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Unkorrigiertes Skript der Predigt von Pfarrer Dr. Dieter Koch zu 1. Mose 11,1-9 am Pfingstsonntag,<br />

den 12.6.2011 in der Simeonskapelle, Wohnstift Augustinum Stuttgart<br />

Liebe Gemeinde, die Geschichte vom Turmbau zu Babel ist eine faszinierende Geschichte. Sie löst<br />

eine Kaskade von Bildern und Assoziationen aus. Türme - Meisterleistungen der Architektur,<br />

grandiose Gestalten voller Eleganz. Der erste Wolkenkratzer war das Home Insurance Building in<br />

Chicago. Es wurde übertrumpft vom Empire State Building in New York, jahrzehntelang der Inbegriff<br />

dieser den Triumph der Moderne darstellenden Bauweise. Ein Skelett aus Stahlsäulen und<br />

Stahlträgern, eine Haut aus Stein und Glas darüber gezogen, eine aufgerichtete Nadel, die in den<br />

Himmel sticht. Längst gibt es höhere Gebäude. Für kurze Zeit waren die Zwillingstürme des World<br />

Trade Centers in New York, 412 m hoch, die höchsten Gebäude der Welt, bis der Sears Tower in<br />

Chicago im Wettlauf um Ruhm und Ehre eine Höhe von 443m erklomm, um abgelöst zu werden von<br />

den Petronas Towers in Kuala Lumpur mit ihren 452 m. Eine ‚bescheiden‘ wirkende Höhe angesichts<br />

der 828 m, auf die es der derzeit höchste Wolkenkratzer bringt, der Burj Khalifa in Dubai,<br />

fertiggestellt im Jahre 2010. Sie alle sind Ikonen der Ingenieurskunst! Und doch steht hinter all diesen<br />

Gebäuden der Wettkampf um Ruhm und Ehre, die Sehnsucht, berühmt zu werden und die große<br />

Gefahr vom Absturz in den Größenwahn.<br />

Schon immer strebten Herrscher sich in prachtvollen Bauwerken zu inszenieren und zu verewigen.<br />

Unwillkürlich gehen die Gedanken in die arabischen Emirate. Traumhafte Hotels, Inszenierungen<br />

unvorstellbar scheinenden Luxus, in das Meer gebaute Palmenstädte, Skihallen mitten in der<br />

glutheißen Wüste und 2022 eine Fußballweltmeisterschaft in futuristischen Stadien, für wen? Um<br />

welchen Preis?<br />

Der Turmbau zu Babel blieb unvollendet, andere Türme wurden Zielobjekt des Hasses, wie die<br />

Zwillingstürme des World Trade Centers am 11.9.2001. Mehr als 3000 Menschen wurden an einem<br />

Tag ausgelöscht, im verbrecherischen Angriff islamistischer Terroristen auf ein Symbol der freien<br />

Welt. Pieter Brueghel malte seinen Turmbau zu Babel 1563 mit dem römischen Kolosseum im<br />

Gedächtnis und dem wirren Treiben der prosperierenden Stadt Antwerpen vor Augen. Peter Brauchli<br />

verfremdete 1979 Brueghels Turmbau, indem er ihn mit dem Kühlturm eines Atomkraftwerks<br />

verschmolz.<br />

Die in knappen Zügen meisterhaft erzählte Geschichte vom Turmbau zu Babel bildet den Abschluss<br />

der biblischen Urgeschichte. Ein in vielen Überlieferungen begegnendes Motiv, das Streben, einen<br />

Turm zu bauen, der den Zorn der Götter weckt, wird hier zum Schlussbild jener Geschichten, in<br />

denen der biblische Realismus des Menschen Art und Lage ausmisst. Es ist eine Kette der<br />

Verfehlungen in Sündenfall, Brudermord und Turmbau. Das Böse, das in den Menschen wirkt, die<br />

zerstörerische Macht der Sünde, wird aufgedeckt. Da ist das Verlangen, wie Gott sein zu wollen.<br />

Größenwahn treibt die Menschheit in ein gigantisches Werk. Indem der biblische Erzähler als Motiv:<br />

‚Lasst uns einen Namen machen‘ anführt, zeigt er, was den Turm hervor treibt. Der Turm zu Babel ist<br />

ein monumentaler Tempelbau. Sein historisches Vorbild bildeten die Tempeltüre des<br />

Zweistromlandes, in Fronarbeit erbaut von zahlreichen jüdischen Deportierten.<br />

Doch was uns vorliegt, ist mehr als eine geschichtliche Erinnerung. Es ist eine exemplarische<br />

Urgeschichte. Der Turmbau steht für den immer neu aufbrechenden Größenwahn. Die<br />

Sprachverwirrung ist Gottes Antwort. Mit Sinn für Ironie lässt der Erzähler den Himmelsherrn<br />

herabsteigen, um das in den Augen der Menschen so epochale Werk zu betrachten, eine Petitesse in<br />

seinen Augen. Gott lässt die Seifenblase menschlicher Großtuerei platzen. Kein zorniges Eingreifen


einer verängstigten Gottheit, kein Feuersturm, der Bauwerke in Asche legt, ist notwendig. Die bloße<br />

Berührung der Zungen genügt und schon ist der ganze tolle Spuk verflogen. Die Wörter verlieren ihre<br />

Eindeutigkeit. Aus dem Miteinander ist das Gegeneinander, aus dem Sicherverstehen das Sich-nichtmehr-Verstehen<br />

geworden. Was sich wie Strafe liest, ist zugleich wohltuende Begrenzung jedes<br />

Totalisierungsstrebens.<br />

Die Turmbaugeschichte wird seit alters verstanden als die Lehrgeschichte für den Schrecken, der<br />

dem frevlerischen Hochmut innewohnt. Seine Antriebskraft ist die Selbstliebe bis hin zur<br />

Gottesverachtung. Der Sündenfall geht weiter und vervielfältigt sich zugleich. Wir alle sind<br />

Nachkommen der Ureltern in ihrem Versagen der Schlange gegenüber. Wir alle sind Nachkommen<br />

Kains und dann Lamechs, zum Brudermord, zur hemmungslosen Vergeltung fähig. Wir alle sind, ob<br />

aus Angst, ob aus Ruhmsucht, Nachkommen der Turmbauergeneration. Babel ist überall und mit<br />

Babel die wirtschaftliche, politische und religiöse Großmannssucht. Die Technik führt nur aus, was<br />

aus der Wahnfabrik des menschlichen Geistes geboren wird – immer neue Träume eines goldenen<br />

Zeitalters, eines erfüllten Daseins, Trugbilder, gleich ob imperiale Machtphantasien vermeintlich<br />

auserwählter Völker oder der Wahn der genetischen Manipulation. Das menschliche Genom ist<br />

entschlüsselt und zugleich patentiert für die Gewinninteressen von Biotech-Firmen. Kann man das<br />

wirklich wollen? Ein neuer Turmbau ist im Entstehen. Doch muß man innehalten und sich selber<br />

entdecken in dieser Geschichte. Wie viel ist in uns, das uns falsche Träume vorgaukelt. Die ewige<br />

Schönheit, der Körperkult, das gewissenlose Streben nach beruflichen Positionen. Der Egoismus<br />

treibt tausend Blüten hervor, aber er zerstört so viel. Hochmut prägt auch viele Bereiche der Kultur<br />

und inszenierte Demut ist eine seiner übelsten Gestalten.<br />

Der Kern des menschlichen Hochmuts, was ihn in den Frevel an der Natur, an Gott, an sich selbst<br />

treibt ist, „dass der Mensch seine Endlichkeit nicht anerkennen will. Er macht seinen kleinen<br />

Verstand zum Richter über alles. „ Er schreibt seinen endlichen kulturellen Schöpfungen unendliche<br />

Bedeutsamkeit zu und macht sie dadurch zu Götzen, nämlich zu Gegenständen unendlichen<br />

Anliegens…. Eine dämonische Macht treibt den Menschen dazu, natürliche Selbstbejahung mit<br />

zerstörerischer Selbstüberhebung zu verwechseln“, so formulierte es der große Theologe Paul Tillich.<br />

Die Geschichte vom Turmbau zu Babel ist von zeitloser Wahrheit. Jede Zeit, jede Kultur begegnet sich<br />

hier im Spiegel der potentiellen Selbstgefährdung. Gigantomachie und Verstiegenheiten aller Art<br />

brechen immer neu auf. Wir alle sind Turmbauer, verlangen nach der totalen Liebe, fordern ewige<br />

Gesundheit ein, plündern den Planeten aus, zerstören damit unsere eigenen Lebensgrundlagen und<br />

überschwemmen unsere Umwelt mit Müll und Gift und merken so wenig, wie wir uns selber darin<br />

vergiften und zumüllen. Doch das gute, das gelingende Leben vollzieht sich in der Liebe zum Kleinen,<br />

im Sinn für die Geschenke im Alltag, in der gnadenhaften Öffnung auf Gott, der uns einen Namen,<br />

unsere Würde schenkt, um die wir nicht im Wettstreit um Ruhm und Ehre kämpfen müssen. Die<br />

Gegengeschichte zum Turmbau zu Babel ist deshalb das Pfingstereignis. Eine Gemeinschaft, geboren<br />

aus der Liebe Gottes, verbindet sich aus aller Welt Zungen, ohne Einheitswahn, ohne auferlegten<br />

Normierungsdruck. Der Geist der Freundschaft ruft aus der Verstiegenheit zurück in die Liebe<br />

füreinander, in die Demut des Verstehens, in das Geheimnis des Empfangens, in die Annahme<br />

unseres bruchstückhaften, aber gottgesegneten Lebens. Glaube bricht den Hochmut, Liebe heilt den<br />

Frevel unseres Tuns.

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