Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2014-04-19 (Vorschau)
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17<br />
<strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong>|Deutschland €5,00<br />
1 7<br />
4 1 98065 805008<br />
Paradies Deutschland<br />
Träumt weiter!<br />
Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien€6,00 | TschechischeRep.CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />
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Einblick<br />
Deutschland geht’s gut. Zu gut? Erfolg macht<br />
übermütig. Der Boom ist künstlich mit Schulden<br />
aufgepumpt und nicht nachhaltig. Von Roland Tichy<br />
Wunschkonzert<br />
FOTO: HEIKE ROST FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Man kann nicht meckern: Rentengeschenke<br />
im Wert von 230<br />
Milliarden Euro; Mindestlöhne<br />
auf breiter Front; zum ersten<br />
Mal seit 45 Jahren ein ausgeglichener<br />
Haushalt; erstmals 42 Millionen Beschäftigte<br />
und für eine so hoch entwickelte<br />
Wirtschaft respektable Wachstumsraten.<br />
Deutschland geht es gut. Mehr noch:<br />
Verglichen mit den europäischen Nachbarstaaten<br />
und deren wachsender Rekordverschuldung,<br />
schauerlicher Jugendarbeitslosigkeit,<br />
sind das paradiesische<br />
Zustände. Die warmen Tage sollte man genießen<br />
und die feinen Zahlen auf der Zunge<br />
zergehen lassen, stehen sie doch in<br />
einem krassen Gegensatz zur Gräuelpropaganda,<br />
mit der vor einem halben Jahr<br />
noch die heutigen Regierungsmitglieder<br />
der SPD durch das Land zogen: Da zeichneten<br />
sie das Zerrbild einer innerlich zerrissenen<br />
Gesellschaft, in der die Reichen<br />
immer reicher und die vielen Armen immer<br />
ärmer werden. Da war viel von Prekariat<br />
und <strong>vom</strong> Elend ganzer Bevölkerungsgruppen<br />
und Regionen die Rede. Seit der<br />
Bundestagswahl wiederum läuft ein<br />
Wunschkonzert. Noch nie hat eine Bundesregierung<br />
so viel Geschenke unters<br />
Volk gebracht, nicht nur an Rentner, Mieter<br />
und pfiffige Randgruppen-Lobbyisten.<br />
Mit dem Neustart der Energiewende werden<br />
Solarbauern und Windmüller, Großverbraucher<br />
und Biogasbauern mit Milliarden<br />
verwöhnt. So scheint es, als habe<br />
die große Koalition den Schlüssel zu einer<br />
Schatzkammer gefunden, aus der immer<br />
verteilt werden kann und die alle Lügen<br />
straft, die von Knappheit, Sparzwängen<br />
und Wachstumsblockaden reden. Die Fesseln<br />
des Neoliberalismus scheinen gesprengt,<br />
ein sanft lenkender, alle behütender<br />
und jede Not lindernder Staat<br />
verwöhnt seine Untertanen. Selbst der<br />
Winter scheint seine Strenge abgelegt zu<br />
haben.<br />
Vieles daran ist verdient, aber trotzdem<br />
zeigt unsere Analyse über das Paradies<br />
Deutschland im Frühsommer ernste Bedrohungen:<br />
Die deutsche Exportindustrie<br />
lebt nicht nur von eigener Leistung, sondern<br />
von niedrigen Zinsen. Und von einem<br />
Euro, der wegen seiner vielen darbenden<br />
Mitgliedswirtschaften sehr viel niedriger<br />
zum Dollar notiert, als es früher die strengen<br />
grauen Männer der Deutschen Bundesbank<br />
zugelassen hätten, solange sie<br />
noch was zu sagen hatten: Geld ist heute<br />
gratis, die Zinsen sind zu niedrig, und Investitionen<br />
so lohnend wie kaum je zuvor.<br />
BOOM DURCH NIEDRIGZINSEN<br />
Der Bundesfinanzminister konnte seinen<br />
Haushalt nur wegen der extrem niedrigen<br />
Zinsen ausgleichen. Jede Zinserhöhung<br />
um einen Prozentpunkt steigert seine Finanzierungskosten<br />
um 13 Milliarden Euro.<br />
Ohne diesen durch die Euro-Krise bedingten<br />
Zinsrabatt müsste Schäuble bei einem<br />
normalen Zinsniveau von sechs Prozent<br />
jährlich knapp 60 Milliarden mehr für<br />
Zinslasten aufwenden und wäre genauso<br />
bettelarm wie sein Vorvorgänger Hans Eichel,<br />
der Schuldenkönig. Die Zeche zahlen<br />
Sparer, Riester- und Lebensversicherte, deren<br />
Vermögen real schrumpft. Jetzt zeigt<br />
sich, dass die Krise des Euro keineswegs<br />
gelöst ist. Nur Zinsen an der Null-Grenze<br />
stabilisieren die Schuldendemokratien<br />
und suggerieren einen Aufschwung, hinter<br />
dem ökonomisch keine Substanz steht.<br />
Noch sind die Babyboomer der Sechzigerjahre<br />
in Lohn und Brot und zahlen kräftig<br />
Steuern und Sozialbeiträge. Doch schon<br />
in spätestens sechs Jahren kippt der Arbeitsmarkt:<br />
Dann steigt nur noch die Zahl<br />
der Rentner. Kann aber das schrumpfende<br />
Heer ergrauender Arbeitnehmer erwirtschaften,<br />
was den Rentnern und Pensionären<br />
heute versprochen wird? Oder werden<br />
die wenigen Jungen davonlaufen vor dieser<br />
Belastung? Daran zeigt sich: Diese Regierung<br />
hält sich selbst die Augen ganz fest zu,<br />
um der brutalen Wirklichkeit nicht ins Gesicht<br />
sehen zu müssen, und behauptet das<br />
Gegenteil von dem, was ist und sie weiß.<br />
Sie geriert sich sozial und bewirkt das Gegenteil<br />
und zerstört die Grundlagen des<br />
Sozialstaates. Aber das Wunschkonzert<br />
spielt weiter und wird erst enden, wenn die<br />
heute Regierenden längst andere Pöstchen<br />
ihr Eigen nennen.<br />
n<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 3<br />
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Überblick<br />
Menschen der Wirtschaft<br />
6 Seitenblick Falsche Paradiese<br />
8 Zoll: Schwarzgeldschmuggel über die<br />
Grenze steigt dramatisch<br />
9 Steuergeheimnis: Grundrecht für Steuersünder<br />
| IKB: Prüfbericht zensiert<br />
10 Vapiano: Neue Strategie mit Neubauten |<br />
Radisson Hotels: Angriff auf Motel One<br />
12 Zynga: Rückzug aus Deutschland |<br />
Ecomotors: Neuer Wundermotor | Uber:<br />
Wütende EU-Kommissarin<br />
14 Chefsessel | Start-up Kyl<br />
16 Chefbüro Claudio Luti, Chef des italienischen<br />
Möbelherstellers Kartell<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
18 Essay Paradies Deutschland: Wie krisenfest<br />
ist unser Wirtschaftsmodell?<br />
24 Streitgespräch: Marcel Fratzscher und<br />
Hans-Werner Sinn diskutieren über Rente,<br />
Löhne, Sparpolitik und die Euro-Rettung<br />
29 Branchen Hohe Kosten, neue Wettbewerber<br />
und staatliche Eingriffe gefährden den<br />
Wohlstand ganzer Regionen<br />
34 Technik Was kreativen Köpfen zur Innovationsfreude<br />
der Deutschen einfällt<br />
36 Euro-Krise Italien und Frankreich wollen<br />
mit neuen Schulden Wachstum schaffen |<br />
Trotz Rückkehr auf den Kapitalmarkt ist in<br />
Griechenland noch viel zu tun<br />
41 Berlin intern<br />
Der Volkswirt<br />
42 Kommentar | Umfrage<br />
43 Denkfabrik Thorsten Polleit warnt vor einer<br />
Überregulierung des Finanzsystems<br />
44 Weltwirtschaft Südeuropas Banken haben<br />
vor allem heimische Staatsanleihen gekauft<br />
– eine Gefahr für die Bankenunion<br />
Unternehmen&Märkte<br />
46 Investitionsschutz-Abkommen Schiedsverfahren<br />
für Konflikte zwischen Investoren<br />
und Staaten sind für Unternehmen existenziell<br />
| Interview: Atlantik-Brücke-Chef<br />
Friedrich Merz fordert mehr Transparenz<br />
bei Schiedsgerichtsentscheidungen<br />
52 Interview: Werner Müller Der Chef der<br />
RAG-Stiftung will Millionen im Mittelstand<br />
anlegen und rügt die Energiekonzerne<br />
56 Spanien So profitieren deutsche Unternehmen<br />
<strong>vom</strong> Wiederaufstieg des Landes<br />
60 Start-ups Aufstieg, Fall und Neustart von<br />
MyParfum-Gründer Matti Niebelschütz<br />
62 Spezial Business IT Die USA wehren sich<br />
gegen deutsche Pläne zur Spionageabwehr<br />
Technik&Wissen<br />
64 Klimawandel So bereiten sich Stadtplaner,<br />
Gesundheitsexperten, Landwirte und<br />
Küstenschützer auf den Klimawandel vor<br />
Titel Paradies Deutschland<br />
Schöner<br />
Schein<br />
Billigere Standardprodukte<br />
aus<br />
Schwellenländern,<br />
hohe Energiekosten,<br />
Technikfeindlichkeit<br />
und<br />
Provinzialität<br />
bedrohen deutsche<br />
Vorzeigebranchen<br />
und -regionen.<br />
Seite 29<br />
Ankommen<br />
Neun Menschen aus<br />
Japan, Brasilien oder<br />
Frankreich erzählen,<br />
warum sie künftig in<br />
Deutschland leben<br />
wollen. Seite 98<br />
Die Wirtschaft brummt, die Stimmung<br />
ist prima, und die Politik feiert sich<br />
selbst:Nie zuvor hatten in Deutschland<br />
so viele Menschen so gute Perspektiven<br />
wie heute. Doch ist unsere Wohlfühl-<br />
Gesellschaft tatsächlich nachhaltig und<br />
auch krisenfest? Seite 18<br />
TITELILLUSTRATION: TIM MCDONAGH<br />
4 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Nr. 17, <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong><br />
»Wir sind keine<br />
Heuschrecke«<br />
Die RAG-Stiftung steigt ins<br />
Beteiligungsgeschäft ein.<br />
Chef Werner Müller über<br />
Investitionspläne und<br />
warum er mehr Verständnis<br />
für Russlands Präsidenten<br />
Putin als für deutsche<br />
Energieversorger hat.<br />
Seite 52<br />
68 Gesundheit Können uns Bakterien helfen,<br />
gefährliche Krankheiten zu bekämpfen?<br />
71 Valley Talk<br />
Management&Erfolg<br />
72 Gründer Was aus den Siegern des<br />
WirtschaftsWoche-Gründerpreises wurde |<br />
Gründertagebuch<br />
Geld&Börse<br />
80 Aktien Warum Aktien ein wichtiger Depotbaustein<br />
bleiben, was bei Anleihen, Gold<br />
und Lebensversicherung droht | Zehn<br />
deutsche Nebenwerte mit langfristig guten<br />
Aussichten im Einzelcheck<br />
88 Anwälte Wer Patienten und Ärzte im Streit<br />
um Behandlungsfehler am besten berät<br />
90 Steuern und Recht Rentenpflicht für<br />
Angestellte im Versorgungswerk | Abgeltungsteuer<br />
überrascht Google-Aktionäre<br />
92 Geldwoche Kommentar: Versicherer<br />
müssen transparent werden – oder sterben |<br />
Trend: Griechenland-Anleihe | Dax-Aktien:<br />
Adidas | Hitliste: Tops und Flops der<br />
Weltbörsen | Aktien: Coca-Cola | Anleihe:<br />
Singulus | Chartsignal: Palladium | Fonds:<br />
Immobilienfonds | Nachgefragt:Meag-<br />
Anlagechef Philipp Waldstein glaubt an steigende<br />
Aktienkurse, kauft aber keine Aktien<br />
FOTOS: DDP IMAGES/JÖRG SARBACH, PRIVAT, INGO RAPPERS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, CORBIS/GEORG STEINMETZ<br />
Halte durch!<br />
Wer bereit ist, Strategie, Geschäftsmodell und Zielgruppe immer<br />
wieder zu überdenken, bleibt erfolgreich. Das zeigen auch ehemalige<br />
Sieger des WirtschaftsWoche-Gründerwettbewerbs. Seite 72<br />
Mit dem Klimawandel leben<br />
Die Erderwärmung ist kaum noch zu stoppen. Wir müssen uns<br />
daher an künftige Hitzewellen, Dürren und Überflutungen<br />
anpassen. Pilotprojekte zeigen schon heute, wie es geht. Seite 64<br />
Perspektiven&Debatte<br />
98 Neue Nachbarn Menschen aus aller Welt<br />
erzählen, was sie nach Deutschland zieht<br />
102 Kost-Bar<br />
Rubriken<br />
3 Einblick, 1<strong>04</strong> Leserforum,<br />
105 Firmenindex | Impressum, 106 Ausblick<br />
n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche<br />
weltweit auf iPad oder iPhone:<br />
Diese Woche unter anderem<br />
mit einem Videoplädoyer<br />
fürs Gründen, Audioausschnitten<br />
<strong>vom</strong> Interview<br />
mit Werner Müller und<br />
Bildern von bedrohten<br />
Paradiesen in aller Welt.<br />
wiwo.de/apps<br />
n Büroleben Zwischen Mobbing,<br />
Mittagspause und Rückenschmerzen.<br />
WiWo.de bietet Tipps und<br />
Überlebensstrategien für den Mikrokosmos<br />
Büro. wiwo.de/buero<br />
facebook.com/<br />
wirtschaftswoche<br />
twitter.com/<br />
wiwo<br />
plus.google.com/<br />
+wirtschaftswoche<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 5<br />
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Seitenblick<br />
PARADIESE<br />
Etikettenschwindel<br />
In Deutschland gibt es zwar viele selbst ernannte Paradiese,<br />
doch wirklich himmlisch wirken sie selten.<br />
Berlin-Charlottenburg<br />
Berlin-Marzahn<br />
Berlin-Wedding<br />
6 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Jena-Paradies, Thüringen<br />
Kreis Soest, Nordrhein-Westfalen<br />
Berlin-Lichtenberg<br />
FOTOS: POP-EYE/KEMPERT, LAIF/HOEHN/HOFFMANN, TRANSIT/BUSSE, ULLSTEIN BILD/HELLER,<br />
AXEL M. MOSLER, IMAGO/FELLECHNER, CARO/WAECHTER, EPD-BILD/FRANK VAN BEBBER<br />
Neustrelitz, Mecklenburg-Vorpommern<br />
Konstanz, Baden-Württemberg<br />
Berlin WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 7<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
573 Millionen einkassiert<br />
Finanzminister Schäuble<br />
SCHWARZGELD<br />
Geldschwemme an der Grenze<br />
Schwarzgeldaufgriffe in der deutschschweizerischen<br />
Grenzregion steigen<br />
rasant. Auch Österreichs Zoll sucht deutsche<br />
Steuerhinterzieher.<br />
Die deutsch-schweizerische Grenze wird wohl<br />
auch <strong>2014</strong> die beliebteste Route für Bargeldschmuggler<br />
nach Deutschland bleiben. Trotz der<br />
Rekordaufgriffe im vergangenen Jahr berichten<br />
Zollbeamte zurzeit von einer steigenden Zahl<br />
Schmuggler. „Zum Teil werden wir bei jedem dritten<br />
Auto fündig“, sagt Hagen Kohlmann <strong>vom</strong><br />
Hauptzollamt Ulm. Er ist für die Grenzen im Dreiländereck<br />
Deutschland-Österreich-Schweiz zuständig.<br />
Neben der Zahl der Delikte steigen auch<br />
die geschmuggelten Summen. Laut Kohlmann liegen<br />
die immer häufiger im sechsstelligen Bereich.<br />
Die Obergrenze für die Einfuhr von undeklariertem<br />
Bargeld in die EU liegt aktuell bei 10 000 Euro.<br />
Dabei dürfte Bundesfinanzminister Wolfgang<br />
Schäuble schon über die Zahlen aus dem letzten<br />
Jahr zufrieden sein. Satte 573 Millionen Euro illegales<br />
Bargeld hatten seine Zollbeamten 2013 an<br />
Deutschlands Grenzen einkassiert. Zum Vergleich:<br />
2012 waren es gerade einmal 9,3 Millionen Euro.<br />
Der Höhepunkt des Bargeldschmuggels dürfte<br />
trotz dieser Rekordwerte noch nicht erreicht sein.<br />
Denn nachdem Österreich und die Schweiz angekündigt<br />
haben, Kapitalerträge von Ausländern<br />
künftig an deren Heimatstaaten zu melden (WirtschaftsWoche<br />
14/<strong>2014</strong>), werden offenbar auch<br />
hartgesottene Steuerhinterzieher nervös. Beim Zoll<br />
mutmaßt man noch über einen weiteren Grund:<br />
„Der Fall Hoeneß hat viele aufgeschreckt.“<br />
Bei den Rückholaktionen des unversteuerten<br />
Geldes greifen manche Deutsche tief in die Trickkiste.<br />
„Wir stoßen immer öfter auf Autos mit vier<br />
oder sogar fünf Insassen, von denen jeder 9800<br />
oder 9900 Euro dabei hat“, heißt es <strong>vom</strong> Zoll. Vor Ermittlungen<br />
schützt der Trick allerdings nicht. Zwar<br />
können die Zollbeamten kein Bußgeld verhängen,<br />
wenn die Reisenden unter der meldepflichtigen<br />
Summe bleiben. Allerdings können sie das zuständige<br />
Finanzamt über den Bargeldfund informieren.<br />
Auch andere Fundstücke meldet der Zoll zurzeit<br />
regelmäßig an Finanzämter: Etwa Schlüssel von<br />
Bankschließfächern, die die Beamten laut Kohlmann<br />
häufiger entdecken – ein Indiz dafür, dass<br />
viele Steuerhinterzieher ihre Konten leergeräumt<br />
und das Geld in Schließfächer gesteckt haben.<br />
Deutschen, die versuchen Schweizer Schwarzgeld<br />
über Österreich einzuführen, macht der österreichische<br />
Zoll immer häufiger einen Strich durch<br />
die Rechnung. Der kontrolliert gut informierten<br />
Kreisen zufolge schwerpunktmäßig auch deutsche<br />
Bürger. 2013 stellten die Österreicher an der<br />
Schweizer Grenze mehr als eine Million Euro Bargeld<br />
sicher, eine Verdopplung gegenüber 2012.<br />
daniel schönwitz, andreas macho | mdw@wiwo.de<br />
Erwischt<br />
Beschlagnahmte<br />
Zahlungsmittel an der<br />
deutschen Grenze<br />
2011<br />
14,4 Mio.€<br />
2012<br />
9,3 Mio.€<br />
2013<br />
573,0 Mio.€<br />
Quelle:Zollverwaltung<br />
FOTOS: LAIF/HANS CHRISTIAN PLAMBECK, VISUM/STEFAN BONESS, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
8 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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STEUERGEHEIMNIS<br />
Schutz durch Grundgesetz<br />
Am Pranger Bei Alice<br />
Schwarzer wurde das<br />
Steuergeheimnis<br />
gebrochen<br />
Die Verletzung des Steuergeheimnisses<br />
im Fall von Alice<br />
Schwarzer, Uli Hoeneß und<br />
anderen Sündern ist ein besonders<br />
schwerwiegender Verstoß,<br />
weil Verfassungsrechte gebrochen<br />
wurden. Dieser Schluss<br />
ergibt sich aus einem Gutachten<br />
der Wissenschaftlichen<br />
Dienste des Bundestages. Zwar<br />
ist das Steuergeheimnis nur in<br />
der Abgabenordnung geregelt,<br />
einem Steuergesetz, und habe<br />
anders als das Brief-, Post- und<br />
Fernmeldegeheimnis nicht den<br />
Rang eines Grundrechts, heißt<br />
es darin. Jedoch trage es „in erster<br />
Linie verfassungsrechtlichen<br />
Vorgaben Rechnung“, insbesondere<br />
dem Recht auf<br />
informationelle Selbstbestimmung.<br />
„Dieses Recht ist Bestandteil<br />
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts,<br />
das durch<br />
das Grundgesetz geschützt<br />
wird“, so die Wissenschaftler.<br />
Ihr Fazit: „Eine Abschaffung des<br />
Steuergeheimnisses wäre mithin<br />
aus verfassungsrechtlichen<br />
Gründen nicht zulässig.“<br />
Durch die Studie gerät die<br />
mutmaßliche Praxis, in einigen<br />
Fällen prominente Steuerbürger<br />
mit Indiskretionen unter<br />
Druck zu setzen, weiter ins<br />
Zwielicht. Es sei richtig, am<br />
Steuergeheimnis festzuhalten,<br />
sagt der CDU-Abgeordnete<br />
Martin Pätzold: „Aber wir müssen<br />
gesellschaftlich für mehr<br />
Steuerehrlichkeit werben.“<br />
christian.ramthun@wiwo.de | Berlin<br />
Fundstücke<br />
Aldi auf Mallorca Erstmals eröffnet<br />
Aldi eine Filiale auf Mallorca,<br />
in der Gemeinde Marratxí.<br />
Aldi Nord hat noch eine weitere<br />
Filiale beantragt. Konkurrent<br />
Lidl ist schon seit 2001 auf<br />
der Insel – inzwischen mit 14<br />
Filialen.<br />
2. BinSchUOuaAbwVÄndV In<br />
wenigen Sprachen gibt es so<br />
lange Worte wie im Deutschen.<br />
Und auch eine in dieser Woche<br />
in Kraft getretene Verordnung<br />
ist rekordverdächtig, sie versammelt<br />
gleich zwei Bandwurmworte.<br />
Der Titel: „Zweite Verordnung<br />
zur Änderung der<br />
Gemeinsamen Verordnung zur<br />
vorübergehenden Abweichung<br />
von der Binnenschiffsuntersuchungsordnung<br />
und von der<br />
Binnenschifferpatentverordnung“.<br />
Zum Glück hat das<br />
Rechtswerk auch eine wohl klingende<br />
Abkürzung: „2.<br />
BinSchUOuaAbwVÄndV“.<br />
IKB<br />
Bericht<br />
geschwärzt<br />
Ex-Aktionäre der Düsseldorfer<br />
Bank IKB erhoffen sich <strong>vom</strong><br />
Bericht des Sonderprüfers<br />
Harald Ring eigentlich Aufschluss<br />
darüber, wer Schuld an<br />
der Fast-Pleite des Geldhauses<br />
während der Finanzkrise war.<br />
Die Hoffnung könnte angesichts<br />
einer umfangreichen<br />
Zensur durch die Bank nun enttäuscht<br />
werden. Sechs Wochen<br />
hatte die inzwischen dem amerikanischen<br />
Finanzinvestor Lone<br />
Star gehörende IKB Zeit, den<br />
Bericht zu schwärzen. Selbst<br />
das reichte offenbar nicht für<br />
das 1800 Seiten starke Traktat,<br />
sodass Ring dem Bankvorstand<br />
unter Hans Jörg Schüttler<br />
jetzt eine einwöchige Fristverlängerung<br />
gewähren musste.<br />
Das Aktienrecht erlaubt solche<br />
Schwärzungen, wenn die Stellen<br />
wichtige Firmengeheimnisse<br />
preisgeben – aber keinen<br />
Aufschluss über Pflichtverletzungen<br />
geben. Den Ex-Aktionären<br />
bleibt eine Hoffnung: Das<br />
Düsseldorfer Landgericht muss<br />
nun Absatz für Absatz entscheiden,<br />
ob die Schwärzungen<br />
durch den Vorstand legal sind.<br />
Das aber dürfte mehrere Monate<br />
dauern.<br />
mark.fehr@wiwo.de | Frankfurt<br />
Auf der schiefen Bahn<br />
DieDeutsche Bahn bewertet erstmals ihre weltweiten Märkte nach der Höhe von Wirtschaftskriminalität und Korruption*<br />
(gewichtet auf einer Skala von 0bis 100)<br />
Myanmar<br />
Afghanistan<br />
Angola,<br />
Turkmenistan<br />
Sudan<br />
Libyen<br />
2 9 11 13 14<br />
Länder mit schlechtestemRanking<br />
Großbritannien,<br />
Australien,<br />
Schweden Finnland Norwegen Neuseeland Luxemburg<br />
88 89 91 92 93<br />
Länder mit bestem Ranking<br />
FOTO:<br />
*Auswahl aus rund 140 Partnerländern; Quelle: Deutsche Bahn<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 9<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
FLOSKELCHECK<br />
Paradies<br />
Wiederholte politische<br />
Versuche, mit aller<br />
internationalen Macht<br />
den Garten Eden auf<br />
Erden zu errichten, haben<br />
bekanntermaßen<br />
regelhaft mit Mord<br />
und Totschlag geendet.<br />
Auf allen Kontinenten<br />
ungelöst blieb dabei<br />
stets das Relativitätsproblem:<br />
Denn jedes<br />
Anglerparadies ist<br />
immer auch eine<br />
Hölle für die Fische.<br />
Experten raten daher<br />
zu Bescheidenheit<br />
für jedes erträumte,<br />
irdische Vize-Paradies:<br />
Spendete nicht schon<br />
das Lächeln einer schönen<br />
Frau im Glühbirnenlicht<br />
der verrauchten<br />
Kneipe einstmals –<br />
Glück?<br />
DER FLOSKELCHECKER<br />
Carlos A. Gebauer, 49,<br />
arbeitet als Rechtsanwalt in<br />
Düsseldorf, wurde auch als<br />
Fernsehanwalt von RTL und<br />
SAT.1 bekannt.<br />
VAPIANO<br />
Kiew, Kairo und Kleinstädte<br />
Keine deutsche Gastronomie-<br />
Neugründung wuchs in den<br />
vergangenen Jahren so rasant<br />
wie Vapiano. Die 2002 gegründete<br />
Italo-Kette zählt heute 140<br />
Restaurants in 27 Ländern. 2013<br />
verkaufte sie Pasta und Pizza im<br />
Wert von 336 Millionen Euro.<br />
Geht es nach Vapiano-Chef<br />
Gregor Gerlach, ist das aber<br />
erst der Anfang: „Wir wollen die<br />
Zahl der Restaurants alle drei<br />
Jahre verdoppeln.“<br />
Je verbreiteter die Bonner<br />
Kette ist, desto schwieriger wird<br />
allerdings die Expansion – vor<br />
allem in Deutschland. „Je mehr<br />
wir in kleine Städte gehen, umso<br />
schwerer ist es, geeignete Locations<br />
zu finden“, sagt Gerlach.<br />
Daher ändert er nun die Strategie.<br />
Während Vapiano bisher<br />
nur leer stehende Flächen in Innenstädten<br />
anmietete, wird das<br />
Unternehmen künftig wie<br />
McDonald’s auch eigene Gebäude<br />
bauen – am Stadtrand, in<br />
Gewerbegebieten oder an der<br />
Autobahn. Der Mailänder Architekt<br />
Matteo Thun hat einen<br />
Prototyp entwickelt. Der soll<br />
RADISSON RED<br />
Angriff auf<br />
Motel One<br />
Rezidor, der Mutterkonzern der<br />
internationalen Hotelketten<br />
Park Inn und Radisson Blu, will<br />
mit neuen, billigeren Radisson-<br />
Red-Hotels Anbietern wie Motel<br />
One und Ibis Style Kunden<br />
abjagen. Zielgruppe ist laut Rezidor-Chef<br />
Wolfgang M.<br />
Neumann die zwischen <strong>19</strong>77<br />
und <strong>19</strong>94 geborene Generation<br />
Y. Geplant seien neue Angebote<br />
für Tablet- und Smartphone-<br />
Nutzer sowie ein mobiles<br />
Check-in oder Check-out. Die<br />
Bei Hotelmarken durchgelüftet<br />
Rezidor-Chef Neumann<br />
Ende des Jahres in Fürth eröffnen,<br />
derzeit wartet Vapiano auf<br />
die Baugenehmigung. Insgesamt<br />
plant Gerlach in Deutschland<br />
<strong>2014</strong> acht neue Restaurants,<br />
darunter zwei in Berlin,<br />
am Alexanderplatz und im Europacenter.<br />
International will Vapiano vor<br />
allem in England und Spanien<br />
wachsen. Aber auch im Ausland<br />
wird die Expansion<br />
schwieriger. So sanken 2013 die<br />
Gebäude für Gewerbegebiete<br />
Prototyp von Vapiano<br />
Zimmer bei Radisson Red werden<br />
etwas kleiner als bei Radisson<br />
Blu und der Service eingeschränkt<br />
sein. „Bis 2020 wollen<br />
wir 60 Hotels dieser Marke eröffnen“,<br />
sagt der Manager. Das<br />
erste Musterhaus will er demnächst<br />
vorstellen. Neumann<br />
krempelt zurzeit ohnehin das<br />
Verkäufe außerhalb Europas<br />
um 1,6 Prozent. „Ein, zwei Länder<br />
liefen unrund, da hatten wir<br />
falsche Partner“, sagt Gerlach.<br />
Trotzdem plant er Restaurants<br />
in bis zu fünf weiteren Ländern.<br />
Selbstläufer dürften das nicht<br />
werden. Denn neben Kuwait<br />
und Aserbaidschan stehen<br />
auch Ägypten und die Ukraine<br />
auf dem Expansionsplan. Am<br />
Nil lagen die Pläne wegen der<br />
politischen Umbrüche bereits<br />
ein halbes Jahr auf Eis. Doch<br />
Gerlach ist optimistisch, mit der<br />
Expertise lokaler Franchisepartner<br />
in diesem Jahr in Kairo und<br />
Kiew zu starten: „Auch in diesen<br />
Ländern geht ja das Leben<br />
weiter.“<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
gesamte Markenportfolio in seinem<br />
Konzern um. Neu dazu<br />
kommt die Luxusmarke Quorvus<br />
Collection. Allein in Europa<br />
plant er 20 Hotels – neben<br />
Traditionshäusern sollen auch<br />
Boutique-Hotels und Resorts<br />
dazugehören.<br />
Verschwinden werden die<br />
Marken Regent und Missoni.<br />
Bei Missoni habe sich zu wenig<br />
getan. In den acht Jahren Partnerschaft<br />
mit dem italienischen<br />
Modehaus entstanden<br />
nur zwei neue Hotels. Die Regent-Hotels<br />
sind dem Konzernchef<br />
dagegen zu stark standardisiert:„Luxushotels<br />
brauchen<br />
heute je nach Standort unterschiedliche<br />
Themen wie Kunst<br />
oder Architektur, um erfolgreich<br />
zu sein.“<br />
hans-juergen.klesse@wiwo.de<br />
ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER; FOTOS: PR<br />
10 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
ZYNGA<br />
Rückzug aus<br />
Deutschland<br />
Seit dem gefloppten Börsendebüt<br />
versucht sich der US-Spielehersteller<br />
Zynga gesundzuschrumpfen.<br />
In Deutschland<br />
stellte er seine Entwicklung jetzt<br />
komplett ein. Schon letzten<br />
Sommer hatte der Konzern im<br />
Zuge eines Sparprogramms die<br />
Standorte Mainz und Frankfurt<br />
dichtgemacht. Das Bielefelder<br />
Entwicklerstudio sollte bestehen<br />
bleiben. Ende 2013 kündigten<br />
die Farmville-Macher aber<br />
an, weltweit weitere 15 Prozent<br />
der Stellen zu streichen. Im Zuge<br />
dessen wurde nun auch das<br />
Studio in Bielefeld dichtgemacht,<br />
so das Unternehmen.<br />
Dabei galten die Bielefelder<br />
als Spezialisten für Handyspiele<br />
– das Segment, in dem Zynga<br />
wachsen will. Die Brüder<br />
Thomas und Matthias Hoechsmann<br />
hatten das Studio 2009<br />
gegründet und ein Zombie-<br />
Spiel fürs iPhone entwickelt.<br />
2011 kaufte Zynga das Studio.<br />
Zynga will jetzt mit dem Klassiker<br />
Farmville Boden gutmachen.<br />
Im letzten Quartal sank<br />
die Zahl der täglichen Spieler<br />
auf 27 Millionen– halb so viele<br />
wie vor einem Jahr. Eine speziell<br />
für Handys konzipierte Version<br />
von Farmville 2 soll nun die<br />
Wende bringen. oliver.voss@wiwo.de<br />
UBER<br />
Kroes gegen<br />
Taxi-Kartell<br />
Per Smartphone-App vermittelt<br />
das US-Unternehmen Uber Limousinen<br />
samt Chauffeur. Vor<br />
allem Taxifahrer hassen die<br />
neue Konkurrenz, in Paris attackierten<br />
sie schon die Autos von<br />
Uber-Fahrern. Nun erklärte<br />
Wütet via Twitter<br />
EU-Kommissarin Kroes<br />
17.<strong>04</strong>. Ukraine-Gespräche Bei einem Vierertreffen<br />
kommen am Donnerstag die Außenminister von<br />
Russland, der Ukraine, den USA und der EU in<br />
Genf zusammen. Vom Ausgang des Treffens wird<br />
wohl auch abhängen,<br />
ob die EU ernsthafte<br />
Wirtschaftssanktionen<br />
gegen Russland verhängen<br />
wird.<br />
20.<strong>04</strong>. Automesse In Peking startet am Sonntag die Auto<br />
China <strong>2014</strong>, die wichtigste chinesische Automesse.<br />
Audi wird dort zum Beispiel eine 420 PS starke<br />
Quattro-Sport-Version des Modells TT vorstellen.<br />
21.<strong>04</strong>. China Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel<br />
tritt am Montag seine viertägige China-Reise an.<br />
Im Schlepptau hat er auch eine Delegation deutscher<br />
Unternehmensvertreter. Im Juli will dann<br />
auch Angela Merkel nach China reisen.<br />
23.<strong>04</strong>. Staatsschulden Die Statistikbehörde Eurostat veröffentlicht<br />
am Mittwoch die Staatsverschuldung<br />
der einzelnen Mitgliedstaaten für 2013. Mit Spannung<br />
werden Griechenlands Zahlen erwartet, das<br />
wieder einen Überschuss erwirtschaftet haben<br />
soll, lässt man Schuldzinsen außer Acht.<br />
Petersburger Dialog In Leipzig beginnt das alljährliche<br />
zweitägige deutsch-russische Diskussionsforum,<br />
dass zur Verständigung beider Nationen beitragen<br />
soll. Ursprünglich wurden auch Wladimir<br />
Putin und Angela Merkel erwartet. Aufgrund der<br />
aktuellen Entwicklung in der Ukraine werden sie<br />
nun doch nicht an dem Treffen teilnehmen.<br />
25.<strong>04</strong>. Schuldenfonds Die US-Ratingagentur Standard &<br />
Poor’s veröffentlicht am Freitag eine Einschätzung<br />
über die Kreditwürdigkeit des Europäischen Schuldenfonds<br />
EFSF.<br />
TOP-TERMINE VOM 17.<strong>04</strong>. BIS 27.<strong>04</strong>.<br />
auch ein Brüsseler Gericht das<br />
Angebot in Belgien für unzulässig<br />
und droht für jede Fahrt mit<br />
einer Strafe von 10 000 Euro.<br />
Doch Uber-Chef Travis Kalanick<br />
bekommt überraschend<br />
prominente Unterstützung.<br />
„Verrückte Entscheidung“, wettert<br />
EU-Digitalkommissarin<br />
Neelie Kroes. Sie sei geschockt<br />
und außer sich twitterte<br />
die Niederländerin und rief den<br />
Hashtag #UberIsWelcome ins<br />
Leben. Kurz darauf hatte die<br />
frühere Wettbewerbskommissarin<br />
einen empörten Eintrag<br />
auf ihrem offiziellen Blog<br />
veröffentlicht. „Es geht darum,<br />
dass Taxi-Kartell zu<br />
schützen“, schimpft Kroes<br />
und ruft zu Protesten bei<br />
der belgischen Verkehrsministerin<br />
auf.<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
ECOMOTORS<br />
Neuer alter<br />
Wundermotor<br />
Das Konzept für seinen vermeintlichen<br />
Wundermotor hat<br />
Peter Hofbauer schon in den<br />
Achtzigerjahren als Motorchef<br />
von Volkswagen entwickelt. Er<br />
eignet sich für Benzin, Diesel,<br />
Erdgas sowie Methanol und<br />
verbraucht bis zu 50 Prozent<br />
weniger als ein moderner Turbodiesel,<br />
ist dabei nur halb so<br />
groß und deutlich günstiger.<br />
Nun soll der Zweitakter in<br />
Serie gehen. Hofbauers Firma<br />
Warten auf Piëch<br />
Motorentwickler Hofbauer<br />
Ecomotors, die er 2008 in den<br />
USA gegründet hat, richtet dafür<br />
ein Gemeinschaftsunternehmen<br />
mit dem chinesischen<br />
Konzern First Auto Works<br />
(FAW) ein. Für 200 Millionen<br />
Dollar entsteht eine neue Fabrik.<br />
Dort sollen ab 2015 jährlich<br />
rund 100 000 Motoren gebaut<br />
werden. Weitere 150 000<br />
Lkw-Motoren sollen aus einer<br />
zweiten Fabrik mit dem chinesischen<br />
Zuliefererkonzern<br />
Zhongding kommen. Hofbauer<br />
hofft, dass der Wundermotor<br />
auch in Modelle seines Ex-Arbeitgebers<br />
einzieht. Die VW-<br />
Tochter IAV war schon an der<br />
Entwicklung beteiligt, zudem<br />
ist FAW auch ein VW-Partner in<br />
China. Aber noch will Hofbauer<br />
VW-Patriarch Ferdinand Piëch<br />
den Motor nicht zeigen: „Er<br />
wird wissen wollen, ob er sich<br />
auf der Straße bewährt hat.“<br />
martin.seiwert@wiwo.de | New York<br />
FOTOS: LAIF/POLARIS/XINHUA, SCOTT STEWART FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, LAIF/DANIEL PILAR<br />
12 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
CHEFSESSEL<br />
START-UP<br />
CONTINENTAL<br />
Elke Strathmann, 56,<br />
seit Januar 2012 Personalvorstand<br />
und Arbeitsdirektorin<br />
beim Autozulieferer Continental<br />
in Hannover, muss<br />
sich einen neuen Job suchen:<br />
Ihr Ende <strong>2014</strong> auslaufender<br />
Vertrag wird überraschend<br />
nicht verlängert.<br />
Angeblich, weil sie „zu vielen<br />
Männern mit ihrer selbstbewussten<br />
Art auf die Füße getreten“<br />
ist, wie aus dem Aufsichtsrat<br />
kolportiert wird.<br />
Strathmann sollte die unterschiedlichen<br />
Unternehmenskulturen<br />
in dem durch<br />
mehrere Übernahmen – darunter<br />
die ehemalige Siemens-Tochter<br />
VDO – gewachsenen<br />
Reifen- und<br />
Autoelektronikkonzern vereinheitlichen.<br />
Die diplomierte<br />
Mathematikerin gilt<br />
als erfahrene Personalmanagerin<br />
und war vor ihrem<br />
Conti-Amtsantritt bei den<br />
Konsumgüterriesen Nestlé,<br />
Johnson & Johnson und<br />
Procter & Gamble.<br />
CABRIOS<br />
1,7Millionen<br />
TELEKOM<br />
Marion Schick, 55, verlässt<br />
das Unternehmen aus gesundheitlichen<br />
Gründen. Die Personalchefin<br />
wird bereits seit einiger<br />
Zeit von Datenschutzvorstand<br />
Thomas Kremer vertreten.<br />
VOLKSWAGEN<br />
Wolfgang Dürheimer, 55,<br />
kehrt nach fast einjähriger Pause<br />
als Vorstand des VW-Konzerns<br />
in das operative Geschäftzurück:Am<br />
1. Juni übernimmt<br />
er die Leitung der Luxusmarken<br />
Bentley und Bugatti. Die Verantwortung<br />
dafür hatte der Ingenieur<br />
bereits 2011 und 2012,<br />
bevor er zum Technik-Vorstand<br />
von Audi berufen wurde. Dort<br />
hielt er sich aber nur drei Monate.<br />
Wolfgang Schreiber, 56,<br />
der Bentley und Bugatti seit<br />
September 2012 geführt hatte,<br />
soll in Kürze eine neue Aufgabe<br />
im Konzern übernehmen.<br />
RENAULT<br />
Olivier Gaudefroy, 50, übernahm<br />
Karfreitag als neuer<br />
Vorstandschef die Leitung von<br />
Renault Deutschland. Der Franzose<br />
löste überraschend Achim<br />
Schaible, 45, ab, der den Importeur<br />
fünf Jahre geführt und<br />
trotz schwieriger Bedingungen<br />
den Marktanteil von Renault<br />
und Dacia stabilisiert hatte. Der<br />
darf sich eine neue berufliche<br />
Herausforderung suchen.<br />
Cabrios sind in Deutschland zugelassen, davon 40 Prozent auf<br />
Frauen. Unter allen Pkw-Haltern machen Frauen dagegen nur 33<br />
Prozent aus. Zudem leisten sich eher Jüngere ein Cabrio. Nur 21<br />
Prozent aller Cabrio-Halter sind älter als 60 Jahre. Von allen Pkw-<br />
Besitzern haben 27 Prozent diese Altersgrenze überschritten.<br />
KYL<br />
Das Magnum der Matrix<br />
Fakten zum Unternehmen<br />
Finanzierung bislang aus Eigenmitteln<br />
200 000–250 000 Euro,<br />
nun per Crowdfunding bei Companisto<br />
mehr als 135 000 Euro<br />
Produktion geplant sind täglich<br />
25 000 bis 35 000 Stück<br />
Science-Fiction-Filme nehmen viele Neuerungen vorweg, doch<br />
kulinarisch bleiben die Zukunftsvisionen erstaunlich fad. So fragte<br />
sich David Marx, welches Eis die Helden in Matrix oder Minority<br />
Report statt eines Magnums essen würden? Und hat das „Eis der<br />
Zukunft“ erfunden. Seine Kreationen haben abstrakte geometrische<br />
Formen, die pyramidenförmigen Waben sind schon mal<br />
pechschwarz. Für die Rezepturen arbeitet Marx mit Sterneköchen<br />
wie Juan Amador zusammen. Für das futuristische Aussehen wird<br />
die Masse mit flüssigem Stickstoff bei –<strong>19</strong>6 Grad schockgefroren.<br />
„So gehen keine Zellen kaputt“, sagt Marx. Denn es entstehen<br />
keine Eiskristalle. Dadurch benötigt das Moleküleis auch weniger<br />
Zucker, Luft und Fett, welche sonst für die Konsistenz nötig sind.<br />
Allerdings produzierte Kyl das Eis bislang nur für Modenschauen,<br />
Filmpremieren oder zuletzt die World Science Gala in<br />
New York. Nun baut die Firma in Berlin eine Fabrik, die im November<br />
öffnen soll. Geld sammelt Kyl derzeit per Crowdfunding,<br />
die erhofften 100 000 Euro kamen in 24 Stunden zusammen. Ab<br />
2015 will Marx das Eis mit Partnern und online verkaufen. „Die<br />
Nachfrage macht uns fertig“,<br />
sagt er. Es gebe zahlreiche<br />
Anfragen von großen<br />
Hotels und Caterern.<br />
Zudem will Marx den<br />
US-Markt erobern. Als<br />
Türöffner hat er John Lika<br />
gewonnen – Ex-Marketingchef<br />
von Ben & Jerrys.<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
FOTOS: LAIF/CHRISTIAN BURKERT, PR<br />
14 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />
Claudio Luti<br />
Chef des italienischen Möbelherstellers Kartell<br />
An der Tischkante steht ein halbes<br />
Dutzend Familienfotos, in<br />
der Ecke ein Exemplar der<br />
Tischlampe Bourgie – eines von<br />
mehr als 20 Kunststoffmöbeln<br />
aus der Produktion der vergangenen<br />
20 Jahre, die Claudio Luti,<br />
67, in seinem Büro stets um sich<br />
hat. Wie seinen Augapfel aber<br />
hütet er den Aktenstapel vor<br />
ihm, der nie zu schrumpfen<br />
scheint:die neuesten Umsatzzahlen,<br />
aktuelle Entwürfe seiner<br />
Designer, Kataloge mit den Kollektionen<br />
der Konkurrenz.<br />
Als „mein ganz privates Chaos“<br />
beschreibt der Eigentümer und<br />
Vorstandschef des italienischen<br />
Kunststoffmöbel-Herstellers<br />
Kartell die Papierflut<br />
auf seinem ovalen Schreibtisch,<br />
den seine Schwiegermutter<br />
Anfang der<br />
Siebzigerjahre entworfen<br />
hat, die legendäre<br />
italienische<br />
Designerin Anna<br />
Castelli Ferrieri. „Da<br />
darf auch meine Sekretärin<br />
nur ein, zwei<br />
360 Grad<br />
In unseren App-<br />
<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />
Sie an dieser<br />
Stelle ein interaktives<br />
360°-Bild<br />
Mal pro Jahr ran“, sagt Luti.<br />
<strong>19</strong>88 übernahm der Ökonom<br />
das Unternehmen, das seine<br />
Schwiegereltern <strong>19</strong>49 vor den<br />
Toren Mailands gegründet hatten.<br />
In seinem mehr als 100<br />
Quadratmeter großen Büro will<br />
Luti ungern gestört werden.<br />
Hier empfängt er allenfalls Stardesigner<br />
wie Philippe Starck,<br />
die er in den vergangenen 25<br />
Jahren immer wieder<br />
beauftragt hat. „Ich<br />
organisiere den kreativen<br />
Prozess“, beschreibt<br />
Luti seine<br />
Aufgabe, die er in<br />
den Achtzigerjahren<br />
schon als rechte<br />
Hand des Designers<br />
Gianni Versace verinnerlicht<br />
hatte. Lutis Credo: „Kreativität<br />
braucht Freiheit.“ Aber auch<br />
Kontrolle: Ein Entwurf geht nur<br />
in Produktion, wenn Luti ihn<br />
für gut befunden hat – also<br />
„wenn er mir gefällt und er Marge<br />
verspricht“. Offenbar mit Erfolg:<br />
Kartell ist in 126 Ländern<br />
präsent und laut Luti „hochprofitabel“.<br />
Seit einigen Jahren arbeiten<br />
auch seine beiden Söhne<br />
im Unternehmen mit;amtsmüde<br />
ist der 67-Jährige, der seit<br />
Oktober 2012 auch der Mailänder<br />
Möbelmesse vorsteht, allerdings<br />
nicht. „Vorerst“, sagt Luti,<br />
„bleibe ich auf der Suche nach<br />
neuen Ideen.“<br />
manfred.engeser@wiwo.de<br />
FOTO: PIETRO MADASCHI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
16 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Paradies Deutschland<br />
Das bedrohte Idyll<br />
ESSAY | Die Wirtschaft brummt, die Stimmung ist prima, und die Politik<br />
feiert sich selbst: Nie zuvor hatten in Deutschland so viele Menschen<br />
so große Lebenschancen wie heute. Doch ist unsere Wohlfühl-<br />
Gesellschaft tatsächlich ein nachhaltiges Modell? Von Dieter Schnaas<br />
Im „Rückblick aus dem Jahr 2000 auf<br />
das Jahr 1887“ des amerikanischen Science-Fiction-Schriftstellers<br />
Edward Bellamy<br />
erwacht die Hauptfigur Julian West<br />
in einem idealen Gemeinwesen der Zukunft.<br />
Julian wundert sich über die saubere Luft in der<br />
Großstadt, staunt über Kreditkarten und eine Art<br />
Streaming-Dienst, der verkabelte Haushalte mit musikalischer<br />
Unterhaltung versorgt. Das utopische Potenzial<br />
des in Boston spielenden Romans aus dem<br />
Jahre 1888 ist verblüffend. Die vielleicht schönste Passage<br />
beschreibt eine Unterhaltung zwischen Julian<br />
und seinem Hausherrn Dr. Leete. Julian ist irritiert,<br />
weil sein Gastgeber das Mittagessen, obwohl es regnet,<br />
auswärts einnehmen will – bis er bemerkt, dass<br />
die Trottoirs durch ein wasserdichtes Dach geschützt<br />
sind. Leete dient der „gut erleuchtete und vollkommen<br />
trockene Korridor“ nicht nur praktischen Zwecken,<br />
er deutet ihn auch als politisches Zeitzeichen:<br />
Während die Bewohner Bostons im <strong>19</strong>. Jahrhundert<br />
bei schlechtem Wetter 300 000 Privatregenschirme<br />
über ihren Köpfen aufgespannt hätten, so Leete,<br />
zeichne sich die moderne Gesellschaft dadurch aus,<br />
dass in ihr alle Menschen durch einen einzigen Regenschirm<br />
beschützt seien.<br />
Natürlich hat Bellamy das damals marxistisch gemeint:<br />
Seine Kolonnaden symbolisieren den postindividualistischen<br />
Traum von einer klassenlosen Solidarität<br />
aller mit allen. Heute wissen wir, dass die Regenschirm-Utopie<br />
sich nicht in einem sozialistischen<br />
Musterland, sondern im Deutschland der sozialen<br />
Marktwirtschaft aufs Schönste verwirklicht hat. Der<br />
800 Milliarden Euro schwere Sozialstaat ist der Riesenregenschirm,<br />
den sich Kapitalisten, Selbstständige,<br />
Angestellte und Arbeiter Jahr für Jahr erarbeiten,<br />
um sich unter seinen Schutz zu stellen – ein Riesenregenschirm,<br />
der nicht nur alle existenziellen Gefahren<br />
und individuellen Lebenskrisen abwettert, sondern<br />
unter dessen Schirm-Herrschaft auch eine historisch<br />
beispiellose Komfortzone erblüht ist, ein üppig pran-<br />
gendes Wohlstandsparadies, in dem Pflicht und Fleiß<br />
und Feierabend florieren und in dem die Deutschen<br />
ihren einmal erworbenen Status hegen: Gärtner in<br />
Eden, gesegnet mit einem grünem Daumen. So wie<br />
einst bei Adam und Eva besteht auch für die Deutschen<br />
heute das Tagwerk vor allem darin, den Überfluss<br />
zu pflücken und die Fülle zu pflegen.<br />
Was für eine Ironie der Geschichte, dass sich ausgerechnet<br />
der Sämann des deutschen Prosperitätsparadieses<br />
den real existierenden Sozialstaat wie eine<br />
Hölle vorgestellt hat! Die Regenschirm-Wohlfahrt war<br />
für Ludwig Erhard, den „Vater des deutschen Wirtschaftswunders“,<br />
das Werk eines paternalistischen<br />
Teufels, der „die menschliche Verantwortung erschlaffen<br />
und die individuelle Leistung absinken<br />
lässt“. Erhards Utopie der sozialen Marktwirtschaft<br />
entwarf dagegen eine entproletarisierte Gesellschaft<br />
emsiger Eigentumsbürger, die sich dank Wettbewerbsordnung<br />
und Wirtschaftswachstum maßgeschneiderte<br />
Privatregenschirme leisten können. Mit<br />
deren Kauf sollten sich die Deutschen zugleich das<br />
individuelle Glück erwerben, von Schlechtwetterphasen<br />
unabhängig, also ausdrücklich nicht auf<br />
staatliche Riesenregenschirme angewiesen zu sein!<br />
GOLDENES GEHEGE<br />
Nähme man Erhard beim Wort, müsste man die sieben<br />
deutschen Nachkriegsjahrzehnte nicht als Erfolgs-,<br />
sondern als große Verfallsgeschichte beschreiben.<br />
Das deutsche Paradies erschiene als goldenes<br />
Gehege, in das wir uns von einem paternalistischen<br />
Staat wie willenlose, mit regierungsamtlichem<br />
Optimismus geimpfte Herdentiere haben einpferchen<br />
lassen – ein Paradies, das wegen sozialstaatlicher<br />
Überdüngung vorübergehend wächst und wuchert,<br />
dessen Böden aber ausgelaugt sind, immer weniger<br />
Ertrag abwerfen und zuletzt verwüsten werden.<br />
Bedrohtes Paradies? Ach was! „Nie zuvor hatten so<br />
viele Menschen so große Lebenschancen wie heute“,<br />
sagte der große liberale Soziologe Ralf Dahrendorf<br />
»<br />
Verfallsgeschichte<br />
Deutschlands Unternehmen<br />
fahren ihre<br />
Investitionen hierzulande<br />
seit Jahren<br />
zurück. Der Kapitalstock<br />
veraltet, das<br />
langfristige Wachstumspotenzial<br />
sinkt.<br />
Ausrüstungsinvestitionen in<br />
Prozent des BIPs<br />
10<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6 <strong>19</strong>70 2013<br />
Quelle:Destatis<br />
ILLUSTRATIONEN: TIM MCDONAGH; DMITRI BROIDO<br />
18 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 <strong>19</strong><br />
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Paradies Deutschland<br />
»<br />
Zahl der registrierten<br />
Arbeitslosen in Millionen<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2 <strong>19</strong>91 2013<br />
Quelle:Sachverständigenrat<br />
Deutsche Warenexporte<br />
in Billionen Euro<br />
1,2<br />
1,0<br />
0,8<br />
0,6<br />
0,4<br />
0,2 <strong>19</strong>91 2013<br />
Quelle: Sachverständigenrat<br />
Menschen über 65<br />
Deutschlands Bevölkerung<br />
altert. Für<br />
die nachwachsende<br />
Generation steigt die<br />
Finanzierungslast –<br />
es sei denn, sie kündigt<br />
den Generationenvertrag<br />
durch<br />
Auswanderung auf.<br />
Über 65-Jährige in Prozent<br />
der 20- bis 64-Jährigen<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10 <strong>19</strong>50 2011 2060<br />
ab 2011 Prognose;<br />
Quelle: Sachverständigenrat<br />
einmal, und tatsächlich:Die Spielräume aller Deutschen<br />
haben sich durch Wirtschaftswachstum und Sozialstaatsausbau,<br />
Globalisierung, Wiedervereinigung<br />
und europäische Integration ins historisch Beispiellose<br />
vergrößert. Nie war es hierzulande leichter, seines<br />
Glückes Schmied zu sein, seine Selbstverwirklichung<br />
auf die Spitze zu treiben, einen von Krisen und Kriegen<br />
unbeeinflussten, glückenden Roman seines Lebens zu<br />
schreiben. Jeder Schulabbrecher erhält heute eine<br />
zweite und dritte Chance. Jeder Realschüler kann<br />
sich zum Akademiker weiterbilden, jeder Student zwei<br />
Semester in Paris oder Budapest einlegen, jeder Hochschulabsolvent<br />
in Australien oder Indien erste Berufserfahrungen<br />
sammeln. Deutschland ist fest verwurzelt<br />
in Europa. 57 Prozent unserer Ausfuhren gehen in<br />
Länder der EU, unser Handelsvolumen mit den Niederlanden,<br />
Polen und Tschechien ist größer als unser<br />
Warenaustausch mit den USA und China. Wir genießen<br />
sechs Wochen Urlaub im Jahr, können täglich<br />
Flugananas, Sushi oder Bioschwein essen, kaufen im<br />
Internet nur TÜV-geprüfte Sicherheitsprodukte und<br />
radeln sonntags an garantiert sauberen Seen und Flüssen<br />
entlang. Für eine neue Waschmaschine arbeiten<br />
wir im Schnitt nicht länger als drei Tage (<strong>19</strong>60: 27 Tage),<br />
für zehn Eier bloß acht Minuten (<strong>19</strong>60: 51 Minuten).<br />
Nur noch knapp 15 Prozent unseres Haushaltsbudgets<br />
geben wir für Nahrungsmittel aus, <strong>19</strong>80 waren<br />
es 20 Prozent, <strong>19</strong>70 sogar 25 Prozent. Der Rest ist Schöner<br />
Wohnen, Mode, Unterhaltung, Reisen.<br />
Weltniveau erreicht Deutschland dabei vor allem<br />
dank seiner Bürokratie und Provinzialität. Weil hier<br />
alles seinen (vorschriftsmäßigen) Gang geht. Und<br />
weil wir in der Breite Spitze sind, in Maß und Mitte<br />
Meister. Personengeführte Unternehmen aus Freiberg<br />
und Tuttlingen sichern unseren Wohlstand, Universitäten<br />
in Gießen und Greifswald, Fachhochschulen<br />
in Mönchengladbach und Merseburg. Es gibt in<br />
Bayreuth einen Lehrstuhl für die afrikanischen Bantu-<br />
und Gursprachen und in Zwickau einen Diplomstudiengang<br />
Gebärdendolmetschen, in Weil am<br />
Rhein ein Design-Museum, in Meiningen und Detmold<br />
zwei von 140 öffentlichen Theatern und bundesweit<br />
7230 Opernaufführungen pro Saison – mehr<br />
als in den USA, Russland, Frankreich, Italien und<br />
Großbritannien insgesamt. Kurzum, „Deutschland ist<br />
zivilisiert, frei, wohlhabend, gesetzestreu, bescheiden<br />
und umsichtig“, fasst es der britische Historiker Timothy<br />
Garton Ash trefflich zusammen: ein Land, in dem<br />
die „Banalität des Guten“ herrscht.<br />
Die ganze Welt schaut voller Bewunderung auf<br />
Berlin. Der britische Rundfunksender BBC hat vor<br />
knapp einem Jahr 26 000 Menschen in 25 Ländern<br />
gefragt, welche Nation einen besonders positiven<br />
Einfluss auf globale Entwicklungen hat – Deutschland<br />
landete auf Rang eins. Dabei wird die antiimperiale<br />
Außenpolitik der Bundesrepublik genauso geschätzt<br />
wie ihre globalpolitische Vorreiterrolle in Klimafragen<br />
und ihre ökonomische Solidität. Deutschland<br />
hat die schwerste Weltwirtschaftskrise seit <strong>19</strong>45<br />
fast unbeschadet überstanden. Während die Schulden<br />
in den USA ins Unermessliche wachsen, sich in<br />
China eine massive Kreditkrise ankündigt und in Europa<br />
Massenarbeitslosigkeit um sich greift, sprach<br />
der Internationale Währungsfonds vergangene Woche<br />
mit Blick auf Deutschland nur von erfreulichen<br />
„Aufwärtsrisiken“: Alles deute darauf hin, dass man<br />
seine ohnehin günstige Wachstumsprognose für<br />
Deutschland (1,7 Prozent) nach oben korrigieren<br />
müsse. Stabiler Arbeitsmarkt, steigende Binnennachfrage,<br />
mehr Verbrauchervertrauen, eine anziehende<br />
Kreditvergabe und das allmähliche Wiederaufblühen<br />
der Investitionen – die Bravo-Liste ist beeindruckend<br />
lang.<br />
KONJUNKTUR LÄUFT RUND<br />
Kein Wunder, dass die deutsche Politik vor Selbstzufriedenheit<br />
platzt. „Wir können uns das leisten“, sagte<br />
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU)<br />
vergangene Woche im Bundestag mit Blick auf das bis<br />
zu 230 Milliarden Euro schwere Rentenpaket der großen<br />
Koalition – und legte für 2015 stolz den ersten<br />
(fast) ausgeglichenen Bundeshaushalt seit 45 Jahren<br />
vor. Tatsächlich scheinen die jüngsten Eckdaten<br />
Schäubles Füllhorn-Erzählung zu bestätigen.<br />
Deutschlands Ausfuhren lagen im Februar um 4,6<br />
Prozent höher als im Vorjahresmonat. Gleichzeitig<br />
übersprang die Zahl der Erwerbstätigen zum ersten<br />
Mal in der Geschichte die saisonbereinigte Marke von<br />
42 Millionen. Die Arbeitslosenquote hat sich seit zwei<br />
Jahren bei moderaten sieben Prozent eingependelt,<br />
die Jugendarbeitslosigkeit liegt mit knapp sechs Prozent<br />
noch darunter. In Bayern (3,5 Prozent) und Baden-Württemberg<br />
(2,9 Prozent) herrscht unter den<br />
unter 25-Jährigen beinahe Vollbeschäftigung. Als sei<br />
das alles noch nicht genug, wird Deutschland auch<br />
noch von der Industrieländer-Organisation OECD<br />
dafür gelobt, dass in keinem Land der Anteil der<br />
Langzeitarbeitslosen stärker zurückgegangen sei. Alles<br />
läuft rund. Warum sollte sich daran etwas ändern?<br />
Ja, warum eigentlich? Bleibt die Apokalypse aus Sozialstaatskollaps,<br />
Schuldentod und demografischer<br />
Zeitbombe, die uns liberale Politiker und Forscher<br />
seit Jahrzehnten prophezeien, nicht seit Jahrzehnten<br />
schon verlässlich aus? Die Unternehmen überweisen<br />
dem Staat in diesem Jahr mit 120,1 Milliarden Euro<br />
mehr als 30 Prozent mehr Steuern als noch 2009. Aber<br />
kündet das nun von einem gefräßigen Staat – oder<br />
doch eher von der blendenden Gesundheit unserer<br />
Wirtschaft? Die Energiepreise in Deutschland liegen<br />
um 40 Prozent über denen in Frankreich und den<br />
Niederlanden, gewiss. Aber ist das nur ein Wettbewerbsnachteil<br />
– oder nicht doch auch ein Anreiz, der<br />
Konkurrenz in puncto Effizienz ständig einen Schritt<br />
voraus zu sein? Die USA jedenfalls benötigen doppelt<br />
so viel Erdöl pro Wertschöpfungseinheit wie<br />
Deutschland. Der Altenquotient – also der Anteil von<br />
älteren Menschen über 65 im Vergleich zu den 20- bis<br />
64-Jährigen – steigt bis 2030 in Deutschland auf 51,4<br />
Prozent (2011: 33,7 Prozent; <strong>19</strong>60: 18 Prozent), sicher.<br />
Aber droht der demografische Wandel wirklich unse-<br />
ILLUSTRATIONEN: TIM MCDONAGH; DMITRI BROIDO<br />
20 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Deutschlands Schuldenberg<br />
beträgt alles in allem bereits<br />
5000 Milliarden Euro<br />
re Sozialkassen zu sprengen – oder ist die Altenrepublik<br />
nicht eine frohe Botschaft für den Arbeitsmarkt?<br />
In den nächsten zwei Jahrzehnten gehen die geburtenstarken<br />
Jahrgänge in Rente; die Unternehmen<br />
werden Fachkräfte suchen und die Grundschüler von<br />
heute sich gute Jobs aussuchen können. Höhere Löhne,<br />
mehr Produktivität, bessere Produkte, steigende<br />
Rentenbeiträge: Auch im Paradies kann man sich die<br />
Zukunft immer noch paradiesischer vorstellen.<br />
So geht das schon seit 40 Jahren. Die Politik redet<br />
sich das Land schön und bringt desto mehr Dünger<br />
im Garten Eden aus, je weniger es auf naturökonomischem<br />
Wege in ihm wächst und gedeiht. Denn tatsächlich<br />
sind die Quellen des Paradieses seit den Siebzigerjahren<br />
vergiftet – seit Deutschland nicht mehr im<br />
Schwellenland-Tempo wächst und die Finanzmärkte<br />
zum Vehikel einer Politik verkommen sind, die nicht<br />
Wohlstand aus erwirtschaftetem Kapital, sondern<br />
Wohlstandsillusionen aus Schulden generiert. In der<br />
vergangenen Dekade ist die deutsche Wirtschaft um<br />
durchschnittlich ein Prozent „gewachsen“ – auf Kosten<br />
von mehr als 300 Milliarden Euro Neuverschuldung.<br />
Drückt ein solches „Wachstum“ wirklich noch<br />
ökonomische Gesundheit aus? Allein die Verbindlichkeiten<br />
des Bundes betragen mittlerweile rund 1300<br />
Milliarden Euro. Zu ihrer Tilgung überweisen die<br />
Deutschen den Banken jährlich 30 Milliarden – bei<br />
historisch niedrigen Zinsen, wohlgemerkt. Stiege der<br />
Preis des Geldes auch nur um einen mickrigen Prozentpunkt<br />
an, schlüge das im Haushalt mit 13 Milliarden<br />
zu Buche – und Schäuble könnte seinen ausgeglichenen<br />
Etat wieder einpacken. Und das ist noch der<br />
angenehmste Teil der Schulden-Wahrheit. Rechnet<br />
man die Obligationen der Bundesländer, die künftigen<br />
Pensions- und Rentenansprüche der geburtenstarken<br />
Jahrgänge sowie die steigenden Gesundheitsund<br />
Pflegekosten mit ein, belaufen sich Deutschlands<br />
Schulden nach Projektionen des Finanzwissenschaftlers<br />
Bernd Raffelhüschen bereits auf 5000 Milliarden<br />
Euro. Geht noch dazu der Euro zu Bruch, kann Schäuble<br />
nach Berechnungen des ifo Instituts weitere 374<br />
Milliarden Minus einbuchen.<br />
Angesichts solcher Zahlen davon zu sprechen,<br />
Deutschland könne sich das „Rentenpaket“ der großen<br />
Koalition leisten, ist mindestens frivol. Noch viel<br />
frivoler ist, dies im Namen der sozialen Gerechtigkeit<br />
zu tun. Bereits als der damalige Wirtschaftsminister<br />
Otto Graf Lambsdorff (FDP) <strong>19</strong>82 den Vorschlag<br />
machte, ein paar besonders ausladende Zweige des<br />
Sozialstaates zu stutzen, schwante ihm, dass eine solche<br />
Politik „als unsozial diffamiert“ würde. Dabei gäbe<br />
es heute wie damals keine sozialere Politik als die,<br />
die sich ernsthaft einer Lösung der öffentlichen Finanzierungsprobleme<br />
verschreiben würde. Die<br />
auf steigende Zinsen und restriktive Geldpolitik setzt<br />
und mit dem vorsichtigen Umbau eines Sozialstaates<br />
beginnt, der nicht mehr alle Lebensrisiken absichert,<br />
wohl aber den Aufbau von Eigentum prämiert:Eigentum,<br />
das seinen Besitzern nicht nur materiellen<br />
Schutz bietet, sondern ihnen auch als mentale Kraftquelle<br />
nützlich ist. Es ist schließlich kein Naturgesetz,<br />
dass der Sozialstaat unsere Gesundheit (300 Milliarden<br />
Euro) und unser Alter (250 Milliarden Euro) absichert<br />
und Familien mit Kindergeld und Elterngeld<br />
(knapp 50 Milliarden Euro) dafür beschenkt, Familien<br />
zu sein. Der Riesenregenschirm wird schrumpfen<br />
müssen. Sonst werden sich am Ende nicht mal mehr<br />
die Invaliden von ihm beschützt fühlen, die tatsächlich<br />
von seiner Protektion abhängig sind – und für die<br />
er heute gerade mal 60 Milliarden Euro lockermacht.<br />
PROBLEME VERTAGT UND VERSCHOBEN<br />
Wird die Politik die Kraft dazu aufbringen – und das<br />
Paradies zukunftsfest machen? Wenig spricht dafür.<br />
Schließlich hat sie sich exakt das Geschäftsmodell zu<br />
eigen gemacht, für das sie die Finanzmärkte zu Recht<br />
kritisiert: So wie in Frankfurt Kredite nicht mehr zurückgezahlt,<br />
sondern verbrieft, verbreitet und versteckt<br />
werden, werden in der Politik Finanzprobleme<br />
nicht mehr gelöst, sondern verschoben, vertagt, zum<br />
Verschwinden gebracht – bis sie dereinst durch die<br />
normative Kraft des Faktischen auf der Tagesordnung<br />
landen. Die umlagefinanzierte Rente etwa ist faktisch<br />
längst bankrott. Die „stabilen Beiträge“ werden einerseits<br />
durch einen jährlichen Steuerzuschuss (Ökosteuer,<br />
Mehrwertsteuer) in Höhe von rund 80 Milliarden<br />
Euro erzielt, andererseits durch ein sinkendes<br />
Rentenniveau, das einem Durchschnittsrentner nach<br />
45 Beitragsjahren 2030 nur noch 43,7 Prozent seines<br />
Einkommens sichert (<strong>19</strong>84: 58,1 Prozent). Auch die<br />
Schuldenproblematik ist praktisch nicht mehr in den<br />
Griff zu bekommen. Graf Lambsdorff hat in den Achtzigerjahren<br />
vielleicht noch darauf hoffen dürfen, mit<br />
Steuersenkungen ein Wirtschaftswachstum zu ent-<br />
»<br />
Niedrige Zinsen<br />
Der Anteil der Zinsausgaben<br />
am Bundeshaushalt<br />
ist bis<br />
zur Jahrtausendwende<br />
rasant gestiegen.<br />
Der anschließende<br />
Rückgang ist in<br />
erster Linie das Ergebnis<br />
der Niedrigzinspolitik<br />
der EZB.<br />
Zinsausgaben des Bundes in<br />
Prozent des Bundeshaushalts<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0 <strong>19</strong>70 2013<br />
Quelle: BMF<br />
Schulden<br />
Die Geldschöpfung<br />
der Banken aus dem<br />
Nichts hat es dem<br />
Staat erlaubt, immer<br />
mehr Schulden<br />
aufzunehmen. Die<br />
Zinsen dafür müssen<br />
künftige Generationen<br />
bezahlen.<br />
Staatsschulden in Prozent<br />
des BIPs<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0 <strong>19</strong>70 2013<br />
Quelle: BMF<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 21<br />
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Paradies Deutschland<br />
» fachen, dessen Erträge von morgen die Ausfälle<br />
von heute übertreffen würden. Eine solche Hoffnung<br />
gibt es heute nicht mehr. Die Schulden sind schlicht<br />
Staatsausgaben zu hoch. Sie lassen sich nicht mehr durch Wachstum,<br />
schon gar nicht durch höhere Steuern, allen-<br />
Der Ausbau des<br />
Wohlfahrtsstaates in falls noch durch steigende Preise einholen. Eine Inflation<br />
von vier, fünf Prozent aber verzehrt nicht nur<br />
den Siebzigerjahren<br />
hat die Staatsausgaben<br />
in die Höhe Geldvermögen seiner Bürger. Die Möglichkeiten der<br />
die Verbindlichkeiten des Staates, sondern auch die<br />
getrieben. Derzeit Selbstvorsorge schwinden, die Abhängigkeit <strong>vom</strong><br />
fließen 44 Prozent „Kolossalvormund Staat“ (Wilhelm Röpke) wächst<br />
des Bruttoinlandsprodukts<br />
durch die senregenschirm der „sozialen Gerechtigkeit“ wer-<br />
weiter – und die Ausbauarbeiten der Politik am Rie-<br />
Hände des Staates. den sich fortsetzen. Pflegezeiten, Mietpreisbremsen,<br />
Die wohlhabendere Energiezuschüsse – es gibt nichts im (Schein-)Paradies<br />
Deutschland, von dem die Politik annimmt, es<br />
Schweiz kommt mit<br />
einer Staatsquote nicht noch (schein-)paradiesischer gestalten zu<br />
von 33 Prozent aus. können.<br />
Die schädliche Betriebsamkeit der Politik geht dabei<br />
paradoxerweise Hand in Hand mit ihrer schädli-<br />
Staatsausgaben in Prozent<br />
des BIPs<br />
chen Tatenlosigkeit: Ihre Bereitschaft, jeden Anspruch<br />
auf Gestaltung aufzugeben, wächst komple-<br />
60<br />
mentär zu ihrer Neigung, die News-Oberfläche<br />
50<br />
möglichst intensiv zu bearbeiten. Bundeskanzlerin<br />
40<br />
Angela Merkel (CDU) hat es in beiden Disziplinen<br />
zu großer Meisterschaft gebracht. Ihre Führung erschöpft<br />
sich mit situativer, ideell anspruchsloser,<br />
30<br />
bestenfalls pragmatisch-professioneller Politik nach<br />
20 <strong>19</strong>70 2013<br />
Vorschrift und Geschäftsordnung. In der prozessualen<br />
Begleitung des Tagesaktuellen und in der nachsorgenden<br />
Bearbeitung aktuell anfallender Dring-<br />
Quelle:BMF<br />
lichkeiten hat sie ihre stärksten Stunden. Ein gesellschaftliches<br />
Leitbild jedoch, ein ordnendes Ziel, der<br />
Wille zu einer konzeptionellen, nachhaltigen Politik<br />
– das alles fehlt Merkel. Sie ist die Kanzlerin, die dem<br />
Lauf der Dinge hinterheramtiert, um sich stets auf<br />
der Höhe der gegenwärtigen Mehrheitsmeinung zu<br />
befinden.<br />
VERFÜHRERISCHE BERLINER SCHEINWELT<br />
Entsprechend lesen sich Wahlanalysen der CDUnahen<br />
Konrad-Adenauer-Stiftung wie entschiedene<br />
Aufforderungen zur Unentschlossenheit. „Langfristige<br />
Orientierungen spielen insgesamt eine untergeordnete<br />
Rolle“, heißt es da, „kurzfristige... Verstimmungen<br />
und Enttäuschungen hingegen eine große“.<br />
Merkel hat daraus den Schluss gezogen, sich möglichst<br />
unauffällig zu verhalten, im Strom der Gegenwart<br />
mitzuschwimmen – und aus Stimmungen<br />
Stimmen zu extrahieren. Wenn in einer Umfrage des<br />
Marktforschungsinstituts Rheingold vor der Bundestagswahl<br />
81 Prozent der Deutschen angeben, soziale<br />
Gerechtigkeit solle das primäre Ziel der neuen<br />
Regierung sein, führt Merkel eben keine Diskussion<br />
darüber, was die Deutschen sich vielleicht besser<br />
unter „Gerechtigkeit“ vorzustellen hätten, sondern<br />
Mietpreisbremsen und Mütterrenten ein. Anders<br />
gesagt: Merkels Regieren erschöpft sich darin, eine<br />
verführerisch heile Scheinwelt im Großen und Ganzen<br />
auf sich beruhen zu lassen, um sie mit Blick auf<br />
81 Prozent der Deutschen<br />
halten soziale Gerechtigkeit<br />
für ein primäres Regierungsziel<br />
direktdemoskopische Erfolge im Kleinen und Konkreten<br />
ständig aufhübschen zu können.<br />
Begünstigt wird Merkels weichzeichnende Statusquo-Politik<br />
von der Beschleunigung des News-Geschäfts.<br />
Journalisten müssen heute auch in Echtzeit<br />
twittern, bloggen, facebooken – mit der Folge, dass<br />
man sich viele Redakteure heute nicht mehr als nachrichtenfilternde<br />
Analysten des Weltgeschehens vorzustellen<br />
hat. Im Bereich des politischen Journalismus<br />
profitieren davon vor allem die scheinbar Handelnden<br />
– weil eine nominell „tätige“ Bundesregierung<br />
kaum noch an der Lösung komplexer Probleme<br />
gemessen, sondern für die Bearbeitung offensichtlicher<br />
Gegenwartsphänomene prämiert wird.<br />
So diskutieren wir leidenschaftlich über Teilzeitarbeit,<br />
Frauenquoten, die Vereinbarkeit von Familie<br />
und Beruf, den neuen Mann und petrischal erzeugte<br />
Kinder, echauffieren uns über Hoeneß, Wulff und<br />
Schwarzer, schauen abends, in der Halbzeit der<br />
Champions League, leicht betroffen und erleichtert<br />
zugleich, mal eben in Syrien und auf der Krim vorbei.<br />
Allein das Unwichtige <strong>vom</strong> Wichtigen zu trennen fällt<br />
uns immer schwerer. Die Wahrheit ist, dass „die Politik“<br />
und ihre Aufbereitung längst zum Anhängsel einer<br />
popkulturellen Unterhaltungsindustrie geworden<br />
sind, die sich durch multimediale Massenmenschhaltung,<br />
den flächendeckenden Einsatz von Erregungshormonen<br />
und die effiziente Verarbeitung von<br />
Informationsresten auszeichnet. In einer Mediendemokratie<br />
aber, in der die augenblickliche Welt die<br />
Welt selbst ist, spielt es keine Rolle, ob es das Paradies<br />
Deutschland wirklich gibt oder nicht, ob es gefährdet<br />
ist und womöglich warum – solange wir uns den Aufenthalt<br />
im Paradies laufend genug bestätigen. n<br />
ILLUSTRATIONEN: TIM MCDONAGH; DMITRI BROIDO<br />
22 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Paradies Deutschland<br />
Bleibt Deutschland auf Kurs?<br />
STREITGESPRÄCH | Marcel Fratzscher und Hans-Werner Sinn diskutieren über Mindestlohn, Rentenreform,<br />
Gefahren für den Standort und über die Frage, ob die Euro-Rettung Erfolge vorweisen kann.<br />
DER WACHSTUMS-PREDIGER<br />
Fratzscher, 43, ist seit Februar 2013 Präsident des Deutschen Instituts<br />
für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und Professor für Makroökonomie<br />
und Finanzen an der Humboldt-Universität. Von 2001<br />
bis 2012 arbeitete er bei der Europäischen Zentralbank (EZB), zuletzt<br />
als Leiter der Abteilung für wirtschaftspolitische Analysen.<br />
DER REFORM-EIFERER<br />
Sinn, 66, ist seit Februar <strong>19</strong>99 Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung<br />
in München und Professor für Nationalökonomie<br />
und Finanzwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität. Darüber<br />
hinaus ist er Fellow des National Bureau of Economic Research<br />
Cambridge (USA).<br />
Herr Professor Sinn, Herr Professor Fratzscher,<br />
jahrelang galt Deutschlands Standortqualität<br />
als beispielhaft. Jetzt aber<br />
steigen Energiepreise und Löhne kräftig.<br />
Sind wir dabei, unsere Wettbewerbsfähigkeit<br />
aufs Spiel zu setzen?<br />
Fratzscher: Deutschland steht im internationalen<br />
Vergleich gut da. Dank der starken<br />
Exportindustrie haben wir die Finanzkrise<br />
relativ glimpflich überstanden. Die Ausfuhren<br />
werden auch in Zukunft eine wichtige<br />
Stütze unserer Wirtschaft bleiben. Allerdings<br />
haben die großen Dax-Konzerne<br />
im vergangenen Jahr knapp 36 000 neue<br />
Arbeitsplätze im Ausland geschaffen, aber<br />
nur 6000 neue Jobs in Deutschland. Aus<br />
Sicht der Unternehmen mag dies klug sein,<br />
um ihr geografisches Risiko zu diversifizieren<br />
und Marktchancen zu nutzen. Dem<br />
Standort Deutschland aber drohen Nachteile,<br />
wenn die einheimischen Investitionen<br />
lahmen und der Standort im internationalen<br />
Vergleich zurückfällt.<br />
Sinn: Die Beschlüsse zum Mindestlohn<br />
werden die gesamte Lohnskala hochdrücken<br />
und Deutschland wieder in eine reale<br />
Aufwertung treiben, weil die Gewerkschaften<br />
und die Marktkräfte versuchen werden,<br />
die alten Lohnabstände zu verteidigen. Damit<br />
wird die mühsam errungene Wettbe-<br />
werbsfähigkeit wieder gefährdet. Das ist in<br />
gewisser Weise zwar nötig, wenn der Euro<br />
überleben soll. Deutschland ist zu billig im<br />
Vergleich zu den anderen Ländern der<br />
Euro-Zone, aber…<br />
Verstehen wir Sie richtig: Kräftige Lohnerhöhungen<br />
hierzulande sind gut, weil sie<br />
den Euro zusammenhalten?<br />
Sinn: …aber es kommt auf den Grund für<br />
die Lohnerhöhungen an. Setzt der Staat die<br />
Löhne hoch, droht eine Stagflation, also eine<br />
Kombination von Stagnation und Inflation.<br />
Das strahlt dann auch auf die Krisenländer<br />
ab, weil diese weniger Produkte<br />
nach Deutschland liefern können. Steigen<br />
FOTOS: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
24 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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die Löhne dagegen als Reaktion auf eine<br />
Erhöhung der Nachfrage nach Arbeitskräften,<br />
geht das in Ordnung. Deutschland benötigt<br />
eine nachfragegetriebene Inflation,<br />
die von einem Investitionsboom ausgelöst<br />
wird. Ein solcher Boom findet oder fand ja<br />
statt. Die Sparer trauen sich nicht mehr aus<br />
Deutschland heraus und flüchten in deutsches<br />
Betongold, was einen Bauboom ausgelöst<br />
hat. Aber die europäische Politik tut<br />
leider alles, die Ersparnisse wieder aus<br />
Deutschland herauszulocken zu Orten, wo<br />
es eigentlich nicht mehr hinwill.<br />
Fratzscher: Deutschland ist nicht zu billig<br />
im Vergleich zu den anderen Ländern der<br />
Euro-Zone. Deutsche Unternehmen stehen<br />
mehr mit Unternehmen aus den USA,<br />
Südkorea und Japan im Wettbewerb als mit<br />
Unternehmen aus Portugal oder Spanien.<br />
Zudem sollten wir die Frage der Wettbewerbsfähigkeit<br />
nicht allein auf die preisliche<br />
Dimension verengen. Deutschland ist<br />
nicht erfolgreich, weil es billig ist, sondern<br />
weil unsere Unternehmen mit qualitativ<br />
hochwertigen Produkten Nischen auf dem<br />
Weltmarkt besetzen.<br />
Davon haben die Arbeitnehmer hierzulande<br />
kaum etwas gespürt, die Reallöhne<br />
sind jahrelang gesunken.<br />
Fratzscher: Ein Grund dafür ist unsere geteilte<br />
Wirtschaft. Auf der einen Seite gibt es<br />
die sehr produktiven und exportstarken<br />
Branchen wie die Autoindustrie, den Maschinenbau<br />
und die Chemieindustrie, wo<br />
die Unternehmen sehr gute Löhne zahlen.<br />
Auf der anderen Seite stehen viele Dienstleistungssektoren,<br />
die wenig investieren<br />
und deren Produktivität niedrig ist. Dort<br />
stagnieren die Löhne zum Teil schon seit<br />
Jahren. Das ist eine Enttäuschung.<br />
Sinn: Was Sie als Enttäuschung bezeichnen,<br />
war die Voraussetzung für die Beschäftigungsgewinne<br />
der vergangenen<br />
Jahre. Vor zehn Jahren hatten wir in<br />
Deutschland eine zu geringe Lohnspreizung<br />
und waren Weltmeister bei der Arbeitslosigkeit<br />
von gering Qualifizierten.<br />
Das hat sich durch die Agenda 2010 geändert.<br />
Die rot-grüne Regierung unter Gerhard<br />
Schröder hat die Arbeitslosenhilfe für<br />
mehr als zwei Millionen Menschen auf das<br />
niedrigere Sozialhilfeniveau gesenkt. Dadurch<br />
waren die Menschen bereit, auch zu<br />
niedrigeren Löhnen zu arbeiten, und zu<br />
niedrigeren Löhnen wurden mehr Jobs geschaffen.<br />
Anders als befürchtet hat dies die<br />
Einkommensverteilung nicht ungleicher<br />
gemacht, denn wer nicht genug verdient,<br />
kann Zuschüsse aus öffentlichen Kassen<br />
beanspruchen. So haben wir es geschafft,<br />
gering Qualifizierte in den Arbeitsmarkt zu<br />
integrieren und ihr Existenzminimum zu<br />
sichern. Die Bundesregierung betreibt die<br />
Rückabwicklung der Agenda.<br />
Fratzscher: Da widerspreche ich Ihnen entschieden.<br />
Höhere Löhne bedeuten nicht<br />
zwingend mehr Arbeitslosigkeit. Investitionen<br />
und eine dynamische Produktivität führen<br />
sowohl zu höheren Löhnen als auch zu<br />
mehr Beschäftigung, auch für die Arbeitnehmer<br />
mit geringen Einkommen. Genau<br />
darum muss es auch der Wirtschaftspolitik<br />
gehen, und deshalb sollten wir den Mindestlohn<br />
nicht in Bausch und Bogen verdammen.<br />
Derzeit verdienen rund 4,5 Millionen<br />
Menschen weniger als 8,50 Euro in<br />
der Stunde. Studien zufolge könnte der Mindestlohn<br />
rund 200000 Arbeitsplätze vernichten,<br />
auch wenn Vorsicht geboten ist,<br />
denn es kann keine zuverlässige Prognose<br />
geben. Für diese Betroffenen ist das eine<br />
Tragödie. Die Politik hat sich jedoch entschieden,<br />
dass ihr die Einkommenszuwächse<br />
für die restlichen 4,3 Millionen wichtiger<br />
ist. Ich habe für eine vorsichtigere und differenzierte<br />
Ausgestaltung des Mindestlohns<br />
plädiert. Nun sollten wir jedoch die politische<br />
Entscheidung akzeptieren und versuchen,<br />
zumindest die Risiken zu minimieren.<br />
Sinn: Ich weiß nicht, woher Sie die Schätzung<br />
nehmen, dass der Mindestlohn nur<br />
200 000 Jobs kostet. Andere Berechnungen<br />
deuten eher auf Arbeitsplatzverluste von<br />
900 0000 hin. Bundesweit trifft der Mindestlohn<br />
14 bis 15 Prozent der Arbeitnehmer,<br />
in den neuen Bundesländern sogar 20<br />
Prozent. In ein paar Jahren wird man diejenigen<br />
verdammen, die ihn heute einführen.<br />
Wir schaffen uns wieder ein Proletariat,<br />
das Sozialhilfe-Karrieren von Generation<br />
zu Generation vererbt.<br />
Fratzscher: Sie tun so, als hätten wir keine<br />
Möglichkeiten, die Risiken des Mindestlohns<br />
für die Arbeitsplätze zu begrenzen.<br />
Das Gros der Menschen, die heute weniger<br />
als 8,50 Euro verdienen, hat keinen Berufsabschluss<br />
oder eine unzureichende Ausbildung.<br />
Zudem muss die Politik handeln, um<br />
Ausweichreaktionen in Minijobs, Scheinselbstständigkeit<br />
oder Schwarzarbeit zu bekämpfen.<br />
Wir sollten also nicht den Kopf in<br />
den Sand stecken, sondern an der Ausgestaltung<br />
arbeiten, um die Risiken zu reduzieren,<br />
auch wenn der Mindestlohn kurzfristig<br />
zweifelsohne Arbeitsplätze kosten wird.<br />
Sinn: Der davon ausgelöste Lohnschub<br />
wird flächendeckend sein. Im Übrigen geht<br />
es aber nicht nur um diejenigen, die schon<br />
einen Job haben. Derzeit sind rund drei<br />
Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos.<br />
Das sind drei Millionen zu viel. Ich<br />
hätte mir gewünscht, dass man auf dem<br />
Weg der Agenda 2010 noch einen Schritt<br />
weiter gegangen wäre und die Lohnzuschüsse<br />
erhöht hätte. Die Marktlöhne hät-<br />
»Die Rente<br />
mit 63<br />
dreht die<br />
Agenda<br />
2010<br />
zurück«<br />
ten sich dann noch weiter ausspreizen<br />
können, bis die Arbeitslosigkeit verschwunden<br />
ist. Jetzt hat die Regierung die<br />
Weichen in die andere Richtung gestellt.<br />
Wenn deutlich wird, dass der Mindestlohn<br />
Jobs vernichtet, wird man den Arbeitgebern<br />
Lohnzuschüsse gewähren, damit sie<br />
die Kosten des Mindestlohns nicht in vollem<br />
Umfang tragen müssen.<br />
Fratzscher: Sie gehen davon aus, dass die<br />
Märkte funktionieren und die Löhne die<br />
Produktivität der Arbeitskräfte widerspiegeln.<br />
Viele Unternehmen zahlen aber Löhne,<br />
die unter der Produktivität liegen. In<br />
diesen Fällen bewirkt der Mindestlohn,<br />
dass sich die Löhne der Produktivität annähern,<br />
ohne Arbeitsplätze zu gefährden. Zudem<br />
können die Unternehmen durch Investitionen<br />
die Produktivität ihrer Arbeitskräfte<br />
erhöhen. Eine Ausweitung staatlicher<br />
Transfers, wie Sie sie vorschlagen,<br />
kann keine langfristige Lösung sein, denn<br />
die Menschen, die ihr Lohneinkommen<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 25<br />
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Paradies Deutschland<br />
»<br />
mit staatlichen Transfers aufstocken,<br />
können auch davon keine vernünftige Altersvorsorge<br />
aufbauen, und die Altersarmut<br />
wird weiter steigen.<br />
Sinn: Dass die meisten Arbeitskräfte ihren<br />
Job trotz Mindestlohn behalten, heißt doch<br />
nicht, dass dieser unschädlich ist. Entscheidend<br />
sind die Grenzanbieter, also diejenigen,<br />
deren Produktivität unter dem<br />
Mindestlohn liegt. Die werden ihren Job<br />
verlieren und landen dann in der von Ihnen<br />
beklagten Altersarmut. Denen nutzt<br />
der höhere Lohn nichts, weil sie durch ihn<br />
ihren Job verlieren.<br />
Die Bundesregierung plant auch die Rente<br />
mit 63 und die Begrenzung der Zeitarbeit.<br />
Dagegen deregulieren Krisenländer wie<br />
Spanien ihre Arbeitsmärkte, um sich<br />
wieder fit zu machen. Wird Deutschland<br />
zum nächsten Spanien?<br />
Fratzscher: Die Zukunftschancen der<br />
deutschen Wirtschaft sind bei Weitem<br />
nicht so gut, wie viele dies glauben wollen.<br />
Unsere Wirtschaft ist in den vergangenen<br />
15 Jahren nur sehr gering und in den letzten<br />
beiden Jahren nur um 0,4 beziehungsweise<br />
0,7 Prozent gewachsen. In diesem<br />
Jahr dürfte die Rate bei knapp zwei Prozent<br />
liegen – eine Aufholreaktion nach zwei<br />
schwachen Vorjahren. Die gesamtwirtschaftliche<br />
Produktivität ist schon länger<br />
schwach, wir haben eine der niedrigsten<br />
Investitionsquoten weltweit. Daher ist es<br />
problematisch, wenn wir jetzt das Rad der<br />
Reformen vor allem in der Rentenpolitik<br />
zurückdrehen. Ohne die Reformen hätten<br />
wir bis 2017 rund 20 Milliarden Euro Überschüsse<br />
in den öffentlichen Kassen. Das<br />
Geld könnten wir gut für Investitionen in<br />
die Bildung sowie die Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur<br />
gebrauchen.<br />
Sinn: Die staatliche Infrastruktur in<br />
Deutschland verkommt, die Nettoinvestitionen<br />
sind seit Jahren negativ. Nach Artikel<br />
115 Grundgesetz, der die Kreditaufnahme<br />
des Staates auf die Höhe der Investitionen<br />
begrenzt, hätten wir eigentlich gar keine<br />
Kredite mehr aufnehmen dürfen, sondern<br />
Schulden tilgen müssen. Wir vererben<br />
unseren Kindern einen mangelhaften<br />
Kapitalstock, hohe Staatsschulden und ungedeckte<br />
Forderungen aus der Euro-Rettung.<br />
Es zeigt sich, dass wir ein ausgewachsenes<br />
Demokratieproblem haben. Der<br />
Staat verteilt Geschenke an die älteren<br />
Wähler und vernachlässigt die Zukunft,<br />
weil die Kinder noch nicht wählen können.<br />
Es ist ein Konstruktionsfehler unseres Systems,<br />
dass die Eltern bei Wahlen kein<br />
Stimmrecht für ihre Kinder haben.<br />
Fratzscher: Wir sollten unsere Staatsfinanzen<br />
nicht schlechtreden. Verglichen mit<br />
anderen Industrieländern, hat Deutschland<br />
durchaus Konsolidierungserfolge vorzuweisen.<br />
Seit 2012 erwirtschaften wir<br />
Überschüsse im Staatshaushalt. Das Problem<br />
besteht darin, dass wir die Überschüsse<br />
zu wenig für Investitionen in die<br />
Zukunft und für zukünftige Generationen<br />
ausgeben. Wir sollten uns daher fragen,<br />
welche Staatsausgaben sinnvoll sind und<br />
welche nicht. Die Rente mit 63 und die<br />
Mütterrente hilft auch zu selten den Menschen,<br />
die am bedürftigsten sind.<br />
Sinn: Die Mütterrente ist durchaus berechtigt.<br />
Unser Rentensystem benachteiligt diejenigen,<br />
die Kinder großziehen und dafür<br />
auf eine kontinuierliche Erwerbsbiografie<br />
verzichten. Die Schaffenskraft unserer Kinder<br />
wird in unserem Rentensystem sozialisiert.<br />
Die Mütterrente reduziert das Ausmaß<br />
der Umverteilung zulasten der Mütter<br />
ein wenig und geht daher in die richtige<br />
Richtung. Die Rente mit 63 dagegen dreht<br />
die Agenda 2010 zurück und wird Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer über die Beiträge<br />
Milliarden kosten. Das belastet die Wettbewerbsfähigkeit.<br />
Wäre es nicht vernünftig, die staatliche<br />
Infrastruktur zu privatisieren, um den<br />
Staatshaushalt zu entlasten?<br />
Fratzscher: Ich sehe da durchaus Potenzial.<br />
Weltweit werden 75 Prozent der Verkehrsinfrastruktur<br />
privat finanziert. Wir<br />
hängen in Deutschland noch der Vorstellung<br />
an, der Staat müsse die Infrastruktur<br />
finanzieren. Angesichts der Schuldenbremse,<br />
die wir uns verordnet haben, müssen<br />
wir von dieser Vorstellung Abschied<br />
nehmen.<br />
Sinn: Ich halte die öffentlich-privaten Partnerschaften<br />
großenteils für Mogelpackungen.<br />
Dabei handelt es sich meistens um eine<br />
verdeckte Staatsverschuldung, weil der<br />
Staat für die Nutzung der Straße Leasingraten<br />
an das private Unternehmen zahlt, das<br />
die Straßen baut. Der Staat zahlt auf diese<br />
Weise mehr Zinsen, als wenn er sich direkt<br />
verschuldet, aber der optische Vorteil ist,<br />
dass er die Schulden nicht verbuchen<br />
muss.<br />
Private Unternehmen könnten aber auch<br />
mit einer Maut die Finanzierung selbst<br />
übernehmen.<br />
Sinn: Es spricht zwar viel für die Maut, aber<br />
sie allein kann die Kosten für den Bau von<br />
Straßen nicht decken. Um staatliche Zuschüsse<br />
wird man nicht umhinkommen.<br />
Private können Straßen nur bei Monopolpreisen<br />
rentabel betreiben. Die dürften<br />
aber kaum erwünscht sein.<br />
»Seit 2000<br />
haben wir<br />
400 Milliarden<br />
Euro<br />
im Ausland<br />
verloren«<br />
Fratzscher: Sie unterstellen, dass der Staat<br />
die öffentlichen Güter genauso effizient<br />
betreiben und produzieren kann wie private<br />
Anbieter. In der Realität gibt es aber viele<br />
öffentliche Güter, die von Privaten effizienter<br />
betrieben werden als <strong>vom</strong> Staat. Deshalb<br />
machen öffentlich-private Partnerschaft<br />
durchaus Sinn.<br />
Nicht nur beim Staat, auch bei den Unternehmen<br />
entwickeln sich die Investitionen<br />
zurück – und das schon seit den Siebzigerjahren,<br />
wenn wir die Phase der Einheit<br />
einmal weglassen. Wie kommt das?<br />
Fratzscher: Die deutschen Unternehmen<br />
verfügen zwar über riesige Finanzreserven,<br />
aber sie investieren nicht in Deutschland,<br />
weil die europäische Krise für eine große<br />
Verunsicherung sorgt. Aber auch die Rahmenbedingungen<br />
in Deutschland sind<br />
schwächer geworden: Die Verkehrsinfrastruktur<br />
wird schlechter, Fachkräfte sind<br />
rar, und kein Unternehmen weiß heute, ob<br />
in zwei Jahren seine Energiekosten um 10,<br />
20 oder 40 Prozent höher liegen werden.<br />
Das macht es enorm schwierig, zu planen,<br />
und setzt Anreize, eher im Ausland zu investieren.<br />
FOTOS: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
26 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Sinn: 36 Prozent der deutschen Exporte gehen<br />
aber nur in die Euro-Zone. Ich stimme<br />
aber zu, dass Deutschland wieder viel<br />
mehr im Inland investieren sollte. Das<br />
Geld, das ins Ausland wanderte, kommt<br />
häufig nicht mehr zurück.<br />
Wie meinen Sie das?<br />
Sinn: Die Banken in Nordamerika haben<br />
es verstanden, mit getürkten Finanzprodukten<br />
den Sparern der Welt das Geld aus<br />
der Tasche zu ziehen. Die deutschen Landesbanken<br />
haben da irrsinnig viel Geld<br />
verbraten, aber auch die HRE und andere<br />
private Banken. Das war sinnlos investiertes<br />
Kapital, da ist man in irgendwelche Finanzfallen<br />
hineingetappt, und das Geld ist<br />
weg. Auf der anderen Seite haben wir auch<br />
in Europa viel Geld vergeudet. Wegen minimaler<br />
Zinsgewinne haben Banken und<br />
Versicherungen das Geld der deutschen<br />
Sparer in Südeuropa angelegt – und dieses<br />
Geld bekommen wir ebenfalls zu einem<br />
großen Teil nicht zurück – wir haben viele<br />
Hundert Milliarden Euro Abschreibungen<br />
auf unsere Auslandsforderungen vornehmen<br />
müssen. Diese Fehlallokation ist<br />
durch den Euro noch bestärkt worden, weil<br />
er den Anlegern das Gefühl vermittelt hat,<br />
dass in der Währungsunion Banken und<br />
Staaten nicht pleitegehen können.<br />
Fratzscher: Da bin ich 100-prozentig bei<br />
Ihnen. Seit 2000 haben wir 400 Milliarden<br />
Euro im Ausland verloren. Die Verantwortung<br />
dafür liegt jedoch in erster Linie bei<br />
uns Deutschen, und nicht bei anderen<br />
Ländern oder dem Euro. Zudem haben die<br />
europäischen Rettungsprogramme vor allem<br />
deutsches Vermögen geschützt.<br />
Sinn: Das war der Bail-out, den es eigentlich<br />
gar nicht hätte geben dürfen. Die ganze<br />
Rettungsarchitektur mit dem ESM und<br />
der Ankündigung der EZB, notfalls Staatsanleihen<br />
aufzukaufen, führt dazu, dass<br />
sich die Krisenländer noch weiter verschulden.<br />
Und das, ohne dass die Märkte<br />
nervös werden. Warum? Weil die Gemeinschaft<br />
dahintersteht. So lösen wir zwar für<br />
den Augenblick ein Problem, schaffen aber<br />
gleichzeitig ein viel größeres, das dann irgendwann<br />
nicht mehr beherrschbar ist.<br />
Wenn es dann knallt, knallt es richtig.<br />
Fratzscher: Mitte 2012 ist es uns gelungen,<br />
die Abwärtsspirale in den Krisenländern<br />
umzudrehen. Die Finanzmärkte haben sich<br />
beruhigt, die Volkswirtschaften erholen<br />
sich langsam. Die meisten Länder haben ihre<br />
Hilfsprogramme erfolgreich abgeschlossen,<br />
und Kredite werden bereits seit 2012<br />
wieder zurückgezahlt. Nicht alle, aber viele<br />
Rettungsmaßnahmen waren ein Erfolg.<br />
Sinn: Die Kollektivierung der Anlagerisiken<br />
hat die Anleger veranlasst, sich wieder<br />
mit niedrigeren Zinsen zufriedenzugeben,<br />
und bei den niedrigen Zinsen verschulden<br />
sich die Krisenländer wieder<br />
mehr. Das schafft kurzfristige Nachfrageeffekte,<br />
die schnell verpuffen, dreht die<br />
Verschuldungsspirale indes nur noch<br />
schneller.<br />
Fratzscher: Das sehe ich genau umgekehrt.<br />
Wir haben durch die Hilfsprogramme<br />
bisher eine tiefe Depression in Europa<br />
vermeiden können. Die Länder haben so<br />
Zeit bekommen, die richtigen Reformen<br />
umzusetzen.<br />
»Kaum werden<br />
die Zügel<br />
gelockert,<br />
steigen die<br />
Preise schon<br />
wieder«<br />
»Die Euro-<br />
Hilfen haben<br />
eine tiefe<br />
Depression<br />
in Europa<br />
vermieden«<br />
Sinn: Gerade deshalb aber gibt es keine<br />
wirksamen Reformen!<br />
Fratzscher: Das entspricht nicht der Realität.<br />
Es gibt viele erfolgreiche Reformen.<br />
Portugal und Irland kommen aus den Programmen<br />
heraus....<br />
Sinn: Sie kommen heraus, weil die Investoren<br />
von den Steuerzahlern anderer Staaten<br />
geschützt werden, ohne dass man sie gefragt<br />
hätte, nicht weil sie wieder wettbewerbsfähig<br />
sind. Portugal müsste um 30<br />
Prozent billiger werden, um wettbewerbsfähig<br />
zu werden. Das Land hatte zwar angefangen,<br />
die Preise ein bisschen zu senken.<br />
Kaum wurden die Zügel etwas gelockert,<br />
stiegen die Preise wieder.<br />
Wie erklären Sie sich dann, Herr Sinn,<br />
dass die Krisenländer inzwischen alle Leistungsbilanzüberschüsse<br />
haben – und das<br />
ohne Ausnahme.<br />
Sinn: Das liegt am Kollaps der Wirtschaft<br />
und an den Zinsnachlässen durch die Rettungsschirme.<br />
Wenn Sie sich die Zahlen<br />
ansehen, dann haben die Exporte in keinem<br />
Land den Vorkrisentrend überschritten.<br />
Dagegen sind die Importe überall dramatisch<br />
eingebrochen, was eben daran<br />
liegt, dass die Wirtschaftsleistung eingebrochen<br />
ist Das ist leider kein Zeichen für<br />
eine Gesundung, sondern genau das Gegenteil<br />
davon.<br />
Fratzscher: Wir sollten anerkennen, dass<br />
Spanien zum Beispiel Reformen auf dem<br />
Arbeitsmarkt und im Sozialsystem umgesetzt<br />
hat, die noch weitreichender sind als<br />
die der Agenda 2010 in Deutschland. Die<br />
Länder müssen sicherlich noch weitere Reformen<br />
realisieren, aber es braucht Zeit, bis<br />
die Erfolge sichtbar sein werden. Und wir<br />
sollten etwas bescheidener sein: In<br />
Deutschland hat es fünf Jahre gebraucht,<br />
bis sich die Erfolge der Agenda 2010 ausgewirkt<br />
haben. Ich sehe keinen Grund, weshalb<br />
das in Spanien, Frankreich oder Irland<br />
anders sein sollte. »<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 27<br />
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Paradies Deutschland<br />
»<br />
Sinn: Spanien hat eine Double-Dip-Depression<br />
erlebt. Die Industrieproduktion<br />
ist 30 Prozent unter Vorkrisenniveau, und<br />
die Arbeitslosigkeit liegt bei 27 Prozent. Es<br />
hat um fünf Prozent real abgewertet, müsste<br />
aber um 30 Prozent abwerten, um wieder<br />
zu gesunden. Nur in Irland ist wirklich<br />
was passiert. Das Land hat seit 2006 bis<br />
heute um real 15 Prozent abgewertet. Als<br />
die Iren in die Krise kamen, gab es noch<br />
keine Rettungsschirme. Deswegen haben<br />
sie sofort schmerzhafte Reformen beschlossen.<br />
Das haben die Länder in Osteuropa,<br />
die ihre Währungen an den Euro gekoppelt<br />
hatten, aber keine Hilfen erhielten,<br />
genauso getan. Die südeuropäischen Länder<br />
dagegen, die nach der Lehman-Pleite<br />
gemeinsam in die Krise schlitterten, haben<br />
sich einfach das Geld gedruckt, das sie sich<br />
nicht mehr leihen konnten. Deshalb kamen<br />
die Reformen später.<br />
Die Kardinalfrage ist doch, wie kommen<br />
wir von der immens hohen Staatsverschuldung<br />
herunter. Reichen Reformen<br />
aus, oder brauchen wir doch noch einmal<br />
einen radikalen Schuldenschnitt?<br />
Sinn: Diese Länder kommen nur aus ihrer<br />
Krise heraus, indem sie die Löhne und<br />
Preise kräftig senken. Aber das passiert nur,<br />
wenn die Wirtschaft in der Flaute ist. Das<br />
wollen die Politiker natürlich verhindern,<br />
und deshalb werden sie versuchen, durch<br />
immer neue Schulden ein wenig Schein-<br />
Wachstum zu erzeugen. So steigen die<br />
Schulden immer weiter – und das ist keine<br />
Lösung. Was wir brauchen, ist ein großer<br />
Schuldenschnitt für die Staatsschulden,<br />
die Bankschulden und die Target-Schulden<br />
der Euro-Krisenländer. Darüber sollte<br />
auf einer großen Konferenz verhandelt<br />
werden. Nach einem solchen Schuldenschnitt<br />
können wir die Euro-Zone nach Regeln,<br />
die besser funktionieren als die alten,<br />
neu konstruieren. Und einige Mitglieder<br />
werden die Währungsunion dann auch<br />
verlassen müssen.<br />
Fratzscher: Das wäre das beste Rezept, um<br />
ein Desaster zu verursachen! Ein Schuldenschnitt<br />
für Länder wie Italien oder Spanien<br />
ist der falsche Weg: Er würde unweigerlich<br />
zu einer tiefen Depression in Europa und<br />
auch in Deutschland führen. Es würde niemanden<br />
helfen und die wirtschaftliche Erholung<br />
um viele Jahre verzögern. Eine<br />
nachhaltige Entschuldung kann nur über<br />
eine weitere Konsolidierung der Staatsausgaben<br />
und über Wachstum gelingen.<br />
Sinn: Die Politik hat leider kein Instrument,<br />
mit dem sie Wachstum erzeugen<br />
könnte.<br />
»Wir brauchen<br />
einen<br />
Schuldenschnitt<br />
für die Euro-<br />
Krisenländer«<br />
Fratzscher: Deutschland hat dies nach<br />
2000 gezeigt. Der Staat hat den Arbeitsmarkt<br />
reformiert, mehr Wettbewerb geschaffen<br />
und seinen Haushalt konsolidiert.<br />
Das alles hat mit dazu geführt, dass wir<br />
heute so stabil dastehen. Wenn Sie also sagen,<br />
die Wirtschaftspolitik ist irrelevant,<br />
dann stimme ich nicht mit Ihnen überein.<br />
Sinn: Die Lohnsenkung selbst kommt aber<br />
nur durch eine vorangehende Flaute zustande.<br />
Diese Länder müssen erst durch<br />
das Tal der Tränen. Das ist unvermeidlich.<br />
Fratzscher: Es gibt bessere Alternativen als<br />
die Strategie des „Gesundschrumpfens“.<br />
Ohne Sparen und ohne Reformen geht es<br />
nicht, aber wir müssen auch über neue<br />
Wege nachdenken, um das Wachstum zu<br />
stärken. Es gibt Projektfinanzierungen von<br />
der Europäischen Investitionsbank, auch<br />
bilaterale Kredite können helfen, und es<br />
gibt eine ganze Reihe von Beispielen, wie<br />
man Anreize an Unternehmen geben<br />
kann, damit sie investieren und Beschäftigung<br />
schaffen. Das ist der einzige Weg, aus<br />
der europäischen Krise herauszukommen.<br />
Wir brauchen Wachstum.<br />
Sie beide sagen, Löhne und Preise<br />
müssen sinken, und tatsächlich geschieht<br />
das ja auch, wenn wir uns die Inflationsraten<br />
in den Krisenländern und in der<br />
Euro-Zone ansehen. Nun grassiert bereits<br />
die Warnung, Europa könne in eine<br />
gefährliche Deflation abrutschen. Ist das<br />
wirklich eine Gefahr – oder sehen wir hier<br />
nur eine notwendige Preiskorrektur?<br />
Sinn: Eine allgemeine Deflation wäre schädlich.<br />
Die relative Preisänderung über Deflation<br />
in einzelnen Euro-Ländern ist dagegen<br />
Teil der nötigen Korrektur der Ungleichgewichte.<br />
Wobei klar sein sollte, dass dies eine<br />
Belastung für die Gesellschaften ist.<br />
Fratzscher: Ich sehe ein großes Risiko in einer<br />
Verstetigung der Deflationserwartung.<br />
Unternehmen investieren weniger, wenn<br />
sie erwarten, dass die Preise über die<br />
nächsten Jahre fallen werden. Denn dann<br />
sinkt die Rendite von Investitionen, der Realzins<br />
und die Schuldenlast wachsen. Das<br />
heißt dann auch weniger Beschäftigung,<br />
weniger Einkommen, weniger Wachstum,<br />
und damit entsteht eine Spirale, in der sich<br />
der Deflationsdruck verfestigt.<br />
Sinn: Aber diese Spirale kann es doch gar<br />
nicht geben, solange es sich nur um eine<br />
Korrektur der relativen Preise in einem<br />
Teilgebiet der Währungsunion handelt. Irgendwann<br />
ist die Wettbewerbsfähigkeit<br />
wieder erreicht, und wenn die Preise dann<br />
noch weiter fallen würden, würde ja die<br />
Nachfrage überborden.<br />
Fratzscher: Nein, die Nachfrage wird nicht<br />
überborden – im Gegenteil, eine solche<br />
Spirale führt zu einem weiteren Fall der<br />
Nachfrage, da noch mehr Menschen ihre<br />
Beschäftigung verlieren und die Einkommen<br />
weiter sinken. Eine solche Deflationsdynamik<br />
hat nichts Positives; sie zerstört<br />
permanent einen Teil der Leistungsfähigkeit<br />
einer Volkswirtschaft.<br />
Sinn: Klar, aber es kann keine Spirale ins<br />
Bodenlose geben nach Art einer säkularen<br />
Stagnation wie in Japan. In einem Teil der<br />
Währungsunion kann das nicht sein, das<br />
könnte nur für eine ganze Währungsunion<br />
insgesamt gelten – und davon sind wir weit<br />
entfernt.<br />
Fratzscher: Der Schaden einer Deflation<br />
gilt für jede Volkswirtschaft, egal, ob innerhalb<br />
oder außerhalb einer Währungsunion.<br />
Und das Risiko ist akut: Die Deflationserwartungen<br />
an den Finanzmärkten ist<br />
deutlich unter dem Ziel von zwei Prozent,<br />
selbst in Ländern wie Frankreich und Italien<br />
fällt ein Drittel der Güterpreise. Eine<br />
Verstetigung dieser Erwartungen hätte<br />
dann negative Auswirkungen auf das<br />
Wachstum in der Euro-Zone insgesamt. n<br />
konrad.handschuch@wiwo.de, malte fischer<br />
FOTO: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
28 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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UNTERNEHMEN<br />
Meyer Werft<br />
In der jüngsten Vergangenheit<br />
kam Meyer bei lukrativen Aufträgen<br />
mehrmals nicht zum<br />
Zug, weil er beim Preis nicht<br />
mithalten konnte oder wollte:<br />
Die beiden Neubauten für TUI<br />
Cruises entstehen auf der<br />
STX Europe Werft in Turku,<br />
die zwei Aida-Dampfer baut<br />
Mitsubishi Heavy Industries<br />
in Yokohama.<br />
Schleichende Auszehrung<br />
BRANCHEN | Hohe Kosten, neue Wettbewerber, strategische Versäumnisse, staatliche Eingriffe<br />
und Bequemlichkeit gefährden den Wohlstand einzelner Unternehmen und ganzer Regionen.<br />
FOTO: DDP IMAGES/JÖRG SARBACH<br />
Die Stadtteile tragen so lustige Namen<br />
wie Untenende und Obenende,<br />
das Zentrum wird von<br />
schmalen Kanälen durchzogen. Mit<br />
Klappbrücken, Backsteinhäusern und<br />
der Windmühle erinnert das im äußersten<br />
Norden des Emslandes gelegene Papenburg<br />
an Städte in Holland. Vor dem<br />
Rathaus der 36 000-Einwohner-Stadt<br />
liegt der historische Frachtsegler „Friederike<br />
von Papenburg“. Entstanden ist der<br />
originalgetreue Nachbau in den Achtzigerjahren<br />
in der Lehrwerkstatt der Meyer<br />
Werft. Das 1795 gegründete Unternehmen<br />
ist in sechster Generation im Familienbesitz<br />
und wird von Bernard Meyer geleitet.<br />
Der unauffällige 65-Jährige genießt<br />
höchsten Respekt in der Stadt: „Das’n<br />
ganz feiner Mensch und so bescheiden“,<br />
lobt ein Taxi-Fahrer den Werftchef.<br />
Für Papenburg ist Meyer die Verbindung<br />
zur großen weiten Welt, für den<br />
ansonsten kaum noch existenten deutschen<br />
Schiffbau so etwas wie das letzte<br />
Paradies: Meyer zählt zu den Marktführern<br />
bei Kreuzfahrtschiffen. Allein sieben<br />
Musikdampfer für jeweils 2200 »<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 29<br />
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Paradies Deutschland<br />
»<br />
Passagiere wurden in den vergangenen<br />
Jahren für den deutschen Marktführer Aida<br />
gebaut, je zehn für die US-Reedereien Celebrity<br />
und Norwegian Cruise. Sieben weitere<br />
Traumschiffe für bis zu 4500 Kreuzfahrer<br />
und im Wert von jeweils 600 bis 700 Millionen<br />
Euro sind im Bau oder stehen in den<br />
Auftragsbüchern.<br />
GOOD-ENOUGH-PRODUKTE<br />
Doch das Paradies ist in Gefahr – nicht nur<br />
in Papenburg. Vom Norden bis zum Süden<br />
der Republik gibt es Unternehmen, Branchen<br />
oder Regionen, in denen es heute<br />
noch brummt, die aber schon morgen Probleme<br />
bekommen können: durch zu hohe<br />
Energie- und Personalkosten, Technikfeindlichkeit<br />
und Provinzialität, Fachkräftemangel<br />
oder Internet, politische und unternehmerische<br />
Fehlentscheidungen –<br />
oder weil Produkte und Dienstleistungen<br />
zur standardisierten Massenware werden.<br />
„Die Commodity-Falle droht immer<br />
dann, wenn Technologien und die darauf<br />
»Neue Marktteilnehmer erodieren die<br />
Wettbewerbsfähigkeit«<br />
aufbauenden Produkte einen hohen Reifegrad<br />
erlangt haben und keine wesentlichen<br />
technischen Fortschritte mehr realisiert<br />
werden“, warnt Michael Zollenkop, Principal<br />
der Strategieberatung Roland Berger<br />
und Autor der Studie „Commodity Trap“,<br />
die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt.<br />
„Schrumpft der Know-how-Vorsprung bestimmter<br />
Produkte, werden die Einstiegshürden<br />
für neue Anbieter niedriger, und<br />
der Wettbewerb nimmt zu. So geraten die<br />
Margen der etablierten Anbieter immer<br />
stärker unter Druck.“ 76 Prozent der befragten<br />
Unternehmen spüren solche Auswirkungen<br />
bereits.<br />
Das ist auch das Problem der Papenburger:<br />
Der technische Vorsprung<br />
schrumpft, andere Schiffbauer haben dazugelernt.<br />
Hinzu kommt: Weil es zu viele<br />
Frachtschiffe gibt, werden weniger Neubauten<br />
bestellt, die Werften suchen nach<br />
neuen Erlösquellen. Der Bau von Kreuzfahrtschiffen<br />
mit seiner hohen Wertschöpfung<br />
ist eine der wenigen profitablen Nischen<br />
– Meyer bekommt neue Konkurrenz.<br />
Weil auch der Wettbewerb zwischen den<br />
Kreuzfahrtreedereien härter wird, sind<br />
Roland-Berger-Berater Michael Zollenkop<br />
mals nicht zum Zug, weil er beim Preis<br />
nicht mithalten konnte oder wollte. „Die<br />
Angebote lagen kilometerweit auseinander“,<br />
machten Gerüchte an der Küste die<br />
Runde. Die Rede war von Preisunterschieden<br />
von bis zu 25 Prozent.<br />
Die beiden Neubauten für TUI Cruises<br />
entstehen darum auf der STX Europe Werft<br />
im finnischen Turku – die Helsinki vor gut<br />
einem Jahr mit millionenschweren Finanzhilfen<br />
vor der Pleite bewahrte. Die zwei Aida-Dampfer<br />
der nächsten Generation baut<br />
Mitsubishi Heavy Industries in Yokohama<br />
bei Tokio. Die Reederei nimmt dafür in<br />
Kauf, ein halbes Jahr länger auf das erste<br />
Schiff zu warten und einige Reisen absagen<br />
zu müssen. Die Japaner machen bei dem<br />
Auftrag fast 430 Millionen Euro Miese.<br />
Berger-Berater Zollenkop schätzt, dass<br />
mittlerweile fast zwei Drittel aller deutschen<br />
Unternehmen von der Commodity-<br />
Falle bedroht sind. „Betroffen sind fast alle<br />
Branchen, Automobilzulieferer ebenso wie<br />
Logistikunternehmen, Finanzdienstleister<br />
wie IT-Firmen oder Pharmakonzerne.“<br />
Neue Marktteilnehmer, vor allem aus<br />
Asien, gefährden die Marktposition etab-<br />
die nicht mehr bereit, den technologischen<br />
Vorsprung der Papenburger – ob beim<br />
lasergesteuerten Zuschnitt der Stahlplatten,<br />
der Konstruktion geschlossener Kläranlagen<br />
oder kompletter Theater inklusive<br />
versenkbarer Orchestergräben – mit entsprechend<br />
höheren Preisen für die neuen<br />
Schiffe zu honorieren.<br />
Die Werft ist der größte Arbeitgeber der<br />
Region, rund 3100 Mitarbeiter sind dort direkt<br />
beschäftigt, mehrere Tausend weitere<br />
bei Zulieferern. Vor knapp einem Jahr geriet<br />
das Unternehmen wegen Lohndumpings<br />
bei einem Werkvertragspartner in die<br />
Schlagzeilen. Seitdem lässt Meyer seine<br />
Zulieferer und deren Arbeitsbedingungen<br />
<strong>vom</strong> TÜV Rheinland überprüfen, eine Sozialcharta<br />
soll solche Fälle verhindern.<br />
Was nachträglich betrachtet wie ein Menetekel<br />
für den Anfang <strong>vom</strong> Ende des Paradieses<br />
wirkt, kostet die Werft viel Geld und<br />
geht letztlich auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit:<br />
In der jüngsten Vergangenheit<br />
kam Meyer bei lukrativen Aufträgen mehrlierter<br />
Unternehmen und erodieren ihre<br />
Wettbewerbsfähigkeit. „Auf längere Sicht<br />
kann diese Entwicklung die Existenz vieler<br />
Firmen bedrohen“, sagt Zollenkop. „Retten<br />
können sich die Betroffenen entweder, indem<br />
sie ihre Wettbewerbsposition verbessern<br />
oder indem die betroffenen Unternehmen<br />
aus der Commodity-Falle ausbrechen,<br />
etwa durch Produktdifferenzierung,<br />
Ausweichen auf andere Märkte oder ein<br />
anderes Geschäftsmodell.“<br />
HOHE ENERGIEPREISE<br />
Auch Deutschlands wichtigste Exporteure,<br />
die Maschinen- und Anlagenbauer, drohen<br />
in die Commodity-Falle zu tappen: Ingenieurkunst<br />
made in Germany galt jahrzehntelang<br />
weltweit als Goldstandard für<br />
innovative Technik. 2013 exportierten die<br />
rund 6200 Unternehmen der Branche Güter<br />
im Wert von rund 206 Milliarden Euro.<br />
Aber einstige Schwellenländer wie Indien<br />
und China bieten inzwischen selbst abgespeckte,<br />
aber ausreichende Technik an –<br />
weltweit und billiger. Auch in Europa finden<br />
ihre Maschinen Abnehmer.<br />
„Rund 80 Prozent der deutschen Unternehmer<br />
haben die Gefahr dieser Goodenough-Technik<br />
noch nicht erkannt“,<br />
warnt Stefan Herr, Leiter Industry & Technology<br />
bei der Beratung Simon Kucher. Die<br />
Bereitschaft der weltweiten Käufer, für<br />
deutsche Spitzentechnik Aufgeld zu zahlen,<br />
nimmt rapide ab. Deutsche Ingenieure<br />
mit ihrem Hang zum Over-Engineering –<br />
alles, was technisch machbar ist, in ein<br />
Produkt hinzustopfen – laufen Gefahr, an<br />
den veränderten Bedürfnissen ihrer Zielgruppe<br />
vorbeizuproduzieren.<br />
„Über kurz oder lang werden Goodenough-Produkte<br />
in vielen Bereichen die<br />
etablierte, aber komplexe Technik deutscher<br />
Maschinenbauer verdrängen“, fürchtet<br />
Ralf Russ, Geschäftsführer Industrial<br />
Software bei der Beratung Accenture. Weltweit<br />
steige die Nachfrage nach einfacheren,<br />
robusten und billigeren Produkten,<br />
und „es wird für die Deutschen keine geschützten<br />
Highend-Bereiche mehr geben“,<br />
warnt Simon-Kucher-Experte Herr. „Die<br />
Branche sollte sich darauf einstellen und<br />
einfachere und günstigere Produkte für die<br />
Bedürfnisse der Schwellenländer entwickeln“,<br />
sagt Berger-Berater Zollenkop.<br />
Beim Softwarekonzern SAP könnten die<br />
hohen Kosten am Standort Deutschland<br />
sogar zu einer Verlagerung in die USA führen.<br />
Noch genießen die knapp 13 000 Beschäftigten<br />
am Stammsitz Walldorf jede<br />
Menge Privilegien: überdurchschnittliche<br />
30 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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BRANCHEN<br />
Maschinenbau<br />
Deutsche Ingenieure mit ihrem Hang<br />
zum Over-Engineering laufen Gefahr,<br />
an den veränderten Bedürfnissen ihrer<br />
Zielgruppe vorbeizuproduzieren: Ehemalige<br />
Schwellenländer wie Indien und<br />
China bieten inzwischen abgespeckte<br />
Technik an – weltweit und billiger.<br />
FOTO: DDP/JENS-ULRICH KOCH<br />
Bezahlung, jährliche Beteiligung am Unternehmensgewinn,<br />
selbst das Kantinenessen<br />
ist für alle Beschäftigten kostenlos.<br />
Doch das Paradies ist bedroht: SAP-Mitgründer<br />
Hasso Plattner ist der Laden zu<br />
schwerfällig geworden: „Hauptquartiere<br />
von Unternehmen werden gerne bürokratisch<br />
– genau so ist es uns ergangen.“ Seit<br />
geraumer Zeit hält sich daher das Gerücht,<br />
Plattner könnte eine Verlagerung des Unternehmenssitzes<br />
in die USA anstreben.<br />
Mit weitreichenden Folgen für Walldorf –<br />
angefangen beim Bedeutungsverlust der<br />
Zentrale bis zum möglichen Wegfall zahlreicher<br />
Verwaltungsfunktionen.<br />
Zwar haben Plattner und die beiden Co-<br />
Vorstandschefs Bill McDermott und Jim<br />
Hagemann Snabe solche Pläne bisher dementiert.<br />
Wirklich beruhigt hat das aber<br />
niemanden, zumal der Amerikaner<br />
McDermott ab Ende Mai allein auf dem<br />
Chefsessel des weltgrößten Herstellers von<br />
Unternehmenssoftware sitzt. Und der hat<br />
gute Gründe, das Umzugsprojekt wieder<br />
aus der Schublade zu holen: Die USA sind<br />
der wichtigste Softwaremarkt der Welt.<br />
Andere Unternehmen geraten eher wegen<br />
Kostenerhöhungen unter Druck, auf<br />
die sie keinen Einfluss haben – zum Beispiel<br />
der Chemieriese BASF in Ludwigshafen.<br />
Noch läuft im Stammwerk, mit einer<br />
Größe von zehn Quadratkilometern das<br />
größte Chemie-Areal der Welt, alles rund.<br />
Neue Anlagen sind im Bau, etwa zur Herstellung<br />
von Kunststoff-Vorprodukten.<br />
Rund zehn Milliarden Euro investiert BASF<br />
zwischen 2010 und 2015 am Standort,<br />
33 000 Mitarbeiter arbeiten hier, knapp 30<br />
Prozent der Gesamtzahl.<br />
Das könnte sich ändern. „In den nächsten<br />
fünf Jahren wird der Anteil Deutschlands<br />
an den weltweiten Investitionen von<br />
einem Drittel auf nur noch ein Viertel sinken“,<br />
kündigt BASF-Vorstandschef Kurt<br />
Bock an. Der „schleichende Auszehrungsprozess“<br />
werde mittel- und langfristig nicht<br />
ohne Auswirkungen auf die Zahl der Arbeitsplätze<br />
in Deutschland bleiben.<br />
Grund ist die teure Energie. Je nach Produkt<br />
macht sie bis zu 60 Prozent der gesamten<br />
Herstellkosten aus. Bock will darum<br />
vor allem in den USA investieren.<br />
Dank der billigen Schiefergasförderung ist<br />
Energie um etwa die Hälfte billiger. In<br />
Deutschland dagegen ist das sogenannte<br />
Fracking politisch umstritten. BASFs sogenannter<br />
Cracker zur Herstellung chemischer<br />
Grundstoffe im texanischen Port Arthur<br />
wurde bereits auf Gasbetrieb umgerüstet,<br />
am Golf von Mexiko will BASF eine<br />
Ammoniakanlage bauen – ebenfalls wegen<br />
der Energiepreise. Ludwigshafen dürfte<br />
das Nachsehen haben.<br />
TEURE ABRÜSTUNG<br />
Politische Entscheidungen bestimmen<br />
häufig über die Existenz ganzer Standorte,<br />
im oberbayrischen Manching zum Beispiel.<br />
Sanfte Hügel, stille Seen: Die Idylle<br />
stört bisher nur der Lärm der Eurofighter,<br />
die Europas größter Luftfahrtkonzern Airbus<br />
hier baut und Probe fliegt.<br />
Von 2017 an dürfte es ruhiger werden.<br />
Weil die europäischen Verteidigungsminister<br />
sparen wollen, ordern sie weniger<br />
Kampfflieger, und bei den verbleibenden<br />
Produkten drücken sie auf den Preis. Die<br />
Abrüstung hat Nebenwirkungen: Weil<br />
dann die Produktion des Kampffliegers<br />
ausläuft, verliert die 13 000-Einwohner-Gemeinde<br />
rund 1000 der gut 4000 High-Tech-<br />
Jobs. Ein ähnliches Schicksal droht anderen<br />
Gemeinden im Süden Bayerns und Baden-Württembergs.<br />
Ob Unterschleiß-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 31<br />
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Paradies Deutschland<br />
»<br />
heim, Ulm, Donauwörth, Immenstaad<br />
oder Friedrichshafen: Alle leben zu einem<br />
Großteil von der Militärluftfahrt und vor allem<br />
von Airbus.<br />
In vielen Fabriken enden die paradiesischen<br />
Zustände: Die Bundeswehr zahlte<br />
nach dem Prinzip „Cost plus“. Die Anbieter<br />
durften berechnen, was sie der Bau von<br />
Panzern oder Fliegern kostet, obendrauf<br />
kam ein Gewinnzuschlag. Wurde es teurer,<br />
schoss der Bund nach. Das sorgte für üppige<br />
Strukturen. „Würden wir den Eurofighter<br />
rein wirtschaftlich bauen, wäre er<br />
wohl mindestens ein Viertel billiger“, gibt<br />
ein hochrangiger Airbus-Manager zu.<br />
Künftig wollen die Wehrbeschaffer das<br />
nicht mehr akzeptieren. Die Folge: Airbus<br />
baut Jobs ab und verlagert andere ins französische<br />
Toulouse. Der Druck dürfte auch<br />
auf Zulieferer der zivilen Produktion abstrahlen.<br />
Die arbeiten laut einer Studie der<br />
Beratung Arthur D. Little zwar profitabler,<br />
weil sie dank ihrer oft hoch spezialisierten<br />
Produkte Airbus gegen den Rivalen Boeing<br />
von 870 Millionen Euro. Doch die Zeichen<br />
für den Wandel mehren sich: Allein im Februar<br />
wurden YouTube-Filmchen in<br />
Deutschland 414 Millionen Mal aufgerufen.<br />
Alarmierend für die Privatsender: Junge<br />
Zuschauer brechen mit den Sehgewohnheiten<br />
ihrer Eltern. Laut ARD/ZDF-<br />
Online-Studie schauen fast 90 Prozent der<br />
14- bis <strong>19</strong>-Jährigen mindestens einmal wöchentlich<br />
Videos im Internet. Zugleich<br />
sank die tägliche TV-Zeit der 14- bis 29-Jährigen<br />
um 13 auf 128 Minuten.<br />
Die Werbung folgt den Nutzern: Martin<br />
Sorrell, Chef des Werberiesen WPP, kündigte<br />
an: „<strong>2014</strong> zielen wir bei Google auf<br />
<strong>Ausgabe</strong>n in Höhe von annähernd drei<br />
Milliarden Dollar.“ 2013 waren es erst 2,5<br />
Milliarden. Tendenz: steigend.<br />
Das Internet verändert nicht nur die<br />
Strukturen der Unterhaltungsindustrie.<br />
Noch mehr unter Druck steht der stationäre<br />
Handel. Tausende Passanten schieben<br />
sich Tag für Tag durch die Kaufinger Straße<br />
in München, Deutschlands teuerste Ein-<br />
»Denken und Handeln im Konzern<br />
müssen neu justiert werden«<br />
ausspielen konnten. Doch das ist vorbei:<br />
„Zulieferer, die ihre Preise nicht senken,<br />
sind draußen“, sagt Boeing-Chef Jim<br />
McNerney. Airbus-Lenker Tom Enders<br />
sieht das nicht anders.<br />
Die Bedrohung ist klein, flach und<br />
schwarz, und sie passt genau in Peter Larsens<br />
rechte Hand. Der Amazon-Manager<br />
stellte Anfang April die Streaming-Box Fire<br />
TV in New York vor. Das Teil, kaum dicker<br />
als eine CD-Hülle, beamt Filme und Serien<br />
aus dem Online-Angebot von Amazon auf<br />
den TV-Schirm. Auf Fire dabei sind zum<br />
Verkaufsstart in den USA auch Micky-<br />
Maus-Konzern Disney, die Online-Videothek<br />
Netflix und der Clip-Kanal YouTube.<br />
Nicht nur Amazon macht etablierten<br />
Sendern den Platz auf der Glotze streitig.<br />
Apple bietet eine vergleichbare TV-Box an,<br />
Google verkauft seinen High-Tech-Stecker<br />
Chromecast jetzt ebenfalls in Deutschland,<br />
Yahoo plant eigene Online-Serien.<br />
Für den deutschen Privat-TV-Marktführer<br />
RTL wird es enger. Noch liefert der Sender<br />
fette Gewinne an Mehrheitseigner Bertelsmann:<br />
5,9 Milliarden Euro setzte RTL<br />
2013 um und erzielte einen Rekordgewinn<br />
VW-Chef Martin Winterkorn<br />
kaufsmeile: Bis zu 360 Euro pro Quadratmeter<br />
und Monat müssen Einzelhändler<br />
hier berappen. Hamburgs Spitalerstraße<br />
und Frankfurts Zeil folgen mit Spitzenmieten<br />
von jeweils 295 Euro pro Quadratmeter.<br />
Paradiesische Zeiten für die Vermieter<br />
von Handelsimmobilien? Internationale<br />
Investoren scheinen davon überzeugt. Allein<br />
in den ersten drei Monaten <strong>2014</strong> wurden<br />
dem Immobilienberatungsunternehmen<br />
CBRE zufolge mehr als 2,5 Milliarden<br />
Euro in deutsche Einzelhandelsimmobilien<br />
investiert – 33 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.<br />
Doch Experten sehen die<br />
Sause skeptisch: Der Online-Boom könnte<br />
allzu optimistische Mietkalkulationen über<br />
den Haufen werfen. Binnen weniger Jahre<br />
stiegen die E-Commerce-Umsätze in<br />
Deutschland auf 39,1 Milliarden Euro, allein<br />
2013 um 42 Prozent. Für die Gesamtbranche<br />
meldete der Handelsverband gerade<br />
mal ein Plus von 1,1 Prozent. Das Minimalwachstum<br />
wird demnach fast nur<br />
aus den Online-Zuwächsen gespeist.<br />
Doch wenn immer mehr Umsatz ins<br />
Netz abfließt, stellt sich für viele stationäre<br />
Geschäfte die Existenzfrage. „Der Online-<br />
Boom kann auf Dauer nicht ohne Auswirkungen<br />
auf die Ladenmieten bleiben“, sagt<br />
CBRE-Experte Karsten Burbach. In Gefahr<br />
sind weniger die prominenten Shoppingmeilen<br />
der großen Citys. Joachim Stumpf<br />
von der auf Handelsthemen spezialisierten<br />
Münchner Beratung BBE sieht vor allem jene<br />
Städte unter Druck, die über keine „Solitärlage“<br />
verfügten: „Wer beim Wochenendeinkauf<br />
etwas erleben will, fährt in die<br />
nächstgelegene Großstadt. Und wer genau<br />
weiß, was er braucht, shoppt online.“<br />
NICHT SCHNELL GENUG<br />
Kommen dann ein Bevölkerungsrückgang,<br />
ein Mangel an touristischen Highlights und<br />
eine ohnehin schwache Innenstadt hinzu,<br />
wird es eng für die örtlichen Einzelhändler<br />
– und für ihre Vermieter.<br />
Auch Größe und gute Ergebnisse sind<br />
keine Garanten für den Erfolg von morgen.<br />
Das spürt gerade VW. Fast 1300 Gäste waren<br />
vor wenigen Wochen beim VW Group<br />
Event in Genf dabei, als die Wolfsburger<br />
neue Modelle zeigten. Nur Aufsichtsratschef<br />
Ferdinand Piëch mochte nicht jubeln:<br />
„Wir sind nicht wirklich gut unterwegs –<br />
nur besser als andere“, mäkelte er in kleiner<br />
Runde. Piëch geht es auf dem Weg in die<br />
Zukunft nicht schnell genug.<br />
Die Absatzzahlen stiegen zwar im ersten<br />
Quartal um knapp sechs Prozent auf rund<br />
2,4 Millionen Fahrzeuge. Aber der Marsch<br />
an die Weltspitze kostet mehr Kraft als gedacht.<br />
In Asien laufen die Geschäfte ordentlich,<br />
in Westeuropa aber nur aufgrund massiver<br />
Verkaufsfördermaßnahmen. In Südamerika<br />
sank der Absatz um fast 25 Prozent,<br />
in den USA – trotz vieler Incentives – um fast<br />
sieben Prozent. In Russland sorgt die Abwertung<br />
des Rubel um fast 20 Prozent für<br />
tiefrote Zahlen. Zudem schwebt über dem<br />
VW-Werk in Kaluga wegen der Wirtschaftssanktionen<br />
der EU gegen Russland das Damoklesschwert<br />
der Verstaatlichung.<br />
Und dann nervt den Autoriesen auch<br />
noch Newcomer Tesla, der ein alltagstaugliches<br />
Elektroauto auf die Räder stellte und<br />
nun mit dem Bau einer Giga-Fabrik für<br />
preiswerte Lithium-Ionen-Batterien das<br />
Erfolgsmodell des VW-Konzerns bedroht,<br />
das noch stark auf dem Verkauf von Pkws<br />
mit Verbrennungsmotoren basiert.<br />
„Manchmal hilft nur eine radikale Änderung<br />
des Geschäftsmodells, um aus der<br />
Defensive herauszukommen“, sagt Berger-<br />
Berater Zollenkop. VW muss sich sputen,<br />
um den technologischen Wandel zu meistern<br />
und auf gesellschaftliche Veränderungen<br />
zu reagieren. Vorstandschef Martin<br />
32 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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REGION<br />
München<br />
Die satte Bräsigkeit der heimlichen<br />
Hauptstädter im Süden verhindert<br />
Infrastrukturerweiterungen: Der Baueiner<br />
zusätzlichen S-Bahn-Linie wird<br />
seit Jahren diskutiert und droht an der<br />
Finanzierung zu scheitern, die Flughafenerweiterung<br />
wurde abgelehnt.<br />
kämpft. In vielen Stadtteilen fehlen Kindergarten-<br />
und Krippenplätze, Gymnasien<br />
und Realschulen platzen aus allen Nähten,<br />
der öffentliche Nahverkehr ist überlastet.<br />
Der Bau einer zusätzlichen S-Bahn-Linie<br />
wird seit Jahren diskutiert, droht aber am<br />
Finanzierungs-Hickhack zwischen München<br />
und Berlin zu scheitern. Die wohlhabenden<br />
Familien im schicken Stadtteil<br />
Haidhausen freut’s: Sie wehren sich in Bürgerinitiativen<br />
gegen den Bau.<br />
Die satte Bräsigkeit der heimlichen<br />
Hauptstädter im Süden verhindert auch<br />
andere Infrastrukturerweiterungen. Den<br />
Bau einer dritten Startbahn am Flughafen<br />
haben die Münchner vor zwei Jahren bei<br />
einer Volksbefragung abgelehnt. Die Lufthansa<br />
zog schon erste Konsequenzen: Eine<br />
Reihe von Asienflügen wurde von München<br />
nach Frankfurt verlegt. Bislang war<br />
der Airport einer der Jobmotoren der Stadt.<br />
FOTO: LAIF/JENS SCHWARZ<br />
Winterkorn hat das erkannt: „Denken und<br />
Handeln im Konzern müssen neu justiert<br />
werden“, fordert er. Die Modellzyklen sollen<br />
kürzer werden, die konsequente Modularisierung<br />
von Fahrzeugen und Fabriken<br />
durch die Baukastenstrategie dabei<br />
helfen, das Paradies zu verteidigen.<br />
Wie Regionen auf-, aber auch wieder absteigen<br />
können, zeigt das Ruhrgebiet. Für<br />
die einstige Herzkammer der deutschen<br />
Wirtschaft begann der Abstieg mit dem<br />
Einsetzen der Globalisierung. Billige Kohle<br />
und Stahl aus Südamerika und Asien untergruben<br />
die Wettbewerbsfähigkeit. Staatliche<br />
Milliardenhilfen konnten den Trend<br />
nicht aufhalten. München und Umland<br />
könnte es irgendwann ähnlich ergehen.<br />
Noch gilt die Region als Paradies Deutschlands.<br />
Eine geschickte Politik, auch mutige<br />
Entscheidungen haben die Region vorangebracht.<br />
Bei Lebensqualität und Wirtschaftskraft<br />
landet Bayerns Landeshauptstadt<br />
in Rankings stets vorne. Doch wer<br />
oben steht, muss besonders aufpassen.<br />
Die Wohnungsnot ist nur eines von vielen<br />
Problemen, mit denen München<br />
ÜBERKOMMENE VORSCHRIFTEN<br />
Kaum weniger groß war der Jubel, als<br />
2013 die Bewerbung für die Olympischen<br />
Winterspiele 2022 abgelehnt wurde. Die<br />
Schickeria in den Bars und Bistros an<br />
der Maximilianstraße hat keine Lust auf<br />
Baulärm und Belästigungen. Dabei hätten<br />
die Spiele für einen Modernisierungsschub<br />
der Infrastruktur sorgen können. Die Erfolge<br />
der Vergangenheit, so klagen manche,<br />
hätten bei vielen Münchnern zu Selbstgefälligkeit<br />
und Bequemlichkeit geführt.<br />
Noch geht es ihnen besser als dem Rest<br />
der Republik. Die Metropole gilt als sicher,<br />
mit LMU und TU haben zwei der besten<br />
Hochschulen Deutschlands ihren Sitz in<br />
München, mit dem FC Bayern sogar der<br />
weltbeste Fußballclub. Sechs der 30 Dax-<br />
Konzerne haben hier ihre Zentralen, es<br />
herrscht praktisch Vollbeschäftigung.<br />
Doch will die Isar-Metropole langfristig<br />
erfolgreich bleiben, müssten sich Stadt<br />
und bayrische Landesregierung von einigen<br />
überkommenen Vorschriften trennen<br />
und Reformen anstoßen. So hat Bayern<br />
als einziges Bundesland kein eigenes<br />
Ladenschlussgesetz. Wer in München<br />
nach 20 Uhr einen Liter Milch kaufen<br />
will, muss wie vor 20 Jahren in Köln oder<br />
Berlin zur nächsten Tanke oder zum Bahnhof<br />
fahren. Und bezahlbarer Wohnraum<br />
ist auch deshalb knapp, weil nirgendwo in<br />
der Stadt höher als die 1488 errichtete<br />
Frauenkirche gebaut werden darf: genau<br />
98,57 Meter. n<br />
hans-juergen.klesse@wiwo.de, anke henrich, henryk hielscher,<br />
matthias kamp | München, rüdiger kiani-kress,<br />
franz rother, jürgen salz, peter steinkirchner<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 33<br />
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Paradies Deutschland<br />
»Deutsche Biotech-<br />
Firmen haben sehr<br />
viele hochinnovative<br />
Ansätze für moderne<br />
medizinische Therapien.<br />
Leider fehlt oft das Geld, um<br />
damit neue deutsche<br />
Pharmafirmen aufzubauen.<br />
Die Projekte gehen ins<br />
Ausland – die Arbeitsplätze<br />
dazu entstehen anderswo.«<br />
Helga Rübsamen-Schaeff,<br />
Chefin des Pharmaunternehmens Aicuris<br />
»Die Begeisterung der Deutschen<br />
für technische Konsumgüter<br />
wie Handys, Kühlschränke oder<br />
Fernseher ist ungebrochen. Bei externer<br />
Technik wie Windrädern, Autobahnen oder<br />
Stuttgart 21 besteht dagegen<br />
großer Rechtfertigungszwang.«<br />
Ortwin Renn, Professor für Technik- und<br />
Umweltsoziologie, Universität Stuttgart<br />
»Innovation und Deutschland – eine<br />
Tragödie: Zwar gibt es sehr kreative<br />
Entwickler, Unternehmer und Manager,<br />
zugleich aber gelten in Politik und<br />
Unternehmen die Führungsprinzipien Vermeidung<br />
von Risiko und >Fehlern
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Schuss nach hinten<br />
EURO-KRISE | Die Regierungen Italiens und Frankreichs schicken sich an, den Sparkurs aufzuweichen.<br />
Unter dem Rettungsschirm der EZB wandelt sich die Euro-Zone mehr und mehr zur Schuldenunion.<br />
Schlechter hätte der Start in die Karwoche<br />
für Matteo Renzi kaum ausfallen<br />
können. Rund 15 000 Italiener<br />
protestierten am vergangenen Wochenende<br />
in Rom gegen die Sparpolitik ihres Regierungschefs.<br />
Zuerst zogen die von linken<br />
Gruppen organisierten Demonstranten<br />
friedlich durch die ewige Stadt, dann flogen<br />
plötzlich Flaschen, Steine und Feuerwerkskörper<br />
in Richtung Polizei. Die antwortete<br />
mit Tränengas und Schlagstöcken.<br />
Das Ergebnis: 30 Verletzte, darunter 20<br />
Polizisten, von denen viele im Krankenhaus<br />
behandelt werden mussten.<br />
Proteste gab es auch in Frankreichs<br />
Hauptstadt Paris. Mehr als 25 000 Menschen<br />
zogen dort gegen die Sparpläne der<br />
Regierung unter dem neuen Premier Manuel<br />
Valls zu Felde. „Gegen die Sparpolitik,<br />
für die Verteilung des Reichtums“, war auf<br />
den Plakaten der Demonstranten zu lesen.<br />
Gewerkschaften, Kommunisten und linksradikale<br />
Parteien hatten zum Marsch gegen<br />
Valls Sparpolitik aufgerufen.<br />
Knüppel aus dem Sack Die Bürger in Rom<br />
machen Front gegen den Sparkurs<br />
Die Parolen der Demonstranten sind einigermaßen<br />
skurril. Denn weder in Rom<br />
noch in Paris hat es bisher nennenswerte<br />
Sparmaßnahmen gegeben. Zwar wollen<br />
Renzi und Valls in den nächsten Jahren die<br />
<strong>Ausgabe</strong>n des Staates senken, um geplante<br />
Steuersenkungen zu finanzieren. Bisher<br />
aber sind das nur Lippenbekenntnisse.<br />
Weder Renzi noch Valls haben Interesse<br />
daran, sich den Zorn der reformunwilligen<br />
Bürger zuzuziehen. „Natürlich müssen die<br />
öffentlichen Finanzen saniert werden,<br />
doch ohne unser Sozialmodell und unseren<br />
öffentlichen Dienst kaputt zu machen,<br />
ansonsten akzeptieren es die Franzosen<br />
nicht“, relativierte denn auch Valls seine<br />
Sparankündigungen. Klarer könnte die Absage<br />
an eine durchgreifende Sanierung des<br />
Staatshaushalts kaum ausfallen.<br />
Valls und Renzi setzen darauf, dass die<br />
Europäische Zentralbank (EZB) ihnen zu<br />
Hilfe eilt und die geldpolitischen Schleusen<br />
weiter öffnet. So warf Valls der EZB<br />
jüngst vor, ihre Geldpolitik sei nicht expansiv<br />
genug. Sie blockiere daher den Aufschwung<br />
in Europa. Auch innerhalb der<br />
EZB wächst der Druck der Vertreter aus<br />
den Südländern, die Schuldenpolitik der<br />
Regierungen mit der Notenpresse zu finanzieren.<br />
Die Währungsunion steht vor einer<br />
Zäsur.<br />
ENDE DER SPARDISZIPLIN<br />
Dabei ist es gerade einmal zwei Jahre her,<br />
dass sich die EU-Länder auf Drängen<br />
Deutschlands mit dem Fiskalpakt zu strikter<br />
Haushaltsdisziplin verpflichtet haben.<br />
Bei seinem Besuch Anfang dieser Woche in<br />
Berlin gelobte Frankreichs Premier Valls<br />
zwar, sein Land werde das Haushaltsdefizit,<br />
das derzeit bei mehr als vier Prozent<br />
des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegt,<br />
nächstes Jahr wie vereinbart auf drei Prozent<br />
senken. Doch ob es ihm damit wirklich<br />
ernst ist, ist fraglich. Wenige Tage zuvor<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
36 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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hatte Frankreichs Finanzminister Michel<br />
Sapin lauthals gefordert, die EU-Kommission<br />
solle Frankreich mehr Zeit geben, um<br />
das Defizit zu senken.<br />
Doch schon jetzt kommt das Land von<br />
seinen hohen Schulden nicht herunter. Auf<br />
94,2 Prozent des BIPs belief sich der Schuldenstand<br />
Ende 2013. Die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass er bis zum Ende der Amtszeit von<br />
Staatschef François Hollande 2017 bei 100<br />
Prozent oder sogar darüber liegt, ist hoch.<br />
„Die Parameter, die wir im Augenblick haben,<br />
sind eine Inflation unter einem Prozent,<br />
ein Wachstum unter einem Prozent<br />
und ein Haushaltsdefizit von über vier Prozent.<br />
Da steigen die Staatsschulden jedes<br />
Jahr um zwei bis drei Prozentpunkte“, sagt<br />
Ulrich Hege, Professor an der Wirtschaftshochschule<br />
HEC Paris. Frankreich komme<br />
in eine Zone, „in der das Tabu bricht, dass<br />
ein Staat nicht bankrott gehen kann“.<br />
ZU VIEL STAAT<br />
Die hohen Schulden sind Folge der ausufernden<br />
Staatstätigkeit. So zählt Frankreich<br />
90 Beamte pro 1000 Einwohner<br />
(Deutschland: 60), hat eines der komfortabelsten<br />
Systeme zur Unterstützung von<br />
Arbeitslosen und ein gesetzliches Renteneintrittsalter<br />
von 62 Jahren. Die Staatsausgaben<br />
belaufen sich auf 56,9 Prozent der<br />
jährlichen Wirtschaftsleistung. Weil die<br />
Lohnstückkosten seit Jahren steigen, während<br />
andere Länder sie gesenkt haben, verlieren<br />
französische Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit.<br />
Nun will Valls die Betriebe<br />
demnächst finanziell entlasten. Schon<br />
im vergangenen Jahr wurden Steuergutschriften<br />
von insgesamt 20 Milliarden Euro<br />
für Arbeitgeber beschlossen, die Arbeitnehmer<br />
beschäftigen, die höchstens das<br />
2,5-Fache des Mindestlohns verdienen.<br />
Diese Lohnsubvention soll bis 2016 um<br />
weitere zehn Milliarden Euro aufgestockt<br />
werden.<br />
Nach Ansicht des Arbeitgeberverbands<br />
Medef kommt die Entlastung, die dann für<br />
90 Prozent aller Beschäftigten gilt, zu spät.<br />
Das gilt auch für die Körperschaftsteuersenkung,<br />
die erst 2020 voll umgesetzt sein<br />
soll. Dazu kommt, dass Valls es bisher im<br />
Dunkeln gelassen hat, wie er seine Steuergeschenke<br />
finanzieren will. Angekündigt<br />
hat er lediglich, bis 2017 insgesamt 50 Milliarden<br />
Euro einzusparen. Dazu sollen die<br />
Krankenversicherungen und die Kommunen<br />
jeweils zehn Milliarden Euro beitragen.<br />
Ob dies gelingt, steht in den Sternen.<br />
Die Ökonomen des Finanzdienstleisters<br />
IHS bleiben daher skeptisch. Sie rechnen<br />
auch für 2015 mit einem Defizit von mehr<br />
als drei Prozent.<br />
Kaum besser ist es um die Staatsfinanzen<br />
in Italien bestellt. Zwar ist der Fehlbetrag<br />
im Staatshaushalt mit rund drei Prozent<br />
des BIPs etwas geringer als beim Nachbarn<br />
Frankreich. Regierungschef Renzi hat<br />
jüngst öffentlichkeitswirksam die überzogenen<br />
Gehälter der Manager in den Staatskonzernen<br />
ins Visier genommen. Doch<br />
durch die Kürzung der Spitzengehälter allein<br />
wird er den Staatshaushalt nicht sanieren<br />
können. Daher setzt er auch darauf,<br />
dass sich die Konjunktur belebt. Doch die<br />
von der Regierung avisierten 0,8 Prozent<br />
Wirtschaftswachstum sind nicht gerade<br />
Tief in den roten Zahlen<br />
Haushaltssaldo Frankreichs und Italiens<br />
in Prozent <strong>vom</strong> BIP<br />
0<br />
–2<br />
–4<br />
–6<br />
Maastricht-<br />
Kriterium<br />
–8<br />
2007 08 09 10 11 12<br />
Quelle: IHS<br />
Italien<br />
Frankreich<br />
13 14<br />
üppig. Daher will Renzi die Nachfrage ankurbeln,<br />
indem er zehn Millionen Niedrigverdiener<br />
mit Steuererleichterungen von<br />
80 Euro im Monat beglückt. Die Kosten von<br />
6,7 Milliarden Euro sollen zu zwei Dritteln<br />
durch <strong>Ausgabe</strong>nkürzungen und zu einem<br />
Drittel durch einmalige Mehreinnahmen<br />
finanziert werden.<br />
MANGEL AN REFORMEN<br />
Für ein nachhaltiges Wachstum, das die<br />
Steuerquellen kräftig sprudeln lässt, ist das<br />
jedoch zu wenig. Dazu müsste der selbst<br />
ernannte Reformer den verkrusteten Arbeitsmarkt<br />
aufbrechen. In den vergangenen<br />
Wochen hat Renzi zwar die Zeitverträge<br />
liberalisiert, ohne ein Veto der Gewerkschaften<br />
oder des linken Parteiflügels zu<br />
provozieren. Nun will er das starre System<br />
landesweit gültiger Tarifverträge aus den<br />
Angeln heben. So strebt er einen einheitlichen<br />
Garantielohn auf sehr niedrigem Niveau<br />
an, der durch betriebliche Vereinbarungen<br />
ergänzt wird. Für Italien wäre das<br />
eine Revolution. Das Problem ist nur: Bisher<br />
haben es die Gewerkschaften und die<br />
hypertrophierte Bürokratie in dem Mittelmeerland<br />
noch immer geschafft, alle Revolutionen<br />
im Keim zu ersticken.<br />
Klappt es mit Reformen, Wachstum und<br />
dem Sparen nicht, ist eine fortgesetzte<br />
Kletterpartie der Staatsschulden vorgezeichnet.<br />
So rechnet Italiens Finanzminister<br />
Pier Carlo Padoan schon damit, dass die<br />
Schuldenquote seines Landes in diesem<br />
Jahr auf knapp 135 Prozent nach oben<br />
springt, nachdem sie 2013 noch bei 132<br />
Prozent lag.<br />
GEFÄHRLICHE STELLSCHRAUBEN<br />
Am Ende blieben für die überschuldeten<br />
Südländer nur drei Stellschrauben übrig,<br />
um den Kollaps der Staatsfinanzen zu verhindern:<br />
ein Schuldenschnitt, höhere Inflation<br />
und niedrigere Zinsen. Da die Politiker<br />
den Schuldenschnitt fürchten wie der<br />
Teufel das Weihwasser, wächst der Druck<br />
auf die EZB. Und dieser Druck zeigt Wirkung.<br />
Schon arbeiten die Frankfurter Währungshüter<br />
an Plänen, in großem Stil<br />
Staatsanleihen der Euro-Länder zu kaufen.<br />
Offiziell begründen sie dies mit dem Risiko,<br />
die Euro-Zone könne wegen der derzeit geringen<br />
Teuerungsrate von 0,5 Prozent in<br />
die Deflation rutschen, also eine Phase mit<br />
nachhaltig sinkendem Preisniveau. Tatsächlich<br />
aber steckt hinter den Ankaufplänen<br />
von Anleihen ein anderes Ziel: Niedrigere<br />
Zinsen sollen im Zusammenspiel mit<br />
höheren Inflationsraten den Schuldenberg<br />
der Euro-Länder abschmelzen.<br />
Doch der Schuss dürfte nach hinten losgehen.<br />
Sinken die Zinsen für Staatskredite<br />
im Gefolge der Anleihekäufe, dürften alle<br />
Hemmungen der Regierungen fallen. Europa<br />
stünde dann vor dem Schulden-<br />
Dammbruch. Statt zu sparen, werden die<br />
Politiker in Rom, Paris, Madrid und Athen<br />
es bei den Staatsausgaben wohl so richtig<br />
krachen lassen. Unter Verweis auf die<br />
schwache Konjunktur dürften sie dann<br />
versuchen, was noch nie funktioniert hat:<br />
Wachstum durch neue Schulden zu erzeugen.<br />
„Wir wollen mehr denn je die Richtung<br />
Europas ändern“, gibt Italiens Regierungschef<br />
Renzi die Stoßrichtung seiner<br />
Strategie zu. Stellt die EZB die Weichen entsprechend<br />
den Wünschen der Südländer<br />
um, droht die Euro-Zone im Schuldenmorast<br />
zu versinken.<br />
n<br />
malte.fischer@wiwo.de, katrin finkenzeller | Paris,<br />
ulrike sauer | Rom<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 38 »<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 37<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
EURO-KRISE<br />
Noch nicht am Ziel<br />
Griechenland bedient sich wieder mit neuen Krediten – und hofft<br />
zugleich auf weitere Erleichterungen bei den Altschulden.<br />
Der griechische Ministerpräsident liebt<br />
plakative Worte. Als sich die staatliche<br />
Schuldenagentur PDMA jüngst nach vierjähriger<br />
Pause wieder an den Kapitalmarkt<br />
wagte und eine fünfjährige Anleihe<br />
über drei Milliarden Euro platzieren konnte,<br />
stellte Antonis Samaras triumphierend<br />
fest: „Griechenland hat es geschafft!“<br />
Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela<br />
Merkel fand bei ihrem Besuch vergangene<br />
Woche lobende Worte. Im<br />
Herbst 2012 war sie zuletzt in Athen gewesen;<br />
damals zitterte das Land um den<br />
Verbleib im Euro. Seither habe sich „sehr,<br />
sehr viel getan“, lobte die Kanzlerin nun.<br />
Und in der Tat: Die Defizitquote ist von<br />
15,6 Prozent 2009 auf 2,2 Prozent in diesem<br />
Jahr gefallen. Erstmals seit <strong>19</strong>48<br />
schrieb das Land 2013 in der Leistungsbilanz<br />
schwarze Zahlen. Rund 200 000<br />
Stellen wurden im öffentlichen Dienst gestrichen<br />
(Ersparnis: acht Milliarden Euro),<br />
und ein Jahr früher als gefordert erzielte<br />
Athen 2013 im Primärhaushalt (ohne<br />
Schuldendienst) einen Überschuss. Nach<br />
sechs Jahren Rezession soll die griechische<br />
Wirtschaft <strong>2014</strong> wieder wachsen<br />
(siehe Grafik). Die Industrieproduktion<br />
legt seit drei Monaten zu. Das Wirtschaftsklima<br />
ist so günstig wie zuletzt<br />
2008 vor der Lehman-Pleite. Die Talsohle<br />
sei durchschritten, sagt Premier Samaras,<br />
„die Märkte haben für Griechenland<br />
gestimmt“.<br />
LANGER WEG<br />
Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit.<br />
Zwar war der Bond mehr als achtfach<br />
überzeichnet. Eine „Rückkehr zur Normalität“,<br />
wie Samaras behauptet, ist das<br />
aber noch lange nicht. Die Anleger rissen<br />
sich um die Anleihe, weil sie fast fünf Prozent<br />
Rendite bietet – bei überschaubarem<br />
Risiko. Denn die Rettungsschirme für<br />
Griechenland bleiben aufgespannt.<br />
Die Rückkehr an den Kapitalmarkt bedeute<br />
daher nicht das Ende aller Probleme,<br />
warnt Euro-Gruppen-Chef Jeroen<br />
Dijsselbloem: „Griechenland hat noch einen<br />
langen Weg zu gehen.“ Im Verlauf der<br />
Hoffnung in Hellas<br />
Bruttoinlandsprodukt* und Staatsverschuldung**<br />
Griechenlands<br />
Staatsverschuldung<br />
129,7<br />
148,3<br />
170,3<br />
156,9<br />
177,3<br />
177 171,9<br />
–3,1 –4,9 –7,1 –6,4 –3,9 0,6 2,9<br />
2009 2010 2011 2012 2013 <strong>2014</strong> 2015<br />
Prognose<br />
* zum Vorjahr; ** in Prozent des BIPs;<br />
Quelle: EU-Kommission<br />
BIP<br />
Bessere Position Griechenlands<br />
Ministerpräsident Samaras<br />
Krise hat das Land ein Viertel seiner Wirtschaftskraft<br />
verloren. Die Arbeitslosenquote<br />
kletterte von 7,8 auf 27 Prozent. Trotz Sparkurs<br />
stieg die Schuldenquote von 130 auf<br />
175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.<br />
Von der Summe her ist die jüngste Emission<br />
zudem eher unbedeutend. Die drei Milliarden<br />
Euro erscheinen klein in Relation zu<br />
den Staatsschulden von 321 Milliarden –<br />
und auch gering im Vergleich zu den knapp<br />
25 Milliarden, die Griechenland in diesem<br />
Jahr tilgen muss. Dafür stehen Hilfsgelder<br />
der Euro-Partner und des Internationalen<br />
Währungsfonds (IWF) zur Verfügung.<br />
Griechenland braucht die drei Milliarden<br />
also gar nicht, das Land ist für <strong>2014</strong><br />
durchfinanziert.<br />
Die Bedeutung der Emission liegt vielmehr<br />
darin, dass sich neue Refinanzierungsmöglichkeiten<br />
für Banken und<br />
Unternehmen eröffnen könnten. Die<br />
Rückkehr des Staates an den Kapitalmarkt<br />
habe „positive Effekte für andere<br />
Kreditnehmer in Griechenland“ und könne<br />
helfen, die Wirtschaft anzukurbeln,<br />
hofft Klaus Regling, Chef des Euro-Rettungsfonds<br />
ESM. Nach dem geglückten<br />
Test werde Griechenland wohl in diesem<br />
Jahr erneut an den Markt gehen, möglicherweise<br />
sogar mit zwei weiteren Emissionen,<br />
heißt es in Athener Finanzkreisen.<br />
Sicher ist: Griechenland braucht spätestens<br />
2015 wieder mehr Geld. Die Troika<br />
sieht für die beiden kommenden Jahre<br />
eine Lücke von mindestens elf Milliarden<br />
Euro. Mit der Rückkehr an den Kapitalmarkt<br />
hofft Samaras ein drittes Rettungspaket<br />
überflüssig zu machen. Denn<br />
weitere Hilfskredite wären mit neuen<br />
Sparauflagen verbunden – und die glaubt<br />
er nicht durchsetzen zu können.<br />
NEUER SCHULDENSCHNITT<br />
Wenn die Renditen nicht schnell weiter<br />
sinken, könnte die Refinanzierung am<br />
Markt Griechenland allerdings noch tiefer<br />
in die Schuldenfalle treiben. Für seine<br />
Schulden, die inzwischen zu mehr als 80<br />
Prozent bei öffentlichen Gläubigern liegen,<br />
zahlt das Land aktuell nur rund zwei<br />
Prozent Zinsen. Die jüngste Anleihe ist<br />
mehr als doppelt so teuer.<br />
Umso mehr muss sich Griechenland<br />
anstrengen, wenn es seine Schuldenquote,<br />
wie mit EU und IWF vereinbart, bis<br />
2022 „substanziell unter 110 Prozent“<br />
drücken will. Selbst unter optimistischen<br />
Wachstumsannahmen und bei größter<br />
Haushaltsdisziplin ist das kaum zu schaffen.<br />
Einen zweiten Schuldenschnitt, der<br />
diesmal die öffentlichen Gläubiger treffen<br />
würde, schließen zwar alle Beteiligten<br />
aus. Aber gleich nach der Europawahl<br />
wollen die Euro-Finanzminister über<br />
Schuldenerleichterungen verhandeln.<br />
Denkbar wären niedrigere Zinsen und längere<br />
Laufzeiten für Altkredite. Auch wenn<br />
das „S-Wort“ tabu ist: Letztlich wäre auch<br />
das eine Art Schuldenschnitt.<br />
gerd höhler | Athen, politik@wiwo.de<br />
FOTO: LAIF/NIKOS PILOS<br />
38 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
BERLIN INTERN | Beim politischen Wünsch-dir-Was<br />
sind die Wähler gern dabei – die Kosten ignorieren<br />
sie. In der Schweiz führt die Mitsprache der Bürger zu<br />
sparsamer Politik. Von Henning Krumrey<br />
Fruchtloser Baum<br />
FOTOS: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, LAIF/KEYSTONE SCHWEIZ<br />
Denkt er an Deutschland, fühlt<br />
sich Klaus-Peter Schöppner<br />
zurückversetzt in Weimarer<br />
Zeiten. Die Staaten taumelten<br />
durch die Weltwirtschaftskrise, doch in<br />
den Salons der Hauptstadt spielten die<br />
Kapellen den Charleston einfach etwas<br />
lauter. „Das ist wie im Berlin der Zwanzigerjahre:<br />
Wir merken, dass um uns<br />
herum durch Finanzkrise und Staatsschulden<br />
alles bröckelt und machen noch einmal<br />
richtig Party.“ Der Mann, der 22 Jahre<br />
Auf der Bremse anstehen Die Schweizer<br />
reden mit – und verzichten auf <strong>Ausgabe</strong>n<br />
lang als Meinungsforschungs-Geschäftsführer<br />
„Mister emnid“ war und jetzt sein<br />
eigener Herr im Beratungsinstitut Mente-<br />
Factum ist, sieht eine Tragik: Statt das<br />
Wohlstandsparadies zu retten, nähmen<br />
die Wähler lieber noch mit, was geht.<br />
„Das Wünschenswerte dominiert das<br />
Realistische“, ist Schöppners Erfahrung mit<br />
dem Bürger und der politischen Klasse, die<br />
er seit Jahrzehnten berät. Die Unfinanzierbarkeit<br />
der Rentenreform, der Kostenwahnsinn<br />
der Energiewende, das Arbeitsplatzrisiko<br />
des Mindestlohns, die Zeitbombe der<br />
Staatsverschuldung – alle Langfristrisiken<br />
würden überdeckt durch Konjunktur, Exportrekorde,<br />
den Ruhm als EU-Musterland.<br />
Natürlich wollen die Deutschen keine<br />
höheren Steuern, Schulden und Sozialversicherungsbeiträge.<br />
Aber sie wollen höhere<br />
Renten, bessere Straßen, mehr Bildung. Sie<br />
wollen die Energiewende, aber nicht so viel<br />
teureren Strom. Die Widersprüche fallen ihnen<br />
nicht auf, weil sie nicht danach gefragt<br />
werden. Denn, so MenteFactum-Mann<br />
Schöppner: „Es sind ja nicht wir, die Bürger,<br />
die etwas verursachen, es sind immer<br />
die Politiker.“ So sprächen sich die Wähler<br />
von jeder Verantwortung frei. Der Baum der<br />
Erkenntnis, er trägt nicht einmal Früchte.<br />
In der Schweiz geht das so einfach nicht.<br />
Ab einer bestimmten <strong>Ausgabe</strong>nsumme entscheidet<br />
das Volk. Und das handelt kostenbewusst.<br />
So stoppten die Bürger der Stadt<br />
Zürich im vergangenen September mit<br />
knapper Mehrheit einen Kredit über 216<br />
Millionen Euro für den Bau eines Fußballstadions.<br />
Der FC Zürich und die Grashoppers<br />
sollten sich gefälligst eine private<br />
Finanzierung organisieren. Auf allen staatlichen<br />
Ebenen ist das Volk gefragt, wenn es<br />
um die Steuern geht. 2008 beschloss eine<br />
Mehrheit, die Mehrwertsteuer von 7,6 auf<br />
8 Prozent zu erhöhen, um die Invalidenversicherung<br />
besser auszustatten. Um<br />
einen dauerhaften Aderlass zu vermeiden,<br />
wurde der Zuschlag zeitlich begrenzt.<br />
„Die Erfahrung in der Schweiz zeigt, dass<br />
die direkte Demokratie eine effizientere<br />
Politik und sparsamere <strong>Ausgabe</strong>n hervorbringt“,<br />
hat Lars Feld festgestellt, der<br />
Direktor des Walter Eucken-Instituts in Freiburg.<br />
„Teure Prestigeprojekte werden<br />
vermieden, aber notwendige Infrastrukturprojekte<br />
scheitern nicht.“ Der Eisenbahn-<br />
Alpentransversale haben die Schweizer<br />
nach einer deutlichen Kostensteigerung<br />
sogar ein zweites Mal zugestimmt.<br />
Auch Feld berät seit Jahren die Politiker<br />
in Berlin. In Deutschland gibt es direkte Mitsprache<br />
der Bürger nur auf Länderebene,<br />
dort seien die Ergebnisse „gemischt, weil<br />
die Länder keine echte Steuerhoheit haben<br />
und weil es in Deutschland so viele Mischfinanzierungen<br />
gibt. Wenn ein anderer zahlt<br />
– beispielsweise die EU mit Zuschüssen<br />
oder die anderen Bundesländer über den<br />
Länderfinanzausgleich –, dann ist der Bürger<br />
auch bei den <strong>Ausgabe</strong>n großzügiger.“<br />
Von der großen Koalition wünscht sich<br />
Feld vor allem eines: Untätigkeit. „Unterlassen<br />
wäre derzeit wichtiger als Handeln.<br />
Denn Mindestlohn und Rente mit 63 drehen<br />
erfolgreiche Reformen wieder zurück.“<br />
Die Vertreibung aus dem Paradies, sie fand<br />
bei der Bundestagswahl eine Mehrheit.<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 41<br />
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Der Volkswirt<br />
KOMMENTAR | Investitionsfaule<br />
Betriebe, skeptische Verbraucher:<br />
In Japan stoßen die „Abenomics“<br />
an ihre Grenzen. Von Bert Losse<br />
Nippons Nöte<br />
Manchmal sind es<br />
kleine Dinge, die<br />
signalisieren, dass<br />
auf großer Bühne<br />
etwas schiefläuft. Ende März<br />
warnten Supermärkte in Tokio<br />
vor „Klopapierknappheit“ und<br />
rationierten ihre Bestände. Der<br />
Grund: befürchtete Hamsterkäufe<br />
im Vorfeld einer Mehrwertsteuererhöhung.<br />
Dass Regierungschef Shinzo<br />
Abe die drohende WC-Krise<br />
registriert hat, ist eher unwahrscheinlich,<br />
denn er muss sich<br />
ganz andere Sorgen machen. Es<br />
läuft nicht mehr rund in der drittgrößten<br />
Volkswirtschaft der Welt.<br />
Die <strong>vom</strong> Regierungschef verordnete<br />
Mixtur aus staatlichen Konjunkturprogrammen<br />
und ultralockerer<br />
Geldpolitik, „Abenomics“<br />
genannt, hatte Ökonomen und<br />
Börsianer zunächst entzückt. Die<br />
Aktienkurse stiegen, das Wachstum<br />
zog an, die Arbeitslosenquote<br />
fiel. Doch nun könnte eintreten,<br />
was Skeptiker stets<br />
befürchteten: Das Programm<br />
entfacht nur ein Strohfeuer.<br />
Zwar hat es die Regierung geschafft,<br />
die jahrelange Deflation<br />
zu beenden. Die Preise steigen<br />
seit neun Monaten. Die Bank of<br />
Japan (BoJ) wurde auf ein Inflationsziel<br />
von zwei Prozent<br />
verpflichtet, was sie womöglich<br />
schon in diesem Jahr erreicht.<br />
Dennoch zeigt sich immer stärker<br />
eine offene Flanke der Abe-Strategie:<br />
Die Konsumenten, die für<br />
60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />
stehen, sind steigende<br />
Preise schlicht nicht gewöhnt.<br />
Erstmals seit Jahren sehen sie<br />
sich mit Reallohnverlusten konfrontiert,<br />
die noch nirgendwo in<br />
der Welt ein Konsumfeuerwerk<br />
entfacht haben. Erschwerend<br />
kommt hinzu, dass die Regierung<br />
Anfang April die Mehrwertsteuer<br />
von fünf auf acht Prozent erhöht<br />
hat, um das Schuldenwachstum<br />
zu begrenzen – Japan ist der am<br />
höchsten verschuldete Industriestaat<br />
der Welt. Anders als für<br />
Europäer, die Steuererhöhungen<br />
gewöhnt sind, ist es für die Japaner<br />
der erste Anstieg seit gut 15<br />
Jahren. Der Index des Verbrauchervertrauens<br />
ist innerhalb eines<br />
Dreivierteljahres von 45,7 auf<br />
rund 38 Zähler heruntergekracht.<br />
Ebenso problematisch für die<br />
japanische Konjunktur ist die<br />
Investitionsunlust der Unternehmen.<br />
Umfragen zufolge wollen<br />
die Betriebe ihre Investitionen<br />
um gut vier Prozent zurückfahren.<br />
Für das im April begonnene<br />
Tendenz fallend<br />
Wachstums- und Inflationsrate<br />
in Japan (in Prozent)<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
BIP<br />
*Prognose; Quelle: IWF<br />
Inflation<br />
–1<br />
10 11 12 13 14* 15*<br />
Bilanzjahr <strong>2014</strong> rechnen Ökonomen<br />
nur noch mit einem Wachstum<br />
von knapp einem Prozent.<br />
Manche Analysten erwarten<br />
sogar, dass Japan spätestens in<br />
der zweiten Jahreshälfte in eine<br />
Rezession taumelt.<br />
Was dann passiert, ist ziemlich<br />
klar: Die BoJ, die schon jetzt jährlich<br />
Wertpapiere in Höhe von umgerechnet<br />
424 bis 495 Milliarden<br />
Euro ankauft, wird ihre Geldschleusen<br />
noch weiter öffnen –<br />
mit allen Risiken, die damit verbunden<br />
sind.<br />
EXKLUSIVUMFRAGE<br />
Was das Herz begehrt<br />
Der Einfluss der Gewerkschaften auf die Politik hat<br />
sich nach Einschätzung der Unternehmen drastisch<br />
erhöht, sagt eine Umfrage für die WirtschaftsWoche.<br />
Für Detlef Wetzel ist die<br />
Sache klar: „Themen wie<br />
der Mindestlohn und die<br />
Rente mit 63 sind endlich in der<br />
Mitte der Gesellschaft angekommen.<br />
Und wir haben dabei etwas<br />
mitgeholfen“, frohlockt der Vorsitzende<br />
der IG Metall. Sein Befund:<br />
„Wir haben wieder eine<br />
Regierung, die sich traut, Gesetze<br />
zu beschließen, von denen<br />
Arbeitnehmer profitieren.“<br />
Widerspruch der Arbeitgeber<br />
zu dieser Aussage ist bis auf<br />
Weiteres nicht zu erwarten.<br />
Rund 65 Prozent der mittelständischen<br />
Unternehmer sehen<br />
aktuell einen „hohen“ oder gar<br />
„sehr hohen“ Einfluss der Gewerkschaften<br />
auf die Politik der<br />
Bundesregierung. Vor einem<br />
Jahr – damals regierte noch die<br />
Koalition von Union und FDP –<br />
waren es satte 20 Prozentpunkte<br />
weniger (siehe Grafik). An<br />
einen nur geringen politischen<br />
Einfluss von IG Metall, Verdi<br />
und Co. glauben mittlerweile<br />
nur noch sechs Prozent (vorher:<br />
elf Prozent). Das hat eine Mitgliederumfrage<br />
der Wirtschaftsverbände<br />
„Die Familienunternehmer-ASU“<br />
und „Die Jungen<br />
Unternehmer-BJU“ exklusiv für<br />
die WirtschaftsWoche ergeben,<br />
an der sich knapp 650 Firmenchefs<br />
beteiligten.<br />
Druck von links<br />
Wie schätzen Sie den Einfluss<br />
der Gewerkschaften auf die Regierungspolitik<br />
ein (in Prozent)*<br />
8<br />
23<br />
sehr<br />
hoch<br />
II/2013<br />
37 42 40<br />
II/<strong>2014</strong><br />
21<br />
11 6<br />
hoch mittel gering/<br />
sehr gering<br />
*Rest auf 100 Prozent: weiß nicht; Quelle:<br />
ASU/BJU-Umfrage bei 650 Unternehmen<br />
„Von der Regulierung flexibler<br />
Beschäftigungsformen bis<br />
hin zum Mindestlohn – der Koalitionsvertrag<br />
gibt alles her,<br />
was das Gewerkschaftsherz begehrt“,<br />
findet Lutz Goebel, Präsident<br />
der Familienunternehmer.<br />
Den Verbandschef sorgt,<br />
dass „drei von fünf Spitzenleuten<br />
des Bundesarbeitsministeriums<br />
einen Gewerkschaftshintergrund“<br />
haben. Neben<br />
Ministerin und IG-Metall-Mitglied<br />
Andrea Nahles, die einst<br />
im IG-Metall-Verbindungsbüro<br />
Berlin arbeitete, sind dies die<br />
Parlamentarischen Staatssekretärin<br />
Anette Kramme (Mitglied<br />
bei IG Metall und Verdi) und<br />
der beamtete Staatssekretär<br />
Thorben Albrecht, der vier Jahre<br />
Referatsleiter beim DGB-<br />
Bundesvorstand war.<br />
Gut läuft unterdessen offenbar<br />
die Zusammenarbeit der<br />
Chefs mit dem eigenen Betriebsrat<br />
– sofern ein solcher<br />
existiert. Von den 27 Prozent<br />
der befragten Firmen, die eine<br />
Mitarbeitervertretung haben,<br />
vergeben immerhin 75,6 Prozent<br />
die Noten „gut“ oder<br />
„sehr gut“ für die innerbetriebliche<br />
Kooperation. Vor einem<br />
Jahr waren es 3,5 Prozentpunkte<br />
weniger.<br />
Gute Noten<br />
Wie bewerten Sie die<br />
Zusammenarbeit mit Ihrem<br />
Betriebsrat (in Prozent)*?<br />
58,3<br />
17,3 16,1<br />
sehr gut gut mittelmäßig<br />
*Rest auf 100 Prozent: weiß nicht;<br />
Quelle: ASU/BJU-Umfrage bei 180<br />
Unternehmen mit Betriebsrat<br />
bert.losse@wiwo.de<br />
8,4<br />
schlecht/<br />
sehr<br />
schlecht<br />
FOTO: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
42 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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DENKFABRIK | Mit der umfassenden Überwachung der Banken und Finanzmärkte wollen<br />
die Zentralbanken und Aufsichtsbehörden künftige Risiken für die Finanzstabilität<br />
abwehren. Doch daraus droht eine Regulierungsorgie zu werden, die einer Verstaatlichung<br />
des Bank- und Finanzsystems gleichkommt. Von Thorsten Polleit<br />
Der verstaatlichte Kredit<br />
FOTOS: VISUM/MARTIN LEISSL, GETTY IMAGES<br />
Ein sperriges Wortgebilde<br />
macht in Politik und<br />
Ökonomie die Runde:<br />
makroprudentielle<br />
Überwachung. Es lädt nicht<br />
gerade zum Verweilen ein. Ziel<br />
der makroprudentiellen Überwachung<br />
ist es, Risiken im<br />
Finanzsystem frühzeitig zu erkennen,<br />
um Gegenmaßnahmen<br />
ergreifen und einen Beitrag zur<br />
Finanzstabilität leisten zu können.<br />
Staatliche Stellen – allen<br />
voran Zentralbanken und<br />
Finanzaufsichtsbehörden –<br />
sollen weitreichende Eingriffsmöglichkeiten<br />
in das Finanzsystem<br />
erhalten. Sie sollen<br />
etwa den Geschäftsbanken<br />
erhöhte Kapitalpuffer, Verschuldungs-<br />
und Beleihungsobergrenzen,<br />
Vorgaben<br />
zur Liquidität oder zu ihren<br />
Refinanzierungsformen auferlegen<br />
können.<br />
REINE SYMPTOMKUR<br />
Dass der Staat das Banken- und<br />
Finanzsystem sicher machen<br />
will, dürfte in der Öffentlichkeit<br />
vermutlich Unterstützung finden.<br />
Schließlich ist der Glaube<br />
weit verbreitet, es seien vor<br />
allem die Geschäftsbanken gewesen,<br />
die die jüngste Finanzund<br />
Wirtschaftskrise verursacht<br />
hätten. Daher sei es richtig, die<br />
Banken enger an die Kandare<br />
zu nehmen.<br />
Doch Vorsicht: Die Idee der<br />
makroprudentiellen Überwachung<br />
ist nicht etwa aus einer<br />
einsichtigen Diagnose der wahren<br />
Krisenursache erwachsen.<br />
Sie ist vielmehr der ungelenke<br />
Versuch einer Symptomkur,<br />
weil man sich davor scheut, die<br />
eigentliche Ursache der Krise<br />
anzupacken. Es waren die staatlichen<br />
Zentralbanken, die mit<br />
ihrem unablässigen Ausweiten<br />
von Kredit- und Geldmengen, bereitgestellt<br />
zu immer tieferen Zinsen,<br />
die Überschuldungsmisere<br />
möglich gemacht haben. Doch<br />
nun schrecken sie davor zurück,<br />
die Kredit- und Geldschwemme<br />
zu stoppen, weil sie – berechtigterweise<br />
– fürchten, dass der gesamte<br />
Schuldenturm kollabiert<br />
und mit ihnen die Volkswirtschaften.<br />
Stattdessen soll den Fehlentwicklungen,<br />
die die fortgesetzte<br />
Politik des billigen Geldes verursacht<br />
hat, mit Regulieren und Reglementieren<br />
begegnet werden.<br />
Sollten zum Beispiel die Hausbaukredite<br />
zu stark wachsen und eine<br />
»Freier Wettbewerb<br />
der<br />
Währungen<br />
sorgt für bessere<br />
Banken als<br />
jede staatliche<br />
Regulierung«<br />
Immobilienpreisblase drohen,<br />
kann der Staat dank makroprudentieller<br />
Überwachung einschreiten,<br />
indem er den Banken<br />
durch höhere Eigenkapitalanforderungen<br />
die Vergabe von<br />
Hypothekenkrediten erschwert.<br />
Die makroprudentielle Überwachung<br />
wird am Ende alle wichtigen<br />
betriebswirtschaftlichen Entscheidungen<br />
der Banken durch staatliches<br />
Regulierungswerk ersetzen.<br />
Sie läuft damit auf eine Verstaatlichung<br />
des Banken- und Finanzsystems<br />
hinaus. Wir erleben<br />
mithin die Verstaatlichung des<br />
Kredits, wie es bereits Karl Marx in<br />
Weiter hoch hinaus? Finanzdistrikt<br />
in London<br />
ßen und gehen früher oder später<br />
in den Staatsbesitz über.<br />
Ein düsteres, aber durchaus<br />
schlüssiges Szenario. Es ist logische<br />
Folge des staatlichen<br />
Zwangsgeldmonopols: Die staatseigene<br />
Zentralbank produziert in<br />
Kooperation mit den Geschäftsbanken<br />
neues Geld durch Kredite,<br />
die durch nichts gedeckt sind,<br />
gewissermaßen aus dem Nichts<br />
geschaffen. Das staatliche Geldmonopol<br />
schafft nicht nur inflationäres<br />
Geld, es sorgt auch für<br />
wiederkehrende Finanz- und Wirtschaftskrisen.<br />
Und es führt die<br />
Volkswirtschaften in eine Über-<br />
seinem Kommunistischen Manifest<br />
im Jahr 1848 gefordert hat.<br />
Wie immer, wenn der Marktprozess<br />
durch staatliche Lenkung ersetzt<br />
wird, kommt es zur Fehlallokation<br />
knapper Ressourcen auf<br />
breiter Front, zu Unterversorgung<br />
hier und Überversorgung da, zu<br />
genereller Misswirtschaft. Sind<br />
die Marktkräfte im Banken- und<br />
Finanzsystem erst einmal ausgeschaltet,<br />
erlischt auch das Interesse<br />
privater Investoren am<br />
Bankgeschäft. Die Klugen steigen<br />
aus, die weniger Talentierten harren<br />
aus. Die Geldhäuser werden<br />
unprofitabel, sie bekommen kein<br />
neues Eigenkapital mehr von auschuldungssituation,<br />
die letztlich<br />
im Bankrott endet.<br />
Um dem Kollaps hier und<br />
heute zu entkommen, setzen<br />
Zentralbanken und Aufsichtsbehörden<br />
die auf Korrektur drängenden<br />
Marktkräfte außer Kraft.<br />
Und die makroprudentielle<br />
Überwachung soll dabei helfen.<br />
IN DIE SACKGASSE<br />
Das Bekämpfen der Marktwirtschaft<br />
führt jedoch in die ökonomische<br />
Sackgasse. Deshalb<br />
ist der produktive Gegenentwurf<br />
zur makroprudentiellen Überwachung<br />
die konsequente<br />
Rückbesinnung auf den freien<br />
Markt als spontane Ordnungskraft.<br />
Der entscheidende Befreiungsschlag<br />
wäre das Beenden<br />
des staatlichen Geldmonopols,<br />
an dessen Stelle der freie Währungswettbewerb<br />
tritt. Bekanntlich<br />
ist der Wettbewerb ein<br />
bewährtes Verfahren, um die<br />
Wünsche der Nachfrager bestmöglich<br />
und zu niedrigsten Kosten<br />
zu befriedigen. Ohne freien<br />
Wettbewerb gäbe es heute keine<br />
Mobilfunkgeräte, Laptops,<br />
iPhones und vieles mehr. Eine<br />
ähnliche produktive Wirkung<br />
hätte der freie Währungswettbewerb:<br />
Er würde besseres Geld<br />
schaffen, als es der Staat bereitstellt,<br />
und er würde für bessere<br />
Banken sorgen, als sie die makroprudentielle<br />
Überwachung<br />
jemals herbeiregulieren kann.<br />
Es ist Zeit, umzudenken.<br />
Polleit ist Chefvolkswirt der<br />
Degussa Goldhandel. Zuvor<br />
arbeitete der in Münster promovierte<br />
Volkswirt als Chefökonom<br />
für Deutschland bei<br />
der britischen Investmentbank<br />
Barclays Capital.<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 43<br />
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Der Volkswirt<br />
WELTWIRTSCHAFT<br />
Verhängnisvoller Pakt<br />
Mit einer billionenschweren Liquiditätsspritze an die Banken wollte die Europäische<br />
Zentralbank die Realwirtschaft der Euro-Zone reanimieren. Stattdessen haben<br />
südeuropäische Geldhäuser den Geldsegen vor allem zum Kauf heimischer Staatsanleihen<br />
genutzt. Das wird nun zum Risiko für die Bankenunion.<br />
Man muss sich Mario<br />
Draghi als optimistischen<br />
Menschen vorstellen.<br />
„Wir sehen Fortschritte“,<br />
erklärte der Präsident der Europäischen<br />
Zentralbank (EZB) im<br />
März vor dem EU-Parlament in<br />
Brüssel und machte klar, was er<br />
bereits für einen Fortschritt<br />
hält: „Die Kreditflüsse sind<br />
noch immer gedämpft – aber<br />
sie gehen in einem langsameren<br />
Tempo zurück.“<br />
Dass Draghi bereits Zuversicht<br />
verbreitet, wenn sich ein<br />
Rückschritt verlangsamt, zeigt<br />
den immensen Druck, unter<br />
dem die Frankfurter Währungshüter<br />
stehen. Die EZB hat in<br />
den vergangenen beiden Jahren<br />
mit einem Billionen-Euro-Programm<br />
für die Banken versucht,<br />
die Kreditvergabe an Unternehmen<br />
und Konsumenten zu beleben<br />
und die Konjunktur anzukurbeln.<br />
Es war ein historisch<br />
einmaliger finanzieller Kraftakt<br />
– und trotzdem sind die Erfolge<br />
ausgeblieben. In den rezessionsgeplagten<br />
Krisenländern<br />
schrumpft trotz dieser beispiellosen<br />
Geldspritze die Kreditvergabe<br />
an die Privatwirtschaft<br />
weiter. Damit nicht genug: Wie<br />
sich jetzt zeigt, haben die Banken<br />
Italiens, Portugals und Spaniens<br />
die billige EZB-Liquidität<br />
stattdessen in hohem Maß in<br />
heimische Staatsanleihen investiert<br />
und damit ihre Bilanzen<br />
aufgebläht. Das bringt die EZB<br />
nun als zukünftige Aufsichtsbehörde<br />
in der Europäischen Bankenunion<br />
in die Bredouille.<br />
Neben Offenmarktgeschäften<br />
mit einwöchiger Laufzeit gewährt<br />
die EZB den Banken Liquidität<br />
in Form so genannter<br />
Long Term Refinancing Operations<br />
(LTRO), die normalerweise<br />
nur über drei Monate laufen.<br />
Als aber 2011 die Zinsspreads<br />
für Staatsanleihen von Portugal,<br />
Italien, Irland, Griechenland<br />
und Spanien in die Höhe schossen<br />
und die Euro-Zone in die<br />
Rezession taumelte, beschloss<br />
die EZB, den Banken im Rahmen<br />
von zwei LTRO-Geschäften<br />
Liquidität von über einer<br />
Billion Euro mit einer Frist von<br />
drei Jahren zuzuführen. Erklärtes<br />
Ziel der im EZB-Jargon<br />
„Dicke Bertha“ genannten<br />
Mammut-Tender : die Geldpolitik<br />
„effektiv in die Realwirtschaft<br />
zu übertragen“, damit die<br />
Banken „die Kreditvergabe an<br />
Haushalte und Unternehmen in<br />
der Euro-Zone aufrecht erhalten<br />
und ausweiten“.<br />
In Schieflage<br />
Bankenviertel<br />
in Madrid<br />
Für die Banken bedeutete das<br />
billiges Geld: Sie zahlen für die<br />
Tender einen Zinssatz, der sich<br />
nach dem Durchschnitt ihrer<br />
Laufzeit bemisst und der seit<br />
Ende 2011 von 1,0 auf heute<br />
0,25 Prozent gefallen ist. Vor<br />
allem südeuropäische Geldhäuser<br />
griffen begeistert zu,<br />
während die deutschen und<br />
französischen Institute ihre Engagements<br />
begrenzt hielten<br />
oder wieder zurückfuhren (siehe<br />
Grafik Seite 45). So haben die<br />
italienischen Banken ihre Mittelaufnahme<br />
bei der EZB von<br />
knapp 30 Milliarden Euro Anfang<br />
2011 auf 217 Milliarden<br />
Euro Mitte Januar <strong>2014</strong> gesteigert.<br />
Zwischenzeitlich hingen<br />
sie sogar mit 272 Milliarden Euro<br />
am LTRO-Tropf der EZB.<br />
Der Kreditfluss an Betriebe und<br />
Verbraucher kommt nicht in Gang<br />
Auch Spaniens unter der geplatzten<br />
Immobilienblase leidende<br />
Banken langten kräftig<br />
zu. Von knapp 40 Milliarden<br />
Euro Anfang 2011 kletterte das<br />
Volumen bis August 2012 auf<br />
338 Milliarden Euro. Zwar reduzierten<br />
sie dann ihre LTRO-<br />
Bestände, Mitte Januar <strong>2014</strong><br />
standen die spanischen Kreditinstitute<br />
aber immer noch mit<br />
178 Milliarden Euro bei der EZB<br />
in der Kreide. Portugals Banken<br />
schließlich wiesen zuletzt längerfristige<br />
EZB-Finanzierungen<br />
in Höhe von 50 Milliarden Euro<br />
aus, die zu 90 Prozent aus den<br />
beiden Drei-Jahres-Tendern<br />
stammen.<br />
GELD KOMMT NICHT AN<br />
In der Realwirtschaft Südeuropas<br />
kam das Geld aber nicht an.<br />
In Italien schrumpfte die Kreditvergabe<br />
an die heimischen<br />
Unternehmen von 915 Milliarden<br />
Euro im November 2011 bis<br />
Dezember 2013 um insgesamt<br />
100 Milliarden Euro. In Spanien<br />
ging das Kreditvolumen an die<br />
Privatwirtschaft von Ende 2011<br />
bis Mitte 2013 um 13 Prozent, in<br />
Portugal um 4,6 Prozent zurück.<br />
Für Italien gilt auch nicht, was<br />
Draghi für die Euro-Zone insgesamt<br />
als hoffnungsvollen Trend<br />
ausgibt. Dort hat sich der Rückgang<br />
keinesfalls verlangsamt.<br />
Der Banca d’Italia zufolge beschleunigte<br />
sich der Schrumpfprozess<br />
im vergangenen Jahr<br />
sogar noch von 2,6 Prozent im<br />
ersten Quartal auf 5,4 Prozent<br />
im vierten Quartal. Im Januar<br />
<strong>2014</strong> betrug das Minus immer<br />
noch fünf Prozent – doppelt so<br />
viel wie vor einem Jahr.<br />
Dass die Banken die Milliardenhilfe<br />
nicht wie von der EZB<br />
beabsichtigt per Kredit an Konsumenten<br />
und Unternehmen<br />
weiterreichen, entsprach allerdings<br />
betriebswirtschaftlicher<br />
Logik . „Die Qualität der Kredite<br />
verschlechtert sich“, klagt etwa<br />
die Banco de Portugal. Mit 15<br />
respektive 17 Prozent ist vor allem<br />
die Ausfallquote der Unternehmens-<br />
und Konsumentenkredite<br />
hoch. Ähnlich prekär ist<br />
FOTO: LAIF/GUNNAR KNECHTEL<br />
44 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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die Lage in Italien: Hier hat sich<br />
der Bestand an notleidenden<br />
Krediten seit 2010 in etwa verdoppelt.<br />
Das Ausfallrisiko liegt<br />
bei gut 13 Prozent. Auch in<br />
Spanien hat das Volumen fragwürdiger<br />
Kredite zugenommen<br />
– innerhalb eines Jahres um<br />
mehr als fünf Prozent.<br />
Deshalb müssen die Banken<br />
mit Blick auf Basel III ihr Kreditgeschäft<br />
mit mehr Eigenkapital<br />
unterlegen – woran es ihnen<br />
mangelt. Oder sie müssen ihr<br />
Kreditportfolio zurückfahren,<br />
wollen sie die Vorgaben einhalten<br />
– genau dies tun sie gerade.<br />
Statt für Kredite an Unternehmen<br />
und Konsumenten kaufen<br />
die Banken mit dem billigen<br />
EZB-Geld lieber heimische<br />
Staatstitel. Denn im Unterschied<br />
zu Unternehmenskrediten gilt<br />
für Euro-Staatsanleihen nach<br />
wie vor die Fiktion, sie seien frei<br />
von Ausfallrisiken. Deshalb<br />
brauchen die Banken dafür kein<br />
teures Eigenkapital vorzuhalten<br />
– und erzielen mit den Staatsanleihen<br />
ähnlich hohe Zinsen wie<br />
bei Unternehmenskrediten.<br />
So haben Italiens Banken ihren<br />
Bestand an heimischen<br />
Staatstiteln in den beiden vergangenen<br />
Jahren um 160 Milliarden<br />
Euro aufgestockt. Das<br />
entspricht in etwa dem Betrag,<br />
der ihnen in dieser Zeit aus<br />
Frankfurt zufloss – und um den<br />
die italienische Staatsschuld in<br />
dieser Zeit netto stieg. Für die<br />
Banken ein gutes Geschäft: Für<br />
die Frankfurter Milliarden zahlen<br />
sie weniger als ein Prozent<br />
Zinsen, italienische Staatsanleihen<br />
brachten ihnen je nach<br />
Laufzeit zwischen vier und<br />
sechs Prozent Zinsen. Ende<br />
2013 machten italienische<br />
Staatsanleihen bereits zehn<br />
Prozent der Bilanzsumme italienischer<br />
Banken aus, ein Anstieg<br />
um 1,3 Punkte binnen eines<br />
Jahres.<br />
Auch die spanischen Banken<br />
haben in erheblichem Umfang<br />
heimische Staatsanleihen gekauft.<br />
Ihr Bestand stieg in den<br />
beiden Jahren bis Mitte 2013<br />
um 147 Milliarden Euro. Portugals<br />
Banken wiesen Mitte vergangenen<br />
Jahres 57 Milliarden<br />
Euro Staatsanleihen – überwiegend<br />
portugiesische – in ihren<br />
Bilanzen aus. Der Anteil dieser<br />
Staatsschulden am Wertpapierportfolio<br />
der Banken hat sich<br />
seit 2009 fast vervierfacht und<br />
liegt heute bei 37 Prozent.<br />
Geldsegen für Südeuropa<br />
Mittelaufnahmender nationalen<br />
Banken aus dem LTRO-<br />
Programm der EZB (in Mrd. €)<br />
350<br />
300<br />
250<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
0<br />
Spanien<br />
Deutschland<br />
2011 2012 2013 14<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
Italien<br />
Frankreich<br />
Fakt ist:Banken und Staaten<br />
sind einen verhängnisvollen<br />
Pakt eingegangen. Nicht nur<br />
können die Banken Staatsanleihen<br />
bei der EZB als Sicherheit<br />
für LTRO-Gelder hinterlegen,<br />
um diese dann – wie in einer<br />
Pyramide – wieder in Staatsanleihen<br />
anzulegen. Die EZB hat<br />
auch ihre Sicherheitsanforderungen<br />
reduziert. So dürfen die<br />
Banken auch eigene Schuldverschreibungen<br />
als Sicherheit<br />
hinterlegen, wenn diese Titel<br />
von ihren Regierungen garantiert<br />
werden. Die Politik ziert<br />
sich wenig – damit die Banken<br />
erneut heimische Anleihen<br />
kaufen. Die Geldhäuser sind so<br />
in ihren Ländern zu den Hauptabnehmern<br />
von Staatsanleihen<br />
avanciert.<br />
Durch die von den LTRO-Geldern<br />
angeheizte Nachfrage<br />
nach Staatsanleihen konnten<br />
Italien, Spanien und Portugal<br />
zudem ihre Schuldtitel bequem<br />
unterbringen, ohne höhere<br />
Renditen zahlen zu müssen. So<br />
erleichterte das LTRO-Programm<br />
den Krisenstaaten das<br />
Schuldenmachen – und verringerte<br />
den Reformdruck.<br />
Die Schieflage in den<br />
Bankenbilanzen durch das<br />
Übergewicht an Staatsanleihen<br />
der überschuldeten Südländer<br />
wird für die EZB nun zum Problem:<br />
Anfang November übernimmt<br />
sie die Aufsicht über die<br />
rund 130 größten und systemrelevanten<br />
Banken. Derzeit prüft<br />
Unwucht im Bankensektor<br />
Anteil derStaatsanleihen an<br />
der Bilanzsumme der Banken<br />
(in Prozent)<br />
2010*<br />
2013**<br />
5,1<br />
10,0<br />
12,8<br />
17,2<br />
9,4<br />
11,8<br />
Italien Spanien Portugal<br />
*Ende 2010; ** Juni; Quelle: Banco de<br />
España, Banca d’Italia, Banco de Portugal<br />
sie deren Bilanzen, um nicht die<br />
Verantwortung für etwaige Krisenbanken<br />
aufgehalst zu bekommen.<br />
Dazu müsste die EZB<br />
eigentlich auch die Risiken bei<br />
jenen Banken berücksichtigen,<br />
die massenhaft Staatsanleihen<br />
von Krisenländern halten.<br />
STRESSTEST IM MAI<br />
Doch solange Euro-Staatsanleihen<br />
als risikolos gelten, ist die<br />
EZB gezwungen, diese Schlagseite<br />
zu tolerieren. Als Bankenaufsicht<br />
kann sie in dieser<br />
Frage nicht auf einmal strenge<br />
Maßstäbe an die Banken anlegen,<br />
nachdem sie selbst die Anreize<br />
gesetzt hat, die die Banken<br />
in den Anleihenkaufrausch trieben.<br />
„Die EZB wird an ihrer laxen<br />
Geldpolitik festhalten und<br />
den Banken weiter Liquidität zu<br />
Niedrigstzinsen gewähren, damit<br />
diese nicht in neue Schwierigkeiten<br />
geraten“, prophezeit<br />
der Bonner Geldtheoretiker<br />
Manfred J. Neumann.<br />
Die EZB ignoriert auch die<br />
Folgen für die gemeinsame Haftung<br />
in der Bankenunion, wenn<br />
ein Land seine Schulden nicht<br />
mehr bedienen kann, die EZB<br />
zuvor aber den hohen Anteil<br />
von Staatsanleihen in den Bankenbilanzen<br />
nicht beanstandet<br />
hat. In dem im Mai startenden<br />
Stresstest, bei dem die EZB die<br />
Auswirkungen einer Finanzund<br />
Wirtschaftskrise auf die<br />
Bankbilanzen simuliert, werde<br />
dieser Fall in den Szenarien der<br />
EZB nicht auftauchen, ist sich<br />
ein Bankvolkswirt sicher.<br />
Nicht umsonst warnte der Internationale<br />
Währungsfonds<br />
Ende 2013 in einem Bericht zur<br />
Stabilität der italienischen Banken:<br />
„Die Verbindung zwischen<br />
Finanzsektor und italienischem<br />
Staat bleibt eines der Hauptrisiken<br />
für das Bankensystem.“<br />
Eine implizite Kritik auch an<br />
der Banca d’Italia, zu deren Aufgaben<br />
die Aufsicht über die italienischen<br />
Banken gehört und<br />
an deren Spitze Draghi von<br />
2006 bis 2011 stand.<br />
Als der EZB-Chef im März zu<br />
den Europaabgeordneten in<br />
Brüssel sprach, veröffentlichte<br />
Eurostat fast zeitgleich den Januarwert<br />
für die Kreditvergabe<br />
an Unternehmen und Haushalte<br />
im Euro-Raum. Diese war den<br />
21. Monat in Folge gesunken –<br />
trotz „Dicker Bertha“. Analysten<br />
rätseln nun, was die EZB jetzt<br />
noch im Köcher hat. Draghi<br />
spricht vage von „unkonventionellen<br />
Instrumenten“, mit denen<br />
die EZB der angeblichen<br />
Deflationsgefahr zu Leibe rücken<br />
müsse. Doch dazu müsste<br />
die Inflationsrate weiter fallen,<br />
meint Stefan Schilbe, Chefökonom<br />
bei HSBC Trinkaus. Er<br />
rechnet deshalb mit einer Entscheidung<br />
erst zur Jahresmitte.<br />
Von Parlamentariern darauf<br />
hingewiesen, dass die Bank of<br />
England ihre Liquiditätshilfen<br />
für Banken an die Verpflichtung<br />
zu einer Kreditvergabe an die<br />
Realwirtschaft knüpfe, antwortete<br />
Draghi in militärischer Diktion:<br />
„Das ist ein Instrument,<br />
das wir in unserer Artillerie haben<br />
– und wir denken darüber<br />
auch nach.“<br />
Optimismus klingt irgendwie<br />
anders.<br />
n<br />
klaus.methfessel | politik@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 45<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Kampf um Verlässlichkeit<br />
INVESTITIONSSCHUTZABKOMMEN | Schiedsverfahren für Konflikte zwischen Investoren<br />
und Staaten sind so in Verruf gekommen, dass die Freihandelsverhandlungen<br />
mit den USA deswegen zu scheitern drohen. Auch wenn Gegner sie zu Unrecht als<br />
Hinterzimmer-Rechtsprechung schmähen: Für Unternehmen sind sie existenziell.<br />
Die Investition schien eine sichere<br />
Sache zu sein. Im Sommer<br />
2011 erwarb der Fonds RREEF<br />
Infrastructure, eine Tochter der<br />
Deutschen Bank, für rund 400<br />
Millionen Euro 45 Prozent an zwei Solaranlagen<br />
in Guadix in der spanischen Provinz<br />
Granada. Das sonnige Klima und der spanische<br />
Einspeisetarif für Solarstrom ließen<br />
hohe Renditen erwarten. „Beide Anlagen<br />
profitieren von einem transparenten, stabilen<br />
und attraktiven Regulierungsumfeld mit<br />
einer Abnahmegarantie während ihrer Betriebsdauer“,<br />
warb der in Luxemburg ansässige<br />
Fonds bei Profi-Anlegern.<br />
Doch im Dezember 2011 wechselte in<br />
Madrid die Regierung. Als eine seiner<br />
ersten Amtshandlungen strich Ministerpräsident<br />
Mariano Rajoy die großzügigen<br />
Subventionen für erneuerbare Energien<br />
radikal zusammen. Der 2007 für 25 Jahre<br />
festgezurrte Einspeisepreis entfiel komplett.<br />
Damit schrumpft der Gewinn von Solaranlagen<br />
um rund 45 Prozent, schätzt der<br />
spanische Branchenverband Unef.<br />
Die spanischen Konservativen argumentieren,<br />
dass die Subventionen, die zwischen<br />
2005 und 2013 um den Faktor acht<br />
explodierten, in der Krise nicht mehr finanzierbar<br />
waren. Der Fonds der Deutschen<br />
Bank dagegen hält den unangekündigten<br />
Politikschwenk für illegal. Unter Berufung<br />
auf den internationalen Energiecharta-Vertrag<br />
hat RREEF daher ein Verfahren<br />
gegen Spanien vor dem Schiedsgericht<br />
der Weltbank eingeleitet, dem International<br />
Centre for Settlement of Investment<br />
Disputes (ICSID). Der Fonds klagt somit<br />
sein Recht als Investor auf ein verlässliches<br />
Umfeld ein.<br />
Der Fall mit dem Aktenzeichen ARB/13/<br />
30 steht für einen Trend. Zunehmend wehren<br />
sich Unternehmen vor Schiedsgerichten<br />
gegen politische Entscheidungen,<br />
wenn es um Diskriminierung, Enteignung<br />
oder willkürliche Strategiewechsel geht.<br />
Schiedsverfahren nehmen seit der Jahrtausendwende<br />
rasant zu (siehe Grafik), und<br />
die Zahl dürfte weiter steigen.<br />
Mehr Klagen gegen Staaten<br />
Anzahl derweltweiten Schiedsverfahren*<br />
500<br />
400<br />
300<br />
200<br />
100<br />
Verfahren beim Schiedsgericht<br />
der Weltbank<br />
Verfahren bei anderen<br />
Schiedsgerichten<br />
<strong>19</strong>87 2000 2012<br />
*Gesamtbestand; Quelle: Unctad<br />
Klagefreudige Deutsche<br />
Zahl der Schiedsverfahren nach<br />
Herkunftsland des Investors bis<br />
Ende 2012<br />
USA<br />
Niederlande<br />
Großbritannien<br />
Deutschland<br />
Kanada<br />
Frankreich<br />
Schweiz<br />
Quelle:Unctad, ICSID<br />
20 40 60 80 100<br />
120<br />
Für Unternehmen sind solche Verfahren<br />
existenziell. Globalisierungskritiker haben<br />
sie allerdings so diffamiert, dass die laufenden<br />
Verhandlungen über das transatlantische<br />
Freihandelsabkommen TTIP zwischen<br />
der EU und den USA an diesem Thema<br />
zu scheitern drohen. Auch deutsche<br />
Politiker, allen voran Sozialdemokraten,<br />
betrachten die Schiedsverfahren als Angriff<br />
auf die Demokratie.<br />
Auslöser für die neue Betrachtungsweise<br />
ist das Novum, dass sich die Klagen verstärkt<br />
gegen entwickelte Länder richten.<br />
Betrafen die Investoren-Staat-Klagen in<br />
den vergangenen Jahrzehnten vor allem<br />
Entwicklungs- und Schwellenländer, häufen<br />
sich jetzt Verfahren gegen europäische<br />
Staaten. 2013 betraf fast jedes dritte neue<br />
Verfahren bei ICSID ein Land in Europa.<br />
ANGRIFF AUF DIE DEMOKRATIE?<br />
Basis für diese Klagen sind – neben der<br />
Energie-Charta – Investitionsschutzabkommen,<br />
von denen bis 2012 alleine<br />
Deutschland 131 mit anderen Ländern<br />
eingegangen ist. Weltweit gibt es mehr<br />
als 3000 solcher völkerrechtlichen Verträge,<br />
die meist Schiedsgerichte vorsehen,<br />
um Streit zwischen Investoren und<br />
Staaten beizulegen. Die Idee: Eine neutrale<br />
dritte Partei schlichtet, damit sich nicht<br />
jedes Mal der Außenminister einschalten<br />
muss.<br />
„Nachdem der Bundestag die Abkommen<br />
abgesegnet hatte, fand jahrelang<br />
keine Diskussion darüber statt, auch nicht<br />
in der Wissenschaft“, sagt Christian Tietje,<br />
Juraprofessor an der Martin-Luther-<br />
Universität Halle-Wittenberg und einer<br />
der profiliertesten Kenner der Materie.<br />
»<br />
FOTO: ACTION PRESS/DIE BILDSTELLE<br />
46 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Streitfall<br />
VATTENFALL<br />
gegen<br />
DEUTSCHLAND<br />
Der schwedische Staatskonzern<br />
verließ sich auf die angekündigte<br />
Verlängerung der Laufzeiten für<br />
Atomkraftwerke und investierte in<br />
Deutschland. Dann kam die Energiewende.<br />
Vattenfall fordert nun Schadensersatz.<br />
Der Fall rüttelte die Politik auf, weil<br />
erstmals ein Investor in großem Stil von<br />
Berlin Verlässlichkeit einfordert. Lange<br />
richteten sich Investor-Staat-Klagen nur<br />
gegen unterentwickelte Länder.<br />
Streitwert 3,8 Milliarden Euro<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 47<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Seit Investorenschutz und Schiedsverfahren<br />
Teil des TTIP werden sollen, ist die<br />
Meinungsfreude allerdings schlagartig angestiegen.<br />
Nichtregierungsorganisationen (NGOs)<br />
wie die Lobbykritiker von Corporate Europe<br />
Observatory (CEO) in Brüssel stellen die<br />
Investor-Staat-Klagen als Angriff auf die<br />
Demokratie dar, die Steuerzahlern Entschädigungszahlungen<br />
in Milliardenhöhe<br />
aufbürden und gleichzeitig den Aktionsradius<br />
der Politik stark einengen. Denn jeder<br />
Politikwechsel könnte teure juristische<br />
Auseinandersetzungen vor Schiedsgerichten<br />
nach sich ziehen. „Die internationalrechtliche<br />
Zementierung der Konzernherrschaft<br />
ist in vollem Gange“, befürchtet<br />
CEO-Frontfrau Pia Eberhardt.<br />
Die Kritik von CEO und anderen Globalisierungsgegnern<br />
findet in der Politik Widerhall.<br />
So sagt Umweltministerin Barbara<br />
Hendricks (SPD) über den Investitionsschutz<br />
im TTIP: „Ein solches Schlupfloch<br />
würde die Errungenschaften von 150 Jahren<br />
Arbeiterbewegung, 100 Jahren Frauenbewegung<br />
und 50 Jahren Umweltbewegung<br />
mit einem Federstrich zerstören.“ Ihr<br />
Parteifreund, Bundeswirtschaftsminister<br />
Sigmar Gabriel, plädiert dafür, den Investorenschutz<br />
ersatzlos aus TTIP zu streichen.<br />
Wegen der harschen Kritik hat EU-Handelskommissar<br />
Karel de Gucht die Verhandlungen<br />
mit den USA zum Investorenschutz<br />
ausgesetzt. Um die öffentliche Meinung<br />
zu drehen, hat er eine Anhörung begonnen,<br />
bei der alle Interessierten Stellung<br />
nehmen können. In Brüssel herrscht die<br />
Überzeugung, dass Deutschland mit einem<br />
Bestand von mehr als 1,144 Billionen<br />
Euro Direktinvestitionen im Ausland viel<br />
zu verlieren hätte, würde der Investorenschutz<br />
geschwächt.<br />
Streitfall<br />
DEUTSCHE BANK<br />
gegen<br />
SPANIEN<br />
Die Regierung Rajoy<br />
kürzte radikal<br />
die auf 25 Jahre<br />
angelegte Förderung<br />
erneuerbarer<br />
Energien. Eine<br />
Deutsche-Bank-<br />
Tochter, die 400<br />
Millionen Euro in<br />
zwei Solaranlagen investierte,<br />
sieht ihre<br />
Rendite wegbrechen.<br />
Auch RWE erwägt eine<br />
Klage wegen schlechterer<br />
Förderbedingungen.<br />
DIE UNTERNEHMEN SCHWEIGEN<br />
Doch die Wirtschaft meldet sich nur zögerlich<br />
zu Wort. Der Bundesverband der<br />
Deutschen Industrie (BDI) weist in einem<br />
Positionspapier darauf hin, dass Investor-<br />
Staats-Schiedsverfahren „unabkömmlich“<br />
seien, um „Investitionen im Ausland angemessen<br />
zu schützen“. Die großen Unternehmen<br />
und ihre Juristen bleiben dagegen<br />
erschreckend still. „Im Einzelfall mag ein<br />
Schiedsverfahren überlebenswichtig für<br />
ein Unternehmen sein“, sagt Christoph Benedict,<br />
Syndikus des Anlagenbauers Alstom<br />
in Deutschland, der in seiner Laufbahn<br />
schon zwei Verfahren begleitet hat.<br />
„Aber es ist ungefähr so, als wollte man<br />
Yachtbesitzer für eine Debatte über Rettungsinseln<br />
begeistern. Die reden lieber<br />
über Regatten.“<br />
In der öffentlichen Debatte dominiert<br />
dagegen die Angst. Seit der schwedische<br />
Versorger Vattenfall Deutschland vor dem<br />
Schiedsgericht der Weltbank wegen der<br />
Energiewende verklagt hat, erscheinen Investor-Staat-Verfahren<br />
hierzulande in einem<br />
neuen Licht. „Investorenschutz ist<br />
keine Einbahnstraße“, sagt Reinhard Quick,<br />
Handelsexperte des Verbands der Chemischen<br />
Industrie. „Aber das war vielen in<br />
Berlin wohl nicht bewusst.“<br />
Vielen Abgeordneten erscheint ungeheuerlich,<br />
dass ein ausländischer Staatskonzern<br />
die Energiewende infrage stellt.<br />
Dabei pochen die Schweden nur auf ihr<br />
gutes Recht. Das Unternehmen argumentiert,<br />
dass es sich auf die ursprüngliche Verlängerung<br />
der Laufzeit von Atomkraftwerken<br />
verlassen und entsprechend investiert<br />
habe. Dem Vernehmen nach fordert Vattenfall<br />
3,8 Milliarden Euro Schadensersatz<br />
von Deutschland.<br />
Für Urban Rusnák, Generalsekretär des<br />
Sekretariats der Energie-Charta, auf die<br />
sich Vattenfall beruft, ist die Klage logisch.<br />
Die Energie-Charta sei geschaffen worden,<br />
um Investoren vor abrupten Politikveränderungen<br />
zu schützen. „Gerade im Bereich<br />
Energie, wo Investitionen auf 40, 50 oder<br />
gar 60 Jahre kalkuliert werden, brauchen<br />
Unternehmen Berechenbarkeit“, sagt Rusnák.<br />
Andernfalls sinke der Anreiz für Investitionen,<br />
die teurer würden, weil dann eine<br />
Risikoprämie anfiele.<br />
Doch in Europa tun sich viele Regierungen<br />
schwer mit dem Gedanken, dass Investoren<br />
von ihnen Verlässlichkeit einfordern<br />
können.<br />
Die USA sind beim Thema Investitionsschutz<br />
schon weiter, weil die <strong>19</strong>94 gegründete<br />
Freihandelszone Nafta – ein Zusammenschluss<br />
von den USA, Kanada und Mexiko<br />
– das Thema ins öffentliche Bewusstsein<br />
gerückt hat.<br />
Weil damals Investoren aus Mexiko und<br />
Kanada begannen, den amerikanischen<br />
Staat zu verklagen, und damit indirekt US-<br />
Gesetze infrage stellten, gerieten die Investitionsschutzvereinbarungen<br />
bald in die<br />
Kritik. Auslöser der Debatte war die Klage<br />
der kanadischen Methanex <strong>19</strong>99, die sich<br />
durch neue kalifornische Umweltgesetze<br />
um Marktchancen betrogen sah.<br />
NOCH NIE VERLOREN<br />
Die USA wurden seither 17-mal auf der Basis<br />
des Nafta-Abkommens auf Schadensersatz<br />
verklagt, 34-mal traf es Kanada, 25-mal<br />
Mexiko. Die USA steckten viel Energie in<br />
ihre Verteidigung. „Als ein Land, das nach<br />
den Regeln spielt und die Gesetze achtet,<br />
haben wir bis heute nicht eine einzige Investitionsschutzklage<br />
verloren“, heißt es<br />
stolz aus dem Weißen Haus.<br />
Amerikanische Investoren und Anwaltskanzleien<br />
lernten Ende der Neunzigerjahre<br />
schnell, die Investitionsschutzabkommen<br />
für sich zu nutzen. Nicht nur das Nafta-Abkommen<br />
beflügelte ihre millionenteuren<br />
Prozesse, sondern auch die Argentinien-<br />
Krise zwischen <strong>19</strong>98 und 2002.<br />
„Es gab als Folge der Umbrüche in Argentinien<br />
rund 40 Klagen, die meisten aus<br />
den USA“, sagt der Washingtoner Anwalt<br />
Ian Laird, Partner der Kanzlei Crowell &<br />
Moring, einer der führenden US-Experten<br />
für internationale Schiedsverfahren. „Das<br />
war die erste Welle, die das Thema bekannt<br />
machte. Seither boomt es.“<br />
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48 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Im Zuge der Argentinien-Krise verdreifachte<br />
sich die Zahl neuer Investitionsschutzklagen<br />
gegen das Land auf gut zehn<br />
pro Jahr. Auch deutsche Unternehmen gingen<br />
gegen Argentinien vor Schiedsgerichten<br />
vor, darunter Siemens, der Öl- und<br />
Gasproduzent Wintershall sowie Daimler<br />
Financial Services.<br />
In Berlin blenden Politiker bei der Diskussion<br />
aus, dass auch deutsche Unternehmen<br />
häufig auf Schiedsverfahren zurückgreifen.<br />
27 Fälle, in denen sie Staaten verklagt<br />
haben, sind bekannt. Das macht die<br />
Deutschen zur viertaktivsten Klägergruppe<br />
hinter Amerikanern, Briten und Niederländern<br />
(siehe Grafik Seite 46).<br />
Der Infrastruktur-Fonds der Deutschen<br />
Bank etwa wäre wohl kaum gegen Spanien<br />
vorgegangen, hätten die Frankfurt Banker<br />
nicht schon einmal ein internationales<br />
Schiedsverfahren gewonnen. 2012 sprach<br />
ICSID der Deutschen Bank 60 Millionen<br />
Dollar Schadensersatz zu, weil Sri Lanka<br />
vorzeitig ein Hedging-Geschäft aufkündigte.<br />
Der Fall erregte in der Fachwelt Aufsehen,<br />
weil Sri Lanka der Deutschen Bank<br />
zusätzlich fast acht Millionen Dollar Anwaltskosten<br />
ersetzen musste.<br />
Die meisten Verfahren schaffen es allerdings<br />
nicht in die deutsche Presse. So<br />
nahm kaum jemand davon Notiz, dass die<br />
Deutsche Telekom im vergangenen September<br />
Indien bei der ICSID verklagt hat,<br />
weil die Regierung 2011 einen öffentlichen<br />
Auftrag zurückgezogen hatte.<br />
Das indische Start-up Devas Multimedia,<br />
an dem die Telekom mit 20 Prozent beteiligt<br />
ist, hatte eine Ausschreibung gewonnen,<br />
um entlegene Gegenden via Satellit mit<br />
Breitband-Internet zu versorgen. Der damalige<br />
Telekom-Chef René Obermann sah<br />
in Indien einen vielversprechenden Markt.<br />
Er kannte den Wankelmut der Regierung<br />
noch nicht. Die argumentierte plötzlich,<br />
dass die staatlichen Satelliten ausschließlich<br />
für „strategische Bedürfnisse“ wie Verteidigung<br />
zur Verfügung stehen müssten,<br />
und zog den Auftrag zurück. Die Telekom<br />
verlangt nun Schadensersatz in unbekannter<br />
Höhe, die beiden US-Investoren Columbia<br />
Capital und Telecom Ventures fordern<br />
eine Entschädigung von 1,6 Milliarden<br />
Euro.<br />
LANGE VERFAHRENSDAUER<br />
Volten bei der Auftragsvergabe sind ein<br />
häufiges Problem für Investoren im Ausland.<br />
So gab 2007 Algerien dem Gelsenkirchener<br />
Versorger Gelsenwasser den Zuschlag,<br />
um die Infrastruktur für Trink- und<br />
Streitfall<br />
DEUTSCHE TELEKOM<br />
gegen<br />
INDIEN<br />
Mit der Beteiligung<br />
an dem Startup<br />
Devas wollte<br />
die Telekom in<br />
den indischen<br />
Markt einsteigen.<br />
Doch die Regierung<br />
zog den<br />
Auftrag zurück,<br />
entlegene Gegenden<br />
mit Breitband-Internet<br />
zu versorgen.<br />
Im gleichen Fall fordern<br />
zwei Co-Investoren 1,6<br />
Milliarden Dollar.<br />
Abwasser für eine Million Menschen in<br />
den Regionen Annaba und El Tarf zu organisieren.<br />
Vorstandschef Manfred Scholle<br />
jubelte damals über die Internationalisierung<br />
seines Unternehmens.<br />
Doch die Regierung brach den über fünfeinhalb<br />
Jahre geschlossenen Vertrag schon<br />
drei Jahre vor dem Ende ab. Den Deutschen<br />
fehle es an Fachkenntnissen, hieß es<br />
zur Begründung. Nun treffen sich die beiden<br />
Parteien vor dem Schiedsgericht der<br />
Weltbank in Washington wieder.<br />
Gelsenwasser wird sich allerdings in Geduld<br />
üben müssen. Denn Fälle wie Fraport<br />
und Walter Bau belegen, wie sich die Verfahren<br />
in die Länge ziehen können. Seit<br />
2003 streitet Fraport mit den Philippinen<br />
bei ICSID um Terminal 3 des Hauptstadtflughafens<br />
in Manila. Die Frankfurter hatten<br />
den Zuschlag für Bau und Betrieb erhalten,<br />
2002 verfügte die damalige Präsidentin<br />
Gloria Macapagal Arroyo aber die<br />
Enteignung, weil ausländische Investoren<br />
nicht über Beteiligungen in die heimische<br />
Versorgungswirtschaft gelangen sollten.<br />
Fraport fordert eine Entschädigung von<br />
425 Millionen Dollar.<br />
Einen noch längeren Atem beweist der<br />
Insolvenzverwalter des Augsburger Bauunternehmens<br />
Walter Bau, der seit 20 Jahren<br />
um eine Entschädigung für Bau und<br />
Betrieb einer Mautautobahn zum Flughafen<br />
Bangkok streitet. Die erhofften Erträge<br />
blieben aus, weil Thailand parallel eine<br />
mautfreie Straße baute.<br />
FLUGZEUG GEPFÄNDET<br />
ICSID hat dem Kläger mehr als 35 Millionen<br />
Euro plus Zinsen zugesprochen.<br />
„Doch seit fast zehn Jahren versucht Thailand<br />
mit allen möglichen Mitteln, aus der<br />
Zahlungsverpflichtung herauszukommen“,<br />
sagt der Insolvenzverwalter von Walter<br />
Bau, Werner Schneider.<br />
Als einziger deutscher Schiedsfall schaffte<br />
es diese Auseinandersetzung bis in die<br />
Klatschspalten der „Bunte“: Schneider ließ<br />
2011 einen Jet der Royal Thai Air Force in<br />
München pfänden, die der thailändische<br />
Kronprinz als sein persönliches Eigentum<br />
ansah. Um die Maschine zurückzubekommen,<br />
hat Thailand inzwischen eine Bankbürgschaft<br />
als Sicherheit für die schuldigen<br />
Millionen hinterlegt.<br />
Wie die meisten Investoren hat Schneider<br />
versucht, die Regierung in Bangkok<br />
zum Einlenken zu bringen, ehe er zum<br />
Schiedsverfahren griff. Leichtfertig lässt<br />
sich kein Unternehmen darauf ein, schon<br />
allein wegen der Verfahrenskosten: Die beziffert<br />
die Welthandelskonferenz Unctad<br />
auf durchschnittlich acht Millionen Dollar.<br />
Oft entscheiden sich Investoren auch erst<br />
für ein Schiedsverfahren, wenn sie sich aus<br />
einem Land ohnehin zurückziehen wollen.<br />
Es ist dann ein Schlussstrich unter eine<br />
schwierige Beziehung.<br />
Meist haben Unternehmen schon mehrere<br />
Eskalationsstufen hinter sich, bevor sie<br />
ein Schiedsverfahren anstreben. Auf die<br />
ersten Verhandlungen folgt ein formalisiertes<br />
Verfahren, wie die Schadensersatzansprüche<br />
aus der Welt zu schaffen seien. Oft<br />
gelingt es in den Vorstufen, den Streit beizulegen.<br />
Alleine die Androhung eines<br />
Schiedsverfahrens kann dabei helfen.<br />
Oder Investoren erleben, dass ein<br />
Schiedsverfahren Bewegung in verfahrene<br />
Gespräche bringt, weil ihr Anliegen plötzlich<br />
zur Chefsache wird. „Auf einmal sind<br />
Außen- und Wirtschaftsministerium da-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 49<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
INTERVIEW Friedrich Merz<br />
»Öffentlich tagen«<br />
Der Anwalt und Chef des Netzwerks Atlantik-Brücke spricht sich für<br />
internationale Schiedsgerichte aus – und mehr Transparenz dabei.<br />
Herr Merz, die EU hat die Verhandlungen<br />
zu Investitionsschutz und Schiedsgerichten<br />
ausgesetzt. In der Öffentlichkeit<br />
dominieren die NGOs. Wer hat versagt<br />
– die Politik oder die Wirtschaft?<br />
Da hat niemand versagt, es geht um ein<br />
ernsthaftes und komplexes Abkommen.<br />
TTIP muss kommen, weil es für beide<br />
Seiten viel Positives enthält:den Abbau<br />
der Zölle, die Marktöffnung und die<br />
schrittweise gegenseitige Anerkennung<br />
und Harmonisierung der technischen<br />
Standards. Wenn dann noch die in solchen<br />
Verträgen allgemein übliche Investitionsschutzklausel<br />
in den Vertrag<br />
käme, wäre es gut. Aber daran darf TTIP<br />
nicht scheitern. Im Übrigen: Es gibt<br />
auch NGOs, die TTIP befürworten – die<br />
Atlantik-Brücke ist eine davon.<br />
Internationale Schiedsgerichte stehen<br />
in vielen Verträgen. Warum ist es mit<br />
den USA ein Problem?<br />
Es gibt Zweifel, ob man zwischen Staaten<br />
mit stabilen Rechtsordnungen solche<br />
Schutzklauseln überhaupt braucht. Am<br />
Ende geht es darum, ob europäische Investoren<br />
in Amerika und amerikanische<br />
Investoren in Europa sich allein auf die<br />
ordentliche Gerichtsbarkeit verlassen<br />
sollen, wenn es um die Wahrung ihrer<br />
Rechte und den Schutz ihres Eigentums<br />
geht. Für europäische Unternehmen<br />
könnte es vorteilhafter sein, solche Fragen<br />
vor einem internationalen Schiedsgericht<br />
klären zu lassen als vor US-<br />
Gerichten. Vor denen sind Verfahren ja<br />
nicht nur extrem teuer, sondern auch<br />
unkalkulierbar in ihren Ergebnissen.<br />
Kann man Missbrauch ausschließen?<br />
Manche juristische Begriffe wie „de<br />
facto-Enteignung“ oder „Gebot gerechter<br />
und billiger Behandlung“ sind nach<br />
unserer Rechtsordnung nur schwer justitiabel.<br />
Deshalb muss eine Investitionsschutzklausel<br />
klar und eindeutig formuliert<br />
werden. Es gibt ja ohnehin keine<br />
Standardklausel. Man könnte auch eine<br />
Berufungsinstanz einführen, um die<br />
Abhängigkeit von einer Instanz zu verringern.<br />
Aber Investitionsschutzabkommen<br />
sind grundsätzlich nichts Neues, die<br />
WTO zählt 377 solcher Abkommen, die in<br />
Kraft sind. Deutschland ist Vertragspartner<br />
in mehr als 140 dieser Abkommen.<br />
Die Gerichte tagen im Geheimen, am<br />
Ende muss der Staat aber vielleicht Milliardensummen<br />
zahlen. Wie ist das dem<br />
Steuerzahler zu vermitteln?<br />
Die spektakulären Fälle, die immer genannt<br />
werden, sind drei: Philip Morris gegen<br />
Australien, Vattenfall gegen Deutschland<br />
und Lone Pine gegen Kanada. Diese Verfahren<br />
sind noch nicht abgeschlossen und<br />
DER TRANSATLANTIKER<br />
Merz, 58, ist Partner mit Sitz in Düsseldorf<br />
bei der internationalen Anwaltskanzlei Mayer<br />
Brown und Vorsitzender des deutschamerikanischen<br />
Netzwerks Atlantik-Brücke.<br />
Bis 20<strong>04</strong> war Merz für die CDU in der<br />
Bundespolitik, zuletzt als Vize-Fraktionschef.<br />
taugen deshalb auch nicht als Argumente<br />
gegen ein Abkommen mit den USA. Im Übrigen<br />
bestreitet niemand, dass die europäischen<br />
Staaten genauso wie die USA das<br />
Recht behalten müssen, ihre Gesetze zu ändern,<br />
ohne dass es zu Schadensersatzforderungen<br />
der Unternehmen kommt mit Hinweis<br />
auf das Investitionsschutzabkommen.<br />
Der wesentliche Vorteil einer solchen Vereinbarung<br />
liegt vor allem in der geschützten<br />
und einklagbaren Gleichbehandlung<br />
inländischer und ausländischer Unternehmen.<br />
Und daran müssten wir Europäer<br />
doch ein hohes Interesse haben.<br />
Wie problematisch ist die Verdunkelung?<br />
Entscheidung und vor allem<br />
Begründung bleiben oft geheim.<br />
Ich sehe keinen Grund, warum Schiedsgerichte<br />
nicht öffentlich tagen sollten,<br />
wie ordentliche Gerichte auch. Die meisten<br />
Schiedsgerichtsentscheidungen werden<br />
nach Abschluss der Verfahren ja<br />
auch veröffentlicht. Wenn nicht, haben<br />
oft die beklagten Staaten kein Interesse<br />
an einer Veröffentlichung, um eigene<br />
Fehler zu vertuschen. Verfahren, die die<br />
Steuerhaushalte betreffen, können und<br />
müssen aus meiner Sicht öffentlich sein.<br />
Amerikanische Anwälte gelten als einfallsreich<br />
und geschäftstüchtig. Werden<br />
europäische Staaten mit fadenscheinigen<br />
Klagen überzogen, vielleicht noch<br />
gestützt von Prozessfinanzierern?<br />
Die Gefahr sehe ich nicht, denn es werden<br />
ja nur sehr eingegrenzte Sachverhalte<br />
in die Zuständigkeit der Schiedsgerichte<br />
fallen. Wenn das Abkommen klare<br />
Regelungen trifft und lediglich eine<br />
Meistbegünstigungsklausel enthält und<br />
den Grundsatz der Gleichbehandlung<br />
inländischer und ausländischer Unternehmen,<br />
dann gibt es mit Sicherheit keine<br />
Klagewelle vor den Schiedsgerichten,<br />
weder in den USA noch in Europa. Änderungen<br />
von Umweltstandards, Arbeitsbedingungen,<br />
Gesundheitsvorschriften<br />
und Verbraucherschutzinteressen würden<br />
nicht in den Anwendungsbereich<br />
des Abkommens fallen.<br />
Wird die Politik durch die Entscheidungen<br />
der Schiedsgerichte zu stark in ihrer<br />
Handlungsfähigkeit eingeschränkt?<br />
Auch diese Kritik teile ich nicht. Ordentliche<br />
Gerichte und genauso die Schiedsgerichte<br />
sind Ausdruck der Gewaltenteilung<br />
in unserer Rechtsordnung, in<br />
Europa wie in den USA. Die Frage ist nur,<br />
welche Zuständigkeiten welchen Gerichten<br />
zugeordnet werden. Wenn die<br />
Staatsgewalt rechtswidrig handelt, muss<br />
sie sich von der dritten Gewalt eben korrigieren<br />
lassen. Deshalb haben wir ein<br />
modernes Staatshaftungsrecht. Aber<br />
natürlich bleiben Regierungen und Parlamente<br />
frei, im Rahmen der Verfassung<br />
Gesetze zu ändern, auch zulasten der<br />
Unternehmen, mit und ohne Investitionsschutzabkommen.<br />
n<br />
henning.krumrey@wiwo.de | Berlin<br />
FOTOS: LAIF/MARTIN LENGEMANN; W.M.WEBER/TV-YESTERDAY<br />
50 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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»<br />
mit betraut und nicht nur das Bauministerium“,<br />
erinnert sich Alstom-Syndikus Benedict.<br />
Manchmal ist es dann gar nicht<br />
mehr nötig, dass die Schiedsrichter tatsächlich<br />
in Aktion treten.<br />
Für Experten wie Rechtsprofessor Tietje<br />
füllt der Investitionsschutz eine wichtige<br />
Rechtslücke: „Unternehmen sind völkerrechtlich<br />
letztlich rechtlos, wenn sie ins<br />
Ausland gehen. Die internationalen Menschenrechte<br />
schützen kein Unternehmen,<br />
auf Handelsrecht können diese sich genauso<br />
wenig berufen.“<br />
Globalisierungskritiker bemängeln die<br />
Intransparenz der Investor-Staat-Klagen.<br />
Doch dieser Vorwurf ist eher bei den höchst<br />
verschwiegenen Schiedsverfahren zwischen<br />
zwei Unternehmen berechtigt. „Doch<br />
80 Prozent der Schiedssprüche bei Investor-<br />
Staat-Klagen sind mittlerweile öffentlich<br />
verfügbar“, schätzt August Reinisch, Experte<br />
für internationales Wirtschaftsrecht der<br />
Universität Wien. Seit 2006 werden bei<br />
ICSID die Schiedssprüche veröffentlicht –<br />
außer die Parteien vereinbaren ausdrücklich<br />
Geheimhaltung. „ICSID ist mittlerweile<br />
transparenter als das Bundesverfassungsgericht,<br />
wo es aus Gründen des Datenschutzes<br />
kein Verfahrensregister gibt“, sagt eine in<br />
Schiedsverfahren erfahrene Anwältin.<br />
ICSID räumt NGOs ein Recht auf Stellungnahmen<br />
ein, wovon diese etwa bei<br />
Umweltthemen regen Gebrauch machen.<br />
ICSID hat auch schon Zuschauer zugelassen,<br />
indem die Verhandlungen per Video<br />
in einen Nachbarsaal übertragen wurden.<br />
Das Interesse hält sich allerdings in Grenzen.<br />
„Das ist kein Reißer, sondern eher fad“,<br />
sagt Jurist Reinisch.<br />
Streitfall<br />
WALTER BAU<br />
gegen<br />
THAILAND<br />
Vor 20 Jahren hatte<br />
der Insolvenzverwalter<br />
des<br />
Bauriesen<br />
Thailand verklagt,<br />
weil Zusagen<br />
beim Bau einer<br />
Mautstraße<br />
nicht eingehalten<br />
wurden. Das<br />
Schiedsgericht gab<br />
dem Kläger recht. Der<br />
ließ ein Flugzeug des<br />
Königshauses pfänden,<br />
weil Thailand nicht zahlte.<br />
REFORMEN NOTWENDIG<br />
Auch den Vorwurf, dass Investor-Staat-Klagen<br />
die Gestaltungsfreiheit von Regierungen<br />
aushöhlen, halten Experten für unzutreffend.<br />
Sie verordnen allerdings Konsistenz:<br />
„Ein Staat darf nicht willkürlich handeln“,<br />
sagt Experte Tietje. Die Statistik<br />
spricht übrigens dagegen, dass Schiedsgerichte<br />
Konzerne bevorzugen würden: Die<br />
Mehrzahl der Verfahren haben in der Vergangenheit<br />
die Staaten gewonnen.<br />
Länder haben es selbst in der Hand,<br />
ob sie verklagt werden, indem sie eine konsistente<br />
Politik verfolgen. Spaniens Nachbarland<br />
Portugal etwa spricht seine Energiewende<br />
gerade mit Investoren ab und hat<br />
noch kein einziges Verfahren verzeichnet.<br />
Allerdings gestehen auch überzeugte Verteidiger<br />
des Verfahrens ein, dass Reformen<br />
notwendig sind. „Das System ist in den vergangenen<br />
15 Jahren zu schnell gewachsen,<br />
sodass Sand im Getriebe ist“, sagt etwa<br />
Richard Happ, der Vattenfall gegen die<br />
Bundesrepublik Deutschland vertritt.<br />
Der BDI fordert etwa Schutzmechanismen,<br />
um ungerechtfertigte Klagen abzuwehren.<br />
Damit könnte verhindert werden,<br />
dass Staaten mit Klagen überzogen werden,<br />
weil eine Klageindustrie Gewinne<br />
wittert. Die wachsende Zahl von Prozessfinanzierern<br />
lässt die Angst davor steigen.<br />
Doch Erfahrungen in den USA sprechen<br />
eher dagegen. Dort finanzieren Investoren<br />
Prozesse, wenn sie später am Schadensersatz<br />
beteiligt werden. Allerdings lassen sie<br />
sich nur darauf ein, wenn sie sich des Erfolgs<br />
sehr sicher sind. Bevor sie sich engagieren,<br />
lassen sie teure Gutachten erstellen.<br />
Es gibt bisher keine Anzeichen, dass<br />
Prozessfinanzierer zu einem Anstieg der<br />
Klagen geführt haben.<br />
Ungerechtfertigte Klagen ließen sich<br />
auch einschränken, indem in der Verfahrensordnung<br />
festgelegt würde, dass der<br />
Gewinner des Verfahrens Anspruch auf die<br />
Erstattung der Prozesskosten hat.<br />
Auch bei der Personalauswahl wären<br />
Verbesserungen wünschenswert. Bisher<br />
agieren dieselben Juristen abwechselnd als<br />
Anwälte und Richter in den dreiköpfigen<br />
Schiedsgerichten, weil der Pool der Experten<br />
vergleichsweise gering ist. Nur rund<br />
1000 Juristen sind weltweit in Investor-<br />
Staat-Verfahren tätig, schätzen Experten,<br />
davon nur 600 regelmäßig. Die EU-Kommission<br />
will nun eine Liste mit zugelassenen<br />
Experten aufstellen. Wie damit Interessenkonflikte<br />
vermieden werden können,<br />
ist allerdings noch offen.<br />
SIGNAL AN CHINA<br />
Der BDI regt außerdem einen Berufungsmechanismus<br />
an. Bisher gibt es keine<br />
Möglichkeit, in Revision zu gehen. Bei<br />
schweren Mängeln gibt es wohl aber eine<br />
begrenzte Überprüfungsmöglichkeit. Liegt<br />
ein Verfahrensfehler vor, kann man die<br />
Entscheidung auch annullieren lassen und<br />
ein neues Verfahren anstreben.<br />
Der Wiener Rechtsexperte Reinisch<br />
könnte sich gut ein internationales permanentes<br />
Schiedsgericht für Investorenstreitigkeiten<br />
vorstellen, mit einer Berufungsmöglichkeit<br />
wie etwa bei der Welthandelsorganisation<br />
WTO: „Allerdings muss das<br />
die Staatengemeinschaft auch wollen.“ Bisher<br />
bestehe dazu kein Konsens.<br />
Sollte Europa beim Freihandelsabkommen<br />
mit den USA auf Investorenschiedsverfahren<br />
verzichten, wäre dies ein verheerendes<br />
Signal. Damit würden automatisch<br />
auch die Chancen sinken, die Verfahren im<br />
Investitionsschutzabkommen mit China<br />
zu verankern, über das die EU gerade verhandelt.<br />
Die Chinesen würden die USA als<br />
Präzedenzfall betrachten, heißt es im Bundeswirtschaftsministerium,<br />
und sich dann<br />
verweigern. Gerade gegenüber China sei<br />
es jedoch wichtig, dass sich Unternehmen<br />
wehren könnten, heißt es in Brüssel.<br />
Die Chinesen haben die Bedeutung von<br />
Schiedsverfahren bereits erkannt: Der Versicherer<br />
Ping An hat Belgien wegen der<br />
Verstaatlichung der maroden Bank Fortis<br />
2008 verklagt. Der Versicherer musste damals<br />
seine Beteiligung von 3,8 Milliarden<br />
Dollar fast komplett abschreiben, was chinesische<br />
Investoren nachhaltig verunsicherte.<br />
Die nächste Klage bei ICSID ist nur<br />
eine Frage der Zeit.<br />
n<br />
silke.wettach@wiwo.de | Brüssel, martin seiwert | New York<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 51<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»Wir sind keine<br />
Heuschrecke«<br />
INTERVIEW | Werner Müller<br />
Der Chef der RAG-Stiftung<br />
verkündet die erste Beteiligung<br />
an einem Mittelständler, gibt<br />
den Stromkonzernen die Schuld<br />
an ihrer desolaten Lage und<br />
zeigt Verständnis für den russischen<br />
Präsidenten Wladimir Putin.<br />
DER POLITMANAGER<br />
Müller, 67, ist der Vater des Atomausstiegs<br />
sowie des Endes des<br />
Steinkohlebergbaus in Deutschland<br />
bis Ende 2018. Der ehemalige<br />
Manager des heutigen Düsseldorfer<br />
Energiekonzerns E.On formte die<br />
Bergbaugesellschaft Ruhrkohle um<br />
und spaltete sie auf in die Zechengesellschaft<br />
RAG und den heutigen<br />
Essener Chemiekonzern Evonik,<br />
der mehrheitlich der von der Politik<br />
kontrollierten RAG-Stiftung gehört.<br />
Damit es nicht den Steuerzahler<br />
trifft, soll die Stiftung nach 2018 mit<br />
ihrem Vermögen die Milliarden-Folgekosten<br />
des Bergbaus begleichen.<br />
Als Chef der RAG-Stiftung und des<br />
Evonik- Aufsichtsrats liegt es in<br />
Müllers Verantwortung, für die Erfüllung<br />
dieses Auftrags zu sorgen.<br />
FOTOS: INGO RAPPERS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; DPA PICTURE-ALLIANCE (3); PHOTOTHEK VIA GETTY IMAGES; PR (4)<br />
52 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Herr Müller, Sie haben die vornehme<br />
Aufgabe, den Steuerzahler davor zu bewahren,<br />
dass er die Milliarden-Folgekosten<br />
des deutschen Steinkohlebergbaus<br />
bezahlen muss. Reicht das Vermögen, das<br />
die RAG-Stiftung dazu besitzt?<br />
Nach heutigem Stand betragen die Verpflichtungen<br />
der Ewigkeitslasten der RAG-<br />
Stiftung Ende 2018, wenn die letzte Zeche<br />
hierzulande geschlossen wird, rund 18<br />
Milliarden Euro. Wir haben heute einen<br />
Kapitalstock von rund 13,4 Milliarden Euro,<br />
davon – Stand Anfang April – neun Milliarden<br />
Euro in Aktien des Evonik-Konzerns,<br />
an dem wir rund 68 Prozent besitzen.<br />
Der Rest sind unsere 30-prozentige<br />
Beteiligung an der Immobilienfirma Vivawest<br />
sowie unser breit gestreutes Kapitalanlagen-Portfolio.<br />
Kann der deutsche Steuerzahler sicher<br />
sein, dass Sie bis Ende 2018 die erforderlichen<br />
18 Milliarden Euro zusammenbekommen,<br />
die notwendig sein werden,<br />
um jedes Jahr mindestens 200 Millionen<br />
Euro für das Leerpumpen der Stollen und<br />
für sonstigen Folgeaufwand aufzubringen?<br />
Ich weiß natürlich nicht, wo Anfang 20<strong>19</strong><br />
der Kurs der Evonik-Aktie steht. Ich kann<br />
aber nach allem, was wir heute wissen, sagen,<br />
dass die erwarteten jährlichen <strong>Ausgabe</strong>n<br />
dann mit Sicherheit durch die laufenden<br />
Einnahmen aus dem Vermögen der<br />
RAG-Stiftung gedeckt sind.<br />
Woher nehmen Sie diese Sicherheit?<br />
Durch die niedrigen Zinsen wird Ihr Kapitalstock<br />
doch langsamer wachsen, als es<br />
zum Start der Stiftung 2007 geplant war?<br />
Wir sind beim Aufbau der Stiftung neben<br />
unserer großen Evonik-Beteiligung stark in<br />
sehr sichere Staatspapiere gegangen, die<br />
vor der Finanzkrise schöne Zinsen abwarfen.<br />
Das können wir heute zum Beispiel<br />
mit unserer Dividende von Evonik, die zuletzt<br />
rund 300 Millionen Euro betrug, nicht<br />
mehr tun. Das würde bei den derzeitig<br />
niedrigen Zinsen zu einem Verzehr unseres<br />
Vermögens führen.<br />
Deshalb haben Sie angekündigt, Anteile<br />
an mittelständischen Unternehmen in<br />
Deutschland und Österreich erwerben zu<br />
wollen. Wie weit sind Sie damit?<br />
Aktuell bauen wir die notwendigen Strukturen<br />
auf, um selbst und nicht nur über<br />
Fonds investieren zu können. Einen wichtigen<br />
Schritt haben wir Anfang April mit<br />
der Gründung der RAG-Stiftung Beteiligungsgesellschaft<br />
mbH getan.<br />
Nach welchen Kriterien suchen Sie<br />
Firmen aus, von denen die RAG-Stiftung<br />
Anteile erwerben soll?<br />
Vorsitzender<br />
Jürgen<br />
Großmann<br />
Evonik<br />
Streubesitz<br />
14,2<br />
CVC 17,9<br />
Im Auftrag des Steuerzahlers<br />
Organisation und Beteiligungen der RAG-Stiftung<br />
Kuratorium der RAG-Stiftung<br />
Annegret Wolfgang<br />
Kramp-Karrenbauer Schäuble<br />
Ministerpräsidentifinanzminister,<br />
Bundes-<br />
Saarland, CDU CDU<br />
Werner<br />
Müller<br />
(Vorsitz)<br />
Vorstand<br />
RAGAG<br />
100<br />
Hannelore<br />
Kraft<br />
Minister<br />
präsidentin<br />
NRW, SPD<br />
Bärbel<br />
Bergerhoff-<br />
Wodopia<br />
(Personal)<br />
Beteiligungen der RAG-Stiftung (inProzent)<br />
67,9 RAG-Stiftung<br />
Bergbaugesellschaft<br />
Sigmar<br />
Gabriel<br />
Bundeswirtschaftsminister,SPD<br />
Helmut<br />
Linssen<br />
(Finanzen)<br />
DieRAG-Stiftunghat dieAufgabe,die Folgelasten („Ewigkeitskosten“) des Bergbaus in NRWund<br />
im Saarlandnach 2018 in Höhe vonmindestens200 Millionen Euro jährlich zu finanzieren.<br />
Quelle:RAG-Stiftung, Evonik,Vivawest<br />
Wir suchen Mittelständler mit einem Umsatz<br />
um die 100 Millionen Euro, die in den<br />
Weltmärkten gut positioniert sind. Zusammen<br />
mit dem jeweiligen Eigentümer versuchen<br />
wir, die Entwicklung der Unternehmen<br />
über unsere Beteiligung zu unterstützen.<br />
Wichtig sind uns Firmen, bei denen<br />
man davon ausgehen kann, dass sie in der<br />
Perspektive Weltmarktführer bleiben. Dabei<br />
halten wir zum Beispiel Ausschau nach<br />
Eigentümern im Alter von etwa 50 bis 55<br />
Jahren, die gern noch 10 bis 15 Jahre weitermachen<br />
wollen, aber ihren Kindern<br />
lieber Geld als das Unternehmen vererben.<br />
Wieso sollen solche Unternehmer einer<br />
staatlichen Stiftung mehr vertrauen als<br />
erfahrenen Investoren, die es in genügender<br />
Zahl und Ausprägung gibt?<br />
Weil wir als privatrechtliche Stiftung an<br />
sehr dauerhaften Engagements interessiert<br />
sind. Wir sind somit keine jener Private-<br />
Equity-Firmen, also keine Heuschrecke,<br />
die ein Unternehmen meist finanziell<br />
Kuratoriumsmitglieder (plussiebenweitere ungenannte Mitglieder)<br />
Michael<br />
Vassiliadis<br />
Chef der<br />
IG BCE<br />
Vivawest-Immobilien<br />
IG BCE<br />
26,7<br />
11,0<br />
Evonik<br />
25,0<br />
30,0<br />
RAG-<br />
Stiftung<br />
7,3<br />
RAGAG<br />
Evonik-Pensionstreuhand e.V.<br />
schwächt und nach fünf, sechs Jahren weiterverkaufen<br />
will.<br />
Sucht die RAG-Stiftung selbst nach<br />
Bereitwilligen oder lässt sie suchen?<br />
Beides. Wir setzen auf der einen Seite auf<br />
externe Manager, die für uns gerade einen<br />
Fonds aufbauen, der künftig mittelständische<br />
Unternehmensbeteiligungen enthalten<br />
soll. Dazu haben wir bereits einen<br />
Rechtsmantel namens Maxburg GmbH &<br />
Co. KG. Hierüber haben wir auch bereits<br />
ein erstes Investment getätigt. Es handelt<br />
sich dabei um eine Minderheitsbeteiligung<br />
an dem mittelständischen Pharmaunternehmen<br />
ZellBios mit operativem Sitz in<br />
Deutschland und Produktionsstätten hier<br />
sowie in Italien und der Schweiz. Auf der<br />
anderen Seite haben wir, wie gesagt, die<br />
RAG-Stiftung Beteiligungsgesellschaft, die<br />
ebenfalls in unserem Auftrag in Mittelständler<br />
investieren wird.<br />
Woher hat die RAG-Stiftung Leute,<br />
die das können?<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 53<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Für die RAG-Stiftung Beteiligungsgesellschaft<br />
haben wir Jürgen Wild gewonnen, den<br />
früheren Chef der M+W Group des österreichischen<br />
Industrie-Investors Georg Stumpf.<br />
Herr Wild hat schon zweimal sehr erfolgreich<br />
ein Beteiligungsportfolio aufgebaut,<br />
zuletzt im Wert von rund drei Milliarden Euro.<br />
Das will er als Geschäftsführer unserer<br />
Beteiligungsgesellschaft zusammen mit der<br />
RAG-Stiftung nun ein drittes Mal tun und<br />
sich zugleich persönlich daran beteiligen.<br />
Ihr Beteiligungsunternehmen Evonik<br />
schwimmt durch den mehrheitlichen<br />
Verkauf der Immobilientochter Vivawest<br />
in Geld und verfügt über die riesige Eigenkapitalquote<br />
von 43 Prozent. Als Steuerzahler<br />
fragen wir uns, wieso die RAG-Stiftung<br />
keine Sonderausschüttung verlangt.<br />
Evonik will ja die Dividende pro Aktie für<br />
2013 auf 1 Euro erhöhen. Das ist schon mal<br />
was. Im Übrigen dürfen Sie sicher sein,<br />
dass ich das Thema Sonderausschüttung<br />
anders diskutieren würde, wenn Sie mir sagen<br />
würden, wo ich das Geld renditeträchtiger<br />
anlegen könnte, als es jetzt schon bei<br />
Evonik möglich ist. Wir haben schon jetzt<br />
das Luxusproblem, dass wir jedes Jahr zusätzlich<br />
unser Jahresergebnis, derzeit rund<br />
330 Millionen Euro, anlegen müssen.<br />
Wieso investieren Sie nicht in Großunternehmen<br />
etwa aus dem Dax, von denen<br />
Sie wissen, dass die seit Jahren gut<br />
funktionieren und auf dem Kapitalmarkt<br />
bestens eingeführt sind?<br />
Zum einen tun wir dies schon, denn zu unseren<br />
diversifizierten Kapitalanlagen gehört<br />
auch eine Aktienquote. Andererseits<br />
erhalten Sie dann aber Dividendenrenditen<br />
von durchschnittlich nicht mehr als<br />
drei Prozent...<br />
...wie viel hätten Sie denn gern?<br />
Ein bisschen mehr dürfte es schon sein.<br />
Ein großes Thema in Deutschland ist die<br />
Position gegenüber dem Anschluss der<br />
Krim durch Russlands Präsident Wladimir<br />
Putin. Das eine Lager ist für eine harte<br />
Haltung und Wirtschaftssanktionen, das<br />
andere ist dagegen und fordert Verständnis<br />
für Putin. Wem rechnen Sie sich zu?<br />
Eindeutig dem zweiten Lager. Das Verstehen<br />
der jeweils anderen Seite ist die<br />
Grundvoraussetzung für einen Dialog. Ich<br />
bin davon überzeugt, dass die EU eine andere<br />
Politik gegenüber der Ukraine gemacht<br />
hätte, wenn sich die Verantwortlichen<br />
vorher überlegt hätten, was dies für<br />
Russland bedeutete.<br />
Was werfen Sie der EU konkret vor?<br />
Als normaler Bürger sage ich: Da hat ein<br />
Staat einen Großteil seiner Flotte auf der<br />
»Ich halte im Grundsatz<br />
nichts von Handelskriegen.<br />
Sie haben<br />
nur wenig bewirkt«<br />
Krim stationiert und sieht Gespräche über<br />
einen EU-Beitritt der Ukraine. Und nach<br />
dem Fall des Eisernen Vorhangs erfolgte<br />
nach einem EU-Beitritt zumeist auch der<br />
Beitritt zur Nato. Dann bestand aus Sicht<br />
des Inhabers dieser Flotte ein gewisser<br />
Handlungsbedarf.<br />
Dass Putin damit das Völkerrecht gebrochen<br />
hat, stört Sie nicht?<br />
Aktien-Info Evonik<br />
ISINDE000EVNK013<br />
110<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
Umsatz (in Mrd. Euro)<br />
Ebitda (in Mrd. Euro)<br />
Ebitda-Marge (in Prozent)<br />
Mitarbeiter<br />
KGV<br />
Aktienkurs (in Euro)<br />
Börsenwert (in Mrd. Euro)<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Lanxess<br />
Quelle:Thomson Reuters<br />
Evonik<br />
2013 <strong>2014</strong><br />
Evonik<br />
12,9<br />
2,0<br />
15,6<br />
33650<br />
15,5<br />
28,9<br />
13,4<br />
Lanxess<br />
8,3<br />
0,7<br />
8,9<br />
17 343<br />
20,5<br />
54,7<br />
4,5<br />
EingroßerErfolg warder Evonik-Börsengang<br />
(25.4.2013)nicht. Allerdings finden sichauchnur<br />
14,2 Prozentder Aktien im Streubesitz; denRest<br />
halten RAG-Stiftung undder Finanzinvestor CVC.<br />
Zwar istEvonikprofitabler als der Mitbewerber<br />
Lanxess, leidetaberunter der immernoch<br />
schwachen Chemiekonjunktur.<br />
Hoch<br />
Meiner Meinung nach ist sich Herr Putin<br />
der schwierigen Lage, in die er Russland<br />
gebracht hat, durchaus bewusst. Deshalb<br />
glaube ich, dass man nach einer gewissen<br />
Zeit wieder zu einem vernünftigen Miteinander<br />
finden wird.<br />
Wie kann das nach allem, was geschah,<br />
aussehen?<br />
Ich glaube, dass die territorialen Veränderungen<br />
nicht zurückzudrehen sind. Ich<br />
halte im Grundsatz wirklich nichts von<br />
Handelskriegen, sie haben in der Historie<br />
im Grunde nur wenig bewirkt.<br />
Wären Sie in der Position von Siemens-<br />
Chef Joe Kaeser ebenfalls zu Putin nach<br />
Moskau gereist?<br />
Ja, warum nicht? Europa ist für mich generell<br />
eine Einheit, und dazu gehört grundsätzlich<br />
auch Russland. Es ist ja nicht so, als<br />
ob Westeuropa mit allen Reichtümern, die<br />
man zum Leben braucht, gesegnet wäre.<br />
Ich kann wenig Sinn darin erkennen, beispielsweise<br />
kategorisch zu sagen, ich will<br />
kein russisches Erdgas mehr. Ganz abgesehen<br />
davon, dass ich das auch nicht für so<br />
einfach machbar halte. Es würde lange<br />
dauern, bis wir eine Versorgung auf Flüssiggasbasis<br />
etwa aus dem Nahen Osten<br />
oder aus Nordamerika aufgebaut haben.<br />
Da ist es mir lieber, wir haben einen geregelten<br />
Wirtschaftsverkehr mit Russland.<br />
Die Befürchtungen, dass maskierte<br />
Männer ohne Hoheitszeichen mit vielen<br />
Militärlastwagen auch in anderen Staaten<br />
Osteuropas einfallen, teilen Sie nicht?<br />
Das sehe ich nicht so. Denn Politik besteht<br />
ja nun zunächst einmal in der moderneren<br />
Variante darin, dass man über so etwas redet,<br />
sich also gedanklich in die Position des<br />
Gegenübers versetzt.<br />
Sie haben als Wirtschaftsminister der rotgrünen<br />
Koalition 2002 die Laufzeit der<br />
Atomkraftwerke in Deutschland verkürzt.<br />
Schwarz-Gelb hat sie 2010 verlängert und<br />
Kanzlerin Merkel sie nach der Fukushima-<br />
Katastrophe 2011 stärker als zuvor zurückschraubt.<br />
Wohin steuert die Energiewende?<br />
Wenn Sie die Historie bemühen, muss ich<br />
das auch tun. Ich habe 2002 nicht nur die<br />
Laufzeit der Kernkraftwerke verkürzt, sondern<br />
ich habe auch für eine Änderung des<br />
Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, des<br />
EEG, gesorgt. Dadurch erhielten die Energieversorgungsunternehmen,<br />
insbesondere<br />
also die Betreiber von Kernkraftwerken,<br />
ausdrücklich das Recht, ebenfalls Ökostrom<br />
aus Sonnen- und Windkraft zu produzieren,<br />
ihn vorfahrtsberechtigt ins Netz<br />
einzuspeisen und dafür EEG-Umlage zu<br />
kassieren. Das war im EEG von <strong>19</strong>97<br />
»<br />
FOTOS: INGO RAPPERS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
54 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Pharma-Investment<br />
Die RAG-Stiftung hat sich am Wirkstoff-<br />
Spezialisten ZellBios aus Raubling bei<br />
München beteiligt. ZellBios bündelt seine<br />
weltweiten Aktivitäten in einer Luxemburger<br />
Holding. Haupteigentümer von ZellBios ist<br />
eine Private-Equity-Gruppe.<br />
Umsatz: mehr als 130 Millionen Euro<br />
Mitarbeiter: 700<br />
Profi-Investor Der Chef der RAG-Beteiligungstochter,<br />
Wild, soll Mittelständler kaufen<br />
ausdrücklich ausgeschlossen. Es erschien<br />
mir logisch und notwendig, wenn<br />
ich mit Energiekonzernen darum verhandele,<br />
Erzeugungskapazitäten stillzulegen,<br />
dass diese sich dann andere Möglichkeiten<br />
aufbauen können. Und dass sie dabei genauso<br />
subventioniert werden sollen wie jeder<br />
andere, der dies tut.<br />
Was wollen Sie uns damit sagen?<br />
Dass die Energieversorgungsunternehmen<br />
von dieser Möglichkeit in den ersten Jahren<br />
leider sehr wenig Gebrauch gemacht<br />
haben. Stattdessen haben sie immer darauf<br />
spekuliert, wenn Rot-Grün mal nicht<br />
mehr die Bundesregierung stellt, dass der<br />
Vertrag aus meiner Zeit geändert und die<br />
Laufzeit der KKWs verlängert wird...<br />
...ein harter Vorwurf.<br />
Die Unternehmen hätten ja den Aufbau von<br />
regenerativen Energien frühzeitig selbst in<br />
die Hand nehmen können. Heute leiden sie<br />
darunter, dass sie sich nicht schon damals<br />
ausreichend daran beteiligt haben.<br />
Ist die Reform des EEG von Wirtschaftsminister<br />
Sigmar Gabriel nicht zu zaghaft?<br />
Man kann nicht alles von einem Tag auf<br />
den anderen ändern. Nehmen Sie die Befreiung<br />
der Unternehmen, die ihren Strom<br />
selbst erzeugen, von der EEG-Umlage. Sie<br />
können einer BASF oder einer Bayer nicht<br />
sagen, so, jetzt zahlst du die vollen 6,24<br />
Cent pro selbst erzeugter Kilowattstunde.<br />
Man könnte sich durchaus vorstellen, zum<br />
Beispiel den Zubau erneuerbarer Energien<br />
zu kontingentieren oder ihn am Markt auszuschreiben.<br />
Nur, das System zu revolutionieren<br />
halte ich für nicht machbar.<br />
Das klingt defätistisch.<br />
Tatsache ist: Wir werden uns wohl darauf<br />
einstellen müssen, dass die Ökostromumlagen<br />
steigen. Wenn die Logik der Energiewende<br />
aber greift, dass wir uns in der Zukunft<br />
im Wesentlichen von regenerativem<br />
Strom versorgen und dies auch noch wirtschaftlich<br />
tun werden, dann wäre zu überlegen,<br />
ob man die Subventionen dafür streckt,<br />
sprich: einen Kredit dafür aufnimmt und<br />
damit die Lasten auch auf die künftigen<br />
Nutznießer verteilt. So wie dies zuletzt die<br />
ehemalige Verbraucherministerin Ilse Aigner<br />
von der CSU vorgeschlagen hat.<br />
Wie würden Sie das Problem lösen, dass<br />
der viele Ökostrom immer mehr fossile<br />
Kraftwerke zur Unwirtschaftlichkeit und<br />
zur Schließung verdammt, obwohl sie für<br />
den Fall gebraucht werden, dass einmal zu<br />
wenig Wind weht und die Sonne kaum<br />
scheint?<br />
Ich wüsste nicht, wer in diesem Fall ansonsten<br />
einspringen könnte als die vorhandenen<br />
fossilen Kraftwerke. Dafür<br />
müssten sie allerdings die übrige Zeit bezahlt<br />
werden, in der sie keinen Strom liefern.<br />
Ich stimme dem Vergleich zu, dass wir<br />
die Feuerwehr ja auch nicht nur bezahlen,<br />
wenn sie löscht. Dann wäre es billiger, ein<br />
Haus abbrennen zu lassen, als pro Liter<br />
Löschwasser, sagen wir mal 2000 Euro, bezahlen<br />
zu müssen.<br />
Was heißt das auf die Versorgungssicherheit<br />
mit Strom übertragen?<br />
Dass wir die Verantwortung für die Versorgungssicherheit<br />
klar jemandem zuweisen<br />
müssen. Denn versorgungssicherer Strom<br />
wird am Markt gehandelt. Wir haben also<br />
die Situation, dass jeder Stromlieferant für<br />
längere Zeit im Voraus eine gesicherte<br />
Stromerzeugung kaufen kann. Insofern<br />
könnte man sagen, überlassen wir alles<br />
dem Markt. Doch dies unterschlägt einen<br />
bisher sträflich vernachlässigten Punkt.<br />
Und der wäre?<br />
Dass derjenige Kunde, der sicher mit Strom<br />
versorgt sein will, diese Versorgung auch<br />
abnimmt. Dies ist nicht der Fall, wenn zum<br />
Beispiel die privaten Haushalte ihren Versorger<br />
ständig wechseln. Ein Stadtwerk<br />
beispielsweise wird Ihnen keine definitive<br />
Versorgungssicherheit garantieren und dafür<br />
am Markt für sicheren Strom einkaufen,<br />
wenn der Stromkunde ganz einfach zu einem<br />
anderen Anbieter wechseln kann. Da<br />
sind die Rechte und Pflichten der Marktteilnehmer<br />
nicht eindeutig zugeordnet.<br />
Wie würden Sie das Problem lösen?<br />
Wenn wir nicht zu dem alten System zurückkehren,<br />
in dem man den Stromanbieter<br />
nicht wechseln konnte, könnte die Garantie<br />
der Versorgungssicherheit auf einen<br />
staatlich organisierten Kapazitätsmarkt hinauslaufen.<br />
Das könnte die Bundesnetzagentur<br />
sein, die im Namen des Gesetzgebers<br />
eine bestimmte vorzuhaltende Erzeugungskapazität<br />
festlegt, die dann zum Beispiel<br />
auf dem Markt ersteigert werden<br />
kann und die dann von den Stromkunden<br />
bezahlt werden muss.<br />
Michael Vassiliadis, der Vorsitzende der<br />
Bergbau-, Chemie- und Energiegewerkschaft<br />
IG BCE, hat vorgeschlagen, die<br />
Steinkohlekraftwerke in einer Gesellschaft<br />
zu bündeln. Was halten Sie davon?<br />
Das ist eine sehr vernünftige Idee. Immer<br />
mehr Stromerzeuger beantragen bei der<br />
Bundesnetzagentur die Stilllegung von<br />
Kraftwerken und fragen: Wenn ich nicht<br />
stilllege, was zahlst du mir? Da halte ich es<br />
für besser, einzelne Kraftwerke irgendwo<br />
einzubringen, zum Beispiel in ein Gemeinschaftsunternehmen,<br />
das für den Erhalt der<br />
notwendigen Kraftwerke sorgt und bezahlt...<br />
... was die endgültige Verstaatlichung der<br />
Energieversorgung wäre.<br />
Das muss ja kein Staatsunternehmen sein.<br />
Im Übrigen ist die Stromversorgung ohnehin<br />
schon vielfach eine staatliche Veranstaltung,<br />
die durch steuerähnliche Abgaben<br />
wie die EEG-Umlage bezahlt wird.<br />
Wandern energieintensive Unternehmen<br />
durch die Energiewende ab, oder ist das<br />
nur eine Drohung der Industrie?<br />
Wenn Sie zum Beispiel die Aluminiumproduktion<br />
oder die Elektrolyse nehmen, wäre<br />
diese in Deutschland ohne Befreiung von<br />
der EEG-Umlage unmöglich. Generell<br />
glaube ich, dass hohe Strompreise nicht direkt<br />
Arbeitsplätze hierzulande vernichten.<br />
Sie beschleunigen aber die Standortverlagerungen<br />
in die Wachstumsmärkte im Zuge<br />
der Globalisierung. Im Moment werden<br />
Ersatzinvestitionen noch in Deutschland<br />
getätigt, Erweiterungsinvestitionen dagegen<br />
zunehmend im Ausland, wo die Märkte<br />
und Kunden sind. Die hohen Strompreise<br />
hier forcieren diesen Prozess.<br />
n<br />
reinhold.boehmer@wiwo.de, roland tichy<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 55<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Tabus brechen<br />
SPANIEN | Deutsche Unternehmen tun sich bisher schwer damit,<br />
von der jüngsten wirtschaftlichen Gesundung des Landes zu profitieren.<br />
Zwei Beispiele zeigen, welche Chancen es für Mutige gibt.<br />
Engländer in Spanien<br />
Graham Johnson, Chef<br />
des IT-Unternehmens<br />
Connectis, glaubt an<br />
Spaniens Aufschwung<br />
Das Büro von Graham Johnson bietet<br />
gerade so eben Platz für einen<br />
schlichten weißen Schreibtisch und<br />
drei Bürostühle: einer für Johnson, zwei für<br />
Besucher. Der Geschäftsführer des spanischen<br />
IT-Unternehmens Connectis mit<br />
rund 1000 Mitarbeitern, groß, breitschultrig,<br />
braun gebrannt, Bürstenschnitt, hat<br />
rund 16 weiß gestrichene Quadratmeter<br />
zur Verfügung. Ein violett gestrichenes<br />
Quadrat hinter Johnsons Rücken ersetzt<br />
den Wandschmuck.<br />
Die Bescheidenheit ist Programm.<br />
Anfang 2012 wurde Connectis, damals<br />
noch Thales Information Systems, <strong>vom</strong><br />
Münchner Finanzinvestor Aurelius übernommen.<br />
Danach zog Johnson aus der<br />
Citylage um in diese funktionalen Räume<br />
in einem Industriegebiet nördlich von Madrid<br />
und drückte die Miete um zwei Drittel.<br />
Aus Fixgehältern wurde eine Mischung aus<br />
fixem und variablem Anteil. Die Gehälter<br />
wurden insgesamt etwas eingedampft –<br />
„vor allem bei den Führungskräften“, versichert<br />
Johnson.<br />
Jetzt ist Connectis wieder profitabel. Und<br />
wächst: Aurelius, einer der aktivsten Direktinvestoren<br />
in Spaniens IT-Branche, hat<br />
in den letzten anderthalb Jahren drei weitere<br />
Anbieter gekauft, die unter dem Dach<br />
von Connectis eingegliedert werden.<br />
„Spanien ist für einen Investor, der günstig<br />
einsteigen will, derzeit sehr attraktiv“,<br />
sagt Aurelius-Chef Dirk Markus. Das spanische<br />
Wirtschaftsministerium zählte 2013<br />
ausländische Netto-Direktinvestitionen<br />
von 15,4 Milliarden Euro. 2012 verlor Spanien<br />
noch drei Milliarden Euro mehr, als<br />
neue Investitionen ins Land kamen.<br />
REKORDZUFLÜSSE ERWARTET<br />
Doch während internationale Direktinvestoren<br />
kräftig auf die wirtschaftliche<br />
Gesundung Spaniens setzen, zögern die<br />
meisten Deutschen noch. Französische<br />
Direktinvestitionen in Spanien stiegen<br />
laut Wirtschaftsministerium um mehr<br />
als 100 Prozent, britische um 86 Prozent.<br />
Die aus Deutschland sanken 2013 um 3,7<br />
Prozent.<br />
Dabei wird Spanien, das vor nicht allzu<br />
langer Zeit als einer der gefährlichsten<br />
Krisenherde Europas galt, weiter zulegen:<br />
<strong>2014</strong> wird die Rekordsumme von mehr als<br />
40 Milliarden Euro an ausländischen<br />
Direktzuflüssen (FDI) erwartet, so die Wirtschaftsprüfung<br />
und Beratung Deloitte.<br />
Die UN-Organisation für Handel und<br />
Entwicklung (Unctad) zählte für Spanien<br />
2013 FDI-Zuflüsse von 37 Milliarden<br />
»<br />
FOTO: OFELIA DE PABLO FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
56 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Betongold Der Deka Immobilienfonds<br />
investiert in das Geschäftshaus in Barcelona<br />
Dollar, 37 Prozent mehr als im Vorjahr.<br />
Spanien lag europaweit an dritter Stelle,<br />
übertroffen nur von Großbritannien und<br />
Irland.<br />
Wagemutig sind in Deutschland vor allem<br />
Mittelständler, die schon im Land präsent<br />
sind und dort etwa einen Zulieferer<br />
oder Vertragspartner kaufen. „Denn für<br />
Unternehmen, die nicht vor Ort sind, sind<br />
die Risiken nur schwer einzuschätzen“, sagt<br />
Georg Abegg, Partner bei der Kanzlei Rödl<br />
& Partner in Madrid. „Denn die Rahmenbedingungen<br />
rechtfertigen eine Investition<br />
bisher nur mit einer sehr hohen Renditeerwartung.“<br />
Aurelius-Chef Markus hat solche Probleme<br />
nicht: „Spanien macht bei uns jetzt<br />
nach Mitarbeiterzahl ein Viertel des Konzerns<br />
aus und rund ein Fünftel <strong>vom</strong> Gesamtumsatz.“<br />
Der lag 2013 bei rund 1,5 Milliarden<br />
Euro. Über die investierte Summe<br />
verrät Markus nur, sie habe „im niedrigen<br />
zweistelligen Millionenbereich“ gelegen:<br />
„Spanische Unternehmen sind zurzeit<br />
günstig zu haben.“<br />
Auf Einkaufstour ist auch Deka Immobilien.<br />
Die Frankfurter, die weltweit ein<br />
Fondsvermögen im Wert von rund 50 Milliarden<br />
Euro verwalten, kauften 2013 im<br />
Zentrum Barcelonas ein Büro- und Geschäftshaus<br />
in der Ronda de Sant Pedro für<br />
<strong>19</strong> Millionen Euro. Wenige Monate später<br />
erwarb Deka in der Madrider Edel-Meile<br />
Calle Serrano das Geschäftshaus Adolfo<br />
Dominguez mit 2500 Quadratmetern für<br />
rund 18 Millionen Euro. „An solche Top-<br />
Innenstadtlagen kommen wir normalerweise<br />
als ausländischer Investor gar nicht<br />
ran“, freut sich Deka-Geschäftsführer Torsten<br />
Knapmeyer.<br />
Seit dem dritten Quartal 2013 wächst die<br />
spanische Wirtschaft wieder leicht. „Die<br />
weiteren Aussichten sind besser als erwartet,<br />
die Risikoaufschläge für die Staatsanleihen<br />
gehen entsprechend runter“, sagt<br />
Knapmeyer. „Daher haben wir 2013 entschieden,<br />
in Spanien zu kaufen.“<br />
Seine beiden Fonds Deka-Immobilien-<br />
Europa und WestInvest InterSelect halten<br />
spanische Gewerbeimmobilien im Wert<br />
von insgesamt 830 Millionen Euro. „Beide<br />
Fonds wollen ihr spanisches Portfolio ausbauen“,<br />
sagt Knapmeyer.<br />
Zwar erwartet er für 2015 einen leichten<br />
Rückgang bei den Spitzen-Büromieten in<br />
Madrid. Aber in Bezug auf die durchschnittliche<br />
Entwicklung von Mieten und<br />
Immobilienwerten von 2013 bis 2018 übertrifft<br />
Madrid mit 7,3 Prozent plus laut Deka-Immobilienresearch<br />
alle anderen europäischen<br />
Städte. Barcelona steht mit 5,7<br />
Prozent erwartetem Ertragswachstum an<br />
zweiter Stelle.<br />
Investitionen in spanische Immobilien<br />
insgesamt stiegen 2013 um 67 Prozent. „In<br />
so einer Situation können die Preise dann<br />
auch schnell wieder steigen“, sagt Knapmeyer.<br />
„Wir investieren in das erwartete<br />
Wachstum hinein.“<br />
Das ist auch die Strategie von Aurelius.<br />
„Wer absolut sicher sein will, dass die Krise<br />
zu Ende ist, der sollte vielleicht noch warten“,<br />
sagt CEO Markus. Doch schon jetzt<br />
gebe es positive Zeichen für den Wandel.<br />
Gerade der von Aurelius bisher favorisierte<br />
IT-Sektor hat in den Krisenjahren extrem<br />
gelitten, weil der Sektor stark von staatlichen<br />
Auftraggebern abhängt. Und die öffentliche<br />
Hand musste sparen. „Der Trend<br />
DerWiederaufstieg<br />
Entwicklung der Nettoinvestitionen<br />
in Spanien (in Milliarden Euro)<br />
13,3 20,8 26,5 -3,1 15,4<br />
2009 2010 2011 2012 2013<br />
Quelle: spanisches Wirtschaftsministerium<br />
ist jetzt gestoppt, wir sehen erste leichte<br />
Anzeichen, dass die Talsohle durchschritten<br />
ist“, berichtet Markus.<br />
Auch sonst sei einiges im Umbruch, beobachtet<br />
der Aurelius-Chef: „Verkrustete<br />
Strukturen werden aufgebrochen. Vonseiten<br />
der Mitarbeiter etwa ist die Bereitschaft<br />
viel größer, das ein oder andere Tabu zu<br />
brechen.“ Die gestiegene Flexibilität spürte<br />
sein Spanien-Statthalter Johnson etwa, als<br />
es um die Veränderung der Gehaltsstruktur<br />
seiner Mitarbeiter oder um Mobilität innerhalb<br />
des Unternehmens ging.<br />
LEICHT BESSERE ZAHLUNGSMORAL<br />
Verbessert habe sich auch die Zahlungsmoral<br />
bei staatlichen Kunden, allerdings<br />
nur „von hundsmiserabel zu schlecht“,<br />
so Markus. Früher zahlten Regional- und<br />
Lokalregierungen oder sonstige öffentliche<br />
Stellen ihre Rechnungen oft über<br />
Jahre nicht. 2013 beglichen öffentliche Stellen<br />
ihre Rechnungen nun im Schnitt innerhalb<br />
von 111 Tagen – immer noch fast<br />
viermal länger als die neue gesetzliche Vorgabe<br />
von 30 Tagen. Mit dieser muss der<br />
Staat nun sogar schneller zahlen als private<br />
Unternehmen, die 60 Tage Zeit haben.<br />
Bei ihnen waren es 2013 im Durchschnitt<br />
85 Tage.<br />
Unternehmen wie die Aurelius-Tochter<br />
Connectis profitierten zudem von Sonderkreditlinien<br />
in Höhe von insgesamt 42 Milliarden<br />
Euro, die die Regierung den Regionen<br />
und Gemeinden seit Mitte 2012 gewährte,<br />
damit diese ihre teilweise noch aus<br />
Peseta-Zeiten stammenden unbezahlten<br />
Rechnungen begleichen konnten. „Das hat<br />
funktioniert“, lobt Markus.<br />
Der Aurelius-Chef ist alle vier bis sechs<br />
Wochen in Spanien. Er trifft sich mit Beratern<br />
in Madrid und Barcelona oder schaut<br />
direkt bei Konzernen vorbei, die Randbereiche<br />
verkaufen wollen – das ist die Spezialität<br />
von Aurelius. Interessant seien vor<br />
allem Branchen, die „von einem wachsenden<br />
Konsum profitieren werden“.<br />
Denn die spanische Notenbank hat ihre<br />
Konjunkturprognose nach oben korrigiert<br />
und erwartet jetzt 1,2 Prozent Wachstum in<br />
diesem und 1,7 Prozent im kommenden<br />
Jahr – vor allem weil der private Konsum<br />
schneller anzieht.<br />
Für Connectis-Geschäftsführer Johnson<br />
steht indes fest: Selbst wenn sein Unternehmen<br />
stark wächst, wird er kein größeres<br />
Büro für sich reklamieren. „Es ist immer<br />
gut, die schlechten Zeiten nicht zu vergessen“,<br />
sagt der Engländer lächelnd. n<br />
anne grüttner | Madrid, unternehmen@wiwo.de<br />
FOTO: PR<br />
58 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Geistig erwachsen<br />
START-UPS | Euphorie, Demütigung, Neuanfang: Matti Niebelschütz, Gründer des Berliner Parfümversenders<br />
MyParfum, hat die Höhen und Tiefen eines Jungunternehmers persönlich durchlebt.<br />
Herr der Düfte<br />
MyParfum-Gründer<br />
Matti Niebelschütz<br />
hat als 28-Jähriger<br />
bereits alle unternehmerischen<br />
Höhen und<br />
Tiefen durchlebt<br />
Auf den ersten Blick wirkt Matti Niebelschütz<br />
wie ein typischer Vertreter<br />
der Berliner Start-up-Szene: Unter<br />
30, coole Klamotten, Chef seines eigenen<br />
Internet-Unternehmens MyParfum.<br />
Doch näher betrachtet, ist Niebelschütz<br />
das Gegenteil: ein nachdenklicher junger<br />
Mann, der trotz seiner 28 Jahre schon geprägt<br />
ist von einer berauschenden wie substanzzehrenden<br />
geschäftlichen Achterbahnfahrt.<br />
Niebelschütz hat vielen Altersgenossen<br />
eine wichtige Erfahrung voraus.<br />
Er musste am eigenen Leib erfahren, was<br />
unternehmerisches Scheitern bedeutet.<br />
Anders als in den USA ist das Thema in<br />
Deutschland fast ausschließlich negativ<br />
besetzt. In den Vereinigten Staaten ist das<br />
anders. Dort nehmen Kapitalgeber einen<br />
Gründer oftmals erst nach der Pleite richtig<br />
ernst, weil er dadurch notwendige und<br />
wichtige Erfahrungen für weitere Projekte<br />
gesammelt hat. In Deutschland dagegen<br />
gilt die Insolvenz eher als Stigma.<br />
Spannung bei der Gründung, Euphorie<br />
im Boom, Demütigung durch die Pleite,<br />
schließlich der Neuanfang – das Protokoll<br />
von sechs Jahren zwischen leidenschaftlichem<br />
Aufbruch und totaler Lähmung.<br />
August 2008 Auf diesen Moment haben<br />
Niebelschütz und sein Bruder Yannis lange<br />
hingearbeitet: MyParfum, ihr Shop im<br />
Internet, geht online. In ihm wollen die beiden<br />
individuell zusammengestellte Duftwässerchen<br />
verkaufen. Dazu haben sie<br />
gut ein Dreivierteljahr ein Duftsystem entwickelt,<br />
mit Parfümeuren verhandelt, eigenes<br />
Geld sowie ein Darlehen der Großeltern<br />
in fünfstelliger Höhe in die Unternehmensgründung<br />
gesteckt.<br />
„Die meisten Parfümeure haben abgewinkt.<br />
Aber fast alle Frauen, denen wir es<br />
erzählten, fanden die Idee gut“, erinnert<br />
sich Niebelschütz an die damalige Aufbruchstimmung.<br />
Entsprechend forsch gehen<br />
er und sein Bruder ran. Sie wollen ihre<br />
Kritiker <strong>vom</strong> Gegenteil überzeugen.<br />
September 2008 Und tatsächlich, die<br />
Sache lässt sich gut an. Die erste Pressemitteilung<br />
schlägt in der Berliner Szene<br />
ein. Die Medien steigen auf die Idee ein.<br />
Der lokale Hörfunksender Radio 1 bringt<br />
ein Interview, der Fernsehsender RTL2<br />
und diverse Zeitungen berichten.<br />
Dezember 2008: Die gute Presse sorgt<br />
geschäftlich für Fahrt. MyParfum verkauft<br />
im ersten Weihnachtsgeschäft mehr als<br />
100 Flakons am Tag. 30 Leute arbeiten inzwischen<br />
für das Unternehmen, die meisten<br />
sind Kommilitonen von Niebelschütz.<br />
Auch er ist noch Student und bleibt<br />
zunächst im Fach Jura eingeschrieben.<br />
Januar 2011 Damit ist jetzt Schluss, weil<br />
die Arbeit immer mehr Zeit frisst. Sein Bruder<br />
steigt aus MyParfum aus. Niebelschütz<br />
selbst schmeißt sein Studium hin und konzentriert<br />
sich voll auf die Professionalisierung<br />
seines Unternehmens. Seriengründer<br />
Frederick Fleck, früher beim TV-Sender<br />
9Live im Management, trifft bei Niebelschütz<br />
den Nerv. „Wenn ihr es schafft,<br />
euren Umsatz in einem Monat zu verdop-<br />
FOTOS: GÖTZ SCHLESER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; PR<br />
60 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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peln“, sagt er zu dem damals 25-Jährigen,<br />
„steige ich bei euch ein.“<br />
September 2011 Der Kick hat funktioniert,<br />
Fleck steigt bei MyParfum ein, sorgt<br />
für professionelle Strukturen und will den<br />
Absatz weiter ankurbeln. Dazu empfiehlt<br />
Fleck Perfomance-Marketing im Fernsehen,<br />
das sind Werbespots im Stile von<br />
„Gehen Sie jetzt online und bestellen!“.<br />
November 2011 Niebelschütz fährt<br />
einen ersten erfolgreichen Testlauf. Dann<br />
entscheidet er, für das bevorstehende<br />
Weihnachtsgeschäft das Werbebudget zu<br />
verdoppeln. „Meine eigene Entscheidung<br />
als Unternehmer“, freut er sich. Die Zahlen<br />
geben ihm recht: fast 400 Prozent<br />
Wachstum, am Ende des Jahres kommt<br />
MyParfum auf mehr als 70000 Euro Gewinn.<br />
Niebelschütz ist elektrisiert. Für ihn<br />
sind die Zahlen „ein Zeichen, dass unser<br />
Geschäftsmodell skalierbar ist und TV<br />
funktioniert“. Dass der Erfolg gleichzeitig<br />
den Boden für die totale Niederlage bereiten<br />
würde, kommt ihm in dieser Situation<br />
nicht in den Sinn – im Gegenteil.<br />
Mitte 2012 Der Erfolg im Weihnachtsgeschäft<br />
versetzt Niebelschütz in Überschwang.<br />
Jetzt will er’s wissen, das ganz<br />
große Rad drehen. Dazu braucht er Geld.<br />
Er besorgt sich bei einem Privatinvestor<br />
und später bei SevenVentures, einer Tochter<br />
des Fernsehsenders ProSiebenSat1,<br />
weiteres Kapital. Das Geld dient zum einen,<br />
die <strong>Ausgabe</strong>n für TV-Werbung zu verzwanzigfachen.<br />
Zum andern fährt Niebelschütz<br />
die Belegschaft auf 40 Mitarbeiter<br />
hoch und weitet die Produktion sowie die<br />
Lagerbestände aus. Mit vier statt vorher<br />
einer einzigen Maschine kann Niebelschütz<br />
nun 4600 Parfüms am Tag produzieren.<br />
„Da waren die Augen größer als der<br />
Verstand“, sagt Niebelschütz später.<br />
November 2012 Später ist bald. Wenige<br />
Wochen vor Weihnachten zeigt sich, dass<br />
Niebelschütz’ Erwartungen an die Kampagne<br />
völlig überzogen waren. In der Spitze<br />
liegen die Bestellungen maximal bei<br />
20 Prozent des erhofften Wertes. Niebelschütz<br />
und seine Leute werden nervös.<br />
Die Bestellungen bleiben mau, zusätzliche<br />
<strong>Ausgabe</strong>n für Werbung verpuffen. Mitte<br />
November fängt es bei MyParfum an, „zu<br />
kribbeln“, spürt Niebelschütz. Die hohen<br />
Fixkosten erdrücken das enttäuschende<br />
Geschäft. In seiner Not lässt Niebelschütz<br />
einen neuen TV-Spot drehen. Er weiß, die<br />
nächsten Wochen werden über die<br />
Zukunft von MyParfum entscheiden.<br />
Dezember 2012 Der Todeskampf von<br />
MyParfum beginnt. So sehr sich Niebelschütz<br />
auch müht, Anfang Dezember<br />
müssen er und seine Kombattanten einsehen,<br />
dass sie „das Minus bis Weihnachten<br />
nicht mehr aufholen können“. In seiner<br />
Not mottet Niebelschütz die neuen Produktionsmaschinen<br />
ein und entlässt 20<br />
Mitarbeiter. Bis Jahresende steigen die<br />
Schulden auf fast zwei Millionen Euro.<br />
Januar 2013 MyParfum zeigt die letzten<br />
Zuckungen. Niebelschütz kann seinen Vermieter<br />
dazu bewegen, auf Miete für einen<br />
Teil der überflüssigen Räume zu verzichten.<br />
Im Februar soll eine Sammelaktion<br />
bei Kleininvestoren übers Web laufen, die<br />
MyParfum Geld bringen könnte.<br />
Neuanfang MyParfum-Team Yannis<br />
Niebelschütz, Carina Stammermann,<br />
Matti Niebelschütz<br />
Februar 2013 Zwei Tage vor dem Notartermin<br />
bricht Niebelschütz den letzten<br />
Rettungsversuch ab.„Die Schuldenlast<br />
hätte den Großteil des Investments aufgefressen“,<br />
erkennt er, „dadurch hätten wir<br />
die 1000 Privatinvestoren veräppelt.“ Niebelschütz<br />
ist paralysiert, würde sich am<br />
liebsten einbunkern, die fünf Jahre MyParfum<br />
aus seinem Gedächtnis streichen.<br />
März 2013 Niebelschütz stellt beim<br />
Amtsgericht den Insolvenzantrag. Er ist 27<br />
und pleite. Er nutzt die Zeit zum Nachdenken;<br />
versucht, einen klaren Kopf zu bekommt<br />
– und gelangt nach nur einer Woche<br />
zur „Erkenntnis, dass ich weiter ans<br />
Geschäftsmodell von MyParfum glaube“.<br />
August 2013 Dem Gestrauchelten gelingt<br />
es, bei seinem Bruder und anderen<br />
genügend Geld aufzutreiben, um bei der<br />
Versteigerung durch den Insolvenzverwal-<br />
ter MyParfum zurückzukaufen. Er will so<br />
schnell wie möglich ein Atelier eröffnen, in<br />
dem Konsumenten und Händler seine Parfüms<br />
direkt riechen und anfassen können,<br />
„als Showroom für unser Duftsystem“.<br />
September 2013 Doch für gescheiterte<br />
Gründer ist der Neustart in Deutschland<br />
schwer. Neun von zehn Dienstleistern, die<br />
hierzulande die Zahlung per Kreditkarte im<br />
Internet anbieten, lassen Niebelschütz mit<br />
der Begründung abblitzen, dass er als Pleitier<br />
wieder Geschäftsführer sei. Einzig die<br />
Postbank willigte ein, allerdings erst nach<br />
langen Telefonaten und viel persönlichem<br />
Einsatz. Ähnliche Probleme hat Niebelschütz,<br />
als er für MyParfum ein Bankkonto<br />
eröffnen will. Und für den Showroom muss<br />
er eine Kaution von sechs Monatsmieten<br />
hinblättern plus 15000 Euro Risikoprämie<br />
aufgrund seiner Pleite.<br />
Oktober 2013 Es ist so weit, zum zweiten<br />
Mal. MyParfum hat das neue Ladenlokal in<br />
der Reinhardtstraße in Berlin Mitte bezogen.<br />
Hinter dem Empfangstresen stapeln<br />
sich die weißen MyParfum-Versandschachteln.<br />
In der Mitte des Raums steht<br />
die „Duftbar“, wie Niebelschütz sagt: fünf<br />
große Flakons mit Grunddüften, sowohl für<br />
Männer als auch für Frauen, darum herum<br />
48 kleinere Flakons mit sechs Duftnoten<br />
von Amber bis Zeder. Aus ihnen kann sich<br />
der Kunde seinen eigenen Wunschduft zusammenstellen.<br />
Niebelschütz ist zuversichtlich,<br />
mit der „Duftbar“ ein „wichtiges<br />
Element“ gefunden zu haben, „um unser<br />
Internet-Geschäftsmodell auch in die Offline-Welt<br />
zu übertragen“.<br />
Januar <strong>2014</strong> Niebelschütz hat aus seiner<br />
Pleite gelernt und macht die einstige<br />
MyParfum-Mitarbeiterin Carina Stammermann,<br />
eine Betriebswirtin, zur Geschäftsführerin.<br />
Er selbst tritt ins zweite Glied und<br />
kümmert sich um die Produktentwicklung<br />
und neue Geschäftspartner.<br />
Ostern <strong>2014</strong> Niebelschütz nutzt die<br />
Feiertage zur inneren Einkehr. „Wir wollten<br />
bestimmt zu schnell zu viel“, sagt er.<br />
„Aber das war ein unternehmerisches Risiko,<br />
das wir bewusst eingegangen sind –<br />
das gehört eben als Unternehmer dazu.“<br />
Für solch große Worte hat er eine einfache<br />
Erklärung: „Gefühlt hat mich erst die<br />
Erfahrung rund um Aufstieg, Fall und<br />
Wiederaufstehen von MyParfum geistig<br />
erwachsen werden lassen.“<br />
n<br />
michael.kroker@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 61<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Zweierlei Maß<br />
SPEZIAL BUSINESS IT | Die USA wehren sich gegen deutsche Pläne<br />
zur Spionageabwehr. Droht jetzt ein Handelskrieg im Internet?<br />
Das brisante Dokument trägt den unscheinbaren<br />
Titel „<strong>2014</strong> Section<br />
1377 Review“. Nur das Siegel auf<br />
dem Deckblatt mit dem Wappentier der<br />
USA, dem Weißkopfseeadler, verrät: Das<br />
Weiße Haus in Washington hat das Papier<br />
abgesegnet. Fein säuberlich fächern die<br />
Autoren – das US-Präsident Barack Obama<br />
unterstellte und für Freihandel kämpfende<br />
Gremium US Trade Representative (USTR)<br />
– auf 21 Seiten auf, welche Barrieren den<br />
grenzüberschreitenden Internet-Verkehr<br />
ausbremsen<br />
und welche Länder der US-<br />
Regierung die größten Sorgen<br />
bereiten.<br />
Am Pranger des jährlich<br />
veröffentlichten Berichts<br />
stehen in der Regel Staaten<br />
wie die Türkei und China,<br />
die das Grundrecht auf freie<br />
Meinungsäußerung auch<br />
im Internet mit Füßen treten.<br />
Die stärksten Restriktionen<br />
gebe es in der Türkei,<br />
klagt das USTR an. Per Gesetz<br />
werden missliebige<br />
Web-Seiten gesperrt, und<br />
die Kommunikation per<br />
Twitter wird blockiert.<br />
RADIKALE LÖSUNG<br />
Im jüngst erschienenen Bericht<br />
für <strong>2014</strong> stellt das<br />
USTR zum ersten Mal die<br />
EU auf eine Stufe mit den<br />
Internet-Zensoren in der<br />
Türkei. Ungewöhnlich scharf rügt das<br />
USTR den radikalen Vorschlag der Deutschen<br />
Telekom, zur besseren Abwehr von<br />
Spionageangriffen aus dem Ausland künftig<br />
nicht mehr alle E-Mails und Datenpakete<br />
über die Transatlantik-Route und große<br />
Internet-Knotenpunkte in den USA und<br />
Großbritannien laufen zu lassen. Sie sollen<br />
stattdessen auf direktem Weg in Deutschland<br />
(National Routing) oder zwischen den<br />
EU-Ländern mit Ausnahme von Großbritannien<br />
(Schengen-Routing) transportiert<br />
werden. Internet-Knoten in den USA und<br />
England stehen seit den Enthüllungen des<br />
Ex-NSA-Agenten Edward Snowden unter<br />
dem Generalverdacht, von den dortigen<br />
Geheimdiensten observiert zu werden.<br />
Zwischen Europa und den USA droht ein<br />
Konflikt um die Vormacht im Internet. Washington<br />
will weiter die Spielregeln im Web<br />
bestimmen und sieht das Internet, wie Vorschläge<br />
für das Transatlantische Handelsund<br />
Investitionsabkommen zeigen, als<br />
elektronische Handelsplattform an, mit einem<br />
möglichst uneingeschränkten grenzüberschreitenden<br />
Transfer von Daten. Die<br />
Dominanz der überwiegend in den USA<br />
ansässigen und für das Datensammeln bekannten<br />
Web-Giganten wie Google, Apple<br />
und Microsoft soll so verteidigt werden.<br />
Europa dagegen will sich als vertrauenswürdiger<br />
IT-Standort profilieren und ein<br />
Bollwerk gegen die Spähprogramme ausländischer<br />
Geheimdienste aufbauen. Mit<br />
besonders sicheren IT-Produkten ohne<br />
Hintertüren made in Germany soll ein<br />
Stück weit die IT-Souveränität zurückgewonnen<br />
und die Abhängigkeit von ausländischen<br />
Anbietern reduziert werden.<br />
Entzündet hat sich der Streit am National<br />
Routing, einem von der Telekom entwi-<br />
ckelten Plan zur Abwehr der Abhöraktionen.<br />
Die Idee: Ein gesetzlich vorgeschriebenes<br />
Internet der kurzen Wege für innerdeutsche<br />
und -europäische Mails und andere<br />
Datentransfers würde mehr Schutz<br />
bieten, weil kein Byte – auch nicht vorübergehend<br />
– die Grenze überschreitet.<br />
Kanzlerin Angela Merkel unterstützt den<br />
Plan. Denn er ist kurzfristig realisierbar.<br />
„Warum sollte eine E-Mail von Bonn nach<br />
Berlin über London oder New York geleitet<br />
werden?“, fragt der zuständige Telekom-<br />
Vorstand Thomas Kremer. „Zumal der Verdacht<br />
im Raum steht, dass Internet-Verkehre<br />
bewusst über bestimmte Länder geleitet<br />
werden, um Daten abzugreifen.“<br />
Die USA weisen den Vorschlag entschieden<br />
zurück. Das sei „Protektionismus“<br />
zum Schutz der europäischen IT-Industrie<br />
und eine „drakonische<br />
Maßnahme“, mit der Europa<br />
den freien Datenverkehr<br />
im Netz untergrabe. Denn<br />
profitieren würden europäische<br />
Anbieter von Kommunikations-<br />
und IT-<br />
Diensten wie Cloud Computing,<br />
wenn die Daten<br />
stärker über europäische<br />
Netze geleitet und in europäischen<br />
Rechenzentren<br />
gelagert werden. „Ausländische<br />
Anbieter würden<br />
ausgeschlossen und diskriminiert“,<br />
schimpft das<br />
USTR.<br />
Über diese Rüge wundern<br />
sich Experten wie<br />
Karl-Heinz Neumann:<br />
„Nicht zuletzt durch Subventionen<br />
der USA sind die<br />
transkontinentalen Übertragungsstrecken<br />
so kostengünstig,<br />
dass die preiswerteste<br />
Route meist über<br />
diese Knotenpunkte führt“, sagt der Direktor<br />
des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur<br />
und Kommunikationsdienste<br />
in Bad Honnef. „Damit wird dieser Datenverkehr<br />
eine leichte Beute der Abhörwut<br />
der NSA.“<br />
Auch die Telekom ist „irritiert“, dass die<br />
Kritik ausgerechnet aus den USA kommt.<br />
Denn dort schreiben die Behörden allen<br />
Mobilfunk- und Festnetzanbietern vor,<br />
sämtliche Datentransfers zwischen US-<br />
Kunden in den USA zu halten. Wenn es um<br />
die eigenen Interessen geht, messen die<br />
Amerikaner offenbar mit zweierlei Maß. n<br />
juergen.berke@wiwo.de<br />
ILLUSTRATION: THOMAS FUCHS<br />
62 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Technik&Wissen<br />
Antifluttechnik<br />
Die Thames Barrier in<br />
London schützt die<br />
Stadt vor Hochwasser<br />
Der Pegel steigt<br />
KLIMAWANDEL | Die Erderwärmung ist kaum noch zu verhindern. Die Erkenntnis<br />
setzt sich durch: Wir müssen uns an künftige Wetterextreme mit Hitzewellen, Dürren<br />
und Überflutungen anpassen. Wie das geht, zeigen Pilotprojekte schon heute.<br />
Es war der schlimmste Wirbelsturm<br />
in der Geschichte New<br />
Yorks – Sandy. Vor zwei Jahren<br />
fegte der Hurrikan durch die<br />
Häuserschluchten, überflutete<br />
Straßen, zerriss Stromkabel und warf weite<br />
Teile der Stadt tagelang in vorelektrische<br />
Zeiten zurück. Als Michael Bloomberg, damals<br />
Bürgermeister der Stadt, das Ausmaß<br />
der Schäden sah, war für ihn klar: Die Stadt<br />
muss sich fit machen für den Klimawandel.<br />
Die Erderwärmung hatte Sandy nicht<br />
ausgelöst, wohl aber die Wucht des Sturms<br />
gefährlich verstärkt – darin waren sich die<br />
Forscher schnell einig. Bloomberg folgerte:<br />
„Die Städte der Welt wachsen ständig weiter,<br />
damit wird es immer dringlicher, sich<br />
lokal an den Klimawandel anzupassen.“<br />
Die Aufräumarbeiten nach dem Sturm<br />
liefen noch, da präsentierte Bloomberg seinen<br />
Plan: Big Apple soll künftig neue Deiche,<br />
Fluttore und eine wassersichere<br />
Stromversorgung erhalten. Es ist eine<br />
Mammutaufgabe in einer Metropole mit<br />
knapp 850 Kilometer Küstenlinie. Die Kosten:<br />
gigantische 20 Milliarden Dollar.<br />
New York ist längst nicht mehr allein.<br />
Auch London und Ho-Chi-Minh-Stadt in<br />
Vietnam wappnen sich für raueres Wetter.<br />
Selbst in Hannover erarbeiten Stadtplaner<br />
Schutzkonzepte gegen Klimaschäden. Sie<br />
alle glauben nicht mehr, der Klimawandel<br />
ließe sich noch stoppen. Was die Bürgermeister<br />
umtreibt, gilt erst recht für viele Regierungen.<br />
Nicht nur die deutsche hat<br />
schon eine „Anpassungsstrategie an den<br />
Klimawandel“ beschlossen. Auch Experten<br />
in den 48 ärmsten Staaten der Welt arbeiten<br />
an solchen Plänen.<br />
All diese Vorhaben markieren nicht weniger<br />
als eine Kehrtwende im Umgang mit<br />
der Erderwärmung. Sie ist getrieben von<br />
einer Erkenntnis, die der Ökonom Richard<br />
Tol von der britischen Universität Sussex<br />
und frühere Experte des UN-Weltklimara-<br />
FOTO: LAIF/LOOP IMAGES/RICKY LEAVER<br />
64 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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15 000 Tote<br />
forderte die Hitzewelle<br />
von 2003<br />
allein in Frankreich<br />
40 Milliarden<br />
Dollar Mehrkosten<br />
für den globalen<br />
Küstenschutz<br />
20 Grad weniger<br />
Hitze in Wüstenstädten<br />
dank optimaler<br />
Luftströmung<br />
tes (IPCC) so formuliert: „Nicht nur den<br />
Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren<br />
mindert die Folgen des Klimawandel, auch<br />
Anpassung und Wirtschaftswachstum.“<br />
Bisher dominierte bei Umweltschützern<br />
und -politikern die Meinung, die einzige<br />
Chance im Kampf gegen den Klimawandel<br />
sei es, die Emissionen an Kohlendioxid<br />
(CO 2 ) drastisch zu verringern. Nun aber<br />
setzt sich die Einsicht durch: Zu stoppen ist<br />
die Erderwärmung kaum noch. Also sollten<br />
sich die Menschen anpassen. Das zeigt<br />
auch der dritte Bericht des IPCC, den das<br />
Gremium vor wenigen Tagen veröffentlicht<br />
hat (siehe Kasten Seite 66).<br />
Noch eine Erkenntnis kommt hinzu, die<br />
der IPCC Ende März in seinem Report über<br />
den Umgang mit der Erderwärmung so formulierte:<br />
„Die Folgen des Klimawandels<br />
sind kein isoliertes Problem, sondern müssen<br />
zusammen mit Armut, Unterentwicklung<br />
und schlechter Politik bekämpft werden.“<br />
Denn je schlimmer die Armut und je<br />
unfähiger die Politiker, desto krasser wirkt<br />
sich die Erderwärmung aus.<br />
Wie erfolgreich Anpassungsstrategien<br />
sein können, zeigen heute schon Projekte<br />
auf der ganzen Welt: Stadtplaner, Gesundheitsexperten,<br />
Landwirte und Küstenschützer<br />
suchen dabei Antworten auf die<br />
dringendsten Herausforderungen des Klimawandels:<br />
mehr Hitzewellen, Wassermangel,<br />
heftigere Stürme, Starkregen und<br />
den steigenden Meeresspiegel. Woran sie<br />
arbeiten, zeigt die folgende Reise zu den<br />
Brennpunkten des Klimawandels.<br />
STÄDTEBAU Kühle Inseln<br />
London begann schon, sich an den Klimawandel<br />
anzupassen, als kaum jemand im<br />
Weltklimarat davon sprach: Die Parkverwaltung<br />
pflanzte im Jahr 20<strong>04</strong> neue Bäume,<br />
erweiterte Rasenflächen und gab Bächen<br />
ihren einstigen Lauf zurück. In das<br />
Projekt „East London Green Grid“ steckte<br />
Frühwarnsysteme<br />
prognostizieren<br />
Epidemien sechs<br />
Monate im Voraus<br />
die Stadt 24 Millionen Euro. Inzwischen gilt<br />
das Konzept für den Großraum London.<br />
Den soll bis 2025 ein Netz (Grid) grüner<br />
Flächen durchziehen, Bäume sollen 25<br />
Prozent der Stadtfläche ausmachen, heute<br />
sind es 20 Prozent.<br />
Der Effekt:Die Vegetation verringert den<br />
Hitzeinsel-Effekt. Im Zentrum Londons<br />
kann die Temperatur bis zu sieben Grad<br />
Celsius über der im Umland liegen. Die zusätzliche<br />
Begrünung soll verhindern, dass<br />
sich die rasant wachsende Stadt in den<br />
nächsten Jahren weiter aufheizt.<br />
Denn vor allem Hitzewellen, die der Klimawandel<br />
verstärkt, machen Städtern<br />
künftig zu schaffen: Im Glutsommer von<br />
2003 etwa starben in Frankreich rund<br />
15 000 Menschen mehr als in vergleichbaren<br />
Zeiträumen; die meisten im Ballungsraum<br />
Paris. Daher begrünen derzeit auch<br />
Metropolen wie Berlin, Chicago und Singapur<br />
mit Hochdruck das Stadtgebiet.<br />
Hitze ist nicht die einzige Herausforderung:<br />
Heftige Regenfälle überfordern die<br />
Kanalisation, Dürren lassen die Wasserversorgung<br />
zusammenbrechen. Städte haben<br />
aber eine ganze Reihe von Möglichkeiten,<br />
auf höhere Temperaturen zu reagieren.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 65<br />
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Technik&Wissen<br />
KLIMAKOSTEN<br />
Solaranlagen<br />
oder Deiche?<br />
Die Menschheit muss sich auf den<br />
Klimawandel einstellen. Allein der<br />
Küstenschutz kostet Milliarden.<br />
Bisher herrscht unter Ökonomen ein erbitterter<br />
Streit um die Frage, was wirtschaftlicher<br />
ist: sich dem Klimawandel<br />
anzupassen oder ihn zu verhindern.<br />
Eine Antwort kann der Vorsitzende des<br />
UN-Weltklimarates (IPCC) Rajendra<br />
Pachauri noch nicht geben. Immerhin:<br />
Bis Oktober wollen er und seine Experten<br />
dazu einen großen Report verfassen.<br />
Schon jetzt aber ist für ihn klar:<br />
„Wir müssen die Anpassung an den Klimawandel<br />
ebenso finanzieren wie die<br />
Vermeidung.“ Dahinter steckt die Einsicht:<br />
Zwei Grad wärmer wird die Welt<br />
ohnehin, auf die Folgen muss sich die<br />
Menschheit einstellen.<br />
UNGENÜGENDE STUDIEN<br />
Was es kostet, die Erderwärmung auf<br />
zwei Grad zu begrenzen, ist dagegen<br />
klar. Die Zahlen finden sich im dritten<br />
Teil des aktuellen Weltklimaberichtes,<br />
den der IPCC vergangenen Sonntag in<br />
Berlin vorgestellt hat. Der Leitautor Ottmar<br />
Edenhofer, Ökonom am Potsdam-<br />
Institut für Klimafolgenforschung (PIK),<br />
geht davon aus, dass <strong>Ausgabe</strong>n für<br />
einen wirksamen Klimaschutz wie etwa<br />
das Fördern erneuerbarer Energien das<br />
Wachstum der Weltwirtschaft pro Jahr<br />
nur um rund 0,06 Prozentpunkte abschwächen.<br />
„Klimapolitik bedeutet also<br />
nicht, dass die Welt auf Wirtschaftswachstum<br />
verzichten muss“, sagt er.<br />
Wie viel eine Anpassung an eine zwei<br />
Grad wärmere Welt kostet, beziffert der<br />
Weltklimarat nicht. Die Begründung:<br />
Bisherige Studien seien „ungenügend“.<br />
Anhaltspunkte gibt es aber. Was es<br />
etwa für den Küstenschutz bedeutet,<br />
wenn sich die Erde um fast fünf Grad<br />
erwärmt, rechneten kürzlich Forscher<br />
des Global Climate Forum, einem Berliner<br />
Thinktank, vor. Betroffene Staaten<br />
müssten jährlich bis zu 70 Milliarden<br />
Dollar investieren. Bliebe es dagegen<br />
bei weniger als zwei Grad Erwärmung,<br />
wären es höchstens 30 Milliarden.<br />
Globaler Wandel Bauern ernten Kartoffeln in Grönland (links); Dürre am Rhein (Mitte)...<br />
»<br />
Eine besonders energieeffiziente nutzt<br />
die Stadt Doha im Emirat Katar. Hier kühlen<br />
in zwei Vierteln nicht gewöhnliche Klimaanlagen<br />
die Bauten, sondern Pumpen<br />
leiten kaltes Wasser durch die Häuser. Dieses<br />
„District Cooling“ funktioniert ähnlich<br />
wie die bekannte Fernwärmeheizung, nur<br />
kommt hier Wasser mit einer Temperatur<br />
von 5,5 Grad Celsius in den Häusern an.<br />
Das System verbraucht 40 Prozent weniger<br />
Energie als konventionelle Klimaanlagen.<br />
Auch wenn es um angenehme Außentemperaturen<br />
geht, sind arabische Städte<br />
Vorbilder. In Masdar, einem Städtebauprojekt<br />
für 40 000 Einwohner und 50 000 Pendler<br />
nahe Abu Dhabi, sind die Häuserzeilen<br />
so eng gebaut, dass keine Sonne auf die<br />
Gehsteige dazwischen fällt. Die Anordnung<br />
der Gebäude schafft freie Bahn für<br />
Luftströmungen – die frische Brise soll die<br />
Sommertemperatur in Masdar City um bis<br />
zu 20 Grad Celsius gegenüber derjenigen<br />
in der Sandwüste der Umgebung senken.<br />
In bestehenden Städten hilft oft nur eine<br />
bessere Organisation. In Paris etwa hat die<br />
Stadtverwaltung nach dem tödlichen Sommer<br />
2003 einen Notfallplan entwickelt. Bei<br />
künftigen Hitzwellen sollen Hilfsbedürftige,<br />
die sich bei den Behörden registriert<br />
haben, in Herbergen versorgt werden.<br />
GESUNDHEIT Abwehr von Seuchen<br />
Im Sommer 2011 machte ein Reporter des<br />
arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera<br />
eine alarmierende Entdeckung: In Lakonien,<br />
einer Küstenregion im Süden Griechenlands,<br />
häuften sich bei Arbeitern auf<br />
den Zitrusplantagen Malariafälle. Dabei<br />
galt die Krankheit in Europa seit <strong>19</strong>70 als<br />
ausgerottet. In dem Fernsehbeitrag des<br />
Senders nannte Apostolos Veiziz, ein Mediziner<br />
im Dienst der Hilfsorganisation<br />
Ärzte ohne Grenzen, die Gründe für die<br />
Rückkehr der Tropenkrankheit: „Die Regierung<br />
hat wegen der Finanzkrise kein<br />
Geld, Insektizide zur Bekämpfung der Mücken<br />
zu versprühen“, sagte er. Gleichzeitig<br />
trügen steigende Temperaturen zur explosionsartigen<br />
Vermehrung der Mücken bei.<br />
Die griechischen Behörden schickten<br />
daraufhin Trucks der Seuchenbehörde, die<br />
den Arbeitern Blut abnahmen und sie mit<br />
Medikamenten versorgten. Auch begann<br />
sie wieder, die Schädlinge zu bekämpfen.<br />
Mit Erfolg: Zwei Jahre später wurden nur<br />
noch drei Fälle Malaria in Griechenland<br />
registriert.<br />
Für den ehemaligen IPCC-Autor Richard<br />
Tol ist klar: „Heute ist Malaria vor allem ein<br />
Problem armer Länder, und der Klimawandel<br />
wird die Situation verschlimmern.<br />
Erst mit zunehmendem Wohlstand wird<br />
das Problem verschwinden.“<br />
Das gilt auch für viele andere Krankheiten,<br />
die mit dem Klimawandel zunehmen.<br />
Dazu gehören Dengue-Fieber und Borreliose,<br />
die durch Zecken übertragen wird,<br />
aber auch Meningitis, Rifttalfieber und<br />
Cholera. Gesundheitsexperten aus dem<br />
Senegal, Malawi und Ghana arbeiten deshalb<br />
mithilfe europäischer Klimaforscher<br />
an einem Frühwarnsystem für Epidemien.<br />
In dem Projekt mit dem Namen Qweci<br />
meldeten Krankenhäuser per Funk unter<br />
anderem Malariafälle automatisch an eine<br />
zentrale Sammelstelle. Gleichzeitig lieferten<br />
Satelliten Wetterdaten für jede Region.<br />
Häuften sich die Erkrankungen und nahte<br />
für Insekten günstiges Wetter, wurden die<br />
Ärzte auch andernorts alarmiert. Das half,<br />
Medikamente rechtzeitig zu liefern und die<br />
Menschen vor Ort zu warnen. Das System<br />
FOTOS: GETTY IMAGES/AURORA, IMAGO/JOCHEN TACK, CORBIS/GEORG STEINMETZ<br />
66 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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...in Afrika forsten Küstenbewohner Mangrovenwälder (rechts) als Sturmflutschutz wieder auf<br />
wollen die Forscher nun verfeinern, um<br />
Krankheitsausbrüche bis zu sechs Monate<br />
vorab zu prognostizieren.<br />
ERNÄHRUNG Hirse statt Mais<br />
Unter „Pink Lady“ hätten sich die Deutschen<br />
noch vor Kurzem vieles vorgestellt,<br />
aber keine Apfelsorte. Heute pflanzen<br />
Obstbauer sie dank der Erderwärmung<br />
auch hierzulande. Pink Lady verträgt Hitzewellen<br />
besser als viele andere Äpfel.<br />
Darum wuchs sie früher vorwiegend in<br />
Frankreich oder Italien.<br />
Erkennbar wird der Klimawandel nicht<br />
nur in der Obstabteilung des Supermarkts,<br />
sondern auch in der Statistik. In Deutschland<br />
hat sich die Anbauperiode für Agrarpflanzen<br />
seit <strong>19</strong>70 um zwei Wochen verlängert.<br />
Das klingt positiv, kann in südlichen<br />
Ländern aber ernste Folgen haben. Die Erträge<br />
der Bauern, schätzen Experten,<br />
könnten wegen stärkerer Hitzewellen ab<br />
2050 um bis zu 25 Prozent sinken. Vor allem<br />
bei Weizen und Mais, warnt der UN-<br />
Klimarat, sind drastische Einbußen möglich.<br />
Ohne Anpassungen komme es deshalb<br />
in Zukunft zu Nahrungsengpässen,<br />
weil die Weltbevölkerung weiter wachse.<br />
Doch auch hier haben Landwirte Chancen,<br />
sich anzupassen – etwa indem sie Anbaumethoden<br />
verändern, die Bewässerung<br />
verbessern oder andere Pflanzen nutzen.<br />
Auf diese Weise haben sich die Erträge<br />
pro Hektar seit dem Zweiten Weltkrieg<br />
mehr als verdoppelt. Besonders wichtig ist,<br />
Pflanzen zu züchten, die das veränderte<br />
Klima vertragen.<br />
Trockenresistenten Varianten der Hirse<br />
schreiben Saatgutforscher eine Schlüsselrolle<br />
zu, etwa als Ersatz für Mais. Gegen<br />
längere Dürren könnten Nutzpflanzen mit<br />
längeren Wurzeln helfen. Für Trockenheit<br />
optimierte Sorten können bis zu 15 Prozent<br />
mehr Ertrag bringen als herkömmliche<br />
Arten – und so die durch den Klimawandel<br />
bedingten Ernterückgänge ausgleichen.<br />
Aber auch zu viel Wasser wird für die<br />
Bauern künftig zum Problem. Vor allem<br />
wenn es das falsche ist wie in Bangladesch.<br />
Dort ergießen sich fast jährlich Sturmfluten<br />
über die Felder, die Millionen Menschen<br />
ernähren. Extra für diesen Einsatz<br />
züchteten Forscher nun Reissorten, die resistenter<br />
gegenüber Salz sind.<br />
MEERE Hochseefische <strong>vom</strong> Land<br />
Um drei Zentimeter pro Jahrzehnt ist der<br />
Meeresspiegel seit <strong>19</strong>93 gestiegen. Bis 2100<br />
können laut UN-Klimarat weitere 30 bis<br />
100 Zentimeter dazukommen. Noch verläuft<br />
die Entwicklung langsam. London<br />
will sein großes Sturmflutwehr – die Thames<br />
Barrier – daher frühestens 2070 aufstocken.<br />
Auch in der Deutschen Bucht sind<br />
die Deiche wohl bis Mitte des Jahrhunderts<br />
sicher. Trotzdem werden sich allein durch<br />
Neue, dürreresistente<br />
Pflanzen<br />
bringen 15 Prozent<br />
mehr Ertrag<br />
Wirtschaftswachstum laut Weltbank die in<br />
Küstenstädten bedrohten Sachwerte bis<br />
2050 verzehnfachen.<br />
Und weil der Boden in dicht besiedelten<br />
Deltas durch Wasserentnahmen sinkt,<br />
wird dort schon ein Anstieg des Meeres<br />
um Zentimeter zum Problem – und Anpassung<br />
nötig. Niederländische Experten<br />
sind jetzt etwa in New York und in Bangladesch<br />
gefragt, um den Küstenschutz zu<br />
verstärken.<br />
Doch nicht nur der Meeresspiegel steigt.<br />
Auch die marine Fauna reagiert auf den<br />
Klimawandel. Fische weichen in kühlere<br />
Gewässer aus. In die Nordsee sind laut<br />
dem Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven<br />
in den letzten Jahrzehnten 40 neue Arten<br />
eingewandert, darunter Sardinen und<br />
Wolfsbarsch, während sich der Dorsch<br />
nach Norden verdrückt. Das spüren auch<br />
die Fischer: In hohen Breiten nähmen die<br />
Fänge zu; in den Tropen aber könnten sich<br />
die Mengen bis 2050 halbieren, warnt der<br />
Klimarat. Um sich anzupassen, müssen<br />
andere Arten befischt werden.<br />
Auch Aquakulturen können helfen, die<br />
Eiweißversorgung der Menschen zu sichern.<br />
Früher wurden die Kulturen oft an<br />
Küsten angelegt – und verdrängten schützende<br />
Mangroven. Inzwischen aber gibt es<br />
schonendere Ansätze – im Binnenland: In<br />
Deutschland wollen Firmen wie etwa Neomar<br />
Meeresfische wie Doraden züchten.<br />
Auch Korea besitzt inzwischen vergleichbare<br />
Aquakulturen für Meeresfische.<br />
Wer weiß: Vielleicht entdeckt auch<br />
Bloombergs Nachfolger Bill de Blasio noch<br />
das Hochseeangeln im New Yorker Binnenland<br />
– um seine Metropole auf den Klimawandel<br />
vorzubereiten.<br />
n<br />
sven titz | technik@wiwo.de, benjamin reuter<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 67<br />
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Technik&Wissen<br />
Kampf der Keime<br />
GESUNDHEIT | Bei Bakterien denken wir meist an gefährliche<br />
Erreger. Können wir sie dazu bringen, Krankheiten zu heilen?<br />
tiv simple List verfallen: Sie versuchen, die<br />
alten Machtverhältnisse, sprich die Artzusammensetzung<br />
im Darm, wiederherzustellen.<br />
Sie übertragen dazu einfach die<br />
Mikroben eines Gesunden auf den Kranken.<br />
Ganz praktisch bedeutet das – und<br />
jetzt wird es etwas anrüchig: Sie besorgen<br />
sich eine Stuhlprobe und bringen sie in<br />
den Darm des Erkrankten.<br />
Wir sind nicht allein. Nie. In uns, auf<br />
uns lebt es: Abermillionen an Bakterien<br />
und anderen Mikroorganismen<br />
betrachten uns als Biotop auf zwei<br />
Beinen. Stolze zwei Kilogramm bringt dieses<br />
Mikrobiom zusammengerechnet beim<br />
Erwachsenen auf die Waage; auf jede einzelne<br />
Zelle unseres Körpers kommen rechnerisch<br />
zehn Miniviecher.<br />
Und das ist gut so.<br />
Denn ohne die Mikroben, die uns besiedeln,<br />
könnten wir gar nicht überleben. So<br />
helfen uns Bakterien im Dünndarm – die<br />
berühmte Darmflora –, die Nahrung ordentlich<br />
zu verdauen. Mikroorganismen<br />
auf der Haut wehren gefährliche Erreger ab.<br />
Die kleinen Mitbewohner spielen – das<br />
wird erst jetzt so richtig klar – aber auch eine<br />
wichtige Rolle bei erstaunlich vielen<br />
Krankheiten: angefangen bei Darmerkrankungen<br />
über Rheuma bis hin zu Depressionen.<br />
Wie im tropischen Dschungel, in dem<br />
sich Pflanzen und Tiere in einem sensiblen<br />
ökologischen Gleichgewicht befinden, hat<br />
es auch für das Mikrobiom katastrophale<br />
Folgen, wenn sich die Zusammensetzung<br />
der Mikrobenarten verschiebt. Das Abwehrsystem<br />
des Menschen kann dadurch<br />
so irritiert werden, dass Immunzellen körpereigenes<br />
Gewebe angreifen. Chronische<br />
Wimmelbild Im Bauch tobt die Schlacht<br />
zwischen guten und schlechten Bakterien<br />
Entzündungen im Darm wie Morbus<br />
Crohn aber auch multiple Sklerose, Rheuma<br />
oder die Zuckerstoffwechselerkrankung<br />
Diabetes sind Beispiele. Oder es können<br />
sich fremde Bakterien breitmachen,<br />
die starke Durchfälle auslösen.<br />
Was tun, wenn das passiert? Gerade<br />
dann, wenn Medikamente keinerlei Wirkung<br />
zeigen und radikale Eingriffe wie etwa<br />
die Entfernung eines Teils des Darms<br />
bevorsteht, sind Ärzte jüngst auf eine rela-<br />
Eifrige Forscher<br />
Zahl derStudien und Publikationen zu<br />
Stuhltransplanationen*<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
wissenschaftliche Publikationen<br />
registrierte klinische Studien<br />
2009 2010 2011 2012 2013<br />
*inder Datenbanken Pubmed und Clinicaltrials.gov<br />
für den englischen Suchbegriff „fecal microbiota<br />
transplantation“; Quelle: Nature<br />
UNAPPETITLICH, ABER WIRKSAM<br />
Zugegeben: Die Methode ist alles andere<br />
als appetitlich. Doch sie zeigte in einzelnen<br />
Fällen auch bei Parkinson-Patienten und<br />
Menschen mit Autoimmunkrankheiten<br />
wie multipler Sklerose (MS) große Wirkung.<br />
Sogar Autisten, die sich mehr oder<br />
weniger stark von der Welt abkapseln,<br />
schien eine neue Darmflora zu mehr Weltoffenheit<br />
zu verhelfen – auch wenn die zugehörigen<br />
Publikationen umstritten sind.<br />
Denn bisher gibt es hier keine sauberen klinischen<br />
Studien, sondern lediglich Einzelfallbeobachtungen.<br />
Wenn sich die Wirksamkeit<br />
aber in Zukunft mit Studien belegen<br />
lässt, scheint das Potenzial möglicher<br />
Anwendungen geradezu fantastisch.<br />
Entsprechend groß ist das Interesse an<br />
der neuen Therapieform. Forscher wie Kliniken<br />
sind elektrisiert. Die Zahl der wissenschaftlichen<br />
Veröffentlichung zum Thema<br />
steigt derzeit sprunghaft an. Ebenso die<br />
Zahl der gerade laufenden klinischen Studien<br />
(siehe Grafik). Und immer mehr Krankenhäuser<br />
bieten die neue Heilmethode an.<br />
Manch verzweifelter Patient hat auch schon<br />
die im Internet kursierenden Do-it-yourself-Anleitungen<br />
ausprobiert, wie Stuhlproben<br />
von Freunden und Verwandten im heimischen<br />
Badezimmer aufzubereiten sind.<br />
Ausgelöst hat den derzeitigen Hype eine<br />
klinische Studie aus den Niederlanden, die<br />
Anfang 2013 veröffentlicht wurde. Es war<br />
weltweit die erste Studie, in der Ärzte die<br />
seit den Fünfzigerjahren beschriebene<br />
Methode des Transfers fremdem Stuhls<br />
systematisch unter die Lupe nahmen.<br />
Die Forscher wählten dazu Patienten aus,<br />
die an einer Infektion mit dem aggressiven<br />
Darmkeim Clostridium-difficile litten. Er<br />
verursacht schwere Durchfälle und hat sich<br />
inzwischen zu einer echten Plage entwickelt.<br />
So erfasste das Bundesamt für Statistik<br />
2012 in deutschen Krankenhäusern 28 950<br />
Clostridium-difficile-Infektionen (CDI).<br />
2250 der Patienten starben. <strong>19</strong>98, als die Erkrankung<br />
erstmals in die Statistik aufgenommen<br />
wurde, gab es nur drei Todesfälle.<br />
Bisher bekämpfen die Ärzte den Keim<br />
mit einer Reihe von Antibiotika. Doch<br />
»<br />
FOTOS: GETTY IMAGES, AGENTUR FOCUS/EYE OF SCIENCE [MONTAGE]<br />
68 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Technik&Wissen<br />
»<br />
bei einem Fünftel der Betroffenen<br />
kommt der Erreger immer und immer wieder<br />
zurück. Ein normales Leben oder eine<br />
Berufstätigkeit ist bei zehn bis zwölf Durchfallattacken<br />
pro Tag quasi unmöglich.<br />
Genau solche Rückfallpatienten behandelten<br />
die Mediziner in Amsterdam<br />
mit den Stuhltransplantaten. 15 von 16<br />
Patienten waren den Keim danach los.<br />
Doch nur 4 von 13 Patienten in der<br />
mit Antibiotika behandelten Vergleichsgruppe<br />
wurden kuriert. Die Stuhltherapie<br />
war so erfolgreich, dass die behandelnden<br />
Ärzte die Studie aus ethischen Gründen<br />
abbrachen. Es war den Patienten nicht<br />
zuzumuten, auf die so wirksame Stuhltherapie<br />
zu verzichten.<br />
Auch Kliniken in Bremen, Berlin, Jena,<br />
Heidelberg oder Ulm bieten die Therapie<br />
neuerdings an. Allerdings nur in Einzelfällen.<br />
Denn bisher weiß kein Arzt so recht,<br />
wie die rechtliche Lage ist. Auch die Deutsche<br />
Gesellschaft für Infektiologie arbeitet<br />
gerade erst daran, Leitlinien für den Umgang<br />
mit den Stuhlspenden zu entwerfen.<br />
Angesichts der großen Nachfrage zerbrechen<br />
sich auch Experten der deutschen<br />
Zulassungsbehörde – des Bundesinstituts<br />
für Arzneimittel und Medizinprodukte in<br />
Bonn – gerade die Köpfe darüber, wie der<br />
Einsatz der Methode geregelt und in sichere<br />
Bahnen gelenkt werden könnte.<br />
Klarheit will Maria Vehreschild hier<br />
schaffen. Sie leitet an der Medizinischen<br />
Klinik der Universität Köln die Studien<br />
zum Fäkal-Transfer. Sechs Patienten hat sie<br />
seither behandelt und dabei gewisse Routinen<br />
entwickelt, die in die Leitlinien einfließen<br />
sollen. Dabei geht es etwa um die<br />
Frage, auf welche Krankheitserreger Spender<br />
und Stuhlproben getestet werden müssen.<br />
Aber auch darum, ob der gereinigte<br />
und verdünnte Stuhl besser über eine Nasensonde,<br />
einen Einlauf oder per Magenspiegelung<br />
und Dünndarmsonde an Ort<br />
und Stelle gebracht wird.<br />
NOCH FEHLEN KLARE REGELN<br />
Auch ob Verwandte und Lebenspartner<br />
oder professionelle Spender sich besser<br />
eignen, will Vehreschild herausfinden. Der<br />
Charme der Bekannten-Spende: Je enger<br />
Menschen zusammenleben, desto mehr<br />
ähnelt die übertragene Darmflora der eigenen.<br />
Das Problem ist nur: Die Prozedur ist<br />
aufwendig. Viel einfacher und effektiver ist<br />
es laut Vehreschild, immer wieder Stuhlproben<br />
desselben, bereits auf Erkrankungen<br />
durchgecheckten Spenders zu nehmen.<br />
Das spart Zeit und Geld.<br />
2250 Patienten<br />
bringt Clostridium<br />
difficile proJahr<br />
in Deutschland um<br />
TAYMOUNT CLINIC<br />
Rettung oder<br />
Abzocke?<br />
Nahe London bietet eine kleine<br />
Privatklinik seit fast zehn Jahren<br />
Bakterientransplantation an.<br />
Wer unter klassisch nicht zu heilenden<br />
Darmerkrankungen leiden, für den ist<br />
die Taymount Clinic im Norden von London<br />
eine Art Rettungsinsel. Denn dort<br />
bieten Enid und Glenn Taylor seit fast<br />
zehn Jahren die Behandlung mit Stuhltransplantaten<br />
an. Die Therapie bewies<br />
2013 bei Infektionen mit dem Darmkeim<br />
Clostridium difficile ihre Wirksamkeit<br />
(siehe Haupttext). Zu Preisen<br />
zwischen knapp 2500 und 10 000 Euro<br />
saniert die geschäftstüchtige Klinik<br />
aber auch die Darmflora von Menschen<br />
mit multipler Sklerose, Autismus und<br />
chronischer Erschöpfung – auch wenn<br />
die Datenlage noch dünn ist.<br />
Langfristig muss aber eine klare Reglung<br />
her, sagt die Ärztin, um das Verfahren zu<br />
standardisieren und möglicherweise zu einem<br />
Fertigprodukt zu kommen.<br />
Daran arbeitet zum Beispiel auch das<br />
Forscherteam um Emma Allen-Vercoe an<br />
der kanadischen University of Guelph in<br />
Ontario. RePOOPulate hat Allen-Vercoe<br />
das Projekt der Darm-Wiederbesiedlung<br />
genannt. Und sie will ganz weg von der<br />
Stuhlspende. Stattdessen strebt sie an, einen<br />
ausgewählten gesunden Bakterien-<br />
Cocktail im Labor zu züchten und ihn<br />
möglicherweise in eine Medikamentenkapsel<br />
zu verpacken. Die kann der Patient<br />
dann einfach schlucken.<br />
Noch ist das Zukunftsmusik. In den USA<br />
hat Mark Smith immerhin schon eine Art<br />
Versandhandel namens OpenBiome aufgebaut.<br />
Für 250 Dollar können Ärzte dort<br />
geprüfte Stuhltransplantate beziehen. Der<br />
Mikrobiom-Forscher Smith gründete die<br />
gemeinnützige Organisation, nachdem er<br />
bei einem Freund miterlebt hatte, wie der<br />
nach qualvollen Jahren mit einer chronischen<br />
Chlostridien-Infektion endlich<br />
durch ein Stuhltransplantat geheilt wurde.<br />
Der Haken ist nur: Die US-Gesundheitsbehörde<br />
FDA hat gerade vorgeschlagen,<br />
dass Ärzte die Therapie in Zukunft nur<br />
noch im Rahmen von genehmigten Studien<br />
durchführen dürfen. Dann wäre es für<br />
Patienten sehr schwierig, einen Arzt zu finden,<br />
der die Therapie einsetzen darf. Daher<br />
hat Smith jüngst im renommierten<br />
Wissenschaftsmagazin „Nature“ Alarm geschlagen.<br />
Er forderte die Gesundheitsbehörden<br />
auf, Patienten den legalen Zugang<br />
zu Stuhltransplantaten zu ermöglichen.<br />
WENN AUS... GOLD WIRD<br />
Denn die Tatsache, dass medizinische Laien<br />
in ihrer Not zur Selbsthilfe greifen, hält<br />
er für sehr riskant. Zwar ist das Prozedere<br />
mit YouTube-Videoanleitung vermutlich<br />
ganz gut zu beherrschen. Doch diese<br />
Transplantate durchlaufen keinerlei Sicherheitscheck.<br />
Noch skurriler: Smiths<br />
OpenBiome-Stuhl-Bank bekam sogar Anfragen,<br />
ob und wie auch der Kot von Haustieren<br />
aufzubreiten sei.<br />
Auch in Deutschland ist die Versorgungslage<br />
mit heilsamen Darmbakterien<br />
noch sehr dünn. Die Therapie komme aber<br />
auch nicht für jeden CDI-Patienten infrage,<br />
sagt die Kölner Ärztin Vehreschild. Sie setzt<br />
erst nach mehreren Rückfällen auf die<br />
Neubesiedlung mit fremdem Stuhl.<br />
„Bei Anwendungsfeldern außerhalb der<br />
CDI können wir noch nicht sagen, ob die<br />
Therapie etwas bringt“, bremst sie übertriebene<br />
Erwartungen. Aber sie will es gerne erforschen.<br />
Vor allem bei anderen Darmerkrankungen<br />
– <strong>vom</strong> Reizdarm bis zu Autoimmunstörungen<br />
– sieht sie große Chancen.<br />
Für andere Einsatzfelder wie Parkinson,<br />
Autismus oder sogar Depressionen wagt<br />
Vehreschild noch keine Prognosen. „Wir<br />
wissen bisher noch gar nicht, was wir da alles<br />
übertragen und welche langfristigen Effekte<br />
das hat.“ Ihr Credo lautet deshalb: „Wir<br />
müssen unsere winzigen Mitbewohner<br />
noch viel besser erforschen.“<br />
n<br />
susanne.kutter@wiwo.de<br />
FOTO: AGENTUR FOCUS/SPL/JENNIFER HULSEY<br />
70 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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VALLEY TALK | Nach harten Jahren sind Umwelttechnik-<br />
Start-ups bei Investoren wieder beliebt. Nun tun sich<br />
andere Branchen schwer. Von Matthias Hohensee<br />
Sinuskurve der Hoffnung<br />
FOTO: JEFFREY BRAVERMAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Wohl und Wehe der High-<br />
Tech-Branche sind heftigen<br />
Schwankungen unterworfen.<br />
Genau das macht sie für<br />
Investoren interessant. Die Kunst ist nur,<br />
rechtzeitig einzuschätzen, was demnächst<br />
Mode ist. Und auch, wo die Realität dem<br />
Hype den Wind aus den Segeln nimmt.<br />
Auf dieser Sinuskurve der Hoffnungen<br />
bewegte sich Umwelttechnik seit 2011 stetig<br />
nach unten. Die Produktion von Solarmodulen<br />
entpuppte sich als Milliardengrab.<br />
Der Boom alternativer Fördermethoden wie<br />
Fracking für Gas und Öl unterminierte erneuerbare<br />
Energieträger. Wagniskapitalgeber<br />
im Silicon Valley, die mit Internet-Startups<br />
teils in wenigen Monaten ihren Einsatz<br />
vervielfachen, stiegen – wie Andreesen Horowitz<br />
– erst gar nicht in klassisches Cleantech<br />
ein oder schraubten ihre Aktivitäten<br />
zurück, wie Mohr Davidow. Die Misere gipfelte<br />
in dem Bonmot von Joe Dear. „Cleantech“,<br />
unkte der Ex-Investmentchef der<br />
Pensionskasse Calpers, sei eine „noble Art,<br />
um Geld zu verlieren“. Das Zitat stammt<br />
<strong>vom</strong> Frühjahr 2013.<br />
An dieser Stelle stand damals, dass clevere<br />
Kapitalgeber die düstere Stimmung<br />
nun für den Einstieg in Umwelttechnik nutzten.<br />
Denn die Bewertungen der Start-ups<br />
waren wegen der enttäuschten Hoffnungen<br />
wieder attraktiv. Zudem bildete sich<br />
mit dem „Cleanweb“ ein neues Segment<br />
heraus, mit viel niedrigerem Risiko.<br />
Start-ups, die etwa Lösungen für effektiveren<br />
Stromverbrauch in Datenzentren,<br />
Bürobauten oder Haushalten entwickeln,<br />
benötigen weit weniger Kapital als zum Beispiel<br />
Hersteller von Solarzellen. Zugleich<br />
blieben die staatlichen Vorgaben zum stärkeren<br />
Einsatz von erneuerbaren Energien<br />
und von Einspartechnik unverändert.<br />
Inzwischen lässt sich der vorausgesagte<br />
Aufwärtstrend mit Zahlen belegen. Seit<br />
Sommer ziehen die Investitionen in Cleantech<br />
in den USA wieder an. Besonders positiv<br />
fiel das erste Quartal <strong>2014</strong> aus, wie die<br />
neueste Studie von CB Insights belegt. Der<br />
Sektor erhielt 563 Millionen Dollar Wagniskapital,<br />
38 Prozent mehr als im Jahr zuvor.<br />
Zum besseren Klima trug nicht nur der<br />
unerwartet gute Absatz von Teslas Elektroautos<br />
bei. Fantasien beflügelt auch der<br />
Verkauf von Nest Labs. Für den Hersteller<br />
vernetzter Thermostate zahlte Google 3,2<br />
Milliarden Dollar. Das Start-up verzwanzigfachte<br />
in nur dreieinhalb Jahren das eingesetzte<br />
Kapital von Investor Kleiner Perkins.<br />
ZWERGE, DIE RIESEN SCHLAGEN<br />
Positiv für den Sektor ist auch der jüngste<br />
Börsengang von Opower, der dem 2007<br />
gegründeten Start-up eine Börsenkapitalisierung<br />
von knapp einer halben Milliarde<br />
Dollar bescherte. Opower hilft Energieversorgern<br />
bei der Auswertung von Strom- und<br />
Heizungsverbrauchsdaten ihrer Kunden<br />
und dem Versand von darauf basierten<br />
Spartipps an Haushalte. Und zwar in Papierform.<br />
Google und Microsoft hatten<br />
2011 – erfolglos – Ähnliches versucht, sich<br />
anders als Opower aber auf reine Internet-<br />
Portale fokussiert. Das Beispiel inspiriert<br />
Gründer, weil es zeigt, wie sich Start-ups<br />
gegen Giganten durchsetzen können.<br />
Cleantech ist wieder in Mode. Das wirft die<br />
Frage auf, welche andere Branche überhitzt<br />
ist, in der die Sinuskurve ihren Gipfel schon<br />
wieder überschritten hat? Manches spricht<br />
dafür, dass es Start-ups trifft, die mobile<br />
Apps und Dienste anbieten? Die sammelten<br />
vergangenes Jahr die Rekordsumme von<br />
3,6 Milliarden Dollar ein. Das hat den Wettbewerb<br />
so angestachelt, dass sich ihre<br />
Geschäftsmodelle, die oft auf Aboverkauf<br />
setzen, kaum mehr durchsetzen lassen.<br />
Trotzdem wird die Korrektur wohl noch<br />
etwas dauern, vor allem nach dem Verkauf<br />
des SMS-Dienstleisters Whatsapp für <strong>19</strong><br />
Milliarden Dollar an Facebook. Was aber<br />
nichts daran ändert, dass längst nicht jedes<br />
App-Start-up bei einem Internet-Giganten<br />
sein neues Zuhause findet.<br />
Der Autor ist WirtschaftsWoche-Korrespondent<br />
im Silicon Valley und beobachtet<br />
von dort seit Jahren die Entwicklung der<br />
wichtigsten US-Technologieunternehmen.<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 71<br />
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Management&Erfolg<br />
Erfinde dich neu<br />
GRÜNDER | Ob Schokoladeproduzent, Internet-Handelsportal oder Kohlehersteller:<br />
Der WirtschaftsWoche-Gründerwettbewerb zeigt: Erfolg hat nur, wer bereit ist,<br />
Strategie, Geschäftsmodell und Zielgruppe immer wieder radikal zu überdenken.<br />
Als der Druck zu<br />
groß und die Zahlen<br />
zu schlecht<br />
wurden und auch<br />
noch die Gespräche<br />
mit einem potenziellen<br />
Investor platzten, sah Friedrich<br />
von Ploetz nur noch eine Option: Er machte<br />
sich auf den Weg zum Potsdamer Amtsgericht<br />
und beantragte Insolvenz für<br />
Suncoal – das Unternehmen, das er 2007<br />
mit seinem Kompagnon Tobias Wittmann<br />
gegründet hatte. Die Idee: aus Abfällen<br />
wie Klärschlamm oder Grünschnitt Kohle<br />
zu produzieren. Sechs Jahre hatten beide<br />
viel Herzblut, Energie und Geld in die<br />
Firma gesteckt – bis sie vor einem Jahr<br />
die Reißleine zogen. „Der Schritt war eine<br />
Erleichterung“, sagt von Ploetz heute,<br />
„danach mussten wir keinen überhöhten<br />
Erwartungen mehr hinterherlaufen und<br />
konnten uns ganz darauf konzentrieren,<br />
das Unternehmen schlank und effizient<br />
neu aufzustellen.“<br />
Dass Start-ups wie Suncoal scheitern,<br />
ist eher die Regel als die Ausnahme:<br />
Laut KfW-Gründungsmonitor gibt jedes<br />
dritte Start-up innerhalb der ersten drei<br />
Jahre auf. Rund 26 000 Unternehmen meldeten<br />
laut Creditreform im vergangenen<br />
Jahr Insolvenz an – fast 80 Prozent von<br />
ihnen hatten maximal fünf Mitarbeiter.<br />
„Scheitern gilt hierzulande zu Unrecht<br />
als Schande“, sagt der Bonner Seriengründer<br />
Frank Thelen, den eines seiner ersten<br />
Unternehmen 2001 an den Rand der Privatinsolvenz<br />
getrieben hat. „Aber gerade<br />
aus solchen Krisen“, sagt der 38-Jährige,<br />
„kann man als Unternehmer besonders<br />
viel lernen.“<br />
Geld und gute Leute<br />
WasGründern derzeit die größten<br />
Sorgen bereitet (in Prozent)<br />
Finanzierung<br />
Fachkräftemangel<br />
Konkurrenzsituation<br />
Rechtliche<br />
Rahmenbedingungen<br />
Produktentwicklung<br />
Politische<br />
Rahmenbedingungen<br />
Konjunktur<br />
Steigende Kosten<br />
(z.B. Mieten)<br />
12<br />
14<br />
20<br />
Quelle: EY Start-up-Barometer Deutschland<br />
5<br />
24<br />
28<br />
36<br />
44<br />
Denn die Ursachen sind vielfältig: Manche<br />
Start-ups geraten in Schieflage, weil ihre<br />
Geschäftsidee nicht trägt; andere, weil<br />
ihre Gründer sich zerstreiten oder sie jene<br />
Ziele nicht erreichen, die sie mit ihren Investoren<br />
vereinbart haben.<br />
Kein Wunder also, dass auch Preisträger<br />
und Finalisten des WirtschaftsWoche-<br />
Gründerwettbewerbs nicht vor Krisen gefeit<br />
sind. Zwar schufen allein die 36 Startups,<br />
die es seit 2007 ins Finale geschafft haben,<br />
mehrere Hundert Jobs. Allerdings<br />
sind manche Start-ups auch verschwunden<br />
– etwa Printr.net aus Düsseldorf, Finalist<br />
2011. Die Idee, an zentralen Standorten<br />
wie Hotels Druckerterminals aufzubauen,<br />
an denen Geschäftsreisende Dokumente<br />
ausdrucken können, ging nicht auf – Ende<br />
2012 wurde Printr.net abgewickelt.<br />
Deutlich weiter brachte es Chocri, das<br />
den Wettbewerb 2009 gewann: Der Schokohersteller,<br />
an dem sich 2010 Ritter Sport<br />
beteiligte, verkauft heute nicht mehr nur<br />
eigene Schokotafeln übers Internet, sondern<br />
auch Produkte anderer Süßwarenhersteller<br />
und ist in der Branche deutschlandweit<br />
bekannt. Jetzt will Chocri in Zusammenarbeit<br />
mit Franchise-Unternehmen<br />
deutschlandweit Ladenlokale eröffnen<br />
(siehe Seite 76).<br />
HILFREICHER STRATEGIEWECHSEL<br />
Wie sehr so ein Strategiewechsel helfen<br />
kann, zeigt das Kölner Unternehmen Coupies,<br />
das 2010 im Finale stand. Lange versuchte<br />
das Start-up, mit digitalen, mobilen<br />
Rabattcoupons dem Einzelhandel neue<br />
Kunden zu bescheren, den Nutzern Geld<br />
zu sparen und dem eigenen Unternehmen<br />
Provisionen einzuspielen. Dafür aber hätten<br />
die Händler ihre Kassensysteme anpassen<br />
müssen – für viele Geschäfte schlicht<br />
zu viel Aufwand. Die Folge: Coupies kam<br />
nicht aus den Startlöchern.<br />
Also passten Frank Schleimer und seine<br />
Mitgründer 2013 ihre Idee radikal an. Heute<br />
können Kunden die Rabattgutscheine<br />
von Herstellern nutzen, indem sie Kassenbons<br />
nach ihrem Einkauf mit der App von<br />
Coupies fotografieren. Anschließend wird<br />
ihnen ein Bonus gutgeschrieben. So können<br />
Hersteller wie Ferrero Rabattaktionen<br />
starten, ohne sich mit Einzelhändlern abstimmen<br />
zu müssen. Und Coupies ist nicht<br />
mehr darauf angewiesen, dass die Händler<br />
ihr System an der Kasse integrieren.<br />
Gründern kann es auch nutzen, ihre<br />
Zielgruppe neu zu definieren – so wie Robin<br />
Behlau und Mario Kohle: Auf knapp<br />
3000 Quadratmetern und mehreren Etagen<br />
an der Berliner Friedrichstraße arbei-<br />
FOTO: NILS HENDRIK MÜLLER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
72 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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ten rund 220 Mitarbeiter für das Unternehmen<br />
Käuferportal, das 2013 rund 20 Millionen<br />
Euro umgesetzt hat. Das Unternehmen<br />
ist nach eigenen Angaben heute der<br />
größte Vermittler hochwertiger Produkte in<br />
Deutschland, von Küchen über Wintergärten<br />
bis zu Solarzellen. 2013 vermittelte es<br />
Waren im Wert von 500 Millionen Euro. Die<br />
Mitarbeiter von Käuferportal suchen bis zu<br />
drei potenzielle Anbieter in der Umgebung<br />
des Interessenten. Für die Kunden ist die<br />
Suche kostenlos, Anbieter von Ikea über<br />
Obi bis zum kleinen Handwerksbetrieb<br />
FRIEDRICH VON PLOETZ, 36<br />
TOBIAS WITTMANN, 37 (RECHTS)<br />
SUNCOAL INDUSTRIES<br />
Geschäftsidee Technologie, die Bioabfälle<br />
in energiehaltige Kohle verwandelt<br />
Gegründet 2007<br />
Bilanz Nach Insolvenz mit neuem<br />
Eigentümer wieder in der Gewinnzone<br />
Dass Käuferportal heute so erfolgreich<br />
ist, hängt mit einem Strategiewechsel zusammen:<br />
Anfangs konzentrierte sich das<br />
Unternehmen auf Firmenkunden, denen<br />
es Geräte wie Kopierer oder Telefonanlagen<br />
vermitteln wollte. Das Geschäft entwickelte<br />
sich schleppend, immer wieder<br />
drohte das Geld auszugehen. Erst als die<br />
Gründer 2010 probehalber anfingen, Fotovoltaikanlagen<br />
zu vermitteln, merkten sie,<br />
dass ihr Konzept mit Privatkunden viel<br />
besser funktioniert. Also verlagerten sie<br />
kurzerhand den Fokus – und wuchsen<br />
zahlen in der Regel zwischen 40 und 120<br />
Euro für die erfolgreiche Anbahnung des<br />
Geschäfts – und profitieren, wenn der Kunde<br />
am Ende bei ihnen kauft. »<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 73<br />
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Management&Erfolg<br />
»<br />
innerhalb von 18 Monaten von 17 auf<br />
200 Mitarbeiter.<br />
So soll es weitergehen: Im März steckte<br />
die Investitionsbank Berlin 3,3 Millionen<br />
Euro in das Berliner Unternehmen – in<br />
Form eines Darlehens und eines Forschungszuschusses.<br />
Mit dem Geld will<br />
Behlau 50 neue Mitarbeiter einstellen und<br />
in ganz Europa zum Marktführer werden.<br />
„Langfristig ist für uns sogar ein Börsengang<br />
denkbar“, sagt der Gründer. „Als Unternehmer<br />
musst du schließlich immer bereit<br />
sein, neue Dinge zu wagen.“<br />
Letzteres können auch Friedrich von<br />
Ploetz und Tobias Wittmann bestätigen.<br />
Mit ihrer Idee, Bioabfall zu Kohle zu pressen,<br />
trafen die Suncoal-Gründer 2007 nicht<br />
nur den Zeitgeist, sie überzeugten 2008<br />
auch die Jury des WirtschaftsWoche-Gründerpreises.<br />
Zunächst deutete bei dem Start-up aus<br />
Ludwigsfelde bei Berlin auch alles auf einen<br />
schnellen Erfolg hin: Die vier Gründer<br />
fanden prompt Investoren, die den Aufbau<br />
von Pilotanlagen finanzieren und schnell<br />
expandieren wollten. Doch die Erwartungen<br />
an die Gründer stiegen schneller als<br />
ROBIN BEHLAU, 29 (LINKS)<br />
MARIO KOHLE, 29<br />
KÄUFERPORTAL<br />
Geschäftsidee Vermittlungsplattform<br />
für Produkte und Dienstleistungen<br />
Gegründet 2008<br />
Bilanz Starkes Wachstum, seit das Unternehmen<br />
auf Privatkunden fokussiert<br />
Umsatz und Kundenzahl. Zum Zeitpunkt<br />
der Insolvenz waren acht Geldgeber beteiligt.<br />
„Wahrscheinlich hätten wir von Anfang<br />
an besser nach einem Industrieunternehmen<br />
als Investor und Partner suchen<br />
sollen als nach wachstumsgetriebenen<br />
Wagniskapitalgebern“, sagt Gründer von<br />
Ploetz heute.<br />
Angesichts der drohenden Pleite legten<br />
er und Wittmann 2013 den Hebel um. Sie<br />
entschieden sich für eine geplante Insolvenz<br />
im sogenannten Schutzschirmverfahren:<br />
Unternehmen können diesen Schritt<br />
gehen, wenn sie noch zahlungsfähig sind<br />
und eine Sanierung möglich ist. Dann zahlt<br />
die Bundesagentur für Arbeit drei Monate<br />
lang die Gehälter; außerdem kann das Unternehmen<br />
für diesen Zeitraum die Zahlung<br />
von Betriebsausgaben aussetzen – etwa<br />
die Miete, Leasingraten und Steuern.<br />
RETTUNG IN DREI MONATEN<br />
Von Ploetz und Wittmann retteten so innerhalb<br />
eines Vierteljahres Produktionsanlagen<br />
und Patente, machten ihre Entscheidung<br />
freiwillig öffentlich, um möglichst<br />
schnell mit neuen Geldgebern ins Gespräch<br />
zu kommen. Und fanden tatsächlich<br />
einen neuen Investor, der Suncoal<br />
komplett übernahm und die Forderungen<br />
der Gläubiger zu mehr als 25 Prozent bediente<br />
– laut einer Studie des Bonner Instituts<br />
für Mittelstandsforschung deutlich<br />
mehr, als Gläubiger in Insolvenzverfahren<br />
im Schnitt erhalten.<br />
Im Sommer 2013 nahmen die Gläubiger<br />
den Insolvenzplan an, Suncoal war gerettet.<br />
Heute haben von Ploetz und Wittmann<br />
zwar nur noch fünf statt zehn Mitarbeiter,<br />
aber wieder gut zu tun: Im Labor und in der<br />
Produktionsanlage stapeln sich jetzt Säcke<br />
mit Materialproben – etwa Grün-Abfälle<br />
aus der Palmölproduktion in Malaysia.<br />
Suncoal bestimmt die Qualität und entwickelt<br />
Projekte für Anlagenbauer vor Ort, die<br />
aus den Abfällen Biokohle machen wollen.<br />
Inzwischen peilt das Unternehmen mehrere<br />
Hunderttausend Euro Umsatz pro Jahr<br />
an und ist nach eigenen Angaben profitabel.<br />
„Geld verdienen“, sagt Gründer Wittmann,<br />
„ist schöner als Geld bei Investoren<br />
einsammeln.“<br />
Zwar ist von Ploetz bei Suncoal jetzt nur<br />
noch Angestellter statt Miteigentümer.<br />
Doch seine Lektion hat er gelernt: „Als Unternehmer<br />
durchlebst du schwierige Phasen,<br />
in denen du Durchhaltevermögen beweisen<br />
musst“, sagt er. „Du musst bereit<br />
sein, dich immer neu zu erfinden.“<br />
jens.toennesmann@wiwo.de<br />
FOTOS: PR<br />
74 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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2011 Retro in<br />
die Zukunft<br />
Erfolgreich ausgerollt Daniel, Patrik und Philipp Tykesson (von links) entwickeln ihr Zweirad<br />
Kumpan Electric permanent weiter und wollen jetzt ins Ausland expandieren<br />
2012 Tradition<br />
trifft Innovation<br />
MEINE MÖBELMANUFAKTUR Am Ende<br />
hat es nicht ganz gereicht: Mindestens<br />
1000 Möbelstücke wollte das Start-up Meine<br />
Möbelmanufaktur 2013 verkaufen.<br />
Auch wenn es weniger waren – Gründer<br />
Sebastian Schips und Birgit Gröger sind<br />
optimistisch, <strong>2014</strong> bis zu 1500 individuell<br />
angefertigte Möbel zu verkaufen. Über die<br />
Internet-Seite des Start-ups aus dem<br />
schwäbischen Köngen können Kunden<br />
Schränke, Regale und Sideboards selbst<br />
gestalten – mit Fächern, Schiebetüren und<br />
Schubladen, Krawattenhaltern und Kleiderliften.<br />
Wer bestellt, erhält die Einzelteile<br />
einige Wochen später mit einer genauen<br />
Bauanleitung. Hergestellt werden die Bauteile<br />
in der Schreinerei, die Schips’ Vater<br />
gehört und die es seit 90 Jahren gibt.<br />
MÖBEL AUS DEM NETZ SIND IN<br />
Tradition und Innovation: Mit dieser Verbindung<br />
sicherte sich Meine Möbelmanufaktur<br />
2012 den Sieg beim Gründerwettbewerb.<br />
Denn die Gründer setzen auf einen<br />
Trend: Einer Umfrage des Branchenverbands<br />
Bitkom zufolge hat bereits jeder vierte<br />
Internet-Nutzer Möbel im Netz gekauft.<br />
Laut einer Studie des Kölner Instituts für<br />
Handelsforschung gehen 60 Prozent der<br />
deutschen Konsumenten davon aus, dass<br />
das bald so alltäglich sein wird wie bei<br />
Schuhen oder Kleidung. Für 2013 prognostizierte<br />
die Studie einen Anstieg des Online-Umsatzes<br />
mit Möbeln um 40 Prozent.<br />
Sebastian Schips hat das rechtzeitig erkannt:<br />
Nach seinem Holztechnik-Studium<br />
wurde ihm klar, dass er ein neues Unternehmen<br />
und eine neue Marke braucht, um<br />
der Schreinerei seines Vaters auch künftig<br />
Aufträge zu bescheren und die rund 25 Arbeitsplätze<br />
zu erhalten. In wochenlanger<br />
Arbeit programmierte er einen Konfigurator,<br />
mit dem sich Schränke virtuell gestalten<br />
lassen. Vor gut zwei Jahren war es so<br />
weit: Meine Möbelmanufaktur eröffnete.<br />
Damals waren Schips und Mitgründerin<br />
Birgit Gröger noch allein auf weiter Flur.<br />
Gröger arbeitete sogar noch nebenher für<br />
ein anderes Unternehmen. Das hat sich<br />
inzwischen geändert: Seit Herbst vergangenen<br />
Jahres konzentriert sie sich voll auf<br />
ihr Start-up, das inzwischen drei Mitarbeiter<br />
beschäftigt. Aktuell sucht<br />
Gröger einen Marketingassistenten.<br />
Knapp 60 Kandidaten<br />
haben sich beworben.<br />
Nach langer Anlaufzeit ist es<br />
dem Unternehmen außerdem<br />
gelungen, ein drängendes Problem<br />
zu lösen. Im Juni wird eine Maschine<br />
geliefert, mit der sich die Möbelteile passgenau<br />
verpacken lassen. Damit können<br />
die Gründer Möbel jetzt schneller und<br />
günstiger versenden. Außerdem lassen<br />
sich die Möbel jetzt in 3-D-Ansicht konfigurieren,<br />
und das Start-up hat einen<br />
Partner gefunden, der für Kunden gegen<br />
Aufpreis Räume ausmisst.<br />
Und wenn etwas mal trotzdem nicht so<br />
passt wie bestellt? Dann kümmern sich die<br />
Gründer persönlich. Neulich etwa bemerkte<br />
ein Kunde aus Zürich, dass an einem<br />
Schrank ein Ausschnitt fehlt. Kurzerhand<br />
schnappte sich Schips das nötige Werkzeug,<br />
kam vorbei und sägte die Ecke aus.<br />
„Hat Spaß gemacht“, sagt der Gründer,<br />
„und der Kunde war glücklich.“<br />
E-BILITY Wer dem Start-up E-Bility in Remagen<br />
einen Besuch abstattet, begibt sich<br />
auf eine Zeitreise: Auf einer runden Freifläche<br />
zwischen den Büros stehen ein Nierentisch<br />
und Cocktailsessel; auf einem<br />
Sideboard ein alter Röhrenfernseher und<br />
ein orangefarbenes Telefon mit Wählscheibe.<br />
Dazwischen: Roller im Design der<br />
Fünfzigerjahre – mit geschwungener Verkleidung,<br />
glänzendem Lack und viel<br />
Chrom. Doch unter ihrer Sitzbank aus<br />
Kunstleder sind die Zweiräder namens<br />
Kumpan electric hochmodern: Sie besitzen<br />
bis zu drei Batterien, die sich zum Aufladen<br />
herausnehmen lassen und die Roller<br />
bis zu 120 Kilometer weit bringen – ohne<br />
Knattern und Qualmen.<br />
Mit seinen Ökorollern im Retro-Look hat<br />
E-Bility im Jahr 2011 den Gründerwettbewerb<br />
für sich entschieden. Seitdem ist das<br />
junge Unternehmen kontinuierlich gewachsen:<br />
Heute listet es rund 220 Händler<br />
und Servicepartner in ganz Deutschland,<br />
beschäftigt hierzulande 20 Mitarbeiter und<br />
fünf in China, wo es die Roller bei verschiedenen<br />
Produzenten fertigen lässt, bevor<br />
sie in Remagen für den Einsatz im Straßenverkehr<br />
zusammenmontiert werden. Im<br />
Lager stapeln sich zeitweise bis zu 1500<br />
mannshohe Kartons mit Rollern; im Keller<br />
türmen sich Reifen, unterm<br />
Dach Ersatzteile.<br />
Zwar will das Unternehmen<br />
keine Angaben zum<br />
Umsatz machen. „Aber seit<br />
2012 sind wir profitabel“,<br />
sagt Daniel Tykesson, der<br />
E-Bility mit seinen Brüdern Patrik und Philipp<br />
2009 gegründet hat. Jetzt hat das Trio<br />
die nächste Stufe gezündet: Noch im April<br />
werden sich zwei Privatinvestoren aus der<br />
Automobilzulieferindustrie und dem Telekommunikationssektor<br />
sowie die Wagnisfinanzierungsgesellschaft<br />
für Technologieförderung<br />
in Rheinland-Pfalz (WFT) mit<br />
zehn Prozent an dem jungen Unternehmen<br />
beteiligen. Zurzeit befinden sich die<br />
Gründer in den letzten Vertragsverhandlungen.<br />
Zur Höhe der Investition schweigen<br />
die Gründer, allerdings sei das Unternehmen<br />
mit einem höheren Millionenbetrag<br />
bewertet worden. „Damit sind wir sehr<br />
zufrieden“, sagt Daniel Tykesson, der sich<br />
bei E-Bility um Finanzfragen kümmert,<br />
„außerdem haben wir Investoren gefun-»<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 75<br />
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Management&Erfolg<br />
»<br />
den, die zu 100 Prozent an unsere Vision<br />
und Strategie glauben und gut zum Unternehmen<br />
passen.“<br />
Das frische Kapital wollen die Gründer<br />
in die Vermarktung stecken, denn die Zahl<br />
ihrer Wettbewerber steigt. Außerdem wollen<br />
sie zukünftig stärker ins Ausland expandieren<br />
und suchen dafür nach finanzstarken<br />
Partnern. Bisher verkauft E-Bility<br />
mehr als 80 Prozent seiner Roller an Kunden<br />
im Inland. Dafür klappern mehrere<br />
Vertriebler Tag für Tag Autohäuser und<br />
Fahrradgeschäfte, Solaranlagenbauer und<br />
Kaufhäuser ab, um die Inhaber von ihren<br />
Elektrorollern zu überzeugen.<br />
„Manchmal holen<br />
wir uns dabei<br />
immer noch eine<br />
blutige Nase“, sagt<br />
Philipp Tykesson,<br />
im Gründerteam<br />
für den Vertrieb<br />
zuständig. Im besten Fall nehmen die<br />
Händler dagegen nicht nur einige Zweiräder<br />
ab, sondern gleich ein ganzes<br />
Shop-in-Shop-System, das sie auf ihrer<br />
Verkaufsfläche aufbauen. Wer will, kann<br />
sogar die Nierentische und Cocktailsessel<br />
dazu bestellen, die die Tykessons auch in<br />
ihrem eigenen Unternehmen aufgebaut<br />
haben.<br />
Die Tykesson-Brüder denken indes an<br />
die Zukunft: Derzeit arbeiten sie an einer<br />
kleineren Variante des Rollers im Retro-<br />
Design. Patrik Tykesson, der die Produktion<br />
leitet, ist zurzeit in China unterwegs<br />
und hat dort einen Hersteller für ein weiteres,<br />
ganz anderes Produkt gefunden: Helme<br />
im Retro-Look. Demnächst sollen die<br />
ersten 2000 angeliefert werden<br />
2010 Nachhaltig<br />
und nachgeahmt<br />
AVOCADO STORE Manche Start-ups können<br />
ohne ihre Gründer besser überleben<br />
als mit ihnen. Wie gut, das beweist das<br />
Hamburger Unternehmen Avocado Store.<br />
Auf dem gleichnamigen Ökomarktplatz im<br />
Internet bieten mehr als 300 Händler mehr<br />
als 50 000 nachhaltige Produkte an – <strong>vom</strong><br />
Babystrampler aus Biobaumwolle bis zum<br />
biologisch abbaubaren Salatbesteck. Das<br />
Start-up erwirtschaftet einen Jahresumsatz<br />
von drei Millionen Euro, beschäftigt 13 Mitarbeiter<br />
und ist profitabel. „Unser Ziel, ein<br />
grünes Amazon zu werden, ist greifbar<br />
nah“, sagt Mimi Sewalski, die Geschäftsführerin<br />
des Unternehmens.<br />
Gegründet wurde Avocado Store eigentlich<br />
von Philipp Gloeckler und dem Seriengründer<br />
Stephan Uhrenbacher. Im Jahr<br />
2009 lernten sich die beiden über den Mikroblogging-Dienst<br />
Twitter kennen, bauten<br />
die Plattform gemeinsam auf und gewannen<br />
2010 den WirtschaftsWoche-<br />
Gründerwettbewerb. Während Uhrenbacher<br />
nach wie vor als Investor an Avocado<br />
Store beteiligt ist, sich aber aus dem operativen<br />
Geschäft heraushält, verließ Gründer<br />
Philipp Gloeckler das Unternehmen im<br />
Jahr 2012 ganz – um sich seinem neuen<br />
Projekt WhyOwnIt zuzuwenden, einer<br />
App, über die sich Gegenstände leihen und<br />
verleihen lassen.<br />
Was für andere junge Unternehmen das<br />
Todesurteil bedeuten kann, machte Avocado<br />
Store nur stärker. Mimi Sewalski übernahm<br />
das Ruder. Sie hatte Anfang 2011 bei<br />
dem Start-up angeheuert – als „Akquisegirl“,<br />
das neue Händler für die Plattform begeistern<br />
wollte, wie sie selbst sagt. Zuvor<br />
hatte sie sich als Umweltschützerin engagiert,<br />
in ihrer Heimatstadt eine Naturschutzgruppe<br />
gegründet und in Israel gegen<br />
die Verwendung von Einwegflaschen<br />
gekämpft. Obwohl sie anfangs nicht begeistert<br />
war, Chefin zu werden, übernahm<br />
sie die Leitung des Start-ups. „Man wächst<br />
mit seinen Aufgaben“, erzählt Sewalski,<br />
„und die Idee hinter Avocado Store ist etwas,<br />
wofür ich wirklich brenne.“<br />
GRÜNES AMAZON<br />
Auch immer mehr Deutsche können mit<br />
dieser Idee offenbar etwas anfangen. Einer<br />
Trendstudie der Otto Group zufolge kaufen<br />
56 Prozent der Bundesbürger häufig Produkte,<br />
die ethisch korrekt hergestellt sind –<br />
ein doppelt so hoher Anteil wie noch vor<br />
vier Jahren. Jeweils neun von zehn Befragten<br />
legen dabei Wert darauf, dass Produkte<br />
umweltfreundlich und unter menschenwürdigen<br />
Bedingungen hergestellt wurden.<br />
77 Prozent gaben an, dafür auch mehr<br />
Geld auszugeben.<br />
Der Trend hat allerdings auch dafür gesorgt,<br />
dass Avocado Store inzwischen<br />
Nachahmer gefunden hat: Andere Ökomarktplätze<br />
kämpfen nun ebenfalls um<br />
den Titel „grünes Amazon“. Mimi Sewalski<br />
lässt sich von den neuen Wettbewerbern<br />
nicht beängstigen: „Das nehmen wir als<br />
Kompliment“, sagt die Ökounternehmerin.<br />
Avocado Store gedeiht schließlich so gut,<br />
dass sie sich für dieses Jahr ein großes Ziel<br />
gesetzt hat: die Expansion ins Ausland.<br />
Dick im Geschäft Chocri-Gründer Michael<br />
Bruck (links) und Franz Duge<br />
2009 Schokolade<br />
für alle<br />
CHOCRI Die Luft riecht nach Kakao, in den<br />
Regalen stehen Pralinen, Schokofiguren<br />
und mit Schokolade überzogene Früchte.<br />
Hinter der Theke verziert eine Mitarbeiterin<br />
mit roter Schürze Schokotafeln mit Zutaten<br />
wie Gewürzen, Nüssen und Früchten<br />
– genauso, wie es sich die Kunden in dem<br />
Geschäft wünschen: So stellt sich Michael<br />
Bruck den ersten Chocri-Laden vor, den er<br />
in diesem Jahr in Berlin eröffnen will. „Das<br />
Geschäft wird die Blaupause“, sagt der Unternehmer,<br />
„danach wollen wir in ganz<br />
Deutschland weitere Läden in einem Franchise-System<br />
aufbauen.“<br />
Für Bruck sind die Läden Teil seiner Multichannel-Strategie,<br />
mit der er das Berliner<br />
Unternehmen Chocri noch erfolgreicher<br />
machen will. Bisher lebt es <strong>vom</strong> Online-<br />
Handel: Im Jahr 2013 verkaufte Chocri übers<br />
Netz Süßwaren im Wert von rund 3,4 Millionen<br />
Euro – 35 Prozent mehr als im Vorjahr.<br />
38 Mitarbeiter sind fest bei Chocri angestellt,<br />
in Spitzenzeiten wächst das Team auf<br />
bis zu 80 an. Inzwischen umfasst das Sortiment<br />
160 Artikel. Wichtigster Umsatzbringer:<br />
Schokotafeln, die die Kunden auf der<br />
Web-Seite des Unternehmens selbst mit Zutaten<br />
versehen und dekorieren können.<br />
Mit dieser Idee sind Michael Bruck und<br />
sein Mitgründer Franz Duge 2008 gestartet.<br />
Ein Jahr später sicherten sie sich den Sieg<br />
beim Gründerwettbewerb und konnten<br />
mithilfe der Wettbewerbspartner Ritter<br />
»<br />
FOTO: ARCHIV-KLAR<br />
76 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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GRÜNDERPREIS<br />
Neumacher<br />
gesucht<br />
Zu gewinnen gibt es ein Paket aus<br />
Sachleistungen sowie 10 000 Euro<br />
Startkapital.<br />
DIE PREISE<br />
Die Sieger des Hauptpreises werden von<br />
der Anwaltskanzlei Osborne Clarke, der<br />
Agentur thjnk und dem High-Tech Gründerfonds<br />
ein Jahr lang unterstützt. Außerdem<br />
gehören erstmals 10 000 Euro Startkapital<br />
und ein Medienpaket zum Preis.<br />
Einen Sonderpreis gibt es für soziale<br />
Unternehmer, die mit ihrer Geschäftsidee<br />
ein gesellschaftliches Problem lösen wollen.<br />
Alle Preisträger nehmen am Accelerator<br />
Programm der Entrepreneurs’<br />
Organization teil und berichten in der<br />
WirtschaftsWoche und auf wiwo.de im<br />
Gründertagebuch über ihre Fortschritte.<br />
DIE TEILNAHME<br />
Ausgezeichnet werden Gründer, die das<br />
Zeug dazu haben, die Wirtschaft der Zukunft<br />
mitzugestalten. Teilnehmen dürfen<br />
alle seit Anfang 2012 gegründeten oder in<br />
Gründung befindlichen Unternehmen aus<br />
Deutschland, die Rechtsform spielt keine<br />
Rolle. Bewerbungen von Gründerteams<br />
sind besonders erwünscht, erstmals<br />
können sich aber auch Einzelgründer<br />
bewerben.<br />
DIE BEWERBUNG<br />
Bewerben Sie sich bitte mit einem Exposé<br />
zur Geschäftsidee und einem Teaser, mit<br />
dem Sie sich in bis zu 400 Zeichen<br />
vorstellen.<br />
DIE FRIST<br />
Bitte reichen Sie Ihre Unterlagen<br />
ausschließlich als PDF-Dokumente ein<br />
und nutzen Sie dafür unser Portal<br />
award.wiwo.de/gwb<strong>2014</strong>/<br />
Einsendungen per Post oder E-Mail werden<br />
nicht berücksichtigt. Bewerbungsschluss<br />
ist der 15. Juli <strong>2014</strong>.<br />
DIE AUSWAHLPHASE<br />
Unsere Jury aus renommierten Unternehmern<br />
wählt unter Vorsitz von Wirtschafts-<br />
Woche-Chefredakteur Roland Tichy die<br />
besten 30 Bewerber aus. Diese werden<br />
gebeten, bis Anfang. September detaillierte<br />
Unterlagen einzureichen. Sie stellen<br />
sich dann noch einmal der Jury und<br />
nehmen an einem Publikumsvoting teil.<br />
DAS FINALE<br />
Anfang November <strong>2014</strong> präsentieren die<br />
besten fünf Bewerber sowie der Gewinner<br />
des Publikumsvotings ihre Geschäftsidee<br />
vor der Jury. Die Ehrung von Siegern<br />
und Finalisten findet am 27. November<br />
im Rahmen der Gründerkonferenz Neumacher<br />
in Hamburg statt. Der Rechtsweg<br />
ist ausgeschlossen.<br />
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Management&Erfolg<br />
»<br />
Sport als Investor gewinnen. Damals waren<br />
die Gründer froh, wenn sie ein paar<br />
Hundert Tafeln im Monat verkauft haben.<br />
Heute sind es bis zu 100 000, wenn Feiertage<br />
wie Weihnachten bevorstehen.<br />
Allerdings mussten sich die Gründer den<br />
Erfolg hart erarbeiten. „Es geht nicht immer<br />
geradlinig nach oben“, sagt Duge, „wir hatten<br />
mehrere existenzielle Krisen.“ Eine frühe<br />
Expansion in die USA scheiterte genauso<br />
wie der Versuch, die schwachen Sommermonate<br />
durch den Verkauf von Eis nach<br />
Wunsch auszugleichen. Knappe Kapazitäten<br />
und unausgereifte Produktionsprozesse<br />
machten ebenfalls Probleme: „Vor Weihnachten<br />
mussten wir den Verkauf anfangs<br />
schon Mitte Dezember stoppen“, erinnert<br />
sich Gründer Bruck, „heute kann man vor<br />
Feiertagen bis zum Vortag bestellen.“<br />
Um die Kapazitäten auch in den Sommermonaten<br />
besser auszulasten, hat Bruck sich<br />
nun eine neue Idee einfallen lassen: Chocri<br />
individualisiert Produkte im Auftrag anderer<br />
Firmen. Einen ersten Großauftrag konnte<br />
das Unternehmen im Sommer 2013 an Land<br />
ziehen: Für Coca-Cola beklebte es Flaschen<br />
mit Etiketten nach Kundenwunsch. „In Spitzenzeiten<br />
haben wir 18000 Flaschen am Tag<br />
rausgehauen“, erzählt Unternehmer Bruck.<br />
Für Franz Duge war es das letzte große<br />
Chocri-Geschäft: Er verließ die Geschäftsführung,<br />
um sein neues Start-up Presenthub<br />
aufzubauen. Damit will er anderen Unternehmen<br />
helfen, ihre Kunden mit Geschenken<br />
wie Blumen, Wein oder Pralinen samt<br />
einer persönlichen Notiz zu beglücken – etwa<br />
zum Geburtstag, als Dank oder nach einer<br />
Reklamation. Für die Kunden soll das<br />
einfacher, aber nicht teurer sein, als die Geschenke<br />
selbst zu kaufen. Presenthub lebt<br />
von den Provisionen der Händler. Einer von<br />
Duges ersten Kunden: Chocri.<br />
2007 Sexy<br />
Shirts und hippe<br />
Hoodies<br />
anders gehen kann. Zusammen mit Anton<br />
Jurina hat er 2007 das Modelabel Armedangels<br />
gegründet, das auf nachhaltig und<br />
fair produzierte Kleidung setzt – ohne Kinderarbeit,<br />
Hungerlöhne und Pestizide. Die<br />
Textilien sollten zwar öko, aber trotzdem<br />
schick sein. Sexy Shirts und hippe Hoodies<br />
statt kratziger Wollpullis und Batikblusen für<br />
Korklatschenträger: Vor sieben Jahren gewann<br />
das Duo mit dieser Idee den ersten<br />
WirtschaftsWoche-Gründerwettbewerb.<br />
START IN KÖLNER WG<br />
Damals starteten die Gründer in einer Kölner<br />
WG, schrieben Künstler in aller Welt an,<br />
boten ihnen 150 Dollar für schicke T-Shirt-<br />
Designs. Als das Geld nach einigen Monaten<br />
alle war, überzeugten sie Investoren wie Stefan<br />
Glänzer und Axel Schmiegelow, sich an<br />
ihrem Start-up zu beteiligen. Und begeisterten<br />
Prominente wie das Model Eva Padberg<br />
oder Musiker Thomas D., bei öffentlichen<br />
Auftritten ihre Shirts zu tragen. Heute beschäftigt<br />
das Unternehmen 28 Mitarbeiter,<br />
der Umsatz verdoppelt sich Jahr für Jahr.<br />
„Die ersten vier Jahre waren schwierig“, erzählt<br />
Martin Höfeler. „Es gab Fehler und Kri-<br />
Ökoschick Armedangels-Gründer Martin<br />
Höfeler in Kleidung seines eigenen Labels<br />
sen, die teilweise existenziell bedrohlich waren.“<br />
Seine wichtigste Lektion: „Nicht aufgeben,<br />
wenn man an die Grundidee glaubt.“<br />
Es dauerte zum Beispiel eine Weile, bis<br />
Junggründer Höfeler und Jurina begriffen,<br />
dass die Händler vor Ort wichtige Multiplikatoren<br />
für ihre Marke sind, auch wenn die<br />
Marge im stationären Handel niedriger ist<br />
als im eigenen Online-Shop. Immer wieder<br />
gingen die Gründer auf Tour, stellten ihre<br />
Produkte Ladenbesitzern in ganz Deutschland<br />
vor. Heute vertreiben mehr als 500 Geschäfte<br />
Armedangels-Mode, Online-Handel<br />
und stationärer Handel tragen gleich stark<br />
zum Umsatz bei.<br />
Mitgründer Anton Jurina hat das Unternehmen<br />
vor zwei Jahren verlassen und baut<br />
nun ein neues Start-up auf. „Dieser Schritt<br />
war für uns beide nicht einfach, aber richtig<br />
und notwendig“, erzählt Höfeler, der das Modelabel<br />
jetzt alleine führt und nach eigenen<br />
Worten stolz ist, mit seinem Mitgründer weiterhin<br />
guten Kontakt zu haben.<br />
Jetzt will Höfeler mit den Armedangels<br />
auch international expandieren – statt<br />
Dorflandtouren stehen jetzt Reisen in<br />
die Großstädte Europas an. Sein Ziel:<br />
„Beweisen, dass es möglich ist, mit fairem<br />
Verhalten gegenüber Mensch und Natur<br />
erfolgreich zu sein.“<br />
n<br />
ARMEDANGELS Es ist genau ein Jahr her:<br />
Am 24. April stürzte in Bangladesch eine<br />
Textilfabrik in sich zusammen, 1100 Menschen<br />
starben. „Solche Katastrophen sind<br />
die Folgen der Geiz-ist-geil-Mentalität, die<br />
im Textilbereich leider den Markt dominiert“,<br />
sagt Martin Höfeler. „Und sie sind<br />
nur die Spitze des Eisbergs.“<br />
Der 31-jährige Kölner Unternehmer will<br />
das ändern – und hat bewiesen, dass es auch<br />
FOTOS: PR, THORSTEN JOCHIM<br />
78 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Filmreif<br />
GRÜNDERTAGEBUCH | Wie<br />
Secomba seine Qualitätskontrolle<br />
verbessert und warum Vizekanzler<br />
Gabriel dem Start-up<br />
einen Brief geschrieben hat.<br />
Drei Jahre: Jedes dritte Start-up erreicht<br />
dieses Alter nie. Secomba hat<br />
die kritische Marke geschafft. „Wir<br />
leben noch“, haben die Gründer Andrea<br />
Pfundmeier und Robert Freudenreich ihren<br />
Freunden auf Facebook geschrieben<br />
und zu einer großen Party eingeladen. „Wir<br />
sind noch lange nicht fertig!“<br />
Das Start-up hat eine Software namens<br />
Boxcryptor entwickelt, mit der sich beliebige<br />
Dateien verschlüsseln lassen, bevor sie auf<br />
Cloud-Speicherdienste wie Dropbox übertragen<br />
werden. Beim Abruf der Daten über<br />
den PC, Tablet oder Smartphone decodiert<br />
die Software sie wieder. Mehr als eine Million<br />
Menschen haben das Programm heruntergeladen;<br />
jeder zehnte verwendet die Premiumversion<br />
der Software, die bis zu 72 Euro<br />
im Jahr kostet. Mit der Idee haben die Gründer<br />
im Herbst 2013 die Jury des Wirtschafts-<br />
Woche-Gründerwettbewerbs gewonnen.<br />
Seitdem berichtet Andrea Pfundmeier über<br />
die Fortschritte des jungen Unternehmens.<br />
Energie zu Fragen der Informations- und<br />
Kommunikationswirtschaft, insbesondere<br />
im Hinblick auf die deutsche Start-up-Szene.<br />
Ich bin mir sicher: Zusammen können<br />
wir viel für Gründer tun.<br />
<strong>19</strong>. MÄRZ<br />
Juhu, wir sind beim Deutschen Innovationspreis<br />
unter die drei Finalisten in der Kategorie<br />
„Start-up“ gewählt worden. Heute<br />
wird ein Film über Secomba gedreht – er<br />
soll auf der Preisverleihung gezeigt werden.<br />
Sieben Stunden dauern die Dreharbeiten<br />
– für 90 Sekunden Film.<br />
Feste feiern Secomba-Mitgründer Robert<br />
Freudenreich mit Begleitung, Heinz Bonn<br />
(GUS Group) und Secomba-Mitgründerin<br />
Andrea Pfundmeier (von links) auf dem<br />
Deutschen Innovationspreis in München<br />
chen erlauben. Alle Entwickler konzentrieren<br />
sich heute darauf, jene Testsysteme zu<br />
verbessern, die wir im Alltag einsetzen.<br />
Früher haben wir immer manuell überprüft,<br />
ob sich Dateien mit jeder Version von<br />
Boxcryptor auf die 22 Cloud-Dienste hochladen<br />
lassen. Dieses Verfahren automatisieren<br />
wir jetzt – sparen so viel Zeit und erhöhen<br />
die Chance, Fehler zu finden.<br />
FOTO:<br />
27. FEBRUAR<br />
In den letzten drei Jahren habe ich viel über<br />
Leadership gelernt. Zum Beispiel: Wenn<br />
Unternehmen es schaffen, Mitarbeiter zu<br />
selbstständig handelnden und unternehmerisch<br />
denkenden „Intrapreneuren“ zu<br />
machen, lösen sich viele Motivations- und<br />
Führungsprobleme von selbst. Heute kann<br />
ich beim HVB Forum darüber berichten –<br />
im Gespräch mit HypoVereinsbank-Vorstand<br />
Theodor Weimer. Im Publikum: 300<br />
geladene Gäste – darunter viele Unternehmerinnen,<br />
die wie ich am HVB Gründerinnen<br />
Mentoring der Bank teilgenommen<br />
haben. Ich freue mich, sie wiederzutreffen.<br />
5. MÄRZ<br />
Termin beim Vizekanzler: Sigmar Gabriel<br />
hat mir vergangene Woche einen Brief geschrieben<br />
und mich in den Beirat „Junge<br />
Digitale Wirtschaft“ berufen. Dieser berät<br />
den Bundesminister für Wirtschaft und<br />
28. MÄRZ<br />
Heute findet unser monatlicher Testing<br />
Day statt. Diese Workshops haben wir zu<br />
Jahresbeginn eingeführt, um die Kontrolle<br />
unserer Software zu verbessern – bei der<br />
IT-Sicherheit dürfen wir uns keine Schwä-<br />
Was bisher geschah<br />
Das Timing war<br />
perfekt: Just als Ex-<br />
US-Geheimdienstler<br />
Edward Snowden<br />
2013 die NSA-Spähaffäre<br />
lostrat, veröffentlichte<br />
Secomba eine neue Version<br />
seiner Software. Die hatten die Gründer<br />
nur als Nebenprodukt programmiert,<br />
sie entwickelte sich aber zum Kassenschlager:<br />
Das Start-up verdoppelte<br />
seinen Umsatz, ist fast profitabel und<br />
hat nun 15 Mitarbeiter.<br />
4. APRIL<br />
Wir tragen heute Smoking und Abendkleid<br />
statt Jeans und Turnschuhe: Im Bayerischen<br />
Hof in München findet die Verleihung<br />
des Deutschen Innovationspreises<br />
statt – mit einem Galadinner. Für den ersten<br />
Platz hat es leider nicht gereicht, aber<br />
wir feiern mit den Siegern, Nominierten<br />
und Gästen trotzdem bis tief in die Nacht.<br />
9. APRIL<br />
Heute erscheint unsere Software auf drei<br />
neuen Plattformen. Somit ist Boxcryptor<br />
nun auf insgesamt acht Plattformen verfügbar,<br />
und unsere Nutzer können von fast<br />
allen Geräten auf ihre verschlüsselten Daten<br />
zugreifen. Wir stellen eine Pressemitteilung<br />
ins Netz, rufen Journalisten an und<br />
informieren unsere Nutzer per Newsletter,<br />
Facebook und Twitter. Abends stoßen wir<br />
erschöpft, aber zufrieden auf den erfolgreichen<br />
Release an.<br />
n<br />
Redaktion: jens.toennesmann@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 79<br />
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Paradies Deutschland<br />
Aktienparadies<br />
statt Zinswüste?<br />
GELDANLAGE | Immobilien sind teuer, Lebensversicherungen unattraktiv, Aktien heiß<br />
gelaufen. Da hilft nur, systematisch zu streuen. Wer Rendite will, braucht auch Aktien.<br />
Deshalb hier: zehn deutsche Werte, die Sie auch noch Ihren Kindern vererben können.<br />
Dass in der Finanzbranche<br />
jemand von anderen kein<br />
Geld mehr nimmt, kommt<br />
so selten vor wie ein Skirennen<br />
in der Sahara. Doch in<br />
diesem Jahr musste die Fondsabteilung der<br />
Schweizer Credit Suisse Anleger davor warnen,<br />
sie weiter mit Geld für ihr Produkt<br />
Equity Fund Small and Mid Cap Germany<br />
zuzuschütten. Der Fonds müsse „temporär“<br />
geschlossen werden, weil sich die Manager<br />
außer Stande sehen, mehr als ein Volumen<br />
von 700 Millionen Euro sinnvoll in<br />
deutsche Nebenwerte, für die das Produkt<br />
konzipiert ist, zu investieren.<br />
Solche Probleme haben Privatanleger<br />
nicht. Sie sehen sich eher außer Stande,<br />
real, also nach Abzug von Inflation und<br />
Steuern, ihr Geld über die Runden zu bringen.<br />
Dazu braucht es Aktien. Nicht nur,<br />
aber eben auch.<br />
ZINSWENDE ERST MAL ABGESAGT<br />
Denn die Zustände, die Anleger vorfinden,<br />
wenn sie in andere Anlageklassen investieren,<br />
sind derzeit nicht berauschend:<br />
n Anleihen. Der globale Konjunkturaufschwung<br />
ist gefährdet – die Wende zu steigenden<br />
Zinsen in weite Ferne gerückt. Die<br />
Russland-Krise, die Probleme der Schwellenländer<br />
von China bis Brasilien und die<br />
Sparprogramme in Südeuropa sorgen für<br />
Verunsicherung. Inflation, die Notenbanken<br />
zwingen würde, die Zinsen anzuheben,<br />
ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Sorgen<br />
der Finanzmärkte vor Deflation, also fallenden<br />
Preisen, sind groß wie seit Jahren nicht.<br />
Im Süden Europas fallen die Preise bereits.<br />
Die Agenda der Europäischen Zentralbank<br />
deutet daher auf weiter fallende Zinsen hin:<br />
So könnten die Zentralbanker Anleihen<br />
kaufen, Zinsen direkt senken oder gar Negativzinsen<br />
auf Einlagen berechnen.<br />
Damit würden Anleihekäufe noch unattraktiver.<br />
Immerhin: Wer bereits Anleihen<br />
besitzt, würde bei Deflation zu den Gewinnern<br />
zählen. Denn in diesem Fall würde<br />
sich das in die Anleihen investierte Kapital<br />
trotz Niedrigzins real mehren.<br />
n Immobilien. In Deutschland werden Immobilien<br />
immer teurer – noch. Laut Verband<br />
der Pfandbriefbanken stiegen die<br />
Preise für Wohnimmobilien 2012 und 2013<br />
im Schnitt um jeweils vier Prozent. Daten<br />
Aktien gehören dazu<br />
Anlageaufteilung für ein breit gestreutes<br />
Mischdepot (in Prozent)<br />
Tagesgeld<br />
Gold<br />
Rendite pro Jahr für Aktien<br />
und das Mischdepot<br />
(in Prozent)*<br />
5,8<br />
2,3<br />
25<br />
15<br />
30<br />
30<br />
13,2<br />
8,8 10,9 7,0 9,4 4,4<br />
Aktien<br />
Anleihen<br />
seit 2008 seit 2009 seit 2010 seit 2011 seit 2012<br />
*Mischdepot, bei dem die Depotanteile jedes<br />
Jahr wieder auf das Ausgangsniveau gebracht<br />
werden; Quelle: Bloomberg, eigene Berechnung<br />
21,7<br />
6,2<br />
des Internet-Dienstes Immobilienscout24,<br />
basierend auf Angebotspreisen, signalisieren<br />
in begehrten Lagen bereits Überhitzung.<br />
In Berlin etwa sind Preise bestehender<br />
Wohnungen seit 2008 um 40 Prozent,<br />
in München um 56 und in Hamburg um 46<br />
Prozent gestiegen. Jüngste Daten zeigen,<br />
dass der Preiszuwachs abflacht.<br />
n Gold. Die Aussichten für Goldinvestoren<br />
haben sich aufgehellt. Hohe Zinsen, die<br />
zinsloses Gold weniger attraktiv machen,<br />
sind nicht in Sicht. Zudem gibt es deutliche<br />
Signale, dass die Verkaufswelle bei Goldfonds<br />
ausläuft. Bei physischem Gold – also<br />
Barren und Münzen – ist die Nachfrage seit<br />
Jahren größer als das Angebot, vor allem<br />
dank chinesischer Käufer. Seit Mitte Dezember<br />
2013 hat Gold in Dollar um zehn<br />
Prozent zugelegt. Doch auch Gold ist – abgesehen<br />
von seiner wichtigen Funktion als<br />
Krisenversicherung – für Anleger derzeit<br />
kein Selbstläufer. Die physischen Käufe<br />
könnten bei einer Eintrübung der wirtschaftlichen<br />
Lage in China (Wirtschafts-<br />
Woche 16/<strong>2014</strong>) nachlassen. Schon jetzt<br />
rechnet der World Gold Council, eine Lobby-Organisation<br />
der Goldminenbetreiber,<br />
für dieses Jahr nicht mit großen Nachfragesteigerungen<br />
dort: Viele Chinesen hätten<br />
Schmuck- und Anlagekäufe 2013 vorgezogen.<br />
Zudem steckt vielen Anlegern der<br />
Preisverfall beim Gold noch in den Knochen<br />
(minus 32 Prozent seit dem Hoch bei<br />
über <strong>19</strong>00 Dollar im September 2011).<br />
n Lebensversicherung. Wer jetzt noch eine<br />
Lebensversicherung abschließt, bekommt<br />
nur noch magere 1,75 Prozent Rendite garantiert.<br />
Und die auch nicht auf seine gesamte<br />
Prämie, sondern nach Abzug von<br />
Vertriebs- und Verwaltungskosten. 2015<br />
»<br />
FOTOS: FUCHS PETROLUB, GETTY IMAGES, VARIO IMAGES<br />
80 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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17,2<br />
Prozent<br />
Kursanstieg in<br />
zwölf Monaten<br />
schafften die<br />
50 Nebenwerte<br />
aus dem MDax<br />
1,5 Prozent<br />
Rendite pro Jahr<br />
wirft eine<br />
Bundesanleihe<br />
mit zehn Jahren<br />
Laufzeit ab<br />
4,2 Prozent<br />
Verlust brachte<br />
Gold Anlegern in<br />
den vergangenen<br />
zwölf Monaten – in<br />
Dollar gerechnet<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 81<br />
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Paradies Deutschland<br />
»<br />
Seit Januar<br />
hat unser<br />
Mischdepot<br />
den Dax 30<br />
um Längen<br />
geschlagen<br />
könnte der Garantiezins für Neukunden<br />
gar auf 1,25 Prozent sinken. Im Schnitt zahlen<br />
Versicherer zwar noch deutlich mehr<br />
aus, zuletzt 4,3 Prozent. Doch die freiwillige<br />
Überschussbeteiligung sinkt, weil auch sie<br />
mit neu angelegtem Geld immer weniger<br />
Rendite schaffen. Bleibt die Zinswende<br />
dauerhaft aus, werden Versicherte das zu<br />
spüren bekommen – vor allem bei neuen<br />
Verträgen. Weil Versicherer bis vor einigen<br />
Jahren sogar noch vier Prozent garantierten,<br />
wächst jetzt für neue Kunden das Risiko,<br />
dass sie demnächst die alten Kunden<br />
ihres Versicherers subventionieren müssen.<br />
Ergo und Allianz haben neue Varianten<br />
eingeführt – ohne lebenslange Garantien,<br />
dafür mit der vagen Hoffnung auf<br />
höhere Renditen. Die<br />
wollen die Versicherer erreichen,<br />
indem sie das<br />
Geld der Kunden auch in<br />
Aktienfonds stecken.<br />
n Aktien. Ein Aktienportfolio<br />
können sich Anleger<br />
aber selbst zusammenstellen.<br />
In einem langfristig<br />
ausgerichteten Depot<br />
sollten Aktien, so die<br />
schon seit mehreren Jahren<br />
erfolgreich praktizierte<br />
Strategie (zum Beispiel<br />
WirtschaftsWoche<br />
27/2009 und 3/2012), wenigstens<br />
30 Prozent ausmachen. Um das<br />
Depot vor Kursstürzen zu schützen, fließt<br />
das restliche Geld in Anleihen (ebenfalls 30<br />
Prozent), Gold (25 Prozent) und Tagesgeld<br />
(15 Prozent). Je nach Anlagedauer und<br />
Risikoneigung können Anleger die Anteile<br />
variieren. Wichtig ist aber, an der einmal<br />
gewählten Aufteilung festzuhalten und die<br />
Depotanteile wieder auf das Ausgangsniveau<br />
zu bringen, etwa ein Mal jährlich.<br />
Seit Jahresbeginn hat ein so ausgerichtetes<br />
Depot 2,2 Prozent plus gebracht, während<br />
der Dax 2,9 Prozent verlor. Seit Anfang<br />
2008 kamen Anleger mit dem Mischdepot<br />
sogar auf 5,8 Prozent Rendite pro Jahr – mit<br />
einem reinen Dax-Investment nur auf 2,3<br />
Prozent (siehe Grafik Seite 80). Seit 2009<br />
sind die Aktienkurse aber wieder kräftig gestiegen<br />
– ohne Aktien wäre der Erfolg des<br />
Mischdepots auf Dauer also nicht möglich.<br />
Einzelinvestments, die nur kurzfristig<br />
reüssieren, sind angesichts des Säbelrasselns<br />
zwischen Russland und der Nato sowie<br />
drohenden Problemen aus China und<br />
den anderen Schwellenländern prinzipiell<br />
riskant. Anleger können auf kostengünstige<br />
Indexfonds (ETFs) ausweichen, die alle<br />
Aktien eines Index abdecken. Auch für Unternehmensanleihen<br />
gibt es passende<br />
ETFs, zum Beispiel von iShares (ISIN<br />
DE0002511243). Gold kaufen Anleger am<br />
besten physisch, etwa Anlagemünzen wie<br />
den Krügerrand.<br />
CHANCEN IN DER ZWEITEN REIHE<br />
Doch auch mit Einzelaktien lässt sich das<br />
Risiko streuen. Ein Korb aus Aktien von<br />
Unternehmen verschiedener Branchen,<br />
mit zyklischem und nichtzyklischem Geschäft,<br />
mit oft attraktiven Dividenden und<br />
meist zu vernachlässigenden Schulden<br />
sollte auf lange Sicht das Depot bereichern.<br />
Dass Großinvestoren wie Credit Suisse<br />
gerade mit Investitionen in Werte aus der<br />
zweiten Reihe, aus den<br />
Indizes abseits des Dax,<br />
den jeweils 50 Werte umfassenden<br />
MDax und<br />
SDax und den 30 Werte<br />
umfassenden TecDax,<br />
werben, ist kein Zufall.<br />
Gemessen an wichtigen<br />
Kennzahlen wie dem<br />
Kurs-Gewinn-Verhältnis<br />
und der Dividendenrendite<br />
sind die Nebenwerte<br />
zwar in der Regel einen<br />
Tick teurer als der Dax.<br />
Allerdings sind sie auch<br />
häufig wachstumsstärker,<br />
und viele haben, im Gegensatz zu etlichen<br />
Großkonzernen, keine Schuldenprobleme.<br />
Dazu kommt, dass es oft straff geführte Familienunternehmen<br />
sind, die bereits jede<br />
Menge politischer und wirtschaftlicher<br />
Krisen überstanden haben. Andere wiederum<br />
haben in der Vergangenheit gezeigt,<br />
dass ihr Geschäft robust genug ist, sich<br />
nach jedem Börsencrash aufzurappeln.<br />
Investments in kleinere Unternehmen<br />
eignen sich für aktive Anleger vor allem<br />
deshalb, weil sie in der Regel weniger<br />
Aufmerksamkeit von Analysten und Investoren<br />
genießen als höher kapitalisierte<br />
Werte. „Gerade institutionelle Anleger<br />
bevorzugen in der Regel große Titel, weil<br />
diese eine größere Liquidität aufweisen.<br />
Das führt tendenziell zu einer fundamentalen<br />
Unterbewertung der kleinen Werte“,<br />
so Will Jump, Investmentstratege bei Axa<br />
Rosenberg.<br />
Mit unserem Korb aus zehn interessanten<br />
Nebenwerten aus dem MDax, dem<br />
SDax und dem TecDax können Anleger intelligent<br />
den Aktienanteil ihres breit gestreuten<br />
Depots abdecken.<br />
christof.schuermann@wiwo.de, niklas hoyer<br />
DMG Mori Seiki<br />
Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />
74 Prozent/1810 Prozent<br />
Kaufargument: Starke globale Allianz<br />
Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />
So leicht geht es Börsianern noch nicht<br />
über die Lippen: Aus Gildemeister ist vor<br />
einem halben Jahr DMG Mori Seiki geworden.<br />
Die Bielefelder sind mit den Japanern<br />
seit Jahren verbunden: Diese halten ein<br />
knappes Viertel der Aktien an DMG, die<br />
Deutschen wiederum gut zehn Prozent an<br />
Mori Seiki Nippon. Bis 2020 soll die Komplettfusion<br />
stehen, so das Ziel. Im Angebot<br />
haben die Partner High-Tech-Maschinen,<br />
den dazugehörigen Service sowie Software-<br />
und Energielösungen. Werkzeugmaschinen<br />
sind dabei Kernkompetenz. In<br />
mehr als 140 nationalen und internationalen<br />
Standorten arbeiten 6700 Mitarbeiter.<br />
Wie sieht die Bilanz aus?<br />
DMG Mori Seiki ist auf Rekordkurs. 2013<br />
erreichten sowohl das Vorsteuerergebnis<br />
als auch der Konzernjahresüberschuss jeweils<br />
den höchsten Wert in der langen,<br />
knapp 144 Jahre währenden Unternehmensgeschichte.<br />
Der Umsatz stieg von<br />
2037 auf rekordhohe 2054 Millionen Euro.<br />
Exporte machten zwei Drittel aus. Noch ist<br />
ordentlich Bestand abzuarbeiten: Per 31.<br />
Dezember lagen Aufträge über 1032 Millionen<br />
Euro vor – drei Prozent mehr als ein<br />
Jahr zuvor. Im ersten Quartal sollen die<br />
neuen Orders um gut 30 auf rund 550 Millionen<br />
Euro zulegen. Rasant wuchs das Eigenkapital:<br />
Der verbesserte Jahresüberschuss<br />
und Kapitalerhöhungen zogen das<br />
den Aktionären zustehende Kapital um gut<br />
389 Millionen auf mehr als 1164 Millionen<br />
Euro nach oben. Die Eigenkapitalquote<br />
liegt damit bei sehr üppigen 57,9 Prozent.<br />
Wie bewertet die Börse?<br />
Ordentlich. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf<br />
Basis des für <strong>2014</strong> geschätzten Gewinns liegt<br />
bei 14,5, der Marktwert von 1,7 Milliarden<br />
Euro macht stolze 80 Prozent des erwarteten<br />
Jahresumsatzes für <strong>2014</strong> aus. Am 16. Mai<br />
wird die Hauptversammlung voraussichtlich<br />
50 Cent je Aktie als Dividende beschließen:<br />
Das entspricht 2,3 Prozent Rendite.<br />
Was treibt langfristig den Kurs?<br />
Die Bielefelder sind finanzschuldenfrei,<br />
abwertungsgefährdete Prämien aus Übernahme<br />
(Goodwill) machen nur sechs Pro-<br />
82 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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inden“, nennt Fuchs eine Herausforderung<br />
für Fuchs in der Zukunft.<br />
Fazit: Bei den Mannheimern kommt alles<br />
zusammen, was sich Aktionäre wünschen.<br />
Neue Anleger kaufen sich aber teuer ein.<br />
Pfeiffer Vacuum<br />
Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />
125 Prozent/25 Prozent<br />
Kaufargument: Einzigartige Spezialtechnik<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
Auf die Kette bekommen<br />
DMG Mori Seiki steigert<br />
Gewinn auf Rekordwert<br />
zent der Bilanz aus, ein Investment ist angesichts<br />
der starken Marktposition langfristig<br />
mit relativ geringen Risiken behaftet.<br />
Was könnte den Kurs belasten?<br />
Zurückgekaufte Aktien wurden zuletzt auf<br />
den Markt geworfen, zudem sind bilanzierte<br />
Steueransprüche über 48 Millionen Euro<br />
möglicherweise nicht realisierbar.<br />
Fazit: DMG Mori Seiki zählt zu den eher<br />
konservativen Anlagen bei Nebenwerten.<br />
Fuchs Petrolub Vz.<br />
Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />
56 Prozent/81 Prozent<br />
Kaufargument: Top-Position im Markt<br />
Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />
Die <strong>19</strong>31 als Familienunternehmen in<br />
Mannheim gegründete Fuchs Petrolub ist<br />
heute ein Konzern von globaler Reichweite<br />
und unter den 590 konzernunabhängigen<br />
Wettbewerbern der weltweit größte Anbieter<br />
mit einem vollständigen Sortiment von<br />
Schmierstoffen. Insgesamt ist Fuchs die<br />
Nummer neun am Markt. Fuchs stellt mit<br />
3800 Mitarbeitern Schmierstoffe für Autos<br />
und Motorräder, Gütertransport, Stahlindustrie,<br />
Bergbau, Fahrzeug- und Maschinenbau<br />
sowie Bau- und Agrarwirtschaft<br />
her. Fuchs zählt mehr als 100 000 Kunden,<br />
für die 10 000 Produkte gefertigt werden.<br />
Wie sieht die Bilanz aus?<br />
Der Gewinn nach Steuern ist in den letzten<br />
zehn Jahren um durchschnittlich 18,5 Prozent<br />
pro Jahr gestiegen, deutlich mehr als<br />
die Erlöse, die gleichzeitig um durchschnittlich<br />
5,8 Prozent zulegten. „Mit einer<br />
Nettorendite von über zehn Prozent sowie<br />
einer schuldenfreien Bilanz mit einer Eigenkapitalquote<br />
von 73 Prozent sind wir<br />
zukunftsfähig und hervorragend aufgestellt.<br />
Unser Ziel ist weiteres profitables<br />
Wachstum“, sagt Vorstandschef Stefan<br />
Fuchs, der auf eine Nettoliquidität von<br />
167,4 Millionen Euro zurückgreifen kann.<br />
Wie bewertet die Börse?<br />
Sehr hoch. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis<br />
liegt bei 21,4. Der Börsenwert des Unternehmens<br />
beim 2,7-Fachen des Umsatzes.<br />
Was treibt langfristig den Kurs?<br />
Das Unternehmen ist stark innovationsgetrieben:<br />
385 Ingenieure und Naturwissenschaftler<br />
sind in der Forschung und Entwicklung<br />
beschäftigt, um Fuchs weitere<br />
Anteile in einem weltweit 35 Millionen<br />
Tonnen starken Markt zu sichern. „Unser<br />
Wachstum unterstützen wir mit erheblichen<br />
Investitionen in den Werksneubau in<br />
Entwicklungsmärkten und Werksausbau in<br />
unseren bestehenden Märkten, einer Vielzahl<br />
von Neueinstellungen mit dem<br />
Schwerpunkt Technik und Vertrieb sowie<br />
steigende <strong>Ausgabe</strong>n für Forschung und<br />
Entwicklung“, sagt Fuchs. Die Familie hält<br />
51,7 Prozent der Stammaktien. Die Dividende<br />
wurde in den vergangenen zehn<br />
Jahren im Schnitt jährlich um 22,8 Prozent<br />
erhöht. Zudem läuft ein Aktienrückkaufprogramm<br />
bis März 2015, ein 1:1-Aktiensplit<br />
soll die Aktie optisch billiger machen.<br />
Was könnte den Kurs belasten?<br />
An erster Stelle eine Wirtschaftskrise. Zudem<br />
sei es „zunehmend schwieriger, geeignetes<br />
Fachpersonal insbesondere für die<br />
Bereiche Technik und Vertrieb zu finden<br />
und langfristig an das Unternehmen zu<br />
Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />
Obwohl vor 18 Jahren einer der deutschen<br />
Pioniere an Wall Street und <strong>19</strong>98 dann am<br />
Neuen Markt, ist Pfeiffer schon über 120<br />
Jahre Spezialist für Vakuumtechnik und gilt<br />
als Weltmarktführer für Vakuumpumpen.<br />
Eingesetzt werden Vakuumlösungen in<br />
Reinräumen, etwa in Laboren oder in der<br />
Halbleiterindustrie; überall, wo Staub stört.<br />
Wie sieht die Bilanz aus?<br />
Das Eigenkapital ist hoch, mit einer Quote<br />
an der Bilanzsumme von 64,1 Prozent. 53,6<br />
Millionen Euro Netto-Bares liegen auf der<br />
Kante – solide. Umsatz und Gewinn waren<br />
zuletzt wegen der Schwäche wichtiger<br />
Märkte stark rückläufig. 2013 blieben bei<br />
408,7 Millionen Euro Umsatz (minus 11,4<br />
Prozent) netto 34,8 Millionen Euro Ertrag<br />
übrig – fast ein Viertel weniger als 2012.<br />
Wie bewertet die Börse?<br />
In der Summe aller Kennzahlen ist die Aktie<br />
moderat, aber nicht sehr billig bewertet.<br />
Was treibt langfristig den Kurs?<br />
So aktionärsfreundlich wie Pfeiffer sind<br />
nur wenige Unternehmen: Seit 2006 wandern<br />
regelmäßig drei Viertel des Konzerngewinns<br />
als Ausschüttung in die Taschen<br />
der Anteilseigner. Am 23. Mai sollen es 2,65<br />
Euro je Aktie sein, 80 Cent weniger als vor<br />
Jahresfrist, aber dennoch ordentliche gut<br />
drei Prozent Rendite. Wenn auch rückläufig,<br />
ist die Marge vor Steuern und Zinsen<br />
(Ebit) mit 12,4 Prozent deutlich zweistellig.<br />
Dieses Jahr erwartet das Management eine<br />
verbesserte Marge bei höheren Erlösen.<br />
Was könnte den Kurs belasten?<br />
Der positive Ausblick könnte bei Konjunkturschwierigkeiten<br />
Makulatur sein.<br />
Fazit: Als Einzel-Investment ist die Aktie<br />
nicht billig genug. Einem ausgewogenen<br />
Depot kann der Zykliker aber Kick geben.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 83<br />
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Paradies Deutschland<br />
Mehr Quellen anzapfen<br />
Kabelhersteller Leoni will die<br />
Europa-Abhängigkeit senken<br />
Leoni<br />
Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />
81 Prozent/–138,1 auf +105,5 Mio. Euro<br />
Kaufargument: Kluge Expansionsstrategie<br />
Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />
Leoni ist einer der führenden europäischen<br />
Anbieter von Kabelsystemen für die<br />
Autobranche (75 Prozent Erlösanteil) und<br />
weitere Industrien. Die Nürnberger entwickeln,<br />
produzieren und verkaufen weltweit<br />
Drähte und optische Fasern, Kabel und Kabelsysteme,<br />
dazu kommen Services. Im<br />
Bereich Fahrzeugleitungen für Automobile<br />
und Spezialkabel für die Solarindustrie ist<br />
die <strong>19</strong>17 gegründete Leoni Weltspitze.<br />
Wie sieht die Bilanz aus?<br />
827,6 Millionen Euro Eigenkapital und eine<br />
Quote von 34,5 Prozent sind angemessen<br />
für einen Automobilzulieferer. Die Nettofinanzschulden<br />
stiegen zuletzt leicht, sie<br />
sind aber mit nur 257 Millionen Euro überschaubar.<br />
2013 legte der Umsatz auf einen<br />
Rekordwert von 3,92 (2012: 3,81) Milliarden<br />
Euro zu. Der Überschuss sackte dagegen<br />
auf 105,5 nach 155,7 Millionen Euro ab.<br />
Erwartungsgemäß, da im Vorjahr der Verkauf<br />
einer Tochter gewinnsteigernd war.<br />
Das reduziert die Dividende je Aktie auf<br />
1,00 von 1,50 Euro. Zahltag ist der 9. Mai.<br />
Wie bewertet die Börse?<br />
Die Aktie ist mit einem KGV <strong>2014</strong> von 12,2<br />
recht günstig bewertet. Das Kurs-Umsatz-<br />
Verhältnis bleibt mit gut 0,4 im Rahmen.<br />
Was treibt langfristig den Kurs?<br />
Leoni will klotzen und legt die Messlatte<br />
hoch. 2016 soll Leoni fünf Milliarden Euro<br />
Umsatz erreichen und will dabei sieben<br />
Prozent Ebit-Marge schaffen, das wären<br />
dann 350 Millionen Euro Gewinn vor Zinsen<br />
und Steuern. Bis 2025 wollen die Franken<br />
um durchschnittlich acht Prozent jährlich<br />
wachsen, die Erlöse könnten dann bei<br />
zehn Milliarden Euro liegen. Zudem soll<br />
die Europa-Abhängigkeit reduziert werden.<br />
Zuletzt trug Europa noch zwei Drittel<br />
zum Umsatz bei, 2018 soll der Anteil auf<br />
knapp 60 Prozent zurückgehen. Langfristig<br />
strebt Leoni eine Gleichverteilung des Geschäfts<br />
auf Europa, Asien und Amerika an.<br />
Was könnte den Kurs belasten?<br />
Der überraschend angekündigte Abschied<br />
von Konzernchef Klaus Probst, der seinen<br />
Vertrag auf eigenen Wunsch nur um ein<br />
halbes Jahr bis zum 30. Juni 2015 verlängerte,<br />
ist ein Belastungsfaktor; ein Nachfolger<br />
soll erst im kommenden Jahr vorgestellt<br />
werden. Der muss die von Probst aufgestellten<br />
Pläne dann erst einmal umsetzen.<br />
Fazit: Gehen Leonis ehrgeizige Pläne auf<br />
und bewertet die Börse die Aktie langfristig<br />
wie heute, müsste der Kurs je nach Kennzahl<br />
um zehn bis zwölf Prozent pro Jahr zulegen<br />
– plus Dividende.<br />
Grenkeleasing<br />
Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />
65 Prozent/91 Prozent<br />
Kaufargument: Skalierbares Geschäft<br />
Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />
Grenke konzentriert sich auf das Leasing<br />
für Bürokommunikation und dabei auf Anschaffungen<br />
ab 500 Euro und bis zu 25 000<br />
Euro. Auf fast 370 000 Verträge kam das<br />
<strong>19</strong>78 von Wolfgang Grenke gegründete Unternehmen<br />
Ende 2013. Das Vermietvolumen<br />
lag bei 3023 (Vorjahr: 2602) Millionen<br />
Euro. Zum Großteil werden IT-Produkte<br />
verleast; dazu Medizin- und Sicherheitstechnik,<br />
Fahrzeuge und Maschinen. 2009<br />
wurde die Hesse Newman Bank gekauft<br />
und zur Grenke Bank umgebaut. Seither finanziert<br />
sich Grenke auch direkt über die<br />
Einlagen privater und gewerblicher Kunden.<br />
Die Bank richtet sich vorrangig an<br />
deutsche mittelständische Kunden, das<br />
begrenzt die Risiken. Die Einlagen stiegen<br />
2013 um 22 Prozent auf 255,6 Millionen Euro.<br />
Als drittes Standbein betreibt Grenke<br />
das margenstarke Geschäft der Eintreibung<br />
von Geldforderungen (Inkasso).<br />
Wie sieht die Bilanz aus?<br />
Um elf Prozent auf 47 Millionen Euro legte<br />
Grenkeleasing 2013 beim Gewinn zu. Vor<br />
allem die verbesserte Differenz aus Zinsausgaben<br />
und -einnahmen mit einem Plus<br />
von gleich 17 Prozent auf 130,5 Millionen<br />
Euro zeigte sich stark. Die Eigenkapitalquote<br />
von 16,7 Prozent ist für einen Finanzdienstleister<br />
komfortabel.<br />
Wie bewertet die Börse?<br />
Schon mehr als eine Milliarde Euro ist die<br />
einst kleine Leasingschmiede jetzt wert.<br />
Investoren honorieren damit die seit Jahren<br />
starken kontinuierlichen Gewinnsteigerungen.<br />
Das KGV von gut <strong>19</strong> ist der Preis<br />
für so viel Gewinn-Qualität.<br />
Was treibt langfristig den Kurs?<br />
Das Unternehmen strebt einen „nachhaltig<br />
hohen Return on Equity bei gleichzeitig<br />
solider Eigenkapitalausstattung an“, sagt<br />
Jörg Eicker, Finanzvorstand der Grenkeleasing.<br />
Als Zielgröße für die Nachsteuerrendite<br />
auf das Eigenkapital nennt Eicker<br />
„16 Prozent“. Für <strong>2014</strong> erwartet das Management<br />
ein Wachstum des Neugeschäftes<br />
zwischen 13 und 16 Prozent. Der<br />
Konzernüberschuss soll zwischen 52 und<br />
56 Millionen Euro liegen. Zudem internationalisiert<br />
Grenke sein Geschäft. In Europa<br />
sollen die letzten weißen Flecken getilgt<br />
werden, etwa „durch den Eintritt in Kroatien“,<br />
so Eicker. Außerhalb Europas startete<br />
Grenke zuletzt schon in Brasilien, Dubai<br />
und Kanada. Vorteil: „Unser erfolgreiches<br />
Geschäftsmodell lässt sich aufgrund der<br />
maximalen Effizienz und Standardisierung<br />
schnell auf neue regionale Märkte übertragen“,<br />
so Eicker.<br />
Was könnte den Kurs belasten?<br />
Neue Konkurrenz. Die Eintrittsbarrieren<br />
ins Leasinggeschäft sind vergleichsweise<br />
gering. Zudem ist es für das Unternehmen<br />
wichtig, „besondere, über das normale<br />
Maß hinausgehende Risiken frühzeitig zu<br />
erkennen“, so Eicker. Sonst stiegen die Leasingausfälle,<br />
was auf den Gewinn drückt.<br />
Fazit: In ein ausgewogenes Nebenwerte-<br />
Portfolio gehört die Aktie auf jeden Fall.<br />
FOTOS: PR<br />
84 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Sartorius Vz.<br />
Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />
47 Prozent/–7,3 auf +52,4 Mio. Euro<br />
Kaufargument: Margenfantasie<br />
Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />
1500 Prozent – so lautet die Performance<br />
der Sartorius-Vorzugsaktie seit fünf Jahren.<br />
Zum Vergleich: Mit Apple-Aktien gewannen<br />
Anleger nur 500 Prozent. „Sartorius ist<br />
einer der global führenden Biopharmaund<br />
Laborzulieferer. Wir positionieren uns<br />
in diesen wachstumsstarken, hochattraktiven<br />
Märkten als Anbieter, der seinen Kunden<br />
integrierte Lösungen und nicht nur<br />
Produkte anbietet“, erklärt Vorstandschef<br />
Joachim Kreuzburg die eigene Erfolgsstrategie.<br />
Im Segment „Bioprocess Solutions“,<br />
das für rund die Hälfte der Umsätze steht,<br />
entwickeln die Göttinger Membrane und<br />
Filter für die Industrien Pharma, Biotech,<br />
Chemie, Lebensmittel und Getränke. Die<br />
Sparte „Lab Products & Services“ steht für<br />
hochwertige Laborinstrumente. Im kleinsten<br />
Segment „Industrial Weighing“ vertreibt<br />
Sartorius Messsysteme. „Regional sehen<br />
wir die größten Potenziale für organisches<br />
Wachstum in den USA und in Asien,<br />
aus diesem Grund verstärken wir in beiden<br />
Regionen unseren Vertrieb“, sagt Kreuzburg.<br />
Zudem plant der Vorstandschef, das<br />
Sartorius-Portfolio über „komplementäre<br />
Zukäufe und Allianzen“ auszubauen.<br />
Wie sieht die Bilanz aus?<br />
Der Umsatz legte 2013 um 42 auf gut 887<br />
Millionen Euro zu, der den Aktionären zustehende<br />
Konzerngewinn stieg um knapp<br />
4,0 auf 52,4 Millionen Euro. Die Eigenkapi-<br />
Zukunftsmarkt Anleger<br />
trauen Sartorius viel zu<br />
talquote von Sartorius ist mit 38 Prozent<br />
angemessen, die Finanzverbindlichkeiten<br />
schlugen zuletzt mit 345 Millionen Euro<br />
netto zu Buche. Das ist angesichts der gut<br />
kalkulierbaren Mittelzuflüsse der Göttinger<br />
tragbar.<br />
Wie bewertet die Börse?<br />
Hoch. Die Aktie kostet den 35-fachen Jahresgewinn<br />
2013. Die niedrigeren KGVs <strong>2014</strong><br />
und 2015 ergeben sich nur auf Basis bereinigter<br />
Zahlen, die Analysten verwenden.<br />
Was treibt langfristig den Kurs?<br />
Sartorius besitzt ein lukratives Produktportfolio<br />
in Märkten mit viel Wachstumsfantasie.<br />
„Bis zum Jahr 2020 wollen wir den<br />
Umsatz mehr als verdoppeln, auf etwa<br />
zwei Milliarden Euro“, sagt Vorstandschef<br />
Kreuzburg. Rund zwei Drittel des Wachstums<br />
sollen „aus eigener Kraft“ kommen,<br />
ein Drittel „über Akquisitionen“. Im gleichen<br />
Zeitraum „wollen wir unseren Gewinn<br />
verdreifachen“. Die operative Marge<br />
vor Steuern, Zinsen, Abschreibungen und<br />
Amortisation (Ebitda), die Ende 2013 bei<br />
<strong>19</strong>,5 Prozent lag, „soll bis 2020 auf rund 23<br />
Prozent steigen“, so Kreuzburg.<br />
Was könnte den Kurs belasten?<br />
Die Ziele von Sartorius „sind ambitioniert,<br />
aber machbar“, wie Vorstandschef Kreuzburg<br />
selbst sagt. Zielverfehlungen dürfte<br />
der Aktienkurs der Göttinger angesichts<br />
der hohen Bewertung nicht so leicht wegstecken.<br />
Fazit: Einst deutlich unterbewertet, ist die<br />
Sartorius-Aktie mittlerweile keine graue<br />
Maus mehr. Das dürfte so bleiben und Anleger<br />
locken.<br />
BB Biotech<br />
Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />
--/24 450 Prozent<br />
Kaufargument: Top-Erfahrung im Sektor<br />
Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />
Die Schweizer sind eine Holding, die sich<br />
seit <strong>19</strong>93 an Biotech-Unternehmen beteiligt,<br />
vorwiegend aus den USA, aber auch<br />
aus Europa. Die fünf größten aus 35 Beteiligungen<br />
sind Celgene (USA), Actelion<br />
(Schweiz), Gilead (USA), Isis Pharmaceuticals<br />
(USA) und Incyte (USA). Diese machten<br />
Ende 2013 gut 56 Prozent des 2,1 Milliarden<br />
Schweizer Franken schweren Portfolios<br />
aus. „Als Beteiligungsgesellschaft ermöglichen<br />
wir Investoren auf einfache Art<br />
und Weise an der Entwicklung des globalen<br />
Wachstumsmarkts Biotechnologie zu<br />
partizipieren. Mit unserer Anlagestrategie<br />
zielen wir auf Beteiligungen ab, welche innovative,<br />
also effiziente und sichere Medikamente<br />
auf den Markt bringen“, sagt Daniel<br />
Koller, BB-Chefbeteiligungsmanager.<br />
Wie sieht die Bilanz aus?<br />
Die Börsenhausse trieb den Gewinn 2013<br />
von 368 auf 932 Millionen Franken. Für BB<br />
Biotech als reine Holding sind andere Bilanz-Kennzahlen<br />
irrelevant.<br />
Wie bewertet die Börse?<br />
BB Biotech kostet derzeit 1,35 Milliarden<br />
Euro, der innere Wert der Beteiligungen<br />
liegt bei fast 1,6 Milliarden Euro. Am 26.<br />
März gab es sieben Franken Dividende, das<br />
wären aktuell 5,1 Prozent Rendite.<br />
Was treibt langfristig den Kurs?<br />
BB Biotech strebt langfristig eine Wertsteigerung<br />
des Portfolios in Dollar von 15 Prozent<br />
pro Jahr an. „Seit Gründung liegen wir<br />
mit 14,4 Prozent nur unmerklich darunter“,<br />
sagt Chefmanager Koller. Der Biotech-Sektor<br />
ist generell gerade den Kinderschuhen<br />
entwachsen und entwickelt sich noch sehr<br />
dynamisch, ganz im Gegensatz zu Pharma.<br />
Was könnte den Kurs belasten?<br />
Die Bewertung der Branche ist nicht ohne,<br />
Investoren sitzen auf guten Gewinnen.<br />
Wenn die Börsen deutlich nachgeben, sind<br />
Biotech-Papiere trotz ihrer positiven Langfristperspektive<br />
kein sicherer Hafen.<br />
Fazit: Biotech-Aktien sind lohnenswert,<br />
Einzelanlagen aber riskant. Dieses Risiko<br />
limitiert BB Biotech auf ein Minimum.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 85<br />
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Paradies Deutschland<br />
CTS Eventim<br />
Kurvenreich<br />
CTS Eventim<br />
vermarktet auch<br />
Konzerte von<br />
Helene Fischer<br />
Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />
35 Prozent/53 Prozent<br />
Kaufargument: Konjunkturresistent<br />
Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />
Ob Metallica bei Rock am Ring, die Reunion<br />
der legendären Status Quo in Originalbesetzung<br />
nach 30 Jahren oder Helene Fischer<br />
in Riesa – ein Unternehmen profitiert<br />
immer mit: CTS Eventim. Der Vermarkter<br />
mischt die großen Bühnen aber nicht nur<br />
über den Verkauf von Tickets auf, sondern<br />
tritt auch selbst als Veranstalter auf: 2013<br />
setzen die Bremer zum Beispiel Neil<br />
Young, Elton John und Mark Knopfler in<br />
Szene. Erst im März trieb CTS Eventim mit<br />
der Übernahme von drei Ticketvermarktern<br />
in Spanien, den Niederlanden und in<br />
Frankreich die internationale Expansion<br />
voran. Insgesamt mehr als 180 000 Veranstaltungen<br />
mit 100 Millionen verkauften<br />
Tickets begleitet Eventim jährlich. Im Segment<br />
„Ticketing“ ist CTS Eventim in Kontinentaleuropa<br />
Marktspitze und im „Live-<br />
Entertainment“ weltweit die Nummer drei.<br />
Wie sieht die Bilanz aus?<br />
Bei den Erlösen legte CTS mächtig Tempo<br />
vor: Gegenüber 2012 wuchsen die Bremer<br />
vergangenes Jahr um 20,8 Prozent auf 628,3<br />
Millionen Euro Umsatz. Der Jahresüberschuss<br />
legte von 56,3 auf 61,1 Millionen Euro<br />
zu. Der Mittelzufluss aus laufender Geschäftstätigkeit<br />
erhöhte sich üppig von 108<br />
auf 143 Millionen Euro. Der Kassenbestand<br />
liegt bei 180 Millionen Euro netto, die Eigenkapitalausstattung<br />
ist mit knapp 29<br />
Prozent solide. Die Dividende je Aktie soll<br />
von 57 auf 64 Cent steigen. Darüber entscheiden<br />
die Aktionäre am 8. Mai.<br />
Wie bewertet die Börse?<br />
Mächtig hoch. Die Aktie kostet den 36-fachen<br />
2013er-Gewinn und den 3,5-fachen<br />
Umsatz 2013. Mit der Erwartung weiterer<br />
höherer Gewinne und den starken Mittelzuflüssen<br />
relativiert sich das allerdings.<br />
Was treibt langfristig den Kurs?<br />
CTS Eventim gehört zu den wenigen Unternehmen,<br />
die von der Konjunktur entkoppelt<br />
wachsen. Selbst in den Jahren 2008<br />
und 2009, als die Finanzkrise viele Industrie-Bilanzen<br />
einknicken ließ, wuchsen die<br />
Bremer unvermindert weiter. Das Internet-<br />
Ticketing soll ebenso weiter ausgebaut werden<br />
wie die internationale Präsenz.<br />
Was könnte den Kurs belasten?<br />
Das Geschäft von Eventim funktioniert nur<br />
dann, wenn der Konzern erfolgreich mit<br />
nationalen und internationalen Künstlern<br />
viele Besucher anlockt. Klappt das nicht,<br />
dann wären auch in der Bilanz aktivierte<br />
Übernahmeprämien (Goodwill) bedroht<br />
und müssten abgeschrieben werden. Die<br />
liegen mit 257 Millionen Euro sogar höher<br />
als das Eigenkapital (253 Millionen Euro).<br />
Zudem soll die Hauptversammlung am<br />
8. Mai einen Rechtsformwechsel in eine<br />
Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA)<br />
beschließen, was derzeit etwas belastet.<br />
Fazit: CTS ist dick im Geschäft und zunehmend<br />
weniger von Wettbewerb bedroht.<br />
Als konjunkturunempfindliches Investment<br />
sollte die Aktie begehrt bleiben.<br />
Jungheinrich Vz.<br />
Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />
37 Prozent/–55,2 auf +106,9 Mio. Euro<br />
Kaufargument: Straff familiengeführt<br />
Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />
Jungheinrich bietet weltweit Fahrzeuge in<br />
der Flurförderzeug-, Lager- und Materialflusstechnik<br />
an. Ziel ist, „die dauerhafte<br />
Zugehörigkeit zu den drei weltweit führenden<br />
produzierenden Dienstleistern und<br />
Lösungsanbietern der Intralogistik“, sagt<br />
Hans-Georg Frey, Vorsitzender des Vorstandes<br />
von Jungheinrich. In Europa will<br />
Frey „einen Marktanteil gemessen am Auftragseingang<br />
in Stück von deutlich über 20<br />
Prozent erreichen“. Im Programm haben<br />
die Hamburger Gabelstapler und Logistiksysteme<br />
und bieten zudem Dienstleistungen<br />
sowie Absatzfinanzierung dafür an.<br />
„Strategisch sind wir primär auf den Direktvertrieb<br />
ausgerichtet, der in bestimmten<br />
Ländern durch Vertriebsaktivitäten<br />
über Händler ergänzt wird. Zudem verfolgt<br />
Jungheinrich eine Ein-Marken-Strategie<br />
mit Schwerpunkt auf Produkten und<br />
Dienstleistungen im Premiumsegment des<br />
Weltmarktes für Flurförderzeuge“, so Frey.<br />
Das Unternehmen legt dabei vor allem<br />
Wert auf organisches Wachstum. Die Hamburger<br />
verstehen sich als Familienunternehmen<br />
– die 18 Millionen stimmberechtigten<br />
Stammaktien liegen fest in Familienhand,<br />
die 16 Millionen stimmrechtslosen<br />
Vorzugsaktien sind hingegen breit gestreut.<br />
Wie sieht die Bilanz aus?<br />
72 500 Fahrzeuge produzierte Jungheinrich<br />
im vergangenen Jahr 2013, der Umsatz<br />
legte um 0,9 Prozent auf den Rekordwert<br />
von 2,29 Milliarden Euro zu. Das Ergebnis<br />
vor Steuern und Zinsen (Ebit) lag bei 172<br />
Millionen Euro und sank ebenso wie das<br />
Nachsteuerergebnis von 107 Millionen Euro<br />
leicht, um fünf Millionen Euro. Deswegen<br />
bleibt auch die an die Aktionäre Mitte<br />
Mai ausgezahlte Dividende von 86 Cent je<br />
Vorzugsaktie gegenüber dem Vorjahr nur<br />
konstant. Die Eigenkapitalquote ist mit 30<br />
Prozent nicht rasend hoch; das relativiert<br />
sich aber, da rund ein Drittel der Bilanzsumme<br />
aus dem Finanzierungsgeschäft<br />
der Hamburger besteht. Wer dieses Leasing<br />
herausrechnet, kommt zum Ergebnis,<br />
dass Jungheinrich im Industriegeschäft<br />
netto finanzschuldenfrei ist.<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA/PEDERSEN<br />
86 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Wie bewertet die Börse?<br />
Gut 850 Millionen Euro sind die Vorzugsaktien<br />
schwer, dazu kommt rechnerisch noch<br />
einmal ein um 12,5 Prozent höherer Marktwert<br />
für die nicht börsennotierten Stammaktien.<br />
Das KGV für dieses Jahr liegt bei 15,<br />
in etwa mit dem Markt.<br />
Was treibt langfristig den Kurs?<br />
Jungheinrich zählt zu den von ruhiger<br />
Hand geführten Unternehmen, die keinen<br />
Hype um die eine oder andere Quartalszahl<br />
machen, sondern lieber stetig wachsen.<br />
„Unsere Umsatzzielsetzung orientiert<br />
sich an einer Größenordnung, die mittelfristig<br />
oberhalb der Drei-Milliarden-Euro-<br />
Grenze liegt. Wir setzen auf ein organisches<br />
Umsatzwachstum, wobei gezielte<br />
Akquisitionen zur Abrundung des Produktportfolios<br />
nicht auszuschließen sind“,<br />
sagt Vorstandschef Frey. Für das Gesamtjahr<br />
werden ein Rekordumsatz zwischen<br />
2,3 und 2,4 Milliarden Euro und ein Gewinn<br />
vor Steuern und Zinsen in der Spanne<br />
von 170 bis 180 Millionen Euro erwartet.<br />
Was könnte den Kurs belasten?<br />
„Herausforderungen resultieren für uns<br />
aus der globalen konjunkturellen Entwicklung.<br />
Insbesondere in den europäischen<br />
Kernmärkten haben konjunkturzyklische<br />
Schwankungen Einfluss“, sagt Frey. „Der<br />
Markt für Flurförderzeuge ist außerdem<br />
durch einen intensiven Wettbewerb mit<br />
fortschreitenden Konsolidierungstendenzen<br />
geprägt.“<br />
Fazit: Knapp an die zwei Milliarden Euro<br />
Marktwert sind derzeit fair.<br />
Schaltbau<br />
Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />
45 Prozent/75 Prozent<br />
Kaufargument: Stetige Bilanzverbesserung<br />
Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />
Die Schaltbau-Gruppe gehört mit ihren<br />
2000 Mitarbeitern zu den führenden Anbietern<br />
von Komponenten und Systemen<br />
für Verkehrstechnik und Investitionsgüterindustrie.<br />
Schaltbau liefert viel Infrastruktur,<br />
zum Beispiel komplette Bahnübergänge,<br />
Rangier- und Signaltechnik, Türsysteme<br />
für Busse und Bahnen, dazu Industriebremsen<br />
für Kräne und Windkraftanlagen,<br />
außerdem Hoch- und Niederspannungskomponenten<br />
für Schienenfahrzeuge.<br />
Wie sieht die Bilanz aus?<br />
Schaltbau verbessert seit Jahren sukzessive<br />
wichtige Kennzahlen wie den Verschuldungsgrad,<br />
der gemessen am Ergebnis vor<br />
Steuern, Zinsen, Abschreibungen und<br />
Amortisation nur noch den geringen Faktor<br />
von 0,9 ausmacht. Das Eigenkapital legte<br />
2013 um 18,3 auf 89,4 Millionen zu; die<br />
Eigenkapitalquote von 33,4 Prozent ist in<br />
Ordnung, sollte aber noch etwas dicker<br />
werden. Der Gewinn je Aktie verbesserte<br />
sich 2013 stark von 3,09 auf 3,48 Euro, bei<br />
einem um 7,7 Prozent erhöhten Konzernumsatz<br />
von 390,7 Millionen Euro – beides<br />
sind Unternehmensbestwerte.<br />
Wie bewertet die Börse?<br />
Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von<br />
um die 13 ist die Aktie moderat bewertet.<br />
Allerdings geht Schaltbau dieses Jahr von<br />
einem nur sehr geringen Gewinnanstieg<br />
aus, sodass größere Bewertungssprünge<br />
erst einmal nicht in Sicht sind. Die Dividende,<br />
die für das abgelaufene Geschäftsjahr<br />
um <strong>19</strong> auf 96 Cent je Aktie steigen soll<br />
und damit einer Rendite von rund zwei<br />
Prozent auf den Kurs entspricht, dürfte für<br />
<strong>2014</strong> zumindest stabil sein; zumal die Ausschüttungsquote<br />
von nur 27,6 Prozent<br />
noch deutlich Spielraum nach oben gibt.<br />
Was treibt langfristig den Kurs?<br />
Die Münchner Schaltbau betreibt konsequent<br />
eine Internationalisierungsstrategie,<br />
auch über Akquisitionen, und erschließt<br />
sich so neue Märkte auf der ganzen Welt.<br />
Der Konzern ist unter anderem bereits in<br />
China, Südkorea, den USA, Großbritannien<br />
und Osteuropa präsent und expandiert<br />
auch nach Südamerika. So können<br />
die Risiken vor Einbrüchen in einzelnen<br />
Regionen inzwischen recht gut austariert<br />
werden. So macht etwa der Russland-Anteil<br />
nur etwas mehr als zwei Prozent <strong>vom</strong><br />
Umsatz aus.<br />
Was könnte den Kurs belasten?<br />
Eine globale Wirtschaftskrise und möglicherweise<br />
wegen Schuldenproblemen verschobene<br />
Infrastrukturprojekte könnten<br />
Schaltbau treffen und zeitweise das Geschäft<br />
verderben.<br />
Fazit: Klein, aber fein: Die Schaltbau-Aktie<br />
hat auf Sicht von mehreren Jahren und darüber<br />
hinaus sicher noch einiges an Potenzial<br />
zu bieten.<br />
n<br />
christof.schuermann@wiwo.de<br />
Viel Wert<br />
Kennzahlen ausgewählter Aktien aus der zweiten Reihe<br />
Aktie (Index)<br />
BB Biotech (TecDax)<br />
CTS Eventim (SDax)<br />
DMG Mori Seiki (MDax)<br />
Fuchs Petrolub Vz. (MDax)<br />
Grenkeleasing (SDax)<br />
Jungheinrich Vz. (SDax)<br />
Leoni (MDax)<br />
Pfeiffer Vacuum (TecDax)<br />
Sartorius Vz. (TecDax)<br />
Schaltbau (SDax)<br />
Branche<br />
Biotech-Holding<br />
Vermarktung<br />
Werkzeugmaschinen<br />
Schmierstoffe<br />
Leasing und Bank<br />
Fahrzeuge<br />
Automobilzulieferung<br />
Vakuumtechnik<br />
Laborzulieferung<br />
Verkehrstechnik<br />
Kurs<br />
(in Euro)<br />
113,95<br />
46,25<br />
21,41<br />
70,17<br />
74,00<br />
53,50<br />
53,10<br />
83,00<br />
94,80<br />
45,88<br />
Stoppkurs<br />
(in Euro)<br />
90,00<br />
35,00<br />
14,00<br />
49,00<br />
55,00<br />
39,00<br />
39,00<br />
61,00<br />
74,00<br />
29,00<br />
Börsenwert<br />
(in Millionen<br />
Euro)<br />
1 Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der durchschnittlichen Analystenprognosen für den jeweiligen Gewinn pro Aktie; 2 für 2013 angekündigt, beschlossen oder erwartet, bei<br />
einigen Unternehmen bereits gezahlt; BB-Biotech-Dividende von 7,00 Schweizer Franken umgerechnet zum Kurs von 1,2143 Schweizer Franken pro Euro;<br />
3 1 = niedrig, 10 = hoch; Quelle: Bloomberg; Stand: 14. April <strong>2014</strong><br />
1350<br />
2220<br />
1687<br />
4762<br />
1088<br />
18<strong>19</strong><br />
1735<br />
8<strong>19</strong><br />
1834<br />
282<br />
Kurs-Gewinn-Verhältnis 1<br />
<strong>2014</strong><br />
–<br />
26,8<br />
14,5<br />
21,4<br />
<strong>19</strong>,4<br />
15,1<br />
12,2<br />
17,0<br />
22,5<br />
13,1<br />
2015<br />
–<br />
23,4<br />
12,8<br />
20,0<br />
17,1<br />
13,5<br />
9,6<br />
14,2<br />
<strong>19</strong>,9<br />
12,0<br />
Dividende<br />
pro Aktie 2<br />
(in Euro)<br />
5,76<br />
0,64<br />
0,50<br />
1,40<br />
1,00<br />
0,86<br />
1,00<br />
2,65<br />
1,02<br />
0,96<br />
Dividendenrendite<br />
(in Prozent)<br />
5,1<br />
1,4<br />
2,3<br />
2,0<br />
1,4<br />
1,6<br />
1,9<br />
3,2<br />
1,1<br />
2,1<br />
Chance/<br />
Risiko 3<br />
6/4<br />
6/4<br />
5/3<br />
6/5<br />
5/3<br />
5/4<br />
6/4<br />
7/6<br />
6/5<br />
5/4<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 87<br />
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Geld&Börse<br />
Aufgeklärt und<br />
streitbar<br />
ANWÄLTE | Wer hilft Patienten, nach medizinischen Kunstfehlern<br />
recht zu bekommen? Und wem vertrauen Ärzte und Kliniken?<br />
Eigentlich wollte der<br />
48-jährige Westfale nur<br />
eine Routine-Vorsorgeuntersuchung<br />
machen<br />
lassen, eine Darmspiegelung,<br />
wie sie etwa alle<br />
zehn Jahre empfohlen<br />
wird. Doch die Routineuntersuchung<br />
ging<br />
schief, der Chirurg perforierte ihm versehentlich<br />
seinen Darm, letzten Endes wurde<br />
der Mann durch die Folgen der Untersuchung<br />
berufsunfähig. Der Fehler des Chirurgen<br />
löste eine ganze Kette von Katastrophen<br />
aus: Wenige Tage nach der Spiegelung<br />
musste der Patient als Notfall operiert<br />
werden. Daraufhin bekam er, was öfter bei<br />
dieser Konstellation passiert, eine Bauchfellentzündung.<br />
Der Horror ging weiter:<br />
mehrere Operationen, danach Monate auf<br />
der Intensivstation. Am Ende bekam der<br />
Mann einen künstlichen Darmausgang<br />
und wurde zum Frührentner – mit 100 Prozent<br />
Behindertenquote.<br />
Der Mann klagte gegen das Krankenhaus<br />
und gewann. Dass der Patient eine<br />
Einverständniserklärung auf einem Vordruck<br />
unterschrieben hatte, genügte dem<br />
Hochansteckend<br />
Krankenhauskeim<br />
ist inklusive<br />
Gericht nicht: Formulare und Merkblätter<br />
ersetzten kein Aufklärungsgespräch mit<br />
dem Arzt. Mangelhafte Aufklärung des Patienten<br />
ist ein häufig angesetzter Hebel für<br />
Schadensersatzklagen. Hätte der Patient<br />
einer Darmspiegelung zugestimmt, wenn<br />
er geahnt hätte, was passieren kann? Nein,<br />
urteilte das Oberlandesgericht Hamm und<br />
sprach dem Mann 220 000 Euro Schmerzensgeld<br />
zu (Aktenzeichen 26 U 85/12).<br />
WENIGER PERSONAL, MEHR FÄLLE<br />
Gemessen an den gravierenden Folgen des<br />
Fehl-Eingriffs, scheint die gezahlte Summe<br />
nicht sonderlich hoch. „Patienten sind<br />
meist bitter enttäuscht, wenn sie Ärzte<br />
oder Kliniken auf Schmerzensgeld verklagen“,<br />
sagt Medizinrechtler Martin Stellpflug,<br />
Partner bei Dierks + Bohle in Berlin.<br />
Zwar sind auch hierzulande die pro Einzelfall<br />
gezahlten Schmerzensgeldsummen in<br />
den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen,<br />
in der Zahnmedizin haben sie sich<br />
binnen 15 Jahren sogar verdoppelt. Doch<br />
von hohen Millionenzahlungen wie in den<br />
USA sind sie noch weit entfernt. „Betroffene<br />
orientieren sich leider oft an TV-Serien<br />
über Kliniken und Law Firms und nicht an<br />
der deutschen Rechtsprechung aus einschlägigen<br />
Tabellen wie der Beck’schen<br />
Schmerzensgeldtabelle oder der <strong>vom</strong><br />
ADAC“, sagt Bernd Schwarze, Medizinrechtler<br />
und Partner bei BLD Bach Langheid<br />
Dallmayr in Köln.<br />
Die andere große Kategorie der Streitfälle,<br />
bei denen Patienten vor Gericht gute<br />
Karten haben, sind Befunderhebungsfehler,<br />
vulgo: unterlassene Untersuchungen.<br />
So wurde ein Krankenhaus im westfälischen<br />
Dorsten verklagt, weil die Ärzte bei<br />
einer bewusstlosen Patientin nicht rechtzeitig<br />
einen Neurologen zur Beurteilung<br />
einer Computertomografie hinzuzogen.<br />
Deshalb sei ein massiver Hirnstamminfarkt<br />
unerkannt geblieben, infolgedessen<br />
die Patientin am Ende starb. 50 000 Euro<br />
Schmerzensgeld sollten ihre Kinder laut<br />
Urteil des Oberlandesgerichts Hamms bekommen<br />
(Aktenzeichen 3 U 122/12).<br />
Weil Patienten inzwischen aufgeklärter<br />
und streitbarer sind, bekommen spezialisierte<br />
Anwälte seit Jahren mehr Arbeit.<br />
Hinzu kommt: Zwischen <strong>19</strong>91 und 2012 ist<br />
die Zahl der Behandlungsfälle in deutschen<br />
Krankenhäusern um mehr als vier<br />
Millionen auf 18 Millionen Behandlungen<br />
im Jahr gestiegen, so die „Ärztezeitung“.<br />
Gleichzeitig aber ist die Zahl der Klinikmitarbeiter<br />
um rund 90 000 gesunken, auf zuletzt<br />
694 900. Mehr Behandlungen und weniger<br />
Mitarbeiter bedeuten mehr Zeitdruck<br />
und damit auch mehr Fehler.<br />
„Der Bereich wächst und ist für Anwälte<br />
auch wirtschaftlich interessant“, sagt<br />
Schwarze. Auseinandersetzungen zwischen<br />
Patienten und Kliniken oder Krankenkassen<br />
rechnen Anwälte nach der gesetzlichen<br />
Gebührenordnung ab. Nur in<br />
Ausnahmefällen werden Stundenhonorare<br />
zwischen 220 und 300 Euro fällig.<br />
Kliniken und Ärzte sichern Risiken in der<br />
Regel bei großen Versicherern ab. Wer es<br />
als Anwalt schafft, sich bei denen einen guten<br />
Namen zu machen, gewinnt Versicherer<br />
oft als dauerhafte Mandanten für viele<br />
Fälle. Große Player im Krankenhausgeschäft<br />
sind die Versicherer R+V, Allianz,<br />
Basler Securitas und Ergo. Bei den niedergelassenen<br />
Ärzten kommen noch Axa, HDI<br />
Gerling und Generali dazu.<br />
Anders als sonst bei den Rankings der<br />
WirtschaftsWoche-Top-Kanzleien sind die<br />
Medizinjuristen nicht in ganz Deutschland<br />
aktiv. Ihr Geschäft ist in der Regel regional<br />
begrenzt. Der simple Grund dafür: Die Versicherer<br />
wollen die Reisekosten der Anwälte<br />
niedrig halten und beauftragen entsprechend<br />
Juristen aus der Umgebung, sagt<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA/ROSE<br />
88 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Anwalt Stellpflug. Tatsächlich führen die<br />
Versicherer Listen mit Anwältenamen<br />
nach Gerichtsbezirken. Aber auch Patienten<br />
haben viel Kommunikationsbedarf<br />
und wollen ihren Anwalt regelmäßig vor<br />
sich sehen, berichtet Schwarze.<br />
Verfahren ziehen sich lange hin. „Bevor<br />
ein Gerichtsprozess losgeht, vergehen in 60<br />
Prozent der Fälle zwei Jahre mit dem Anfertigen<br />
von Gutachten und Gegengutachten“,<br />
sagt Anwalt Schwarze. Das Gerichtsverfahren<br />
dauert im Schnitt zwei bis vier<br />
Jahre. Geht der Fall in die Berufung, kommen<br />
noch mal eineinhalb Jahre dazu.<br />
KASSEN HOLEN GELD ZURÜCK<br />
Die Gemengelage bei Rechtsstreitigkeiten<br />
wegen Arzt- und Klinikpannen ist obendrein<br />
sehr kompliziert. Beteiligt sind zum<br />
einen die Patienten oder deren Erben, die<br />
Schadensersatz, Schmerzensgeld oder<br />
Renten fordern. Zum anderen klagen<br />
Krankenkassen die zusätzlichen Kosten<br />
ein, die ihnen für Patienten nach Behandlungsfehlern<br />
entstehen. Pflegekassen wiederum<br />
fordern die Pflegekosten ein, die<br />
durch Ärzte-Fehler verursacht werden.<br />
Die teuersten Fälle sind Schädigungen,<br />
die bei der Geburt oder im frühen Kindesalter<br />
verursacht werden. Hier können die<br />
in Versicherungsverträgen vereinbarten<br />
Deckungssummen bisweilen sogar nicht<br />
ausreichen, sodass Ärzte in Privatinsolvenz<br />
gehen müssen. In einem Fall wurden wegen<br />
eines Fehlers bei einer Geburt Erben<br />
eines Gynäkologen noch 20 Jahre später<br />
von einem Landkreis verklagt. Dieser forderte<br />
die Leistungen zurück, die er über die<br />
Jahre für einen seit Geburt behinderten Sozialhilfeempfänger<br />
aufgewendet hatte.<br />
Besonders oft verklagen Patienten Ärzte<br />
nach Hüft-, Knie-, Wirbelsäulen- und<br />
Schönheitsoperationen. Schädigungen<br />
durch Krankenhauskeime führen zu Klagen<br />
gegen Kliniken. Häufig drehen sich<br />
Prozesse auch um Fehler bei der Vorsorge,<br />
etwa „wenn Ärzte einen Tumor übersehen<br />
haben“, so die Berliner Anwältin Britta<br />
Konradt, die auch Medizinerin ist. „Das<br />
größte Problem ist immer die Kausalität“,<br />
sagt Konrad – der Patient muss nachweisen,<br />
dass sein Leiden durch den Fehler des<br />
Mediziners verursacht wurde und nicht<br />
ohnehin ähnlich schlimm verlaufen wäre.<br />
Sieht ein Versicherer ein Haftungsrisiko,<br />
enden 90 Prozent der Fälle mit einem Vergleich.<br />
Zu dem kommt es auch recht<br />
schnell, wenn eine Klinik Imageschäden<br />
durch Negativschlagzeilen befürchtet.<br />
claudia.toedtmann@wiwo.de<br />
Acht Top-Kanzleien für Ärzte<br />
Welchen Anwalt die Experten Ärzten<br />
und Kliniken empfehlen<br />
Kanzlei, Ort<br />
Dierks + Bohle,<br />
Berlin<br />
Preißler Ohlmann &<br />
Partner, Fürth<br />
Ratzel Rechtsanwälte,<br />
München<br />
Vogl Rechtsanwälte,<br />
Göppingen<br />
Weimer Bork,<br />
Bochum<br />
BLD Bach Langheid<br />
Dallmayr, Köln<br />
Rehborn Rechtsanwälte,<br />
Dortmund<br />
Anwalt<br />
Quelle: WiWo-Expertenpanel und Jury<br />
Christian Dierks,<br />
Dr. Martin H. Stellpflug<br />
Reinhold Preißler<br />
Rudolf Ratzel<br />
Werner Vogl<br />
Christoph Bork,<br />
Tobias Weimer<br />
Jens Muschner,<br />
Bernd Schwarze<br />
Prof. Martin Rehborn<br />
METHODIK UND JURY<br />
Wie die Anwälte ausgewählt wurden<br />
Die Auswahl der Top-Kanzleien zum Patientenrecht<br />
und Arzthaftungsrecht basiert<br />
auf umfangreichen Recherchen. Im<br />
ersten Schritt wurde in Datenbankrecherchen<br />
und Gesprächen mit Experten aus<br />
der Branche festgestellt, welche Kanzleien<br />
und Anwälte positiv genannt wurden<br />
und auf sich aufmerksam gemacht haben.<br />
Die ausgewählten 108 Kanzleien und<br />
111 Anwälte wurden in der zweiten Runde<br />
von sechs Experten bewertet. Anders als<br />
in anderen Rechtsgebieten beraten Medizinrechtskanzleien<br />
selten sowohl Patienten<br />
als auch Ärzte und Kliniken gleichzeitig.<br />
Das Ranking wurde deshalb gesplittet.<br />
LANGFRISTIG ERFOLGREICH<br />
Dazu wurden in einem nächsten Schritt<br />
sowohl für die Patientenseite als auch für<br />
die Seite der Ärzte und Kliniken je 30 Anwälte,<br />
die besonders empfohlen wurden,<br />
einer neutralen Jury zur Bewertung vorgelegt.<br />
Bei der Endwertung der Kanzleien<br />
und deren Anwälten in der Schlussrunde<br />
spielten als Kriterien nachweisbare Erfolge,<br />
langjährige Erfahrung und Spezialisierung<br />
eine Rolle. Die Kanzleien und ihre<br />
Anwälte, die dabei die höchsten Punktzahlen<br />
erreichten, stehen in der Tabelle.<br />
Da die Ergebnisse auf subjektiven Einschätzungen<br />
beruhen, kann und will die<br />
WirtschaftsWoche nicht ausschließen,<br />
dass hier nicht aufgeführte Anwälte ihre<br />
Mandanten ebenso angemessen beraten.<br />
Acht Top-Kanzleien für Patienten<br />
Welchen Rechtsanwalt die Experten<br />
medizingeschädigten Patienten für<br />
Klagen empfehlen würden<br />
Kanzlei, Ort<br />
Roland Uphoff, Bonn<br />
Makiol & Kollegen,<br />
Neuss<br />
Meinecke & Meinecke,<br />
Köln<br />
Bürgle Schäfer,<br />
Wiesbaden<br />
Britta Konradt, Berlin<br />
Frank Teipel, Berlin<br />
Matthias Teichner,<br />
Hamburg<br />
Anwalt<br />
Roland Uphoff<br />
Achim Makiol<br />
Dr. Boris Meinecke<br />
Quelle: WiWo-Expertenpanel und Jury<br />
Dr. Michaela Bürgle<br />
Dr. Britta Konradt<br />
Frank Teipel<br />
Matthias Teichner<br />
CHRISTINE ELKER<br />
ist Teamleiterin der Barmer<br />
GEK für Behandlungsfehler<br />
und Rechtsverfolgung<br />
HANSJÖRG GEIGER<br />
ist Professor und Vorstand<br />
der A.-Lang-Stiftung für<br />
Patientenrechte<br />
STEFFEN GREBNER<br />
ist Geschäftsführer der Kliniken<br />
Ernst von Bergmann in<br />
Potsdam und Bad Belzig<br />
SÖREN HENNIGES<br />
ist Abteilungsdirektor Leistung<br />
bei Deurag Deutsche<br />
Rechtsschutz-Versicherung.<br />
HELMUT PLOTE<br />
ist der Bereichsleiter Leistung<br />
bei der D.A.S Rechtsschutz.<br />
CORNELIA SÜFKE<br />
ist Rechtsanwältin für die<br />
Asklepios Kliniken und leitet<br />
den Bereich Versicherungen<br />
ROLAND TICHY<br />
ist Chefredakteur der<br />
WirtschaftsWoche<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 89<br />
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Geld&Börse | Steuern und Recht<br />
VERSORGUNGSWERKE<br />
Angestellte ohne Freischein<br />
Wann Freiberufler zurück in die gesetzliche Rentenversicherung müssen.<br />
Freiberufler, die Mitglied einer<br />
Kammer sind, können sich von<br />
der Pflicht, Beiträge in die gesetzliche<br />
Rentenversicherung<br />
zu zahlen, befreien lassen. Stattdessen<br />
zahlen sie in ein berufsständisches<br />
Versorgungswerk<br />
ein. Solche Versorgungswerke<br />
ähneln einer Pensionskasse, ersetzen<br />
für die Freiberufler aber<br />
die gesetzliche Rentenversicherung.<br />
Diese Versorgungswerke<br />
haben derzeit etwa 830 000 Mitglieder:<br />
Rechtsanwälte, Ärzte,<br />
Apotheker, Architekten, Ingenieure,<br />
Wirtschaftsprüfer und<br />
Psychotherapeuten.<br />
ES DROHT SIPPENHAFT<br />
Das Bundessozialgericht hat<br />
kürzlich entschieden, dass Anwälte,<br />
die für ein Unternehmen<br />
arbeiten, das keine Kanzlei ist,<br />
sich nicht mehr von der gesetzlichen<br />
Rente befreien können<br />
(B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R,<br />
B5 RE 3/14 R): Diese angestellten<br />
Anwälte seien rechtlich<br />
nicht als Rechtsanwälte tätig.<br />
Noch liegt die Urteilsbegründung<br />
nicht vor, aber es ist zu erwarten,<br />
dass das BSG-Urteil<br />
auch Auswirkungen auf andere<br />
Freiberufler, beispielsweise<br />
Ärzte, Apotheker oder Architekten,<br />
haben wird. „Das BSG<br />
macht die Befreiung von der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung<br />
nicht davon abhängig, ob jemand<br />
als Arzt oder Architekt<br />
zugelassen ist, sondern wie der<br />
Betroffene aktuell beschäftigt<br />
ist“, sagt Alexander Lorenz,<br />
Rechtsanwalt der Kanzlei Baker<br />
Tilly Roelfs in Frankfurt.<br />
Freiberufler, die nicht in dem<br />
beruflichen Umfeld arbeiten,<br />
das für eine Befreiung maßgeblich<br />
ist, müssen in die staatliche<br />
Rentenkasse einzahlen. „Bereits<br />
seit 2012 prüft die Rentenversicherung<br />
zunehmend bei<br />
angestellten Architekten“, sagt<br />
Ernst Uhing, Präsident der Architektenkammer<br />
Nordrhein-<br />
Westfalen.<br />
Folgende Gruppen könnten<br />
ihre Befreiung verlieren.<br />
n Rechtsanwälte: Etwa 30 000<br />
zugelassene Anwälte arbeiten<br />
als Angestellte außerhalb von<br />
Kanzleien in Industrieunternehmen,<br />
im öffentlichen Dienst<br />
oder bei Verbänden.<br />
n Ärzte: Von den etwa 350 000<br />
in Deutschland praktizierenden<br />
Ärzten arbeitet nur ein Drittel<br />
als selbstständige niedergelassene<br />
Ärzte. Die Hälfte arbeitet<br />
als angestellte Mediziner im<br />
Krankenhaus. Das größte Risiko,<br />
in die gesetzliche Rentenversicherung<br />
zu müssen, tragen<br />
die rund 30 000 Mediziner, die<br />
für Unternehmen, Behörden<br />
und Verbände arbeiten.<br />
n Apotheker: In dieser Berufsgruppe<br />
ist das Gros gut<br />
geschützt. Von den 59 290 Apothekern<br />
arbeiten 48 690 in<br />
öffentlich zugänglichen Apotheken.<br />
Weitere <strong>19</strong>66 in Krankenhausapotheken.<br />
Die restlichen<br />
8635, die für die Industrie und<br />
die öffentliche Hand arbeiten,<br />
müssen sich am ehesten Sorgen<br />
machen.<br />
n Architekten: Bei Architekten<br />
und Stadtplanern ist der Anteil<br />
derjenigen, die zurück in die gesetzliche<br />
Rentenversicherung<br />
müssten, besonders groß. Lediglich<br />
45 Prozent arbeiten freischaffend.<br />
Der Rest sind Angestellte<br />
oder Beamte außerhalb<br />
der Architekturbranche.<br />
FALLE JOBWECHSEL<br />
Wer bereits Mitglied eines Versorgungswerks<br />
ist, genießt zwar<br />
Bestandsschutz – aber nur so<br />
lange, wie er den Arbeitgeber<br />
oder den Arbeitsplatz nicht<br />
wechselt. Verändern sich Mitglieder<br />
der Versorgungswerke<br />
beruflich, müssen sie erneut einen<br />
Antrag auf Befreiung stellen,<br />
den die Rentenversicherung<br />
ablehnen kann.<br />
DOPPELBELASTUNG<br />
Wer bereits Mitglied eines Versorgungswerks<br />
ist, bleibt es<br />
auch, wenn er die Befreiung<br />
von der gesetzlichen Rente verliert.<br />
Allerdings bleibt weniger<br />
Geld für die betriebliche Altersvorsorge.<br />
Derzeit zahlen Arbeitnehmer<br />
in den alten Bundesländern<br />
maximal 562,28 Euro<br />
pro Monat aus eigener Tasche<br />
in die gesetzliche Rentenversicherung.<br />
Nur, wenn danach<br />
noch etwas übrig bleibt, könnten<br />
Freiberufler zusätzlich sparen.<br />
Der Mindestbeitrag etwa<br />
beim Versorgungswerk der<br />
Rechtsanwälte in NRW liegt bei<br />
112,46 Euro pro Monat.<br />
NACHZAHLUNGEN<br />
Das BSG-Urteil könnte auch für<br />
Arbeitgeber zu einem teuren Risiko<br />
werden. Stellt die Rentenkasse<br />
fest, dass das Arbeitsgebiet<br />
beispielsweise eines<br />
angestellten Architekten nicht<br />
mehr dem Berufsbild entspricht,<br />
das für die Befreiung<br />
maßgeblich war, muss ein neuer<br />
Antrag gestellt werden. Wird<br />
dieser Antrag abgelehnt, muss<br />
der Arbeitgeber bis zu vier Jahre<br />
rückwirkend die Beiträge zur<br />
staatlichen Rentenkasse nachzahlen.<br />
„Arbeitgeber können<br />
für Arbeitnehmer ein Status-<br />
Verfahren bei der Rentenversicherung<br />
beantragen“, sagt<br />
Anwalt Lorenz von Baker Tilly<br />
Roelfs. So könnten sie zwar<br />
nicht verhindern, dass Angestellte<br />
wieder in die staatliche<br />
Rentenkasse müssen, aber<br />
es fielen in den meisten Fällen<br />
keine Nachzahlungen an.<br />
martin.gerth@wiwo.de<br />
FOTOS: WESTEND61/MITO IMAGES, MAURITIUS IMAGES/ALAMY, PR<br />
90 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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ABGELTUNGSTEUER<br />
Langjährige Google-Aktionäre im Pech<br />
Trennt sich eine Aktiengesellschaft<br />
von einem Teil ihres Unternehmens<br />
und teilt Aktionären<br />
dafür neue Aktien zu, fiel<br />
früher vor allem bei ausländischen<br />
Unternehmen sofort<br />
Steuer an. Mit einem neuen Gesetz<br />
hat sich das geändert. Doch<br />
viele Kapitalmaßnahmen, wie<br />
jüngst ein Aktiensplit bei Google,<br />
können weiter zu steuerlichen<br />
Nachteilen führen.<br />
ABSPALTUNG<br />
Nach einer Mitte 2013 beschlossenen<br />
Gesetzesänderung sind<br />
zusätzliche Aktien nicht steuerpflichtig,<br />
wenn es sich rechtlich<br />
um eine Abspaltung handelt<br />
und diese seit 2013 erfolgt ist<br />
(Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz).<br />
Das Bundesfinanzministerium<br />
hat die Anwendung<br />
zu Jahresbeginn<br />
erneut konkretisiert (IV C 1 - S<br />
2252/09/100<strong>04</strong> :005).<br />
n Ausländische Unternehmen:<br />
Vor der Gesetzesänderung verlangte<br />
der Fiskus bei ausländischen<br />
Gesellschaften meist<br />
Steuer auf den kompletten<br />
Kurswert des Spin-offs, obwohl<br />
der Börsenwert des Mutterkonzerns<br />
zeitgleich sank, Aktionäre<br />
also keinen Nettovorteil hatten.<br />
2012 hatte sich zum Beispiel<br />
der US-Lebensmittelkonzern<br />
Kraft Foods in zwei Teile gespalten<br />
(Mondelez und Kraft Foods<br />
Group). Für den abgespaltenen<br />
Teil Kraft Foods Group wurde<br />
Abgeltungsteuer fällig, obwohl<br />
der Wert der Aktien in Summe<br />
nicht gestiegen war.<br />
n Deutsche Unternehmen:<br />
Unproblematisch waren dagegen<br />
schon früher Abspaltungen<br />
bei deutschen Konzernen.<br />
Beispiel: Siemens spaltete im<br />
vergangenen Jahr die Glühbirnen-Tochter<br />
Osram ab. Aktionäre<br />
erhielten für zehn<br />
Siemens-Aktien eine zusätzliche<br />
Osram-Aktie. Ein Teil des<br />
Anschaffungspreises der gehaltenen<br />
Siemens-Aktien wird auf<br />
die zusätzlichen Osram-Anteile<br />
übertragen. Hat der Anleger<br />
zehn Siemens-Aktien für insgesamt<br />
800 Euro angeschafft, erhält<br />
er zusätzlich eine Osram-<br />
Aktie. Die Anschaffungskosten<br />
der Siemens-Aktien sinken auf<br />
720 Euro, die Osram-Aktie ist 80<br />
Euro wert. Wurden die Siemens-<br />
Aktien vor 2009 gekauft, fällt bei<br />
einem späteren Verkauf beider<br />
Aktien auf Gewinne keine Steuer<br />
an. Sind die Siemens-Aktien<br />
erst seit 2009 im Depot greift die<br />
Abgeltungsteuer.<br />
AKTIENTEILUNG<br />
Anders sieht es aus, wenn es<br />
sich rechtlich nicht um eine Abspaltung<br />
handelt. Der Internet-<br />
Konzern Google hat seine Anteile<br />
Anfang April geteilt (Split).<br />
Jeder Aktionär erhielt zu den<br />
bereits gehaltenen Anteilen die<br />
gleiche Menge gratis hinzu, der<br />
Kurs halbierte sich. Bei den<br />
Gratisaktien handelt es sich um<br />
Papiere einer neuen, stimmlosen<br />
Anteilsklasse. Die Finanzverwaltung<br />
wertet die Zuteilung<br />
als Dividende und verlangt Abgeltungsteuer.<br />
Viele Aktionäre<br />
wittern böse Abzocke. Doch für<br />
alle Aktionäre, die seit Anfang<br />
2009 eingestiegen sind, entsteht<br />
kein Steuernachteil. Zwar müssen<br />
sie jetzt Abgeltungsteuer<br />
zahlen, ohne entsprechende<br />
Geldzuflüsse zu haben. Im Gegenzug<br />
sparen sie beim späteren<br />
Verkauf der alten Aktien<br />
aber genauso viel Steuer, wie sie<br />
jetzt zahlen müssen. „In diesem<br />
Fall kommt es nur zu einer zeitlichen<br />
Verlagerung“, sagt Daniel<br />
Sahm, Steuerberater bei Ecovis<br />
in München. Große Nachteile<br />
entstehen hingegen langjährigen<br />
Google-Aktionären, die vor<br />
2009 und damit vor Einführung<br />
der Abgeltungsteuer gekauft<br />
haben. Sie müssen nun Steuer<br />
auf einen Teil der aufgelaufenen<br />
Kursgewinne zahlen, obwohl<br />
diese sonst steuerfrei geblieben<br />
wären. Außerdem<br />
verlieren die Aktionäre für die<br />
Hälfte ihres Investments die<br />
Aussicht auf künftige steuerfreie<br />
Kursgewinne, da als Kaufdatum<br />
für die neuen Aktien das<br />
Datum des Splits gilt. Bei einem<br />
Investment von 50 000 Euro<br />
kann dies schnell zu über 10 000<br />
Euro Steuernachteil führen. Stehen<br />
bei anderen Unternehmen<br />
ähnliche Kapitalmaßnahmen<br />
an, sollten Altaktionäre ihre Aktien<br />
besser vorher verkaufen,<br />
um wenigstens aufgelaufene<br />
Kursgewinne steuerfrei zu halten.<br />
VERKAUF<br />
Vodafone hat seinen Anteil an<br />
der US-Tochter Verizon Wireless<br />
für 130 Milliarden Dollar an<br />
den US-Telekomkonzern Verizon<br />
verkauft. Die Vodafone-Aktionäre<br />
erhielten im Februar<br />
dieses Jahres Bardividende und<br />
Verizon-Aktien. Für beides verlangt<br />
das Finanzamt Abgeltungsteuer,<br />
da es sich nicht um einen<br />
Spin-off, sondern um den<br />
Verkauf eines Unternehmensteils<br />
handelt. Wie bei Google<br />
gilt: Für alle seit 2009 eingestiegenen<br />
Aktionäre verschiebt sich<br />
die Steuerlast nur – von später<br />
auf jetzt. Altaktionäre, die schon<br />
länger als seit 2009 dabei sind,<br />
haben hingegen erhebliche<br />
Steuernachteile.<br />
martin.gerth@wiwo.de, niklas hoyer<br />
ERB-EINKÜNFTE<br />
JOSEF K. ZEITLER<br />
ist Fachanwalt<br />
für<br />
Erbrecht in<br />
der Bayreuther<br />
Kanzlei<br />
Dr. Zeitler.<br />
n Herr Zeitler, oft hat eine<br />
Erbengemeinschaft nur geringe<br />
Miet- oder Zinseinnahmen.<br />
Wie lässt sich das<br />
steuerlich einfach regeln?<br />
Wird ein Nachlass zum gemeinschaftlichen<br />
Vermögen,<br />
liegen dem Finanzamt üblicherweise<br />
die Erbanteile und<br />
Steuernummern aller Miterben<br />
vor. Es kann dann problemlos<br />
die Einkünfte jedes Einzelnen<br />
aus Immobilien, Grundstücken<br />
oder Kapitalvermögen ermitteln.<br />
Sobald es ein sogenannter<br />
Fall von geringer Bedeutung<br />
ist, wird es steuerlich einfach.<br />
n Ist die „geringe Bedeutung“<br />
abhängig von der Höhe<br />
der Einkünfte?<br />
Nein. Der Begriff bezieht sich<br />
nur darauf, dass sich die Erbquoten<br />
und Mieten, Pacht und<br />
Kapitaleinkünfte problemlos<br />
ermitteln lassen. Das Nachlass-Finanzamt<br />
schickt den<br />
Miterben dann keine Steuerbescheide,<br />
sondern gibt nur<br />
die Höhe der Einkünfte jährlich<br />
an ihre Finanzämter weiter.<br />
Sie übernehmen das in die<br />
Einkommensteuerbescheide.<br />
Das geht so lange, wie die<br />
Erbengemeinschaft besteht.<br />
n Ist es noch einfacher,<br />
wenn Erben alles aufteilen?<br />
Ja. Vereinbaren sie innerhalb<br />
von sechs Monaten nach dem<br />
Erbfall, wer welche Vermögenswerte<br />
bekommt, können<br />
die Einkünfte rückwirkend einem<br />
oder mehreren Erben zugerechnet<br />
werden. Am besten<br />
wäre es allerdings, wenn der<br />
Erblasser zu Lebzeiten ein<br />
Testament macht und die Erbengemeinschaft<br />
verhindert,<br />
in der es häufig Streit gibt.<br />
heike.schwerdtfeger@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 91<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse | Geldwoche<br />
KOMMENTAR | Dem Druck von<br />
Kunden und EU halten Lebensversicherer<br />
nur mit mehr Transparenz<br />
stand. Von Heike Schwerdtfeger<br />
Rückrufaktion<br />
Schaulaufen<br />
Kanzlerin Merkel<br />
auf Stippvisite<br />
in Athen<br />
Bescheiden haben<br />
viele heutige Versicherungsriesen<br />
einst<br />
angefangen – als<br />
Sterbekassen. Witwen und<br />
Waisen waren froh über jeden<br />
Groschen, der ihnen beim Tod<br />
des Ernährers blieb. Heute stehen<br />
den geschickt in Lebensversicherung<br />
umtitulierten Kassen<br />
keine hilflosen, sondern<br />
streitbare Kunden gegenüber,<br />
die die Auszahlung immer öfter<br />
erleben. Zum Glück.<br />
Doch ausgerechnet langjährigen<br />
Kunden, die dem Ziel ihrer<br />
Sparbemühungen sehr nahe<br />
kommen, will die Versicherungsbranche<br />
etwas wegnehmen: Sie<br />
versucht, sich beim Gesetzgeber<br />
mit der Forderung durchzusetzen,<br />
Kunden den Anteil an bestimmten<br />
Überschüssen zu kürzen,<br />
Bewertungsreserven<br />
genannt. Dabei geht es je nach<br />
Vertragsumfang um einige Hundert<br />
bis einige Tausend Euro.<br />
Der Eingriff zerstört das Vertrauen<br />
der Versicherten, denn sie<br />
könnten auch nicht einfach folgenlos<br />
ihre Prämie reduzieren.<br />
Jahrzehnte wurde ihnen vorgegaukelt,<br />
sie müssten nichts<br />
<strong>vom</strong> Kapitalmarkt verstehen.<br />
Doch genau das wird jetzt von<br />
ihnen verlangt, wenn es in der<br />
Diskussion um die Unterschiede<br />
zwischen Buchwerten und Zeitwerten<br />
bei Anleihen geht, die als<br />
Reserve ausgeschüttet werden.<br />
Statt mit offenen Karten zu spielen<br />
und Kunden ordentlich über<br />
die angehäuften Reserven und<br />
Anteile aus anderen Überschusstöpfen<br />
aufzuklären, werden<br />
sie wie Bittsteller mit unvollständigen<br />
Zahlen abgefertigt.<br />
Dass für Versicherte Manna <strong>vom</strong><br />
Himmel fällt, egal, was an den<br />
Märkten passiert, glaubt künftig<br />
niemand mehr.<br />
Die Reservediskussion ist wie<br />
die Rückrufaktion eines Autoherstellers<br />
– ein Eingeständnis,<br />
dass Fehler gemacht wurden.<br />
Beim Kunden bleibt hängen,<br />
dass ihm in die Tasche gegriffen<br />
wird, wenn etwas schiefläuft. Die<br />
Geldanlage ist seit jeher ein<br />
Kerngeschäft der Versicherer,<br />
und da ist es üblich, dass Reserven<br />
angezapft werden müssen.<br />
Wer sich damit verschätzt, sollte<br />
<strong>vom</strong> Markt verschwinden. Und<br />
bevor jetzt zwischen Überschüssen,<br />
Schlussgewinnen und Reserven<br />
umverteilt wird, sollten<br />
die Versicherer den Mumm haben,<br />
den Garantiezins für Neukunden<br />
<strong>vom</strong> Gesetzgeber weiter<br />
senken zu lassen – wenn nötig,<br />
auf null. Eine Änderung bei<br />
den Reserven allein macht ihre<br />
Zukunft nicht rosiger.<br />
KEIN VERSTECK MEHR<br />
Denn auch in Brüssel bei der EU<br />
dringt die Versicherungslobby<br />
nicht mehr mit Extrawünschen<br />
durch. In spätestens drei Jahren<br />
bekommen auch Lebensversicherungskunden<br />
die Basisinformationsblätter<br />
für verpackte Anlageprodukte<br />
ausgehändigt, so<br />
hat es das EU-Parlament beschlossen.<br />
Damit werden erstmals<br />
Kosten, Renditechancen<br />
und Risiken mit denen von<br />
Fonds und Zertifikaten vergleichbar.<br />
Ein Riesenfortschritt!<br />
Deshalb ist es gut, dass alle Versuche,<br />
die Lebensversicherer<br />
von der Transparenz zu entbinden,<br />
in Brüssel bislang ins Leere<br />
gelaufen sind. Behauptet ein Anbieter<br />
künftig, er sei günstig,<br />
können Anleger die Fakten überprüfen.<br />
Bis dahin hält sich das<br />
Gerücht, dass die Unternehmen<br />
mit den Lebenspolicen mehr<br />
verdienen als mit Fonds – und<br />
deshalb so an ihnen hängen.<br />
TREND DER WOCHE<br />
Nächster Akt einer Farce<br />
Die Rückkehr Griechenlands an den Kapitalmarkt ist<br />
der vorläufige Gipfel einer surrealen Entwicklung.<br />
Am Freitag vorvergangener Woche<br />
reiste Bundeskanzlerin Angela<br />
Merkel für sechs Stunden<br />
nach Athen und hat, wie üblich,<br />
die Griechen für ihre angeblichen<br />
Fortschritte bei der Krisenbewältigung<br />
gelobt. Dabei<br />
ist die Rettung Griechenlands<br />
schon lange eine Farce. Die<br />
durchschnittliche Laufzeit der<br />
Kredite aus dem Euro-Rettungsfonds<br />
beträgt 30 Jahre, der<br />
Zins liegt im Schnitt bei 1,5 Prozent.<br />
Zinsen zahlt Athen wegen<br />
eines zehnjährigen Zinsmoratoriums<br />
aber keine, getilgt wird<br />
erst in den 2<strong>04</strong>0er-Jahren. Konditionen<br />
für einen Pleitestaat,<br />
der nicht pleitegehen darf.<br />
Der Gipfel der surrealen Entwicklung<br />
ist jetzt die Rückkehr<br />
des Landes an den Kapitalmarkt.<br />
Platziert wurde eine<br />
fünfjährige Staatsanleihe über<br />
drei Milliarden Euro mit<br />
4,75 Prozent Kupon (ISIN<br />
GR0114028534). Es gingen<br />
Kaufaufträge über 20 Milliarden<br />
Euro ein. Natürlich wissen die<br />
Käufer – ein Drittel ging an<br />
meist angelsächsische Hedgefonds<br />
–, dass Griechenland mit<br />
Schulden in Höhe von 177 Prozent<br />
der Wirtschaftsleistung<br />
weder 4,75 Prozent Zinsen zahlen<br />
noch die Schulden tilgen<br />
kann. Aber irgendwer wird<br />
schon zahlen, so ihre Logik. Die<br />
Anleihe wurde nach britischem<br />
Recht begeben, was einen erzwungenen<br />
Forderungsverzicht<br />
gegen den Willen der Gläubiger<br />
ausschließt. Wer also zahlt letztlich<br />
4,75 Prozent Zins und rettet<br />
die Hedgefonds? Richtig, der<br />
europäische Steuerzahler.<br />
Trends der Woche<br />
Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />
Stand: 15.4.<strong>2014</strong> / 18.02 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />
Dax 30 9173,71 –3,3 +18,9<br />
MDax 15661,85 –3,6 +18,8<br />
Euro Stoxx 50 3091,52 –2,7 +17,8<br />
S&P 500 1820,30 –1,7 +17,3<br />
Euro in Dollar 1,3803 +0,2 +5,5<br />
Bund-Rendite (10 Jahre) 1 1,51 –0,05 2 +0,27 2<br />
US-Rendite (10 Jahre) 1 2,65 –0,06 2 +0,94 2<br />
Rohöl (Brent) 3 108,76 +2,3 +9,8<br />
Gold 4 1298,00 –0,9 –7,0<br />
Kupfer 5 6630,00 –0,3 –6,9<br />
1<br />
in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />
umgerechnet 939,42 Euro; 5 in Dollar pro Tonne; Quelle: vwd group<br />
FOTOS: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, ACTION PRESS, BLOOMBERG/ARDIAN<br />
92 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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DAX-AKTIEN<br />
Abgeschossen<br />
Die Fokusmärkte von Adidas – vor allem Russland<br />
und China – stehen im Fokus der Finanzmärkte.<br />
HITLISTE<br />
Neben Nordamerika gehören<br />
China und die Gemeinschaft<br />
Unabhängiger Staaten (GUS)<br />
mit Russland zu den Fokusmärkten<br />
von Adidas. Knapp<br />
die Hälfte des bis 2015 angestrebten<br />
Umsatzwachstums<br />
von 2,5 Milliarden Euro auf<br />
dann 17 Milliarden Euro soll<br />
aus diesen drei Regionen<br />
kommen. Vielleicht müssen<br />
die Franken ihre „Route 2015“<br />
noch einmal überarbeiten.<br />
Rund ein Fünftel des Umsatzes<br />
machte Adidas zuletzt<br />
in Russland und China. In<br />
beiden Ländern ist die Arbeitslosigkeit<br />
nach offiziellen Daten<br />
mit 5,6 Prozent (Russland) und<br />
4,1 Prozent (China) gering, die<br />
Konsumenten kaufen dank steigender<br />
Löhne, die Marke Adidas<br />
ist angesagt. Nur kann die<br />
Stimmung rasch kippen, wenn<br />
etwa Russland Rohstoffeinnahmen<br />
wegbrechen und in China<br />
erste Unternehmen schließen.<br />
Denn gerade wegen der höheren<br />
Löhne und dem festen Renminbi<br />
hat sich China in vielen<br />
Branchen preislich aus dem<br />
Markt geschossen.<br />
Bullenritt<br />
Börse Jakarta legte<br />
<strong>2014</strong> gut 20 Prozent zu<br />
WELTBÖRSEN<br />
Rückkehr auf Zeit<br />
Die Börsen der sogenannten „Fragile Five“ haben<br />
sich zuletzt überraschend kräftig erholt.<br />
Dax<br />
Kurs Kursent- Gewinn KGV Börsen- Dividen-<br />
(€) wicklung pro Aktie (€) wert den-<br />
1 Woche 1 Jahr 2013 <strong>2014</strong> <strong>2014</strong><br />
(Mio. €) rendite<br />
(%) 1<br />
Dax 9173,71 –3,3 +18,9<br />
Aktie<br />
Stand: 15.4.<strong>2014</strong> / 18.01 Uhr<br />
Adidas 77,33 –0,6 –0,7 4,51 4,38 18 16179 1,75<br />
Allianz 117,20 –3,7 +9,4 12,65 13,59 9 53437 3,84<br />
BASF NA 76,98 –2,9 +12,2 5,88 5,91 13 70705 3,38<br />
Bayer NA 91,51 –4,4 +12,2 5,66 6,11 15 75674 2,08<br />
Beiersdorf 70,15 +1,5 +1,5 2,38 2,56 27 17678 1,00<br />
BMW St 88,<strong>19</strong> –3,5 +32,7 7,77 8,65 10 56639 2,83<br />
Commerzbank 12,50 –9,2 +45,1 0,50 0,72 17 14231 -<br />
Continental 161,10 –5,5 +85,7 10,02 12,57 13 32221 1,40<br />
Daimler 63,99 –8,5 +62,3 4,56 5,90 11 68433 3,52<br />
Deutsche Bank 31,16 –3,5 0 4,08 3,52 9 31759 2,41<br />
Deutsche Börse 52,08 –6,5 +11,5 3,79 3,87 13 10051 4,42<br />
Deutsche Post 25,81 –4,5 +46,5 1,45 1,70 15 31<strong>19</strong>9 2,71<br />
Deutsche Telekom 11,05 –3,1 +26,2 0,69 0,64 17 49185 6,33<br />
E.ON 13,49 –3,2 –6,7 1,29 0,95 14 26993 8,15<br />
Fresenius Med.C. St 48,51 –4,6 –11,6 3,75 3,63 13 149<strong>19</strong> 1,55<br />
Fresenius SE&Co 105,45 –4,7 +6,8 5,82 6,38 17 23798 0,90<br />
Heidelberg Cement St 62,<strong>04</strong> –2,3 +16,7 3,56 3,97 16 11633 0,76<br />
Henkel Vz 76,32 –0,2 +4,6 4,03 4,30 18 3<strong>19</strong>42 1,60<br />
Infineon 7,93 –6,0 +39,0 0,26 0,40 20 8567 1,51<br />
K+S NA 23,07 –1,0 –31,8 2,92 1,29 18 4415 6,07<br />
Lanxess 53,15 –2,9 +1,4 3,31 2,59 21 4422 1,88<br />
Linde 141,95 –2,0 –0,8 8,48 8,37 17 26353 1,90<br />
Lufthansa 18,06 –7,3 +27,1 1,25 1,88 10 83<strong>04</strong> -<br />
Merck 113,10 –4,2 –5,1 8,57 9,17 12 7309 1,50<br />
Münchener Rückv. 159,10 ±0 +4,4 16,94 17,05 9 28533 4,40<br />
RWE St 28,44 –0,7 –5,7 3,91 2,38 12 17225 3,52<br />
SAP 57,50 –1,2 –2,4 3,37 3,45 17 70639 1,91<br />
Siemens 94,89 –3,2 +23,4 4,80 6,74 14 83598 3,16<br />
ThyssenKrupp <strong>19</strong>,28 –3,4 +41,3 -0,55 0,50 39 9917 -<br />
Volkswagen Vz. 189,25 –0,3 +30,7 21,42 21,84 9 86925 1,88<br />
1<br />
berechnet mit der zuletzt gezahlten Dividende<br />
Brasilien, Indien, Indonesien,<br />
Südafrika und die Türkei sind<br />
wegen hoher Leistungsbilanzdefizite<br />
besonders auf Kapitalzuflüsse<br />
aus dem Ausland<br />
angewiesen. Deshalb werden<br />
diese Länder auch als „Fragile<br />
Five“ bezeichnet. Die im Mai<br />
2013 einsetzende Diskussion<br />
um die Rückführung der Anleihekäufe<br />
durch die US-Notenbank<br />
Fed brachte ihre Währungen<br />
und Aktienmärkte stark<br />
unter Druck. Seit einigen Monaten<br />
traut sich Kapital aber<br />
vorerst zurück in diese Länder.<br />
Wie sich die Weltbörsen seit Jahresanfang in der Landeswährung<br />
und in Euro entwickelt haben 1<br />
Börse<br />
Jakarta<br />
Mailand<br />
Manila<br />
Lissabon<br />
Mumbai<br />
Kopenhagen<br />
Istanbul<br />
Bangkok<br />
Dublin<br />
São Paulo<br />
Sydney<br />
Brüssel<br />
Athen<br />
Bogota<br />
Johannesburg<br />
Zürich<br />
Singapur<br />
Madrid<br />
Paris<br />
Taipeh<br />
Toronto<br />
in Landeswährung<br />
+13,8<br />
+10,9<br />
+11,9<br />
+10,6<br />
+6,9<br />
+8,2<br />
+7,4<br />
+7,0<br />
+7,1<br />
+0,7<br />
+0,1<br />
+4,1<br />
+4,0<br />
+4,4<br />
+4,0<br />
+1,0<br />
+1,5<br />
+1,5<br />
+1,2<br />
+2,9<br />
+4,7<br />
(Prozent)<br />
in Euro<br />
+20,4<br />
+10,9<br />
+10,6<br />
+10,6<br />
+8,9<br />
+8,1<br />
+7,7<br />
+7,7<br />
+7,1<br />
+6,7<br />
+5,0<br />
+4,1<br />
+4,0<br />
+3,3<br />
+3,1<br />
+1,9<br />
+1,7<br />
+1,5<br />
+1,2<br />
+0,9<br />
+0,7<br />
Börse<br />
Warschau<br />
Seoul<br />
Prag<br />
Oslo<br />
Kuala Lumpur<br />
Santiago<br />
Hongkong<br />
New York<br />
Stockholm<br />
Amsterdam<br />
Helsinki<br />
Shanghai<br />
London<br />
Buenos Aires<br />
Frankfurt<br />
Wien<br />
Mexiko-Stadt<br />
Budapest<br />
Caracas<br />
Tokio<br />
Moskau<br />
in Landeswährung<br />
+0,8<br />
–0,7<br />
+0,2<br />
–1,6<br />
–0,8<br />
+3,9<br />
–1,2<br />
–1,8<br />
+0,3<br />
–2,3<br />
–2,3<br />
+0,7<br />
–3,1<br />
+20,0<br />
–3,1<br />
–3,6<br />
–5,5<br />
–4,6<br />
–8,5<br />
–14,6<br />
–10,7<br />
(Prozent)<br />
1 gemessen am jeweiligen Hauptindex, Quelle: Bloomberg; Stand: 14. April <strong>2014</strong><br />
in Euro<br />
0,0<br />
–0,3<br />
–0,3<br />
–0,5<br />
–0,5<br />
–1,5<br />
–1,8<br />
–2,0<br />
–2,2<br />
–2,3<br />
–2,3<br />
–2,5<br />
–2,8<br />
–2,8<br />
–3,1<br />
–3,6<br />
–6,3<br />
–7,8<br />
–9,0<br />
–12,2<br />
–18,6<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 93<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
AKTIE Coca-Cola<br />
Das Brause-Imperium<br />
schlägt zurück<br />
ANLEIHE Singulus<br />
Lange<br />
notiert<br />
Hält dicht Coca-Cola legt in<br />
den Schwellenländern zu<br />
Mit zwei Prozent weniger<br />
Umsatz und fünf Prozent weniger<br />
Reingewinn war das<br />
Jahr 2013 für Coca-Cola enttäuschend.<br />
Anders als der<br />
Dow Jones haben Coke-Aktien<br />
seit einem Jahr an Wert<br />
verloren. Doch das Brause-<br />
Imperium kommt wieder. Im<br />
ersten Quartal verringerten<br />
sich die Erlöse zwar noch einmal<br />
um vier auf 10,58 Milliarden<br />
Dollar und der Nettogewinn<br />
schrumpfte um gut<br />
sieben Prozent auf 1,62 Milliarden<br />
Dollar. Doch das Absatzvolumen<br />
zog weltweit<br />
wieder an um zwei Prozent.<br />
In den Industrieländern ist<br />
Coke bei Softdrinks die Nummer<br />
eins, etwa in den USA mit<br />
42 Prozent Marktanteil. In den<br />
Schwellenländern legt Coca-<br />
Cola zu. Dazu kommen Neuerungen.<br />
Für 1,25 Milliarden<br />
Dollar ist Coke beim Kaffeeröster<br />
Keurig Green Mountain<br />
eingestiegen. Damit hat Cola<br />
den Zugang zum hochrentablen<br />
Kapsel-Kaffeemarkt; außerdem<br />
sind portionierte<br />
Kaltgetränke geplant. Mit der<br />
Beteiligung am kalifornischen<br />
Start-up Zico mischt Cola<br />
beim Trend Kokoswasser mit.<br />
Nach dem Rückschlag im<br />
vergangenen Jahr könnte Coca-Cola<br />
<strong>2014</strong> wieder etwas zulegen.<br />
Der Umsatz dürfte den<br />
bisherigen 2012er-Rekordwert<br />
von 48 Milliarden Dollar<br />
übertreffen. Dank eingeleiteter<br />
Sparmaßnahmen (bis 2016<br />
sollen jährlich eine Milliarde<br />
Dollar Kosten wegfallen) dürften<br />
rund neun Milliarden Dollar<br />
Reingewinn bleiben.<br />
Die hohen Mittelzuflüsse aus<br />
dem laufenden Geschäft geben<br />
Spielraum für Aktienrückkäufe.<br />
Deren Volumen könnte <strong>2014</strong> bis<br />
zu drei Milliarden Dollar erreichen.<br />
Das würde auch negative<br />
Effekte eines geplanten und von<br />
Aktionären kritisierten Mitarbeitervergütungsprogramms<br />
abmildern, mit dem Coca-Cola<br />
im großen Stil Aktien an Mitarbeiter<br />
ausgeben will („<strong>2014</strong><br />
Equity Plan“).<br />
Als Dividende gibt es für 2013<br />
insgesamt 1,12 Dollar je Anteil;<br />
für <strong>2014</strong> sind als 1,22 Dollar<br />
möglich. Das wären mehr als<br />
drei Prozent Rendite.<br />
Und die Ausschüttung dürfte<br />
fast so sicher sein wie bei einer<br />
guten Anleihe: Seit 52 Jahren<br />
hat Coca-Cola nicht nur immer<br />
Dividende gezahlt, sondern sie<br />
in jeder Saison auch angehoben.<br />
Kein Wunder, dass strategische<br />
Langfristinvestoren an<br />
Bord sind: Warren Buffett, dessen<br />
Berkshire Hathaway etwa<br />
neun Prozent an Coca-Cola in<br />
der Hand hat.<br />
Coca-Cola<br />
ISIN: US<strong>19</strong>12161007<br />
44<br />
42<br />
40<br />
38<br />
36<br />
50-Tage-Linie<br />
34<br />
200-Tage-Linie<br />
32<br />
2012 2013 14<br />
Kurs/Stoppkurs (in Dollar): 38,80/32,90<br />
KGV 2013/<strong>2014</strong>: <strong>19</strong>,9/18,6<br />
Dividendenrendite(in Prozent):3,1<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Hoch<br />
Quelle:FactSet<br />
Anleiheinvestoren haben die<br />
Qual der Wahl: Sie können<br />
Anleihen kaufen, die die Europäische<br />
Zentralbank, solange<br />
es geht, aufkauft, das heißt<br />
mit den Steuergeldern der<br />
Euro-Staaten stützen will. Also<br />
etwa solche aus Spanien,<br />
Italien und, ja, seit Neuestem<br />
auch aus Griechenland. Wer<br />
jedoch glaubt, dass eine solche<br />
Planwirtschaft irgendwann<br />
vor die Wand fahren<br />
wird, der schaut sich lieber<br />
am noch real existierenden<br />
Kapitalmarkt um.<br />
Zu den Papieren dort, für<br />
die mit Sicherheit kein müder<br />
Cent Rettungsgeld fließen<br />
würde, gehört eine Anleihe<br />
von Singulus Technologies.<br />
Dabei ist nicht ausgeschlossen,<br />
dass auch die Hessen<br />
einmal Stützungsgelder brauchen<br />
werden. Denn das Papier<br />
gehört zur Klasse der riskanten<br />
Hochzinsbonds.<br />
Singulus entwickelt, produziert<br />
und vertreibt weltweit<br />
Maschinen und Anlagen zur<br />
Herstellung von optischen<br />
Speichermedien (Blu-ray,<br />
DVD), Solarzellen und Halbleitern.<br />
Obwohl auch ein klassischer<br />
Mittelständler, sollten<br />
Anleger das Unternehmen<br />
nicht in einen Topf werfen mit<br />
all den Zameks, Renas oder<br />
Solaranbietern, deren Papiere<br />
im neuen Markt für Mittelstandspapiere<br />
gerade geplatzt<br />
sind. Denn Singulus hat eine<br />
schon recht lange Börsenhistorie:<br />
Die Aktie ist seit Ende<br />
<strong>19</strong>97 an der Börse notiert.<br />
2013 wuchsen die Umsätze<br />
deutlich von 107,5 auf 133,4<br />
Millionen Euro, unterm Strich<br />
schrieben die Hessen mit einem<br />
Nettoverlust von 0,7 Millionen<br />
Euro leicht rote Zahlen,<br />
nach tiefroten im Vorjahr.<br />
Die Bilanz hat sich denn auch<br />
Läuft rund Singulus schaffte es<br />
von tiefroten in leicht rote Zahlen<br />
verbessert. Den bilanzierten<br />
Anleiheschulden über 56,3 Millionen<br />
Euro stehen 51 Millionen<br />
Euro liquide Mittel gegenüber.<br />
Bankverbindlichkeiten gib es<br />
keine. Die Eigenkapitalquote<br />
liegt bei guten 38 Prozent.<br />
Für das Jahr <strong>2014</strong> erwartet<br />
Singulus „wieder eine gute Entwicklung<br />
des Geschäftsverlaufes<br />
mit einem positiven Ergebnis<br />
auf operativer Basis“, wie es<br />
heißt. Mit operativ ist dabei das<br />
Ergebnis vor Steuern und Zinsen<br />
(Ebit) gemeint.<br />
Risikobewusste Anleger erhalten<br />
für das Papier derzeit sieben<br />
Prozent jährliche Zitterprämie.<br />
Das ist viel, angesichts<br />
eines gar nicht mal so üblen<br />
Zahlenwerkes. Zweimal schon<br />
sind die 7,75 Prozent Zinskupon<br />
seit der Vorstellung der Anleihe<br />
zur Emission geflossen (WirtschaftsWoche<br />
13/2012).<br />
Wie viele Papiere hat die Anleihe<br />
Klauseln. Im kommenden<br />
Jahr kann sie zu einem Kurs von<br />
102 Prozent und 2016 zu 101<br />
Prozent gekündigt und zurückgezahlt<br />
werden. Eine vorzeitige<br />
Kündigung hält das Unternehmen<br />
selbst „aus derzeitiger<br />
Sicht allerdings für sehr unwahrscheinlich“.<br />
Kurs (%) 101,45<br />
Kupon (%) 7,75<br />
Rendite (%) 7,<strong>19</strong><br />
Laufzeit bis 23. März 2017<br />
Währung<br />
Euro<br />
ISIN<br />
DE000A1MASJ4<br />
FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/PHOTOSHOT, PR<br />
94 Redaktion: Geldwoche+Zertifikate: Frank Doll, Anton Riedl<br />
Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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CHARTSIGNAL<br />
Achtung, explosiv!<br />
Palladium ist das Edelmetall mit dem höchsten<br />
Preissteigerungspotenzial.<br />
Gut 40 Prozent der Weltproduktion<br />
von Palladium<br />
stammt aus Russland. Das im<br />
Katalysatorenbau eingesetzte<br />
Edelmetall gehört zu den wenigen<br />
Rohstoffen, deren Preise<br />
im Zuge der Ukraine-Krise<br />
zulegen konnten. Der Preisanstieg<br />
über 750 Dollar pro<br />
Unze und der Durchbruch<br />
der Trendlinie T1 gaben ein<br />
mittel- bis langfristiges Kaufsignal<br />
(1). Damit endete die<br />
Anfang 2011 einsetzende<br />
Konsolidierung. Deren Verlauf<br />
gibt einen Hinweis auf die<br />
interne Stärke des Marktes.<br />
Nach dem Preisanstieg von<br />
unter 200 auf über 800 Dollar<br />
(Strecke A–B) wäre eine große<br />
Preiskorrektur zu erwarten<br />
gewesen. Langen Aufwärtstrends<br />
folgen oft ausgedehnte<br />
Korrekturen, in deren Verlauf<br />
nicht selten 50 Prozent des vorherigen<br />
Preisanstieges aufgezehrt<br />
werden. Nicht so bei Palladium.<br />
Der Preis testete<br />
lediglich die Unterstützung von<br />
2008 und 2010 (2, 3). Im Wesentlichen<br />
erfolgte die Konsolidierung<br />
des vorherigen Preisanstiegs<br />
über die Zeitschiene.<br />
Das zeichnet einen starken<br />
Markt aus. Charttechnikern signalisiert<br />
die auffallend flach<br />
verlaufende Abwärtstrendlinie<br />
T1 einen Markt mit latentem<br />
Drang nach oben. Allerdings ist<br />
der Palladiumpreis weit in ein<br />
als Konsolidierungsformation<br />
geltendes symmetrisches Drei-<br />
1000 Dollar im Blick<br />
Der Palladiumpreis könnte in den kommenden Monaten spürbar zulegen<br />
1000<br />
800<br />
600<br />
400<br />
300<br />
200<br />
Quelle: FactSet<br />
Palladium<br />
(in Dollar pro Unze)<br />
Unterstützung<br />
B<br />
A<br />
2008 2009 2010 2011 2012 2013 14<br />
eck hineingelaufen. Ein Markt<br />
mit mehr Dynamik wäre schon<br />
Mitte 2013 nach dem erfolgreichen<br />
Test der Trendlinie T2<br />
über T1 ausgebrochen. Doch<br />
bis zum endgültigen Ausbruch<br />
scheiterten seit Anfang 2013<br />
fünf Anläufe an T1. Entsprechend<br />
bedeutend aber ist der<br />
T2<br />
2<br />
T1<br />
Potenzieller Aufwärtstrendkanal<br />
1<br />
3<br />
Symmetrisches<br />
Dreieck<br />
50-Tage-Linie<br />
200-Tage-Linie<br />
Ausbruch jetzt. Die Kursziele<br />
reichen bis auf 1200 Dollar. An<br />
dieser Marke verläuft aktuell die<br />
Parallele zu T2 und damit die<br />
Begrenzung eines potenziellen<br />
Aufwärtstrendkanals. Sollte der<br />
Preis unter T2 fallen, müsste die<br />
positive Einschätzung zum Palladiumpreis<br />
überdacht werden.<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
IMMOBILIENFONDS<br />
Der Fiskus verdient an<br />
der Zerschlagung<br />
An der Kreuzung Büroturm<br />
des SEB-Fonds ist jetzt Hotel<br />
Die Lust auf Immobilienfonds<br />
lässt nach: Wurden im Januar<br />
2013 noch eine Milliarde Euro<br />
netto in die Fonds investiert,<br />
war es im Januar <strong>2014</strong> nur die<br />
Hälfte. Und im Februar sanken<br />
die Zuflüsse gegenüber dem<br />
Vorjahresmonat um 400 Millionen<br />
Euro auf nur noch 100<br />
Millionen. Turnusmäßig<br />
schütten Milliardenfonds wie<br />
DekaImmobilien Europa oder<br />
Grundbesitz Europa von der<br />
Deutschen Bank im Januar Erträge<br />
an Anleger aus. Und üblicherweise<br />
wird das Geld wieder<br />
in die Fonds investiert. Aber offenbar<br />
lassen die seit Juli verschärften<br />
Rückgabefristen Anleger<br />
zögern: Wer jetzt offene<br />
Immobilienfonds über die<br />
Fondsgesellschaft kauft oder die<br />
Erträge in den Fonds zurück investiert,<br />
muss die Anteile mindestens<br />
24 Monate halten. Er<br />
kommt erst an sein Geld, wenn<br />
er zwölf Monate vorher kündigt.<br />
Die Kündigung kann der Anleger<br />
zwar schon innerhalb der ersten<br />
24 Monate aussprechen, aber die<br />
beliebte tägliche Verfügbarkeit<br />
fällt weg. Freibeträge gibt es für<br />
neue Anteile auch nicht mehr.<br />
Wer nicht mehr frei über sein<br />
Geld verfügen kann, wünscht<br />
sich offenbar mehr als die 2,0<br />
bis 2,7 Prozent, die die bewährten<br />
Fondsriesen in einem Jahr<br />
erzielten. Mehr verdienten Anleger,<br />
die Fonds über die Börse<br />
kaufen und dort zum aktuellen<br />
Kurs verkaufen können.<br />
Dort lässt sich auch mit den<br />
Fonds spekulieren, die aufgelöst<br />
werden. Oliver Weinrich,<br />
Vorstand des Beratungsunternehmens<br />
Drescher & Cie ImmoConsult,<br />
und Sandra Kielholz<br />
haben sie untersucht.<br />
Anhand der Lage und der Qualität<br />
der Gebäude, der Vermietung<br />
und des Geschicks der<br />
Fondshäuser bei der bisherigen<br />
Abwicklung haben die Immobilienexperten<br />
für die Portfolios<br />
einen fairen Wert ermittelt. Der<br />
Axa Immoselect wirkt günstig.<br />
Doch das vermeintliche<br />
Schnäppchen hat Tücken: Im<br />
Oktober geht das Portfolio an<br />
die Depotbank über, die die bereits<br />
stark abgewerteten Immobilien<br />
mit weiteren Nachlässen<br />
verkaufen darf, wenn sie Käufer<br />
findet – die Portfolioqualität ist<br />
überwiegend schlecht. Für die<br />
Übertragung der derzeit noch<br />
fünf deutschen Immobilien auf<br />
die Depotbank würde zudem<br />
Grunderwerbsteuer an den<br />
deutschen Fiskus fällig.<br />
Besser sieht es beim SEB ImmoInvest<br />
aus, der aber an der<br />
Börse nicht mehr so günstig ist.<br />
Durch erfolgreiche Neu- und<br />
Anschlussvermietungen hat die<br />
SEB das Portfolio hübsch gemacht.<br />
Und sie hat noch Zeit bis<br />
2017 für die Abwicklung. „Da<br />
potenzielle Käufer hauptsächlich<br />
auf den laufenden Ertrag<br />
schauen, ist eine gut vermietete<br />
Immobilie für sie am attraktivsten“,<br />
sagt Weinrich.<br />
Anleger des TMW Immobilien<br />
Weltfonds können nur<br />
hoffen, dass der Sieger bei<br />
der Portfolioqualität auch Käufer<br />
überzeugt. Für sie gab<br />
es seit Januar 2012 keine Ausschüttung<br />
mehr.<br />
Billig an der Börse einkaufen?<br />
Studie von DC ImmoConsult offenbart Stärken und Schwächen der großen Immobilien-Publikumsfonds, die aufgelöst werden<br />
Fondsname<br />
Axa Immoselect<br />
0,8 Okt. <strong>2014</strong> 3 24 10. 10,4 7,5 21,90 15,13 50 4 –23,0 –7,2<br />
Preise der bislang verkauften Immobilien im Schnitt 16 Prozent unter den von Sachverständigen festgestellten Werten; nur 86 Prozent der Flächen vermietet, weitere Verträge enden<br />
bald, das erschwert den Immobilienverkauf; übernimmt im Oktober die Depotbank das Immobilienportfolio zum weiteren Verkauf, wird für heimische Objekte Grunderwerbsteuer fällig.<br />
Credit Suisse CS Euroreal<br />
4,6 April <strong>2014</strong> 3 90 8. <strong>19</strong>,9 20,3 42,61 29,14 21 –2,9 –0,2<br />
Noch hoher Bestand, vor allem in Deutschland und Großbritannien; niedrige Vermietungsquote (85 Prozent) erschwert Verkauf an Investoren; rund ein Drittel des Immobilienbestands ist<br />
teurer als 100 Millionen Euro, und für diese Größenordnung gibt es nicht mehr so viele Kaufinteressenten.<br />
Degi International<br />
0,6 Okt. <strong>2014</strong> 3 13 6. 6,6 14,0 23,68 16,40 36 –5,7 –5,8<br />
73 Prozent der Immobilien sind jünger als zehn Jahre, das fördert Verkauf ebenso wie relativ gute Vermietungsquote von 90 Prozent und geringe Abhängigkeit von Banken; aber hoher<br />
Anteil der Immobilien im schwachen italienischen Markt erschwert den Verkauf.<br />
KanAm Grundinvest<br />
3,6 Dez. 2016 3 40 2. 26,1 15,0 39,27 27,41 12 –7,2 –1,7<br />
Gut vermietete Objekte, allerdings leichter Anstieg bei Leerstand; gute Standorte; vergleichsweise geringe Wertverluste; 64 Prozent der Immobilien teurer als 100 Millionen Euro<br />
erschwert Käufersuche; viele Kredite.<br />
SEB ImmoInvest<br />
5,5 April 2017 3 42 5. 29,2 9,6 34,97 22,47 21 –1,0 –0,2<br />
Hohe Abhängigkeit von finanzierenden Banken durch Kredite; niedrige Vermietungsquote von 86 Prozent und weiter auslaufende Mietverträge erschweren Verkauf; aber 60 Prozent<br />
der Immobilien unter 100 Millionen Euro Wert, solche Objekte finden mitunter schneller Käufer.<br />
TMW Immobilien Weltfonds<br />
0,4 Mai <strong>2014</strong> 3 10 1. 27,0 20,0 26,13 16,90 20 –15,1 –10,8<br />
Trotz bester Beurteilung bei der Portfolioqualität durch DC ImmoConsult in der Abwicklungsphase bislang noch keine Ausschüttung an Anleger; hohe Kreditquote macht von Banken abhängig;<br />
schlechte Vermietung von nur 69 % der Flächen erschwert Verkauf; hoher Bestand in den Niederlanden, wo Markt schwach ist; Grunderwerbsteuer bei Übergabe an Depotbank.<br />
Ohne Wertung: Degi Europa<br />
Ohne Wertung: Morgan Stanley P2 Value<br />
Fondsvolumen<br />
(in Mrd. Euro)<br />
0,4<br />
0,1<br />
Auflösung<br />
bis<br />
Depotbank 3<br />
Depotbank 3<br />
Anzahl<br />
der<br />
Immobilien<br />
7<br />
2<br />
Ranking<br />
Portfolioqualität<br />
1<br />
–<br />
–<br />
1 Bewertung durch DC ImmoConsult anhand von Immobilienlage, Gebäudequalität, Vermietung etc.; 2 in Prozent, 3 Depotbank übernimmt verbliebene Immobilien nach Auflösungstermin<br />
und verkauft ohne Zeitlimit weiter; 4 letzte hohe Ausschüttung an Anleger im März wurde bei der Berechnung noch nicht berücksichtigt; Quelle: Drescher & Cie ImmoConsult,<br />
Morningstar (Wertentwicklung); Stand: 14. April <strong>2014</strong> (Immobiliendaten: teilweise Fonds-Jahresberichte)<br />
Kreditquote<br />
2<br />
–<br />
–<br />
Liquiditätsquote<br />
2<br />
–<br />
–<br />
Offizieller<br />
Fondspreis<br />
(in Euro)<br />
13,93<br />
3,99<br />
Börsenkurs<br />
Frankfurt<br />
(in Euro)<br />
9,17<br />
2,87<br />
Börsenabschlag<br />
zum fairen<br />
Wert 1, 2<br />
–<br />
–<br />
Wertentwicklung<br />
(Basis offizieller<br />
Fondspreis)<br />
1 Jahr 2<br />
–18,1<br />
–21,1<br />
5 Jahre p.a. 2<br />
–11,8<br />
–<strong>19</strong>,3<br />
FOTOS: PALLADIUM.DE, PETER SCHINZLER<br />
96 Redaktion Fonds: Martin Gerth, Heike Schwerdtfeger<br />
Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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NACHGEFRAGT Philipp Waldstein Wartenberg<br />
»Aktien werden laufen«<br />
Der Anlagechef der Munich-Re-Tochter Meag<br />
erwartet, dass die Zinsen unten bleiben und<br />
investiert in der Euro-Peripherie. Aktien mag er<br />
auch, kauft aber keine.<br />
DER GROSSINVESTOR<br />
Waldstein, 47, ist als Geschäftsführer<br />
Portfoliomanagement<br />
beim Vermögensverwalter Meag<br />
verantwortlich für die Wertpapieranlagen<br />
des rund 230 Milliarden<br />
Euro großen Kapitalvermögens<br />
der Ergo-Versicherung und der<br />
Munich Re.<br />
»Die EZB darf<br />
ihr Pulver nicht<br />
verschießen.<br />
Sonst fehlt es in<br />
einer Rezession«<br />
Herr Waldstein, Sie kümmern<br />
sich um Versicherungsgelder<br />
und legen langfristig an.<br />
Interessiert Sie das tägliche<br />
Auf und Ab der Märkte?<br />
Ja. Allerdings ist der wirkliche<br />
Treiber selten die jüngste<br />
Schlagzeile, sondern es sind<br />
die internationalen Kapitalströme<br />
oder der grundlegende<br />
Wirtschaftstrend. Die<br />
Krim-Krise beschäftigt<br />
uns, aber die ausgelöste Korrektur<br />
am Aktienmarkt war<br />
überfällig. Inzwischen hat die<br />
Börse neue Stärke gewonnen,<br />
denn die Sanktionen sollten<br />
keine größeren Auswirkungen<br />
haben. Schon 2013 gab<br />
es mit Syrien und Nordkorea<br />
politische Krisen. Bleiben<br />
sie isoliert, wirken sie sich<br />
weniger aus als der Wirtschaftstrend.<br />
Und der ist stark?<br />
Ja, wir gehen von einer Fortsetzung<br />
des Aufschwungs in<br />
den USA und einem stärkeren<br />
Wachstum in Europa aus. Dadurch<br />
steigen auch die Gewinne<br />
der Unternehmen. Somit<br />
sehen wir an den Börsen<br />
keine Überhitzung. Viele Investoren<br />
haben noch wenig<br />
Aktien. Sie sind aber verunsichert,<br />
weil sie die Kernfrage<br />
nicht beantworten können.<br />
Und die lautet?<br />
Wo gehen die Zinsen hin?<br />
Wie ist Ihre Antwort?<br />
Wir erwarten allenfalls einen<br />
leichten Zinsanstieg. Andere gehen<br />
davon aus, dass mit dem<br />
Wirtschaftsaufschwung und<br />
dem Rückzug der US-Zentralbank<br />
aus Anleihekäufen, ab Mitte<br />
2015 die US-Zinsen stark steigen.<br />
Der Aufschwung dort ist<br />
allerdings schwächer als früher<br />
und läuft auch schon fünf Jahre.<br />
Wer jetzt nur kurzfristig für zwei<br />
bis drei Jahre in Anleihen investiert,<br />
weil er Zinserhöhungen erwartet,<br />
könnte enttäuscht werden.<br />
Aktien hingegen könnten<br />
besser laufen als gedacht.<br />
Was kaufen Sie?<br />
Da wir nur einen moderaten<br />
Zinsanstieg erwarten, investieren<br />
wir auch in Staats- und Unternehmensanleihen<br />
sowie etwa<br />
Pfandbriefe mit einer langen<br />
Laufzeit. Vereinzelt bauen wir<br />
den Bestand an Immobilien<br />
und Infrastruktur aus und investieren<br />
etwa in Gaskraftwerke<br />
sowie Wind- und Solarparks,<br />
für die langfristige Stromabnahme-Verträge<br />
bestehen. Das<br />
bringt kalkulierbare Erträge, mit<br />
denen Munich Re und Ergo die<br />
Zahlungsversprechen decken.<br />
4,5 Prozent der Versicherungsgelder<br />
stecken in Aktien.<br />
Das ist extrem wenig.<br />
Es liegt aber nicht daran, dass<br />
wir fallende Kurse erwarten.<br />
Wir müssen bei der Kapitalanlage<br />
gewährleisten, dass die<br />
Versicherungsgarantien durch<br />
Erträge der Anlagen gedeckt<br />
sind. Aktien sind durch ihre<br />
Kursschwankungen dafür wenig<br />
geeignet. Deshalb verlangt<br />
auch die Versicherungsaufsicht,<br />
dass wir für Aktien Eigenkapital<br />
zurückstellen. Bei Staatsanleihen<br />
müssen wir das nicht.<br />
Was ist besser: eine Lebensversicherung<br />
abschließen oder in<br />
Investmentfonds investieren?<br />
Das lässt sich nicht pauschal<br />
beantworten. Publikumsfonds<br />
haben allerdings bei der Anlage<br />
mehr Freiheiten. In unsere<br />
Mischfonds etwa können wir<br />
mehr Aktien packen als in die<br />
Versicherungsportfolios. In einem<br />
langfristigen Börsenaufschwung<br />
ist die Rendite höher.<br />
Welche Anleihen lohnen?<br />
Anleihen der Euro-Schuldenländer<br />
wie Irland, Italien, Spanien,<br />
Portugal sind interessant.<br />
Die Sanierung der Haushalte<br />
über den niedrigen Zins statt<br />
die Währung scheint zu funktionieren.<br />
Ich bin überzeugt, dass<br />
die angestoßenen Reformen<br />
langsam wirken.<br />
Die Zinsen sind kaum höher als<br />
die deutscher Staatsanleihen.<br />
Bei Spanien stimmt das. Eine<br />
fünfjährige spanische Anleihe<br />
rentiert nur noch mit 1,7 Prozent,<br />
seit die Europäische Zentralbank<br />
über Anleihekäufe<br />
nachdenkt. Sie wirft damit so<br />
viel ab wie US-Anleihen. Allerdings<br />
gibt es bei Spanien auch<br />
kein Währungsrisiko.<br />
Ist die neue Griechenland-Anleihe<br />
mit 4,95 Prozent Rendite<br />
für Sie interessant?<br />
Nein. Griechenland ist eine Nische<br />
und politisch beladen.<br />
Aber die große Linie stimmt in<br />
der Peripherie. Anleihen der<br />
Euro-Schuldenstaaten bieten<br />
einen gewissen Schutz vor Zinserhöhungen.<br />
Läuft die Konjunktur<br />
im Euro-Land besser,<br />
würden die Zinsen erhöht. Die<br />
Risikoaufschläge zu deutschen<br />
Bundesanleihen könnten sinken,<br />
weil sich die wirtschaftliche<br />
Lage und die Zahlungsfähigkeit<br />
verbessern würden.<br />
Haben Sie niedrige Kurse bei<br />
Schwellenländer-Anleihen zum<br />
Kauf genutzt?<br />
Nein. Wir halten sie bereits,<br />
sind jetzt aber vorsichtiger. Viele<br />
Länder bauen Defizite auf, während<br />
die Euro-Peripherie sich<br />
entschuldet. Spanien hat einen<br />
Leistungsbilanzüberschuss,<br />
und Anleger kaufen spanische<br />
Anleihen, dafür ziehen sie Geld<br />
etwa aus Brasilien ab.<br />
Hat die Europäische Zentralbank<br />
ein gutes Händchen?<br />
Ja. Das Zinsniveau bleibt niedrig,<br />
und die Peripherie entwickelt<br />
sich. Aber die EZB und die<br />
US-Notenbank müssen aus<br />
dem außerordentlichen Modus<br />
herauskommen, bevor es eine<br />
neue Rezession gibt. Sonst haben<br />
sie ihr Pulver verschossen,<br />
wenn sie es brauchen. Außerdem<br />
steigt die Gefahr, dass eine<br />
überbordende Geldversorgung<br />
am Aktien- und Immobilienmarkt<br />
Blasen aufpumpt.<br />
heike.schwerdtfeger@wiwo.de | Frankfurt<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 97<br />
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Paradies Deutschland<br />
Herzlich willkommen!<br />
EINWANDERER | Ärzte, Elektriker oder Künstler – neun Menschen erzählen, warum sie<br />
künftig in Deutschland leben wollen.<br />
UNGARN<br />
1| MIKLÓS BARNA, 27, FILM- UND<br />
FOTOWISSENSCHAFTLER<br />
RUSSLAND<br />
2| VALENTIN DOMBROVSKI, 29,<br />
UNTERNEHMER AUS MOSKAU<br />
Ich ziehe wegen meiner Arbeit bald<br />
nach Deutschland. Vor drei Jahren gründete<br />
ich ein Start-up, mit dem ich den<br />
Verkauf von Eintrittskarten, Reisetickets<br />
und Hotelbuchungen in einem Service<br />
bündeln wollte. Im vergangenen Jahr<br />
sind dann Partner aus Deutschland eingestiegen<br />
und wollten, dass ich in München<br />
für sie arbeite. Mir passte das wunderbar.<br />
Mein Projekt war sowieso als Grundlage<br />
gedacht, um irgendwann ins Ausland zu<br />
ziehen. Deutschland kenne ich vor allem<br />
aus Erzählungen von Freunden und von<br />
meinen Geschäftspartnern. In meinen Augen<br />
ist es in erster Linie ein Land mit klaren<br />
Regeln. Das Gesetz steht über allem. Bei<br />
uns in Russland wird oft über Stabilität gesprochen,<br />
dabei ist das alles ein großes Fake.<br />
Du weißt im Endeffekt nicht, was dich<br />
morgen erwartet, ob nicht vielleicht noch<br />
irgendwas verboten wird. In Deutschland<br />
ist das bestimmt anders. Das Land entwickelt<br />
sich stetig weiter, alles ist geregelt. Das<br />
mag zwar für jemanden langweilig erscheinen,<br />
aber die Spielregeln sind klar.<br />
Dazu kommt noch die Lebensqualität.<br />
Ich merke in letzter Zeit, wie schlecht die<br />
Umwelt hier in Moskau ist. Ich und meine<br />
Frau denken langsam an Familie, und in<br />
Moskau kann ich mir das schlecht vorstellen.<br />
Einen günstigen Kredit für eine eigene<br />
Wohnung bekommt man hierzulande<br />
nicht, anders als in Deutschland. Von guter<br />
Medizin und Ausbildung ganz zu schweigen.<br />
Deutschland scheint mir ein sehr<br />
komfortabler Ort zu sein. Zudem ist man<br />
mitten in Europa und kann schnell und<br />
günstig überall hinreisen.<br />
Deutschland ist ideal fürs Geschäft. Zumal<br />
kleine Unternehmen dort, anders als in<br />
Russland, gefördert werden. Freunde erzählten<br />
mir, dass es in Deutschland Familienunternehmen<br />
gibt, die schon seit über einem<br />
Jahrhundert existieren, das hat mir sehr<br />
imponiert. Zudem hängen deutsche Unternehmen<br />
nicht so sehr von der politischen Situation<br />
ab, wie in Russland. Wegen der Krim<br />
„Als ich, kurz vor dem Abitur, beschloss, ei-<br />
ne Karriere in den Medien anzustreben,<br />
schien es so, als ob uns in Ungarn eine<br />
wunderbare Zukunft erwarten würde. Ungarn<br />
war gerade der EU beigetreten Doch<br />
kurz danach war schnell Schluss mit lustig.<br />
Und seitdem Viktor Orbán an die Macht<br />
kam, geht in den ungarischen Medien<br />
nichts mehr. Die berüchtigten Mediengesetze<br />
führten zwar keine Zensur ein, doch<br />
die überwiegende Mehrheit der Journalisten,<br />
Regisseure und Künstler passen schon<br />
sehr gut auf und überlegen dreimal, bevor<br />
sie etwas sagen. Langsam reicht es.<br />
Deshalb habe ich beschlossen, zumindest<br />
für eine Weile eine Pause zu nehmen.<br />
Das sehe ich viel mehr als normale Arbeitsmobilität<br />
als klassische Auswanderung. Es<br />
ist eine Art Transitetappe. Und dafür ist<br />
Berlin, mit seiner Kunst- und Medienszene,<br />
ideal. Außerdem lässt sich in Berlin billiger<br />
leben als in Budapest, wenn man eine<br />
Arbeit – jede Arbeit – hat.<br />
drohen uns jetzt Sanktionen. So etwas gibt es<br />
in Deutschland nicht. In Russland ist Kritik<br />
an den Machthabern zunehmend unerwünscht.<br />
Das gefällt mir nicht. Für Unternehmer<br />
ist negatives Feedback sehr wichtig,<br />
ansonsten scheitert man früher oder später.<br />
Das Gleiche gilt auch für den Staat.<br />
FRANKREICH<br />
3| MARINA PREYSSAT, 18 JAHRE,<br />
STUDENTIN<br />
Am 1. Oktober geht es nach Deutschland.<br />
Ich bin schon sehr gespannt. Immerhin bin<br />
ich wegen meines Faibles für Deutschland<br />
extra von meinem Heimatort Aix-en-Provence<br />
in Südfrankreich nach Lothringen an<br />
das deutsch-französische Hochschulinstitut<br />
für Technik und Wirtschaft in Metz gewechselt.<br />
Wenn mir das nun die Möglichkeit<br />
eines Studienjahrs in Saarbrücken eröffnet,<br />
so hoffe ich, dass ich dort Karriere machen<br />
und mir ein Leben aufbauen kann.<br />
Für mich ist Deutschland nicht nur der<br />
Inbegriff eines wirtschaftlich prosperierenden<br />
Landes. Ich finde auch, dass Deutschland<br />
kulturell und landschaftlich sehr reich<br />
ist. Was das Arbeitsleben angeht, habe ich<br />
diese Vorstellung von Teamgeist und Arbeit<br />
in Gruppen, die für mich gleichbedeutend<br />
mit Erfolg sind.<br />
THAILAND<br />
4| THOSSAPORN SAENSAWATT, 26,<br />
JURASTUDENT AUS BANGKOK<br />
Deutschland-Fan bin ich seit 2002. Ich<br />
war 14 Jahre alt. Es war Sommer und die<br />
FOTOS: AUSTIN BUSH/ADENOR GONDIM/FYODOR SAVINTSEV FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, PRIVAT (4)<br />
98 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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1| MIKLÓS BARNA,<br />
UNGARN<br />
2| VALENTIN DOMBROVSKI, RUSSLAND<br />
3| MARINA PREYSSAT,<br />
FRANKREICH<br />
4| THOSSAPORN SAENSAWATT, THAILAND<br />
5| MARIA MARTA UND<br />
CLAUDIO ZOLLINGER, BRASILIEN<br />
6| MAHO<br />
MIZOGUCHI,<br />
JAPAN<br />
7| MARK KESSEL, USA<br />
Fußball-WM in Japan und Südkorea.<br />
Deutschland schoss sich bis ins Finale gegen<br />
Brasilien. Bei den Deutschen gab es<br />
keine Stars wie Ronaldo. Die Mannschaft<br />
war stark, weil alle Spieler gemeinsam auf<br />
den Erfolg hingearbeitet haben. Das hat<br />
mir imponiert.<br />
In der Wissenschaft ist das ähnlich:<br />
Es gibt kein Harvard, Cambridge oder Oxford.<br />
Aber ein dichtes Netz an hervorragenden<br />
Hochschulen, die Deutschland<br />
einzigartig machen. Wenn meine Freunde<br />
erzählen, dass sie in Amerika studiert haben,<br />
lautet die erste Frage immer: „An wel-<br />
cher Universität?“ Anders ist das, wenn<br />
man sagen kann: „Ich habe in Deutschland<br />
studiert.“ Das reicht als Qualitätsnachweis.<br />
Ich werde in den kommenden Jahren an<br />
der Universität Passau über die Grundprinzipien<br />
des Grundgesetzes promovieren.<br />
Ich glaube, dass Deutschland eine der<br />
besten Verfassungsordnungen der Welt<br />
hat. In meiner Heimat Thailand wird die<br />
Verfassung oft missbraucht.<br />
Ich war bereits in Deutschland. Einmal<br />
war ich mit einer thailändischen Studentengruppe<br />
unterwegs. Wir besuchten die<br />
Frankfurter Uni und waren mit der Assistentin<br />
eines Professors verabredet. Wie das<br />
in Thailand üblich ist, kamen wir zehn Minuten<br />
zu spät. Die Gastgeberin war verärgert.<br />
Sie sagte: „Das geht so nicht, ihr müsst<br />
pünktlich sein.“ So direkt würde in Thailand<br />
nie jemand Kritik üben. In Thailand<br />
geht man Konflikten aus dem Weg. In<br />
Deutschland ist man ehrlicher. Das ist gewöhnungsbedürftig,<br />
aber ich glaube, es ist<br />
unter dem Strich besser. Ein Höhepunkt<br />
steht für mich schon fest: Public Viewing<br />
bei der Fußball-WM. Dieses Mal klappt es<br />
vielleicht gegen Brasilien.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 99<br />
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Paradies Deutschland<br />
BRASILIEN<br />
5| MARIA MARTA, 48, UND<br />
CLAUDIO ZOLLINGER, 52,<br />
ÄRZTE AUS SALVADOR/BAHIA<br />
Die Idee, nach Deutschland zu ziehen,<br />
ist konkreter geworden, je älter unsere<br />
beiden Söhne wurden. Wir wollen ihnen<br />
ein anderes Gesellschaftsmodell zeigen.<br />
In Brasilien wachsen die Kinder in einer<br />
anarchischen Gesellschaft auf. Konsum ist<br />
König, das überdrehte Chaos der Alltag.<br />
Wir sehnen uns nach Deutschland, wo<br />
wir nach unseren Kurzbesuchen den Eindruck<br />
haben, dass die Jugendlichen noch<br />
viel unschuldiger sind, ruhiger aufwachsen<br />
können als in Brasilien. Die Kinder<br />
können in Deutschland länger Kinder bleiben.<br />
In Brasilien schminken und kleiden<br />
sich 15-jährige Mädchen schon wie Filmstars<br />
und schicken Fotos herum von sich<br />
im Bikini. Der ganze Alltag ist übersexualisiert<br />
hier in Brasilien. Jugendliche agieren<br />
hier schon in der Pubertät wie Erwachsene.<br />
Wir schätzen an Deutschland die verlässlichen<br />
Regeln. Die Ernsthaftigkeit, mit<br />
der dort Dinge behandelt werden: Vom<br />
Sport bis zur Tierhaltung und Umweltschutz,<br />
alles ist wohldurchdacht organisiert.<br />
Es ist letztendlich eine gesellschaftliche<br />
Reife, die Deutschland für uns attraktiv<br />
macht.<br />
JAPAN<br />
6| MAHO MIZOGUCHI, 32,<br />
JOURNALISTIN AUS TOKIO<br />
Am liebsten wäre ich nach Brasilien ausgewandert.<br />
Das Land entwickelt sich rasant,<br />
und ich liebe seinen Kampftanz<br />
Capueira. Aber jetzt habe ich einen Deutschen<br />
geheiratet und ziehe zu ihm nach<br />
Deutschland. Mein Mann und ich haben<br />
lange überlegt, ob er nicht in Japan leben<br />
und arbeiten sollte. Ich habe hier einen<br />
guten Job als Zeitschriftenredakteurin.<br />
Aber mein Mann studiert neben der Arbeit<br />
und kann nicht weg. Daher werde ich<br />
ab Mai mit ihm in München leben und<br />
als freie Journalistin für japanische Medien<br />
arbeiten.<br />
Meistens sprechen wir Englisch. Aber er<br />
kann ein bisschen Japanisch, und ich habe<br />
für das Ehegatten-Visum etwas Deutsch<br />
gelernt. Das werde ich fortsetzen. Deutsch<br />
finde ich nicht so schwer. Da gibt es<br />
viele Wortänderungen, aber die Aussprache<br />
ist für Japaner einfach. Ich finde, die<br />
Deutschen sind uns ziemlich ähnlich: Höflich,<br />
zurückhaltend, ernsthaft und pünktlich,<br />
außer der Bahn. Die Deutschen arbeiten<br />
hart, aber machen sehr lange Urlaub.<br />
Die Männer helfen im Haushalt und die<br />
Frauen wirken sehr stark. Ein Freund in<br />
Hamburg hat mich gewarnt, dass Ausländer<br />
es oft schwer haben. Aber ist das<br />
nicht überall so?<br />
USA<br />
7| MARK KESSEL, NEW YORK<br />
Ich möchte nicht nach Deutschland auswandern.<br />
Aber ich möchte nach Berlin<br />
auswandern. Es ist nicht so, dass ich<br />
etwas gegen andere Städte oder das<br />
Land hätte. Ich kenne auch die deutsche<br />
Provinz und halte sie für reizvoll. Aber ich<br />
hätte Angst, dass ich als Ausländer dort<br />
nicht klarkomme. Berlin ist anders: So<br />
viele Menschen aus allen Himmelsrichtungen,<br />
so viel Kreativität, und sie alle<br />
haben sich auf Englisch als Sprache geeinigt.<br />
Berlin ist das New York Europas.<br />
Besser noch – Berlin ist das, was New<br />
York vor zwei Jahrzehnten war. Eine kreative<br />
Hochburg. Mein Plan, nach Deutschland<br />
zu gehen, reifte seit Langem. Ich habe<br />
früher schon in Berlin gelebt, in den verschiedensten<br />
Stadtteilen, hatte damals<br />
dreimal pro Woche Deutschunterricht,<br />
und ich habe in Deutschland und in New<br />
York viele deutsche Freunde. Sie sind wie<br />
das Klischee: ernsthaft, pünktlich, qualitätsorientiert.<br />
Ich schätze diese Eigenschaften<br />
sehr. Auch haben die Deutschen<br />
einen trockenen, klugen Humor, wie man<br />
ihn in den USA kaum findet. Deutschland<br />
fördert Künstler großzügig, hat dabei ein<br />
gutes Gespür für Qualität und hat Verständnis<br />
für Künstler, die keine Verkäufer<br />
sein wollen. Die Deutschen sehen immer<br />
die Nachteile Berlins, die schwache Wirtschaft<br />
etwa, und wissen gar nicht, dass<br />
man sich in den Künstlerszenen von New<br />
York oder London einig ist: Berlin is the<br />
place to be.<br />
China<br />
LIANG SONG, 38, HAT VOR KURZEM<br />
EINEN ANTRAG AUF EINBÜRGERUNG<br />
GESTELLT, INGENIEUR<br />
Mein Weg führte über mein Studium nach<br />
Deutschland. Ich habe Maschinenbau<br />
studiert. In diesem Fach stößt man ständig<br />
auf deutsche Produkte. Die haben den<br />
besten Ruf. 2001 erhielt ich ein Stipendium<br />
für einen Studienaufenthalt in München.<br />
Ich lernte die Sprache und zog später<br />
nach Berlin, um dort weiterzustudieren.<br />
Nach meinem Abschluss fing ich bei einer<br />
deutschen Maschinenbau-Firma an. Um<br />
deren China-Niederlassung besser führen<br />
zu können, zog ich nach Peking zurück.<br />
Langfristig aber möchte ich in Deutschland<br />
leben. Ich schätze die Gleichheit hier.<br />
Chinas Wirtschaft wächst zwar. Aber gerade<br />
viele wohlhabende Leute haben Angst<br />
um ihr Vermögen. Was China fehlt, ist eine<br />
rechtsstaatliche Sicherheit. Heute liegen<br />
die Luftverschmutzungswerte in Peking<br />
wieder einmal über 400. Der Grenzwert<br />
der Weltgesundheitsorganisation WHO<br />
liegt bei 25. Es geht nicht zuletzt auch um<br />
meine Gesundheit. Hinzu kommen praktische<br />
Gründe, die für die Emigration sprechen.<br />
Mit einem deutschen Visum kann<br />
ich in die meisten Länder problemlos reisen.<br />
Chinesische Staatsbürger müssen oft<br />
wochenlang auf ihre Visa warten. Geld dagegen<br />
ist für mich kein Grund. Mein<br />
Gehalt ist in China sogar höher als in<br />
Deutschland, meine Lebenshaltungskosten<br />
geringer.<br />
SPANIEN<br />
ANDRÉS TOLÓN, 27,<br />
JOURNALIST AUS SEVILLA<br />
Ich weiß, worauf ich mich einlasse in<br />
Deutschland. Ich habe mein Abi auf<br />
der Deutschen Schule in Sevilla gemacht.<br />
Später ging ich für ein Erasmus-Jahr<br />
nach Braunschweig, dann gab es noch<br />
ein halbjähriges Praktikum in Berlin.<br />
Jetzt bin ich zusammen mit meiner Freundin<br />
nach Frankfurt gezogen und suche<br />
einen Job.<br />
Deutschland hat viel Natur, riesige Wälder.<br />
Vor allem mag ich diese Ernsthaftigkeit,<br />
mit der man in Deutschland arbeitet.<br />
Die Deutschen arbeiten gut und methodisch.<br />
Wenn etwas heute fertig werden<br />
muss, wird es auch tatsächlich fertig. Man<br />
hält sich an die Regeln. Und die Gehälter<br />
sind viel höher als in Spanien.<br />
Die Regelhörigkeit kann natürlich<br />
manchmal auch nerven. Zum Beispiel finde<br />
ich es leicht übertrieben, wie die Deutschen<br />
stur an roten Fußgängerampeln stehen<br />
bleiben, auch wenn weit und breit kein<br />
Auto zu sehen ist. Aber daran gewöhnt<br />
man sich.<br />
n<br />
alexander busch, karin finkenzeller, martin fritz,<br />
anne grüttner, maxim kreev, philipp mattheis, silviu mihai,<br />
mathias peer, martin seiwert | perspektiven@wiwo.de<br />
100 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Perspektiven&Debatte | Kost-Bar<br />
ALLES ODER NICHTS?<br />
REZA VAZIRI<br />
Vorsitzender der<br />
Geschäftsführung von<br />
3M Deutschland<br />
Aktien oder Gold?<br />
Aktien, Immobilien und Gold<br />
als ausgewogene Anlage.<br />
Cabrio oder SUV?<br />
SUV, weil viel praktischer.<br />
Apartment oder Villa?<br />
Top-Lage ist ausschlaggebend!<br />
Wenn es dann noch<br />
geht, die Villa!<br />
Fitnessstudio oder Waldlauf?<br />
Weder noch, Handball<br />
schauen und Spa.<br />
Paris oder London?<br />
London, nicht wegen des<br />
Essens, aber wegen der<br />
Premier League.<br />
Dusche oder Wanne?<br />
Dusche, aber mit Regenbrause.<br />
Nass oder trocken rasieren?<br />
Weder noch!<br />
Maßschuhe oder Sneakers?<br />
Maßschuhe, trotz amerikanischen<br />
Konzerns.<br />
Rotwein oder Weißwein?<br />
Rotwein, ist besser für die<br />
Gesundheit.<br />
Jazz oder Klassik?<br />
Jazz, für mich keine Frage.<br />
Mountainbike oder Rennrad?<br />
Weder noch, gutes Essen!<br />
Tee oder Kaffee?<br />
Kaffee morgens und mittags,<br />
Tee am Nachmittag.<br />
FOTOAUSSTELLUNG IN BERLIN<br />
Andere Länder, andere Ziele<br />
Wer ist das Ziel, wer soll getroffen werden? Diese Frage stellt sich automatisch<br />
jeder Betrachter, der die Sammlung von Fotografien sieht, die unter dem Titel<br />
„Targets“ das Historische Museum Berlin <strong>vom</strong> 9. Mai an zeigt. Die Fotografin<br />
Herlinde Koelbl hat sich mit der militärischen Ausbildung beschäftigt und<br />
innerhalb von sechs Jahren in 25 Ländern die Ziele für die Schießübungen von<br />
Soldaten fotografiert. Truppenplätze von Äthiopien über Norwegen bis in den<br />
USA waren ihr künstlerischer Jagdgrund. dhm.de<br />
JAZZFESTIVAL<br />
Moerser Töne<br />
Die Chance, in wenigen Tagen<br />
neue Strömungen im Jazz kennenzulernen,<br />
ist seit Jahren sehr<br />
groß beim Moers Festival. In der<br />
43. Auflage <strong>vom</strong> 6. bis 9. Juni<br />
werden die Konzerte nach Jahren<br />
im Zirkuszelt nun erstmals<br />
in der neuen Festivalhalle aufgeführt.<br />
Schwerpunkt dieses Jahr<br />
sind große Ensembles, gleich<br />
sieben Stück aus Finnland, Norwegen,<br />
Frankreich, den USA,<br />
Brasilien und Israel reisen an,<br />
unter anderem das Orchestre<br />
National de Jazz. Als Kontrapunkt<br />
treten vier Duos mit<br />
Schlagzeugbeteiligung auf. Programm<br />
unter moers-festival.de<br />
THE NEW YORKER<br />
„We loved Tuscany. The cell reception was fantastic<br />
and the Wi-Fi was to die for.“<br />
FOTOS: HERLINDE KOELBL, ROLFES, CARTOON: ROBERT MANKOFF/CONDÉ NAST PUBLICATIONS/WWW.CARTOONBANK.COM<br />
102 Redaktion: thorsten.firlus@wiwo.de<br />
Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | Großbritannien GBP5,40 | Italien €6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal €6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien €6,00 | Tschechische Rep. CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />
Leserforum<br />
Nadelstreifen hinter Gittern<br />
Was Manager im Knast erleben<br />
Geld&Börse<br />
Steuern sparen: Wie Sie von neuen<br />
Regeln und laufenden Gerichtsverfahren<br />
profitieren. Heft 16/<strong>2014</strong><br />
Hilfreich<br />
Alle Jahre wieder behandelt die<br />
WirtschaftsWoche dieses so<br />
wichtige Thema. Wer verzichtet<br />
denn schon gerne freiwillig auf<br />
den mühsam erarbeiteten Euro!<br />
Auch wenn vieles schon bekannt<br />
sein dürfte, sind die kurz<br />
aufbereiteten 25 Tipps nützlich.<br />
Für Anleger dürfte die Möglichkeit<br />
besonders interessant sein,<br />
Altverluste zu verrechnen.<br />
Von der doppelten Haushaltsführung<br />
über das Kindergeld<br />
bis hin zu Tipps für Vermieter<br />
haben Sie alles sehr kompakt<br />
und übersichtlich aufbereitet.<br />
Kompliment, eine sehr hilfreiche<br />
und zudem lesenswerte<br />
Lektüre.<br />
Heinz Diepholz<br />
via E-Mail<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
Welche Folgen hat der Mindestlohn<br />
für die neuen Bundesländer.<br />
Heft 16/<strong>2014</strong><br />
16<br />
14 Seiten Energiespezial<br />
So bleibt unser Strom bezahlbar<br />
Steuern sparen –<br />
ganz ehrlich<br />
25 Tipps für Ihre Steuererklärung<br />
14.3.<strong>2014</strong>|Deutschland €5,00<br />
1 6<br />
4 1 98065 805008<br />
Selbst bezahlen<br />
Ich wage die Behauptung, dass<br />
die Bezieher von Mindestlöhnen<br />
diese werden selbst bezahlen<br />
müssen. Denn gerade sie<br />
gehören zu den Verbrauchern,<br />
die überwiegend Leistungen<br />
von Unternehmen im Billiglohnsektor<br />
beziehen. Oder will<br />
jemand annehmen wollen, dass<br />
Arbeitgeber die steigenden<br />
Lohnkosten ohne Preiserhöhung<br />
selbst, von einem imaginären<br />
Gewinn oder Vermögen<br />
tragen?<br />
Friedemann Ungerer<br />
Wahlendow (Mecklenburg-Vorpommern)<br />
WirtschaftsWoche/Spezial<br />
Eine Exklusivstudie zeigt, wie die<br />
Energiewende billiger zu haben ist.<br />
Heft 16/<strong>2014</strong><br />
Zerschreddert<br />
„Grüne“ Stromerzeugung ist<br />
nicht sauber, sondern zerstört<br />
durch ihren enormen Landschaftsverbrauch<br />
von Zigtausenden<br />
Quadratkilometern die<br />
Natur, zerschreddert Vögel,<br />
bedroht die Artenvielfalt und<br />
ersetzt dennoch kein einziges<br />
thermisches Kraftwerk. Auch<br />
Herstellung, Bau, Montage und<br />
Wartung dieser Anlagen ist alles<br />
andere als „sauber“.<br />
Prof. Dr.-Ing Jürgen Althoff<br />
St. Wendel (Saarland)<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
Innovation: Zwölf ungewöhnliche<br />
Ideen, die Deutschland weiterbringen.<br />
Heft 15/<strong>2014</strong><br />
Überfordert<br />
Unter den zwölf Ideen für<br />
Deutschland sind sicher einige<br />
interessante Vorschläge. Bloß<br />
darauf, unsere hoch bezahlten<br />
Volksvertreter so, wie es jedem<br />
Selbstständigen selbstverständlich<br />
ist, an der finanziellen<br />
Verantwortung wenigstens an<br />
den gröbsten Fehlern zu beteiligen,<br />
das überfordert offenbar<br />
die Kreativität. Da werden Bundesminister,<br />
die 500 Millionen<br />
in den Sand setzen, zur Belohnung<br />
zum Innenminister<br />
befördert.<br />
Günther Sigle<br />
Fichtenberg (Baden-Württemberg)<br />
Einblick<br />
Chefredakteur Roland Tichy über<br />
Innovationen und die neuesten<br />
Trends. Heft 15/<strong>2014</strong><br />
Umdenken<br />
Auf den Punkt bringt es Roland<br />
Tichy. Es sind nicht die Innovationen,<br />
an denen es Deutschland<br />
mangelt, sondern die<br />
anschließende Finanzierung<br />
und gewinnbringende Verwertung<br />
derselben. In unserem<br />
mittelständischen Unternehmen<br />
werden Innovationen, die<br />
nicht binnen kurzer Zeit dreistelligen<br />
Umsatz generieren,<br />
wieder aufgegeben. Bezeichnend<br />
ist das Beispiel des Fraunhofer-Instituts,<br />
das zwar den<br />
Audiostandard MP3 entwickelte,<br />
aber die gewinnbringenden<br />
Stückzahlen werden in den USA<br />
produziert. Da müsste bei der<br />
deutschen Industrie ein Umdenken<br />
stattfinden.<br />
Erik Schneider<br />
Frankfurt am Main<br />
Bremser<br />
In der Summe pflichte ich den<br />
Ausführungen von Roland<br />
Tichy unumwunden bei. In der<br />
Tat ist die deutsche Wirtschaft<br />
eine der leistungsfähigsten der<br />
Welt. Nicht zuletzt das Zusammenspiel<br />
zwischen den Unternehmen,<br />
über Jahrzehnte<br />
gepflegt und gewachsen, generierte<br />
es. Doch über die Jahre<br />
beobachte ich mit großem Entsetzen,<br />
dass sich die Politik mit<br />
ihrem Beamtenapparat als<br />
Bremser statt als Förderer zeigt.<br />
Die von uns so geschätzte soziale<br />
Marktwirtschaft nach Ludwig<br />
Erhard ist längst passé. Es fehlt<br />
die Ausgewogenheit der Wirtschaftspolitik,<br />
mit ordnungspolitischem<br />
Weitblick.<br />
Karl Heinz Schmehr<br />
Lampertheim (Hessen)<br />
Wissen sammeln<br />
Für „Big Data“ ist allenfalls der<br />
Name innovativ. Viel spannender<br />
ist „Big Wisdom“ – eine tatsächlich<br />
innovative Recherche-<br />
Technik, die nicht mehr nach<br />
einzelnen Stichworten oder<br />
Datenbankinhalten sucht, sondern<br />
genau wie ein guter Rechercheur<br />
assoziativ Wissen<br />
sammelt. Sie verkürzt damit die<br />
für gründliche Recherchen nötige<br />
Zeit, sei es im Internet oder<br />
in großen proprietären Dokumentenbasen,<br />
von Monaten auf<br />
etwa eine halbe Stunde. Interessanterweise<br />
propagierte schon<br />
der Erfinder des Elektronenrechners,<br />
Konrad Zuse, in Vorträgen<br />
und Veröffentlichungen<br />
diesen Gedanken. Aber damals<br />
überstieg er bei Weitem die<br />
Möglichkeiten der Rechentechnik<br />
und der verfügbaren Netztechnologie.<br />
Heute ist das nicht<br />
mehr der Fall.<br />
Dr. Peter Schupp<br />
Hoyerswerda (Sachsen)<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
Justiz: Die fragwürdigen Nebenverdienste<br />
deutscher Richter.<br />
Heft 14/<strong>2014</strong><br />
Qualitätsverlust<br />
Ich danke Ihnen sehr für diesen<br />
nötigen Artikel und möchte die<br />
Aufzählung der Nebentätigkeiten<br />
noch ergänzen: Treuhänder<br />
für Banken und Versicherungen,<br />
Abgeordnete in Kommunalparlamenten<br />
und Herausgeber von<br />
Fachzeitschriften. Als Leiter von<br />
betrieblichen Einigungsstellen<br />
haben gemäß dem hessischen<br />
Ministerium der Justiz im Jahr<br />
2012 elf Arbeitsrichter jeweils<br />
zwischen 25 500 und 49 564 Euro<br />
verdient. Diese vielen Nebentätigkeiten<br />
gefährden die richterliche<br />
Unabhängigkeit. Dass ein<br />
Teil der Arbeitskraft zweckentfremdet<br />
wird, kann zudem zu einem<br />
Qualitätsverlust der richterlichen<br />
Entscheidungen führen.<br />
Die Nebentätigkeiten vertragen<br />
sich auch nicht mit der Behauptung<br />
der Richterschaft, sie<br />
sei mit richterlichen Aufgaben<br />
überlastet. Der Bundesjustizminister<br />
und die Justizminister<br />
der Länder sind gefordert, richterliche<br />
Nebentätigkeiten, die zu<br />
Interessenkollisionen führen<br />
können, zu untersagen.<br />
Horst Trieflinger<br />
Frankfurt<br />
Leserbriefe geben die Meinung des<br />
Schreibers wieder, die nicht mit der<br />
Redaktionsmeinung übereinstimmen<br />
muss. Die Redaktion behält sich vor,<br />
Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.<br />
WirtschaftsWoche<br />
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40<strong>04</strong>5 Düsseldorf<br />
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1<strong>04</strong> Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Die Angaben bezeichnen den<br />
Anfang des jeweiligen Artikels<br />
A<br />
Accenture........................................... 29<br />
Aida Cruises........................................ 29<br />
Airbus................................................. 29<br />
Alstom................................................ 46<br />
Amazon...............................................29<br />
Andreesen Horowitz.............................71<br />
Apple............................................ 29, 62<br />
Arthur D. Little.....................................29<br />
Aurelius.............................................. 56<br />
Avocado Store.....................................76<br />
B<br />
BASF.............................................29, 52<br />
Bayer.................................................. 52<br />
BB Biotech..........................................82<br />
BBE.................................................... 29<br />
Roland Berger..................................... 29<br />
Bertelsmann........................................29<br />
Boeing................................................ 29<br />
C<br />
Calpers............................................... 71<br />
CB Insights..........................................71<br />
CBRE.................................................. 29<br />
Celebrity Cruise Line............................29<br />
Coca-Cola........................................... 94<br />
Columbia Capital................................. 46<br />
Connectis............................................56<br />
Crowell & Moring................................. 46<br />
CTS Eventim........................................82<br />
D<br />
Daimler Financial Services................... 46<br />
Deka................................................... 56<br />
Deloitte...............................................56<br />
Deutsche Bank....................................46<br />
Deutsche Lufthansa.............................29<br />
Deutsche Telekom.........................46, 62<br />
Devas..................................................49<br />
Disney.................................................29<br />
DMG Mori Seiki....................................82<br />
Drescher & Cie ImmoConsult................96<br />
E<br />
E.On....................................................52<br />
E-Bility................................................75<br />
Evonik.................................................52<br />
F<br />
Facebook............................................ 71<br />
First Auto Works.................................. 12<br />
Fortis.................................................. 46<br />
Fraport................................................46<br />
Fuchs Petrolub.................................... 82<br />
G<br />
Gelsenwasser......................................46<br />
Google.....................................29, 62, 71<br />
Grenkeleasing..................................... 82<br />
H<br />
High-Tech Gründerfonds......................77<br />
HypoVereinsbank.................................79<br />
I<br />
IAV......................................................12<br />
Ibis Style............................................. 10<br />
IKB....................................................... 9<br />
J<br />
Jungheinrich....................................... 82<br />
K<br />
Kartell.................................................16<br />
Kleiner Perkins.................................... 71<br />
L<br />
Leoni...................................................82<br />
Lone Pine............................................50<br />
Lone Star.............................................. 9<br />
M<br />
M+W Group.........................................52<br />
Meag...................................................97<br />
Meine Möbelmanufaktur......................75<br />
Methanex............................................46<br />
Meyer Werft........................................ 29<br />
Microsoft.......................................62, 71<br />
Missoni............................................... 10<br />
Mitsubishi Heavy Industries................. 29<br />
Mohr Davidow..................................... 71<br />
Motel One........................................... 10<br />
MyParfum........................................... 60<br />
N<br />
Nest Labs............................................71<br />
Netflix.................................................29<br />
9Live...................................................60<br />
Norwegian Cruise Line......................... 29<br />
O<br />
OpenBiome......................................... 68<br />
Opower............................................... 71<br />
Osborne Clarke....................................77<br />
P<br />
Park Inn.............................................. 10<br />
Pfeiffer Vacuum...................................82<br />
Philip Morris........................................50<br />
Ping An............................................... 46<br />
ProSiebenSat.1................................... 60<br />
R<br />
Radisson Blu....................................... 10<br />
RAG-Stiftung.......................................52<br />
Regent................................................ 10<br />
Rezidor............................................... 10<br />
Rödl & Partner.....................................56<br />
RTL.....................................................29<br />
RWE....................................................48<br />
S<br />
SAP.....................................................29<br />
Sartorius............................................. 82<br />
Schaltbau............................................82<br />
Secomba.............................................79<br />
SevenVentures.................................... 60<br />
Siemens..............................................46<br />
Simon Kucher......................................29<br />
Singulus.............................................. 94<br />
STX Europe..........................................29<br />
T<br />
Telecom Ventures................................46<br />
Tesla.............................................29, 71<br />
thjnk................................................... 77<br />
TUI Cruises..........................................29<br />
Twitter................................................ 76<br />
U<br />
Uber................................................... 12<br />
V<br />
Vapiano...............................................10<br />
Vattenfall.................................46, 47, 50<br />
Vivawest............................................. 52<br />
Volkswagen................................... 12, 29<br />
W<br />
Walter Bau.......................................... 46<br />
Whatsapp............................................71<br />
WhyOwnIt........................................... 76<br />
Wintershall..........................................46<br />
WPP....................................................29<br />
Y<br />
Yahoo..................................................29<br />
YouTube.............................................. 29<br />
Z<br />
ZellBios...............................................52<br />
Zhongding...........................................12<br />
Zynga..................................................12<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 105<br />
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Ausblick<br />
„Am 1. Januar 2016 wird<br />
die Pkw-Maut scharf gestellt.<br />
Und am 1. Juli 2018<br />
kommt die Lkw-Maut auf allen<br />
Bundesstraßen.“<br />
Alexander Dobrindt<br />
Bundesverkehrsminister (CSU)<br />
„Das Projekt Rente mit 63<br />
ist komplett falsch, und ich sehe<br />
auch keine Kompromisslösung.“<br />
Eric Schweitzer<br />
Präsident des Deutschen Industrieund<br />
Handelskammertages<br />
„Wenn wir die Niederländer<br />
auf ihren Ausflügen ins<br />
Sauerland abkassieren, wird es<br />
nicht lange dauern, bis sie<br />
uns auf dem Weg zur Nordseeküste<br />
zur Kasse bitten.“<br />
Michael Groschek<br />
Verkehrsminister in Nordrhein-<br />
Westfalen (SPD), zur Einführung von<br />
Mautgebühren<br />
„Wir dürfen uns durch die<br />
Erfolge nicht <strong>vom</strong> richtigen Weg<br />
abbringen lassen. Die größte<br />
Gefahr ist, dass man sich auf<br />
seinen Erfolgen ausruht.“<br />
Wolfgang Schäuble<br />
Bundesfinanzminister (CDU), zum<br />
Reformkurs in Europa<br />
„Der Aufschwung geht weiter,<br />
er ist moderat.“<br />
Mario Draghi<br />
Präsident der Europäischen Zentralbank<br />
(EZB), über die wirtschaftliche<br />
Entwicklung in der Euro-Zone<br />
„Zu viel Leiden,<br />
zu wenig Hoffnung –<br />
das ist die Lage Frankreichs.“<br />
Manuel Valls<br />
Frankreichs neuer Premierminister<br />
„Ich bin nicht abhängig von<br />
Politik, ich habe was Ordentliches<br />
gelernt. Ich könnte auch<br />
wieder zurück in die Wirtschaft.<br />
Das gibt eine Menge Freiheit.<br />
Ich habe keine Leichen im<br />
Keller. Mir kann keiner was.“<br />
Hannelore Kraft<br />
Ministerpräsidentin von Nordrhein-<br />
Westfalen (SPD) und frühere<br />
Unternehmensberaterin<br />
„Die große Koalition spielt nicht<br />
,Wünsch dir was‘<br />
nach den Regeln des CDU-<br />
Wirtschaftsrates.“<br />
Ralf Stegner<br />
stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender,<br />
über Nachverhandlungen<br />
bei der Rente mit 63<br />
»Der Hochgeschwindigkeitszug<br />
zur Treibhausgasminderung<br />
muss jetzt schnell abfahren, und die<br />
Welt muss darauf aufspringen.«<br />
Rajendra Pachauri<br />
Vorsitzender des Weltklimarats (IPCC)<br />
„Meine Söhne sind froh, dass<br />
der Papa ihnen den Rücken<br />
fürs operative Geschäft freihält.<br />
Ich bin so etwas wie die Allzweckwaffe<br />
für meine Familie.“<br />
Dirk Roßmann<br />
Gründer und Geschäftsführer der<br />
Drogeriemarktkette Rossmann<br />
„Wir haben das Ergebnis erzielt,<br />
dass wir weiter diskutieren.“<br />
Rainer Bretschneider<br />
Vize-Aufsichtsratschef des neuen<br />
Berliner Flughafens BER, zum Streit<br />
über zusätzliche Kosten von<br />
1,1 Milliarden Euro<br />
„Die Bekleidungsindustrie<br />
trägt viel dazu bei, die Armut in<br />
diesem armen Land zu lindern.“<br />
Karl-Johan Persson<br />
Chef des schwedischen Modekonzerns<br />
Hennes & Mauritz (H&M), zur<br />
Produktion in Bangladesch<br />
„Langfristiges Ziel muss sein,<br />
dass wir den politischen<br />
und wirtschaftlichen Kollaps<br />
der Ukraine verhindern<br />
und dafür sorgen, dass diese<br />
Ukraine als Land beieinanderbleibt.<br />
Das ist schwieriger,<br />
als sich viele vorstellen.“<br />
Frank-Walter Steinmeier<br />
Bundesaußenminister (SPD)<br />
„Wer diese Gefahr nicht<br />
erkennt, ist taub und blind.“<br />
Jean-Claude Juncker<br />
Spitzenkandidat der konservativen<br />
Europäischen Volkspartei (EVP) für<br />
die Europawahl, über das soziale<br />
Ungleichgewicht in der EU<br />
„Ein großer Teil der modernen<br />
Technik irritiert mich. Was sind<br />
das für Menschen, die mit iPads<br />
in Konzerte kommen und dann<br />
alles filmen? Die schauen sich<br />
gar nicht mehr die Show an,<br />
sondern starren nur noch auf<br />
ihr iPad! Das ist doch krank.“<br />
Elton John<br />
britischer Sänger und Komponist<br />
ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />
106 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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