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Aktuelle Tendenzen der Siedlungsentwicklung - Metropole Ruhr

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Prof. Dr. Thorsten Wiechmann, TU Dortmund

Impuls zum Fachdialog Siedlungsentwicklung

Anrede & Begrüßung,

Wenn wir einmal vereinfachend Schrumpfung an der Entwicklung der Zahl der

Einwohner festmachen, schrumpft das Ruhrgebiet seit nunmehr fast vierzig

Jahren und es ist äußerst unwahrscheinlich, dass sich dieser Trend in den

kommenden Jahren umkehrt.

In den Jahren 2003 bis 2010 haben acht kreisangehörige Gemeinden im RVR-

Verbandsgebiet (die meisten davon im Kreis Wesel) an Einwohnern zugelegt.

Alle elf kreisfreien Städte sowie 34 kreisangehörige Kommunen in den vier

Landkreisen haben Einwohner verloren. In manchen Fällen lag dieser Verlust –

wie z.B. in Dortmund, Hamm oder Moers bei unter -1 % in 7 Jahren, in anderen

Fällen, wie in Marl, Hagen oder Gelsenkirchen, bei z.T. deutlich über -4 %.

Insofern ist es angebracht die Entwicklung im Ruhrgebiet ein wenig

differenzierter zu betrachten: im Wegweiser Kommune hat die Bertelsmann

Stiftung zuletzt im vergangenen Jahr bundesweit alle Kommunen über 5.000

Einwohner im Rahmen einer Clusteranalyse (die ausschließlich auf IST-Daten

beruht) in insgesamt neun Demographietypen eingeteilt, also

Gemeindegruppen, die demographisch und sozio-ökonomisch ähnliche

Charakteristika aufweisen.

Die Gemeinden des RVR sind ganz überwiegend lediglich drei Demographietypen

zugeordnet:

• 11 Städte dem Demographietyp 7 „Urbane Zentren mit heterogener

wirtschaftlicher und sozialer Dynamik“ (mit insg. 3,1 Mio. Einwohnern

wohnen deutlich mehr als die Hälfte der Einwohner im RVR-Gebiet in diesen

Städten)

• 28 Städte und Gemeinden (mit insg. 1,7 Mio. Einwohnern) dem

Demographietyp 6 „Mittelgroße Kommunen geringer Dynamik im Umland

von Zentren und im ländlichen Raum“

• 6 Städte und Gemeinden (mit insg. 127.000 Einwohnern) dem

Demographietyp 4 „Stabile Kommunen im weiteren Umland größerer

Zentren“

Die in keinem dieser drei Cluster erfassten 8 Gemeinden sind alle kreisangehörig und haben

insg. weniger als 200.000 Einwohner. *acht „Sonderfälle“: dreimal 1 und 5, einmal 3 und 8,

gar nicht 2 oder 9, insg. 198.000 Einwohnern]

1


Lassen uns daher auf die drei Demographietypen schauen, die das Ruhrgebiet im

Wesentlichen prägen:

Typ 7: Urbane Zentren mit heterogener wirtschaftlicher und sozialer Dynamik

(bundesweit 97; im RVR 11 Kommunen)

Hierbei handelt es sich um die großstädtischen Zentren im Ruhrgebiet.

Demographische Auffälligkeiten:

• urbane Zentren mit hoher Einwohnerdichte

• Arbeitsplatzzentren, trotzdem geringe wirtschaftliche Dynamik

• (Typ:) stabile demographische Entwicklung: nicht aber im Ruhrgebiet!

• viele Einpersonenhaushalte, wenige Familien

• geringe Kaufkraft

• viele Sozialhilfebedürftige und arme Kinder

Spezifische Potenziale:

• viele hochqualifizierte junge Menschen, die für Ausbildung und Studium oder den

Berufsstart in die Städte gekommen sind,

• ein großes Kontingent an Fachkräften, Know-how und Kompetenzen in den

Arbeitsplatzzentren,

• hervorragende Bildungs-, Forschungs- und Entwicklungsinfrastrukturen,

• Wohnqualitäten, mit denen Reurbanisierungstrends für die Entwicklung genutzt werden

können – für neue „Urbanitäten“ können auch altindustrielle Standorte attraktiv sein

• eine große Zahl an Migrantinnen und Migranten, die mit ihrer Lern- und Aufstiegsmotivation

die wirtschaftliche und soziale Vielfalt und Entwicklung der Städte und

Gemeinden voranbringen können

Typ 6: Mittelgroße Kommunen geringer Dynamik im Umland von Zentren und im

ländlichen Raum (bundesweit 404; im RVR 28 K.)

Hierbei handelt es sich um das nördliche, östliche und südliche Umland der

großstädtischen Zentren im Ruhrgebiet

Demographische Auffälligkeiten:

• kleine und mittelgroße Städte,

• städtischer Charakter mit hohe Bevölkerungsdichte

• viele Alleinlebende, viele ältere, wenige jüngere Menschen,

• bisher (relativ) stabile Bevölkerungsentwicklung, zukünftig aber Bevölkerungsverluste

• relativ geringer Wohlstand

Spezifische Potenziale:

• wirtschaftliche Situation relativ stabil

• attraktive Wohnstandorte für unterschiedliche Gruppen, vor allem für Familien und

Senioren

• durch die relativ dichte Siedlungsstruktur sind die technischen Netzinfrastrukturen

robuster und die sozialen Infrastruktur flexibler als in Gebieten geringer Dichte; in der

Folge sind rückläufige Kapazitätsauslastungen leichter zu verkraften und die

Infrastrukturen leichter an Nachfrageänderungen anzupassen

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Typ 4: Stabile Kommunen im weiteren Umland größerer Zentren (bundesweit 518; im RVR

6 Kommunen)

Hierbei handelt es sich um das westliche und (entferntere) nördliche Umland der

großstädtischen Zentren im Ruhrgebiet

Demographische Auffälligkeiten:

• kleinere Städte und Gemeinden im erweiterten Umland großer und mittelgroßer Städte,

• stabile Einwohnerentwicklung

• vergleichsweise junge Bevölkerung

• hohe Kaufkraft und geringe Einkommensarmut

• geringe Bedeutung als Arbeitsort

• gute Finanzsituation der öffentlichen Haushalte

Spezifische Potenziale:

• (Rand)Lage in prosperierenden Wirtschaftsräumen

• gute Wohn- und Wohnumfeldqualität

• gute Altersstruktur

• vergleichsweise gute Finanzsituation

Typ 4 sind also eher die positiven Ausnahmen. Wenn wir von der

überwiegenden Mehrheit der Ruhrgebietskommunen ausgehen, sehen die

Prognosen in den allermeisten Fällen negativ aus – ohne dass ich mich an

dieser Stelle auf eine Diskussion der Validität und Aussagekraft einzelner

Prognosen von IT NRW oder von unabhängiger Seite einlassen möchte. Das

Ausmaß der erwarteten Einwohnerrückgänge ist dabei auch regional sehr

unterschiedlich und würden derartige Prognosen auch auf teilstädtischer Ebene

gerechnet, kämen gerade in den Hellwegstädten sehr heterogene Ergebnisse

zustande.

Die generelle Entwicklungsrichtung scheint mir jedoch relativ klar vorgezeichnet.

Wir werden es im Ruhrgebiet wie schon in den letzten Jahrzehnten

auch weiterhin mit rückläufigen Einwohnerzahlen zu tun haben.

Allerdings verstellt diese pauschale Feststellung den durchaus notwendigen

Blick auf die räumlich, sozialstrukturell und zeitlich hochgradige differenzierte

Entwicklung im Ruhrgebiet wie ich sie mit dem Verweis auf die

Demographietypen versucht habe deutlich zu machen. So zeigen zum Beispiel

eine ganze Reihe von schrumpfenden Städten und Gemeinden im Ruhrgebiet

positive Wanderungssalden, so dass sich die Schrumpfung hier ausschließlich

aus dem negativen natürlichen Saldo ergibt – und damit primär aus dem

aufgrund der niedrigen Fertilität vorhandenen Geburtendefizit. In anderen

Fällen tragen auch Abwanderungsüberschüsse zur Schrumpfung bei. Dies

insbesondere dann, wenn jungen Menschen abwandern, was sich mittelbar

wieder auf eine sinkende Fertilität niederschlägt.

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Aber auch wenn die Einwohnerzahl sinkt, muss das nicht gelichbedeutend sein

mit einem Rückgang der Haushaltszahlen. Der Trend zu kleineren Haushaltsgrößen

und insbesondere in Ballungsräumen die starke Zunahme als (jüngeren

und älteren) Singlehaushalten führt nicht selten zu einem weiteren Anstieg der

Haushaltszahlen und damit der Nachfrage nach Wohnungen trotz sinkender

Einwohnerzahlen.

Bei der Frage nach dem künftigen Wohnbaulandbedarf gilt es einen weiteren

Umstand zu beachten: Das auf dem Prinzip der Angebotsplanung basierende

deutsche Planungssystem verleiht Baurechte, ohne damit Baupflichten zu

verbinden. Die tatsächliche Flächennutzung bleibt in erheblichem Maße dem

Marktverhalten des Eigentümers überlassen. Örtlich auftretende Baulandknappheit

beruht daher weniger auf in der Summe fehlenden Bauflächen als

vielmehr auf der mangelnden Verfügbarkeit bedarfsadäquater Bauflächen. Die

Überwindung dieser als „Baulandparadox“ bezeichneten Situation gilt als eine

der wichtigsten Aufgaben auf dem Weg zu einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung.

Die in Deutschland in den letzten Jahren zu beobachtenden Siedlungstrends

zeigen sehr unterschiedlichen Entwicklungen. Einerseits lassen sich vielerorts

Reurbanisierungstendenzen erkennen. Offensichtlich gewinnen die Kernstädte

als Wohnstandorte wieder an Attraktivität. Anderseits werden Bauvorhaben

nach wie vor vorrangig auf bisher unbebauter Fläche realisiert, schreitet die

Suburbanisierung unserer Verdichtungsräume und die Zersiedlung der

Stadtregionen fort. Das Stadtumland profitiert von den Standortvorteilen der

gesamten Stadtregion, beteiligt sich jedoch nur eingeschränkt an den Kosten

und kann auf der „grünen Wiese“ kostengünstigere Entwicklungsmöglichkeiten

anbieten. Die Baulanderschließung im suburbanen Raum entspricht damit oft

besser den Präferenzen von Unternehmen und privaten Haushalten als Flächen

im städtischen Bestand.

Eine Gemeinde, die etwa aus Gründen des Freiraumschutzes freiwillig auf eine

Außenentwicklung verzichtet, muss daher einen Wettbewerbsnachteil gegenüber

den Nachbargemeinden befürchten. Wenn alle Gemeinden in gleicher

Weise das verfügbare Baulandangebot erhöhen, führt die aus der Sicht einer

einzelnen Gemeinde rationale Strategie eines weiteren Flächenangebots zu

kollektiv suboptimalen Strategien. Folge dieses „Baulanddilemmas“ ist eine

unerwünschte disperse regionale Siedlungsstruktur mit negativen ökologischen

Effekten und hohen Infrastrukturkosten für Neubau an dem einen und

Unterauslastung an anderen Orten.

4


Welche Konsequenzen und Handlungsnotwendigkeiten ergeben sich nun aus

diesen skizzierten Entwicklungen für die Regionalentwicklung?

Sollten die Städte und Gemeinden sich den zu erwartenden weiteren

Einwohnerrückgängen anpassen oder sollten sie aktiv entgegensteuern?

Verstärkt eine Anpassung an die Schrumpfung nicht den unerwünschten

Bevölkerungsrückgang?

Andererseits: birgt eine wachstumsorientierte Strategie nicht das Risiko

massiver Fehlallokationen, wenn das Wachstum sich dann nicht einstellt

oder höchstens auf Kosten des Nachbarn realisieren lässt?

Lohnt sich die Erschließung neuen Wohnbaulandes überhaupt langfristig für

die Kommunen, wenn die Gefahr besteht, dass dieses nicht plangemäß

genutzt wird oder auf den Markt kommt?

Werden die langfristigen Infrastrukturfolgekosten ausreichend bedacht?

Und erfordert die Erhaltung von leistungsfähigen Infrastrukturen unter

Schrumpfungsbedingungen nicht eine Konzentration auf kompakte

Siedlungsbereiche?

Lassen Sie mich zu diesen elementaren Fragen für die künftige Siedlungsentwicklung

im Ruhrgebiet abschließend fünf Thesen formulieren.

These 1:

Bei der Ausweisung von Siedlungsflächen im Regionalplan muss die langfristige

demographische Entwicklung beachtet werden. Nicht der leicht nachvollziehbare

politische Wunsch nach neuem Wachstum sollte Basis der Planung

sein, sondern eine nüchterne Analyse der erkennbaren Trends und Potenziale.

Insbesondere sollten vorgesehene Siedlungsflächenerweiterungen in ihrer

Begründung die demographischen Rahmenbedingungen berücksichtigen und

die langfristigen Folgen solcher Erweiterungen sollten von Beginn an auch mit

Blick auf die Nachbarkommunen und die regionalen Auswirkungen abgeschätzt

werden.

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These 2:

Die Frage nach einem angemessenen Angebot an neuen Bauflächen für den

Wohnungsbau, aber auch für die wohnungsnahe Infrastruktur, darf nicht nur

an Quantitäten festgemacht werden. Auch die Qualität des vorhandenen

Angebotes sowie die qualitativ differenzierte Neubaunachfrage müssen

berücksichtigt werden. So wird die Nachfrage nach Wohnangeboten für Single-

Haushalte, für „junge Alte“ und hochbetagte Menschen sowie für bestimmte

Migrantengruppen eher steigen. Auch für junge Familien entspricht das

vorhandene Angebot oft qualitativ (oder preislich) nicht der vorhandenen

Nachfrage.

These 3:

Die Ausweisung neuer Siedlungsflächen sollte vermieden werden, solange im

Innenbereich bzw. auf vormals baulich genutzten Flächen quantitativ und

qualitativ ausreichend Bauland zur Verfügung gestellt werden kann. Um

jüngere hochqualifizierte Menschen (und ihre Familien) im Ruhrgebiet zu

halten, sollte verstärkt auf die – nicht nur in Deutschland – zu beobachtenden

Reurbanisierungstrends gesetzt werden. Gerade das Ruhrgebiet hat bewiesen,

dass auch altindustrielle Standorte für neue „Urbanitäten“ attraktiv sein

können.

These 4:

Um zu einer nachhaltigen Sicherung der vorhandenen technischen und sozialen

Infrastrukturen 1 auf der regionalen Ebene beizutragen, sollte die zukünftige

Ausweisung von „Allgemeinen Siedlungsbereichen“ (ASB) verstärkt auf dem

vorhandenen Infrastrukturbestand ausgerichtet werden. Eine entsprechende

GIS-gestützte Methodik mit der potentielle und bestehende ASB-Flächen

bewertet werden können, wurde im Rahmen der aktuellen Fortschreibung des

Regionalplans Düsseldorf entwickelt und könnte auch hier zur Anwendung

kommen. Dies würde eine kostengünstige und verkehrsvermeidende Versorgung

der Wohnbevölkerung mit sozialen und technischen Infrastrukturleistungen

nachhaltig fördern.

1

Technische Infrastruktur, Ver- und Entsorgung: Abfall, Wasser, Abwasser, Elektrizität, Gas, Fernwärme,

Telekommunikation, Internet (Breitband), Rundfunk (Radio, Fernsehen), Verkehr: Schiene, Straßen, ÖPNV

Soziale Infrastruktur: Bildung / Weiterbildung (Kita, Schulen, Hochschulen, Volkshochschulen etc. pp.),

Bibliotheken, Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung, Jugendhilfe, Pflege, Altenheime, Kulturförderung,

Theater, Museen, Sportförderung, Sportstätten, Schwimmbäder

Sicherheit und Ordnung: Polizei, Brand- und Katastrophenschutz, Feuerwehr, Rettungsdienst, Deichbau,

Straßenreinigung / Und sonst?: Post, Friedhöfe, E-Government, Finanzdienstleistungen, Banken und

Sparkassen, Versicherungsdienstleistungen, Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor, Arbeitsmarktpolitik,

Arbeitsförderung

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These 5:

Zur Überwindung der als „Baulandparadox“ bezeichneten Situation mit örtlich

auftretender Baulandknappheit trotz ausreichend ausgewiesener Bauflächen

sowie des „Baulanddilemmas“ mit regional unerwünschten Folgen

kommunalen Wettbewerbes sollte über die Erarbeitung des Regionalplanes

hinaus ein Regionales Flächenmanagement mit verbesserter – freiwilliger –

Kooperation der Kommunen und weiterer Akteure, die mit der Planung und

Umsetzung von Bauvorhaben befasst sind, erfolgen. Ein solches Regionales

Flächenmanagement müsste Monitoring, Planung und Umsetzung eng

miteinander verknüpfen. Vorbild könnte die hier die vor einigen Jahren im

regionalen Konsens abgestimmte Ausweisung von Wohnbauflächen in der

Region Bonn / Rhein-Sieg / Ahrweiler sein.

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