42 noch schlummert im Verbor- genen, im einsamen Herzen, in der ...
42 noch schlummert im Verbor- genen, im einsamen Herzen, in der ...
42 noch schlummert im Verbor- genen, im einsamen Herzen, in der ...
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EBA SI<br />
Festival REBA Sí - E<strong>in</strong>e<br />
<strong>noch</strong> <strong>schlummert</strong> <strong>im</strong> <strong>Verbor</strong><strong>genen</strong>,<br />
<strong>im</strong> <strong>e<strong>in</strong>samen</strong> <strong>Herzen</strong>,<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>raumwohnung, vieles<br />
das längst dem E<strong>in</strong>zelnen zu<br />
groß geworden ist, das veröffentlicht<br />
gehört, ohne das<br />
Mietz<strong>in</strong>s gezahlt werden muss,<br />
das verschenkt werden soll und<br />
das manchmal erst hier <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Reba zur Kunst wird.<br />
Vom 4. bis zum 6. Juni 2010 fanden sich über 700 Besucher<br />
be<strong>im</strong> Kulturfestival <strong>der</strong> Initiative Reba Sí <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reitbahnstraße<br />
84 e<strong>in</strong>. An diesen drei Tagen gab es <strong>in</strong> den neuen Schaufenstern<br />
e<strong>in</strong>e umfangreiche Ausstellung <strong>der</strong> Bildenden Kunst zu sehen.<br />
Provokative Street Art war dabei ebenso vertreten wie etablierte<br />
Kunst. Neben den Acrylbil<strong>der</strong>n, Drucken, Grafiken, Zeichnungen<br />
und Fotografien gab es am 4. Juni e<strong>in</strong> breites Film-, Hörspiel- und<br />
Literaturprogramm mit Werken von jungen Künstlern aus Italien,<br />
Brasilien, Frankreich und <strong>der</strong> Region. Der 5. Juni stand ganz <strong>im</strong><br />
Zeichen <strong>der</strong> Musik: von Jazz bis M<strong>in</strong><strong>im</strong>al-Techno. Die „Beatpoeten“<br />
aus Hamburg war extra angereist, um e<strong>in</strong> Statement für kulturelle<br />
Freiräume abzugeben. Wie alle an<strong>der</strong>en Künstler verzichteten sie<br />
auf e<strong>in</strong>e Gage. Dafür war <strong>der</strong> E<strong>in</strong>tritt für die Gäste frei. Das zahlreich<br />
erschienene, bunt gemischte Publikum sorgte dafür, dass das<br />
Festival tatsächlich zu dem wurde, als das es angekündigt war:<br />
e<strong>in</strong>e Kunstdemonstration und zwar für den Erhalt des selbstverwalteten<br />
Kultur- und Wohnprojektes am Standort Reitbahnstraße<br />
84 (Reba).<br />
Philosophie des (Ausstellungs-)Raumes<br />
Die neuen Fensterscheiben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reba geben den Blick frei<br />
auf e<strong>in</strong>en offenen Raum. Er wurde erobert für die Kunst, die we<strong>der</strong><br />
das große Geld hat, <strong>noch</strong> das großen Geld macht, e<strong>in</strong>e Kunst,<br />
die Menschen zusammenbr<strong>in</strong>gt, die die Grenzen zwischen Künstler<br />
und Konsument zum Teil auflöst, e<strong>in</strong>e Kunst <strong>der</strong> Kommunikation,<br />
<strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ation.<br />
E<strong>in</strong>e revolutionäre Kunst! Auch wenn o<strong>der</strong> besser auch<br />
weil die e<strong>in</strong>zelnen Kunstwerke oft unsche<strong>in</strong>bar daherkommen,<br />
f<strong>in</strong>det hier jedes e<strong>in</strong>en ganz beson<strong>der</strong>en Rahmen.<br />
Ganz gleich ob Bild, Musik, Theaterstück, Film etc. Vieles<br />
Aussteller<br />
Marco Lohr - „an<strong>der</strong>e<br />
Sichtweiten“ (Fotographien) ///<br />
Christoph Ott<strong>in</strong>ger (Acrylmalerei)<br />
aus Weißenburg/ Bay. ///<br />
Stefkovic van Interesse (Bil<strong>der</strong>/<br />
Gemälde) aus Leipzig /// Anatoli<br />
Budjko (Drucke) aus Bielefeld<br />
/// Andreas Schüller (Acryl auf<br />
Le<strong>in</strong>wand) /// Sch<strong>im</strong>aere<br />
Zyklothyme (Fotokopien)<br />
///<br />
M a l -<br />
<strong>42</strong>
KUNSTdemonstration<br />
projekt aus Flöha: Christ<strong>in</strong>a<br />
Mothes - „Sportler“, Franz Heisig<br />
(12) & Rolf Büttner - „Immobilienhai“,<br />
Fre<strong>der</strong>ic Braun (12)<br />
& Günter Wittwer - „Künstler“,<br />
Rolf Büttner - „Nackter Mann“<br />
/// Wildbeere (Comicstrips,<br />
Collagen) /// Bor<strong>der</strong>l<strong>in</strong>ehood<br />
(Graffiti, Street Art - auch live)<br />
/// Rebecca Wieland (Malerei)<br />
/// Künstlergruppe TONFilm<br />
- „jung zu alt zu jung“ Ausstellung<br />
zum Film (keramische<br />
Plastiken) /// outark (Drucke) ///<br />
Sha & Julz „Looks like an <strong>in</strong>vasion“<br />
(Wandgemälde)<br />
Wer ist Reba Sí?<br />
Reba Sí ist e<strong>in</strong>e Initiative<br />
Chemnitzer BürgerInnen und<br />
Bürger zum Erhalt und Ausbau<br />
des offenen Wohn- und Veranstaltungszentrums<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Reitbahnstraße<br />
84. Im Allgeme<strong>in</strong>en<br />
geht es uns um kulturelle<br />
Freiräume mit basisdemokratischem<br />
und selbstverwaltetem<br />
Anspruch.<br />
Wir s<strong>in</strong>d gesellschaftlich<br />
breit aufgestellt; wir s<strong>in</strong>d Künst-<br />
ler, Kulturschaffende, Arbeiter, Angestellte, Studenten, Arbeitslose<br />
und selbständig Tätige. Unsere Initiative ist politisch offen und versteht<br />
sich als parteiunabhängige Interessensgeme<strong>in</strong>schaft. Aber<br />
wir wenden uns entschieden gegen menschenverachtende E<strong>in</strong>stellungen,<br />
<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Rassismus, Antisemitismus und Sexismus.<br />
Unsere Initiative ist offen für alle, die dieses Verständnis teilen.<br />
Zusammen arbeiten wir an Veranstaltungen, an <strong>der</strong> medialen<br />
Darstellung sowie an <strong>der</strong> Instandsetzung und Aufwertung <strong>der</strong><br />
Räumlichkeiten <strong>der</strong> Reitbahnstraße 84 <strong>in</strong> Chemnitz.<br />
Initiative Reba Sí<br />
Homepage: http://reitbahnstrasse.de/<br />
E-Mail: help@reitbahnstrasse.de<br />
Persönlicher Kontakt: Montags 19.30 Uhr zum Plenum <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reitbahnstraße<br />
84, 09111 Chemnitz<br />
Die Texte wurden verfasst von <strong>der</strong> Initiative Reba Sí, Marco Lohr,<br />
Chris Münster, Christoph Ott<strong>in</strong>ger, TONFilm, El Garito C<strong>in</strong>ematico,<br />
Katr<strong>in</strong> Mucki, Rebecca Wieland.<br />
Lektorat: Reba Sí<br />
Abb. l<strong>in</strong>ks oben: Band Nova Serene;<br />
Abb. oben Mitte: Bor<strong>der</strong>l<strong>in</strong>ehood Abb.<br />
oben rechts: outarkDruckwerkstatt;<br />
Abb. unten Mitte: Ohne Titel<br />
Abb. unten l<strong>in</strong>ks: A. Schüller Fotos: A.<br />
Schudeja<br />
43
44<br />
Abb.: Wandgemälde <strong>in</strong> <strong>der</strong> REBA SI; Foto:C.Münster
46<br />
Abb.: Wandgemälde <strong>in</strong> <strong>der</strong> REBA SI; Foto:C.Münster
EBA SI<br />
,,Looks like an <strong>in</strong>vasion“ – Das Wandgemälde<br />
Spätestens jetzt, da <strong>der</strong> ehemals überlassene, nunmehr gekündigte<br />
Lebensraum <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reitbahnstraße 84 (Reba) entzogen<br />
werden soll, ist es höchste Zeit, <strong>der</strong> dort herangereiften Kultur alle<br />
Aufmerksamkeit zu zuwenden, denn sie ist vom Aussterben bedroht!<br />
Ungeachtet dessen, dass es nach wie vor strittig ist, ob und <strong>in</strong><br />
welcher Weise e<strong>in</strong>e Kont<strong>in</strong>uität des Kulturprojekts erreicht werden<br />
kann, ist und bleibt es <strong>in</strong>diskutabel, das Geschaffene vor Ort e<strong>in</strong>fach<br />
obskuren Sanierungszwängen auszuliefern. Vielmehr gilt es,<br />
dessen e<strong>in</strong>zigartigen Charakter zu nachzuweisen, um vehemente<br />
öffentliche Fürsprache zu kämpfen und für den dauerhaften Erhalt<br />
e<strong>in</strong>e Bresche zu schlagen. Immerh<strong>in</strong> handelt es sich bei <strong>der</strong> Reba<br />
um e<strong>in</strong>en offenen Kulturraum, <strong>der</strong> selbstverwaltet existiert und<br />
Partizipationsmöglichkeiten behauptet. Für Projekte, die versuchen<br />
jenseits von Kapital- und Verwertungs<strong>in</strong>teressen stattzuf<strong>in</strong>den und<br />
dem Anspruch basisdemokratischer Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung und freier<br />
Entfaltung des E<strong>in</strong>zelnen folgen, ist die Reba e<strong>in</strong> wichtiger Anlaufpunkt.<br />
Da hier nicht allumfänglich ausgebreitet werden kann, was alles<br />
entstanden ist, soll exemplarisch anhand e<strong>in</strong>es über die Zeit h<strong>in</strong><br />
gewachsenen Wandgemäldes gezeigt werden, wie sich Kultur an<br />
diesem Ort entfaltet hat und <strong>in</strong>wieweit sich das Leben <strong>in</strong> und um<br />
die Reba <strong>im</strong> Kunstwerk wi<strong>der</strong>spiegelt.<br />
Das circa fünf Meter breite und die gesamte Raumhöhe ausfüllende<br />
Wandbild ist <strong>in</strong> den letzten drei Jahren sukzessive entstanden.<br />
Vorwiegend zwei Personen (Sha & Julz) haben die Entstehung<br />
vorangebracht, ohne dabei jedoch irgende<strong>in</strong>e Verfügungshoheit<br />
über „ihr Werk“ zu beanspruchen, son<strong>der</strong>n von vornhere<strong>in</strong> mit<br />
dem Verständnis, dass offene Räume nur von offenen Prozessen<br />
belebt werden können. Das g<strong>in</strong>g so weit, dass sogar Bestehendes<br />
übermalt werden konnte. So kamen <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong> Dutzend Leute<br />
zusammen, die prägende Details beisteuerten, Akzente setzten<br />
und für e<strong>in</strong>en Stilmix sorgten. Das Bild wächst <strong>im</strong>mer weiter <strong>in</strong> den<br />
Raum h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> und an se<strong>in</strong>en Rän<strong>der</strong>n wird es zu e<strong>in</strong>em wild wuchernden<br />
Freigehege für die Vorstellungskraft. Es lebt! Im Zentrum<br />
des Bildes ist e<strong>in</strong>e Straßenszene zu sehen. Durch die Mannigfaltigkeit<br />
an eigens<strong>in</strong>nigen Details <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Maler zeigt sie das, was<br />
e<strong>in</strong>e Stadt ausmacht: Heterogenität. Als e<strong>in</strong> Ganzes lässt sich das<br />
Gemälde schwerlich wahrnehmen, aber <strong>der</strong> Blick des Betrachters<br />
bleibt an den Details hängen: etwa an <strong>der</strong> w<strong>in</strong>zigen Katze am U-<br />
Bahn-E<strong>in</strong>gang. Mit ihr begann das ganze Vorhaben...<br />
Sha war <strong>im</strong> Sommer 2007 gerade e<strong>in</strong> halbes Jahr <strong>in</strong> Chemnitz<br />
und stellte <strong>im</strong> Weltecho aus: Katzencomics. Irgendjemand von <strong>der</strong><br />
gerade frisch bezo<strong>genen</strong> Reitbahnstraße 84 sprach ihn e<strong>in</strong>fach auf<br />
diese Katzen an, fragte, ob er nicht Lust hätte, e<strong>in</strong> Riesenexemplar<br />
h<strong>in</strong>ter die Bar <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reba zu malen. Vor Ort lernte er Julz kennen,<br />
<strong>der</strong> auch malt. Natürlich waren nicht alle begeistert von <strong>der</strong> Idee<br />
mit <strong>der</strong> Katze. Jemand schlug vor, die Reitbahnstraße zu malen;<br />
Julz und Sha fanden Gefallen an dem Gedanken; <strong>der</strong> Raum könnte<br />
dadurch an Tiefe und Perspektive gew<strong>in</strong>nen, dachten sie. Sie begannen<br />
mit <strong>der</strong> Straße; an <strong>der</strong>en Rand kamen langsam, Nacht für<br />
Nacht, Häuser h<strong>in</strong>zu; sie malten zusammen; manchmal auch tagsüber;<br />
Menschen kamen und beobachteten sie. Es kam auch vor,<br />
dass sie sich zu ihnen gesellten; auch nachts; es wurden Wünsche<br />
und Ideen geäußert, mitunter auch gleich aufgegriffen, e<strong>in</strong>gear-<br />
beitet o<strong>der</strong> auch selbst umgesetzt. Der Prozess war offen, alles<br />
konnte e<strong>in</strong>fließen... Je<strong>der</strong>zeit konnte Altes übermalt werden, um<br />
neue Ideen e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den; je<strong>der</strong> konnte den P<strong>in</strong>sel führen, <strong>der</strong> Stadt<br />
Gestalt geben; manche Nacht schafften sie nur e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Detail,<br />
e<strong>in</strong>en über die Straße hüpfenden Fisch, e<strong>in</strong>en Regenwurm, das<br />
Sparspass-Schild; nicht selten waren sie zunächst unzufrieden,<br />
<strong>im</strong> fahlen Sche<strong>in</strong> <strong>der</strong> überhitzten Glühbirnen; tags darauf ergab<br />
es e<strong>in</strong> Gefüge...; Farben bekamen sie von den Hausbewohnern<br />
geschenkt: Reste vom Streichen o<strong>der</strong> Kunstunterricht, Sperrmüllfunde;<br />
Sha und Julz wurden Freunde; viele verschiedene an<strong>der</strong>e<br />
Leute beteiligen sich am Bild, wer gerade Lust hatte...: Besucher,<br />
Durchreisende, Gelegenheitsmaler o<strong>der</strong> auch nur Ideengeber<br />
brachten sich e<strong>in</strong>, <strong>in</strong>s Bild; e<strong>in</strong> visuelles Gästebuch; e<strong>in</strong>e räumliche<br />
Karte verschiedenster Anlaufpunkte, polyperspektivische<br />
Stadterkundung <strong>im</strong> Unbekannten; Urbanität <strong>im</strong> Schwung des<br />
P<strong>in</strong>selgewusels; Farbgebung vom Bürgersteig; die Ampel leuchtet<br />
rot, gelb und grün gleichzeitig. Alle Möglichkeiten s<strong>in</strong>d offen; es<br />
entstehen die ersten figürlichen Elemente, das Bild wird mit Details<br />
angereichert; die Phantasie sprengt die Raumkapsel; Sha und<br />
Julz arbeiten geme<strong>in</strong>sam auch an an<strong>der</strong>en Projekten, gew<strong>in</strong>nen<br />
e<strong>in</strong>en Wettbewerb <strong>der</strong> ASR, malen auf e<strong>in</strong>em Kunstfestival <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
Ideen die ihnen hier kamen..................die Räumung <strong>der</strong> Reba<br />
wird <strong>noch</strong> bis Mitte September h<strong>in</strong>ausgeschoben; Julz und Sha<br />
malen nach wie vor am Wandgemälde; <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d neue<br />
Sachen zu entdecken............................mal mit!<br />
Im Zentrum des Stadtgeschehens, über den Köpfen <strong>der</strong> polymorphen,<br />
die Straßen bevölkernden Wesen entdeckt man e<strong>in</strong>en<br />
fliegenden Kraken, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Saugnapfarme bedrohlich weit ausbreitet<br />
und nach e<strong>in</strong>igen Gebäuden langt. E<strong>in</strong> blankes Auge hängt<br />
aus <strong>der</strong> fliegenden Untertasse, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> Krakenkörper verschanzt<br />
ist. Er starrt direkt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Szenerie. Invasion des Investitionsmonsters?<br />
In <strong>der</strong> Bildmitte verläuft e<strong>in</strong>e mehrspurige Straße, zu <strong>der</strong>en<br />
Seiten sich mehrgeschossige Häuser, Betonblöcke<br />
und Glaskästen ane<strong>in</strong>an<strong>der</strong> drängen. Im Fluchtpunkt <strong>der</strong><br />
Straße lässt sich e<strong>in</strong> Kirchenbau <strong>im</strong> orthodoxen Stil erahnen,<br />
<strong>im</strong> H<strong>in</strong>tergrund ragen Kräne empor. Rechter Hand lugt e<strong>in</strong> Supermarktschild<br />
hervor h<strong>in</strong>ter Bäumen, die die Straße säumen:<br />
„Puls“. Spüre dich und de<strong>in</strong>en Herzschlag <strong>im</strong> Schweiße <strong>der</strong> Waren,<br />
die du zu schleppen vermagst.<br />
Die Straße ist bevölkert mit allerlei skurrilen Wesen, zwischendr<strong>in</strong><br />
auch e<strong>in</strong>ige Menschen: umher flitzende K<strong>in</strong><strong>der</strong>, Fahrradfahrer,<br />
Graffitisprayer, Straßenmusiker und auch Bankräuber mitsamt<br />
grünen, Marsmenschen ähnlichen Polizisten auf den Fersen, selbst<br />
K<strong>in</strong>g Kong hängt an e<strong>in</strong>em Schornste<strong>in</strong> herum.<br />
Diese Welt ist nicht gänzlich <strong>der</strong> Phantasiemasch<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />
Maler entsprungen. So erfährt <strong>der</strong> Chemnitzer Nischel se<strong>in</strong>e Rem<strong>in</strong>iszenz:<br />
das verwegene Antlitz des jungen Charles Bronson,<br />
getaucht <strong>in</strong> die charakteristische grünspanige Nischelfärbung<br />
überblickt das schrille Treiben von Außen und kommentiert:<br />
„Looks like an <strong>in</strong>vasion to me“. Die Frage nach den Invasoren<br />
bliebe kopfzerbrechend, wäre da nicht e<strong>in</strong>e unverkennbare Anspielung<br />
auf hiesige Stadtgefilde. Hier staune man auch über die<br />
Perspektivität, die den Schöpfern da gelungen ist, musste doch<br />
das Reba-Gebäude aufgrund räumlicher Gegebenheiten um e<strong>in</strong>e<br />
47
Ecke gemalt werden, wodurch Effekte entstehen, die man vielleicht<br />
auf die Formulierung br<strong>in</strong>gen könnte, dass <strong>der</strong> Standpunkt des Betrachters<br />
vor dem Gemälde die Wahrnehmung <strong>der</strong> abgebildeten<br />
Architektur entscheidend bee<strong>in</strong>flusst. O<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s gesagt: Mit <strong>der</strong><br />
Bewegung des Betrachters vor dem Gemälde bewegt sich auch<br />
das Gebäude.<br />
Die Geschichte des Gebäudes seit <strong>der</strong> Überlassung <strong>im</strong> Sommer<br />
2007 ist dem Bild e<strong>in</strong>geschrieben, oft verschlüsselt, aber an manchen<br />
Stellen auch ganz explizit: Konzertplakate und Demoaufrufe,<br />
e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> Bewohner <strong>in</strong> den Z<strong>im</strong>merfenstern, manchmal auch nackt,<br />
das zerbrochene Fenster, durch das e<strong>in</strong>st e<strong>in</strong> Punker sprang… e<strong>in</strong><br />
Reservoir <strong>der</strong> kollektiven und <strong>in</strong>dividuellen Er<strong>in</strong>nerungen, <strong>in</strong>sofern<br />
fast schon von kultischem o<strong>der</strong> historischem Wert. Vielleicht<br />
schaut man e<strong>in</strong>es Tages <strong>im</strong> neu <strong>in</strong>stalliertem „Kultur-Treff“ kle<strong>in</strong>mütig<br />
vom Klöppelwerk hoch zu diesem Gemälde wie zum letzten<br />
Relikt kultureller Lebendigkeit, Spritzigkeit und Gestaltungsfreude.<br />
Vielleicht wird das Bild aber auch zum Archetyp e<strong>in</strong>er neuen<br />
Kunst, die sich selbst organisiert <strong>in</strong> offenen Räumen, <strong>in</strong> denen sich<br />
Abgelehnte und Ausgeschlossene Künstler zusammentun, um <strong>im</strong><br />
Geme<strong>in</strong>schaftsprozess schöpferisch tätig zu se<strong>in</strong>.<br />
An den Rän<strong>der</strong>n über das Großstadtpanorama h<strong>in</strong>aus schwemmend<br />
<strong>in</strong> neue Stile und Sujets übergehend ist das Gemälde ger<strong>in</strong>nendes<br />
und wie<strong>der</strong> verschw<strong>im</strong>mendes Kaleidoskop vielseitigen Neben-<br />
und Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>s, mith<strong>in</strong> S<strong>in</strong>nbild e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en, utopischen<br />
Lebens- und Schaffensform. Dem offenen Raum entsprungen ist<br />
es auch nach wie vor nicht vollendet, per se <strong>im</strong>mer unvollendet,<br />
teils da die Darstellung e<strong>in</strong>er Stadt nicht zu vollenden ist, teils da<br />
<strong>der</strong> Umgang und Austausch zwischen den Bürgern nicht abreißen<br />
sollte, gerade auch dort, wo er Konflikte offenlegt. Die Reba ist e<strong>in</strong><br />
Kristallisationspunkt, ihre Wände werden zum Medium.<br />
Für den Erhalt des Wandgemäldes <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reitbahnstraße 84!<br />
Für den Erhalt selbstverwalteter Kultur- und Wohnflächen, gerade<br />
an kritischen Standorten! Für e<strong>in</strong>e offene Konflikt-Kultur <strong>in</strong> dieser<br />
Stadt! Gegen die Kapitulation vor Investitions-Invasionen!<br />
Abb. oben und rechts Details aus Wandgemälde <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
REBA SI; Fotos: Sha<br />
48
E l G a r i t o C i n e m a t i c o<br />
E<strong>in</strong>en Film zu schauen,<br />
ist eigentlich nichts Passives,<br />
knüpfen doch unzählige Möglichkeiten<br />
von Gefühlen und<br />
Gedankengängen unmittelbar<br />
an das soeben auf <strong>der</strong> Le<strong>in</strong>wand<br />
Erlebte an. Unser Wunsch ist<br />
es, dass die unterschiedlichen<br />
Impressionen nach außen gelangen,<br />
ausgetauscht werden.<br />
„El Garito C<strong>in</strong>ematico“ ist<br />
e<strong>in</strong> mobiles K<strong>in</strong>o. Der Vorführungsort<br />
wechselt mit je<strong>der</strong><br />
Veranstaltung. Für den Abend<br />
wird e<strong>in</strong> Treffpunkt ausgemacht<br />
und von dort aus e<strong>in</strong><br />
K<strong>in</strong>ospaziergang gestartet. Auf<br />
diesem Spaziergang geht man<br />
e<strong>in</strong>e best<strong>im</strong>mte Route ab und<br />
Hauswände werden dabei zu<br />
Projektionsflächen für Kurzfilme.<br />
O<strong>der</strong> „El Garito C<strong>in</strong>ematico“<br />
bleibt für e<strong>in</strong>em Abend<br />
an e<strong>in</strong>em Ort, an dem dann<br />
unter freiem H<strong>im</strong>mel gemütlich<br />
K<strong>in</strong>o gemacht wird. Draußen<br />
auf <strong>der</strong> Straße zu se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Öffentlichkeit, das ist das Entscheidende.<br />
Die Chance, Leute<br />
zufällig zu erreichen, ist auf <strong>der</strong><br />
Straße viel größer als <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
geschlossenen Raum. Es ist offen,<br />
wer wann dazu stößt und<br />
was <strong>im</strong> Anschluss an die Filmvorführung<br />
geschieht. Dieses<br />
Unerwartete macht das K<strong>in</strong>o<br />
offener und <strong>in</strong>teressanter.<br />
Auch die Chemnitzer Stadtstruktur<br />
spielt e<strong>in</strong>e entscheidende<br />
Rolle. So glauben wir,<br />
dass gerade die große Anzahl<br />
leerstehen<strong>der</strong> Häuser wun<strong>der</strong>bare<br />
Möglichkeiten <strong>der</strong> Nutzung<br />
bereithält. In unserem Fall<br />
erwachen die Häuser für e<strong>in</strong>en<br />
kurzen Augenblick und erzählen<br />
e<strong>in</strong>e Geschichte. Film und<br />
Ort werden e<strong>in</strong>malig <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />
gebracht.<br />
So auch am 4. Juni 2010<br />
zum Festival „Reba Sí!“ bei<br />
dem „El Garito C<strong>in</strong>ematico“<br />
mit e<strong>in</strong>er „Street Art“ – Openair-Vorführung<br />
dabei war. E<strong>in</strong>e<br />
Stunde lang folgten 100 Augenpaare<br />
den Kurzfilmen über<br />
<strong>in</strong>ternationale StraßenkünstlerInnen.<br />
Demnächst laden wir<br />
wie<strong>der</strong> zum Filmspazieren e<strong>in</strong><br />
und freuen uns darauf, mit euch<br />
durch die Straßen zu ziehen,<br />
Orte zu entdecken und Filme<br />
zu schauen.<br />
Mehr Infos unter: http://<br />
www.myspace.com/elgaritoc<strong>in</strong>ematico<br />
Abb. oben: ElGaritoC<strong>in</strong>ematico Plakat<br />
49
Me<strong>in</strong> Name ist Marco Lohr,<br />
ich b<strong>in</strong> Jahrgang 74, Muskelerkrankter<br />
und wohne seit 2000<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> „Stadt <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne“<br />
(Chemnitz) <strong>im</strong> ASB Wohnzentrum.<br />
Me<strong>in</strong>e Wurzeln s<strong>in</strong>d <strong>im</strong><br />
Erzgebirge, <strong>in</strong> Augustusburg.<br />
Im Jahr 2009 entdeckte ich<br />
für mich e<strong>in</strong> neues Hobby: das<br />
Fotografieren. Fotografieren<br />
heißt für mich, die Umwelt mit<br />
an<strong>der</strong>en Augen sehen und sie<br />
festhalten. Ich b<strong>in</strong> neugieriger<br />
und mutiger geworden, seit<br />
ich bewusst dieses Hobby betreibe.<br />
Der Drang etwas Neues<br />
auszuprobieren, war da. Ich<br />
machte mich mit me<strong>in</strong>er Kamera,<br />
Panasonic Lumix DMC-<br />
FS3, bei den Stadtrunden auf<br />
die Suche nach außergewöhnlichen<br />
Motiven und wurde<br />
fündig. Ich entdeckte Vieles,<br />
das ich vorher nicht so wahrgenommen<br />
hatte. Ich sah diese<br />
Stadt mit an<strong>der</strong>en Augen.<br />
Bald stellte ich mir die Fragen:<br />
„Nehmen die An<strong>der</strong>en das<br />
überhaupt war? Haben an<strong>der</strong>e<br />
Menschen sich das schon mal<br />
so angesehen?“<br />
Abb. unten: Lohr; Ausstellung; Foto: A.Schudeja; Abb rechte Seite oben l<strong>in</strong>ks: Portrait MarcoLohr;<br />
Foto: M.Lohr; Abb rechte Seite oben rechts: Jesus <strong>im</strong> Sche<strong>in</strong> <strong>der</strong> Abendsonne; Foto: M. Lohr<br />
F O T O A U S S T E L L U N G<br />
a n d e r e S i c h t w e i s e n<br />
Auf dem „Städtischen<br />
Friedhof“ habe ich die Ruhe<br />
<strong>in</strong> mir aufnehmen können. Es<br />
bleibt <strong>im</strong>mer etwas Gehe<strong>im</strong>nisvolles,<br />
wenn man sich dort<br />
bewegt. Die Entscheidung,<br />
me<strong>in</strong>e Fotos <strong>in</strong> schwarz-weiß<br />
zu machen, fand ich zwangsläufig<br />
für richtig. E<strong>in</strong>ige an<strong>der</strong>e<br />
Motive von Chemnitz<br />
setzte ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Serie Spiegelungen<br />
um, z.B. das älteste<br />
Wahrzeichen <strong>der</strong> Stadt, den<br />
„Roten Turm“ und das Karl-<br />
Marx-Monument, auch „Nischl“<br />
genannt. An<strong>der</strong>e Motive<br />
wählte ich, um Charakter,<br />
Farben, Perspektiven von<br />
<strong>der</strong> Stadt zu zeigen o<strong>der</strong> um<br />
sie mit Schnappschüssen zu<br />
portraitieren. Es entstanden<br />
über e<strong>in</strong>hun<strong>der</strong>t Fotos, die<br />
die Rollstuhlfahrerperspektive<br />
verdeutlichen.<br />
50
BA SI<br />
Rebecca Wieland stammt aus Mittelfranken, lebt seit 2006<br />
<strong>in</strong> Chemnitz und arbeitet <strong>der</strong>zeit als Physiotherapeut<strong>in</strong>. Neben<br />
fotorealistischer Malerei beschäftigte sie sich auch mit <strong>der</strong> exper<strong>im</strong>entellen<br />
Verb<strong>in</strong>dung von Materialcollage mit reliefartigen<br />
Strukturen aus Spachtelmasse und ungegenständlicher Acrylmalerei.<br />
Das Bild „The Borgias´Infamous Doma<strong>in</strong>“ entstand 2004 und<br />
zeigt e<strong>in</strong>e Treppe zu den Kerkern <strong>der</strong> Engelsburg <strong>in</strong> Rom. Wie<br />
auch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Gemälden, die nach fotografischen Abbildungen<br />
entstanden, <strong>in</strong>teressiert sich die Künstler<strong>in</strong> hier vor allem für die<br />
Darstellung e<strong>in</strong>es beson<strong>der</strong>en Lichte<strong>in</strong>falls an architektonischen<br />
Elementen.<br />
The Borgias´Infamous Doma<strong>in</strong>, 2004<br />
100x100 cm<br />
Dispersion auf Nessel<br />
(alle Farben aus Pigment, B<strong>in</strong>demittel und Wasser selbst angemischt)<br />
Abb. oben: Wieland; The Borgias´Infamous Doma<strong>in</strong>, 2004<br />
51
SChristoph<br />
52E BA<br />
Ott<strong>in</strong>ger<br />
Nach zwei Semestern Studium bei Prof. Ottmar Hörl an <strong>der</strong><br />
Akademie <strong>der</strong> bildenden Künste <strong>in</strong> Nürnberg kehrte Christoph Ott<strong>in</strong>ger<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Geburtsstadt Weißenburg <strong>in</strong> Bayern zurück. Dort<br />
betreibt er heute mit se<strong>in</strong>em Zwill<strong>in</strong>gsbru<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Irish Pub; se<strong>in</strong><br />
Atelier liegt über se<strong>in</strong>er Kneipe. Se<strong>in</strong>e Kunst ist bee<strong>in</strong>flusst vom<br />
späten Picasso und <strong>der</strong> Street-Art Keith Har<strong>in</strong>gs, doch ebenso das<br />
Schaffen Kand<strong>in</strong>skys prägt se<strong>in</strong>en Stil. Ott<strong>in</strong>ger: „Ich setze mich<br />
mit philosophischen Themen wie <strong>der</strong> Evolution ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> und<br />
lasse mich dabei von me<strong>in</strong>en St<strong>im</strong>mungen mitreißen. Mir liegt das<br />
schnelle Arbeiten. Teilweise trage ich direkt aus <strong>der</strong> Tube auf.“ Ott<strong>in</strong>ger<br />
stellte bereits <strong>in</strong> London und Paris aus. Prof. Sun Don Lee,<br />
<strong>der</strong> letztes Jahr auf <strong>der</strong> Biennale <strong>in</strong> Venedig vertreten war, empfahl<br />
Ott<strong>in</strong>ger bei <strong>der</strong> X-Power Gallery Kette. Vier se<strong>in</strong>er Werke stehen <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> größten Galerie <strong>in</strong> Taiwan zum Verkauf. Demnächst s<strong>in</strong>d auch<br />
e<strong>in</strong>ige se<strong>in</strong>er Bil<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> New Yorker X-Power Gallery zu sehen.<br />
Ott<strong>in</strong>ger: „Das Ziel e<strong>in</strong>es jeden Künstlers sollte es se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>en alten<br />
Meister <strong>in</strong> das Depot e<strong>in</strong>es Museums zu verbannen. Die Kunst an<br />
<strong>der</strong> Kunst ist es, als erster das Aktuelle zu aktualisieren. Sämtlichen<br />
Kunststilen davonlaufend nach Aufmerksamkeit schreiend etwas<br />
ästhetisch Neues zu schaffen. Ich betrachte me<strong>in</strong>e Malerei als e<strong>in</strong>e<br />
Art Selbstgespräch und hoffe, dass ich irgendwann bestätigt werde.“<br />
(Bild <strong>im</strong> Anhang) „long way“Acryl auf Le<strong>in</strong>wand 50x60cm<br />
price on request<br />
Abb. l<strong>in</strong>ks: Ott<strong>in</strong>ger; SEX 2 001; Abb. rechts: Ott<strong>in</strong>ger SEX 2 004
W i l l k o m m e n a n d e r G a l e r i e i m F e n s t e r – Kunst <strong>im</strong> Transitraum<br />
Die Galerie <strong>im</strong> Fenster (GiF) wird seit Sommer 2007 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reitbahnstraße<br />
84 mit wechseln<strong>der</strong> Intensität betrieben. Das Konzept<br />
<strong>der</strong> GiF steht nirgends geschrieben. Es ergibt sich unter an<strong>der</strong>em<br />
aus folgenden Koord<strong>in</strong>aten:<br />
- e<strong>in</strong>e leergezogene Drogerie-Markt-Schaufensterauslage<br />
- e<strong>in</strong> selbstverwaltetes Wohn- und Kulturprojekt<br />
- und e<strong>in</strong> todesmutiger, blutverschmierter weißrussischer Immigrant<br />
sowie an<strong>der</strong>e Aktive<br />
If you have problems with the police or if your unfair exsex<br />
partner demands genetic test to determ<strong>in</strong>e whether you are a parent<br />
or if you are an <strong>in</strong>ternational terrorist, who needs to escape<br />
arrest - than this is the right place for you!<br />
Es handelte sich hier weniger um e<strong>in</strong>e Kunstausstellung <strong>im</strong><br />
üblichen S<strong>in</strong>n son<strong>der</strong>n vielmehr um e<strong>in</strong>e Dokumentation e<strong>in</strong>es politisch-sozialen<br />
Langzeitprojektes. Dem kommt zu Gute, dass hier<br />
e<strong>in</strong> konzeptioneller Kunstansatz anstatt e<strong>in</strong>es handwerklichen vertreten<br />
wird. Die Bewohner des<br />
Viertels, Fußgänger, aber auch<br />
die Insassen <strong>der</strong> Busl<strong>in</strong>ien 22<br />
und 51 sowie die vielen Pendler<br />
haben <strong>in</strong> <strong>der</strong> GiF die Chance,<br />
ihre Kunst-Werke und Kunst-<br />
Konzepte ausstellen zu lassen.<br />
Vielleicht ist die GiF die höchstfrequentierte<br />
Galerie <strong>in</strong> Chemnitz<br />
und damit e<strong>in</strong> Fixpunkt für<br />
alternative städtische Lebensweisen.<br />
Neben <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en<br />
stadträumlichen Lage s<strong>in</strong>d es<br />
die unkonventionellen Inhalte,<br />
die diese Galerie ausmachen.<br />
In diesem S<strong>in</strong>ne setzte <strong>der</strong><br />
Kölner Künstler Andrey Ust<strong>in</strong>ov<br />
am 8.Mai 2010 mit se<strong>in</strong>er<br />
Performance „Nightmare“ e<strong>in</strong><br />
Zeichen für die GiF. Auf <strong>der</strong><br />
Kreuzung Bernsbachplatz/Gustav-Freytag-Straße<br />
(gegenüber<br />
<strong>der</strong> GiF) schlief er über<br />
Nacht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Schlafsack.<br />
Er wollte zeigen, dass an den<br />
verkehrsmäßig stark beanspruchten,<br />
aber städtebaulich<br />
bedeutsamen Punkten aktives<br />
Leben stattf<strong>in</strong>den kann und<br />
Nischenkunst <strong>im</strong> Transitraum<br />
möglich ist.<br />
Weitere Informationen unter:<br />
http://gif-gif.blogspot.com<br />
Abb. unten: gif - Boryana Rossa;<br />
Bootleg Garden; Dezember 09;<br />
Foto: R.Weisbach<br />
54
Künstlergruppe TONFilm - „ j u n g z u a l t z u j u n g “<br />
Dipl. Designer<strong>in</strong> für Keramik Annekatr<strong>in</strong> Schönert (Keramikatelier<br />
annTON)<br />
Dipl. Grafiker Ronald Weise (Atelier Weise)<br />
Annett Schudeja, M.A. und Georg Sp<strong>in</strong>dler, M.A. (Freie Mediengruppe<br />
„b<strong>in</strong>ario stern“)<br />
Bernsdorfer Str. 65, 09126 Chemnitz<br />
E-Mail: TONFilm@b<strong>in</strong>ario-stern.de<br />
Homepage: www.tonfilm.b<strong>in</strong>ario-stern.de<br />
Wir s<strong>in</strong>d die Künstlergruppe TONFilm und 2009 haben wir e<strong>in</strong>en<br />
An<strong>im</strong>ationsfilm mit keramischen Plastiken produziert. Inhaltlich<br />
wollten wir uns mit dem Zusammenleben von Jung und Alt ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen,<br />
deshalb haben wir Menschen verschiedener Generationen<br />
<strong>in</strong> das Projekt e<strong>in</strong>gebunden. Für uns waren sie die „Experten<br />
<strong>der</strong> Wirklichkeit“, denn ihre Erfahrungen und Lebensauffassungen<br />
s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die Produktion e<strong>in</strong>geflossen. Im Gruppengespräch kamen<br />
die Vorurteile über die jeweils an<strong>der</strong>e Generation auf den Tisch.<br />
Es entwickelten sich aber auch Utopien zum Zusammenleben <strong>der</strong><br />
Generationen. Die Ergebnisse <strong>der</strong> Diskussionen überführten wir <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e künstlerische Praxis. Zuerst<br />
<strong>in</strong>szenierten und spielten<br />
wir typische Handlungen zum<br />
Thema nach, prägnante Gesten<br />
hielten wir fotografisch fest. Je<strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>zelne Projektteilnehmer<br />
entwickelte auf Basis dieser<br />
Gruppenarbeit e<strong>in</strong>e charakteristische<br />
Figur mit e<strong>in</strong>er best<strong>im</strong>mten<br />
Körperhaltung. Realität<br />
und Utopie konnten sich<br />
dabei vermischen, die Jungen<br />
entwickelten e<strong>in</strong>en Alterscharakter<br />
und umgekehrt. Dann<br />
setzen wir diese Vorstellungen<br />
zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong> Beziehung und<br />
verfe<strong>in</strong>erten sie. Anhand umfangreicher<br />
Bildmaterialien<br />
wurden die verschiedenen sti-<br />
listischen Möglichkeiten und<br />
Techniken <strong>der</strong> Gestaltung von<br />
keramischen Plastiken vorgestellt.<br />
Langsam konkretisierten<br />
sich die Figuren <strong>in</strong> grafischen<br />
Skizzen und plastischen Modellen.<br />
In H<strong>in</strong>blick auf die Stop-<br />
Motion-An<strong>im</strong>ationstechnik,<br />
die später be<strong>im</strong> Filmworkshop<br />
zum E<strong>in</strong>satz kommen sollte,<br />
galt es, für jede Figur e<strong>in</strong>en<br />
beweglichen Körperteil zu def<strong>in</strong>ieren.<br />
Hierbei handelte es sich<br />
zugleich um e<strong>in</strong>e symbolische<br />
Reduktion. Die beweglichen<br />
Teile haben später <strong>im</strong> Film dazu<br />
beigetragen, dass die <strong>in</strong> Ton<br />
gebrannten Haltungen e<strong>in</strong>e<br />
Umwertung erfahren konnten.<br />
Abb.: TONFilm Kampfoma; Foto: R. Weise<br />
55
56<br />
Abb.: TONFilm; Foto: R. Weise
Während des Kulissenworkshops<br />
entstand die Idee, dass<br />
die Filmhandlung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Welt<br />
beg<strong>in</strong>nt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es so wenig<br />
junge Menschen gibt, dass<br />
sie als Plastiken verkörpert <strong>im</strong><br />
Museum stehen und von den<br />
Alten wie Raritäten betrachtet<br />
werden. Der Handlungsort<br />
„Museum“ sollte <strong>der</strong> Verknüpfungspunkt<br />
für die an<strong>der</strong>en<br />
Filmszenen werden. Davon abgesehen<br />
ließen wir den Ablauf<br />
<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Szenen bis zu<br />
Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Dreharbeiten völlig<br />
offen. Es gab ke<strong>in</strong> Drehbuch.<br />
Alle weiteren szenischen<br />
Handlungsabläufe wurden <strong>im</strong><br />
An<strong>im</strong>ationsfilmworkshop erprobt.<br />
Dabei ließen wir uns leiten<br />
von den Körperhaltungen<br />
<strong>der</strong> Figuren (<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e den<br />
beweglichen Teilen) und ihrem<br />
Verhältnis zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> sowie<br />
ihrem Verhältnis zur Szenerie.<br />
Die erste gefilmte Sequenz <strong>in</strong>spirierte<br />
die folgende und so<br />
g<strong>in</strong>g es Sequenz für Sequenz,<br />
Szene für Szene weiter. Dank<br />
dieser sequentiellen Produktionsweise<br />
fanden wir sowohl<br />
<strong>in</strong>haltlich als auch formal zu<br />
e<strong>in</strong>em gem<strong>e<strong>in</strong>samen</strong> filmischen<br />
Ausdruck. Dazu gehörte auch<br />
die beson<strong>der</strong>e Ton- und Musikgestaltung.<br />
Die Dialoge<br />
wurden nicht gesprochen, son<strong>der</strong>n<br />
durch st<strong>im</strong>mliche Lautmalereien<br />
ersetzt, ebenso die<br />
gesamte Geräuschkulisse. Bei<br />
den Filmaufnahmen stellten<br />
wir fest, dass die Tonplastiken<br />
dank ihrer beweglichen Teile<br />
selbst Töne von sich gaben.<br />
Diese nahmen wir auf und<br />
sampelten sie für die Musik <strong>im</strong><br />
Vor- und Abspann des Films.<br />
Sowohl <strong>der</strong> Bau <strong>der</strong> Plastiken<br />
und Kulissen, als auch die Filmarbeiten<br />
(und damit letztlich<br />
auch die Filmhandlung) waren<br />
von unvorhersehbaren kreativen<br />
Impulsen geprägt. Durch<br />
die sequenzielle Arbeitsweise<br />
konnte je<strong>der</strong> auf den Ideen<br />
<strong>der</strong> An<strong>der</strong>en aufbauen und so<br />
entwickelte sich Respekt zwischen<br />
Jung und Alt.<br />
Im Film selbst sche<strong>in</strong>en die<br />
58
keramischen Plastiken bereit<br />
für den Zusammenstoß; doch<br />
<strong>in</strong> den entscheidenden Momenten<br />
weichen sie e<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
aus. Dies ist exemplarisch für<br />
das Zusammenleben <strong>der</strong> Generationen<br />
heute mit <strong>der</strong> e<strong>in</strong>geschränkten<br />
Bewegungsfreiheit<br />
und all dem z<strong>im</strong>perlichen<br />
Verhalten, um nicht verletzt<br />
zu werden. Doch dann gibt es<br />
<strong>im</strong> Film diese kurzen irrationalen<br />
Handlungsmomente. Die<br />
Übergänge zu ihnen s<strong>in</strong>d fließend,<br />
trotzdem n<strong>im</strong>mt sie <strong>der</strong><br />
Zuschauer wahr. Lässt er sich<br />
auf sie e<strong>in</strong> und geht <strong>der</strong> Irritation<br />
nach, werden viele Bil<strong>der</strong><br />
des Films zu Vexierbil<strong>der</strong>n. Sie<br />
eröffnen e<strong>in</strong>e alternative Sichtweise<br />
und neue Assoziationen.<br />
Die keramischen Plastiken<br />
des An<strong>im</strong>ationsfilms waren<br />
während des Festivals Reba Sí<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Galerie <strong>im</strong> Fenster (GiF)<br />
zu sehen.<br />
Abb. l<strong>in</strong>ks oben:<br />
TONFilm; Modell 2;<br />
Abb. l<strong>in</strong>ks Mitte:<br />
TONFilm; Modell 3<br />
Abb. l<strong>in</strong>ks unten:<br />
TONFilm; Modell<br />
Abb rechts:<br />
TONFilm;Fertigung;<br />
Fotos: R. Weise<br />
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