahre, und nach<br />
dem Zusammenbruch dieses Systems (Nixon Schock im August 1971) und der<br />
damit einhergehenden Abwertung des Dollar, fixierte Marokko das Dirham zunächst<br />
an den offiziellen Französischen Franc (FF) (IMF Archives 1971i: 58,<br />
1971h: 18, 1973c: 80). Im Mai 1973, nachdem durch die unilaterale Freigabe der<br />
Deutschen Mark dem Bretton-Woods-System der finale Todesstoß versetzt worden<br />
war und der U.S. Dollar immer weiter abwerten musste, wurde die marokkanische<br />
Währung an einen nach Handelsintensitäten gewichteten Korb ausländischer<br />
Währungen gebunden (IMF Archives 1974a: 13, 1974b: 55, 1977c: 49). Im<br />
weiteren Verlauf der 1970er Jahre blieb dieses System ohne weitere Änderungen<br />
bestehen (IMF Archives 1980c: 50, 1980b: 11, 1981f: 4, 1981g: 44).<br />
Im Juli 1973 wurde zusätzlich zum offiziellen Wechselkurs ein fünfprozentiger<br />
Bonus für alle Rücküberweisungen marokkanischer Gastarbeiter aus dem<br />
Ausland eingeführt (IMF Archives 1974a: 15, 1974b: 55, 1977c: 49). Im Juni<br />
1978 wurde diese Regulierung weiter ausgebaut. Ab sofort galt für Rücküberweisungen<br />
aus Frankreich ein fester Wechselkurs von 1 DH = 1 FF. Dieser neue,<br />
im Verhältnis zum offiziellen Wechselkurs nun variable Bonus betrug bereits in<br />
der zweiten Hälfte des Jahres 1978 aufgrund des weiter im Verhältnis zum FF<br />
aufwertenden Dirhams etwa 7 Prozent. Die dadurch entstehenden Kosten, die<br />
zwischen 1973 und 1978 allein das marokkanische Finanzministerium getragen<br />
hatte, wurden nun zwischen Staat und Bankensektor aufgeteilt. Die Kosten für<br />
einen festen fünfprozentigen Bonus trug wie bisher das Ministerium, den variablen<br />
Rest hatten die jeweils mit dem Umtausch beauftragten Geschäftsbanken zu<br />
übernehmen (IMF Archives 1978f: 2).
4.1 Marokko – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 85<br />
Q1 1960 Q1 1962 Q1 1964 Q1 1966 Q1 1968 Q1 1970 Q1 1972 Q1 1974 Q1 1976 Q1 1978 Q1 1980 Q1 1982 Q1 1984 Q1 1986 Q1 1988 Q1 1990 Q1 1992 Q1 1994 Q1 1996 Q1 1998 Q1 2000 Q1 2002 Q1 2004<br />
130<br />
120<br />
110<br />
REAL EFFECTIVE EXCHANGE RATE,<br />
INDEX 2000=100 (linke Skala)<br />
100<br />
90<br />
NOMINAL EFFECTIVE EXCHANGE<br />
RATE, INDEX 2000=100 (linke Skala)<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
OFFICIAL RATE Dirham per U.S.$ (rechte<br />
Skala)<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Abbildung 4.1 Wechselkurs marokkanischer Dirham / U.S. Dollar, Nominal Effective Exchange Index und Real<br />
Effective Exchange Index von 1960 bis 2004<br />
Quelle: IMF – International Financial Statistics, Online-Version<br />
20<br />
18<br />
16<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0
86 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Im September 1980 wurde dann, zum ersten Mal seit Bindung des Dirhams an<br />
einen Währungskorb, damit begonnen, die Zusammensetzung und Gewichtung<br />
der einzelnen Währungen im Korb so zu verändern, dass das marokkanische<br />
Dirham gegenüber dem U.S. Dollar, dem FF und anderen europäischen Währungen<br />
abwertete. (IMF Archives 1981f: 5, 1981g: 44, 1983b: 14, 1984d: 43,<br />
1984e: 16f, 1984a: 12, 1984b: 5, 1984c: 8, 1985f: 70, 1985b: 10, 1985a: 11,<br />
1986g: 13). 71 Diese Abwertungsperiode setzte sich in den folgenden sechs Jahren<br />
kontinuierlich fort. Dabei wurde der nominale effektive Wechselkurs bis Ende<br />
1980 um 7 Prozent (IMF Archives 1981f: 5), 1981 um 10,7 Prozent, 1982 um<br />
4,2 Prozent, 1983 um 5,4 Prozent, 1984 erneut um 10,7 Prozent und 1985 noch<br />
einmal um 9,5 Prozent (IMF Archives 1984e: 3, 1985b: 6, 1986g: 3, 13) abgewertet.<br />
Insgesamt verringerte sich der Wert des Dirham zwischen 1980 und 1985<br />
gegenüber einem U.S. Dollar von etwa vier auf etwa zehn DH. Ein Blick auf die<br />
in Abbildung 4.1 dargestellten Wechselkursindizes verdeutlicht diesen Wertverlust<br />
des Dirham grafisch. Sowohl der nominale und reale effektive Index als<br />
auch der offizielle Wechselkurs zum U.S. Dollar geben diese Veränderung zwischen<br />
1980 und 1986 anschaulich wieder.<br />
In diese Periode der kontinuierlichen Abwertung fällt im Herbst 1980 auch<br />
das offizielle Ende des mit einem fünfprozentigen Bonus versehenen zweiten<br />
Wechselkurses (IMF Archives 1981a: 15, 1981g: 44, 1982h: 62). Allerdings<br />
behielten die Geschäftsbanken bis Juli 1982 ihre Praxis bei, Rücküberweisungen<br />
von marokkanischen Gastarbeitern aus Frankreich mit einem bevorzugten Wechselkurs<br />
von DH 1 = FF 1 zu tauschen (IMF Archives 1982h: 62). Als Mitte 1982<br />
der DH/FF-Wechselkurs unter diese Parität abwertete, wurde der nunmehr ausschließlich<br />
von den Geschäftsbanken gezahlte Bonus nach einer Intervention des<br />
Königs (Henry 1996: 145) erneut auf fünf Prozent fixiert (IMF Archives 1982h:<br />
62, 1984d: 50, 54). Weil alle anderen Banken eine Weiterzahlung zu diesem<br />
Zeitpunkt ablehnten, war es allein die sich vollständig in staatlichen Händen<br />
befindende Banque du Crédit Populaire (BCP), die an der Praxis einer Wechselkurssubvention<br />
für Rücküberweisungen aus Frankreich bis etwa 1986 festhielt<br />
71 Außer der Tatsache, dass der nominale effektive Wechselkurs durch eine Veränderung innerhalb<br />
des Währungskorbs abgewertet wurde, finden sich in den IWF-Dokumenten keine systematischen<br />
Angaben zur genaueren Vorgehensweise der marokkanischen Zentralbank im Verlauf<br />
dieser Abwertungsperiode. Wahrscheinlich sind zwei zentrale Mechanismen, die parallel<br />
zur Anwendung kamen: erstens eine Veränderung der Zusammensetzung des Währungskorbs<br />
und zweitens eine schrittweise Veränderung des bilateralen Kurses zu einer der im Korb enthaltenen<br />
ausländischen Währungen. Zumindest für den Beginn der Abwertungsperiode im September<br />
1980 sind beide Mechanismen in den Dokumenten des IWF belegt. “The authorities<br />
changed the weights of the basket currencies […] Simultaneously, the authorities also carried<br />
out a gradual depreciation of the dirham against the intervention currency (French franc)” (IMF<br />
Archives 1981f: 5).
4.1 Marokko – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 87<br />
(IMF Archives 1989j: 33) und damit eine Zeit lang ein Quasi-Monopol über die<br />
Transfers der marokkanischen Gastarbeiter aus Frankreich etablierte (Henry<br />
1996: 145).<br />
Ende 1985 kam die Phase der aktiven nominalen Abwertungen des Dirham<br />
zum Stillstand (IMF Archives 1989e: 20). Veränderungen des Wechselkurses<br />
spiegelten von nun an ausschließlich Auf- und Abwertungen der im Währungskorb<br />
enthaltenen Währungen untereinander wider (IMF Archives 1989e: 20).<br />
Obwohl die Vertreter des IWF weiterhin eine Abwertung des Dirham für nötig<br />
hielten (IMF Archives 1989f: 20, 1991h: 4), blieb die marokkanische Regierung<br />
ihrer Politik eines nominal stabilen Wechselkurses bis zum Frühjahr 1990 treu<br />
(IMF Archives 1988d: 28, 1989e: 30, 1989f: 14). Erst im Mai 1990 gab der nominale<br />
Wechselkurs zum ersten Mal nach vier Jahren wieder um etwas mehr als<br />
neun Prozent nach. Bis Mitte 1996 wurden, bis auf eine minimale Abwertung<br />
1992, keine weiteren Anpassungsschritte vorgenommen. (IMF Archives 1992a:<br />
7, 1994f: 60, 1996g: 60, 2000c: 61, 2000b: 49).<br />
Im Juni 1996 wurde dann nach einer halbjährigen Verzögerung ein bereits<br />
für 1995 geplanter Interbankendevisenmarkt etabliert. Der marokkanischen Zentralbank<br />
das Devisenhandelsmonopol zumindest teilweise aus der Hand nehmend<br />
(IMF Archives 1996h: 23-24), konnten von nun an die marokkanischen Geschäftsbanken<br />
innerhalb eines bestimmten Limits 72 ohne weitere Beschränkungen<br />
untereinander Devisen und Dirham tauschen (IMF Archives 1996h: 24).<br />
Sobald der in diesem Interbankendevisenmarkt bestimmte Wechselkurs um 0,5<br />
Prozent nach oben oder unten von dem weiterhin an einen Währungskorb gebundenen<br />
nominalen Wechselkurs abwich, hatte die Zentralbank zu intervenieren<br />
(IMF Archives 1998d: 17, 37). 73 Dieser Interbankendevisenmarkt arbeitete,<br />
von einer kleinen Anpassung im Januar 1999 abgesehen, 74 in dieser Form bis<br />
zum Ende der Untersuchungsperiode weiter (IMF 1999: 599, 2000: 614).<br />
Trotz zunehmenden Drucks von Seiten des marokkanischen Exportsektors<br />
und des IWFs, flexiblere Wechselkursmechanismen zu implementieren (IMF<br />
Archives 1995h: 14, 19, 1996g: 12, 13, 1998d: 3, 17, 27, 28, 1999d: 27, 35,<br />
72 Die marokkanischen Geschäftsbanken durften nur bis zu 20 Prozent des Eigenkapitals in<br />
Devisen und bis zu 7 Prozent in einer einzelnen ausländischen Währung halten (IMF Archives<br />
1996h: 24).<br />
73 Allerdings war es den marokkanischen Geschäftsbanken im ersten halben Jahr nach<br />
Einführung dieser Devisenhandelsplattform nur innerhalb Marokkos gestattet, untereinander<br />
Devisen zu handeln. Erst mit Wirkung vom 31. Januar 1997 wurde das bisher geltende Devisenhandelsverbot<br />
mit internationalen Banken und Finanzinstituten für marokkanische<br />
Geschäftsbanken aufgehoben (IMF 1997: 587).<br />
74 Von Jahresbeginn 1999 an durften die marokkanischen Geschäftsbanken nur noch bis zu 10<br />
Prozent ihres Eigenkapitals und/oder der in einer einzelnen ausländischen Währung gehaltenen<br />
offenen Devisenpositionen im Interbankenmarkt handeln (IMF 1999: 599, 2000: 614).
88 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
1999e: 19, 2000b: 1, 31, International Monetary Fund 2001a: 24), blieb auch der<br />
von der Zentralbank täglich festgesetzte und an den Währungskorb gebundene<br />
nominale Wechselkursmechanismus des Dirham im Verlauf der 1990er Jahre<br />
unverändert. Erst im April 2001 wurde durch eine Modifikation in der Zusammensetzung<br />
des Währungskorbes (stärkere Gewichtung des Euro) das Dirham<br />
um etwa fünf Prozent abgewertet (IMF Archives 1999e: 10, International<br />
Monetary Fund 2001a: 4). Bis zum Ende der Untersuchungsperiode 2003 kam<br />
es, trotz anders lautender Vorschläge des IWF (International Monetary Fund<br />
2004d: 4, 21) zu keinen weiteren Anpassungsschritten im marokkanischen<br />
Wechselkurssystem.<br />
Zusammenfassend kann die Entwicklung der marokkanischen Wechselkursregulierungen<br />
zwischen 1970 und 2003 in vier Phasen unterteilt werden. In der<br />
ersten Phase zwischen 1971 und 1973 blieb das Dirham in einem festen Wechselkursverhältnis<br />
an den offiziellen Französischen Franc fixiert. In einer sich<br />
daran anschließenden zweiten Phase wurde die marokkanische Währung bis<br />
1980 an einen nach Handelsintensitäten gewichteten Korb internationaler Währungen<br />
gebunden. In dieser Phase existierte ab 1973 ein zweiter Wechselkurs,<br />
der einen Bonus von fünf Prozent für Rücküberweisungen der im Ausland arbeitenden<br />
marokkanischen Gastarbeiter vorsah. 1980 begann, mit einer systematischen<br />
nominalen und realen Abwertung des immer noch an einen Korb<br />
ausländischer Währungen gebundenen Dirham, die bis 1986 andauernde dritte<br />
Phase der marokkanischen Wechselkursregulierungspolitik, an deren Ende auch<br />
der fünfprozentige Bonus für die Rücküberweisungen der Gastarbeiter endgültig<br />
abgeschafft wurde. In einer darauf folgenden vierten Phase wurde die Zusammensetzung<br />
des Währungskorbes im Abstand von mehreren Jahren immer nur<br />
punktuell, so im Mai 1990 und April 2001, durch eine Neugewichtung der Währungen<br />
im Korb verändert. In diese vierte Phase fällt auch die Einführung eines<br />
Interbankendevisenmarktes im Sommer 1996, mit der begonnen wurde, das<br />
Devisenhandelsmonopol der Bank Al-Magribi, der marokkanischen Zentralbank,<br />
aufzulösen.<br />
4.1.2 Die Entwicklung der marokkanischen Zahlungsverkehrregulierungen<br />
Die Regulierung des internationalen Zahlungsverkehrs sowie die Regulierungen<br />
in Bezug auf die Ein- und Ausfuhr von Kapital wiesen im Marokko der 1970er<br />
Jahre alle für die damalige Zeit bei Entwicklungsländern typischen restriktiven<br />
Merkmale auf. Die Ein- und Ausfuhr von Kapital und Devisen war hochgradig<br />
durch staatliche Regulierungen eingeschränkt. Von Ausländern gehaltenes Kapital<br />
konnte nur unter sehr restriktiven Bedingungen und unter Einhaltung einer
4.1 Marokko – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 89<br />
Höchstgrenze ins Ausland transferiert werden. Marokkanern war es nicht erlaubt,<br />
Devisen bei marokkanischen Geschäftsbanken zu halten, und Exporteure waren<br />
gezwungen, die eingenommenen Devisen innerhalb einer bestimmten Frist zurückzuführen<br />
und bei einer der Geschäftsbanken in Dirham umzutauschen. Ein<br />
Handel von ausländischen Zahlungsmitteln zwischen den marokkanischen Geschäftsbanken<br />
war nicht gestattet, und alle Banken mussten täglich sämtliche<br />
Devisen an die Zentralbank abführen. Allein die marokkanische Zentralbank<br />
durfte Devisen in ausländischen Geldmärkten handeln.<br />
Im Ausland arbeitende Marokkaner mussten ihre Devisen bis spätestens einen<br />
Monat nach der Einreise in Dirham umtauschen. Ausländer durften ihre<br />
Devisen in Marokko nur auf speziellen Konten anlegen, konnten darüber nur<br />
eingeschränkt verfügen und mussten ausschließlich über die marokkanische Zentralbank<br />
Dirham beziehen. In Marokko arbeitende Ausländer konnten nur Teile<br />
ihres im Land verdienten Gehalts in ihre Heimatländer transferieren, und Marokkaner<br />
durften selbst nur bis zu einer bestimmten Höhe und nur zu einem bestimmten<br />
Zweck Dirham in Devisen tauschen. Marokkaner und marokkanische<br />
Unternehmen waren verpflichtet, alle ausländischen Werte, die eine bestimmte<br />
Summe überstiegen, zu deklarieren. Daraus entstandene Gewinne mussten zurückgeführt<br />
werden. Die Ein- und Ausfuhr von marokkanischen Banknoten war<br />
generell verboten. Die Einfuhr von ausländischen Banknoten musste ab einer<br />
bestimmten Höhe bei den marokkanischen Behörden deklariert werden. Seit dem<br />
Erlass der Marokkanisierungsdekrete 1973 war Ausländern nur noch ein Erwerb<br />
von bis zu 49 Prozent an marokkanischen Unternehmen gestattet. Zur Ausübung<br />
und Überwachung der Zahlungsverkehrregulierungen existierte eine zentrale<br />
bürokratische Einheit, die innerhalb des Finanzministeriums angesiedelt war.<br />
Alle Import- und Exportgenehmigungen mussten von dieser Behörde gegengezeichnet<br />
werden. Erst mit einer entsprechenden Genehmigung war es zum Beispiel<br />
für Importeure möglich, über eine der Geschäftsbanken Devisen für den<br />
Import von Waren von der marokkanischen Zentralbank zu beziehen. 75<br />
Zusätzlich zu dieser umfassenden Zahlungsverkehrregulierung wurden am<br />
Ende der 1960er Jahre in Marokko etwa 15 Prozent der Importe und 17 Prozent<br />
der Exporte über bilaterale Zahlungsvereinbarungen abgewickelt (IMF Archives<br />
1968b: 13, 1970f: 45). 76 Allerdings verlor diese Form der Abwicklung des zwi-<br />
75 Für eine Übersicht der zu Beginn der 1970er Jahre existierenden Zahlungsverkehrbeschränkungen<br />
vgl. beispielsweise IMF Archives (1970f: 40-53, 1971i: 57-69, 1973c: 80-87), IMF<br />
(1975: 334-338). Eine Übersicht zu ausgewählten Elementen bietet Tabelle 9.2 im Anhang.<br />
76 Zu diesem Zeitpunkt bestanden mit Ägypten, Spanien, Mali, Guinea und einer Reihe von<br />
sozialistischen Staaten (Bulgarien, VR China, Cuba, SSR, DDR, Ungarn, Polen UDSSR) bilaterale<br />
Zahlungsabkommen. Der gegenseitige Güterverkehr wurde zu präferentiellen Zahlungsvereinbarungen<br />
über spezielle Konten bei den jeweiligen Zentralbanken abgewickelt. Im<br />
Rahmen der Abkommen mit Mali und Guinea wurden allerdings bereits seit den frühen 1960er
90 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
schenstaatlichen Zahlungsverkehrs bis Mitte der 1970er Jahre fast vollständig an<br />
Bedeutung. Bis auf das Abkommen mit der UDSSR wurden bis zu diesem Zeitpunkt<br />
alle weiteren bilateralen Zahlungsabkommen beendet. Zwar wurde am<br />
Ende der 1970er Jahre über das Abkommen mit der UDSSR ein Drittel des marokkanischen<br />
Orangenexports abgewickelt – im Gegenzug bezog Marokko Erdöl<br />
aus der UDSSR (IMF Archives 1978i: 48, 1980c: 52) –, insgesamt aber reduzierte<br />
sich im Verlauf der 1970er, vor allem wegen des Auslaufens des bilateralen<br />
Vertrags mit Spanien im Juni 1971, die gesamte bilaterale Zahlungsabwicklung<br />
auf etwa 4 Prozent der Exporte und 2 Prozent der Importe (IMF Archives 1981g:<br />
39). Das verbleibende bilaterale Zahlungsabkommen mit der UDSSR wurde<br />
Anfang der 1980er Jahre im Zuge der mit dem IWF abgeschlossenen Stabilisierungsvereinbarungen<br />
formal beendet und lief Ende 1981 aus (IMF Archives<br />
1981f: 11).<br />
Die Mehrheit der zu Beginn der 1970er Jahre existierenden Zahlungsverkehrrestriktionen<br />
blieb im Verlauf der 1970er in ihrer Substanz erhalten. So<br />
wurde zum Beispiel an der Festlegung allgemeiner Obergrenzen für Transfers<br />
von Dirham-Devisen von Inländern nicht gerüttelt und diesbezüglich nur in unregelmäßigen<br />
Abständen Anpassungen vorgenommen, indem die entsprechenden<br />
Obergrenzen für den Devisenbezug in kleinen Schritten heraufgesetzt wurden<br />
(vgl. zur Entwicklung dieser Anpassungen Tabelle 9.2 auf S. 325 im Anhang).<br />
Abgesehen von diesen graduellen Veränderungen wurde in den 1970er Jahren<br />
weder am Devisentauschmonopol der Zentralbank, noch an der allgemeinen<br />
Rückführungs- und Umtauschpflicht von Devisen für Marokkaner sowie der<br />
eingeschränkten Möglichkeit für Ausländer und Inländer, aus Marokko Kapital<br />
zu exportieren, gerüttelt.<br />
Obwohl im Rahmen der Neuformulierung der Investitionsgesetzgebung<br />
1973 ausländischen Investoren ein sofortiger Rücktransfer aller Gewinne und<br />
nach fünf Jahren auch der dabei gemachten Investitionen zugesichert (IMF<br />
Archives 1974b: 61-66) und Exporteuren erlaubt wurde, bis zu 3 Prozent ihres<br />
im Export erzielten Umsatzes als Devisen zu halten, um diese für Produktwerbung<br />
und Marktforschung im Ausland einzusetzen (IMF Archives 1975e: 59),<br />
kam es in diesem Zusammenhang zu keinem allgemeinen Abbau der existierenden<br />
Zahlungsverkehrrestriktionen. 77 Auch als sich Ende der 1970er Jahre eine<br />
Jahren keine Transaktionen mehr durchgeführt (IMF Archives 1968b: 62). Im Gegensatz dazu<br />
war „[t]he agreement with Spain […] the result of the close commercial ties between the two<br />
countries and it had recently proved very convenient for the financing of part of Morocco’s<br />
wheat imports“ (IMF Archives 1968b: 13). Das Abkommen mit Spanien spielte bis zu seinem<br />
Auslaufen im Juni 1971 eine wichtige Rolle für den marokkanischen Außenhandel (IMF Archives<br />
1971h: 21).<br />
77 Die eigentliche Innovation dieser Neuformulierung war das Bemühen, die durch die Marokkanisierungsdekrete<br />
bei marokkanischen Geschäftsbanken liquide gewordenen Vermögen von
4.1 Marokko – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 91<br />
beginnende Zahlungsbilanzkrise abzuzeichnen begann, wurden keine Änderungen<br />
an diesem System vorgenommen: Weder wurden Regulierungen verstärkt,<br />
noch abgebaut (IMF Archives 1980b: 12, 1981f: 11).<br />
Die in den frühen 1980er Jahren implementierten Stabilisierungs- und<br />
Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank konzentrierten sich vor<br />
allem auf eine Konsolidierung des Staatsbudgets und waren primär auf den Abbau<br />
von Handelsrestriktionen fokussiert. Zwar wurde 1983 im Rahmen einer<br />
Reform der Investitionsgesetzgebung ein sektoraler Abbau von ausgewählten<br />
Zahlungsverkehrrestriktionen implementiert, womit im verarbeitenden Sektor<br />
erneut ein vollständiger Besitz marokkanischer Unternehmen durch Ausländer<br />
möglich und im Tourismussektor ausländischen Investoren eine vollständige<br />
Rückführung ihrer Investitionen und Gewinne ohne zeitliches Limit garantiert<br />
wurde (IMF 1984: 339, IMF Archives 1984e: 17). Die grundlegende Beschränkung<br />
des allgemeinen Zahlungsverkehrs durch den marokkanischen Staat wurde<br />
jedoch in dieser Phase nicht aufgehoben. Auch in den 1980er Jahren blieben<br />
weite Teile des zu Beginn der 1970er Jahre existierenden Systems in der Praxis<br />
erhalten.<br />
Erst ab etwa 1988 wurde begonnen, Teile der Restriktionen im internationalen<br />
Zahlungsverkehr abzubauen. Im Januar 1988 wurde die Deklarationspflicht<br />
in Bezug auf die Herkunft von ausländischen Devisen für Marokkaner und im<br />
März die allgemeine Zolldeklarationspflicht bei der Einfuhr von ausländischen<br />
Banknoten abgeschafft. Zudem wurden umfangreiche Erleichterungen für ausländische<br />
Kapitalimporte implementiert (IMF 1989: 328). Ab Mai 1988 durften<br />
Ausländer konvertierbare Dinarkonten mit einer Mindesteinlage von DH<br />
500.000 eröffnen und darüber ohne Einschränkungen im In- und Ausland verfügen<br />
(IMF 1989: 327-328) – eine Regelung, die bald darauf (Juni 1988) auch im<br />
Ausland lebenden Marokkanern gewährt wurde (IMF 1989: 329). Im April 1989<br />
wurde der Mindestbetrag für die Eröffnung eines Devisenkontos für Ausländer<br />
von DH 500.000 auf DH 50.000 herabgesetzt (IMF 1990: 324) Nachdem im<br />
Dezember des gleichen Jahres auch offiziell das Marokkanisierungsdekret von<br />
1973 abgeschafft worden war, bestand, abgesehen von verschiedenen Beteiligungshöchstgrenzen<br />
in einigen wenigen Sektoren, 78 von diesem Zeitpunkt an<br />
kein generelles Limit mehr für ausländische Beteiligungen an marokkanischen<br />
Unternehmen (IMF 1990: 325).<br />
Ausländern im Land zu halten. Zwar mussten die ausländischen Beteiligungen an marokkanischen<br />
Unternehmen in diesem Kontext auf unter 50 Prozent reduziert werden, wenn allerdings<br />
unter Beachtung dieser Höchstgrenzen in anderen Bereichen für mindestens fünf Jahre investiert<br />
wurde, konnte das Kapital später aus Marokko abgezogen werden (IMF Archives 1974a:<br />
15-16, 1974b).<br />
78 So war zum Beispiel ausländischer Besitz im Fischereisektor und innerhalb der Rohstoffe<br />
fördernden Industrien weiterhin beschränkt.
92 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Zu Beginn der 1990er Jahre wurden die letzten bis dahin noch verbliebenen<br />
Zahlungsverkehrrestriktionen für Ausländer abgebaut: Das Einlagenlimit in<br />
Bezug auf die Eröffnung von konvertierbaren Dirham-Konten für Ausländer<br />
wurde im April 1980 abgeschafft (IMF 1991: 330) und die Blockierung aller<br />
ausländischen Devisenkonten nach einer Übergangsphase von fünf Jahren im<br />
Januar 1992 aufgehoben (IMF Archives 1994f: 181). Ebenso wurde der gesamte<br />
Zahlungsverkehr in Bezug auf ausländische Direktinvestitionen und die Abwicklung<br />
des Warenimportverkehrs liberalisiert (September 1992). Aufgrund der<br />
damit geschaffenen Voraussetzungen erklärte Marokko im Januar 1993 mit der<br />
Anerkennung des Artikels VIII (Paragraphen 2, 3 und 4) der IWF-Statute offiziell<br />
die Zahlungsbilanzkonvertibilität für nicht in Marokko lebende Ausländer. 79<br />
Diese konnten von diesem Zeitpunkt an Devisen in jeglicher Form und ohne<br />
Beschränkungen nach Marokko ein- und wieder ausführen (IMF Archives 1994f:<br />
182, 1996h: 23).<br />
Allein für Inländer wurden weiterhin zahlreiche Zahlungsverkehrrestriktionen<br />
aufrechterhalten. Aber auch in diesem Bereich wurden alte Regulierungen<br />
durch neue liberalere Regeln ersetzt. So war es beispielsweise ab 1993 für marokkanische<br />
Unternehmer möglich, im Inland Devisenkonten zu halten, sich im<br />
Ausland zu verschulden oder dort zu investieren, wenn diese Investitionen im<br />
Zusammenhang mit dem Export marokkanischer Waren standen (IMF 1994:<br />
342). Zudem war es mit Einführung des Interbankendevisenmarktes ab 1996<br />
Exporteuren erlaubt, bis zu 20 Prozent ihrer Erlöse bei einer der marokkanischen<br />
Geschäftsbanken zu halten und darüber frei zu verfügen. Im Ausland lebende<br />
Marokkaner konnten bereits ab 1995 ohne Einschränkungen ein Devisenkonto in<br />
Marokko eröffnen (IMF Archives 1996h: 23).<br />
Trotz des graduellen Abbaus staatlicher Regulierungen im außenwirtschaftlichen<br />
Zahlungsverkehr – und obwohl für Ausländer in Marokko de facto seit<br />
1993 eine Devisenkonvertibilität besteht – ist der außenwirtschaftliche Zahlungsverkehr<br />
besonders für marokkanische Inländer immer noch eingeschränkt<br />
(vgl. für eine Übersicht IMF 2004: 639-648): Transaktionen zwischen Inländern<br />
müssen bis heute ausschließlich in der Landeswährung abgewickelt werden.<br />
Inländer wie Ausländer können nicht beliebig Dirham in Devisen tauschen, und<br />
Ausländern ist es nur erlaubt, die bei der Einreise eingetauschten Devisen bei der<br />
79 Die Konvertibilität des internationalen Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels VIII (Paragraphen<br />
2, 3 und 4) der IWF-Statute bezieht sich allein auf staatliche Regulierungen in Bezug auf<br />
Devisentransaktionen von Ausländern (non-residents) (Paragraph 2) und das Verbot von multiplen<br />
Wechselkurspraktiken (Paragraph 3), während Kontrollen des internationalen Kapitalverkehrs<br />
ausdrücklich erlaubt sind (Paragraph 3). Eine allgemeine Rückführungspflicht von<br />
Devisenerlösen und die Einschränkung von Devisentransfers für Inländer wird durch die Prinzipien<br />
in Artikel VIII nicht eingeschränkt. Vgl. zu unterschiedlichen Formen von Konvertibilität<br />
Hirschman (1951).
4.1 Marokko – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 93<br />
Ausreise wieder auszuführen. Für Inländer gelten je nach Tätigkeit und Zweck<br />
der Auslandsreise unterschiedliche meist jährlich geltende Höchstgrenzen für<br />
den Devisenbezug. Marokkaner müssen, abgesehen von den Freibeträgen für<br />
Exporteure, immer noch generell alle Devisen innerhalb einer Frist von 30 Tagen<br />
nach der Einreise in Dirham tauschen (vgl. für eine Übersicht ausgewählter Restriktionen<br />
Tabelle 9.2 auf S. 325 im Anhang).<br />
Obwohl ausländische Direktinvestitionen, inklusive der späteren Rücktransfers,<br />
inzwischen ohne Einschränkungen getätigt werden können, 80 gibt es auch<br />
beim Kapitalexport von Inländern immer noch eine Reihe von Einschränkungen.<br />
Zwar können Inländer sich im Ausland frei verschulden, müssen aber beispielsweise<br />
beim Kauf und Verkauf von ausländischen Kapitalwerten eine Erlaubnis<br />
einholen. Inländische Kreditinstitute können bis heute an Ausländer Kredite nur<br />
zu bestimmten Zwecken in nationaler Währung vergeben. Schließlich ist es Ausländern<br />
immer noch nicht gestattet, eigene Finanzmarktprodukte auf dem marokkanischen<br />
Markt zu verkaufen.<br />
Insgesamt lässt sich die Entwicklung der marokkanischen Zahlungsverkehrregulierung<br />
zwischen 1970 und 2003 in drei Phasen unterteilen. In der<br />
ersten Phase zwischen 1970 und etwa 1982 existierten in Marokko staatliche<br />
Regulierungen, die es Inländern wie Ausländern nur unter sehr eingeschränkten<br />
Bedingungen ermöglichten, internationale Zahlungsmittel zu erwerben, zu halten<br />
und ins Ausland zu transferieren. Im Ausland erworbene Zahlungsmittel mussten<br />
grundsätzlich nach Marokko zurückgeführt und in die nationale Währung umgetauscht<br />
werden. Die Eintrittsbarrieren für ausländische Kapitalinvestitionen waren<br />
neben der durch die Marokkanisierungsdekrete generell eingeschränkten<br />
ausländischen Eigentümerschaft an marokkanischen Unternehmen und der existierenden<br />
bürokratischen Hürden vor allem wegen fehlender Rückführungsgarantien<br />
in Bezug auf Investitionen und Gewinne ausgesprochen hoch. Die einzig<br />
nennenswerte Veränderung im internationalen Zahlungsverkehr erfolgte in dieser<br />
Phase allein durch die fast vollständige Einstellung des in den 1960er Jahren<br />
noch bis zu 15 Prozent ausmachenden bilateralen Zahlungsverkehrs. Bis auf ein<br />
Abkommen mit der UDSSR waren am Ende der 1970er Jahre alle ähnlichen<br />
Vereinbarungen mit anderen Staaten ausgelaufen bzw. nicht mehr aktiv. Erst in<br />
der zweiten Phase zwischen 1983 und 1993 wurde begonnen, Teile der Zahlungsverkehrregulierungen<br />
schrittweise abzubauen. Zunächst verpflichtete sich<br />
Marokko, als Teil der Vertragsbedingungen in den Stabilisierungsprogrammen<br />
mit dem IWF, keine neuen restriktiven Zahlungsverkehrregulierungen zu implementieren<br />
und begann zusätzlich mit einem ersten Abbau von ausgewählten<br />
80 Ausgenommen davon waren allein Kapitalexporte, die nicht zu einem früheren Zeitpunkt durch<br />
einen entsprechenden Import gedeckt waren. Diese Transfers konnten nur unter Einschränkungen<br />
innerhalb einer Fünfjahresfrist ins Ausland erfolgen (IMF 2004).
94 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Regulierungen. Allerdings erfolgten diese Reformen nicht grundsätzlich, sondern<br />
in den meisten Fällen über eine graduelle Heraufsetzung der frei zu transferierenden<br />
Devisenhöchstbeträge. Im Januar 1993 wurde diese Phase dann mit der<br />
offiziellen Anerkennung der Zahlungsbilanzkonvertibilität für Ausländer beendet.<br />
Seitdem können aus dem Ausland eingeführte Devisen ohne Einschränkungen<br />
in Marokko gehalten und jederzeit wieder ausgeführt werden. Darauf folgend<br />
wurden in der dritten Phase nur noch ausgewählte der vor allem für Inländer<br />
verbliebenen Zahlungsverkehrbarrieren abgebaut. Eine vollständige, für Inund<br />
Ausländer gleichermaßen geltende Freizügigkeit im internationalen Zahlungsverkehr<br />
war bis 2003 in Marokko allerdings nicht hergestellt.<br />
4.1.3 Die Entwicklung der marokkanischen Handelsregulierungen<br />
Anfang der 1970er Jahre existierte in Marokko ein Regulierungssystem des außenwirtschaftlichen<br />
Warenverkehrs, das in Form von drei Listen die nichttarifären<br />
Beschränkungen beim Import von handelbaren und nicht-handelbaren<br />
Gütern vorgab. 81 In diesem so genannten Importprogramm wurde die mengenmäßige<br />
Beschränkung des Warenimports zu Beginn eines jeden Jahres neu festgelegt<br />
und auf einer von drei Listen erfasst. Güter der Liste A konnten ohne<br />
weitere administrative Hürden nur mit Hilfe einer Importdokumentation (engagement<br />
d’importation) frei importiert werden. Güter, die auf der Liste B standen,<br />
durften allein in Abhängigkeit von jährlich neu festzusetzenden Importquoten<br />
oder ausschließlich durch staatliche Importagenturen nach Marokko eingeführt<br />
werden. 82 Für diese Güter musste eine Importlizenz (autorisation d’importation<br />
oder certificat d’importation) bei den zuständigen Behörden, meist dem Wirtschaftsministerium,<br />
beantragt werden. Der Import von Gütern, die auf einer Liste<br />
C standen, war grundsätzlich nicht bzw. nur mit einer Sondergenehmigung gestattet.<br />
Es waren vor allem „[…] essential goods not produced domestically, goods<br />
subject to very high tariffs, goods with small demand and goods that are abundantly<br />
and efficiently produced in Morocco“, die auf der Liste A des marokkanischen<br />
Importprogramms standen. Auf der Liste B wurden „[…] products<br />
81 Dieses System löste 1967 eine Regulierung ab, die zwischen drei unterschiedlichen Handelsgebieten<br />
(dem Gebiet des Geltungsbereichs des offiziellen Französischen Franc, dem Gebiet<br />
mit bilateralen Zahlungsabkommen und dem Rest der Welt) unterschied. Quoten und Zölle waren<br />
in Abhängigkeit vom Zahlungsverkehrraum unterschiedlich hoch (IMF Archives 1968b:<br />
11).<br />
82 “The import program does not set product-specific quotas for items on List B on an annual<br />
basis; instead, the amounts imported are determined through a process of interministerial coordination<br />
and consultation with interested parties” (IMF Archives 1991i: 57).
4.1 Marokko – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 95<br />
produced domestically, but in insufficient quantities, and goods the importation<br />
of which is controlled for technical or commercial reasons, such as aid goods and<br />
goods imported by government agencies“ aufgeführt. Insbesondere „[…] luxury<br />
goods and commodities whose importation may be detrimental to local production“<br />
(IMF Archives 1970f: 41) standen auf der Liste C des marokkanischen<br />
Importprogramms. 83 An diesem System wurde bis 1995 grundsätzlich festgehalten.<br />
Tabelle 9.3 auf S. 336 im Anhang hält die jährliche Verteilung des gesamten<br />
Importvolumens auf diesen drei Listen fest. Neben den nicht-tarifären Beschränkungen<br />
in Form dieses Importprogramms existierte im Marokko der<br />
1970er Jahre gleichfalls eine Reihe von tarifären Handelsbeschränkungen. Detaillierte<br />
Angaben dazu liegen allerdings erst seit etwa 1981 in Form eines<br />
durchschnittlichen Zollsatzes vor (vgl. dazu die erste Spalte in Tabelle 9.4 im<br />
Anhang). Hauptgrund dafür war die zu früheren Zeitpunkten ausgesprochen<br />
kompliziert ausfallende marokkanische Zollstruktur.<br />
„Morocco’s first customs tariff entered into force in 1957. Since then, numerous<br />
changes to the tariff structure have been introduced in response to evolving development<br />
objectives and to pressures for protection. Customs duties are levied on an<br />
ad valorem basis. Morocco’s tariff schedule, consisting of 8,171 tariff lines, is extremely<br />
complex and detailed […]” (IMF Archives 1991i: 57).<br />
Hinzu kommt, dass die Streuung der Zollsätze zum damaligen Zeitpunkt ausgesprochen<br />
hoch gewesen ist und diese zusätzlich in Bezug auf den Grad der industriellen<br />
Verarbeitung zunahmen (IMF Archives 1991i: 57).<br />
Zusätzlich zu allgemeinen Importzöllen existierten in den 1970er Jahren in<br />
Marokko weitere tarifäre Importrestriktionen. Neben einer bereits seit etwa der<br />
Jahrhundertwende bestehenden Importsteuer (IMF Archives 1959: 7, 23), die<br />
1972 von 2,5 Prozent auf 5 Prozent verdoppelt (IMF Archives 1973a: 2) und<br />
später weiter auf 8 Prozent erhöht wurde, wurden für die meisten Importwaren<br />
Mitte der 1980er Jahre zusammen etwa 10 Prozent des Warenwertes als zusätzliche<br />
Gebühr (stamp duty) fällig.<br />
Im Gegensatz zum Warenimport war der marokkanische Exporthandel vergleichsweise<br />
wenig eingeschränkt. Bis auf den Export von Früchten, frischem<br />
Gemüse, Konserven, Rohbaumwolle, Baumwollnebenprodukten und Wein, der<br />
ausschließlich über eine staatliche Marketing- und Exportagentur (Office de<br />
Commercialisation et d’Exportation) abgewickelt werden musste, waren alle<br />
anderen Güter ohne weitere Einschränkungen frei aus Marokko exportierbar.<br />
83 Für weitere Einzelheiten der zu Beginn der 1970er Jahre existierenden Handelsregulierungen<br />
vgl. beispielsweise IMF Archives (1970f: 40-53, 1971i: 57-69, 1973c: 80-87), IMF (1975: 335).
96 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Einzige Bedingung war, dass die aus einem Export entstehenden Devisenerlöse<br />
innerhalb eines Monats nach Marokko zurückgeführt und in Dirham umgetauscht<br />
werden mussten (repatriation and surrender requirement) (vgl. dazu auch<br />
Abschnitt 4.1.3) (IMF Archives 1968b: 62, IMF 1975: 336, IMF Archives<br />
1975e: 57).<br />
In den Jahren 1969 und 1970 wurden eine Anzahl der mengenmäßigen Beschränkungen<br />
innerhalb der Liste B erhöht und Güter in einem Volumen von 20<br />
Prozent aller Importe von der Liste B auf die Liste A transferiert (IMF Archives<br />
1970f: 42, 1971h: 17, 1971i: 59-60). Bis auf das Mitte der 1970er Jahre eingeführte<br />
staatliche Monopol für den Import von Düngemitteln 84 wurden in diesem<br />
System im weiteren Verlauf der 1970er keine weiteren Änderungen vorgenommen.<br />
85<br />
In den späten 1970er Jahren änderte sich dieses Bild schlagartig. Zu Jahresbeginn<br />
1978 wurden eine Reihe von Waren von der Liste A auf die Liste B transferiert,<br />
ohne dafür zuerst einmal spezifische Quoten einzuführen. Darüber hinaus<br />
wurden einige der jährlichen Importquoten von Gütern der Liste B verringert und<br />
einige wenige Güter neu auf die Liste C gesetzt (IMF Archives 1978g: 54-55,<br />
IMF 1979: 284). Gleichzeitig wurde die allgemeine Importsteuer von 8 Prozent<br />
auf 12 Prozent angehoben (IMF 1979: 284).<br />
Bereits im Juni 1978 wurden erneut Änderungen im marokkanischen Importsystem<br />
vorgenommen: Die Anzahl der Güter auf der Liste C wurde um ein<br />
Dreifaches erhöht und erneut zahlreiche Güter von der Liste A auf die Liste B<br />
transferiert (IMF Archives 1978f: 2, IMF 1979: 285). Infolge dieser Maßnahmen<br />
verringerte sich die Anzahl der ohne Einschränkungen zu importierenden Warengruppen<br />
um etwa die Hälfte (IMF Archives 1978f: 2). Zusätzlich wurde eine<br />
Importvorabeinlage in Höhe von 25 Prozent des zu importierenden Warenwertes<br />
eingeführt. Diese entsprechende Summe war unverzinst bei einer marokkanischen<br />
Geschäftsbank in Devisen zu hinterlegen (IMF Archives 1978f: 2, IMF<br />
1979: 285) und musste von den Banken direkt an die marokkanische Zentralbank<br />
transferiert werden. Da der Import einer Reihe von Gütern, wie Lebensmittel,<br />
84 Damit einhergehend wurden Düngemittel von der Liste A auf die Liste B transferiert (IMF<br />
Archives 1975e: 57).<br />
85 Vgl. dazu die entsprechenden Dokumente, die keine Veränderung vermerken (IMF Archives<br />
1973b: 20, IMF 1975: 337, 1976: 332, 1977: 322, IMF Archives 1977b: 11, 1977c: 48, IMF<br />
1978: 286). Der ab 1971 sinkende Anteil der Güter auf Liste A und der dazu entsprechend steigende<br />
Anteil der Güter auf Liste B (sichtbar in Tabelle 9.3) wird vom IWF auf steigende<br />
Stückkosten der häufigsten Importgüter Erdöl, Zucker und Weizen zurückgeführt: “Discounting<br />
these effects on the distribution of Morocco’s imports, it appears that the distribution of<br />
imports by list has remained relatively stable in recent years, with about 80 per cent of total<br />
imports (other than crude and refined oil, wheat, sugar, and fertilizer) being admitted under the<br />
provisions of List A and about 20 per cent being admitted under the provisions of List B” (IMF<br />
Archives 1975e: 57).
4.1 Marokko – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 97<br />
Rohstoffe und Halbfertigprodukte, davon fast vollständig ausgenommen wurde,<br />
waren nur etwa ein Viertel der jährlichen marokkanischen Importe davon betroffen<br />
(IMF Archives 1978f: 2).<br />
Obwohl bereits im Juli 1978 eine Reihe von marginalen Anpassungen im<br />
Hinblick auf diese Verschärfungen der Importrestriktionen unternommen wurden<br />
(Rücktransfer von ausgewählten Warengruppen von Liste B auf Liste A und<br />
Bekanntgabe weiterer Ausnahmen von der Importvorabeinlage) (IMF 1979:<br />
285), kam es etwa 14 Monate später zu einer Reihe von zusätzlichen Verschärfungen.<br />
Im September 1979 wurden eine größere Anzahl von Warengruppen von<br />
der Liste A auf die Liste B transferiert (IMF 1980: 274, IMF Archives 1980c: 52,<br />
1981g: 46) und die allgemeine Importsteuer von 12 auf 15 Prozent erhöht (IMF<br />
Archives 1981g: 46).<br />
Erst ab 1981 wurden einige der seit 1978 eingeführten restriktiven Maßnahmen<br />
teilweise wieder zurückgenommen. Im Januar 1981 wurden beispielsweise<br />
Kapitalimporte von der Importvorabeinlage befreit (IMF Archives 1981a).<br />
Bis Mitte des Jahres waren davon nur noch etwa 16 Prozent aller Importe betroffen.<br />
Dieser Anteil reduzierte sich bis Mitte 1982 weiter auf 11 Prozent (IMF<br />
Archives 1982h: 63) und Ende 1982 auf 7 Prozent (IMF Archives 1983b: 16).<br />
Zudem wurden eine Reihe von Gütern von der Liste B zurück auf die Liste A<br />
transferiert (IMF Archives 1982a: 10). Damit erhöhte sich der Anteil der Güter<br />
auf dieser Liste am gesamten Importvolumen wieder auf etwas über 40 Prozent<br />
(vgl. dazu Tabelle 9.3 auf S. 336 im Anhang).<br />
Anfang 1983 kam es zu einer neuerlichen Verschärfung. Im März wurden<br />
alle auf der Liste A aufgeführten Güter auf die Liste B transferiert (IMF Archives<br />
1983b: 17, IMF 1984: 339). Allerdings wurde bereits zwei Monate später<br />
damit begonnen, einen Teil dieser Transfers rückgängig zu machen (IMF Archives<br />
1983b: 31). Gefolgt von weiteren Rücktransfers in den darauf folgenden<br />
Monaten wurde im September die Vorabimporteinlage von 25 Prozent auf 15<br />
Prozent reduziert (IMF 1984: 339-340, IMF Archives 1984e: 17, 1984d: 55), im<br />
Januar 1984 auf 10 Prozent abgesenkt und im Juni 1984 ganz abgeschafft (IMF<br />
1985: 350, IMF Archives 1985b: 16, 18, 1994f: 172-173).<br />
In den folgenden Jahren setzte sich der damit begonnene Liberalisierungstrend<br />
weiter fort, ohne dass es zu neuerlichen Verschärfungen von importrelevanten<br />
staatlichen Regulierungen kommen sollte. Der Anteil der Güter auf Liste<br />
B verringerte sich kontinuierlich (vgl. dazu Tabelle 9.3 auf S. 336 im Anhang).<br />
Im Januar 1984 wurde der maximale Zollsatz von etwa 400 Prozent auf 60 Prozent<br />
reduziert und die allgemeine Importsteuer von 15 Prozent auf 10 Prozent<br />
(IMF Archives 1984c: 8, IMF 1985: 350, IMF Archives 1985b: 13, 16) und ein<br />
Jahr später auf 7,5 Prozent abgesenkt (IMF Archives 1985b: 27). Im Februar<br />
1986 schließlich wurde die Liste C des Importprogramms offiziell aufgegeben
98 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
(IMF Archives 1994f: 48). Bis Mitte der 1990er Jahre wurden die verbliebenen<br />
quantitativen Beschränkungen bis auf eine kleine Positiv- und Negativliste abgeschafft<br />
(IMF 1996: 181) 86 und 1996 die letzten mengenmäßigen Beschränkungen<br />
für Zucker, Speiseöl, Getreide und Gebrauchtwagen aufgehoben (IMF 1997:<br />
587) und durch hohe Zollsätze von bis zu 300 Prozent ersetzt (IMF 1998: 615).<br />
1987 wurden alle Zollsätze um durchschnittlich 2,5 Prozent angehoben und<br />
ein gleich hoher Mindestzollsatz etabliert, ohne allerdings den maximalen Zollsatz<br />
zu verändern (IMF Archives 1987g: 73). Zudem wurden 1988 die Importsteuer<br />
und diverse Importgebühren in ein einheitliches tarifäres Instrument überführt,<br />
das als ‚prélèvement fiscal à l’importation (PFI) von nun an in Höhe von<br />
12,5 Prozent auf alle Importe zu entrichten war (IMF Archives 1991i: 57). Der<br />
maximale Zollsatz wurde zu Beginn der 1990er Jahre weiter auf 40 Prozent<br />
(1992) und 35 Prozent (1993) abgesenkt (IMF Archives 1994f: 21) und die Zahl<br />
der unterschiedlichen Zölle von 26 auf 9 reduziert (IMF Archives 1993g: 12,<br />
1994f: 49).<br />
Bereits 1984 wurden bis auf den Export von Phosphat alle Exportgebühren<br />
und Lizenzen abgeschafft, das staatliche Monopol über den Exporthandel aufgelöst<br />
(IMF 1990: 323, Denoeux und Maghraoui 1998: 59) und ein so genanntes<br />
‚temporary admission scheme für die Befreiung von Einfuhrzöllen und -gebühren<br />
für die Importe von exportorientierten Unternehmen eingeführt (IMF Archives<br />
1991i: 58).<br />
Zum Beginn der 1990er Jahre war dieser unilaterale Abbau von nichttarifären<br />
und tarifären Außenhandelsbeschränkungen größtenteils abgeschlossen.<br />
Seitdem konzentrierten sich die marokkanischen Behörden vor allem auf eine<br />
effizientere Ausgestaltung der Organisation und Abwicklung des außenwirtschaftlichen<br />
Güterverkehrs (IMF Archives 1998d: 44, 1999d: 11), um sich stärker<br />
in regionalen und weltweiten außenwirtschaftlichen Integrationsprozessen zu<br />
engagieren. 1995 wurde Marokko Mitglied der WTO. In diesem Zusammenhang<br />
wurden bis 1996 die letzten massiven mengenmäßigen Beschränkungen in Bezug<br />
auf den Import von Lebensmitteln abgeschafft und durch relativ hohe<br />
Schutzzölle ersetzt (IMF Archives 1996g: 7, 2000c: 60). Die dabei von Marokko<br />
gebundenen Zollsätze für industrielle Produkte lagen in den meisten Fälle unter<br />
den bereits unilateral abgesenkten Tarifen (IMF Archives 1996g: 19). Erst als im<br />
März 2000 das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union in Kraft<br />
trat, wurde erneut eine Reihe von Zollsätzen für industrielle Güter, diesmal allerdings<br />
nur bilateral, reduziert. Der Abbau von Außenhandelsbarrieren im landwirtschaftlichen<br />
Sektor war von den Vereinbarungen mit der Europäischen Uni-<br />
86 Auf der Positivliste standen 1995 Zucker, Speiseöl, Getreide und Getreideprodukte, Waffen,<br />
Sprengstoff und Gebrauchtwagen. Eine Negativliste verbietet den Import von „[…] products<br />
that affect public security, moral, and health […]“ (IMF 1996: 181).
4.1 Marokko – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 99<br />
on hingegen explizit ausgenommen (IMF Archives 2000c: 115, International<br />
Monetary Fund 2004d: 16).<br />
Während die mengenmäßigen Beschränkungen des marokkanischen Außenhandels<br />
am Ende der Untersuchungsperiode weitestgehend abgebaut waren, 87<br />
lagen die tarifären Restriktionen im marokkanischen Außenhandel trotz dieser<br />
multi- und bilateralen Abschlüsse am Ende der Untersuchungsperiode bei einem<br />
angewandten Zollsatz von etwas unter 30 Prozent. Der maximale Zollsatz lag<br />
inklusive der 15-prozentigen Importsteuer (prélèvement fiscal à l’importation)<br />
bei 50 Prozent. Zum Schutz des landwirtschaftlichen Sektors existierten eine<br />
Reihe von zusätzlichen darüber hinausgehenden Schutzzöllen (vgl. dazu auch die<br />
Angaben in Tabelle 9.4 im Anhang) (IMF Archives 2000c: 60).<br />
Ähnlich wie die Entwicklung der Zahlungsverkehrrestriktionen lässt sich<br />
die Entwicklung der marokkanischen Handelsregulierungen in insgesamt vier<br />
Phasen einteilen. In der ersten Phase von 1970 bis etwas 1978 stiegen die Außenhandelsbarrieren<br />
moderat an. Nicht-tarifäre Regulierungen wurden zwar<br />
kaum erhöht, dafür nahm die allgemeine tarifäre Belastung in Form einer Importsteuer<br />
und weiterer Abgaben zu Beginn der 1970er Jahre deutlich zu, um<br />
dann bis zu Beginn des Jahres 1978 stabil zu bleiben. In der zweiten Phase, die<br />
bis etwa 1983 andauerte, wurden im Frühjahr und Sommer 1978 eine Reihe von<br />
bisher frei zu importierenden Gütern mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen<br />
unterworfen, zusätzlich die allgemeine Importsteuer erhöht und gleichzeitig eine<br />
Importvorabeinlage in Höhe von 25 Prozent des zu importierenden Warenwertes<br />
eingeführt. Im September 1979 wurden diese Außenhandelsrestriktionen erneut<br />
verstärkt. Nach einer kurzen Phase der Liberalisierung, die von Beginn des Jahres<br />
1981 bis etwa Ende 1982 anhielt, kam es Anfang 1983 zu einer radikalen<br />
Verschärfung der marokkanischen Importregulierungen. Zwischen März und<br />
Mai waren sämtliche nach Marokko eingeführten Produkte einer mengenmäßigen<br />
Beschränkung unterworfen. Ab Mitte 1983 begann mit der dritten Phase ein<br />
allgemeiner Abbau von allen in den letzten Jahren im marokkanischen Außenhandel<br />
aufgebauten Restriktionen. Diese Phase wurde mit einer deutlichen Senkung<br />
der tarifären und nicht-tarifären Außenhandelsbarrieren bis etwa zu Beginn<br />
der 1990er Jahre abgeschlossen. In der vierten Phase hat Marokko seine weiter<br />
existierenden Außenhandelsrestriktionen im Rahmen von multilateralen und<br />
bilateralen Abkommen an eine Sequenz von zukünftigen Liberalisierungsschritten<br />
gebunden, wobei sich diese Maßnahmen bis zum Ende der Untersuchungsperiode<br />
in Bezug auf eine weitere Absenkung des allgemeinen Restriktionsniveaus<br />
noch nicht bemerkbar gemacht haben.<br />
87 Der mengenmäßig beschränkte Import von Gütern war etwa 2000 auf Reifen, gebrauchte<br />
Kleidung sowie eine Reihe von sicherheits- und gesundheitsrelevanten Gütern beschränkt (IMF<br />
Archives 2000c: 60, International Monetary Fund 2001a: 16).
100 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
4.2 Tunesien – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003<br />
4.2 Tunesien – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003<br />
4.2.1 Die Entwicklung der tunesischen Wechselkursregulierungen<br />
Das tunesische Dinar (D) war, ähnlich wie das marokkanische Dirham, bis in die<br />
frühen 1970er Jahre in einem festen Verhältnis zum U.S. Dollar in das weltweite<br />
System paritätischer Wechselkurse eingebunden. Nach dem Nixonschock im<br />
August 1971, der endgültigen Auflösung des Bretton-Woods-Systems im Mai<br />
1973 und der damit einhergehenden Abwertung des Dollars war das Dinar fest<br />
an den offiziellen Französischen Frank (FF) fixiert. Im Januar 1974 wurde diese<br />
Bindung zugunsten eines flexibleren Mechanismus aufgegeben. Seitdem ist der<br />
Wechselkurs zum FF täglich in Abhängigkeit von der Auf- und Abwertung des<br />
FF gegenüber der Deutschen Mark durch die tunesische Zentralbank festgelegt<br />
worden (IMF Archives 1975b: 72).<br />
Im April 1978 entschied sich die tunesische Regierung für eine Anbindung<br />
des Dinars an einen aus Französischem Franc, Deutscher Mark und U.S. Dollar<br />
zusammengesetzten Währungskorb. Die Gewichtung der einzelnen Währungen<br />
in diesem Korb war dabei in Abhängigkeit vom relativen Gewicht des in der<br />
jeweiligen Währung abgewickelten tunesischen Güter- und Zahlungsverkehrs<br />
festgesetzt (IMF Archives 1979e: 12, 1979f: 59). Dieses System blieb unverändert,<br />
bis dem Währungskorb im April 1981 die Italienische Lira (IMF Archives<br />
1985h: 5, 1985i: 46) und im Frühjahr 1984 die Spanische Peseta, der Belgische<br />
Franc und der Niederländische Gulden hinzugefügt wurden (IMF Archives<br />
1985i: 48, 1985h: 5).
4.2 Tunesien – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 101<br />
200<br />
190<br />
180<br />
170<br />
REA L EFFECTIV E EXCHA NGE RA TE,<br />
INDEX 2000=100 (linke Skala)<br />
160<br />
150<br />
140<br />
NOMINA L EFFECTIV E EXCHA NGE<br />
RATE, INDEX 2000=100 (linke Skala)<br />
130<br />
120<br />
110<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
OFFICIA L RA TE, Dinar per U.S.$<br />
(rechte Skala)<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Q1<br />
1960<br />
Q1<br />
1962<br />
Q1<br />
1964<br />
Q1<br />
1966<br />
Q1<br />
1968<br />
Q1<br />
1970<br />
Q1<br />
1972<br />
Q1<br />
1974<br />
Q1<br />
1976<br />
Q1<br />
1978<br />
Q1<br />
1980<br />
Q1<br />
1982<br />
Q1<br />
1984<br />
Q1<br />
1986<br />
Q1<br />
1988<br />
Q1<br />
1990<br />
Q1<br />
1992<br />
Q1<br />
1994<br />
Q1<br />
1996<br />
Q1<br />
1998<br />
Q1<br />
2000<br />
Q1<br />
2002<br />
Abbildung 4.2 Wechselkurs tunesisches Dinar / U.S. Dollar, Nominal Effective Exchange Index und Real Effective<br />
Exchange Index von 1960 bis 2004<br />
Quelle: IMF – International Financial Statistics, Online-Version<br />
Q1<br />
2004<br />
2,00<br />
1,80<br />
1,60<br />
1,40<br />
1,20<br />
1,00<br />
0,80<br />
0,60<br />
0,40<br />
0,20<br />
0,00
102 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Im Oktober 1985 wurde begonnen, das Dinar nominal abzuwerten (IMF Archives<br />
1986c: 5, 19f.), und bis zum Sommer 1986 verlor der nominale effektive<br />
Wechselkurs insgesamt mehr als 20 Prozent (IMF Archives 1986c: 20, 45,<br />
1986j: 9, 1987d: 5). 88 Ein Blick auf den ‚nominal effective exchange rate index<br />
in Abbildung 4.2 verdeutlicht diesen Abwertungsschritt grafisch.<br />
Nach dieser relativ kurzen Abwertungsphase kehrte die tunesische Zentralbank<br />
ab Herbst 1986 zur Politik eines stabilen Wechselkurses zurück. Das Dinar<br />
blieb mit dem erklärten Ziel, den realen Wechselkurs auf dem nach der Abwertung<br />
erreichten Niveau halten zu wollen, weiterhin an einen nach Handelsintensitäten<br />
gewichteten Währungskorb gebunden (IMF Archives 1987d: 12, 1987b:<br />
12). Zusätzlich wurde allerdings ein Anpassungsmechanismus eingeführt, der in<br />
Hinblick auf Inflationsdifferentiale zwischen den unterschiedlichen im Korb<br />
vertretenen Währungen korrigierte (IMF Archives 1999f: 13, International<br />
Monetary Fund 2002b: 4). 89 Die tunesische Regierung hat diese vom IWF als<br />
‚managed floating (IMF Archives 1992b: 8) bezeichnete Politik dann bis etwa<br />
Mitte der 1990er Jahre unverändert fortgesetzt (IMF Archives 1987d: 34, 1987b:<br />
37, 1988c: 60, 1988a: 28, 1989g: 28, 1989c: 36, 1990d: 38, 1990a: 34, 1991a:<br />
32, 1992b: 45, 1993i: 32, 1996e: 9).<br />
Parallel dazu durften seit 1989 tunesische Geschäftsbanken untereinander<br />
Devisen in Form von so genannten ‚future swaps handeln und so einen begrenzten<br />
Interbankenmarkt etablieren, auf dem allerdings allein Devisen untereinander<br />
getauscht werden konnten (IMF Archives 1989h: 7). Mit der Etablierung eines<br />
echten Interbankendevisenmarktes im März 1994 auf dem dann auch Dinar in<br />
Devisen getauscht werden durften, wurde dieses System dann in einen komplexeren<br />
Mechanismus überführt (The Economist Intelligence Unit 1996b: 35,<br />
1997c: 40). Dabei setzte die Zentralbank wie bisher den an einen inflationsbereinigten<br />
Währungskorb angelehnten zentralen Wechselkurs des Dinar fest. Ausgehend<br />
von diesem Niveau war es den Geschäftsbanken nun gestattet, innerhalb<br />
eines nach oben und unten ein Prozent breiten Bandes Devisen und Dinar mit<br />
anderen Banken zu handeln (IMF Archives 1994g: 13, 1994h: 2f). Gleichzeitig<br />
88 Wobei aus den Quellen nicht klar erkennbar wird, wie genau diese Abwertung technisch<br />
vollzogen wurde, d.h., ob Veränderungen im Währungskorb zu dieser Veränderung führten<br />
oder ob die Zentralbank einen oder mehrere nominale Wechselkurse zu den im Korb vertretenen<br />
Währungen verändert hat.<br />
89 “To that effect, frequent changes are made in the nominal exchange rate to compensate for the<br />
inflation differential with the main trading partners and competitors included in the exchange<br />
basket underlying the calculation of the effective exchange rate” (IMF Archives 1997f: 50).<br />
Ebenso (IMF Archives 1988a: 14, 1988c: 20, 31, 1996e: 16, The Economist Intelligence Unit<br />
1996b: 11, IMF Archives 1997e: 6, 11, The Economist Intelligence Unit 1997c: 14, 1998b: 12,<br />
IMF Archives 1999f: 13, The Economist Intelligence Unit 2000d: 41, International Monetary<br />
Fund 2002b: 4).
4.2 Tunesien – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 103<br />
war es ihnen aber verboten, mehr als fünf Prozent ihres Kapitals in einer ausländischen<br />
Währung bzw. zusammen mehr als 20 Prozent in allen ausländischen<br />
Währungen zu halten. Devisenbeträge, die dieses Niveau überstiegen, mussten<br />
am Abend des Tages an die Zentralbank verkauft werden (nivellement) (IMF<br />
Archives 1994h: 3, 1996f: 55). Bewegte sich der im Interbankendevisenmarkt<br />
ermittelte Wechselkurs aus dem Band um den offiziellen Wechselkurs heraus,<br />
dann hatte die Zentralbank zu intervenieren (IMF Archives 1997e: 6, 11, 1998g:<br />
31). Obwohl der IWF regelmäßig eine weitere Flexibilisierung dieses Systems<br />
anmahnte, wurden in den folgenden fünf Jahren keine weiteren Veränderungen<br />
vorgenommen. 90<br />
Erst seit 2000 begann die tunesische Zentralbank, ihre Mechanismen zur<br />
Bestimmung des realen effektiven Wechselkurses erneut in Hinblick auf wettbewerbsrelevante<br />
Indikatoren zu ergänzen und wich damit zum ersten Mal von<br />
einer auf reinen Inflationsdifferentialen basierenden Politik der Anpassung des<br />
Wechselkurses ab (International Monetary Fund 2001b: 13, 2002a: 16, 46,<br />
2003b: 6). Bis Ende 2001 wurde das Dinar infolge dieser Politik um insgesamt<br />
3,1 Prozent abgewertet (International Monetary Fund 2002a: 13). Diese graduellen<br />
Abwertungsschritte wurden 2002 und 2003 fortgesetzt (International<br />
Monetary Fund 2003b: 12). Auch diese Veränderungen sind in Abbildung 4.2<br />
anhand der Entwicklung der beiden Indizes für den realen und nominalen effektiven<br />
Wechselkurs gut zu erkennen.<br />
Zusammenfassend kann die Entwicklung der regulativen Ausgestaltung des<br />
tunesischen Wechselkursregimes zwischen 1970 und 2003 in vier Phasen unterteilt<br />
werden. Nach dem Zusammenbruch des Systems fester weltweiter Wechselkurse<br />
war das Dinar zunächst bis 1974 fest und bis 1978 unter Anwendung eines<br />
flexibleren Mechanismus an den offiziellen Französischen Franc gebunden. In<br />
der darauf folgenden zweiten Phase wurde das Dinar ab 1978 an einen nach<br />
90 “[…] the staff stressed the need for introducing greater flexibility, notably through a wider<br />
band around the central bank rate and larger permissible open foreign exchange positions for<br />
commercial banks” (IMF Archives 1994g: 15). “The staff welcomes the authorities’ intention<br />
to keep exchange rate policy under close review in light of external developments and possible<br />
changes in the real equilibrium rate. It encourages the authorities to further widen the role of<br />
market forces in the interbank foreign exchange market, and shift to the private sector the management<br />
of foreign exchange risk related to trade transactions or foreign borrowing by banks or<br />
enterprises” (IMF Archives 1997e: 13). “[…] while a somewhat greater scope for the play of<br />
market forces in exchange rate determination would help deepen the foreign exchange market<br />
and thereby strengthen exit options should the need arise” (IMF Archives 1998g: 13). “The<br />
mission suggested that exchange rate policy should be guided by a broader range of indicators<br />
such as developments in relative market shares, and in relative unit labor costs“(IMF Archives<br />
1999f: 13). „The real exchange rate targeting that has guided exchange rate policy would have<br />
to be expanded to take into account a broader set of indicators” (International Monetary Fund<br />
2000: 7).
104 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Handels- und Zahlungsverkehrintensitäten gewichteten Währungskorb fixiert.<br />
Dieser Korb wurde bis Mitte der 1980er Jahre mehrmals angepasst und durch<br />
zusätzliche europäische Währungen ergänzt. Zwischen Oktober 1985 und Sommer<br />
1986 wertete die tunesische Währung in der dritten Phase dann über 20<br />
Prozent ab, um darauf folgend in der vierten Phase erneut an einen Währungskorb<br />
gebunden zu werden. Zusätzlich wurde ein permanenter Anpassungsmechanismus<br />
etabliert, der einen konstanten realen inflationsbereinigten Wechselkurs<br />
zwischen Tunesien und seinen wichtigsten Handelspartnern garantierte. Darüber<br />
hinaus ist diese Ergänzung ab 1994 durch die Etablierung eines eingeschränkten<br />
Interbankendevisenmarkts weiter flexibilisiert und ab etwa 2000 durch neue<br />
wettbewerbssensible Anpassungsmechanismen ergänzt worden.<br />
4.2.2 Die Entwicklung der tunesischen Zahlungsverkehrregulierungen<br />
Auch in Tunesien weist das System der staatlichen Zahlungsverkehrregulierungen<br />
zu Beginn der 1970er Jahre alle für ein Entwicklungsland damals typischen<br />
Merkmale auf: Tunesier durften keine Devisen im Inland halten, und alle im<br />
Ausland gemachten Erlöse mussten zurückgeführt und in Dinar umgetauscht<br />
werden. Allein Ausländern und im Ausland arbeitenden Tunesiern war es gestattet,<br />
Devisen oder konvertierbare Dinar-Konten zu eröffnen und darüber frei zu<br />
verfügen. Im- und Exporte von Kapital waren genehmigungspflichtig, und Dinar-Devisentransfers<br />
konnten nur zu bestimmten Zwecken und auch nur bis zu<br />
einer festgelegten Obergrenze von Tunesiern getätigt werden. In Tunesien arbeitende<br />
Ausländer durften nur einen Teil ihrer Einkommen ohne Einschränkungen<br />
ins Ausland transferieren. Zwar wurden auch bereits zu Beginn der 1970er Jahre<br />
ausländischen Investoren verschiedene Vergünstigungen gewährt und ein freier<br />
Rücktransfer von Investitionen und Gewinnen garantiert, allerdings war dies nur<br />
in bestimmten Sektoren und ausschließlich für neue Investitionen vorgesehen. In<br />
früheren Jahren in Tunesien investiertes Kapital konnte nur nach vorheriger<br />
Genehmigung und zu bestimmten Höchstbeträgen wieder aus dem Land ausgeführt<br />
werden. Kapitalexporte von Tunesiern waren nur gestattet, wenn diese in<br />
Verbindung mit der Etablierung von tunesischen Arbeitsplätzen standen. Die<br />
Kontrollen über den internationalen Zahlungsverkehr, inklusive der Genehmigungen<br />
für die Bereitstellung von Devisen zum Import von Gütern und Dienstleistungen,<br />
wurde durch die tunesische Zentralbank ausgeübt.<br />
In Bezug auf dieses allgemeine Bild einer prinzipiellen Restriktion des internationalen<br />
Zahlungsverkehrs gab es in Tunesien allerdings schon zu Beginn
4.2 Tunesien – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 105<br />
der 1970er Jahre eine Reihe von Ausnahmen. 91 Obwohl Zahlungen für nichthandelbare<br />
Güter einer grundsätzlichen Genehmigungspflicht durch die Zentralbank<br />
unterlagen, wurden diese bei einer Reihe von Transfers, die im Zusammenhang<br />
mit der Abwicklung des internationalen Handelsverkehrs standen (Frachtkosten,<br />
Versicherungen, Verwaltungsgebühren, ebenso wie Profite und Dividenden),<br />
nach Erfüllung einer entsprechenden Dokumentationspflicht freizügig<br />
erteilt. Andere Transaktionen, wie der Erwerb von Devisen durch Inländer für<br />
Auslandsreisen, waren hingegen durch monatliche oder jährliche Höchstbeträge<br />
eingeschränkt. Auch in Bezug auf die allgemeine Rückführungs- und Umtauschpflicht<br />
bestanden bereits zu Beginn der 1970er Jahre spezielle Regulierungen. So<br />
durften Exporteure und Hoteliers ab 1970 bis zu 2 Prozent und ab 1971 bis zu 6<br />
Prozent ihrer Einnahmen auf speziellen Devisenkonten halten und darüber im<br />
Zusammenhang mit Geschäftsreisen ins Ausland oder dem Import von Rohstoffen<br />
und Halbfertigprodukten frei verfügen. 92<br />
Zusätzlich zu diesen allgemeinen Regulierungen wurden auch in Tunesien<br />
zu Beginn der 1970er Jahre bis zu 7 Prozent der Importe und rund 10 Prozent der<br />
Exporte über bilaterale Zahlungsabkommen abgewickelt. 93 Der Anteil dieser<br />
Zahlungsverkehrform verringerte sich in den darauf folgenden Jahren stetig, und<br />
bereits 1975 waren alle diese bilateralen Vereinbarungen entweder formal beendet<br />
oder inaktiv (IMF Archives 1975a: 11).<br />
Im Verlauf der 1970er Jahre wurden dann allein zwei wichtige Veränderungen<br />
im bestehenden System der tunesischen Zahlungsverkehrbeschränkungen<br />
vorgenommen. Ab April 1972 wurde exportorientierten Unternehmen, die durch<br />
mindestens 66 Prozent ausländischer Direktinvestitionen neu gegründet wurden,<br />
ein freier Rücktransfer der gemachten Investitionen und Exporterlöse garantiert<br />
(IMF Archives 1973h: 82). Seit Juli 1976 war es ausländischen Finanzinstituten<br />
und Banken erlaubt, von Tunesien aus ihre Finanzprodukte in Form eines so<br />
genannten ‚off-shore bankings’ für diese neu gegründeten exportorientierten<br />
Unternehmen anzubieten (IMF 1977: 454).<br />
Im Gegensatz dazu blieb die Qualität der staatlichen Regulierung für die<br />
meisten Tunesier bis Mitte der 1980er Jahre unberührt. Einzig die jährlichen<br />
Höchstbeträge in Bezug auf Dinar-Devisentransfers für Reisen ins Ausland wurden<br />
neben den monatlichen Transferbeträgen für Studienaufenthalte in unregel-<br />
91 Für Übersichten zur tunesischen Zahlungsverkehrregulierung zu Beginn der 1970er Jahre vgl.<br />
beispielsweise IMF Archives (1971g: 75-84, 1972f: 83-89).<br />
92 Tabelle 9.5 im Anhang fasst eine Auswahl der wichtigsten in den Quellen angegebenen Einschränkungen<br />
zusammen und führt diese mit den entsprechenden Ausnahmen für die gesamte<br />
Untersuchungsperiode zusammen.<br />
93 Zu Beginn der 1970er Jahre bestanden mit Ägypten, Bulgarien, der VR China, der SSR, der<br />
DDR, Indien, Polen, Rumänien, Ungarn und der UDSSR bilaterale Zahlungsabkommen (IMF<br />
Archives 1972f: 86).
106 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
mäßigen Abständen nach oben angepasst (vgl. dazu im Anhang Tabelle 9.5 auf<br />
S. 346). Einzige Ausnahme dazu war, dass im Verlauf des Jahres 1985 verschiedene<br />
Elemente der jährlich für Auslandsreisen zu Verfügung stehenden Devisenhöchstbeträge<br />
eingeschränkt wurden (IMF Archives 1986l: 65).<br />
Mit den ab 1986 implementierten IWF-Stabilisierungsprogrammen war<br />
dann ein Abbau von ausgewählten Restriktionen im internationalen Zahlungsverkehr<br />
verbunden: Im Jahr 1987 wurde es tunesischen Inländern erlaubt, Devisenkonten<br />
oder konvertierbare Dinarkonten zu eröffnen, falls die darauf einbezahlten<br />
Einlagen aus legalen beruflichen Aktivitäten im Ausland (keine Exporte<br />
von Waren und Dienstleistungen) stammten (IMF Archives 1987f: 69). 1989<br />
wurde das seit den 1970er Jahren bestehende Privileg der exportorientierten<br />
Unternehmen und Hoteliers, bis zu 10 Prozent der eigenen Devisenerlöse auf<br />
Devisenkonten zur eigenen Verfügung verwenden zu dürfen, auf alle Tunesier<br />
ausgedehnt. Unternehmen und Dienstleister, die mehr als 15 Prozent ihrer Produkte<br />
exportierten, durften darüber hinaus bis zu 20 Prozent der eigenen Exporterlöse<br />
auf Devisenkonten halten, um diese Ressourcen für Importe und andere<br />
im Ausland entstehende Kosten einzusetzen. Zulieferern exportorientierter Industrien<br />
wurde es in diesem Zuge gestattet, bis zu 4 Prozent ihrer Erlöse auf<br />
konvertierbaren Dinarkonten anzulegen (IMF 1990: 502, IMF Archives 1990e:<br />
19). 94 Infolge dieser Ausdehnung des Devisenbestandes innerhalb der tunesischen<br />
Ökonomie gestattete die Regierung die Etablierung eines begrenzten<br />
Interbankenmarktes, auf dem jedoch nur Devisen gegen Devisen, inklusive so<br />
genannter ‚future swaps, getauscht werden durften (vgl. dazu auch Abschnitt<br />
4.2.1 oben) (IMF Archives 1990e: 20).<br />
In den folgenden Jahren setzte sich diese Liberalisierung in kleinen Schritten<br />
fort, indem die jährlichen Höchstbeträge zum Devisentausch für touristische<br />
und geschäftliche Reisen und Ausbildungsaufenthalte im Ausland regelmäßig<br />
erhöht wurden (vgl. dazu die Angaben in Tabelle 9.5 im Anhang). Erst ab 1993<br />
wurden dann eine Reihe von weitergehenden Veränderungen vorgenommen: Mit<br />
der Freigabe aller Transaktionen für Ausländer erklärte Tunesien im Januar 1993<br />
die im Sinne des Artikels VIII (Paragraphen 2, 3 und 4) der IWF-Statute verstandene<br />
Konvertibilität seines internationalen Zahlungsverkehrs (IMF Archives<br />
1993j: 43-45). 95 Durch die Verabschiedung eines neuen Investitionsgesetzes<br />
wurde gleichzeitig allen ausländischen Direktinvestitionen ein uneingeschränktes<br />
Rückführungsrecht garantiert und inländischen Kreditinstituten und Unternehmen<br />
erlaubt, Kredite an ausländische Unternehmen zu vergeben bzw. von ausländischen<br />
Banken zu beziehen (IMF 1994: 517, IMF Archives 1996f: 54).<br />
94 Davon ausgenommen waren allein die Unternehmen des Chemie- und Energiesektors (IMF<br />
1990: 502, IMF Archives 1990e: 19).<br />
95 Vgl. dazu die Anmerkungen aus Fußnote 79.
4.2 Tunesien – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 107<br />
Nunmehr durften alle tunesischen Exporteure bis zu 40 Prozent ihrer Exporterlöse<br />
auf Devisenkonten halten, und es wurde ihnen zum ersten Mal gestattet, in<br />
begrenztem Umfang (bis zu D 100.000) Investitionen, die in direktem Zusammenhang<br />
mit den eigenen Exportaktivitäten stehen, vorzunehmen (IMF 1994:<br />
516-517, IMF Archives 1996f: 54).<br />
1995 wurde es ausländischen Investoren erlaubt, bis zu 10 Prozent von börsennotierten<br />
und bis zu 30 Prozent von nicht-börsennotierten tunesischen Unternehmen<br />
zu erwerben (IMF 1996: 488, IMF Archives 1996e: 12). 1997 wurden<br />
die Summen, die Exporteure im Ausland im Zusammenhang mit geschäftlichen<br />
Aktivitäten investieren durften, auf D 200.000 verdoppelt (IMF Archives 1997f:<br />
55, IMF 1998: 916-917). Zudem wurde es ausländischen Investoren generell<br />
gestattet, bis zu 50 Prozent eines tunesischen Unternehmens zu erwerben (IMF<br />
1998: 914, IMF Archives 1998g: 16, 1999g: 45). Ab Februar 1999 durften bis zu<br />
50 Prozent der Exporterlöse von tunesischen Unternehmen in Devisen gehalten<br />
und zusätzlich maximal bis zu 50 Prozent von den existierenden Devisenguthaben<br />
eines Unternehmens im Ausland als Kredit aufgenommen werden (IMF<br />
1999: 891, IMF Archives 1999g: 45). Die Grenze der von der Umtauschpflicht<br />
befreiten Devisenerlöse bei exportorientierten Unternehmen wurde im November<br />
2003 auf 70 Prozent erhöht (IMF 2004: 976).<br />
Trotz dieser relativ weitgehenden Liberalisierungen waren am Ende der<br />
Untersuchungsperiode weiterhin wichtige Bereiche des internationalen tunesischen<br />
Zahlungsverkehrs nicht vollständig freigegeben. So konnten Tunesier auch<br />
Ende 2003 nicht unbegrenzt Dinar in Devisen tauschen (vgl. für die zu diesem<br />
Zeitpunkt existierenden Höchstgrenzen Tabelle 9.5 im Anhang), ohne Einschränkungen<br />
im Ausland investieren oder Kredite aufnehmen und mussten sämtliche<br />
inländische Transaktionen in Dinar abwickeln (IMF 2004: 966). Die Erlöse tunesischer<br />
Exporteure und Dienstleister unterlagen zu diesem Zeitpunkt weiterhin<br />
einer allgemeinen Rückführungs- und Umtauschpflicht, obwohl Exporteure<br />
inzwischen über zwei Drittel ihrer durch Warenexporte erworbenen Erlöse in<br />
Devisen halten durften. Zwar konnten in Tunesien am Ende der Untersuchungsperiode<br />
alle Transaktionsformen im Zusammenhang mit dem internationalen<br />
Warenverkehr ebenso wie alle ausländischen Direktinvestitionen frei von Restriktionen<br />
getätigt werden, doch blieben beispielsweise ausländische Investitionen<br />
in bestehende tunesische Unternehmen auf maximal 49 Prozent beschränkt, und<br />
in Tunesien angestellte Ausländer konnten im Normalfall nur bis zu 50 Prozent<br />
ihrer erworbenen Einkommen ins Ausland transferieren. 96<br />
Zusammenfassend lässt sich die Entwicklung der tunesischen Zahlungsverkehrregulierungen<br />
in zwei Phasen unterteilen. In der ersten Phase zwischen<br />
96 Vgl. für eine Übersicht der zu diesem Zeitpunkt verbleibenden Restriktionen des internationalen<br />
Zahlungsverkehrs (International Monetary Fund 2002b: 60-66).
108 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
1970 bis Mitte der 1980er Jahre war der internationale Zahlungsverkehr für Inwie<br />
Ausländer auf Grund der allgemeinen Rückführungs- und Umtauschpflichten<br />
für Devisen auf der einen Seite und einem allgemeinen Exportverbot für<br />
inländisches Kapital und geringen Höchstbeträgen für Dinar-Devisentransfers<br />
auf der anderen Seite stark eingeschränkt. Allein durch eine auf den Exportsektor<br />
und ausländische Direktinvestitionen fokussierte Einführung von Ausnahmeregulierungen<br />
wurden diese allgemeinen Prinzipien schon in den frühen 1970er<br />
Jahren aufgeweicht. Aber erst mit der Implementierung einer durch den IWF und<br />
die Weltbank unterstützten Politik ökonomischer Stabilisierung und Strukturanpassung<br />
wurde ähnlich wie in Marokko einige Jahre früher auch in Tunesien ab<br />
1986 begonnen, allgemeine Barrieren im internationalen Zahlungsverkehr abzubauen.<br />
Beginnend mit der Aufhebung des allgemein Verbots für Inländer, innerhalb<br />
Tunesiens Devisen zu halten, war damit vor allem eine schrittweise Aufweichung<br />
der Umtauschpflicht für die im Ausland erworbenen Devisenerlöse<br />
verbunden. Diese Entwicklung fand 1993 mit der Erklärung der Zahlungsbilanzkonvertibilität<br />
für Ausländer, einer weiteren Ausdehnung der erlaubten Devisenhaltung<br />
und der ersten Ausnahmeregulierung für Kapitalexport exportorientierter<br />
tunesischer Unternehmen ihren vorläufigen Höhepunkt. In den Folgejahren wurden<br />
dann, abgesehen von der Aufhebung des Verbots ausländischer Beteiligungen<br />
an bereits bestehenden tunesischen Unternehmen, vor allem bereits existierende<br />
Ausnahmeregulierungen für Inländer weiter ausgebaut. Dennoch bleibt<br />
am Ende der Untersuchungsperiode vor allem der internationale Zahlungsverkehr<br />
für tunesische Inländer weiterhin durch staatliche Regulierungen eingeschränkt.<br />
Weder dürfen Tunesier uneingeschränkt Kapital exportieren oder über<br />
ihre eigenen Devisenerlöse verfügen, noch unbegrenzt Dinar in Devisen tauschen.<br />
4.2.3 Die Entwicklung der tunesischen Handelsregulierungen<br />
Das System der tunesischen Handelsregulierungen war bereits zu Beginn der<br />
1970er Jahre relativ spezifisch ausdifferenziert. Neben einer allgemeinen Zahlungsautorisierung,<br />
die für alle Importe von der Zentralbank eingeholt werden<br />
musste, waren mögliche Importe einer von zwei Kategorien zugeordnet. (1.) Für<br />
so genannte liberalisierte Importe musste allein eine Importzertifizierung erworben<br />
werden (régime du certificat d’importation), mit dem ohne weitere Einschränkungen<br />
entsprechende Waren importiert werden konnten. Darunter fielen<br />
(a) Importe von exportorientierten Industriebetrieben zur eigenen Verwendung<br />
innerhalb jährlich neu zu beantragender monetärer Budgets und (b) Importe von<br />
Ersatzteilen bis zu einem Wert von D 500 unter Verwendung von so genannten
4.2 Tunesien – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 109<br />
‚cartes d’importation, die praktisch von allen kleineren und mittleren Unternehmen<br />
erworben werden konnten. (2) Für alle anderen Produkte mussten Importlizenzen<br />
erworben werden. Dabei wurde zwischen drei unterschiedlichen<br />
Kategorien unterschieden: (a) Vor allem landwirtschaftliche Produkte und Produkte<br />
von „[…] newly established industries“ (IMF Archives 1971g: 78) waren<br />
mit einem generellen Importverbot belegt. Die Einfuhr dieser Produkte wurde<br />
nur lizenziert, wenn es zu einer temporären Knappheit auf dem tunesischen<br />
Markt kommen sollte. (b) Jährlich neu festgelegte globale mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen<br />
existierten für Güter, die auf einer zweiten Liste erfasst<br />
wurden. Dazu gehörten Anfang der 1970er Jahre beispielsweise Milchprodukte,<br />
Früchte, Kaffee, Tee, Zucker, Textilien und Kleidung. Importlizenzen wurden in<br />
dieser Kategorie nur innerhalb jährlicher Quoten vergeben. (c) Auf einer dritten<br />
Liste standen Produkte, deren Import durch Industriebetriebe und staatliche Unternehmen<br />
unter jährlich neu festgelegten betriebsbezogenen Mengenbeschränkungen<br />
getätigt werden durfte.<br />
Zusätzlich existierte eine Reihe weiterer produktbezogener spezifischer bilateraler<br />
Importquoten, die sich alljährlich in Abhängigkeit vom jeweils zugrunde<br />
liegenden Handelsabkommen veränderten. So waren in einem Abkommen mit<br />
Frankreich beispielsweise die mengenmäßigen Importe von hochwertigen Konsumgütern<br />
wie Parfümen, Kosmetika, Seifen, Kleidung und eine Reihe von<br />
elektrischen Haushaltsgeräten festgelegt (IMF Archives 1971g: 78). In Bezug<br />
auf Warenimporte aus dem damaligen europäischen Wirtschaftsraum insgesamt<br />
existierten weitere unterschiedliche zum Teil jährlich steigende präferentielle<br />
Importquoten (vgl. dazu IMF Archives 1972f: 85). Zudem durfte die Einfuhr<br />
einer Reihe von Massengütern allein durch staatliche Organisationen erfolgen.<br />
So wurden beispielsweise Kaffee, Tee, Zucker sowie verschiedene Früchte wie<br />
Bananen ausschließlich durch das ‚Office du Commerce importiert (IMF Archives<br />
1971g: 80, 1972f: 86) und Importe von Rohstoffen wie Bauholz, Papier und<br />
einigen metallurgischen Ausgangs- und Halbfertigprodukten allein durch Mitglieder<br />
staatlicher Importverbunde getätigt. 97<br />
Im Vergleich zu diesem komplexen Importregulierungssystem war das tunesische<br />
Exportregime relativ freizügig ausgestaltet. Die meisten im Land selbst<br />
produzierten Produkte konnten ohne staatliche Einschränkungen frei ausgeführt<br />
werden. Eine Exportlizenz war nur für eine Reihe von Lebensmitteln wie Fisch<br />
und Fleisch und für alle Exporte in Länder mit einem bilateralen Handelsvertrag<br />
erforderlich. Der Export von Wein, Getreide, Olivenöl, Erdöl und Phosphaten<br />
wurde ausschließlich durch staatliche Handelsagenturen oder Staatsunternehmen<br />
getätigt (IMF Archives 1972f: 88, IMF 1975: 473-474).<br />
97 Vgl. zu Übersichten über die tunesischen Außenhandelsregulierungen zu Beginn der 1970er<br />
Jahre beispielsweise IMF Archives (1971g: 75-84, 1972f: 83-89, 1975b: 76-85).
110 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
War der Anteil der liberalisierten Importe zu Beginn der 1970er Jahre noch<br />
relativ gering, wurden die im Rahmen eines jährlich zu erwerbenden Importzertifikats<br />
vergebenen Einfuhrmöglichkeiten in den folgenden Jahren deutlich ausgeweitet,<br />
so dass im August 1973 bereits 20 Prozent aller Importe über dieses<br />
vereinfachte System abgewickelt werden konnten (vgl. für eine Übersicht zum<br />
jährlichen Volumen der über die einzelnen Elemente des tunesischen Handelssystems<br />
abgewickelten Importe Tabelle 9.6 auf S. 358 im Anhang) (IMF Archives<br />
1973g: 13). Von April 1972 an war es exportorientierten Unternehmen, die<br />
mit mindestens 66 Prozent ausländischen Kapitals neu gegründet worden waren,<br />
erlaubt, Investitionsgüter ebenso wie weiterzuverarbeitende Güter und Dienstleistungen<br />
ohne jegliche Einschränkungen und ohne tarifäre Belastungen zu<br />
importieren (IMF Archives 1972e: 14-15, 1972f: 88).<br />
In einer Reform der Zollsätze im September 1973 wurde eine Reihe von<br />
Veränderungen in Bezug auf die tarifären tunesischen Importbarrieren implementiert.<br />
So wurden Zollsätze für industrielle oder landwirtschaftliche Investitionsgüter<br />
entweder ganz beseitigt oder auf 3 bis 6 Prozent reduziert sowie Rohstoffe<br />
und Halbfertigprodukte ab sofort nur noch zwischen 6 und 13 Prozent<br />
verzollt. Auf der anderen Seite wurden für im Inland hergestellte Fertigwaren<br />
und landwirtschaftliche Produkte die Importzölle auf 20 bis 40 Prozent erhöht<br />
und gleichzeitig der Import von hochwertigen Konsumgütern mit gestiegenen<br />
Zöllen zwischen 40 und 60 Prozent belastet (IMF Archives 1973g: 14, 1973h:<br />
47).<br />
In den folgenden Jahren setzte sich der zu Beginn der 1970er Jahre begonnene<br />
Trend einer schwachen und selektiven Liberalisierung durch die Ausweitung<br />
der auf der liberalisierten Liste stehenden Importe und die Ausdehnung des<br />
Systems der jährlichen Importbudgets auf weitere Unternehmen, wie zum Beispiel<br />
Großhändler, fort (IMF Archives 1977d: 11, 1977e: 70). Abgesehen von<br />
der Etablierung so genannter ‚comissions d’achat im April 1975, die, zusammengesetzt<br />
aus Vertretern unterschiedlicher Ministerien und der Zentralbank, die<br />
jährlichen Importquoten für eine Reihe von Lebensmitteln festzulegen hatten,<br />
und der Einführung einer Importsteuer (taxe spéciale de compensation) im März<br />
1978 (IMF Archives 1978h: 59, 1979e: 13, 1979f: 67) wurden im weiteren Verlauf<br />
der 1970er und 1980er Jahre keine weiteren nennenswerten Änderungen in<br />
diesem System vorgenommen. 98<br />
Erst zu Beginn des Jahres 1983 änderte sich diese Situation. Im Verlauf der<br />
Festlegung für die jährlichen Importbudgets von Industriebetrieben entschied die<br />
tunesische Regierung, diese auf dem Niveau des Vorjahrs einzufrieren. Die erlaubten<br />
Importe von Groß- und Einzelhändlern wurden darüber hinausgehend im<br />
98 Einzige Ausnahme dazu ist, dass 1981 Einzelhändler in das System der jährlichen Autorisierung<br />
von Importbudgets aufgenommen wurden (IMF Archives 1982e: 55, 1982d: 5).
4.2 Tunesien – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 111<br />
Vergleich zum Vorjahresniveau deutlich reduziert (IMF Archives 1983f: 41,<br />
1984f: 4-6, 1984h: 50). 99 Obwohl sich bei der relativen Verteilung der unterschiedlichen<br />
Restriktionsformen in Bezug auf die gesamten Warenimporte in<br />
diesem Zusammenhang keine Änderungen zeigen, lässt sich der Rückgang der<br />
Importniveaus im Vergleich zum Vorjahr in der dritten Spalte in Tabelle 9.6 auf<br />
S. 358 im Anhang gut erkennen.<br />
In der Mitte des Jahres 1985 wurden erneut weitergehende Importrestriktionen<br />
implementiert, indem der bislang freizügig geregelte Import von Investitionsgütern<br />
– bisher war nach Zustimmung der entsprechenden Investitionskommission<br />
dem Investor der Import aller damit verbundenen Güter ohne weitere<br />
mengenmäßige Beschränkungen erlaubt – mit einer allgemeinen Lizenzpflicht<br />
belegt (IMF Archives 1985h: 5, 1985i: 49, 1986l: 64-65) und eine Reihe von<br />
Zollsätzen um zehn Prozent angehoben wurden (IMF Archives 1987f: 27). Zur<br />
gleichen Zeit wurde eine Reihe von exportfördernden Maßnahmen erlassen.<br />
Beispielsweise wurde als neue Kategorie innerhalb des Importregimes eine Regulierung<br />
eingeführt, die für in Tunesien weiter zu verarbeitende Güter vereinfachte<br />
Importprozeduren vorsah (IMF Archives 1985i: 49). Neben einer Reihe<br />
von institutionellen Veränderungen (Gründung von staatlichen Exportunternehmen)<br />
und der Verbesserung von ausgewählten Exportfinanzierungsmaßnahmen<br />
wurden für exportorientierte Unternehmen und Hoteliers zum einen die jährlichen<br />
Devisenhöchstgrenzen für Auslandreisen heraufgesetzt und diesen Unternehmen<br />
zum anderen gestattet, Importe für den laufenden Produktionsprozess<br />
aus eigenen Devisenbeständen bis zu einem Warenwert von D 20.000 lizenzfrei<br />
einzuführen (vgl. dazu IMF Archives 1985i: 49-50, 1985h: 8-9). Darüber hinaus<br />
wurde eine spezielle Importsteuer implementiert, deren Einnahmen direkt in<br />
exportfördernde Maßnahmen flossen (IMF Archives 1993j: 42). Zu Jahresbeginn<br />
1986 wurden die Importrestriktionen dann erneut verschärft und die ursprünglich<br />
99 “For 1983, in view of the less-than-favorable prospects for exports, the Tunisian authorities<br />
expressed their intention to limit the current account deficit by directly containing imports<br />
through a tightening of the import licensing system” (IMF Archives 1983c: 12). “In 1983 the<br />
process of relaxation of the degree of restrictiveness of the trade system was interrupted […]<br />
At the beginning of the year the annual import authorizations that are issued to industrialists<br />
were limited to 80 percent of the 1982 level; an additional 20 percent of the previous year levels<br />
was released in the second half of the year. The amount of imports under quotas and under<br />
the annual import programs, which are agreed with merchants and are executed under licenses,<br />
was significantly reduced from the 1982 level […] in particular, the authorities aimed at containing<br />
imports of nonessential consumer goods. The share of liberalized imports (regime of<br />
the import certificate) remained at a level close to that in 1982 (21 percent of total imports in<br />
1983 versus 22 percent in 1982). At the end of 1983 the authorities modified the system of annual<br />
import authorizations by permitting the carryover in the next year of the unused margin, in<br />
order to put an end to the acceleration of imports at the end of each year that the previous system<br />
entailed” (IMF Archives 1984h: 50).
112 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
vorgesehenen Mengen an Warenimporten um etwa 10 Prozent gekürzt (IMF<br />
Archives 1986j: 7-8, 1986l: 65).<br />
Nach diesen Episoden selektiver Veränderungen des tunesischen Außenhandelsregimes<br />
kam es in den folgenden Jahren im Zusammenhang mit den vom<br />
IWF und der Weltbank unterstützten ökonomischen Stabilisierungs- und Strukturanpassungsprogrammen<br />
zu einem kontinuierlichen Abbau von restriktiven<br />
Regulierungsformen. Damit begonnen wurde im Herbst 1986, als die Importe<br />
von Rohstoffen und Halbfertigprodukten für Unternehmen, die zu mindestens 25<br />
Prozent für den Export produzierten, sowie Ersatzteile für den landwirtschaftlichen<br />
Sektor und das Gesundheitssystem in die freizügige Kategorie der ‚import<br />
certificats transferiert wurden (IMF Archives 1986c: 18, 1987f: 68). Bald darauf<br />
wurden auch Importe für neue Investitionsprojekte und Rohstoffe für die pharmazeutische<br />
Industrie von der Pflicht zur Importlizenz befreit (IMF Archives<br />
1986c: 18, 1987f: 68), bevor im Februar 1987 die Grenze für den lizenzfreien<br />
Import von Rohstoffen und Halbfertigprodukten auf Unternehmen mit 15 Prozent<br />
Exportanteil ausgedehnt wurde. Im Sommer 1987 wurde der lizenzfreie<br />
Import dieser Güter allen Unternehmen erlaubt, vorausgesetzt, dass das Importvolumen<br />
nicht das Exportvolumen überstieg. Zudem wurden eine Reihe von<br />
administrativen Erleichterungen im Zusammenhang mit Warenimporten und -<br />
exporten erlassen (IMF Archives 1986c: 18, 1987f: 68, IMF 1988: 488, IMF<br />
Archives 1993j: 42).<br />
Gleichzeitig wurde ab etwa 1987 das System der Importzölle reformiert, der<br />
Maximalzoll schrittweise von 236 auf 52 Prozent (1987) bzw. auf 43 Prozent<br />
(1988) reduziert und der Mindestzollsatz von 5 auf 10 Prozent angehoben. Darüber<br />
hinaus wurden die dazwischen liegenden Zollsätze um bis zu 6 Prozent verringert<br />
(IMF Archives 1987d: 11, 1988a: 5, 1989h: 5, 1990e: 18) und für eine<br />
Reihe von landwirtschaftlichen und Halbfertigprodukten zeitweise die Einfuhrumsatzsteuer<br />
sowie die Importsteuer abgeschafft (IMF Archives 1990e: 18).<br />
Parallel dazu wurde die 10-prozentige Importsteuer und die erst 1985 eingeführte<br />
Importsteuer, die direkt in exportfördernde Maßnahmen floss, in die existierenden<br />
Zollsätze integriert und der Minimalzoll für die meisten Produkte im<br />
Januar 1988 auf insgesamt 17 Prozent angehoben (IMF Archives 1988c: 20,<br />
1993j: 42).<br />
Diesen Liberalisierungstrend zu Beginn der 1990er Jahre fortsetzend, ist der<br />
Anteil der Importe mit mengenmäßigen Beschränkungen auch in den Folgejahren<br />
weiter reduziert worden (vgl. dazu die Angaben in Tabelle 9.6 im Anhang<br />
auf S. 358). Während in der ersten Phase ab 1986 vor allem der Import von Rohstoffen,<br />
Investitions- und Halbfertiggütern liberalisiert worden war, ging man<br />
nun daran, auch für in Tunesien selbst hergestellte Güter Importbeschränkungen<br />
abzubauen. So etwa im Januar 1992, als die Importquoten für etwa 900 unter-
4.2 Tunesien – Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 113<br />
schiedliche Güter reduziert bzw. abgeschafft und gleichzeitig deren Einfuhr mit<br />
Schutzzöllen (droits compensatoires provisoires) zwischen 10 und 30 Prozent<br />
belegt wurde (IMF 1992: 498, IMF Archives 1992g: 16, 1993j: 43, 1997f: 9). 100<br />
Zum selben Zeitpunkt wurde auch eine allgemeine fünfprozentige Gebühr auf<br />
alle Zolleinnahmen eingeführt (IMF Archives 1993j: 43). Die Richtung dieser<br />
restriktiven Veränderungen innerhalb dieser zwei Phasen wurde vom IWF folgendermaßen<br />
eingeschätzt:<br />
“Although a substantial degree of trade liberalization has been undertaken, initially<br />
the effect was rather one of increasing effective protection as liberalization was first<br />
directed at raw materials and other inputs, while the subsequent removal of quantitative<br />
restrictions on consumer goods was accompanied by the introduction of complementary<br />
import tariffs, thereby reducing the impact of the liberalization” (IMF<br />
Archives 1997f: 51).<br />
1994 wurden die verbleibenden quantitativen Restriktionen in eine Negativliste<br />
überführt 101 und die 1992 eingeführte fünfprozentige Gebühr auf alle Zölle wieder<br />
abgeschafft (IMF Archives 1994g: 12). Abgesehen von der Implementierung<br />
von Schutzzöllen wurden seit 1990 keine weiteren Änderungen der tunesischen<br />
Zollstruktur vorgenommen (IMF Archives 1996f: 53). Die Exportmonopole der<br />
staatlichen Agenturen für Wein, Erdöl und Phospate blieben über diese gesamte<br />
Phase hinweg weiter bestehen. Das Monopol für Olivenöl wurde zwar 1993<br />
offiziell beendet, der Export in die EU, Hauptabnehmer für dieses Produkt, blieb<br />
allerdings weiter unter Kontrolle des ‚Office National de l’Huile (IMF Archives<br />
1996f: 53).<br />
Allein die ab Mitte der 1990er Jahre beginnende Einbindung des tunesischen<br />
Importregimes in eine Reihe von bi- und multilateralen Handelsabkommen<br />
hat in den folgenden Jahren zu einer Reihe von weiteren Anpassungen geführt.<br />
Wobei allein im Zuge der im Assoziationsabkommen mit der EU vereinbarten<br />
bilateralen Freihandelszone bis Ende 2003 einige der Zölle für industrielle<br />
Produkte abgesenkt werden mussten – Agrarprodukte waren in dieser Phase auf<br />
beiden Seiten vom Abbau weiterer Restriktionen ausgenommen (International<br />
Monetary Fund 2001b: 27). Die Mitarbeit Tunesiens im GATT (seit 1990) und<br />
die Mitgliedschaft in der WTO (seit 1994) führten im Gegensatz zu den bilatera-<br />
100 Ursprünglich geplant für 1995 wurden diese Schutzzölle dann aber erst 1997 endgültig wieder<br />
abgebaut (IMF 1992: 498, IMF Archives 1992g: 16, 1993j: 43, 1997f: 9).<br />
101 Diese Negativliste bestand aus zwei Teilen, einem Teil A und einem Teil B: Dabei enthielt<br />
Liste A mit eher permanenter Beschränkung Produkte, wie subventionierte Lebensmittel, verschiedene<br />
Früchte und Gemüse, Nutzkraftwagen und Produkte, deren Einfuhr aus Sicherheitsoder<br />
Gesundheitsgründen verboten wurde. Auf Liste B standen eher Waren, wie Kleidung und<br />
Personenkraftwagen, deren Einfuhr nur zeitweise beschränkt war (IMF Archives 1996f: 52).
114 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
len Vereinbarungen mit der EU zu keiner weiteren direkten Verringerung des<br />
tunesischen Restriktionsniveaus, da die dabei gebundenen Zollsätze die in der<br />
Praxis angewandten Zölle in der Regel deutlich überstiegen (IMF Archives<br />
1994g: 33, 1996f: 53, 1997f: 11, International Monetary Fund 2002b: 58-59,<br />
2003b: 19).<br />
Zusammenfassend kann die Entwicklung der tunesischen Handelsregulierung<br />
in insgesamt vier Phasen unterteilt werden. In einer ersten Phase wurde<br />
in den frühen 1970er Jahren mit einer Reihe von Liberalisierungsmaßnahmen<br />
begonnen, betriebs- und produktbezogene Importerleichterungen zu schaffen.<br />
Dabei ragen die bereits zu diesem frühen Zeitpunkt spezifisch für exportorientierte<br />
Unternehmen geschaffenen Import- und Investitionserleichterungen ganz<br />
besonders heraus. Ab etwa 1983 schließt sich die nur kurz anhaltende, bis 1986<br />
andauernde zweite Entwicklungsphase des tunesischen Handelssystems an. Neben<br />
einer allgemeinen Erhöhung von quantitativen Importbeschränkungen einerseits<br />
zielte diese Anpassung andererseits mit spezifischen regulativen Anpassungen<br />
auf den Aufbau und die Förderung einer exportorientierten tunesischen Industrie.<br />
Erst in der dritten Phase wurden ab Ende 1986 systematisch die meisten<br />
der quantitativen Importrestriktionen abgebaut und die tunesische Zollsstruktur<br />
vereinfacht, wobei sich die zu diesem Zeitpunkt angewandten tarifären Handelsbeschränkungen<br />
nicht reduzierten (vgl. dazu die Angaben zu den durchschnittlich<br />
verwendeten Zollsätzen in Tabelle 9.7 auf S. 360 im Anhang). Die ab Mitte<br />
der 1990er Jahre beginnende vierte Phase ist durch ihre Einbindung in bi- und<br />
multilaterale Handelsvereinbarungen vor allem für die über 2003 hinausgehende<br />
zukünftige Entwicklung des tunesischen Handelsregimes von Relevanz.<br />
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003<br />
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003<br />
4.3.1 Die Entwicklung der ägyptischen Wechselkursregulierungen<br />
Ägypten, seit Dezember 1945 Mitglied des IWF, hat bereits seit den 1950er<br />
Jahren nicht mehr am weltweiten System fester Wechselkurse partizipiert. Nach<br />
dem Putsch der Freien Offiziere 1952 und einer Reihe von unkoordinierten politischen<br />
Initiativen in der Außenwirtschaftspolitik entwickelte sich in Ägypten am<br />
Ende der 1950er Jahre ein komplexes System staatlicher Devisenbewirtschaftung.<br />
In diesem Kontext spielte der Wechselkurs eine zentrale Rolle.<br />
Zu Beginn der 1970er Jahre war das ägyptische Wechselkurssystem dreigeteilt.<br />
Neben einem offiziellen Wechselkurs existierte zweitens seit etwa 1968 ein<br />
offizieller Parallelmarkt, auf dem Wechselkurse zwischen Eigentümern von<br />
Devisenkonten mit den ägyptischen Geschäftsbanken als Partnern zu einem 35-
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 115<br />
prozentigen Abschlag auf den offiziellen Wechselkurs und ab etwa 1970 zu frei<br />
verhandelbaren Kursen getätigt werden konnten. Zusätzlich wurden drittens<br />
weite Teile der Außenhandelstransaktionen über bilaterale Zahlungsabkommen<br />
und damit über jeweils unterschiedliche länderspezifische Wechselkurse abgewickelt<br />
(IMF Archives 1970b: 34-35, 1971e: 35-36).<br />
Obwohl Ägypten nicht mehr an den offiziellen Mechanismen des Bretton-<br />
Woods-Systems partizipierte, war das ägyptische Pfund (LE) offiziell seit den<br />
1960er Jahren in einem konstanten unveränderten Wechselkurs zum U.S. Dollar<br />
fixiert (IMF Archives 1970a: 1, 1972a: 12, 1972b: 38, 1973e: 46). Erst im Februar<br />
1973, im Vorfeld des endgültigen Zusammenbruchs des weltweiten Systems<br />
präferentieller Wechselkurse und infolge der massiven Abwertungen des U.S.<br />
Dollar, wurde der offizielle Wechselkurs um etwas mehr als 10 Prozent gegenüber<br />
dem U.S. Dollar aufgewertet (IMF Archives 1973d: 12, 1973e: 46, 1976b).<br />
Bis auf eine Abwertung 1979 fanden in diesem Teil des ägyptischen Wechselkurssystems<br />
bis Ende 1989 keine weiteren Veränderungen statt.<br />
Das System bilateraler Zahlungsabkommen – 1970 bestanden mit über 30<br />
Staaten bilaterale Zahlungsabkommen 102 – hatte sich nach der Suezkrise von<br />
1956 und der zunehmenden Ausrichtung Ägyptens zum von der Sowjetunion<br />
dominierten Handelsblock des RGW 103 herausgebildet. 104 Mitte der 1970er Jahre<br />
wurden über diese Vereinbarungen etwa 75 Prozent der ägyptischen Exporte und<br />
bis zu 20 Prozent der Importe abgewickelt (IMF Archives 1976a: 9). Im weiteren<br />
Verlauf der 1970er und 1980er Jahre liefen die meisten dieser Abkommen aus.<br />
Das letzte bedeutende Abkommen mit der ehemaligen UDSSR wurde 1992 beendet<br />
(IMF Archives 1992e: 19).<br />
Mit der Entscheidung der ägyptischen Regierung im Juni 1968, das Eröffnen<br />
und Halten von Devisenkonten bei ägyptischen Geschäftsbanken durch<br />
ägyptische In- und Ausländer zu erlauben und diesen Kontotyp von der bisher<br />
gültigen allgemeinen Umtauschpflicht von Devisen auszunehmen (vgl. dazu<br />
ebenfalls die Ausführungen im folgenden Abschnitt 4.3.2) (IMF Archives 1969a:<br />
102 Ägypten, oder damals genauer die Vereinigte Arabische Republik (U.A.R), hatte 1970 mit<br />
folgenden Staaten bilaterale Zahlungsabkommen abgeschlossen: Albanien, Algerien, Bulgarien,<br />
Ceylon (später Sri Lanka), China (Volksrepublik), SSR, DDR, Ghana, Griechenland,<br />
Guinea, Indien, Irak, Jemen (Arabische Republik), Jemen (Volksrepublik), Jordanien, Jugoslawien,<br />
Korea (Demokratische Volksrepublik), Kuba, Mali, Marokko, Mongolei, Polen,<br />
Rumänien, Somalia, Spanien, Sudan, Syrien, Tunesien, Türkei, UDSSR, Ungarn, Vietnam<br />
(Demokratische Republik) und Jugoslawien (IMF Archives 1970b: 37).<br />
103 RGW steht für Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, ein Zusammenschluss der sozialistischen<br />
Staaten in Osteuropa.<br />
104 “The Egyptian representatives said that extensive resort to bilateral agreements had been made<br />
necessary by the Suez crisis, when the major part of Egypt’s exchange reserves had been<br />
blocked. They also asserted that trading methods with Eastern bloc countries required the use<br />
of this technique” (IMF Archives 1961: 14).
116 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Part II, 29-30, 1970b: 34, 1971d: 15), begann sich zusätzlich zu den beiden existierenden<br />
Devisentauschsystemen mit zum Teil unterschiedlichen, aber fixierten<br />
Wechselkursen, ein kleiner Devisenparallelmarkt zu entwickeln. Zum einen war<br />
innerhalb dieses Marktes ein von der Regierung bestimmter und mit einer 35-<br />
prozentigen Prämie versehener Wechselkurs vorgegeben, zu dem ägyptische<br />
Inländer und das gesamte offizielle ägyptische Bankensystem ihre Devisen in<br />
Pfund zu tauschen hatten (IMF Archives 1972a: 13, 1972b: 38). Zum anderen<br />
konnten im Ausland lebende Ägypter darüber hinausgehend ihre Devisen zu frei<br />
verhandelbaren Kursen an ägyptische Unternehmen oder Privatpersonen verkaufen.<br />
105 Bereits im Mai 1972 wurde die Wechselkursprämie, zu dem ägyptische Geschäftsbanken<br />
Devisen im Parallelmarkt tauschen konnten (IMF Archives<br />
1973d: 12), von ursprünglich 35 auf etwa 50 Prozent zum offiziellen Wechselkurs<br />
erhöht (IMF Archives 1973e: 39, 46) und nach der offiziellen Aufwertung<br />
des ägyptischen Pfund gegenüber dem U.S. Dollar im Februar 1973 erneut angepasst<br />
und auf 58 Prozent für die Kaufrate von Devisen und 65 Prozent für die<br />
Verkaufrate von Devisen festgelegt (IMF Archives 1973e: 46). In diesem offiziellen<br />
Parallelmarkt durften zum damaligen Zeitpunkt vor allem private Devisentransaktionen<br />
106 und die Importzahlungen des damals noch recht kleinen ägyptischen<br />
Privatsektors 107 abgewickelt werden. Alle vom Staat kontrollierten Expor-<br />
105 Inhabern von so genannten ,non-resident accounts war es gestattet „[…] to sell their funds<br />
direct to U.A.R. companies and individuals at freely negotiated rates of exchange […]“ (IMF<br />
Archives 1971d: 15).<br />
106 “On the buying side, the incentive scheme covers (1) amounts surrendered by debit to Foreign<br />
Currency External Accounts of Egyptian citizens, (2) proceeds from foreign currency savings<br />
of Egyptian nationals. However, the preferential rate is applicable only to savings net of the<br />
specified percentages of earnings abroad that must be repatriated and surrendered at the official<br />
rates. These percentages vary from 10 to 50 per cent, (3) sales of exchange in the form of bank<br />
transfers, travellers checks and banknotes converted to cover local expenditures by foreign<br />
tourists and by other foreign nationals holding an entry visa for purposes other than study or<br />
residence for more than three months, and (4) sales of exchange from the export of motion pictures<br />
and gramophone records” (IMF Archives 1973e: 47).<br />
107 “On the selling side, the purposes for which banks can sell foreign currency at these rates are<br />
mainly: (1) the pocket money allowance (equivalent to £stg. 30) for Egyptian citizens travelling<br />
abroad; (2) payments of transfers up to LE 75 (inclusive of the pocket money allowance)<br />
to residents obtaining an exit visa for tourism for old age or for a visit to a family member<br />
studying abroad; (3) payments or transfers up to LE 75 (inclusive of pocket money) for attendance<br />
of conferences; ( 4 ) payments of subscriptions to academic books and periodicals, certain<br />
membership dues, and correspondence courses, subject in each case to an annual limit of<br />
LE 50 per person or per private sector unit (£stg. 100 for university professors); and (5) payment<br />
of travel tickets for emigrants returning to Egypt, as well as tickets for their return abroad.<br />
In addition, sales of exchange are made to allow private sector enterprises to import raw materials,<br />
semimanufactures and spare parts as well as agricultural machinery and transportation<br />
equipment which previously were imported under the facility for imports without use of for-
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 117<br />
te, die Importe des öffentlichen Sektors und die allermeisten Zahlungen für<br />
nicht-handelbare Güter mussten zu Beginn der 1970er Jahre weiterhin über den<br />
offiziellen Wechselkurs der Zentralbank abgewickelt werden.<br />
Im September 1973 wurden dann aufbauend auf den 1968 begonnenen Reformen<br />
die Aktivitäten dieses offiziellen Parallelmarktes deutlich ausgeweitet<br />
(IMF Archives 1974c: 14, 1974d: 69). Damit durften von nun an alle privaten<br />
Transaktionen von nicht-handelbaren Gütern zu einem Wechselkurs umgetauscht<br />
werden, der nun wiederum neu mit einem 50-prozentigen bzw. 55-prozentigen<br />
Bonus beim Kauf bzw. Verkauf von Devisen im Verhältnis zum offiziellen<br />
Wechselkurs der Zentralbank festgesetzt wurde. Zusätzlich konnten die Exporttransaktionen<br />
einer Reihe von weniger bedeutenden Gütern ebenfalls über diesen<br />
neuen Parallelmarkt abgewickelt werden. Zudem wurde es zum ersten Mal auch<br />
Unternehmen des Staatssektors erlaubt, Importe, die über dem Verteilungsrahmen<br />
des zum offiziellen Wechselkurs getauschten Devisenbudgets lagen, über<br />
den Parallelmarkt zu finanzieren (IMF Archives 1974c: 14f, 1974d: 69-72,<br />
85f). 108 Im Vergleich zu den möglichen Transaktionen in der Periode seit 1968<br />
stellte dies eine massive Ausweitung der Parallelmarktaktivitäten dar. De facto<br />
waren damit bereits kurz vor dem Oktoberkrieg 1973 die Aktivitäten des offiziellen<br />
Devisenmarktes allein auf den Umtausch der Erlöse aus dem Export von<br />
eign exchange. This facility was eliminated effective end of June 1972. On an ad hoc basis,<br />
permission is also given for public sector imports financed at the incentive rate” (IMF Archives<br />
1973e: 47).<br />
108 “The following foreign exchange earnings were channelled through the parallel market: (1)<br />
savings and private remittances of Egyptians abroad; (2) receipts from foreign tourists (individual<br />
and group travel, but not airline or shipping fares earned by Egyptian transport companies);<br />
(3) funds transferred by citizens of Arab countries for purposes other than investment;<br />
(4) proceeds from exports of mostly nontraditional commodities (i.e., exports other than raw<br />
cotton, cotton yarn, and textiles, rice, petroleum and petroleum products, onions, garlic, potatoes,<br />
cement, and re-exports of foreign goods); and (5) 50 per cent of convertible currency<br />
proceeds in excess of annual export targets for cotton yarn and cotton textiles. In addition, the<br />
Minister of Finance, Economy, and Foreign Trade was empowered to allocate to the parallel<br />
market foreign exchange received from transactions effected in the official market […] The<br />
following outward payments could be made through the parallel market: (1) all permitted payments,<br />
on the basis of the existing exchange control regulations, for current invisibles by private<br />
individuals and the rest of the private sector, including travel expenses; (2) payments for<br />
private sector imports of production requirements, machinery, instruments and spare parts for<br />
industrial, agricultural, professional, and handicraft production; (3) payments for imports by<br />
the public and private actors of the tourist industry, machinery, instruments, and spare parts;<br />
(4) payments for other current invisibles and production requirements, when financed from the<br />
payer’s own receipts from exports or tourism; (5) payments for any other import transaction<br />
that might be approved by the Ministry of Finance, Economy, and Foreign Trade, such as luxury<br />
items needed in the tourist sector, or machinery, etc. needed by the private sector or the<br />
tourist sector and imported by a Foreign Trade Company to meet overall domestic requirements”<br />
(IMF Archives 1974d: 86).
118 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Baumwolle, Baumwollgarnen und Textilien, Reis, Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten,<br />
Zement, Erdöl und Erdölprodukten auf der einen Seite und den LE-<br />
Devisentransaktionen für die Importe des öffentlichen Sektors auf der anderen<br />
Seite reduziert (IMF Archives 1974d: 70). 109<br />
Im Juni des folgenden Jahres 1974 wurden die Anpassungen innerhalb des<br />
ägyptischen Wechselkurssystems weiter vorangetrieben. Diese Veränderungen<br />
betrafen mehrere Bereiche und führten de facto zur Etablierung eines vierten,<br />
nun aber freien Devisenmarktes, der nun mit dem offiziellen Wechselsystem der<br />
Zentralbank, einer Reihe von durch bilaterale Verträge abgesicherten Zahlungsverkehrsystemen<br />
mit ausgewählten Ländern und dem offiziellen Parallelmarkt<br />
der staatlichen ägyptischen Geschäftsbanken um die von außen nach Ägypten<br />
einströmenden Devisen konkurrierte. Wichtigste Änderung war, dass alle Importe<br />
unter einem Warenwert von LE 5.000 ohne weitere Genehmigungen aus eigenen<br />
Devisenvorräten oder über den schon seit 1968 existierenden, aber bisher sehr<br />
begrenzten freien Devisenmarkt finanziert werden durften (IMF Archives 1975f:<br />
61-64, 1976b: 53). 110 Ursprünglich auf bestimmte Waren begrenzt, wurde 1974<br />
und 1975 die Liste der Güter, die unter diesem so genannten ‚own exchange<br />
system importiert werden konnten, systematisch ausgeweitet. Im Oktober 1975<br />
verblieben allein 18 ‚basic commodities im System des offiziellen Zentralbankkurses,<br />
die exklusiv von staatlichen Agenturen importiert wurden (IMF Archives<br />
1976b: 64) (vgl. für weitere Details folgenden Abschnitt 4.3.3 zur Entwicklung<br />
der ägyptischen Handelsregulierung).<br />
Diese über einen deutlich abgewerteten LE-U.S.-Dollar-Kurs angestoßene<br />
Entwicklung der privaten Importaktivitäten führte in den folgenden Jahren zu<br />
einer ständig steigenden monetären Liquidität im freien Parallelmarkt, während<br />
im durch das ägyptische Bankensystem getragenen offiziellen Parallelmarkt<br />
ebenso wie im Markt des offiziellen Wechselkurses Devisen tendenziell knapp<br />
waren (IMF Archives 1979c: 58). 111 Die folgende Entwicklung des ägyptischen<br />
109 Erlöse aus dem Betrieb des Suezkanals fielen zum damaligen Zeitpunkt nicht an, da dieser in<br />
Folge der kriegerischen Auseinandersetzungen mit Israel noch nicht wieder durch Hochseeschiffe<br />
befahrbar war.<br />
110 “Prior to the establishment of the parallel market, holders of foreign exchange found little<br />
difficulty in obtaining import licenses for intermediate goods and raw materials. These privileges<br />
were substantially curtailed when the parallel market commenced operations […] in order<br />
to encourage the inflow of foreign exchange through the market and the use of the parallel<br />
market facilities for imports. The revision of the parallel market facilities in June 1974, reinstituted<br />
such own exchange imports under a provision which specified that Egyptians holding<br />
earnings in foreign exchange that were eligible for the parallel market rate could transfer the<br />
funds to Egypt in the form of goods appearing on an own exchange list which initially included<br />
79 items” (IMF Archives 1975f: 51). Siehe auch IMF Archives (1976b: 53).<br />
111 “Parallel market exports expanded by almost 50 per cent in 1975, but the increase in receipts<br />
from remittances and tourism was small given the continuing rapid expansion in neighboring
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 119<br />
Wechselkursregimes ist vor allem durch diese Grundproblematik gekennzeichnet.<br />
Im Februar 1976 wurden die Aufschläge im offiziellen Parallelmarkt auf 65<br />
Prozent für den Kauf- und 70 Prozent für den Verkaufskurs angepasst, im Mai<br />
auf 75 bzw. 80 Prozent festgelegt und im November weiter auf 78 bzw. 83 Prozent<br />
erhöht (IMF Archives 1976b: vi, 49, 1977a: 3). Gleichzeitig wurde die Produktabdeckung<br />
im offiziellen Parallelmarkt weiter ausgedehnt, 112 so dass im<br />
Februar 1977 nur noch die drei wichtigsten ägyptischen Exportgüter (Rohbaumwolle,<br />
Reis und Erdöl), die Einnahmen aus dem wieder eröffneten Suez-Kanal<br />
und die Gebühren der SUMED-Pipeline über den weiterhin an den U.S. Dollar<br />
gebundenen offiziellen Wechselkurs in ägyptische Pfund getauscht werden<br />
konnten (IMF Archives 1978c: 43). 113 Zudem wurden die über den offiziellen<br />
Wechselkurs abgewickelten Importe des staatlichen Sektors weiter reduziert. 114<br />
oil producing countries which provide both most of the employment for Egyptian workers<br />
abroad and most of the expenditure on tourism in Egypt. Parallel market imports also grew at a<br />
more modest pace than might have been expected. The slow growth of invisible receipts appears<br />
to reflect the impact of the own exchange import provisions […]. Persons desiring to<br />
make invisible payments to Egypt found it more advantageous to do so through the channels<br />
created by the own exchange import system rather than through the parallel market; the implicit<br />
exchange rate in the own exchange market was in the region of LE 0.70-0.80 per U.S. dollar,<br />
in contrast to the rate of LE 0.59 per U.S. dollar which applied to the parallel market in<br />
1975. On the import side, the slow growth apparently was due to two factors: the availability of<br />
own exchange imports with a minimum of procedural delay, which made them more attractive<br />
than parallel market imports; and the reluctance of public sector entities to use allocations of<br />
parallel market exchange so long as there were hopes of receiving further allocations of official<br />
exchange. The overall result has been an increase in unallocated parallel market balances held<br />
by commercial banks; in April 1976 these amounted to over SDR 150 million” (IMF Archives<br />
1976b: 51). “Until 1976, moreover, the parallel market exchange rate was left unchanged<br />
(causing an effective appreciation of the pound on a tradeweighted basis because of the peg to<br />
the U.S. dollar) during a time when internal demand pressures and changes in the exchange<br />
system were resulting in a depreciation of the Egyptian pound in unofficial exchange transactions.<br />
With exchange rates in the latter market commanding a premium of up to 35 per cent<br />
over the parallel rate, many potential receipts from workers’ remittances and tourism were<br />
channelled through this market instead of being available to meet the basic foreign exchange<br />
requirements of the economy” (IMF Archives 1976b: 50).<br />
112 Im März 1974 wurden die Exporte von getrockneten Zwiebeln und Knoblauch in den Parallelmarkt<br />
übertragen. Ab Juni 1974 durften 50 Prozent der über den staatlichen Exportzielen liegenden<br />
Zementexporte und zudem eine Reihe von nicht-handelbaren Zahlungen wie Zinsen<br />
und Dividenden über den Parallelmarkt abgewickelt werden (IMF Archives 1977a: 4).<br />
113 Dazu kommen noch Transaktionen auf dem Immobilienmarkt: “Real estate transactions,<br />
however, remain at the official rate. Non-Egyptians, when permitted to acquire real estate, are<br />
required by law to acquire the necessary local currency at the official rate” (IMF Archives<br />
1978b: 12).<br />
114 Im Juni 1978 wurden die Importe von Tee und Speiseöl in den Parallelmarkt transferiert (IMF<br />
Archives 1979c: 55).
120 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Mit Wirkung vom 1. Januar 1979 wurden dann die Transfers der Erlöse aus<br />
dem Export von Baumwolle, Reis und Erdöl, die zum damaligen Zeitpunkt immerhin<br />
75 Prozent der gesamten ägyptischen Exporterlöse ausmachten, und die<br />
bisher im offiziellen Wechselkurssystem verbliebenen Importe von Weizen,<br />
Weizenmehl, Zucker, Tee, Dünger, Insektiziden sowie die Einnahmen aus dem<br />
Suezkanal und der SUMED-Pipeline in den offiziellen Parallelmarkt übertragen<br />
(IMF Archives 1979c: 55-57). Damit wurde die faktische Vereinigung des an<br />
den U.S. Dollar gebundenen Wechselkurssystems der Zentralbank mit dem des<br />
offiziellen Parallelmarkts abgeschlossen (IMF Archives 1979c: 60, Rivlin 1985:<br />
137, 142, 180). Gleichzeitig wurde ein neuer einheitlicher Wechselkurs installiert<br />
(IMF Archives 1979c: 54-56), und nur eine Reihe von Transaktionen im<br />
Rahmen von bilateralen Zahlungsabkommen mussten weiterhin wie bisher über<br />
den alten offiziellen Wechselkurs abgewickelt werden. 115<br />
Mit diesem Schritt wertete das offizielle ägyptische Pfund praktisch mehr<br />
als 80 Prozent ab (vgl. dazu auch Abbildung 4.3). 116 Trotz der Zusammenführung<br />
existierte außerhalb des Bankensystems weiterhin ein freier Devisenmarkt,<br />
über den 1979 etwa 20 Prozent der ägyptischen Importe abgewickelt wurden. Es<br />
war dieser Teil des ägyptischen Wechselkursregimes, der weiterhin Druck auf<br />
den von der ägyptischen Regierung kontrollierten offiziellen Teil des Systems<br />
ausübte, betrug doch die zu Beginn des Jahres 1979 kaum noch vorhandene<br />
Differenz zwischen freiem und offiziellem Wechselkurs zum Jahresanfang 1980<br />
bereits wieder etwa 10 Prozent (IMF Archives 1980d: 4).<br />
115 “[…] the former official exchange rate will continue to be used on a temporary basis for transactions<br />
related to bilateral payments agreements with countries that are not members of the<br />
Fund and for the liquidation of balances under bilateral agreements which were formally terminated<br />
prior to January 1, 1979” (IMF Archives 1979c: 54).<br />
116 Der neue Kaufkurs zum U.S. Dollar wurde im Januar auf LE 0,70 festgesetzt (IMF Archives<br />
1980e: 53). Seit der 1973 erfolgten Aufwertung des LE betrug der offizielle Kaufkurs pro U.S.<br />
Dollar LE 0,391.
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 121<br />
10,0<br />
9,0<br />
8,0<br />
7,0<br />
6,0<br />
OFFICIA L RA TE, LE per SDR<br />
5,0<br />
4,0<br />
3,0<br />
OFFICIA L RA TE, LE per U.S.$<br />
2,0<br />
1,0<br />
0,0<br />
Q1<br />
1960<br />
Q1<br />
1962<br />
Q1<br />
1964<br />
Q1<br />
1966<br />
Q1<br />
1968<br />
Q1<br />
1970<br />
Q1<br />
1972<br />
Q1<br />
1974<br />
Q1<br />
1976<br />
Q1<br />
1978<br />
Q1<br />
1980<br />
Q1<br />
1982<br />
Q1<br />
1984<br />
Q1<br />
1986<br />
Q1<br />
1988<br />
Q1<br />
1990<br />
Q1<br />
1992<br />
Q1<br />
1994<br />
Q1<br />
1996<br />
Q1<br />
1998<br />
Q1<br />
2000<br />
Q1<br />
2002<br />
Abbildung 4.3 Wechselkurs ägyptisches Pfund-U.S. Dollar und ägyptisches Pfund-SDR zwischen 1960 und 2004<br />
Quelle: IMF – International Financial Statistics, Online-Version<br />
Q1<br />
2004
122 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Bereits im Herbst 1979 versuchte die ägyptische Regierung deshalb erneut, Anpassungen<br />
innerhalb dieses Systems vorzunehmen. Nach einer Reihe von administrativen<br />
Maßnahmen, die die Devisenliquidität im offiziellen Teil des Wechselkurssystems<br />
abzusichern helfen sollte, 117 wurde im August 1981 erneut ein<br />
gegenüber dem seit 1979 zusammengeführten offiziellen Wechselkurs abgewerteter<br />
Parallelmarktkurs eingeführt. Der Kaufkurs wurde dabei auf LE 0,84 zum<br />
U.S. Dollar festgelegt und den ägyptischen Geschäftsbanken vorgeschrieben,<br />
dem Privatsektor wie den privaten Importeuren einen bestimmten Anteil ihrer<br />
Devisen zu diesem Kurs zur Verfügung zu stellen (IMF Archives 1982b: 4). 118<br />
Vorgesehen war, entsprechende Anpassungen durch ein interministerielles Komitee<br />
vornehmen zu lassen, das sich unter der Leitung der Zentralbank und unter<br />
Hinzuziehung von Vertretern der Banken regelmäßig treffen und dabei am<br />
117 Mit Wirkung vom 1. September 1979 mussten die im Rahmen des ‚own exchange programms<br />
zu bezahlenden Zölle in Devisen über die ‚unified exchange rate abgeführt werden (IMF<br />
Archives 1980d: 15, 1980e: 56). Diese Regulierung ist allerdings offiziell aufgrund von Implementierungsproblemen<br />
bereits im Juni 1980 wieder abgeschafft worden (IMF Archives<br />
1981c: 13). Stattdessen wurde ein ‚advanced import deposit requirement eingeführt, bei dem<br />
zwischen 25 und 100 Prozent des Warenwertes auf gesperrte Konten für den Zeitraum zwischen<br />
Warenbestellung und der Freigabe durch den ägyptischen Zoll eingezahlt werden musste.<br />
Die Geschäftsbanken mussten diese Summe in der Zwischenzeit an die ägyptische Zentralbank<br />
weiterleiten (IMF Archives 1981c: 13). Die Tatsache, dass die ägyptischen Banken in der<br />
ersten Jahreshälfte 1981 auf den offiziellen Wechselkurs bereits wieder einen Abschlag<br />
gewährten, um für Rücküberweisungen ägyptischer Arbeitsemigranten attraktiv zu bleiben,<br />
verweist auf die mangelhafte Wirkung der administrativen Veränderungen (IMF Archives<br />
1982c: 57-58).<br />
118 Im Brief an den Managing Director des IWF vom 7. Juli 1981, unterzeichnet vom ,deputy<br />
prime minister for economic & financial affairs Dr. Abdel Meguid, heißt es dazu genauer:<br />
“Specifically the measures to be taken are: i) All foreign exchange transactions of the commercial<br />
banks shall take place at a rate set on a regular basis by a fixing committee under the<br />
chairmanship of the Central Bank. Initially this rate will be set at LE 0.84 = US$1. All commercial<br />
banks shall be required to adhere strictly to this rate. ii) The rate established by the fixing<br />
committee will take full account of the prevailing rate in the own exchange market and at<br />
no time will the two rates be permitted to diverge by more than a specified percentage. iii)<br />
Commercial banks shall be required to provide foreign exchange on demand to private sector<br />
importers to meet a proportion of the import cost of certain items that previously were financed<br />
entirely in the own exchange market. This proportion is to vary depending on the nature of the<br />
import in question. For intermediate and capital goods the commercial banks shall be required<br />
to provide foreign exchange accommodation in respect of 40 per cent of the total landed cost of<br />
the goods; for nonluxury consumer goods this proportion shall be 25 per cent but for all other<br />
goods (mainly consumer luxuries) importers will continue to provide all necessary foreign exchange<br />
from their own resources). As a supplementary measure designed to take unnecessary<br />
pressure off the rate for the Egyptian pound in the own exchange market, advance import deposits<br />
for most private sector imports shall be payable in Egyptian pounds. Previously they were<br />
payable in foreign currency that in practice had to be acquired by importers in the own exchange<br />
market” (IMF Archives 1981b: 4).
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 123<br />
Wechselkurs im freien Devisenmarkt orientieren sollte. 119 Zusätzlich sollte die<br />
Zentralbank zur Absicherung dieses neuen offiziellen Parallelmarktes intervenieren,<br />
um bei Bedarf fehlende Devisenliquidität zur Verfügung zu stellen oder<br />
überschüssige Devisen abzuschöpfen (IMF Archives 1984i: 72).<br />
Das Scheitern dieser Maßnahmen wurde im Frühjahr 1982 offensichtlich,<br />
als zu einer Regelung zurückgekehrt wurde, die dem vor August 1981 existierenden<br />
System ähnlich war. Der Unterschied zwischen dem Wechselkurs auf<br />
dem freien Markt und dem Geschäftsbankenkurs war inzwischen wieder auf über<br />
20 Prozent angestiegen, weil der Parallelmarktkurs der Geschäftsbanken nie<br />
durch das neu geschaffene Komitee (nach unten) angepasst worden ist (IMF<br />
Archives 1982b: 4). Ein Grund dafür war wohl auch, dass die Zentralbank zu<br />
keinem Zeitpunkt ausreichend Devisen zur Verfügung stellen konnte. 120 Die<br />
Verpflichtung der staatlichen Banken, dem Privatsektor Devisen zur Verfügung<br />
zu stellen, wurde wieder aufgehoben, und dieser durfte sich seine für Importe<br />
benötigten Devisen erneut ausschließlich im freien Devisenmarkt besorgen. Der<br />
Wechselkurs im offiziellen Parallelmarkt blieb konstant (IMF Archives 1982c:<br />
60), und zusätzlich wurden eine Reihe von administrativen Maßnahmen ergriffen,<br />
um die Devisenliquidität zu erhöhen. 121<br />
Damit hatte sich die Aufteilung des ägyptischen Wechselkurssystems in einen<br />
Zentralbankpool, einen Pool der Geschäftsbanken und einen freien Marktpool<br />
erneut zementiert. Der Zentralbankpool mit einem festen Wechselkurs von<br />
nun LE 0,70 pro U.S. Dollar wurde dabei ausschließlich zur Verrechnung der<br />
Erlöse aus Öl-, Reis- und Baumwollexporten sowie dem Betrieb des Suez-<br />
Kanals und den Importkosten für Grundnahrungsmittel, Insektizide und Düngemittel<br />
sowie zur Begleichung der externen Schulden von Staat und öffentlichem<br />
Sektor herangezogen (IMF Archives 1983e: 55). Der von den vier großen<br />
Staatsbanken 122 dominierte offizielle Parallelmarkt mit einem festen Wechselkurs<br />
119 “[..] at no time would the two rates be permitted to diverge excessively” (IMF Archives 1982c:<br />
57).<br />
120 “[…] the foreign exchange situation tightened, […] support was not forthcoming on a regular<br />
basis” (IMF Archives 1982c: 60).<br />
121 “At the same time, it was decided to require again that all advance import deposits for private<br />
imports be made in foreign currency, thereby reversing the decision taken in August 1981; the<br />
purpose of this measure was to increase the foreign exchange available to the Central Bank”<br />
(IMF Archives 1985g: 64-65). Zusätzlich wurden neue Regulierungen im Zahlungsverkehr implementiert,<br />
die es aus dem Ausland zurückkehrenden Arbeitsmigranten ermöglichten, innerhalb<br />
von drei Tagen nach der Rückkehr einen so genannten ‚import account bei einer ägyptischen<br />
Geschäftsbank zu eröffnen, ohne dass nachgewiesen werden musste, woher das Geld<br />
stammt, das auf dem Konto eingezahlt wurde. Damit sollte versucht werden, die Anzahl der illegalen<br />
Geldtransfers zu verringern (IMF Archives 1982c: 61).<br />
122 Dies waren zum damaligen Zeitpunkt die Banque du Caire, Misr Bank, die National Bank of<br />
Egypt und die Bank of Alexandria.
124 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
von LE 0,84 pro U.S. Dollar wickelte alle nicht vom offiziellen Devisenmarkt<br />
abgedeckten Transaktionen des staatlichen Wirtschaftssektors ab. Über den freien<br />
Devisenmarkt mit einem Kurs von zu diesem Zeitpunkt LE 1,14 pro U.S.<br />
Dollar wurden alle verbleibenden Transaktionen abgewickelt (IMF Archives<br />
1983d: 3).<br />
Im April 1983 wurde ein neuer Versuch unternommen, die ägyptischen Devisenmärkte<br />
zu reorganisieren. Zum einen wurden der Selbstbehalt von Exporterlösen<br />
für die meisten ägyptischen Exporteure auf zwölf Monate ausgedehnt, 123<br />
zum anderen ein neuer Wechselkurs eingeführt, 124 zu dem, ursprünglich leicht<br />
unter dem Kurs auf dem freien Markt, ägyptische Geschäftsbanken Rücküberweisungen<br />
von im Ausland arbeitenden Ägyptern tätigen durften (IMF Archives<br />
1984g: 9, 1984i: 73). Im Februar 1984 wurde allen staatlichen Banken zusätzlich<br />
gestattet, zu diesem Kurs Devisen im Inland zu erwerben, und im März diese<br />
Erlaubnis auf alle Banken ausgedehnt. In den folgenden Monaten immer wieder<br />
nach unten angepasst, wurde es den Banken im April erlaubt, zu diesem Kurs<br />
zusätzlich Devisen an ausgewählte Unternehmen aus dem Staats- und Privatsektor<br />
zu verkaufen (IMF Archives 1984g: 9, 1984i: 74). Trotz dieser Maßnahmen<br />
wertete der Wechselkurs zum U.S. Dollar auf dem freien Markt immer weiter ab<br />
(IMF Archives 1985g: 66).<br />
Im Januar 1985 gingen die Veränderungen des ägyptischen Wechselkursregimes<br />
in eine neue dritte Runde (IMF Archives 1985g: 67, 1986i: 69). 125 Mit der<br />
Etablierung eines Komitees, zusammengesetzt aus Regierungsvertretern und<br />
123 “[…] previously, exporters were allowed to retain in Foreign Exchange Retention Accounts<br />
only 10 percent to 25 percent of their foreign exchange earnings. In the case of exports of five<br />
agricultural goods (oranges, potatoes, onions, garlic, and peanuts), the surrender requirement<br />
was reduced to 50 percent” (IMF Archives 1984i: 73).<br />
124 “[…] a committee chaired by a Central Bank official was created to set the premium exchange<br />
rate at which the four public sector commercial banks could purchase foreign exchange from<br />
dealers in countries where Egyptian emigrants were working. The authorities believed that<br />
through this measure they would be able to attract workers’ remittances to the commercial<br />
bank pool without the competitive bidding up of the exchange rate by the public sector commercial<br />
banks. The premium buying rate was initially set at LE 1.08 per US$l, about 7 percent<br />
below the free market rate, and remained at that level until December 1983, when it was<br />
changed to LE 1.12 per US$l, again 7 percent below the free market rate” (IMF Archives<br />
1984i: 73). Das Komitee zur Bestimmung der Premiumrate setzte sich aus vier Vertretern der<br />
vier Staatsbanken, zwei Vertretern der privaten Geschäftsbanken und einem Vertreter der Zentralbank<br />
zusammen (IMF Archives 1984i: 74).<br />
125 “On January 5, 1985 an exchange reform was instituted whose fundamental aims were (a) to<br />
increase the flow of foreign exchange through the commercial bank pool and (b) to gradually<br />
eliminate the free market by either prohibiting transactions in it (e.g., private sector or own<br />
exchange imports) or attracting them away from it (e.g., workers’ remittances). The reform affected<br />
essentially three areas: (i) the exchange rate of, and transactions covered by, the commercial<br />
bank pool, (ii) private sector external payments, and (iii) foreign exchange accounts”<br />
(IMF Archives 1985g: 67).
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 125<br />
Repräsentanten der Banken, sollte die Premiumrate nun täglich neu festgelegt<br />
werden. 126 Darüber hinausgehend schrieb die ägyptische Regierung vor, dass<br />
mindestens 25 Prozent der durch die ägyptischen Geschäftsbanken aus Gastarbeiterüberweisungen<br />
getauschten Devisen direkt an die Zentralbank überwiesen<br />
werden mussten (IMF Archives 1985g: 68). Zusätzlich ordnete die Regierung<br />
eine radikale Einschränkung der Aktivitäten des freien Devisenmarktes an. Alle<br />
privaten Importe sollten ab sofort nur noch durch autorisierte Banken in ägyptischen<br />
Pfund zum festgelegten Wechselkurs im offiziellen Parallelmarkt abgewickelt<br />
werden. Inhabern der 1968 eingeführten freien Devisenkonten wurde verboten,<br />
mit ihren Devisen Importe zu finanzieren. Zudem durften Importvorabeinlagen<br />
nicht wie bisher in Devisen, sondern mussten in ägyptischen Pfund hinterlegt<br />
werden. Zusätzlich wurde ebenfalls vorgeschrieben, alle Transaktionen von<br />
nicht-handelbaren Gütern und sämtliche Transfers des Privatsektors zur<br />
Premiumrate abzuwickeln (IMF Archives 1985g: 67-68). 127<br />
Obwohl der Premiumkurs im offiziellen Parallelmarkt in den folgenden<br />
Monaten mehrmals nach unten angepasst wurde (IMF Archives 1985g: 67),<br />
musste die ägyptische Regierung die im Januar gemachten Änderungen bereits<br />
drei Monate später, Anfang April 1985, teilweise wieder rückgängig machen.<br />
Importfinanzierungen des Privatsektors über die freien Devisenkonten wurden<br />
wieder erlaubt, und die vorgeschriebenen Importvorabeinlagen durften erneut in<br />
Devisen hinterlegt werden (IMF Archives 1984c: 70, 1986i: 69). Einzig das<br />
Komitee zur Bestimmung der Premiumrate blieb erhalten. De facto wurde damit<br />
der freie Devisenmarkt für den ägyptischen Privatsektor erneut etabliert (IMF<br />
Archives 1985e: 8, 1986a: 4). Trotz einer Reihe von Anpassungen lag die<br />
Premiumrate im offiziellen Parallelmarkt in den folgenden Jahren systematisch<br />
etwa 10 Prozent über dem Wechselkurs des freien Marktes (IMF Archives<br />
126 “The premium rate was reaffirmed, with the premium over the official rate determined by a<br />
committee composed of representatives from the Ministry of Economy, the Central Bank, all<br />
public sector banks, and four other commercial banks. The committee was to meet daily to decide<br />
the amount of the premium to be applied to the official commercial bank pool exchange<br />
rate of LE 0.83168 = US$1 (buying). In setting the premium, the committee was to take into<br />
account prevailing market conditions and current economic policies” (IMF Archives 1985g:<br />
67).<br />
127 “In accordance with Ministerial Order No. 4, the premium rate applied to commercial bank<br />
purchases of foreign bank notes over-the-counter, proceeds from exports other than those assigned<br />
to the central bank pool, and tourism proceeds with the exception of the conversion of<br />
the equivalent of US$l50 by each tourist on entry, which continued to be effected at the official<br />
commercial bank rate; on the payment side, the premium rate applied to payments for all imports<br />
other than those effected through the central bank pool, settlement of obligations resulting<br />
from the utilization of loans and facilities within the framework of the pool at the premium<br />
rate, and invisible payments and transfers with the exception of certain transactions that would<br />
continue to be effected at the official commercial bank pool rate” (IMF Archives 1985g: 67-<br />
68).
126 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
1985e: 8-9). 128 In den folgenden Jahren wurden dann keine weiteren Änderungen<br />
innerhalb dieses Systems mehr vorgenommen (IMF Archives 1986a: 11).<br />
Im Rahmen des von einem 18-monatigen IWF-Stand-by-Abkommen unterstützten<br />
Reformprogramms der ägyptischen Regierung wurde im Mai 1987 der<br />
vierte Versuch unternommen, das Wechselkursregime zu reformieren (IMF<br />
Archives 1987c: 7-8, 46-47, 56-57). Erneut wurde ein Komitee aus Bankenvertretern<br />
eingerichtet, das am Abend eines jeden Tages einen Wechselkurs festlegen<br />
sollte, der am kommenden Tag für alle Transaktionen im neu etablierten<br />
Interbankendevisenmarkt gelten sollte. Den Banken wurde erlaubt, zu diesem<br />
Kurs untereinander ohne Einschränkungen LE und Devisen zu tauschen. Der<br />
anfängliche Wechselkurs wurde am 11. Mai auf LE 2,165 pro U.S. Dollar festgelegt,<br />
was eine etwa 37-prozentige Abwertung in Bezug auf die bisher im offiziellen<br />
Parallelmarkt genutzte Premiumrate darstellte. Dieser neue Interbankenwechselkurs<br />
wertete bis Ende Oktober 1989 auf LE 2,60 pro U.S. Dollar ab (IMF<br />
Archives 1989l: 50). Bis März 1988 und zur Schließung des bisherigen offiziellen<br />
Parallelmarktes wurden nach und nach sämtliche bisher in diesem Markt<br />
abgewickelten Transaktionen in den neuen Interbankenmarkt übertragen (IMF<br />
Archives 1988f: 47, 1988e: 8, 1989l: 50). 129 Zusätzlich zu diesen administrativen<br />
Maßnahmen ließ die ägyptische Regierung im Mai und Juni 1987 eine Vielzahl<br />
von Straßenhändlern festnehmen, um den außerhalb des Bankensystems existierenden<br />
freien Devisenmarkt auszutrocknen (IMF Archives 1988e: 45). Die fol-<br />
128 “The Egyptian representatives said that since April 1985 a more active policy had been followed<br />
in setting the commercial banks’ premium exchange rate. Factors considered at present<br />
in setting the exchange rate for the U.S. dollar were the rates on the domestic free market as<br />
well as in the neighboring oil producing countries where workers’ remittances originated,<br />
movements of other currencies’ exchange rates against the U.S. dollar, the domestic rate of inflation,<br />
and seasonal patterns in the flows of foreign exchange. The Egyptian representatives<br />
expressed the intention of ultimately letting the exchange rate be determined freely by the<br />
commercial banks. In the meantime they were considering introducing a procedure whereby<br />
the average of exchange rates for the Egyptian pound in the local and neighboring countries'<br />
free markets during the previous month would be used as a base for setting the premium rate in<br />
the following month” (IMF Archives 1985e: 19).<br />
129 “A large shift of transactions to the new bank market was implemented in November 1987 that<br />
virtually achieved the full shift originally targeted to take place in December 1987 and June<br />
1988. On the supply side, receipts from interest, commissions, and profits of Egyptian banks<br />
and companies, certain private and public sector agricultural exports, and manufactured exports<br />
from the public sector food, chemical, and media industries were transferred from the commercial<br />
bank pool. On the demand side, payments for an extensive list of imports, incorporating<br />
virtually all remaining permitted imports, not reserved to the central bank pool, were transferred.<br />
After this action, the only subsectors still transacting through the commercial bank pool<br />
were the public sector spinning, weaving, textile, and mining industries, as well as foreign and<br />
domestic airline and shipping companies. These remaining transactions were moved to the new<br />
bank market in March 1988, when the commercial bank pool was formally closed” (IMF Archives<br />
1988f: 48).
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 127<br />
gende Abbildung 4.4 gibt einen Überblick über die Veränderungen im ägyptischen<br />
Wechselkursregulierungssystem der 1980er Jahre, zeigt die mit den Reformen<br />
von 1987 insgesamt vier unterschiedlichen Wechselkurse auf und verdeutlicht<br />
die Verläufe der unterschiedlichen Raten bis März 1988. 130<br />
Abbildung 4.4<br />
Quelle: IMF Archives (1988f: 50a).<br />
Die Entwicklung unterschiedlicher Wechselkurse im ägyptischen<br />
Wechselkurssystem, 1981–1988<br />
130 Im Rahmen dieses Abkommens mit dem IWF wurde interessanterweise keine Vereinbarung<br />
über die Vereinigung des offiziellen Wechselkurses der ägyptischen Zentralbank mit dem neugeschaffenen<br />
Interbankenmarkt getroffen (IMF Archives 1988e: 14).
128 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Am 15. August 1989 wurde dann zum ersten Mal seit über zehn Jahren eine<br />
Anpassung am offiziellen Wechselkurs der ägyptischen Zentralbank vorgenommen.<br />
Das ägyptischen Pfund wurde dabei nominal um etwa 57 Prozent von einem<br />
Wechselkurs von LE 0,70 pro U.S. Dollar auf LE 1,10 abgewertet (IMF<br />
Archives 1991c: 76), 131 und die Regierung kündigte die Vereinigung des offiziellen<br />
Zentralbankwechselkurses mit dem Kurs des 1987 neu entstandenen Interbankendevisenmarktes<br />
innerhalb der kommenden sechs Jahre an (IMF Archives<br />
1989l). Anfang Juli 1990 wurde die offizielle Zentralbankrate erneut angepasst,<br />
um über 80 Prozent abgewertet und auf LE 2 pro U.S. Dollar festgelegt (IMF<br />
Archives 1991j: 65, 1991c: 76).<br />
Im Februar 1991 wurde ein neben dem freien Markt bestehendes duales<br />
System eingeführt, das für eine Übergangsperiode für nicht mehr als 12 Monate<br />
(bis zum 26. Februar 1992) aus einem Primär- und einem Sekundärmarkt bestand<br />
(IMF Archives 1991c: 15, 76, 1991b: 11). Im Primärmarkt, auf dem zum<br />
1990 abgewerteten offiziellen Wechselkurs getauscht wurde, waren dem bisherigen<br />
Muster folgend die Einnahmen aus dem Betrieb des Suezkanals, aus den<br />
Exporten von Erdöl, Baumwolle und Reis, alle offiziellen Kredite und Transfers<br />
des Staatssektors enthalten. Auf der anderen Seite waren darin allein die Ausgaben<br />
für Lebensmittelimporte, die über staatliche Agenturen getätigt wurden, alle<br />
Transaktionen der Regierung und der ausländische Schuldendienst enthalten<br />
(IMF Archives 1991c: 76). Alle darüber hinausgehenden Transfers des Privatebenso<br />
wie des Staatssektors sollten über den Sekundärmarkt abgedeckt werden,<br />
132 dessen Wechselkurs sich innerhalb eines fünfprozentigen Bandes um den<br />
Wechselkurs des freien Marktes bewegen sollte. 133<br />
Am 8. Oktober 1991 wurden die Wechselkurse des Primärmarktes mit dem<br />
des Sekundärmarktes bei einem Kurs von LE 3,30 pro U.S. Dollar vereinigt und<br />
zu einem gemeinsamen Wechselkurs zusammengefasst (IMF Archives 1991e:<br />
19). Den staatlichen Exporteuren, die bisher verpflichtet waren, ihre Devisen<br />
131 “However, foreign exchange receipts in the market were taxed, and users subsidized, through<br />
sub-accounts of the CBE so that the exchange rate effectively remained at LE 0.7 = US$1”<br />
(IMF Archives 1991c: 76). “However, the domestic prices of only a few items included in the<br />
central bank pool were raised to reflect the depreciation in the rate and the authorities did not<br />
amend the 1989/90 budget to reflect the exchange rate change, so that the additional LE 0.4 per<br />
U.S. dollar on transactions is being contained in special suspense accounts in the Central Bank.<br />
However, it was intended that subsequent budgets would wind up these accounts” (IMF Archives<br />
1989k: 19).<br />
132 “In contrast to the previous exchange system, all payments and transfers for international<br />
transactions, both current and capital, may be effected through the free market without restriction”<br />
(IMF Archives 1991c: 77).<br />
133 “The exchange rate in the primary market is to be maintained on a daily basis within 5 percent<br />
of the most recent seven working days’ average rate in the free market” (IMF Archives 1991c:<br />
78, 1991b: 12).
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 129<br />
direkt an die Zentralbank zu verkaufen, 134 wurde es gestattet, diese ohne Einschränkungen<br />
an Banken oder andere Finanzinstitute gegen ägyptische Pfund zu<br />
tauschen. Zudem mussten ab sofort auch alle über staatliche Agenturen getätigten<br />
Importe, 135 ebenso wie die Transfers der Zentralregierung über diesen neuen<br />
Wechselkurs abgewickelt werden (IMF Archives 1991e: 19-20, 1992f: 48).<br />
Gleichzeitig wurde die ägyptische Zentralbank autorisiert, diesen mit dem Veroder<br />
Ankauf von Devisen bzw. dem Verkauf von Staatsanleihen stabil zu halten<br />
(IMF Archives 1992e: 18, 1992f: 51). Damit war das Pfund de facto an den U.S.<br />
Dollar gebunden. 136 Im weiteren Verlauf der 1990 Jahre blieb dieses System<br />
unverändert bestehen. Trotz des Einbruchs der Touristeneinnahmen infolge der<br />
Anschläge von 1997 und des Rückgangs der Einnahmen aus dem Erdölexport<br />
intervenierte die Zentralbank zugunsten des Pfund und stellte aus den insgesamt<br />
stark gestiegen Devisenreserven ausreichend Liquidität zur Verfügung (IMF<br />
Archives 1998b: 20, 2000d: 11, 2000f: 24, The Economist Intelligence Unit<br />
2000a: 24). 137<br />
Ab Mai 2000 wurde die De-facto-Bindung des ägyptischen Pfund an den<br />
U.S. Dollar aufgegeben, und der offizielle Wechselkurs der Zentralbank wertete<br />
in den folgenden Monaten bis Januar 2001 um mehr als 20 Prozent ab (The Economist<br />
Intelligence Unit 2000a: 48, 2001a: 26, 53, 2002a: 28). Am 29. Januar<br />
2001 gab die Regierung dann die Einführung eines neuen so genannten<br />
‚managed peg exchange rate system bekannt. Dieses System basierte auf einem<br />
zentralen Wechselkurs, zum damaligen Zeitpunkt LE 3,85 pro U.S. Dollar, und<br />
einem einprozentigen Band um diesen zentralen Kurs. Innerhalb dieser Band-<br />
134 Dies waren die Egyptian General Petroleum Company (EGPC), die Suez-Kanal-Behörde und<br />
die Exporteure von Reis und Baumwolle. Die Gewinne dieser Unternehmen wurden ab sofort<br />
in ägyptischen Pfund ausgewiesen und mussten in LE an das Finanzministerium überwiesen<br />
werden (IMF Archives 1991e: 20).<br />
135 Dies betraf vor allem die Lebensmittelimporte der General Authority for the Supply of Commodities<br />
(GASC), der staatlichen Agentur, die alle staatlich subventionierten Lebensmittel<br />
nach Ägypten importiert.<br />
136 “Use of the exchange rate as a nominal anchor together with active management of liquidity.<br />
Starting in 1991, the exchange rate was de facto pegged to the U.S. dollar. An active sterilization<br />
policy was followed to dampen the expansionary impact of capital inflows using treasury<br />
bills sales with the proceeds deposited at the Central Bank of Egypt (CBE). The rapid accumulation<br />
of foreign exchange reserves early in the stabilization period, amplified the authorities’<br />
commitment to the exchange rate peg and in turn led to a reduction of inflation expectations”<br />
(IMF Archives 1997g: 7).<br />
137 “Maintaining the peg of the Egyptian pound to the U.S. dollar has, in the last two years, required<br />
regular intervention. Based on information received three times daily on the exchange<br />
rates posted by banks and foreign exchange dealers, daily on the foreign exchange position of<br />
banks, and at any time on banks demand, the CBE sells foreign exchange through its dealing<br />
room. Intervention has averaged about US$400-500 million per month; and peaked in September<br />
1999 at US$878 million” (IMF Archives 2000f: 25).
130 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
breite war es den Geschäftsbanken und Geldwechslern erlaubt, frei LE in Devisen<br />
zu tauschen. Gleichzeitig wurde gegen Teile der privaten Geldwechsler vorgegangen.<br />
Einige Wechselstuben wurden geschlossen und zusätzlich Berichtspflichten<br />
und eine Erhöhung des hinterlegten Kapitals auf LE 10 Millionen für<br />
die verbliebenen privaten Wechselstuben eingeführt (The Economist Intelligence<br />
Unit 2001a: 53). Im Mai wurde der zentrale Wechselkurs auf LE 3,90 pro U.S.<br />
Dollar angepasst, die Bandbreite auf 1,5 Prozent erweitert und im Juli auf 2 Prozent<br />
ausgedehnt. 138 Am 5. August 2001 wurde der Zentralbankkurs erneut nach<br />
unten angepasst, auf LE 4,15 pro U.S. Dollar festgelegt und die Bandbreite auf 3<br />
Prozent erweitert (The Economist Intelligence Unit 2001a: 53). 139 Im Dezember<br />
2001 und im Januar 2002 folgten weitere Abwertungsschritte (The Economist<br />
Intelligence Unit 2002a: 28). Am 29. Januar 2003 wurde die De-facto-Bindung<br />
des ägyptischen Pfund an den U.S. Dollar ganz aufgegeben und der Wechselkurs<br />
zum ersten Mal wirklich freigegeben (The Economist Intelligence Unit 2003a:<br />
31, 2004a: 30). Nachdem das Pfund am ersten Tag über 14 Prozent gegenüber<br />
dem U.S. Dollar verloren hatte, wurde eine neue informelle Übereinkunft mit<br />
den ägyptischen Geschäftsbanken getroffen, das Pfund in den kommenden Monaten<br />
in relativ kleinen Schritten abwerten zu lassen (The Economist Intelligence<br />
Unit 2003a: 31). 140 Bis zum Ende der Untersuchungsperiode änderte sich an<br />
dieser Situation nichts Entscheidendes mehr. Erst im Dezember 2004 wurde<br />
dann ein freizügiger Interbankendevisenmarkt eingerichtet, „[…] with no<br />
restrictions on rates, governed by a formal interbank convention on foreign exchange<br />
trading“ (International Monetary Fund 2005a: 35).<br />
Zusammengefasst lässt sich die Entwicklung des ägyptischen Wechselkursregimes<br />
in vier Phasen einteilen. In der ersten Phase wurde durch die Einführung<br />
von freien Devisenkonten 1968 und einer Ausweitung der Finanzierung für Importe<br />
über genau diese Konten sechs Jahre später die Entstehung eines wachsenden<br />
freien Devisenmarktes begünstigt. Mit der Abwertung des bisher an den<br />
U.S. Dollar gebundenen offiziellen Wechselkurses und einer Vereinheitlichung<br />
von einer Reihe von weiteren Kursen war diese Phase 1979 abgeschlossen. In<br />
der zweiten Phase beginnt sich zu Beginn der 1980er Jahre erneut ein freier Devisenmarktwechselkurs<br />
zu entwickeln, der mit einem deutlichen Abschlag zur<br />
offiziellen Rate die ägyptische Regierung in den folgenden Jahren zu einer Serie<br />
von regulativen Anpassungen zwingt. Diese Reformen sind dabei zum einen<br />
durch die erneute Einführung von zusätzlichen oft deutlich vom offiziellen<br />
138 “With the black market still very much in evidence, most official trading (bar that at public<br />
banks) was taking place at the upper end of the band and US dollar hoarding continued in the<br />
expectation of further depreciation” (The Economist Intelligence Unit 2001a: 53)<br />
139 Vgl. dazu auch The Economist Intelligence Unit (2002a: 28, 57).<br />
140 Die Quellen geben keine weitere Auskunft über Details dieser informellen Übereinkunft.
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 131<br />
Wechselkurs abgewerteten Premiumraten gekennzeichnet gewesen und zeichneten<br />
sich zum anderen durch Bemühungen aus, die Freizügigkeit des Handels mit<br />
den aus dem Ausland ins Land strömenden Devisen durch administrative Regeln<br />
in das durch den Staat dominierte Bankensystem zu zwingen. Als Folge des<br />
Scheiterns dieser Bemühungen musste auch am Ende dieser zweiten Phase der<br />
offizielle Wechselkurs in mehreren Schritten 1989, 1990 und 1991 drastisch<br />
abgewertet werden. Zu Beginn der dritten Phase 1991 wurde erneut ein einheitlicher<br />
Wechselkurs etabliert. Ausgestattet mit ausreichenden Devisenreserven<br />
gelang es diesmal, diesen Wechselkurs neun Jahre lang für alle Transaktionen<br />
einheitlich und stabil zu halten. Erst zu Beginn einer vierten Phase beginnt ab<br />
Mitte 2000 das ägyptische Pfund erneut an Wert zu verlieren. Diese graduelle<br />
Anpassungsphase hielt dann bis zum Ende des Jahres 2003 kontinuierlich an.<br />
4.3.2 Die Entwicklung der ägyptischen Zahlungsverkehrregulierungen<br />
Das ägyptische Zahlungsverkehrsystem war bereits zu Beginn der 1970er Jahre<br />
an bestimmten Stellen relativ freizügig reguliert. Auf der einen Seite unterlagen<br />
zu diesem Zeitpunkt noch immer weite Teil des internationalen Zahlungsverkehrs<br />
dem in den 1950er Jahren in Ägypten eingeführten System einer systematischen<br />
staatlichen Devisenbewirtschaftung (vgl. dazu ebenso die Ausführungen<br />
im folgenden Abschnitt 4.3.3). Auf der anderen Seite war es beispielsweise seit<br />
1968 Inländern und im Ausland lebenden Ägyptern erlaubt, Devisen auf inländischen<br />
Bankkonten in unbegrenzter Höhe zu halten und über diese freizügig im<br />
Ausland, aber auch im Inland zu verfügen (IMF Archives 1969a: Part II, 29-30,<br />
1970b: 34, 1971d: 15) (vgl. dazu ebenso die Ausführungen im vorherigen Abschnitt<br />
4.3.1). 141 Im Gegensatz dazu waren bis auf die im Zusammenhang mit<br />
genehmigten Außenhandelsaktivitäten stehenden Pfund-Devisen-Transaktionen<br />
alle sonstigen Transfers im Zusammenhang mit Auslandreisen oder nicht-handelbaren<br />
Gütern nur innerhalb bestimmter Obergrenzen gestattet (IMF Archives<br />
1971e: 40). Jede Form von Kapitalexport war verboten, und alle Exporterlöse<br />
aus handelbaren und nicht-handelbaren Gütern mussten innerhalb eines Monates<br />
nach Ägypten zurückgeführt und in LE umgetauscht werden. Zusätzlich wurden<br />
141 So genannte ,resident accounts‘ durften von Ägyptern eröffnet werden, die weniger als fünf<br />
Jahre im Ausland lebten. ‚Non-resident‘ accounts durften von Ägyptern eröffnet werden, die<br />
mehr als fünf Jahre im Ausland lebten. Während von ‚resident accounts‘ nur an ägyptische Geschäftsbanken<br />
zum offiziellen Wechselkurs des Parallelmarktes Devisen verkauft werden durften<br />
und diese dann von den Geschäftsbanken zum Vorzugswechselkurs an Unternehmen und<br />
Privatpersonen für autorisierte Importe weitergegeben wurden, war es Inhabern von ,nonresident<br />
accounts‘ „[…] permitted to sell their funds direct to U.A.R. companies and individuals<br />
at freely negotiated rates of exchange […]“ (IMF Archives 1971d: 15).
132 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
zu Beginn der 1970er Jahre alle Pfund-Devisentransaktionen mit einer fünfprozentige<br />
Transfersteuer belegt (IMF Archives 1971e: 40).<br />
Nach ersten Reformen im ägyptischen Zahlungsverkehr am Ende der<br />
1960er folgten im Verlauf der 1970er Jahre weitere Anpassungen, bei denen<br />
selektiv und teilweise sektoral bestimmte Restriktionen im internationalen Zahlungsverkehr<br />
einerseits abgebaut, aber zeitweise auch erneut gezielt verschärft<br />
wurden. Nach der Einführung von Devisenkonten 1968 wurde der Gebrauch von<br />
darauf deponierten Devisen im Inland zu Beginn der 1970er Jahre wieder eingeschränkt,<br />
indem vorgeschrieben wurde, dass diese Devisen ausschließlich bei der<br />
jeweils kontoführenden Bank zum offiziellen Wechselkurs bzw. zum Wechselkurs<br />
des offiziellen Parallelmarktes umgetauscht werden müssen (IMF Archives<br />
1972b: 44, 1974d: 81). 142 Erst 1976 wurde die Verwendung und der Tausch von<br />
im Ausland erworbenen Devisen im Inland erneut vollständig freigegeben, vorausgesetzt<br />
alle Pfund-Devisentransaktionen fanden im Rahmen des ägyptischen<br />
Bankensystems statt (IMF Archives 1977a: 11, 1978c: 44). Damit waren die<br />
Besitzer von Devisenkonten, deren Einlagen sich vor allem aus den Überweisungen<br />
der im Ausland lebenden ägyptischen Gastarbeiter speisten, erneut von allen<br />
Restriktionen im internationalen Zahlungsverkehr entbunden. Allein für in<br />
Ägypten erworbene Devisen bestanden weiterhin Beschränkungen. Diese mussten<br />
auf spezielle Konten eingezahlt werden und konnten für Warenimport genutzt<br />
werden, waren allerdings bis auf einen jährlichen Höchstbetrag von LE<br />
2.000 nicht freizügig ins Ausland transferierbar (IMF Archives 1978c: 52).<br />
Neben Veränderungen im Bereich der Regulierungen von direktem Devisenbezug<br />
wurde in den 1970er Jahren auch in anderen für den internationalen<br />
Zahlungsverkehr relevanten Bereichen Veränderungen durchgeführt. Bereits<br />
1971 wurde ein neues Investitionsgesetz erlassen, das vor allem neuen Investitionen<br />
aus der Region in bestimmten Bereichen großzügige Steuervergünstigungen<br />
und Freizügigkeit beim Rücktransfer von Gewinnen und Investitionen gewährte<br />
(IMF Archives 1972b: 59, 1973e: 49). Im Juni 1974 wurde die Investitionsgesetzgebung<br />
dann erneut angepasst, ausländische Direktinvestition grundsätzlich<br />
gegen mögliche Nationalisierungen abgesichert und ein freier Rücktransfer<br />
des investierten Kapitals nach fünf Jahren erlaubt (IMF Archives 1975f: 52).<br />
1977 wurde ausländischen Investoren dann eine Rückführung ihrer Investitionen<br />
und Gewinne zum für sie profitabelsten Wechselkurs garantiert (IMF Archives<br />
1978c: 55).<br />
142 Zusätzlich mussten ägyptische Arbeitsemigranten, die noch keine fünf Jahr im Ausland lebten,<br />
Teile ihrer Rücküberweisungen zum offiziellen Wechselkurs und später zum Wechselkurs des<br />
Parallelmarktes in LE umtauschen. Die dabei angewandten Umtauschquoten variierten zwischen<br />
10 und 50 Prozent (IMF Archives 1973e: 47).
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 133<br />
Ab 1972 war es Exporteuren von Film- und Tonträgern gestattet, ihre Exporterlöse<br />
bis zu sechs Monate auf Devisenkonten zu halten und diese für die<br />
Einfuhr von produktionsrelevanten Waren und Dienstleistungen einzusetzen<br />
(IMF Archives 1973e: 60). 1973 wurde diese Regulierung, mit Ausnahme der<br />
Exporte von Erdöl, Reis, Baumwolle und Baumwollprodukten, frischen Zwiebeln<br />
und Knoblauch, Tomaten und Zement, auf alle anderen exportorientierten<br />
Unternehmen ausgedehnt (IMF Archives 1973e: 47, 1974d: 83, 1975f: 48).<br />
Mit der formellen Etablierung des ersten offiziellen Parallelmarktes am 1.<br />
September 1973 wurden alle Transaktionen des internationalen Zahlungsverkehrs,<br />
die durch diesen Markt flossen, von der fünfprozentigen Transaktionssteuer<br />
ausgenommen (IMF Archives 1975f: 53). Mit der Etablierung des so genannten<br />
‚own exchange programms 1974 konnten alle Inhaber von Devisenkonten<br />
bis zu LE 5.000 freizügig internationale Transaktionen in Bezug auf den<br />
Import von Dienstleistungen und Waren vornehmen (IMF Archives 1983e: 62,<br />
1984i: 79). Zudem wurden die jährlichen Höchstbeträge für Pfund-Devisen-<br />
Transaktionen für ins Ausland reisende Ägypter im Verlauf der 1970er Jahre von<br />
LE 15 auf LE 100 angehoben (vgl. dazu die Angaben in Tabelle 9.8 auf S. 362<br />
im Anhang). Insgesamt war der internationale Zahlungsverkehr damit am Ende<br />
der 1970er Jahre viel freizügiger reguliert als noch zehn Jahre zuvor. Der Privatsektor<br />
konnte über den privaten ägyptischen Devisenmarkt alle importrelevanten<br />
internationalen Zahlungen vornehmen, der Bankensektor ohne Einschränkungen<br />
Devisen halten und Exporteure des Privat- und Staatssektors auf Teile ihrer Exporterlöse<br />
direkt zugreifen. Allein der größte Teil des Staatssektors war immer<br />
noch auf die Zuteilungen aus dem jährlich neu erstellten Devisenbudget angewiesen.<br />
Dieses Bild eines zwar selektiven, aber allgemeinen Abbaus von Restriktionen<br />
im internationalen Zahlungsverkehr sollte sich allerdings zu Beginn der<br />
1980er Jahre ändern.<br />
Seit 1. Juli 1980 mussten alle Geschäftsbanken sicherstellen, dass 15 Prozent<br />
ihrer Deviseneinlagen jederzeit der Zentralbank auf Nachfrage zur Verfügung<br />
standen (IMF Archives 1982c: 57). Im August wurde der Selbstbehalt von<br />
Exporterlösen zur Finanzierung produktionsrelevanter Importe und Transfers auf<br />
10 Prozent für den Staatssektor und 25 Prozent für den Privatsektor abgesenkt<br />
(vgl. dazu Tabelle 9.8 auf S. 362 im Anhang) (IMF 1981: 147, IMF Archives<br />
1981d: 52). Im September wurden alle speziellen Devisenkonten abgeschafft.<br />
Seitdem können Devisen nur noch mit einem Nachweis über ihre Herkunft auf<br />
Devisenkonten eingezahlt oder transferiert werden (IMF Archives 1982c: 60). 143<br />
143 “To open or add to, a […] account, documentary proof of the origin of the foreign currency<br />
was required. This stipulation had probably reduced the inflows of foreign currency to the domestic<br />
banking system, and also contributed to an increase in the volume of illegal transactions”<br />
(IMF Archives 1982c: 61).
134 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Dabei wurde die Freizügigkeit in Bezug von im Ausland erworbenen Devisen<br />
bei der Ein- wie Ausfuhr nicht eingeschränkt. Im März 1982 wurde ein neuer<br />
Devisenkontentyp eingeführt, bei dem es innerhalb von drei Tagen nach der<br />
Einreise in Ägypten möglich war, Devisen ohne Herkunftsnachweis bzw. ohne<br />
Zolldeklaration einzuzahlen. Nach Ablauf dieser Frist konnten dann nur noch bis<br />
zu LE 1.000 auf solche Konten eingezahlt werden (IMF Archives 1982c: 61). 144<br />
Zum gleichen Zeitpunkt wurde die allen Ägyptern für Auslandsreisen zur Verfügung<br />
stehenden Summen an Devisen von LE 100 auf LE 50 halbiert (IMF<br />
Archives 1983e: 61). Ein Jahr später im Juli 1983 wird auf diese Transaktionen<br />
eine 20-prozentige Steuer eingeführt (IMF 1984: 177, IMF Archives 1984i: 79).<br />
Ab April 1983 wurden die im August 1980 eingeführten Umtauschpflichten<br />
für Exporteure mit wenigen Ausnahmen (vgl. dazu Tabelle 9.8 auf S. 362 im<br />
Anhang) wieder abgeschafft. Alle davon betroffenen Unternehmen durften ihre<br />
Exporterlöse erneut bis zu zwölf Monate auf speziellen Konten halten, damit<br />
produktionsbezogene Importe und internationale Zahlungen vornehmen und die<br />
am Jahresende auf diesen Konten existierenden Guthaben im offiziellen Parallelmarkt<br />
in LE umtauschen (IMF Archives 1983e: 56, 1983d: 3, 1984g: 9).<br />
Indem am 1. Januar 1985 die Finanzierung von Importen durch Einlagen<br />
auf freien Devisenkonten verboten wurde, schränkte die ägyptische Regierung<br />
zum ersten Mal seit Einführung des ‚own exchange programms 1974 die Freizügigkeit<br />
dieser für die Entwicklung des gesamten internationalen Handels- und<br />
Zahlungsverkehrs so zentralen Bezugsquelle von Devisen ein. Im Gegensatz<br />
dazu durften Transaktionen für nicht-handelbare Güter weiterhin über diese<br />
Konten stattfinden (IMF 1985: 186, IMF Archives 1985g: 68). Doch bereits<br />
einen knappen Monat nach dieser radikalen Trendwende wurden erste Ausnahmeregulierungen<br />
erlassen. Importeure durften mit den am Jahresanfang verblie-<br />
144 “[…] the authorities issued legislation creating “import accounts” which could be opened in<br />
foreign currency in commercial banks in the names of Egyptian nationals. An important clause<br />
in the legislation was that Egyptians nationals could open such accounts within a three-day period<br />
following their return to Egypt without having to provide documentary proof of the origin<br />
of the funds, or that these funds were in their possession prior to entering the country. Thus,<br />
this leaves open the possibility of returning residents acquiring foreign currency outside the<br />
banking system within the three-day period and opening an import account with such funds. In<br />
addition to any in their possession prior to return. After the three-day period, amounts of up to<br />
LE 1,000 only could be deposited in these accounts without documentary proof of origin. Once<br />
an import account has been opened, the foreign currency can be transferred or sold to another<br />
import account at an exchange rate determined by the transactors. Import accounts may be used<br />
to finance merchandise imports, payments for specified services, and up to US$5,000 for travel<br />
abroad. Foreign exchange in an import account cannot, however, be sold or transferred to a free<br />
account (on which there are no restrictions governing the transfer of foreign currency abroad),<br />
but free accounts may be used to supply import accounts” (IMF Archives 1982c: 61). Vgl. dazu<br />
auch (IMF Archives 1983e: 59).
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 135<br />
benen Guthaben auf ihren Devisenkonten bis zum 21. März bereits vereinbarte<br />
Importe finanzieren. Zusätzlich wurden die speziellen Konten (import accounts)<br />
abgeschafft, auf denen es möglich war, Devisen innerhalb einer bestimmten Frist<br />
ohne Herkunftsnachweis einzuzahlen (IMF Archives 1985g: 69).<br />
Im April 1985 wurden alle Anfang des Jahres gemachten Einschränkungen<br />
wieder vollständig zurückgenommen (IMF Archives 1985g: 70, 1986i: 69, IMF<br />
1996: 212) und im Januar des folgenden Jahres erneut das Eröffnen von ‚import<br />
accounts erlaubt. Devisen konnten auf diese ohne Herkunftsnachweis eingezahlt<br />
und Guthaben, bis auf U.S. Dollar 500 in bar, nicht ins Ausland oder Inland<br />
transferiert, sondern allein für Importe von handelbaren und nicht-handelbaren<br />
Gütern eingesetzt werden (IMF Archives 1986i: 68, IMF 1987: 194). In den<br />
folgenden Jahren wurden keine weiteren Änderungen an diesem System vorgenommen.<br />
Erst im Rahmen des im Frühjahr 1987 mit dem IWF verhandelten Stand-by-<br />
Abkommens kam es zu einer neuen Welle von regulativen Anpassungen im<br />
ägyptischen Zahlungsverkehrsystem. Zwar sah der Vertrag mit dem IWF explizit<br />
vor, während der Vertragslaufzeit keine zusätzlichen Barrieren im internationalen<br />
Zahlungsverkehr aufzubauen (IMF Archives 1987c: 51), trotzdem wurden<br />
in den folgenden Monaten eine Reihe von restriktiveren Regulierungen eingeführt.<br />
Im Mai 1987 wurde es den privaten Geldwechslern verboten, neue Devisenkonten<br />
bei ägyptischen Banken zu eröffnen oder auf bestehende Devisen<br />
einzubezahlen. Erlaubt war ihnen nur noch das Abheben bestehender Guthaben<br />
(IMF 1988: 192). Im September wurden dann auch die Aktivitäten für Devisenkonten<br />
ägyptischer Exportunternehmen eingeschränkt. Die Einlagen durften<br />
nicht mehr auf freie Devisenkonten übertragen werden und mussten ausschließlich<br />
für produktionsrelevante Zahlungen Verwendung finden. Zudem durften alle<br />
privaten wie öffentlichen Unternehmen erst auf Devisen aus dem neuen Bankendevisenmarkt<br />
zugreifen, wenn alle eigenen Deviseneinlagen erschöpft waren<br />
(IMF 1988: 192, IMF Archives 1988f: 47-48, 1988e: 15, 37). Im Februar 1988<br />
wurde es den ägyptischen Geschäftsbanken erlaubt, bis zu 10 Prozent der eigenen<br />
Devisen für Schuldenrückzahlungen des Privatsektors bereitzustellen (IMF<br />
Archives 1988e: 15, 1988f: 48, 1989l: 51).<br />
Als im Februar 1991 im Vorfeld der Unterzeichnung eines neuen Abkommens<br />
mit dem IWF ein neues Wechselkurssystem in Ägypten eingeführt wurde,<br />
war davon auch der internationale Zahlungsverkehr betroffen. Banken und privaten<br />
Geldwechslern wurde es erlaubt, an alle Personen und Unternehmen, privat<br />
wie öffentlich, unbegrenzt Devisen zu verkaufen. Nachweislich über autorisierte<br />
Händler getauschte Devisen durften zudem unbegrenzt aus Ägypten ausgeführt<br />
werden. Ohne Nachweis konnten allein maximal U.S. Dollar 500 bei Auslandrei-
136 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
sen mitgeführt werden (IMF Archives 1992f: 50). 145 ‚Import accounts wurden<br />
abgeschafft, die Ausfuhrmenge von ägyptischen Banknoten auf LE 100 erhöht<br />
und die Umtauschpflicht für Exporte aus einer Reihe von landwirtschaftlichen<br />
Produkten eliminiert (IMF 1992: 153), wobei in diesem Zusammenhang die<br />
Einlagen auf den speziellen Exporterlöskonten vorerst allein auf die Finanzierung<br />
von produktionsrelevanten Gütern beschränkt bleiben mussten (IMF Archives<br />
1991j: 60-63). Im Juni schließlich wurden die allgemeinen Devisenbudgets<br />
für Unternehmen des öffentlichen Sektors abgeschafft (IMF Archives 1991e:<br />
44), und im Juni 1994 wurde die allgemeine Rückführungs- und Umtauschpflicht<br />
für alle von Inländern im Ausland erzielten Erlöse von handelbaren und nichthandelbaren<br />
Gütern aufgehoben (IMF 1995: 155, IMF Archives 1995g: 46,<br />
1995d: 3).<br />
Zwar existierten weiterhin bestimmte Auflagen für private Geldwechsler in<br />
Bezug auf ihre Devisenpositionen und für Banken eine Verschuldungsgrenze in<br />
Devisen (vgl. dazu z.B. IMF 1995: 155-156, IMF Archives 1995g: 46) sowie<br />
eine fünfjährige Sperrfrist in Bezug auf den Transfer von Erlösen aus dem Verkauf<br />
von Grundstücken und Immobilien durch Ausländer (IMF Archives 1995g:<br />
46), doch war das ägyptische Zahlungsverkehrregime am Ende der 1990er Jahre,<br />
bis auf die Einschränkungen in Bezug auf den Im- und Export von ägyptischen<br />
Banknoten, de facto frei von staatlichen Restriktionen. Inländer wie Ausländer<br />
konnten in Ägypten Pfund- oder Devisenkonten eröffnen und über ihre Einlagen<br />
freizügig im In- wie Ausland verfügen.<br />
Diese Situation änderte sich dann im letzten Jahr der Untersuchungsperiode<br />
noch einmal, als im März 2003 eine neue Regulierung in Bezug auf den Umtausch<br />
von Exporterlösen eingeführt wurde. 75 Prozent der Deviseneinnahmen<br />
aller Unternehmen müssen innerhalb von sieben Tagen zum offiziellen Kurs der<br />
Geschäftsbanken in Pfund umgetauscht werden. Die restlichen 25 Prozent können<br />
in Devisen gehalten werden. Diese Umtauschpflicht ist dann erst im Dezember<br />
2004 wieder abgeschafft worden (IMF 2004: 314, The Economist<br />
Intelligence Unit 2004a: 58, International Monetary Fund 2005a: 6, 14).<br />
Zusammenfassend lässt sich die Entwicklung der ägyptischen Zahlungsverkehrregulierungen<br />
weniger in Phasen als vielmehr in unterschiedliche Wellen<br />
145 “Persons traveling abroad are entitled to carry foreign bank notes and other instruments of<br />
payment in foreign currency subject to the following limits: (1) sums purchased from authorized<br />
banks or from authorized nonbank dealers in foreign exchange which are recorded on the<br />
passport by the selling agency; (2) sums stated in the customs declaration upon arrival from the<br />
latest journey abroad; (3) sums drawn from free accounts in foreign currency recorded on the<br />
passport by one of the authorized banks; and (4) sums drawn from retention accounts. In addition,<br />
bank notes or traveler checks up to US$500 or the equivalent, in other currencies may be<br />
carried abroad without the need for entry on the passport. Persons traveling to or from the<br />
country may carry up to LE 100” (IMF Archives 1992f: 50).
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 137<br />
einteilen, wobei auffällt, dass die Reformen in diesem Bereich auf das engste mit<br />
Veränderungen im Wechselkurssystem verbunden waren. Abgesehen von bestimmten<br />
Restriktionen in Bezug auf den Export von traditionellen ausländischen<br />
Vermögenswerten war der internationale Zahlungsverkehr für Ausländer bereits<br />
zu Beginn der 1970er Jahre freizügig reguliert. Bis auf eine Mindestumtauschsumme<br />
bei der Einreise und einer generellen Deklarationspflicht konnten Devisen<br />
freizügig eingeführt und auch wieder exportiert werden. Als Ende der 1960er<br />
Jahre der Besitz von Devisenkonten für Inländer und im Ausland arbeitende<br />
Ausländer erlaubt wurde, konnte nach einer Reihe von Einschränkungen zu Beginn<br />
der 1970er Jahre auch offiziell die Freizügigkeit von im Ausland erworbenen<br />
Devisen für Inländer eingeführt werden. Allein der freie Transfer von im<br />
Land selbst erworbenen Devisen blieb untersagt. Im weiteren Verlauf der 1970er<br />
und insbesondere in den 1980er Jahren veränderten sich die Beschränkungen des<br />
internationalen Zahlungsverkehrs erneut. Immer in Abhängigkeit von den am<br />
Wechselkurssystem vorgenommenen Veränderungen kam es auch im internationalen<br />
Zahlungsverkehr zu Beschränkungen und neuer Freizügigkeit. Allerdings<br />
wurde erst 1991 mit der erfolgreichen Etablierung eines stabilen und einheitlichen<br />
Wechselkurses das internationale Zahlungsverkehrsystem, bis auf wenige<br />
restriktive Elemente, vollständig liberalisiert. Diese Liberalisierung wurde durch<br />
die Einführung einer informellen Umtauschpflicht zu Beginn des Jahres 2003 im<br />
letzten Jahr der Untersuchungsperiode teilweise wieder rückgängig gemacht.<br />
4.3.3 Die Entwicklung der ägyptischen Handelsbilanzregulierungen<br />
Ähnlich wie die Regulierungen des internationalen Zahlungsverkehrs war die<br />
Entwicklung der ägyptischen Handelsbilanzregulierungen eng mit der Entwicklung<br />
des Wechselkursregimes verbunden, da ursprünglich alle importrelevanten<br />
Restriktionen in das staatliche System der Devisenbewirtschaftung eingebunden<br />
waren. Innerhalb eines zentralen Devisenbudgets wurden die erwarteten Deviseneinnahmen<br />
aus dem Export von handelbaren und nichthandelbaren Gütern<br />
sowie die zur Verfügung stehenden ausländischen Hilfen und möglichen Kredite<br />
erfasst und den erwarteten Zahlungsverpflichtungen aus Schulden und anderen<br />
Verbindlichkeiten, Zahlungen für nichthandelbare Güter etc. gegenübergestellt.<br />
Der verbleibende Rest ist dann auf die Sektoren der ägyptischen Ökonomie aufgeteilt<br />
worden. Die für den jeweiligen Sektor zuständigen Ministerien entschieden<br />
in einem zweiten Schritt über die Freigabe der Devisen für die benötigten<br />
Importe der mehrheitlich staatlichen, aber auch der wenigen noch existierenden<br />
privaten Unternehmen in ihrem Zuständigkeitsbereich (IMF Archives 1969a:
138 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
11). 146 Einerseits konnten als Teil dieses Systems für bestimmte zu importierende<br />
Waren schlicht keine Devisen zur Verfügung gestellt werden, 147 andererseits<br />
variierte der Grad an Importprotektion von Jahr zu Jahr in Abhängigkeit<br />
vom existierenden Angebot an entsprechenden Zahlungsmitteln (IMF Archives<br />
1971d: 15, 1972a: 12, 1972b: 58).<br />
Bereits Ende der 1960er Jahre wurde innerhalb dieses Systems eine Reihe<br />
von Änderungen vorgenommen. Zum einen wurden 1967 so genannte Außenhandelskommissionen<br />
eingeführt. Diese setzten sich aus Vertretern der Fachministerien,<br />
der Importagenturen, der Devisenbehörde und anderer betroffener<br />
staatlicher Einheiten zusammen und waren für die Festlegung der gesamten<br />
jährlich zu importierenden Mengen von bestimmten Produktgruppen, das Einholen<br />
von Angeboten und die Bestimmung der Zahlungsformalitäten zuständig<br />
(IMF Archives 1969a: 11). 148 Gleichzeitig mit der Einführung von freien Devisenkonten<br />
1968 (vgl. dazu auch die Ausführungen in den Abschnitten 4.3.1 und<br />
4.3.2) wurde es zum anderen Staats- wie Privatunternehmen erlaubt, bestimmte<br />
Waren mit eigenen Devisenvorräten bis zu einer jährlichen Höhe von LE 5.000<br />
zusätzlich zum jährlichen zentral zugewiesenen Devisenbudget zu importieren<br />
(IMF Archives 1969a: 35, 1970b: 33). Im September 1969 wurde dieses System<br />
auch auf Privatpersonen ausgedehnt, indem diesen gestattet wurde, Ersatzteile<br />
und weiterzuverarbeitende Güter bis zu einer Höhe von jährlich LE 3.000 mit<br />
eigenen Devisen nach Ägypten einzuführen (IMF Archives 1970b: Part I 12-13,<br />
Part II 33-34). Trotz dieser begrenzten Freizügigkeit waren für alle unter diesem<br />
Verfahren getätigten Importe Importlizenzen einzuholen. Allein Waren mit einem<br />
Wert unter LE 100 durften zu Beginn der 1970er Jahre lizenzfrei importiert<br />
werden (IMF Archives 1971e: 39).<br />
Im Gegensatz dazu konnten Exporte ohne eine allgemeine staatliche Genehmigung<br />
getätigt werden. Allerdings war die Ausfuhr der mengenmäßig wichtigsten<br />
ägyptischen Exportgüter (Erdöl und Agrarprodukte wie Reis, Baumwolle,<br />
146 “Control of imports as well as of other payments is exercised within the framework of an<br />
annual foreign exchange budget. In preparing this budget, an estimate is first made of the foreign<br />
earnings of exports and invisibles and also of foreign credits expected to be available for<br />
the period. After deducting payments on account of debt servicing during the year, the remaining<br />
amounts in convertible and bilateral currencies are allocated among individual items of import<br />
and invisible payments. The annual foreign exchange budget provides for a specific quota<br />
for each sector and the authorities in charge of the sector decide upon the goods to be imported<br />
within that quota (there are several sectors of which public utilities, supply, industry, medicine,<br />
and agriculture are the most important)“ (IMF Archives 1970b: 35).<br />
147 “No exchange is allocated in practice for many goods that are considered nonessential or that<br />
are also produced locally“(IMF Archives 1972b: 44).<br />
148 “One of the most important tasks performed by the commodity boards is the examination of<br />
import offers and the selection of the country of import, taking into account prices, specifications,<br />
delivery rates and means of payment” (IMF Archives 1969a: 11).
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 139<br />
Zwiebeln und Knoblauch) komplett über staatliche Außenhandelskomitees organisiert<br />
oder wurde, wie im Fall von Erdöl, direkt durch staatliche Unternehmen<br />
vorgenommen (IMF 1975: 162). Weite Teile dieses staatlich organisierten Exporthandels,<br />
1975 ca. 75 Prozent (IMF Archives 1976a: 9), wurden zudem über<br />
bilaterale Handels- und Zahlungsvereinbarungen abgewickelt. Bis Mitte der<br />
1980er Jahre war dieser Anteil bis auf unter 15 Prozent gesunken, 149 und zu<br />
Beginn der 1990er Jahre hatten die über bilaterale Zahlungsabkommen abgewickelten<br />
Exporte mit einem Anteil von etwas über einem Prozent ihre Bedeutung<br />
fast vollständig verloren. 150 Zusätzlich existierten für die wichtigsten Exportgüter,<br />
in Abhängigkeit von der Versorgung des nationalen Marktes, jährlich ad hoc<br />
eingeführte Exportquoten (IMF Archives 1970b: 36).<br />
1970 und 1971 wurden – eine Reihe von administrativen Vereinfachungen<br />
im Importsystem eingeschlossen (IMF Archives 1972b: 59) – die Importmöglichkeiten<br />
unter Verwendung eigener Devisen aufrechterhalten und 1971 durch<br />
die Erweiterung der jährlich zu importierenden Güter auf LE 7.500 erstmalig<br />
ausgeweitet (IMF Archives 1971a: 11, 1972b: 45). Doch bereits ein Jahr später,<br />
im Februar 1972, wurden neue Importverbote für hochwertige Konsumgüter<br />
erlassen 151 und Importzölle, so beispielsweise für Autos, erhöht (IMF Archives<br />
1973e: 58). Nachdem im April der Höchstbetrag für den lizenzfreien Import<br />
durch Privatpersonen von LE 100 auf LE 50 halbiert wurde (IMF Archives<br />
1973e: 58), durften ab Juli 1972 Importe nur noch über den im staatlichen Parallelmarkt<br />
festgelegten Wechselkurs finanziert werden. Damit wurde es den Besitzern<br />
der 1968 eingeführten freien Devisenkonten zum ersten Mal verboten, ihre<br />
Devisen zum Kurs des freien Devisenmarktes Importeuren zur Verfügung zu<br />
stellen (IMF Archives 1973e: 60).<br />
Im Rahmen der offiziellen Ausweitung der Parallelmarktaktivitäten im September<br />
1973 wurde verfügt, dass alle Importe des ägyptischen Privatsektors<br />
ausschließlich über den Wechselkurs des offiziellen Parallelmarktes zu erfolgen<br />
hatten. 152 Im Gegensatz dazu profitierte der größte Teil des Staatssektors von<br />
einer Finanzierung seiner Importe über den offiziellen Wechselkurs (IMF Archi-<br />
149 Eigene Berechnung auf Grundlage der Angaben in IMF Archives (1988f: 65).<br />
150 Eigene Berechnungen auf Grundlage der Angaben in IMF Archives (1993k: 18).<br />
151 “These included certain cotton textiles, television sets, radios, cigarettes, cigars, refrigerators,<br />
washing machines, stoves, car-pets, and diesel-operated automobiles” (IMF Archives 1973e:<br />
58).<br />
152 “Private sector enterprises desiring to use parallel market exchange for imports submit applications<br />
to the Commercial Agency for the Parallel Market. The Commercial Agency, in consultation<br />
with the Industrial Control Authority or with the Ministry of Agriculture, examines the request.<br />
If the request appears to be justified, the application is approved and passed on to a determination<br />
committee which examines the price and other terms of the proposed import transaction,<br />
and may solicit alternative bids. Once determination committee approval is obtained,<br />
the import transaction is carried out through a commercial bank” (IMF Archives 1974d: 71).
140 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
ves 1974d: 71). Gleichzeitig wurde die Obergrenze für den lizenzfreien Import<br />
von LE 50 auf LE 100 angehoben und zahlreiche weitere Erleichterungen für den<br />
Import von Waren durch Privatpersonen erlassen (IMF Archives 1974d: 74,<br />
1975f: 51).<br />
Zusätzlich wurde das gesamte Importsystem des öffentlichen Sektors dezentralisiert,<br />
indem die Zahl der Außenhandelskommissionen erhöht und jede dieser<br />
Kommissionen einem Ministerium zugeordnet wurde. Nunmehr vergab das Finanzministerium<br />
vierteljährlich, ab 1975 dann nur noch halbjährlich (IMF<br />
Archives 1975c: 5), globale Devisenbudgets an die Ministerien, die wiederum<br />
den ihnen zugeordneten Außenhandelskommissionen anteilige Budgets zur Verfügung<br />
stellten. Den Kommissionen war es dann wiederum erlaubt, innerhalb<br />
ihrer globalen Limits, Angebote einzuholen und Importe für die ihnen zugewiesenen<br />
Unternehmen zu autorisieren (IMF Archives 1974d: 73-74).<br />
Im Juni 1974 wurde die Obergrenze für lizenzfreie Importe des Privatsektors<br />
mit eigenen Devisen auf LE 5.000 (LE 100.000 für die ausschließliche Produktion<br />
von Exporten) angehoben und eine Liste von Produkten eingeführt, 153<br />
die unter diesem so genannten ‚own exchange-Programm ohne weitere Genehmigungen<br />
frei importiert werden durften (IMF Archives 1974d: 72). Darüber<br />
hinausgehende, auf eigenen Devisenvorräten basierende Importe des Privatsektors<br />
mussten vorher durch eine eigene Kommission genehmigt werden (IMF<br />
Archives 1974d: 72f, 1975f: 51-52). Bis April 1975 wurde die Anzahl der Güter,<br />
die mit eigenen Devisen lizenzfrei importiert werden durften, noch einmal deutlich<br />
angehoben (IMF Archives 1975f: 52), und im Oktober 1975 wurde die ursprüngliche<br />
Liste durch eine kleine Negativliste ersetzt, auf der allein 18 exklusiv<br />
durch staatliche Organisationen zu importierende Grundnahrungsmittel standen<br />
(IMF Archives 1976b: 64, 1978c: 44). Damit wurden die Voraussetzungen<br />
geschaffen, dass sich in den folgenden Jahren die innerhalb dieses Programms<br />
getätigten Importe von etwas über 3,5 Prozent im Jahr 1975 bis auf ein gutes<br />
Viertel der ägyptischen Gesamtimporte zu Beginn der 1980er Jahre ausweiteten<br />
(vgl. dazu auch Tabelle 4.2 auf S. 142).<br />
Im Oktober 1975 wurde die staatliche Administration des Importsystems<br />
weiter dezentralisiert und die Außenhandelskommissionen zu reinen Planungsund<br />
Beratungstätigkeiten degradiert. Staatliche Unternehmen konnten jetzt innerhalb<br />
ihres halbjährlichen Devisenbudgets selbst über die Bezugsquellen und die<br />
Preise von Importen entscheiden (IMF Archives 1976b: 51). Gleichzeitig wurde<br />
das Monopol der staatlichen Außenhandelsfirmen aufgelöst und privaten Unter-<br />
153 “The commodities covered are mainly for productive purposes and include equipment and<br />
spare parts for transport, construction and industrial sectors. The list also includes frozen and<br />
canned meat, fish, and television sets of sizes not produced domstically” (IMF Archives 1974d:<br />
72, Hervorhebungen im Original).
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 141<br />
nehmen erlaubt, Importe wie auch Exporte für Unternehmen des staatlichen<br />
Sektors zu tätigen. Allein der Export von Erdöl, Baumwolle, Reis und Zement<br />
blieb in staatlicher Hand, und auch der bilaterale Handel der wichtigsten landwirtschaftlichen<br />
Exporte (Zwiebeln, Knoblauch, Erdnüsse, Tomaten und Zitrusfrüchte)<br />
wurde weiterhin ausschließlich durch staatliche Exportorganisationen<br />
abgewickelt (IMF Archives 1976b: 51, 64).<br />
Im Januar 1976 wurde in Port Said, dem wichtigsten Hafen Ägyptens, eine<br />
Freihandelszone etabliert (IMF Archives 1977a: 54). Im Mai 1976 wurde die<br />
Grundlage zur Berechnung der Importzölle verändert. Bisher wurden alle zu<br />
begleichenden Zölle anhand des offiziellen Wechselkurses berechnet. Von nun<br />
an wurden die Zölle anhand des Wechselkurses kalkuliert, zu dem die entsprechenden<br />
Waren importiert worden waren. Aufgrund des auf dem freien ebenso<br />
wie auf dem offiziellen Parallelmarkt um bis zu 75 Prozent abgewerteten LE-<br />
Dollar-Kurses erhöhten sich dementsprechend die tarifären Belastungen für die<br />
über diese Devisenmärkte finanzierten Importe (IMF Archives 1976a: 8, 1976b:<br />
52). 154 Zum selben Zeitpunkt wurde die Verwendung von zum offiziellen Wechselkurs<br />
getauschten Devisen auf bestimmte Importe, vor allem durch staatliche<br />
Organisationen eingeführte Lebensmittel, begrenzt. Alle anderen Importe des<br />
öffentlichen Sektors mussten von nun an über den offiziellen Parallelmarkt abgewickelt<br />
werden (IMF Archives 1976b: 50, IMF 1977: 164). Im Juli 1976 wurde<br />
der Warenimport des Privatsektors mit eigenen Devisen einer allgemeinen<br />
Lizenzpflicht unterworfen (IMF 1977: 164-165), und im Januar 1977 erhöhte die<br />
ägyptische Regierung eine Reihe von Zöllen für hochwertige Konsumprodukte<br />
(IMF Archives 1978c: 55).<br />
154 “This measure increased custom tariffs on many parallel market and own exchange imports by<br />
almost 75 per cent, which should stem the growth of luxury imports as well as provide additional<br />
revenue for the Government” (IMF Archives 1976a: 8, 1976b: 52).
142 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Tabelle 4.2 Entwicklung der Warenimporte in Ägypten, 1968–1990<br />
JAHR<br />
IMPORTE INNERHALB DES<br />
STAATLICHEN<br />
DEVISENBUDGETS<br />
IMPORTE MIT ‚<br />
OWN EXCHANGE<br />
LE Million<br />
Anteil an Gesamtimporten<br />
in<br />
Prozent<br />
LE Millionen<br />
Anteil an Gesamtimporten<br />
in<br />
Prozent<br />
1968/1969 n.a. 2,3 0,60<br />
1969/1970 n.a. 3,7 0,78<br />
1970 n.a. n.a.<br />
1971 n.a. n.a.<br />
1972 n.a. n.a.<br />
1973 n.a. n.a.<br />
1974 n.a. 11,1 0,81<br />
1975 n.a. 107,7 3,50<br />
1976 3.614,2 93,48 252,0 6,51<br />
1977 4.038,5 91,20 378,9 8,56<br />
1978 4.187 79,00 967 18,25<br />
1979 4.188 62,74 1489 22,31<br />
1980 5.568 73,48 1802 23,78<br />
1980/1981 6.768 74,68 1724 19,02<br />
1981/1982 6.843 75,12 1396 15,33<br />
1982/1983 5.966 68,72 2046 23,57<br />
1983/1984 6.714 62,94 2659 24,93<br />
1984/1985 6.771 64,39 2.658 25,26<br />
1985/1986 6.006 63,06 2.598 27,28<br />
1986/1987 4.600 57,85 2.547 32,03<br />
1987/1988 7.116 72,33 1.939 19,71<br />
1988/1989 7.046 68,56 2.398 23,33<br />
1989/1990 7.213 66,95 2.569 23,85<br />
1990/1991 n.a. n.a.<br />
Quelle: IMF Archives (1971e: 34, 1972b: 68, 1978c: 105, 1979c: 119, 1980e: 102, 1981d: 52, 96,<br />
1983e: 119, 1984i: 131, 1985g: 131, 1988f: 104, 1989l: 108, 1991j, 2000f: 25).<br />
Während in den folgenden Jahren mehrere Versuche scheiterten, dem Privatsektor<br />
Importe, die über den offiziellen Wechselkurs abgewickelt werden mussten,<br />
freizügig zu gestatten, 155 weiteten sich parallel dazu die Importaktivitäten mit<br />
155 “Less successful so far, however, have been attempts to bring the open general license system<br />
into effective operation. This system was intended to liberalize importeres’ access to foreign<br />
exchange at the established rate by allowing specified commodities to be imported without restriction.<br />
The plan was that over the four-year period beginning April 1977, groups of commodities<br />
would be added to the open general license list until the importation of virtually all<br />
commodities at the established rate had been fully liberalized. While commodities accounting
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 143<br />
eigenen konvertiblen Zahlungsmitteln aus freien Devisenkonten weiter aus (vgl.<br />
dazu auch die Angaben in Tabelle 4.2).<br />
Nach der Welle von Einschränkungen der bis Mitte der 1970er Jahre ausgesprochen<br />
freizügigen Importmöglichkeiten mit eigenen Devisen wurde ab 1979<br />
eine Reihe von Erleichterungen in diesem System implementiert. Im September<br />
wurde die drei Jahre vorher eingeführte allgemeine Lizenzpflicht für den Import<br />
mit eigenen Devisen wieder abgeschafft (IMF 1980: 137, IMF Archives 1980e:<br />
56). Nachdem im Mai 1980 Zollsätze für landwirtschaftliche Maschinen, Baumaterialien<br />
und Lebensmittel abgesenkt wurden (IMF 1981: 147), übertrug die<br />
ägyptische Regierung im Juni 1980 sämtliche administrativen Aspekte des Imports<br />
mit eigenen Devisen an die Geschäftsbanken.<br />
Zum selben Zeitpunkt wurden allerdings auch Importvorabeinlagen eingeführt,<br />
die in Abhängigkeit von der Höhe des importierten Warenwertes (25 Prozent<br />
für Lebensmittel, 40 Prozent für weiterzuverarbeitende Produkte und 100<br />
Prozent für alle anderen Waren) in Devisen bei den Geschäftsbanken deponiert<br />
werden mussten. Die dabei hinterlegten Summen wurden von den Geschäftsbanken<br />
direkt an die Zentralbank abgeführt (IMF 1981: 147, IMF Archives 1981d:<br />
52). 156 Im März 1982 wurden drei unterschiedliche Listen eingeführt, die für<br />
verschiedene Warengruppen im ‚own exchange-Importverfahren erneut Lizenz<br />
vorschrieben (IMF Archives 1982c: 62). 157 Das System der Vorabimporteinlagen<br />
wurde auf diese Listen angepasst (IMF Archives 1982c: 62). 158<br />
for some 15 per cent of total imports have been placed on open general license, the recorded<br />
utilization of the scheme has remained at a very low level. Instead, the commodities have continued<br />
to be imported either under foreign exchange budget allocations or through the own exchange<br />
market” (IMF Archives 1980e: 52).<br />
156 “The first step is to file an application with an authorized bank. A Ministry of Finance representative<br />
at the bank reviews the customs tariff provisions and checks all import conditions<br />
[…] There are no restrictions on the means of financing the import. The importer then places a<br />
deposit in foreign exchange with the bank. The deposit ranges from 25 per cent to 100 per cent<br />
of the value of the import (c.i.f.). The ratio is 25 per cent for essential consumption commodities;<br />
40 per cent for fuels, raw materials, and inter-mediate and capital goods, and 100 per cent<br />
for other imports. Upon arrival of the lading documents, the bank collects the remainder of the<br />
import bill or proceeds with the credit arrangements as previously agreed between the bank and<br />
the importer. Whichever is the case, the deposit is returned to the importer at this time. The importer<br />
pays taxes and customs duties, in Egyptian pounds, at one of the government-owned<br />
commerical banks. The bank then releases the lading documents which are needed to clear the<br />
goods through customs. On average the deposits are held for three months, at the Central Bank,<br />
and no interest is paid to either the importer or the commercial bank” (IMF Archives 1981d:<br />
52).<br />
157 “The first list […] as subdivided into four categories: category A included 21 foodstuffs and<br />
human medicines; category B included 115 raw materials, intermediate goods, and capital<br />
goods; category C was composed of 20 transportation-related items; and category D comprised<br />
75 other items characterized as luxuries. From March to July 1982, all imports in the first list<br />
had to be approved by the IRC [Import Rationalization Committee, TR]. From July 1982 to
144 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Im Januar 1985 wurde dem Privatsektor, der zu diesem Zeitpunkt fast ausschließlich<br />
über eigenen Devisen bzw. den freien Devisenmarkt Waren importierte,<br />
erneut vorgeschrieben, alle Importfinanzierungen ausschließlich über den<br />
Wechselkurs im offiziellen Parallelmarkt abzuwickeln. Zugleich wurde die Zahl<br />
der lizenzfreien Importe weiter eingeschränkt (IMF Archives 1985g: 74) und die<br />
Vorabimporteinlagen reduziert, 159 die nun allerdings in ägyptischen Pfund zu<br />
entrichten waren (IMF Archives 1985e: 8, 1985g: 68, IMF 1986: 211-212). Bereits<br />
im April 1985 wurden Teile dieser Reformen zurückgenommen und die<br />
Finanzierung von Importen des Privatsektors über freie Devisenkonten wieder<br />
hergestellt. Gleichzeitig konnten die Importvorabeinlagen auch wieder in Devisen<br />
bei den ägyptischen Geschäftsbanken hinterlegt werden. Die Güter, für deren<br />
Import im Rahmen eigener Devisen Lizenzen notwendig waren, wurden ebenfalls<br />
reduziert (IMF Archives 1985g: 70-71, 1986i: 69-70). 160 Zugleich wurden<br />
die über das Devisenbudget des öffentlichen Sektors ausgeübten Importrestriktionen<br />
verschärft. Zusammengenommen führten diese Maßnahmen zu einem allgemeinen<br />
Rückgang von Importen vor allem durch Unternehmen des staatlichen<br />
December 6, 1984 only items in category A needed IRC approval; the reason for this was to<br />
ensure compliance with price controls. The second list included 135 commodities plus all other<br />
products not specified in the first list. Imports in this list were restricted in order to protect domestic<br />
industry and keep out socially undesirable items. The third list contained 46 items already<br />
included in the second list plus all other items not specifically covered by the first list. It<br />
is estimated that 10 percent of private imports fell into category A; 70 percent into categories<br />
B, C, and D; and 20 percent into the second list. All items other than those in categories B, C,<br />
and D of the first list needed an import license issued by the IRC. However, it is understood<br />
that in practice a simpler import system evolved on an informal basis since early 1983, whereby<br />
the items requiring an import license (reported to number 286) were specifically listed, with<br />
all other items being imported freely” (IMF Archives 1985g: 73-74).<br />
158 “After an import license has been issued by the IRC, but before a letter of credit has been<br />
opened, an importer is required to lodge an advance import deposit in foreign currency with his<br />
authorized bank. The amount of the deposit is stipulated as a percentage of the f.o.b. value of<br />
imports: 25 per cent for items in category A, 40 per cent for items in category B, 75 per cent<br />
for items in category C, and 100 per cent for all other items. The deposit must be lodged for a<br />
minimum of one month and be redeposited by the authorized bank at the Central Bank in a<br />
noninterest-bearing account. Upon arrival of the shipping documents, the bank collects payment<br />
from the importer for the value of the goods or proceeds with any credit arrangement; in<br />
either case, the deposit is returned to the importer at this time, provided that at least a month<br />
has elapsed since the deposit was made” (IMF Archives 1983e: 60-61).<br />
159 “The deposit rates (in percent of the f.o.b. value of imported items) were reduced from 25<br />
percent, 40 percent, 75 percent, and 100 percent to 15 percent, 20 percent, 40 percent, and 50<br />
percent, respectively” (IMF Archives 1985g: 68).<br />
160 “On June 9, 1985 the licensing procedures for private sector imports were modified and a new<br />
List was issued including 277 items subject to approval by the Import Rationalization Committee;<br />
all other items could be freely imported” (IMF Archives 1986i: 70).
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 145<br />
Sektors (IMF Archives 1986a: 9). 161 Die absoluten Angaben über die Importvolumina<br />
innerhalb des allgemeinen Devisenbudgets, dargestellt in Tabelle 4.2,<br />
können diesen Rückgang anschaulich verdeutlichen. Im Sommer 1986 wurde die<br />
ägyptische Zollstruktur vereinfacht, die Anzahl der unterschiedlichen Zollsätze<br />
von 34 auf 10 reduziert, eine Reihe von Ausnahmeregulierungen abgeschafft und<br />
für diese ein minimaler Zollsatz von fünf Prozent implementiert (IMF Archives<br />
1986a: 17). Außerdem wurde der Wechselkurs zur Berechnung der Zölle an den<br />
aktuellen Wechselkurs im offiziellen Parallelmarkt angepasst. 162<br />
Mit der Etablierung des Interbankenmarktes im Mai 1987 wurden alle Import-<br />
und Exportzahlungen in diesen neuen Devisenmarkt übernommen. Im September<br />
1987 verfügte die Regierung, dass Importe so lange nicht über den neuen<br />
Wechselkurs finanziert werden dürften, bis nicht alle Devisenguthaben in anderen,<br />
neben den freien Devisenkonten existierenden, Konten von Importeuren und<br />
importierenden Unternehmen aufgebraucht waren (IMF Archives 1989l: 51).<br />
Gleichzeitig wurden die Regulierungen für die Importvorabeinlage für den Privatsektor<br />
geändert. Das bisherige Einlagensystem wurde abgeschafft und eine für<br />
alle privaten Importe einheitliche Einlage von 100 Prozent eingeführt. 35 Prozent<br />
davon mussten bereits hinterlegt werden, wenn die Unterlagen zur Importfinanzierung<br />
bei der damit beauftragten Bank eingereicht wurden. Die restlichen 65<br />
Prozent durften bei Ausstellung der entsprechenden Papiere gezahlt werden<br />
(IMF 1988: 193). Im März 1989 wurden für eine Reihe von Produkten temporäre<br />
Importverbote erlassen (IMF Archives 1989l: 54, IMF 1990: 146). Im Juli 1989<br />
wurde die Berechnungsgrundlage für die Importverzollung simultan mit der<br />
Abwertung des Wechselkurses im offiziellen Parallelmarkt abgesenkt (IMF<br />
Archives 1989l: 50, IMF 1990: 146), aber auch eine Reihe von Zollsätzen entsprechend<br />
reduziert (IMF Archives 1989l: 25, IMF 1990: 146).<br />
Im Frühjahr 1991 begann dann als Teil eines durch IWF und Weltbank unterstützten<br />
Stabilisierungs- und Strukturanpassungsprogramms eine umfassende<br />
Liberalisierung des gesamten ägyptischen Handelssystems. Nach der Vereinigung<br />
des offiziellen mit dem parallelen Wechselkurses im Oktober 1991 durften<br />
zum ersten Mal seit Ende der 1960er Jahre alle im- und exportrelevanten Transaktionen<br />
des öffentlichen wie des privaten Sektors über einen gemeinsamen<br />
161 “Although the private sector was allowed to import some commodities previously reserved to<br />
the Government, the considerable tightening of administrative restraints on both public sector<br />
(through the foreign exchange budget and allocation of foreign exchange by public sector<br />
banks) and private imports (through licensing by the Import Rationalization Committee) resulted<br />
in a fall in the value of imports by 17 percent in 1985/86” (IMF Archives 1989l: 51).<br />
162 “In the trade area, a comprehensive tariff reform was introduced in August 1986, which rationalized<br />
the tariff structure, reduced exemptions, and introduced a more appropriate exchange<br />
rate for customs valuation purposes; however, the reform was followed by increased restrictiveness<br />
of the import system” (IMF Archives 1988e: 4).
146 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Wechselkurs abgewickelt werden. Zusätzlich wurden bis zum Ende der 1990er<br />
Jahre die meisten der bisher im System existierenden nicht-tarifären Handelsbarrieren<br />
abgeschafft und eine Reihe der tarifären Regulierungen vereinheitlicht und<br />
für alle Marktteilnehmer abgesenkt. Die Importvorabeinlagen wurde reduziert 163<br />
und im August 1992 ganz abgeschafft (IMF 1993: 161). Nach der Umstrukturierung<br />
des öffentlichen Sektors, der Eingliederung aller produzierenden Staatsunternehmen<br />
in so genannte Public Holdings (vgl. dazu auch IMF Archives 1991c:<br />
11-12), unterlagen die darin zusammengefassten staatlichen Unternehmen nicht<br />
mehr dem bis dahin existierenden zentralen Devisenbudget. Allein für staatliche<br />
Institutionen wie Ministerien und andere staatliche Einrichtungen, darunter das<br />
Militär, wurden weiterhin zentrale jährliche Devisenbudgets erstellt (IMF Archives<br />
1991j: 61, 1991c: 15, 1992f: 53-54).<br />
In den folgenden Jahren wurden zudem systematisch quantitative Einfuhrbeschränkungen<br />
abgebaut, das Zollsystem vereinfacht und Zölle abgesenkt.<br />
Zwar wurde in einem ersten Schritt im Mai 1991 die Reduktion der im Juli 1989<br />
implementierten Zollsenkung rückgängig gemacht (IMF Archives 1991e: 41, 42)<br />
und der maximale Zollsatz von 0,7 auf 5 Prozent angehoben, doch wurde gleichzeitig<br />
der Maximalzollsatz von 120 auf 100 Prozent reduziert, 164 die Anzahl der<br />
Güter, für die Importlizenzen notwendig waren, von 55 auf 16 verringert (IMF<br />
Archives 1991e: 43) 165 und die Zahl der mit einem Importverbot belegten Produkte<br />
von 33 auf 23 Prozent der in Ägypten hergestellten Produkte reduziert<br />
(IMF Archives 1992f: 53). 166 Schließlich wurde im Juni 1991 die obligatorische<br />
Verpflichtung zur Ausstellung eines Kreditbriefes aufgehoben und die Anzahl<br />
der Güter mit jährlichen Importquoten auf vier reduziert (IMF Archives 1991e:<br />
43, 1992e: 40).<br />
163 “The advance import deposit requirement for imports which are settled with letters of credit<br />
was reduced from 35 percent to 10 percent in respect of imports for own use and to 20 percent<br />
in respect of imports for resale“ (IMF Archives 1992f: 84).<br />
164 Für bestimmte Produkte bestehen Ausnahmen nach oben und unten. So werden einerseits eine<br />
Reihe von Grundnahrungsmitteln und medizinische Produkte gar nicht besteuert und andererseits<br />
beispeilsweise alkoholische Getränke, Kosmetika, Tabakprodukte und Autos deutlich<br />
höher verzollt (IMF Archives 1992f: 54).<br />
165 “Among those commodities still requiring prior government approval are crude oil and petroleum<br />
products, fire extinguisher equipment, motors, mechanical and semi-mechanical bakery<br />
equipment, and generators” (IMF Archives 1992f: 53)<br />
166 Eine Liste der zu diesem Zeitpunkt (1991) durch ein Importverbot betroffenen Waren findet<br />
sich in IMF Archives (1992f: 86-91) und enthält insgesamt 105 Produkte. Darunter sind eine<br />
Reihe von landwirschaftlichen Produkten wie Oliven, Honig, Erdnüsse oder verschiedene<br />
Fleischsorten, verschiedene Halbfertigprodukte wie Zement, Farben und chemische Substanzen,<br />
aber auch hochwertige Konsumprodukte wie Autos, Motorräder, Kühlschränke und Videoapparate.
4.3 Ägypten Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 147<br />
Ebenso wurden existierende Barrieren beim Export ägyptischer Waren abgebaut,<br />
die Anzahl der nur mit Genehmigung zu exportierenden Güter von 37<br />
auf zwei reduziert, die Anzahl der Exportverbote von 20 auf vier und die Anzahl<br />
der Exportprodukte mit jährlichen Exportquoten von 17 auf 4 (Rohwolle, Wollabfälle,<br />
gegerbte Lederhäute, Baumwoll- und Papierabfälle) verringert (IMF<br />
Archives 1991e: 43, 1992e: 40). Allein der Export von Baumwolle und Erdöl<br />
wurde weiterhin exklusiv durch den staatlichen Sektor bzw. Staatsunternehmen<br />
getätigt (IMF Archives 1992f: 54).<br />
In den folgenden Jahren setzte sich dieser unilaterale Abbau von Handelsbarrieren<br />
fort. 1992 wurden alle, bis auf eine, der dann noch existierenden Ausfuhrbeschränkungen,<br />
alle Exportquoten und die beiden verbliebenen Exportlizenzen<br />
für Baumwollgarne und -stoffe abgeschafft (IMF Archives 1993a: 41,<br />
42). Die Anzahl der nur mit Importlizenzen einzuführenden Produkte wurde auf<br />
neun reduziert (IMF Archives 1993a: 41) und der Anteil der mit Importverboten<br />
belegten in Ägypten hergestellten Produkte auf 13 Prozent abgesenkt (1994 4,5<br />
Prozent) (IMF Archives 1993a: 41, 1995g: 48).<br />
Im Februar 1993 wurde der maximale Zollsatz auf 80 Prozent reduziert und<br />
eine Reihe von Ausnahmeregulierungen beseitigt (IMF Archives 1993b: 2). Ein<br />
Jahr später wurde die maximale Zollrate dann auf 70 Prozent abgesenkt, die<br />
Zölle über 30 Prozent um 10 Prozent verringert und gleichzeitig neue Importgebühren<br />
von 2 und 5 Prozent eingeführt (IMF 1995: 155). Im September 1996<br />
wurde der maximale Zollsatz auf 55 Prozent, alle Zölle über 30 Prozent zwischen<br />
10 und 15 Prozent verringert und die höhere der beiden neuen Importgebühren<br />
von 5 auf 4 Prozent reduziert (IMF Archives 1996c: 2, IMF 1997:<br />
283). 167 Im Juli 1997 wurden der Spitzenzollsatz weiter auf 50 Prozent, alle Zollsätze<br />
über 30 Prozent um fünf Prozent und die höhere Importgebühr auf 3 Prozent<br />
abgesenkt (IMF 1998: 303). Zur gleichen Zeit wurde die letzte der quantitativen<br />
Importbeschränkungen für Geflügel und Textilien in einen 80-prozentigen<br />
Zollsatz umgewandelt und das Exportverbot von Tierhäuten aufgehoben (IMF<br />
Archives 1997g: 133, 1998c: 42). Im Juli 1998 wurde der Spitzenzoll dann weiter<br />
auf 40 Prozent abgesenkt und die Zölle zwischen 35 und 40 Prozent bei 30<br />
Prozent konsolidiert. Gleichzeitig wurden die 1994 eingeführten Importgebühren<br />
bei 2 Prozent vereinigt (IMF Archives 1998c: 20).<br />
Bis auf eine wachsende Liste von Gütern, die bei der Einfuhr nach Ägypten<br />
obligatorischen Qualitätskontrollen unterzogen werden müssen (IMF Archives<br />
1995g: 48, 1997g: 133), sind im Verlauf der 1990er Jahre in Ägypten keine neuen<br />
Außenhandelsbarrieren entstanden. Dies änderte sich im März 2000, als im<br />
Rahmen von verpflichtenden Kreditbriefen erneut hundertprozentige Vorabein-<br />
167 Zeitgleich wurden der darüberliegende Zollsatz für Autos von 160 auf 135 Prozent reduziert<br />
(IMF Archives 1996c: 6).
148 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
lagen für eine Reihe von zu importierenden Waren und Dienstleistungen bei<br />
ägyptischen Banken hinterlegt werden mussten (IMF 2000: 306). 168 Im September<br />
2003 führte die Regierung einen festen Wechselkurs von LE 5,35 pro U.S.<br />
Dollar ein, zu dem ab sofort die wichtigsten durch staatliche Agenturen getätigten<br />
Lebensmittelimporte verzollt werden mussten (The Economist Intelligence<br />
Unit 2004a: 58).<br />
Obwohl Ägypten bereits innerhalb der Uruguay-Runde des GATT zu Beginn<br />
der 1990er Jahre über 90 Prozent seiner Zollsätze an multilaterale Obergrenzen<br />
gebunden hatte und 1995 der WTO beigetreten war (The Economist<br />
Intelligence Unit 1998a: 52), lagen die tatsächlich im ägyptischen Außenhandel<br />
verwendeten tarifären Restriktionen ab Mitte der 1990er Jahre im Durchschnitt<br />
um über 10 Prozent unter diesen multilateral vereinbarten Höchstzöllen (IMF<br />
Archives 1995g: 58, The Economist Intelligence Unit 1996a: 50, IMF Archives<br />
1997g: 130). Die Mitgliedschaft in der WTO hat in Ägypten deswegen zu keinen<br />
weiteren Impulsen in Bezug auf den Abbau von Außenhandelsrestriktionen geführt.<br />
Erst im Rahmen des im Juni 2001 unterzeichneten und vier Jahre später in<br />
Kraft getretenen Assoziationsabkommens mit der EU muss die ägyptische Regierung<br />
in Zukunft eine Reihe von bilateralen Zöllen für Importe aus der Europäischen<br />
Union reduzieren (The Economist Intelligence Unit 2001a: 48, 2004a:<br />
52).<br />
Die Genese der ägyptischen Handelsregulierung kann in zwei große Phasen<br />
eingeteilt werden. Die erste Phase ist seit den späten 1960er Jahren bis zur Einführung<br />
eines einheitlichen Wechselkurses im Herbst 1991 eng mit der Erosion<br />
des die Handelsregulierungen der 1950er und 1960er Jahre dominiert habenden<br />
Systems zentraler Devisenbewirtschaftung verbunden. Import- wie Exportrestriktionen<br />
konnten dabei, in Abhängigkeit von der Situation auf ägyptische Exporte<br />
absorbierenden Märkten und dem Angebot an aus sonstigen Quellen ins<br />
Land strömenden Devisen, von Jahr zu Jahr variieren. Waren Devisen vorhanden,<br />
wurde ausreichend importiert. Waren Devisen knapp, musste die Produktion<br />
reduziert werden. Mit der Einführung von Devisenkonten, deren Einlagen bis zu<br />
bestimmten Höchstbeträgen freizügig zum Import von Waren berechtigten, begann<br />
ab 1968 die interne Erosion dieses Systems. Die 1970er und 1980er Jahre<br />
sind gekennzeichnet durch eine Abfolge von Ausweitungen und Einschränkungen<br />
der Freizügigkeit von Importen mit freien Devisen, bis dann im Sommer<br />
1991 die Reste des alten Systems zugunsten von einheitlicheren tarifären und<br />
nicht-tarifären Regulierungen weichen mussten. In der zweiten Phase wurden<br />
dann ab 1991 unter einem gemeinsamen, für alle Sektoren und Unternehmensformen<br />
gültigen Wechselkurs, wenn auch mit abnehmender Geschwindigkeit, bis<br />
168 “Moreover, an informal understanding was reached with banks in 1999 requiring 100 percent<br />
advance deposits for imports of certain commodities” (IMF Archives 2000f: 25).
4.4 Jordanien Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 149<br />
zum Ende der 1990er Jahre so gut wie alle mengenmäßigen Beschränkungen<br />
beim Im- wie Export beseitigt und tarifäre Barrieren vereinheitlicht und reduziert.<br />
Erst mit der Einführung von Importvorabeinlagen 2000 wurde dieser Liberalisierungstrend<br />
beendet.<br />
4.4 Jordanien Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003<br />
4.4 Jordanien Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003<br />
4.4.1 Die Entwicklung der jordanischen Wechselkursregulierungen<br />
Die jordanische Währung, das Dinar (JD), war seit Ende der 1940er Jahre in das<br />
weltweite System paritätischer Wechselkurse durch einen festen Wechselkurs<br />
zum U.S. Dollar eingebunden. Diese Anbindung über das Ende des Bretton-<br />
Woods-System hinaus aufrechterhaltend (IMF Archives 1975h: 43, 1977f: 11),<br />
fixierte die jordanische Regierung das Dinar erst im Februar 1975 an die monetäre<br />
Verrechnungseinheit des IWF, die SDRs 169 – de facto ein Währungskorb der<br />
wichtigsten Weltwährungen (IMF Archives 1975h: 43, 1977f: 11, 1978d: 48,<br />
1979d: 3, 1980f: 12, 1980g: 46, 1981i: 42, 1982g: 54, 1983g: 10, 1985d: 45).<br />
Offiziell wurde diese neue Anbindung erst mehr als 13 Jahre später, im Oktober<br />
1988, aufgegeben. Allerdings durfte der auf dem freien jordanischen Devisenmarkt<br />
gültige Wechselkurs des JD zum U.S. Dollar, 170 der maßgeblich durch<br />
die Tauschgeschäfte jordanischer Geschäftsbanken und privater Geldwechsler<br />
auf dem seit 1977 existierenden freien Devisenmarkt bestimmt war, bereits seit<br />
Februar 1984 um mehr als die bis dahin von der jordanischen Zentralbank tolerierten<br />
2,5 Prozent vom offiziellen Wechselkurs abweichen (IMF Archives<br />
169 Die ‚Special Drawing Rights (SDRs) sind die fiktive Währung des IWF (technisch ein Währungskorb,<br />
der sich aus den wichtigsten Weltwährungen zusammensetzt). Im System fester<br />
Wechselkurse ursprünglich die Weltreservewährung, da sich jeder Mitgliedsstaat des IWF im<br />
Rahmen seiner Ziehungsrechte in deren Gegenwert Devisen bei anderen Mitgliedsstaaten besorgen<br />
konnte, werden die SDRs heute, neben ihrer Funktion als interne Verrechnungseinheit<br />
des IWF und einiger anderer internationaler Organisationen, vor allem als Währungsanker genutzt,<br />
an den Staaten ihre nationalen Währungen binden können: “After the collapse of the<br />
Bretton Woods system in 1973, however, the SDR was redefined as a basket of currencies, today<br />
consisting of the euro, Japanese yen, pound sterling, and U.S. dollar […] It is calculated as<br />
the sum of specific amounts of the four currencies valued in U.S. dollars, on the basis of exchange<br />
rates quoted at noon each day in the London market. The basket composition is reviewed every<br />
five years to ensure that it reflects the relative importance of currencies in the world’s trading<br />
and financial systems” http://www.imf.org/external/np/exr/facts/sdr.htm, 8. Juli 2008.<br />
170 Obwohl das jordanischen Dinar offiziell an die SDRs gebunden war, spielte dieser Wechselkurs<br />
im täglichen Zahlungsverkehr keine praktische Rolle. Getauscht wurden JD in U.S. Dollar<br />
oder umgekehrt. Der offizielle Wechselkurs zur U.S.-amerikanischen Währung ergab sich somit<br />
über den durch den IWF bestimmten und regelmäßig angepassten SDR-Kurs zum U.S.<br />
Dollar.
150 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
1986h: 4, 1989b: 1, 1989d: 32, 1991f: 32). 171 Seit etwa 1986 tolerierte die Zentralbank<br />
eine beidseitige Abweichung von je sechs Prozent, ohne auf dem freien<br />
Devisenmarkt zu Gunsten bzw. zu Ungunsten des JD zu intervenieren (IMF<br />
Archives 1986h: 4). 172<br />
Auf den steigenden Abwertungsdruck des JD reagierend, hob die Zentralbank<br />
diese flexibleren Regulierungen am 6. Juni 1988 allerdings wieder auf. Alle<br />
Finanzinstitute wurden zu diesem Zeitpunkt angewiesen, ihre Devisen nur noch<br />
zu dem von der jordanischen Zentralbank festgelegten Wechselkurs in JD zu<br />
tauschen (IMF 1989: 267, IMF Archives 1989b: 1, 1991g: 53). Allein die privaten<br />
Wechselstuben waren bzw. fühlten sich nicht an diese Vorgaben gebunden<br />
und tauschten weiter jordanische Dinar zu Marktpreisen. 173 Als im Juli 1988 die<br />
Diskrepanz zwischen offiziellem Wechselkurs und dem im Verhältnis zum U.S.<br />
Dollar stärker abgewerteten JD-Kurs der privaten Geldwechsler auf über 10<br />
Prozent zu steigen begann, versuchte die Zentralbank den weiter steigenden<br />
Abwertungsdruck erneut einzudämmen, indem sie den privaten Geldwechslern<br />
untersagte, ihre Geldgeschäften über Konten bei ausländischen Banken und<br />
Finanzinstituten abzuwickeln (IMF 1989: 267, IMF Archives 1991g: 53).<br />
Infolge des ebenfalls im Juli 1988 stattgefundenen Abbruchs der politischen<br />
und ökonomischen Bindungen zum Westjordanland verschärfte sich die Lage in<br />
Bezug auf den offiziellen Wechselkurs des JD erneut (IMF Archives 1991g: 53).<br />
Die Bewohner des Westjordanlandes zogen als Reaktion auf die aktuellen politischen<br />
Entwicklungen große Teile ihrer Einlagen aus dem jordanischen Bankensystem<br />
ab. 174 Die von der Zentralbank getätigten Maßnahmen konnten dies nicht<br />
171 Den jordanischen Geschäftsbanken und privaten Geldwechslern war es im Gegensatz zu den<br />
marokkanischen, tunesischen und ägyptischen Geldhäusern seit etwa 1975 gestattet, frei Devisen<br />
und jordanische Dinar innerhalb des nach oben und unten jeweils 2,5 Prozent breiten<br />
Bandes um den offiziellen Wechselkurs zu tauschen (IMF Archives 1988h: 55, IMF 1989:<br />
267). Vgl. dazu auch den folgenden Abschnitt 4.4.2.<br />
172 Der genaue Zeitpunkt des Beginns dieser Flexibilisierung wird in den IWF-Dokumenten<br />
unterschiedlich angegeben: “Beginning in 1985, the band within which the exchange rate could<br />
move was widened in order to allow for some degree of exchange rate flexibility. As a result,<br />
the Jordan dinar depreciated by about 26 percent in real effective terms during 1985-87. Effective<br />
in February 1986, financial institutions and foreign exchange houses were allowed to quote<br />
their own exchange rate, although this rate remained linked to the official exchange rate quoted<br />
by the Central Bank of Jordan” (IMF Archives 1993h: 95).<br />
173 Zum damaligen Zeitpunkt waren etwa 70 private Geldwechsler in Jordanien aktiv. Ihnen war<br />
es erlaubt, Devisen zu wechseln und kommerzielle Geldtransfers ins Ausland durchzuführen.<br />
Verboten waren für sie die klassischen Bankaufgaben, wie z.B. Kreditvergabe und Konteneröffnung<br />
(IMF Archives 1991g: 32).<br />
174 “Intended as a political act, the disengagement [from the Westbank, TR] carried severe economic<br />
repercussions. Palestinians in the West Bank, worried about their future relations with<br />
the Hashemite state, reacted to the disengagement announcement by withdrawing an estimated<br />
$200 to $300 million from Jordanian banks. Cashing in dinars for dollars combined with al-
4.4 Jordanien Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 151<br />
effektiv eindämmen und den drastischen Rückgang der jordanischen Devisenreserven<br />
damit nicht aufhalten (IMF Archives 1989i: 58, 1990b: 3, 1991g: 53).<br />
Drei Monate später, am 16. Oktober, stellte die Zentralbank deswegen die Bereitstellung<br />
von Devisen zur Stützung des offiziellen Wechselkurses ein. Infolgedessen<br />
musste der offizielle Wechselkurs des jordanischen Dinar nominal über<br />
20 Prozent gegenüber dem U.S. Dollar abwerten (IMF 1989: 267, IMF Archives<br />
1989b, 1989d: 27, The Economist Intelligence Unit 1990: 10, 1991: 10, IMF<br />
Archives 1993h: 96). 175<br />
Bis Anfang 1989 existierten insgesamt drei voneinander unabhängige Devisenmärkte<br />
mit jeweils unterschiedlichen Wechselkursen: ein offizieller Wechselkurs<br />
der Zentralbank, über den aber allein die wichtigsten staatlichen Transaktionen<br />
abgewickelt wurden, ein Wechselkurs der jordanischen Geschäftsbanken<br />
und ein Wechselkurs auf dem Devisenmarkt der privaten Geldwechsler (IMF<br />
Archives 1989b: 1, 1989i: 58). Nach einer erneuten Abwertung des offiziellen<br />
Kurses versuchte die Zentralbank am 8. Februar 1989, den offiziellen Wechselkurs<br />
mit dem der jordanischen Geschäftsbanken zu einem für alle Transaktionen<br />
verbindlichen Kurs von 0,54 JD pro U.S. Dollar zusammenzuführen (IMF<br />
Archives 1989d: 27, 1989i: 58, IMF 1990: 265, IMF Archives 1990b: 22, 1991f:<br />
32). 176 Zur gleichen Zeit veranlasste sie die Schließung der Büros der privaten<br />
Geldwechsler, um den Devisenschwarzmarkt einzudämmen und den weiteren<br />
Abfluss von Liquidität zu unterbinden (IMF Archives 1989b: 1, 1989d: 27,<br />
1989i: 58, IMF 1990: 265, IMF Archives 1991g: 53, 1993h: 96). 177 Nach einer<br />
zweimonatigen Übergangsphase, in der die Zentralbank noch nicht verpflichtet<br />
war, zugunsten des neuen einheitlichen Wechselkurses zu intervenieren (IMF<br />
ready low foreign currency reserves meant the Central Bank could do little to stop a run on the<br />
dinar” (Moore 2004: 147).<br />
175 “[…] the authorities withdrew support to the foreign exchange market […] thereby effectively<br />
floating the Jordan dinar” (IMF Archives 1989b: 1). “In 1988 the Jordan dinar came under increasing<br />
pressure as Jordan’s external payments position deteriorated. In face of the heavy<br />
losses of net international reserves, in October 1988 the Central Bank of Jordan ceased to supply<br />
foreign exchange to the market and, for all practical purposes, the exchange rate was effectively<br />
allowed to float” (IMF Archives 1993h: 96).<br />
176 Mit diesem neuen Kurs hatte der Dinar seit 1984 über 40 Prozent seines Wertes gegenüber dem<br />
U.S. Dollar verloren (IMF Archives 1989i: 58).<br />
177 Laut offiziellen Angaben waren der Hauptgrund für die Schließung der Wechselstuben durch<br />
die jordanische Polizei illegale Aktivitäten und spekulative Attacken der privaten Geldwechsler<br />
auf den offiziellen Wechselkurs (IMF Archives 1989d: 27). “In 1988 and early 1989, divergencies<br />
in exchange rates of the Central Bank, commercial banks, and the moneychangers widened,<br />
on some occasions by over 10 percent; differences between the rates of money-changers<br />
on the one hand and the rates quoted by commercial banks and the Central Bank on the other<br />
hand were particularly large. The authorities believed that moneychangers were taking positions<br />
in the market, and were also engaging in banking activities over and above permitted<br />
moneychanging activities” (IMF Archives 1989i: 58).
152 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Archives 1989i: 58), wurde das jordanische Dinar im Mai 1989 erneut an die<br />
SDRs angebunden (IMF 1990: 266, IMF Archives 1991f: 32) und die Geschäftsbanken<br />
verpflichtet, Transaktionen zum festgelegten Wechselkurs vorzunehmen<br />
(IMF 1990: 266).<br />
Bereits zwei Monate später, am 31. Juli 1989, musste diese Vereinheitlichung<br />
bereits wieder aufgegeben werden, und es entstanden erneut – diesmal<br />
zwei voneinander unabhängige – JD-Devisenmärkte. Über einen offiziellen<br />
Wechselkurs der Zentralbank wurden alle offiziellen Transaktionen, d. h. vor<br />
allem die strategischen Importe (Energie und Lebensmittel) (The Economist<br />
Intelligence Unit 1990: 10), sowie etwa 15 Prozent der Transaktionen der Geschäftsbanken<br />
abgewickelt. Über einen eigenen Wechselkurs der Geschäftsbanken,<br />
der einen deutlich abgewerteten JD repräsentierte, wurden alle anderen<br />
Transaktionen bedient (IMF Archives 1991f: 33). Die Differenz zwischen diesen<br />
beiden Kursen betrug zeitweise über 30 Prozent (IMF Archives 1990b: 22,<br />
1991f: 20, 32f). Dabei blieb der offizielle nominale Kurs weiter an die SDRs<br />
gebunden, während der Geschäftsbankenkurs zwischen den Banken frei ausgehandelt<br />
wurde. Die Zentralbank intervenierte auf dem Devisenmarkt der Geschäftsbanken,<br />
wenn überhaupt, dann allein durch den gezielten Verkauf von<br />
Devisen zu festgelegten Kursen (IMF Archives 1993h: 96).<br />
Erst über ein halbes Jahr später am 17. Februar 1990 wurden diese beiden<br />
Devisenmärkte wieder zu einem einzigen Wechselkurs zusammengefasst (IMF<br />
Archives 1990b: 22, 1991f: 20, 33). Gestärkt durch das gerade mit dem IWF<br />
abgeschlossene Stand-by-Abkommen erklärte die Zentralbank ihre neue Bereitschaft,<br />
von nun an Banken und Finanzinstitute wieder ausreichend mit Devisen<br />
versorgen zu können (IMF Archives 1991g: 54, 1993h: 96). In den folgenden<br />
Jahren blieb das JD offiziell weiter fest an die SDRs gebunden (IMF Archives<br />
1994b: 16). In der Praxis wurde jedoch schon damals der nominale Wechselkurs<br />
innerhalb eines Bandes an den U.S. Dollar gebunden und regelmäßig entsprechend<br />
den relativen Inflationsdifferentialen zwischen Jordanien und dem Dollarraum<br />
angepasst (IMF Archives 1996a: 9). 178 Folgende Abbildung 4.5 zeichnet<br />
den Verlauf dieser Anpassungsphase des offiziellen Wechselkurses zwischen JD<br />
und U.S. Dollar auf der einen Seite und SDRs auf der anderen Seite nach.<br />
178 “The exchange rate remained pegged to the SDR basket of currencies but, at the same time, the<br />
authorities managed the exchange rate policy in a flexible manner, with a view to maintaining<br />
the external competitiveness of nontraditional exports and services while safeguarding the<br />
gross official international reserves position of the Central Bank of Jordan” (IMF Archives<br />
1993h: 52).
4.4 Jordanien Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 153<br />
1,5<br />
1,4<br />
1,3<br />
1,2<br />
1,1<br />
OFFICIAL RATE, JD per SDR<br />
1,0<br />
0,9<br />
0,8<br />
0,7<br />
0,6<br />
OFFICIAL RATE, JD per U.S.$<br />
0,5<br />
0,4<br />
0,3<br />
0,2<br />
0,1<br />
0,0<br />
Q1<br />
1960<br />
Q1<br />
1962<br />
Q1<br />
1964<br />
Q1<br />
1966<br />
Q1<br />
1968<br />
Q1<br />
1970<br />
Q1<br />
1972<br />
Q1<br />
1974<br />
Q1<br />
1976<br />
Q1<br />
1978<br />
Q1<br />
1980<br />
Q1<br />
1982<br />
Q1<br />
1984<br />
Q1<br />
1986<br />
Q1<br />
1988<br />
Q1<br />
1990<br />
Q1<br />
1992<br />
Q1<br />
1994<br />
Q1<br />
1996<br />
Q1<br />
1998<br />
Q1<br />
2000<br />
Abbildung 4.5 Wechselkurs jordanisches Dinar-U.S. Dollar und jordanisches Dinar-SDR zwischen 1960 und<br />
2004<br />
Quelle: IMF – International Financial Statistics, Online Version.<br />
Q1<br />
2002<br />
Q1<br />
2004
154 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
1992 wurden die privaten Geldwechsler wieder zugelassen (IMF Archives<br />
1993h: 98) und im Oktober 1995 das jordanische Dinar offiziell an den U.S.<br />
Dollar gebunden (IMF Archives 1995a: 10, 13, 1996a: 9, 1996b: 11, 1997b: 10,<br />
1998f: 70, 1998a: 69, 1999a: 53, 1999b: 34, 2000a: 39, 2000e: 9, The Economist<br />
Intelligence Unit 2000b: 20, 2001b: 21, International Monetary Fund 2004a: 42,<br />
2004c: 38, 2005d: 34, 2007a: 1, 2007b). Diese Bindung wurde bis zum Ende der<br />
Untersuchungsperiode 2003 ohne weitere Änderungen aufrechterhalten (The<br />
Economist Intelligence Unit 2002b: 39, 2003b: 42, 2004b: 47, 2005: 50, 2006:<br />
50). 179 Die Entwicklung der jordanischen Wechselkursregulierungen zwischen<br />
1970 und 2003 kann zusammengefasst in drei Phasen unterteilt werden. In der<br />
ersten Phase, die bis 1988 reichte, war das JD entweder fest an den U.S. Dollar<br />
oder die SDRs gebunden. Diese Fixierung wurde im Kontext eines relativ liberalen<br />
Zahlungsverkehrregimes (vgl. dazu den folgenden Abschnitt 4.4.2) durch<br />
eine Interventionspflicht der jordanischen Zentralbank unterstützt. Bereits Mitte<br />
der 1980er Jahre wurden auf dem freien jordanischen Devisenmarkt existierende<br />
Abweichungen vom offiziellen Wechselkurs durch die jordanische Zentralbank<br />
toleriert. Ende 1988, den Beginn der zweiten Phase kennzeichnend, konnte diese<br />
Bindung allerdings nicht mehr aufrechterhalten werden, und der JD musste deutlich<br />
abwerten. Trotz wiederholter Versuche durch die Zentralbank, einen einheitlichen<br />
Devisenmarkt zu reorganisieren, gelang es erst im Frühjahr 1990, den<br />
Wechselkurs zu vereinheitlichen und erneut an die SDRs zu binden. Bis zum<br />
Beginn der dritten Phase im Herbst 1995 wurde diese Bindung flexibel gehandhabt<br />
und dementsprechend oft angepasst. Erst in der dritten Phase wurde das<br />
jordanische Dinar im Oktober 1995 fest an den U.S. Dollar fixiert.<br />
4.4.2 Die Entwicklung der jordanischen Zahlungsverkehrregulierungen<br />
Im Vergleich zu vielen anderen Entwicklungsländern wurden die in Jordanien<br />
existierenden staatlichen Regulierungen des internationalen Zahlungsverkehrs<br />
bereits in den 1970er und 1980er Jahren vom IWF als vergleichsweise liberal<br />
eingestuft. 180 Transaktionen, den internationalen Handelsverkehr betreffend,<br />
179 Im Oktober 1995 setzte die jordanische Zentralbank den mittleren Wechselkurs zum U.S.<br />
Dollar auf JD 0,709 = U.S. Dollar 1 fest. Die offizielle Kauf- und Verkaufsrate wurde auf JD<br />
0,0708 und JD 0,0710 pro U.S. Dollar festgelegt. Bis Herbst 1999 kaufte und verkaufte die<br />
Zentralbank ausschließlich zu diesen Kursen U.S. Dollar. Ab Oktober 1999 durften die jordanischen<br />
Geschäftsbanken innerhalb der Spanne zwischen offiziellem Kauf- und Verkaufskurs<br />
ihre eigenen JD-Devisen-Wechselkurse festlegen (IMF Archives 2000e: 35).<br />
180 “Jordan’s trade and payments system continues to be essentially liberal” (IMF Archives 1971c:<br />
30). Ähnliche Einschätzungen finden sich auch in IMF Archives (1972c: 16, 1972d: 36).
4.4 Jordanien Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 155<br />
konnten freizügig vorgenommen werden, und bereits Anfang der 1970er Jahre<br />
war es Ausländern oder im Ausland lebenden Jordaniern gestattet, ohne Einschränkung<br />
Konten in ausländischer und einheimischer Währung bei einer jordanischen<br />
Bank zu eröffnen. Transaktionen ins Ausland durften jederzeit vorgenommen<br />
werden. Nur für Transaktionen von Inländerkonten, so genannten ‚resident<br />
accounts auf diese Devisenkonten, bedurfte es der Genehmigung durch die<br />
jordanische Zentralbank (IMF Archives 1971c: 33, IMF 1975: 281), die gleichfalls<br />
für alle anderen Aspekte in Bezug auf die Aufsicht und Kontrolle des internationalen<br />
Zahlungsverkehrs zuständig war.<br />
Trotzdem existierte auch in Jordanien eine Reihe von für die damalige Zeit<br />
typischen Restriktionen des internationalen Zahlungsverkehrs. Im Gegensatz zur<br />
Freizügigkeit für Ausländer und im Ausland lebende Jordanier konnten im Inland<br />
lebende Jordanier nur eingeschränkt über Devisen verfügen und waren<br />
generell verpflichtet, alle nach einer Einreise mitgeführten Devisen in Dinar<br />
umzutauschen (IMF 1975: 282). Sämtliche internationale, durch Inländer getätigte<br />
Zahlungsverkehrtransaktionen, die einen Betrag von zehn JD überstiegen,<br />
unterlagen einer Genehmigungspflicht durch die Zentralbank. Allerdings existierten<br />
für viele der darüber hinausgehenden Transfers zweckgebundene Obergrenzen<br />
unterschiedlicher Höhe (IMF Archives 1971c: 34, 1973f: 40). Für in Jordanien<br />
lebende Ausländer wurden diese Transaktionsobergrenzen bereits 1973<br />
durch eine allgemeine und im Allgemeinen freizügig erteilte Genehmigungspflicht<br />
durch die Zentralbank ersetzt (IMF Archives 1974f: 52). In Jordanien<br />
lebende jordanische Staatsbürger konnten Anfang der 1970er Jahre jedoch<br />
höchstens JD 16 bei Geschäftsreisen und JD 12 bei allen anderen Reisen pro<br />
Reisetag in Devisen tauschen. 181 Über diese Tagessätze hinaus durften nur bis zu<br />
JD 100 in Devisen oder jordanischen Dinar bei der Ausreise mitgeführt werden<br />
und/oder zusätzliche Beträge zwischen JD 600 und JD 1200 zur Unterstützung<br />
der im Ausland lebenden Familie transferiert werden (IMF Archives 1971c: 34)<br />
(vgl. dazu ebenfalls die Angaben in Tabelle 9.10 auf S. 372 im Anhang).<br />
Im Vergleich zu diesen Einschränkungen konnte Kapital zu Beginn der<br />
1970er Jahre freizügig nach Jordanien eingeführt und Gewinne aus genehmigten<br />
Investitionen ohne Einschränkungen wieder ausgeführt werden. Kapitalexporte<br />
waren allerdings genehmigungspflichtig (IMF Archives 1972d: 39). Hinzu kam,<br />
dass alle Exporterlöse, die einen Wert von JD 50 überstiegen, nach Jordanien<br />
zurückgeführt und dort innerhalb von drei Monaten in jordanische Dinar umgetauscht<br />
werden mussten. Von dieser Regulierung ausgenommen waren allein die<br />
181 Dabei wurden nur bis zu 30 Tagessätze pro Auslandsaufenthalt für bis zu drei Geschäftsreisen<br />
und zwei sonstige Reisen im Jahr zum Umtausch freigeben. Allein für Reisen nach Syrien und<br />
dem Libanon war ein unbegrenzter Tausch von Tagessätzen in die jeweilige Landeswährung<br />
möglich.
156 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Erlöse aus dem Export von Gemüse und Obst in die umliegenden arabischen<br />
Staaten (1973 eingeführt) (IMF Archives 1971c: 33, IMF 1975: 282). Einnahmen<br />
aus dem Export von nicht-handelbaren Gütern mussten grundsätzlich bei<br />
einer jordanischen Geschäftsbank in JD deponiert oder bei einem autorisierten<br />
Händler in Dinar zurückgetauscht werden (IMF Archives 1972d: 39).<br />
Auch in Bezug auf die Organisation von vertraglich vereinbarten, bilateralen<br />
Zahlungsverkehrregulierungen unterschied sich Jordanien in den 1970er<br />
Jahren von den drei anderen hier untersuchten Staaten. Bis auf ein 1970 abgeschlossenes<br />
bilaterales Zahlungsabkommen mit Ägypten (IMF Archives 1971b:<br />
13, 1971c: 30), das seit Ende der 1970er Jahre nicht mehr operativ war (IMF<br />
Archives 1980f: 5) und 1982 offiziell beendet wurde (IMF Archives 1982f: 9),<br />
existierten keine weiteren ähnlichen Vereinbarungen mit anderen Staaten.<br />
Obwohl infolge der bürgerkriegsähnlichen Unruhen im Herbst 1970<br />
(Schwarzer September) eine Reihe von Zahlungsverkehrkontrollen verschärft<br />
und die privaten Geldwechslerstuben, um illegale Devisentransfers ins Ausland<br />
zu unterbinden, für etwa einen Monat durch die jordanische Regierung geschlossen<br />
wurden (IMF Archives 1971b: 13, 1971c: 32-33), fand in den darauf folgenden<br />
Jahren eine weitere Reduktion der existierenden Barrieren des internationalen<br />
Zahlungsverkehrs statt.<br />
Tabelle 9.10 im Anhang bietet dazu eine Zusammenfassung. Bis 1975 wurden<br />
die Obergrenzen von erlaubten Umtauschbeträgen für Auslandreisen auf JD<br />
5.000 pro Person ausgedehnt (IMF 1976: 277, IMF Archives 1976c: 45) und ab<br />
1979 diese Summe auch ohne den Nachweis entsprechender Dokumente pauschal<br />
gewährt (IMF 1980: 234). 1978 wurde es Inländern gestattet, bis zu JD<br />
5.000 auf Devisenkonten bei jordanischen Banken zu halten. Jordanier, die aus<br />
dem Ausland zurückkamen, mussten von diesem Zeitpunkt an ihre mitgebrachten<br />
Devisen erst nach drei Jahren bis auf diesen Höchstbetrag in jordanische<br />
Dinar tauschen (IMF 1979: 243). 1979 wurde diese Selbstbehaltgrenze auf JD<br />
10.000 und fünf Jahre ausgedehnt (IMF 1980: 234) und 1980 auf JD 30.000<br />
angehoben (IMF 1981: 246).<br />
Zwar wurde 1973 die bisher existierende Ausnahme in Bezug auf die allgemeine<br />
Rückführungs- und Umtauschpflicht von Erlösen aus dem Export von<br />
Gemüse und Obst in die arabischen Länder und den Iran aufgehoben (IMF<br />
Archives 1973f: 42), jedoch bereits 1974 die allgemeine Rückführungsfrist von<br />
drei auf sechs Monate ausgedehnt (IMF 1975: 283) und 1975 die rückführungsfreien<br />
Obergrenzen auf JD 5.000 für Exporte in arabische Staaten und JD 500 für<br />
alle anderen Staaten festgesetzt (IMF Archives 1976c: 45). 1976 wurden die<br />
privaten Geldwechsler von der Rückführungspflicht ihrer durch Transaktionen<br />
im Ausland erzielten Gewinne befreit (IMF Archives 1978d: 53) und 1979 er-
4.4 Jordanien Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 157<br />
neut alle Erlöse aus Exporten in arabische Länder von der allgemeinen Rückführungspflicht<br />
ausgenommen (IMF 1978: 244, IMF Archives 1978d: 54).<br />
Banken und Unternehmen, jedoch keine Privatpersonen, durften ab Sommer<br />
1975 nach Genehmigung durch die Zentralbank Kapital im Ausland investieren<br />
(IMF 1976: 277), privaten Geldwechslern wurde es im August 1976 gestattet,<br />
ausländische Devisenkonten zu eröffnen (IMF Archives 1978d: 53) und alle<br />
Finanzinstitute konnten ab Juli 1977 untereinander ohne Limit Devisen und<br />
Dinar handeln (IMF Archives 1978d: 53). Ab August 1979 wurde es den jordanischen<br />
Geschäftsbanken zudem erlaubt, so genannte ‚forward foreign exchange<br />
contracts zu frei vereinbaren Wechselkursen mit anderen Finanzinstituten oder<br />
Unternehmen abzuschließen (IMF 1980: 234).<br />
Erst zu Beginn der 1980er Jahre verlangsamte sich dieser Liberalisierungsprozess.<br />
Bis auf eine Erhöhung des monatlichen Transferbetrags für in Jordanien<br />
lebende Ausländer von JD 10 auf JD 100 1982 (IMF 1988) kam es bis 1988 zu<br />
keiner weiteren den internationalen Zahlungsverkehr liberalisierenden Maßnahme<br />
(IMF Archives 1989d: 29). Stattdessen wurde den privaten Geldwechslern im<br />
Juli 1988 untersagt, ihre Geschäfte über Konten bei ausländischen Banken und<br />
Finanzinstituten abzuwickeln und über den eigentlichen Währungstausch hinausgehende<br />
Geschäfte auszuüben (IMF 1989: 267, IMF Archives 1991g: 53).<br />
Gleichzeitig wurde es jordanischen Exporteuren gestattet, bis zu 50 Prozent ihrer<br />
Erlöse (IMF 1989: 269, IMF Archives 1989i: 60), inländischen Jordaniern bis zu<br />
JD 50.000 und im Ausland lebenden Jordaniern unbegrenzt Devisen bei jordanischen<br />
Banken zu halten (IMF 1989: 267, IMF Archives 1989i: 62).<br />
Ab etwa 1993 genehmigte die jordanische Zentralbank alle nachgewiesenen<br />
Transaktionen für nicht-handelbare Güter freizügig, 182 und 1994 wurde die allgemeine<br />
Umtauschpflicht für Exporterlöse abgeschafft (IMF 1995: 260, IMF<br />
Archives 1995e: 10). Im Februar 1995 akzeptierte Jordanien die Verpflichtungen<br />
in Artikel VIII (Absatz 2, 3 und 4) des IWF-Vertrags (IMF 1995: 260, IMF<br />
Archives 1995e: 67) und erklärte damit seine Zahlungsbilanzkonvertibilität für<br />
Ausländer. 183 Ab dem gleichen Jahr durften die jordanischen Geschäftsbanken<br />
ohne weitere Genehmigungen bis zu 50 Prozent ihrer Devisen im Ausland investieren<br />
(IMF 1996: 257), und bald darauf wurde im Oktober 1996 die Unterscheidung<br />
zwischen Devisenkonten von Ausländern oder im Ausland lebenden Jordaniern<br />
auf der einen Seite und im Inland lebenden Jordaniern auf der anderen<br />
Seite aufgehoben. Inländer durften ab sofort, so wie Ausländer es schon lange<br />
182 “The CBJ approves all bona fide foreign exchange applications for the purpose of invisible<br />
transactions in excess of the specified limits, subject only to verification that the application is<br />
for the purpose of payments for current international transactions and not for the purpose of<br />
transferring capital” (IMF Archives 1994a: 14).<br />
183 Vgl. zu diesem Konvertibilitätsverständnis die Anmerkungen in Fußnote 79.
158 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
konnten, unbegrenzt Devisen auf inländischen Konten halten und diese jederzeit<br />
ohne Einschränkungen ins Ausland transferieren (IMF 1997: 449, IMF Archives<br />
1998f: 82-83). Im Juli 1997 wurden alle bis dahin noch existierenden Beschränkungen<br />
in Bezug auf Dinar-Devisentransfers für Inländer und Ausländer aufgehoben<br />
(IMF 1997: 478) und drei Jahre später, im Juli 2000, die einzige systematische<br />
tarifäre Barriere im Zahlungsverkehr, eine 0,1-prozentige Gebühr auf alle<br />
Devisentauschtransaktionen, abgeschafft (IMF 2001: 479).<br />
Damit existierten am Ende der Untersuchungsperiode in Jordanien praktisch<br />
keine Beschränkungen des internationalen Zahlungsverkehrs mehr. Umtauschund<br />
Rückführungspflichten für die Erlöse jordanischer Exporteure waren abgeschafft<br />
und alle tarifären staatlichen Restriktionen, wie Umtausch- oder Lizenzgebühren,<br />
im Zusammenhang mit JD-Devisentransfers eliminiert. Allein in Bezug<br />
auf zwei wichtige Aspekte blieben weiterhin Beschränkungen bestehen.<br />
Zwar war es jordanischen Investoren uneingeschränkt gestattet, ihr Kapital im<br />
Ausland zu investieren, für ausländische Investoren jedoch blieben eigene Beteiligungsmöglichkeiten<br />
im kommerziellen Sektor grundsätzlich auf 49 Prozent<br />
beschränkt und in einigen strategischen Bereichen, wie Rohstoffförderung, Müllbeseitigung,<br />
und beim Güter- und Personenverkehr vollständig untersagt (vgl.<br />
dazu die Übersichten in IMF 2002: 484-486, IMF 2003: 496-498, 2004: 476-<br />
479).<br />
Zusammenfassend kann die Entwicklung der jordanischen Zahlungsverkehrregulierung<br />
in insgesamt drei Phasen eingeteilt werden. In den 1970er Jahren<br />
wurde ein bereits für die damaligen Verhältnisse relativ gering verregelter<br />
internationaler Zahlungsverkehr weiter liberalisiert. Dieser Trend verlangsamte<br />
sich zu Beginn der 1980er Jahre. In dieser zweiten Phase wurden abgesehen von<br />
einer Episode am Ende des Jahres 1988 keine Veränderungen am System der<br />
Zahlungsverkehrregulierung vorgenommen. Erst in der dritten Phase, zu Beginn<br />
der 1990er Jahre, wurde mit dem Abbau der restlichen regulativen Restriktionen<br />
begonnen. Bis auf wenige Ausnahmen waren am Ende des Untersuchungszeitraums<br />
sämtliche Barrieren im internationalen Zahlungsverkehr abgebaut.<br />
4.4.3 Die Entwicklung der jordanischen Handelsregulierungen<br />
Ähnlich wie die Regulierungen des internationalen Zahlungsverkehrs waren die<br />
zu Beginn der 1970er Jahre in Jordanien existierenden Handelsregulierungen in<br />
den Augen des IWF vergleichsweise liberal. 184 Zwar mussten für alle Importe,<br />
die einen Warenwert von JD 50 überstiegen, Importlizenzen erworben werden,<br />
184 “Jordan’s trade […] system continues to be essentially liberal” (IMF Archives 1971c: 30).
4.4 Jordanien Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 159<br />
diese wurden aber in den meisten Fällen freizügig erteilt (IMF Archives 1971c:<br />
30). Darüber hinaus existierte eine Negativliste von Produkten, deren Einfuhr<br />
nach Jordanien verboten war, 185 sowie eine Liste von Produkten, für die normalerweise<br />
nur eingeschränkt bzw. bis zu einem mengenmäßigen Limit Importlizenzen<br />
vergeben wurden. 186<br />
Neben einer allgemeinen Importsteuer von 4 Prozent und Gebühren, die aus<br />
einzelnen Positionen zusammengesetzt die Abgabenlast um weitere 10 Prozent<br />
erhöhten, 187 waren für die Erteilung der für den Import notwendigen Devisen<br />
weitere 0,1 Prozent des Warenwertes an die jordanische Zentralbank zu zahlen.<br />
Zusätzlich musste zu Beginn der 1970er Jahre für alle Importe, die nicht über<br />
den einzigen jordanischen Hafen Aqaba getätigt wurden, eine fünfprozentige<br />
Strafgebühr entrichtet werden (IMF Archives 1971c: 33). Über diese für alle<br />
Importe einheitlichen Abgaben hinaus unterlagen die meisten der nach Jordanien<br />
importieren Waren Zollsätzen zwischen 0 bis 90 Prozent, wobei die meisten<br />
Waren nur mit Spitzenzöllen von bis zu 60 verzollt wurden. Von einer Verzollung<br />
grundsätzlich ausgenommen waren durch staatliche Institutionen und die<br />
Armee getätigte Importe (IMF Archives 1972d: 38). Im Gegensatz dazu mussten<br />
für den Export von Gütern und Dienstleistungen aus Jordanien keinerlei Lizenzen<br />
erworben oder Gebühren bezahlt werden.<br />
Im Verlauf der 1970er Jahre sind zahlreiche Änderungen in diesem System<br />
dokumentiert. So wurden beispielsweise nach den Unruhen 1970 gezielt Erleichterungen<br />
für jordanische Produzenten erlassen (IMF Archives 1971b: 3). Das<br />
Wirtschaftsministerium wurde 1970 und 1971 angewiesen, Importlizenzen für<br />
Güter, die im Inland produziert wurden, nur noch in Höhe der im Vorjahr importierten<br />
Volumina zu erteilen (IMF Archives 1971b: 3, 12-13, 1971c: 30-31).<br />
1971 wurden etwa zehn Produkte von der Negativliste gestrichen und mit Zöllen<br />
185 Auf der Negativliste standen zu Beginn der 1970er Jahre folgende Produkte: “[…] carbonic<br />
acid; arak; alcohol; nonalcoholic beverages; cigarettes; diesel-engined cars; lorries, and busses;<br />
macaroni, spaghetti, and similar products; military uniforms; and liqued batteries. Imports of<br />
barley, lentils, olives, olive oil, and some other agricultural commodities are prohibited in good<br />
crop years” (IMF Archives 1971c: 32).<br />
186 Folgende Güter standen 1970 auf der Liste von mengenmäßig beschränkten Importen: “[…]<br />
ghee, margarine, and other vegetable fats; tomato juice; saccarine; Dulcin; pectin; petroleum<br />
products (except aviation fuel); detergents, superphosphates, cement; tanned leather; amusement<br />
machines; blankets; woolen rugs; paper napkins and similar products; dry batteries; shaving<br />
lotion; and toothpaste” (IMF Archives 1971c: 32).<br />
187 Ab 1970 setzten sich diese 10 Prozent aus folgenden Abgaben zusammen: (1.) Social Service<br />
Tax 0,5 Prozent; (2.) Royal Airline Tax 2,0 Prozent; (3.) Inspection Tax 1,0 Prozent; (4.) Entrance<br />
Tax 2,0 Prozent; (5.) Hussein Sports City Tax 0,5 Prozent; (6.) University of Jordan Tax<br />
2,0 (IMF Archives 1974f: 77).
160 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
zwischen 45 und 90 Prozent belegt (IMF Archives 1972d: 37) 188 und 1973 eine<br />
Reihe von Zollsätzen für Halbfertigprodukte gesenkt (IMF Archives 1974e: 15,<br />
1974f: 55). 1974 wurde eine Exportsteuer von JD 6 auf jede Tonne Phosphat<br />
eingeführt (IMF Archives 1975h: 47) und im Folgejahr auf JD 11 angehoben<br />
(IMF Archives 1975g: 55). Die Strafgebühr für den Nicht-Import durch den<br />
Hafen von Aqaba, bis Mitte der 1970er Jahre immer wieder angepasst (vgl. dazu<br />
Tabelle 9.11 auf S. 378 im Anhang), wurde im Februar 1976 ganz abgeschafft<br />
(IMF Archives 1976c: 42). Im Juli 1976 wurden eine Reihe von Importzöllen um<br />
etwa die Hälfte abgesenkt (IMF Archives 1976c: 45) und im August die Grenze<br />
für den lizenzfreien Import von Gütern von JD 50 auf JD 100 angehoben (IMF<br />
1977: 276, IMF Archives 1978d: 51) und im März des darauf folgenden Jahres<br />
erneut eine Reihe von Zollsätzen verringert bzw. ganz abgeschafft (IMF Archives<br />
1978d: 53).<br />
Im Vergleich zu der um einen relativen Abbau von Außenhandelsbarrieren<br />
bemühten Politik der 1970er Jahre wurde ab 1984 begonnen, einerseits gezielt vor<br />
allem für in Jordanien produzierte Waren neue Importbarrieren zu errichten (IMF<br />
Archives 1985c: 6) und andererseits die Einfuhr von Halbfertigprodukten von<br />
tarifären Kosten zu befreien (IMF Archives 1986h: 3, 1986k: 55). Zudem wurden<br />
zusätzlich weitere quantitative Beschränkungen eingeführt (IMF Archives 1985d:<br />
46) 189 und damit der Anteil von durch mengenmäßige Beschränkungen geschützten<br />
Importen auf etwa 4 Prozent erhöht (IMF Archives 1986k: 55).<br />
“[…] the Jordanian representatives stated that while there had been no basic change<br />
in their traditionally liberal import policy, over the years temporary import restrictions<br />
for items that compete with some products of newly established industries had<br />
been occasionally applied in order to afford these industries a period of adjustment.<br />
Most recently, in September 1984 producers of glass, certain aluminium products,<br />
and blankets had been granted such protection” (IMF Archives 1985c: 15).<br />
Zusätzlich wurden im Frühjahr 1986 Importvorabeinlagen zwischen 10 und 30<br />
Prozent eingeführt (IMF Archives 1986h: 11) und gleichzeitig die allgemeine<br />
Importsteuer von 4 auf 6 Prozent erhöht (IMF Archives 1986k: 56). Bereits 1987<br />
setzte sich dieser Trend weiter fort.<br />
“During 1986-87, tariff rates were increased on a number of goods competing directly<br />
with domestic industries […] These included both consumer goods (e.g., po-<br />
188 “[…] including woven fabrics of wool; liquid batteries; household detergents; iron; macaroni<br />
and sago; and animal feed […]” (IMF Archives 1972d: 37).<br />
189 “The affected products included a varied group ranging from pharmaceuticals, detergents,<br />
batteries, textiles, some food products, home furnishings, construction materials, and plastic<br />
products” (IMF Archives 1986k: 55).
4.4 Jordanien Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 161<br />
tato chips, fruit juices, wine, and clothing) and manufacturing materials (e.g., tetrachloroethyline,<br />
corrugated boxes, construction rods and bars, sliding doors, and batteries).<br />
In addition, tariffs were increased on goods deemed to be luxuries including<br />
furs, chocolates, leather, and carpets. At the same time, the authorities reduced tariffs<br />
on some items used as inputs to domestic industry, such as tissue paper and refractory<br />
bricks, while removing tariffs altogether on powdered flavoring used in<br />
production of potato chips, paper and cardboard used in the manufacture of batteries,<br />
and stove parts used for manufacturing purposes” (IMF Archives 1986k: 56).<br />
Als Ergebnis dieses Prozesses lag die Spannweite der jordanischen Importzölle<br />
im Sommer 1988 zwischen 0 und 318 Prozent mit einem durchschnittlich gewichteten<br />
Zollsatz von 34,4 Prozent (IMF Archives 1995e: 5). 190 Dazu kam,<br />
dass etwa 40 Prozent der importierten Güter durch mengenmäßige Beschränkungen<br />
reguliert waren (IMF Archives 1995e: 7).<br />
Kurz darauf änderte sich die jordanische Außenhandelspolitik erneut. Im<br />
August 1988 wurden sämtliche in den letzten Jahren entstandenen quantitativen<br />
Beschränkungen aufgehoben und in Zölle umgewandelt. Nur für Zigaretten existierte<br />
weiterhin eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung, und allein für vier<br />
Produkte bzw. Produktgruppen (Tomatenpaste, Frischmilch und Frischmilchprodukte,<br />
Mineralwasser und Speisesalz) wurde ein allgemeines Importverbot aufrechterhalten<br />
(IMF 1989: 268, IMF Archives 1989i: 59, 1995e: 61). In diesem<br />
Zusammenhang wurden für in Jordanien hergestellte Produkte Zollsätze zwischen<br />
30 und 70 Prozent eingeführt und ähnlich wie bereits zu früheren Zeitpunkten<br />
existierende Tarife für eine Reihe von Halbfertigprodukten bis auf null<br />
reduziert (IMF 1989: 268, IMF Archives 1989d: 29). Nur drei Monate später, im<br />
November 1988, wurden die Zölle für eine Reihe von hochwertigen Konsumprodukten<br />
erneut erhöht und ein bis Ende 1989 gültiges Importverbot für eine<br />
Reihe von hochwertigen Konsumprodukten erlassen (IMF 1989: 268, IMF<br />
Archives 1989d: 29-30, 1989i: 60, 1995e: 61).<br />
Während im Oktober 1989 die Zentralbank die Vorabeinlage für Importe<br />
erneut angehoben hatte (IMF 1990: 266, IMF Archives 1991f: 21), 191 wurden<br />
bereits einen Monat später erste Liberalisierungsmaßnahmen im jordanischen<br />
Außenhandelssystem implementiert. Zwar wurde der Mindestzollsatz von 0 auf<br />
5 Prozent angehoben, aber der maximale Zollsatz von über 300 auf 60 Prozent<br />
abgesenkt. Allein eine Reihe von Konsumgütern, wie Autos, Haushaltsgeräte,<br />
190 Weil etwa 30 staatliche Institutionen von allen Zollzahlungen ausgenommen waren, wurden zu<br />
diesem Zeitpunkt etwa 51 Prozent aller Importe zollfrei eingeführt (IMF Archives 1995e: 5).<br />
191 Bei Lebensmitteln, medizinischen Produkten ohne jordanische Substitute und von der einheimischen<br />
Industrie verarbeiteten Rohstoffen wurde die Vorabimporteinlage von 10 auf 30 Prozent,<br />
bei allen anderen Gütern von 40 auf 70 Prozent und bei Importen in Freihandelszonen<br />
von 0 auf 60 Prozent erhöht (IMF 1990: 266, IMF Archives 1991f: 21).
162 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
alkoholische Getränke und Tabakwaren, unterlagen weiterhin darüber hinausgehenden<br />
Zöllen (IMF Archives 1990b: 6, 1991g: 54). Da im Dezember das ein<br />
Jahr vorher eingeführte allgemeine Importverbot für eine Reihe von hochwertigen<br />
Konsumgütern auslief, reduzierte sich bis Ende des Jahres 1989 der Anteil<br />
von Importen mit quantitativen Beschränkungen auf ca. 7 Prozent (IMF Archives<br />
1995e: 7, 61).<br />
In den folgenden Jahren wurde dieser Abbau von tarifären und nichttarifären<br />
Handelsbarrieren weiter fortgesetzt. Im Februar 1991 wurden die Vorabeinlagen<br />
von 30 bzw. 70 Prozent auf 15 und 30 Prozent verringert (IMF<br />
Archives 1991d: 22) und im Mai 1992 dann endgültig eliminiert (IMF 1993:<br />
271, IMF Archives 1993h: 98). Zum gleichen Zeitpunkt wurde der für die Mehrheit<br />
der Importprodukte maximale Zollsatz auf 50 Prozent reduziert (IMF Archives<br />
1993h: 94, 1995e: 10). 192 1993 wurde die allgemeine Obergrenze für den<br />
lizenzfreien Import von JD 100 auf JD 2.000 angehoben (IMF 1994: 263) und im<br />
Oktober 1994 die Anzahl der unterschiedlichen Zollsätze auf sechs verringert<br />
(IMF Archives 1995e: 62). Im November des gleichen Jahres wurden Importzölle<br />
von Autos und Ersatzteilen gesenkt (IMF Archives 1995e: 36) und im Mai<br />
1995, bis auf einzelne Ausnahmen, die bis dahin verbliebenen quantitativen<br />
Importrestriktionen abgeschafft (IMF Archives 1995e: 61, 65, IMF 1996: 257),<br />
sowie die meisten Ausnahmeregelungen in Bezug auf die Verzollung durch<br />
staatliche und halbstaatliche Organisationen aufgehoben (IMF Archives 1995e:<br />
64). Im Frühjahr 1997 wurde eine neue Vereinheitlichung und Reduktion der<br />
Zollsätze verabschiedet (IMF Archives 1997a: 2) und der maximal Zoll auf 40<br />
Prozent reduziert (IMF Archives 1998f: 66).<br />
Tabelle 4.3<br />
Vergleich unterschiedlicher Indikatoren von tarifären und nichttarifären<br />
Handelsregulierungen in Jordanien, 1988 und 2004<br />
1988 2003<br />
Maximaler Zollsatz 318 Prozent 30 Prozent<br />
Durchschnittlich gewichteter Zollsatz 34,4 Prozent 13 Prozent<br />
Importe von Verzollung ausgenommen ca. 51 Prozent<br />
< 15 Prozent<br />
Importe unter quantitativen Beschränkungen ca. 40 Prozent<br />
nur noch Erdölprodukte<br />
Standardabweichung der Zollsätze 26,10 15,70<br />
Quelle: International Monetary Fund (2004b: 20-21, 47)<br />
192 Davon waren erneut bestimmte Güter wie Autos, Zigaretten und alkoholische Getränke ausgenommen<br />
(IMF Archives 1995e: 36).
4.4 Jordanien Außenwirtschaftsreformen zwischen 1970 und 2003 163<br />
Die ursprünglich für 1998 geplanten weiteren Absenkungen der maximalen Zollsätze<br />
(IMF Archives 1999a: 17-18) wurden im Juli 1999 (auf 35 Prozent) und im<br />
April 2000 (auf 30 Prozent) implementiert (IMF Archives 1999b: 7, IMF 2000:<br />
465, IMF Archives 2000a: 15). Damit hatte sich die jordanische Außenhandelsregulierung<br />
bis zum Ende der Untersuchungsperiode deutlich vereinfacht. Neben<br />
einer übersichtlichen und einheitlichen Zoll- und Gebührenstruktur zwischen 0<br />
und 35 Prozent – nur Tabakwaren und alkoholische Getränke wurden darüber<br />
hinaus mit 80 bzw. 180 Prozent verzollt (International Monetary Fund 2004b:<br />
213) – waren bis auf den staatlich organisierten Import von Erdöl und Erdölprodukten<br />
bis 2003 alle mengenmäßigen Beschränkungen im internationalen Warenverkehr<br />
abgebaut und die Verfahrensweise von Warenimporten nach Jordanien<br />
stark vereinfacht worden (International Monetary Fund 2004a: 14, 2004b:<br />
21). 193 Ein Blick auf Tabelle 9.11 auf S. 378 im Anhang bestätigt dieses Bild.<br />
Durch die Einbindung Jordaniens in eine Reihe von multi- und bilateralen<br />
Handelsabkommen hat sich das Land auch für die Zukunft verpflichtet, noch<br />
existierende Handelsbarrieren weiter abzubauen. Im Rahmen eines bilateralen<br />
Freihandelsabkommens mit den USA, das 2001 in Kraft trat, wurde ein bilateraler<br />
Abbau aller Zölle für industrielle Produkte bis 2011 vereinbart. Im Rahmen<br />
seiner WTO-Mitgliedschaft hat sich Jordanien verpflichtet, seine maximalen<br />
Zollsätze bis 2010 auf 20 Prozent abzusenken (IMF Archives 2002a: 21).<br />
Zusammenfassend kann die Entwicklung der jordanischen Handelsregulierungen<br />
in fünf Phasen eingeteilt werden. Zwischen 1970 und dem Beginn der<br />
1980er Jahre wurden bereits relativ liberale Außenhandelsregulierungen weiter<br />
abgebaut. Seit etwa 1984 veränderte sich in der zweiten Phase dieser Trend.<br />
Während auf der einen Seite neue mengenmäßige Beschränkungen erlassen und<br />
Zölle auf Fertigprodukte erhöht wurden, wurden auf der anderen Seite ausgewählte<br />
Halbfertigprodukte von tarifären Belastungen befreit. In der dritten Phase<br />
zwischen 1988 und 1991 wurden eine Reihe von quantitativen Importbeschränkungen<br />
in hohe Zollsätze umgewandelt und diese im Frühjahr 1989 teilweise auf<br />
60 Prozent abgesenkt. Gleichzeitig wurde allerdings, neben einer allgemeinen<br />
Zollerhöhung, im November 1988 ein selektives Importverbot erlassen und im<br />
Herbst 1990 der Mindestzollsatz angehoben und die Vorabimporteinlage drastisch<br />
erhöht. Erst ab 1991 beginnt mit einer vierten Phase eine sich bis zum Ende<br />
der Untersuchungsperiode erstreckende unilaterale Liberalisierung der jordanischen<br />
Handelsregulierungen, die ab 2000/2001 in eine bis heute anhaltende Phase<br />
der Einbindung in unterschiedliche bi- und multilaterale Kontexte (Assoziati-<br />
193 Im Rahmen eines bilateralen Freihandelsabkommens mit den USA, das 2001 in Kraft getreten<br />
ist, wurde ein bilateraler Abbau aller Zölle für industrielle Produkte bis 2011 vereinbart. Im<br />
Rahmen der WTO hat Jordanien seine maximalen Zollsätze bis 2010 auf 20 Prozent gebunden<br />
(IMF Archives 2002a: 21).
164 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
onsabkommen mit der EU, Freihandelsabkommen mit den USA und Mitgliedschaft<br />
in der WTO) mündet.<br />
4.5 Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei außenwirtschaftlichen<br />
Liberalisierungsprozessen in Marokko, Tunesien, Ägypten und<br />
Jordanien<br />
4.5 Gemeinsamkeiten und Unterschiede<br />
Bereits mit einem vergleichenden Blick auf die in den vorherigen Abschnitten<br />
dargelegten dichten Beschreibungen können eine Reihe von überraschenden<br />
Beobachtungen gemacht werden. Zusammengenommen vermitteln diese historischen<br />
Rekonstruktionen ein differenziertes Bild über die Ausgestaltung und<br />
Reformvarianten außenwirtschaftlicher Regulierungsformen, das einerseits auf<br />
deutlich mehr Regulierungsvielfalt in diesem Politikfeld verweist, als dies durch<br />
die in den letzten Jahren dominante makro-quantitative Perspektive vermittelt<br />
wurde, und das andererseits trotzdem eine Reihe von vergleichenden und allgemeinen<br />
Schlussfolgerungen zulässt. Tabelle 4.4 fasst die wichtigsten Elemente<br />
der Entwicklung der regulativen außenwirtschaftlichen Ausgestaltung in Marokko,<br />
Tunesien, Ägypten und Jordanien zusammen.<br />
Tabelle 4.4<br />
Ein Vergleich außenwirtschaftlicher Reformen in Marokko,<br />
Tunesien, Ägypten und Jordanien, 1970–2003<br />
WECHSELKURS<br />
Allgemeines<br />
Wechselkursregime<br />
Abwertungen<br />
Multiple<br />
Wechselkurse<br />
MAROKKO TUNESIEN ÄGYPTEN JORDANIEN<br />
Bindung an<br />
einen nach<br />
Handelsintensitäten<br />
gewichteten<br />
Währungskorb<br />
1980–1985<br />
graduell<br />
1973–1982<br />
(1986)<br />
Bonus für<br />
Rücküberweisungen<br />
von<br />
Gastarbeitern<br />
Bindung an einen<br />
nach Handelsintensitäten<br />
gewichteten<br />
Währungskorb mit<br />
Inflationsbereinigung<br />
1985–1986 graduell<br />
-<br />
U.S. Dollar-<br />
Fixierung<br />
1979 einmalig<br />
1989–1991<br />
graduell<br />
2000–2003<br />
graduell<br />
1968–1991<br />
unterschiedliche<br />
offizielle sektorale<br />
und güterspezifische<br />
Kurse<br />
seit 1968 wachsender<br />
freier<br />
Parallelmarkt<br />
1970er und 1980er Jahre<br />
Bindung an SDRs<br />
Ab 1990 Fixierung an<br />
den U.S. Dollar mit<br />
Inflationsbereinigung<br />
1988 freier Fall<br />
1989–1991 graduell<br />
1989–1990
4.5 Gemeinsamkeiten und Unterschiede 165<br />
ZAHLUNGSVERKEHR<br />
Interbankendevisenmarkt<br />
Ausgangsniveau<br />
1970<br />
Reformen<br />
Anerkennung<br />
Artikel<br />
VIII<br />
(Paragraphen<br />
2, 3<br />
und 4) des<br />
IWF-<br />
Vertrags<br />
Bilateral<br />
Zahlungsvereinbarungen<br />
Endniveau<br />
2003<br />
MAROKKO TUNESIEN ÄGYPTEN JORDANIEN<br />
Ab 1996<br />
eingeschränkt<br />
Dirham und<br />
Devisen<br />
handelbar<br />
Allgemein<br />
eingeschränkt<br />
1988–1995<br />
allgemeine<br />
Liberalisierung<br />
Ab 1989<br />
eingeschränkt nur<br />
Devisen handelbar<br />
ab 1994 eingeschränkt<br />
Dinar und<br />
Devisen handelbar<br />
Allgemein eingeschränkt<br />
(Ausnahmen in<br />
Bezug auf die<br />
Abwicklung des<br />
Warenverkehrs und<br />
die Erlöse exportorientierter<br />
Unternehmen)<br />
1985 Verschärfung<br />
1987–1993 allgemeine<br />
Liberalisierung<br />
(Ab 2004)<br />
Spezifisch<br />
eingeschränkt<br />
zentrales System<br />
der Devisenbewirtschaftung<br />
für<br />
den öffentlichen<br />
Sektor<br />
für Inländer und<br />
Ausländer mit<br />
legal erworbenen<br />
Devisen freizügig<br />
1972 Verschärfung<br />
1974 Teilliberalisierung<br />
1980 Verschärfung<br />
(1985 Verschärfung)<br />
1987 Verschärfung<br />
ab 1991 allgemeine<br />
Liberalisierung<br />
2003 Verschärfung<br />
Ab 1977<br />
generell freizügig, nur<br />
zeitweise zwischen 1988<br />
und 1992 eingeschränkt<br />
Für Ausländer freizügig<br />
und für Inländer eingeschränkt<br />
1973–1979 Teilliberalisierung<br />
1988 Verschärfung und<br />
Teilliberalisierung<br />
1993–2000 allgemeine<br />
Liberalisierung<br />
1993 1993 (2005) 1995<br />
1970er Jahr<br />
geringe Bedeutung<br />
bis 1981<br />
beendet<br />
Für Ausländer<br />
freizügig<br />
für Inländer<br />
weiter eingeschränkt<br />
1970er Jahre<br />
geringe Bedeutung<br />
bis 1975 beendet<br />
Für Ausländer<br />
freizügig<br />
für Inländer (außer<br />
Exporteure) weiter<br />
eingeschränkt<br />
1970er Jahre<br />
geringe Bedeutung<br />
für Import,<br />
hohe Bedeutung<br />
für Exporte<br />
bis1992 beendet<br />
allgemein<br />
freizügig<br />
(ab 2003 Einschränkungen<br />
für<br />
Exporteure)<br />
-<br />
allgemein freizügig
166 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
HANDEL<br />
Ausgangsniveau<br />
1970<br />
Reformen<br />
GATT<br />
Mitgliedschaft<br />
WTO<br />
Mitgliedschaft<br />
EU<br />
Assoziationsabkommen<br />
MAROKKO TUNESIEN ÄGYPTEN JORDANIEN<br />
Importprogramm<br />
mit drei<br />
Listen<br />
ca. 40 Prozent<br />
des Importvolumens<br />
mengenmäßig<br />
beschränkt<br />
hohe durchschnittliche<br />
tarifäre Belastung,<br />
hohe<br />
Streuung der<br />
Zollsätze mit<br />
vielen Ausnahmen<br />
ab 1978 Verschärfung<br />
1981–1982<br />
Teilliberalisierung<br />
März 1983<br />
Verschärfung<br />
1984–1992<br />
allgemeine<br />
Liberalisierung<br />
Importprogramm<br />
mit zwei zentralen<br />
Kategorien, aber<br />
einer Reihe von<br />
spezifischen<br />
Steuerungsmechanismen,<br />
wie<br />
unternehmensbezogene<br />
und bilaterale<br />
produktbezogene<br />
Importquoten<br />
ca. 45 Prozent (zu<br />
Beginn der 1980er<br />
ca. 50 Prozent) des<br />
Importvolumens<br />
mengenmäßig<br />
beschränkt<br />
hohe durchschnittliche<br />
tarifäre<br />
Belastung, hohe<br />
Streuung der<br />
Zollsätze mit<br />
vielen Ausnahmen<br />
1983, 1985 und<br />
1986 Verschärfungen<br />
1986–1995 allgemeine<br />
Liberalisierung<br />
Zentrale Devisenbewirtschaftung<br />
jährlich wechselnde<br />
Restriktionsniveaus<br />
Seit 1968 begrenzter<br />
und<br />
wachsender<br />
freizügiger<br />
Import mit<br />
eigenen Devisen<br />
durch Privatsektor<br />
möglich<br />
hohe durchschnittliche<br />
tarifäre Belastung,<br />
hohe<br />
Streuung der<br />
Zollsätze mit<br />
vielen Ausnahmen<br />
(1968 Teilliberalisierung)<br />
1972 Verschärfung<br />
1974 Teilliberalisierung<br />
1980 Verschärfung<br />
(1985 Verschärfung)<br />
1989 Verschärfung<br />
1991–1998<br />
allgemeine<br />
Liberalisierung<br />
2000 Verschärfung<br />
2003 Verschärfung<br />
Freizügige Erteilung von<br />
Importlizenzen<br />
Negativliste<br />
Mittlere durchschnittliche<br />
Belastung mit vielen<br />
Ausnahmen<br />
1971–1977 Teilliberalisierung<br />
1984–1988 Verschärfung<br />
August 1988 Teilliberalisierung<br />
November 1988 Verschärfung<br />
November 1989 Teilliberalisierung<br />
1992–2000 allgemeine<br />
Liberalisierung<br />
1987 1990 1970 -<br />
1995 1994 1995 2000<br />
ab 2000 ab 1998 (ab 2005) ab 2002
4.5 Gemeinsamkeiten und Unterschiede 167<br />
Endniveau<br />
2003<br />
MAROKKO TUNESIEN ÄGYPTEN JORDANIEN<br />
Mengenmäßige<br />
Beschränkungen<br />
weitestgehend<br />
abgeschafft<br />
Absenkung und<br />
Vereinheitlichung<br />
der<br />
Zollsätze<br />
durchschnittlich<br />
angewandter<br />
Zollsatz 28,5<br />
Prozent<br />
max-min<br />
Zollsatz 35-2,5<br />
Prozent<br />
Importsteuer 15<br />
Prozent<br />
Mengenmäßige<br />
Beschränkungen<br />
abgeschafft<br />
Absenkung und<br />
Vereinheitlichung<br />
der Zollsätze<br />
durchschnittlich<br />
angewandter<br />
Zollsatz 25,2<br />
Prozent<br />
max-min Zollsatz<br />
47-17 Prozent<br />
Zentrale Devisenbewirtschaftung<br />
für den<br />
öffentlichen<br />
Sektor 1991<br />
beendet<br />
Mengenmäßige<br />
Beschränkungen<br />
weitestgehend<br />
abgeschafft<br />
Absenkung und<br />
Vereinheitlichung<br />
der<br />
Zollsätze<br />
durchschnittlich<br />
angewandter<br />
Zollsatz 19<br />
Prozent (2002)<br />
max-min Zollsatz<br />
40-5 Prozent<br />
Importgebühren 2<br />
Prozent<br />
Mengenmäßige Beschränkungen<br />
weitestgehend<br />
abgeschafft<br />
Absenkung und Vereinheitlichung<br />
der Zollsätze<br />
durchschnittlich angewandter<br />
Zollsatz 14,5<br />
Prozent<br />
max-min Zollsatz 30-0<br />
Prozent<br />
Quelle: eigene Zusammenstellung<br />
Wechselkursregulierungen<br />
Betrachtet man die Entwicklung der Wechselkursregime in diesen vier Staaten,<br />
dann fällt auf, dass sich die Regulierungsformen in Tunesien und Marokko in<br />
ihrer historischen Genese, bei allen verbleibenden Unterschieden, relativ ähnlicher<br />
sind als die jordanische und ägyptische Organisationsform von Währungstauschprozessen.<br />
Nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems begannen<br />
Marokko und Tunesien ihre Währungen an nach Handelsintensitäten<br />
gewichtete Währungskörbe zu binden, wobei das tunesische Wechselkurssystem<br />
ab spätestens Mitte der 1980er Jahre durch seine an einer konstanten globalen<br />
Wettbewerbsfähigkeit orientierten Anpassungsmechanismen besticht.<br />
Auf der anderen Seite verbindet das ägyptische mit dem jordanischen<br />
Wechselkursregime allein die Tatsache, dass sowohl der jordanische Dinar als<br />
auch das ägyptische Pfund seit den frühen 1990er Jahren fest an den U.S. Dollar<br />
gebunden waren. In ihrer historischen Genese sind beide Systeme jeweils spezifisch:<br />
In Jordanien koexistierte ab etwa 1977 ein an die SDRs gebundener Wechselkurs<br />
mit einem freizügig organisierten Interbankendevisenmarkt, an dem<br />
neben jordanischen Geschäftsbanken ebenso eine Reihe von transnational agierenden<br />
Geldwechselbüros partizipierten. In Ägypten entstand aus einem System
168 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
zentraler staatlicher Devisenbewirtschaftung zu Beginn der 1970er Jahre ein<br />
fragmentierter Devisenmarkt mit multiplen sektoralen und güterspezifischen<br />
Wechselkursen, der aufgrund seiner systematischen Fehlallokationen permanent<br />
durch neue Regelungsvarianten angepasst werden musste.<br />
Gemeinsam war diesen vier Fällen allein, dass unabhängig vom Regulierungsregime<br />
der offizielle nominale Wechselkurs zusätzlich abgewertet werden<br />
musste. Die diesbezüglichen Anpassungsschritte sind in Abbildung 4.1 grafisch<br />
dargestellt. Während Marokko seinen Dirham ab 1980 im Verlauf der folgenden<br />
fünf Jahre schrittweise an Wert verlieren ließ, wertete Tunesien das Dinar innerhalb<br />
einer relativ kurzen Periode zwischen Herbst 1985 und Sommer 1986 in<br />
mehreren großen Schritten ab. Im Vergleich dazu musste Ägypten den Wechselkurs<br />
des Pfunds zum U.S. Dollar bereits 1979 zum ersten Mal anpassen. Einer<br />
weiteren Abwertungsphase zwischen 1989 und 1991 folgte dann ab 2000 eine<br />
erneute Phase gradueller Anpassungen nach unten. Jordanien hingegen musste<br />
im Herbst 1988 den freien Fall des Dinars zulassen, bis dann zwischen 1989 und<br />
1991 darüber hinausgehend weiter kontrolliert abgewertet wurde.<br />
Jordanien<br />
Ägypten<br />
Tunesien<br />
Marokko<br />
Q1<br />
1970<br />
Q1<br />
1972<br />
Q1<br />
1974<br />
Q1<br />
1976<br />
Q1<br />
1978<br />
Q1<br />
1980<br />
Q1<br />
1982<br />
Q1<br />
1984<br />
Q1<br />
1986<br />
Q1<br />
1988<br />
Q1<br />
1990<br />
Q1<br />
1992<br />
Q1<br />
1994<br />
Q1<br />
1996<br />
Q1<br />
1998<br />
Q1<br />
2000<br />
Q1<br />
2002<br />
Abbildung 4.6<br />
Nominale Abwertungsphasen der Wechselkurse in Marokko,<br />
Tunesien, Ägypten und Jordanien, 1970–2003<br />
Quelle: eigene Zusammenstellung<br />
Zahlungsverkehrregulierungen<br />
Ganz ähnlich wie bei der Ausgestaltung des Wechselkursregimes sind die regulativen<br />
Ähnlichkeiten zwischen Marokko und Tunesien einerseits und Ägypten<br />
und Jordanien andererseits auch im Bereich des internationalen Zahlungsverkehrs<br />
nicht zu übersehen. In den beiden nordafrikanischen Staaten war dieser<br />
außenwirtschaftliche Bereich zu Beginn der 1970er Jahre sowohl für Ausländer<br />
als auch für Inländer systematisch eingeschränkt. Erst durch eine allgemeine
4.5 Gemeinsamkeiten und Unterschiede 169<br />
Liberalisierung wurde im letzten Drittel der 1980er Jahre begonnen, Zahlungsbarrieren<br />
abzubauen.<br />
Im Gegensatz dazu waren die Zahlungsverkehrregulierungen in Ägypten<br />
und Jordanien bereits zu Beginn der 1970er Jahre deutlich liberaler organisiert.<br />
Vor allem Ausländer und über Deviseneinkommen aus dem Ausland verfügende<br />
Inländer durften freizügig Transaktionen vornehmen, wobei in Ägypten zu mehreren<br />
Zeitpunkten in den 1970er und dann vor allem in den 1980er Jahren und in<br />
Jordanien zwischen 1988 und 1989 neue Restriktionen implementiert worden<br />
sind (vgl. dazu die mit Dreiecken markierten Bereiche in Abbildung 4.7). Abgesehen<br />
von einer längeren Teilliberalisierung zwischen 1973 und 1979 in Jordanien<br />
wurden die Barrieren des internationalen Zahlungsverkehrs in diesen beiden<br />
Staaten erst im Verlauf der 1990er Jahre weiter und bis heute fast vollständig<br />
abgebaut.<br />
Eine jeweils zu unterschiedlichen Zeitpunkten beginnende längere Phase eines<br />
allgemeinen Abbaus von Zahlungsverkehrrestriktionen ist erneut eine alle<br />
Fälle verbindende Gemeinsamkeit. Wobei auch hier die beiden nordafrikanischen<br />
Staaten, allerdings von einem deutlich höheren Ausgangniveau, einige<br />
Jahre früher mit einer Liberalisierung begonnen haben. Folgende Abbildung 4.7<br />
stellt diese Reformphasen grafisch dar.<br />
Jordanien<br />
Ägypten<br />
Tunesien<br />
Marokko<br />
Q1<br />
1970<br />
Q1<br />
1972<br />
Q1<br />
1974<br />
Q1<br />
1976<br />
Q1<br />
1978<br />
Q1<br />
1980<br />
Q1<br />
1982<br />
Q1<br />
1984<br />
Q1<br />
1986<br />
Striche markieren Liberalisierungsphasen, während Dreiecke Phasen des Aufbaus von regulativen<br />
Barrieren kennzeichen.<br />
Q1<br />
1988<br />
Q1<br />
1990<br />
Q1<br />
1992<br />
Q1<br />
1994<br />
Q1<br />
1996<br />
Q1<br />
1998<br />
Q1<br />
2000<br />
Q1<br />
2002<br />
Abbildung 4.7<br />
Reformphasen der Zahlungsverkehrregulierungen in Marokko,<br />
Tunesien, Ägypten und Jordanien, 1970–2003<br />
Quelle: eigene Zusammenstellung
170 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Handelsregulierungen<br />
Im Bereich der Handelsregulierungen sind es erneut die Ähnlichkeiten zwischen<br />
Marokko und Tunesien, die ins Auge springen. Beide Länder verfügten über ein<br />
Importprogramm mit nach Restriktionsgraden abgestuften Güterlisten, deren<br />
Zusammensetzung in regelmäßigen Abständen angepasst wurde, wobei auch hier<br />
die bereits in den 1970er Jahren ausgeprägte Sonderbehandlung exportorientierter<br />
Industrien in Tunesien beeindruckt. Im Vergleich dazu waren sowohl das<br />
ägyptische als auch das jordanische System jeweils spezifisch organisiert: Ägypten<br />
war geprägt von einer zentralen Devisenbewirtschaftung mit je nach Devisenausstattung<br />
jährlich variierenden Restriktionsgraden. In diese planwirtschaftlichen<br />
Strukturen wurde am Ende der 1960er Jahre eine Insel des fast restriktionsfreien<br />
Warenimports durch den privaten Sektor implementiert, die sich im<br />
Verlauf der 1970er Jahre immer weiter ausdehnte und dann in den 1980er Jahren<br />
zunehmend eingeschränkt wurde. Im Gegensatz dazu war das jordanische Außenhandelsregime<br />
bereits zu Beginn der Untersuchungsperiode relativ liberal<br />
organisiert und wurde im Verlauf der 1980er Jahre zunehmend restriktiver.<br />
Zu Beginn des neuen Jahrtausends allerdings sind sich alle vier Staaten regulativ<br />
ähnlicher als jemals zuvor. Fast alle Spezifika früherer Regulierungsformen<br />
sind nivelliert, mengenmäßige Beschränkungen abgebaut, Zollsätze vereinheitlicht<br />
und abgesenkt worden. Zusätzlich haben alle Staaten über unilaterale<br />
Reformen hinaus begonnen, ihre zukünftigen Außenhandelsregulierungen in<br />
bilaterale und multilaterale Strukturen einzubetten.<br />
Ähnlich wie in den beiden anderen Regulierungsdimensionen gab es sowohl<br />
in Marokko und Tunesien als auch in Ägypten und Jordanien jeweils längere<br />
Liberalisierungsphasen. Doch erneut waren es die beiden nordafrikanischen<br />
Staaten, die einige Jahre früher mit diesem allgemeinen Abbau von Außenhandelsrestriktionen<br />
begannen (vgl. dazu die schwarz markierten Perioden in Abbildung<br />
4.8). Darüber hinausgehend lassen sich im Zusammenhang mit der Regulierung<br />
des internationalen Handelsverkehrs und im Gegensatz zu den beiden<br />
anderen Dimensionen in allen vier Ländern Perioden der Verschärfung von existierenden<br />
Regulierungsformen identifizieren (vgl. dazu die in Abbildung 4.8 mit<br />
Dreiecken markierten Bereiche). Auffallend ist, dass diese Phasen, bis auf eine<br />
Ausnahme in Ägypten, dem Beginn eines systematischen Abbaus von Außenhandelsbarrieren<br />
zeitlich vorgelagert sind.
4.5 Gemeinsamkeiten und Unterschiede 171<br />
Jordanien<br />
Ägypten<br />
Tunesien<br />
Marokko<br />
Q1<br />
1970<br />
Q1<br />
1972<br />
Q1<br />
1974<br />
Q1<br />
1976<br />
Q1<br />
1978<br />
Q1<br />
1980<br />
Q1<br />
1982<br />
Q1<br />
1984<br />
Q1<br />
1986<br />
Striche markieren Liberalisierungsphasen, während Dreiecke Phasen des Aufbaus von regulativen<br />
Barrieren kennzeichen.<br />
Abbildung 4.8 Reformphasen der Handelsregulierungen in Marokko, Tunesien, Ägypten<br />
und Jordanien, 1970–2003<br />
Quelle: eigene Zusammenstellung<br />
Vorläufige Schlussfolgerungen<br />
Über diese ersten vergleichenden Beobachtungen hinaus lassen sich drei vorläufige<br />
Schlussfolgerungen aus den bisher gemachten Erörterungen ziehen:<br />
A. Die Kombination von tarifären und nicht-tarifären Instrumenten außenwirtschaftlicher<br />
Regulierungen ist zwischen diesen vier, sonst in vielen politischen<br />
und sozioökonomischen Aspekten relativ ähnlichen Staaten überraschend<br />
vielfältig. Dies betrifft die konkrete Ausprägung von ähnlichen Regulierungsvarianten<br />
und die Kombination von unterschiedlichen Instrumenten<br />
zwischen den vier Staaten zum gleichen Zeitpunkt ebenso wie die<br />
unterschiedliche Entwicklung beim Auf- und Abbau von restriktiven Regulierungen<br />
im Zeitverlauf. Autoritäre Staaten scheinen also in der Vergangenheit<br />
ihre Außenwirtschaft mit ganz unterschiedlichen institutionellen<br />
und regulativen Konfigurationen ausgestattet zu haben.<br />
Diese Verschiedenheit wird von keinem der beiden wohl wichtigsten<br />
Messverfahren regulativer Außenwirtschaftsoffenheit angemessen erfasst.<br />
Im CACAO-Index sind alle vier Staaten anfänglich mit sehr hohen Restriktionsniveaus<br />
kodiert. Allein Jordanien und Ägypten bauen hier ihre Restriktionen<br />
spätestens seit Beginn der 1990er Jahre (teilweise) ab (vgl. dazu Abbildung<br />
3.11 auf S. 74). Im Sachs-Warner-Index ist Ägypten nie, Jordanien<br />
seit 1965, Marokko seit 1984 und Tunesien seit 1989 als offen charakterisiert<br />
(Sachs und Warner 1995: 72-95). Während also der CACAO-<br />
Q1<br />
1988<br />
Q1<br />
1990<br />
Q1<br />
1992<br />
Q1<br />
1994<br />
Q1<br />
1996<br />
Q1<br />
1998<br />
Q1<br />
2000<br />
Q1<br />
2002
172 4 Ausgangspunkt und Genese von Außenwirtschaftsregulierungen<br />
Index eine anfängliche Homogenität außenwirtschaftlicher Regulierung<br />
suggeriert und den Abbau von außenwirtschaftlichen Barrieren in den beiden<br />
nordafrikanischen Staaten unterschlägt, scheint die Kodierung des<br />
Sachs-Warner-Index den tatsächlichen regulativen Gegebenheiten nur bedingt<br />
zu entsprechen.<br />
B. Trotz der in der regionalwissenschaftlichen Forschung zu den politischen<br />
Systemen immer wieder betonten historisch gewachsenen Unterschiede<br />
zwischen Monarchien und Republiken in Nordafrika und dem Mittleren Osten<br />
fallen die subregionalen Gemeinsamkeiten bei der regulativen Ausgestaltung<br />
der Außenwirtschaft ins Auge: Tunesien und Marokko weisen in<br />
allen drei Regulierungsdimensionen mehr Ähnlichkeiten auf als die beiden<br />
Republiken und Monarchien untereinander. Das lässt erneut auf Einflussfaktoren<br />
von Außenwirtschaftsreformen schließen, die tendenziell vom<br />
Herrschaftssystem unabhängig gewesen sind.<br />
C. Gleichzeitig hat die Einbindung in multilaterale und bilaterale Abkommen<br />
mit anderen Staaten nur einen begrenzten Einfluss auf die Reformen der regulativen<br />
Außenwirtschaft in allen vier Staaten gehabt. Obwohl der Abschluss<br />
von bilateralen Abkommen mit der EU und der USA zum Abbau<br />
von spezifischen bilateralen Außenhandelsbarrieren geführt hat, veränderte<br />
sich dadurch nur wenig am allgemeinen Restriktionsniveau in den vier Staaten.<br />
Überraschend ist darüber hinausgehend, dass die meisten der in das<br />
multilaterale Netzwerk der WTO eingebundenen außenwirtschaftlichen Regulierungen<br />
unter die in diesem Rahmen bindenden restriktiven Obergrenzen<br />
fallen.<br />
Nach dieser ersten vergleichenden Zusammenfassung außenwirtschaftlicher Reformen<br />
in Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien wird es die Aufgabe der<br />
folgenden Kapitel sein, detaillierter nach Gründen für die bisher dargelegten<br />
Anpassungsbemühungen zu suchen.
5 Motive für Außenwirtschaftsreformen in<br />
Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien:<br />
eine Inhaltsanalyse von Dokumenten des IWF<br />
5 Motive für Außenwirtschaftsreformen<br />
Im vorherigen Kapitel wurde als erster Teil heuristischer Fallstudien zur Identifizierung<br />
von Determinanten außenwirtschaftlicher Reformprozesse bei vier autoritären<br />
Staaten in Nordafrika und dem Mittleren Osten ein systematischer Überblick<br />
der Trends regulativer Reformen in drei außenwirtschaftlichen Dimensionen<br />
gegeben und daran anschließend Phasen des Auf- und Abbaus von außenwirtschaftlichen<br />
Barrieren beschrieben. Daran anknüpfend ist es Ziel dieses<br />
Kapitels, die diesen Veränderungsprozessen zugrunde gelegenen politischen Motive<br />
zu identifizieren. Als Basis für diese Suche wurden die in Abschnitt 3.4<br />
eingeführten historischen Dokumente des IWF analysiert, um gezielt nach Hinweisen<br />
auf Begründungen für das Beibehalten oder die Veränderung von regulativen<br />
außenwirtschaftlichen Restriktionen zu suchen und – wenn möglich – für<br />
eine Reihe dieser regulativen Veränderungen die Beweggründe der hinter diesen<br />
Entscheidungen stehenden politischen Akteure herauszuarbeiten.<br />
Überraschenderweise lässt sich auf Basis dieser Vorgehensweise der intentionale<br />
Hintergrund von außenwirtschaftlichen Reformen in Marokko, Tunesien,<br />
Ägypten und Jordanien fast ausschließlich auf monetäre makro-ökonomische<br />
bzw. fiskalische Größen reduzieren: Inländisches Preisniveau, Zahlungsbilanz<br />
inklusive Devisenreserven und die Höhe der Staatseinnahmen scheinen eine<br />
entscheidende Rolle bei der Entscheidungsfindung wirtschaftspolitischer Eliten<br />
in diesen autoritären Staaten gespielt zu haben.<br />
Im Folgenden werden die Ergebnisse dieser Inhaltsanalyse präsentiert. In<br />
Analogie zu der am Beginn des vorigen Kapitels getroffenen Unterscheidung<br />
zwischen (1) Wechselkursregulierungen, (2) Zahlungsverkehrregulierungen und<br />
(3) Handelsregulierungen werden in den drei folgenden Abschnitten die in den<br />
Quellen identifizierten politischen Motive in einer chronologischen Ordnung<br />
zusammengefasst. Das Material innerhalb dieser Abschnitte und der darin enthaltenen<br />
unterschiedlichen Motivcluster wird dem bisherigen Vorgehen folgend<br />
zuerst für Marokko, gefolgt von Tunesien, Ägypten und Jordanien dargelegt,<br />
wobei nicht immer Evidenz für alle vier Fälle gleichermaßen präsentiert werden<br />
kann. Eine Synopsis schlie