TTB 209 - Asimov, Isaac - Der Todeskanal - oompoop
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ISAAC ASIMOV<br />
DER TODESKANAL<br />
ERICH PABEL VERLAG KG • RASTATT/BADEN
Titel des Originals:<br />
NIGHTFALL – 2. Teil<br />
Aus dem Amerikanischen übertragen<br />
von Dr. E. Sander<br />
INHALT<br />
Die Experimentatoren (Breeds there a Man?)<br />
<strong>Der</strong> <strong>Todeskanal</strong> (C-Chute)<br />
Die Geschichte eines Helden (In a good Cause …)<br />
Was, wenn … (What if …)<br />
<strong>Der</strong> Außenseiter (Segregationist)<br />
TERRA-Taschenbuch Nr. <strong>209</strong><br />
TERRA-Taschenbuch erscheint vierzehntäglich im<br />
Erich Pabel Verlag KG, 7550 Rastatt, Pabelhaus<br />
Copyright © 1969 by <strong>Isaac</strong> <strong>Asimov</strong><br />
Titelbild: Rita Mühlbauer, Hanno Rink<br />
Redaktion: G. M. Schelwokat<br />
Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG<br />
Gesamtherstellung: Zettler, Schwabmünchen<br />
Einzelpreis: 2,80 DM (inkl. 5,5% MWST)<br />
Verantwortlich für die Herausgabe in Österreich: Waldbaur Vertrieb,<br />
A-5020 Salzburg,<br />
Franz-Josef-Straße 21<br />
Printed in Germany April 1973<br />
Scan by Brrazo 10/2007
DIE EXPERIMENTATOREN<br />
Als man 1945 die erste Atombombe abwarf, stieg die<br />
Science-Fiction in der Achtung der Leser. Nach dem<br />
Schrecken von Hiroshima konnte jeder sehen, daß<br />
die Science-Fiction-Autoren keine Phantasten oder<br />
Aufschneider sind und daß viele Themen dieser Literaturgattung<br />
ab jetzt täglich in den Leitartikeln der<br />
Zeitungen auftauchten.<br />
Ich nehme an, sowohl die Science-Fiction-Autoren<br />
als auch ihre Leser waren im großen und ganzen zufrieden<br />
– nicht mit der Wirkung der Atombombe an<br />
sich, sondern mit der Tatsache, daß die Science-<br />
Fiction-Phantasien nun Wirklichkeit geworden waren.<br />
Ich selbst wußte nicht so recht, was ich denken<br />
sollte. Abgesehen von den erschreckenden Aspekten<br />
der Nuklearexplosionen und dem leicht irrationalen<br />
Gefühl, daß solche Dinge wie Atombomben uns und<br />
nicht der realen Welt gehören, befürchtete ich auch,<br />
daß die Wirklichkeit die Science-Fiction-Literatur<br />
lächerlich machen könnte.<br />
Und ich glaube, bis zu einem gewissen Grad war<br />
das auch der Fall. In dieser neuen Realität lag eine<br />
Tendenz, die die Science-Fiction-Autoren festnagelte.<br />
Vor 1945 konnte sich die Science-Fiction-Literatur<br />
frei entfalten. Alle Themen und Handlungen entsprangen<br />
dem Reich der Phantasie, und wir konnten<br />
schreiben, was uns gefiel. Nach 1945 entstand die<br />
5
Notwendigkeit, über die Atombombe zu reden und<br />
den vorher unbegrenzten Spielraum unserer Gedanken<br />
dem anzupassen, was nun zur Realität geworden<br />
war.<br />
Tatsächlich wurde damals etwas Neues geboren,<br />
das ich »Tomorrow-Fiction« nennen möchte. Die<br />
Science-Fiction-Erzählung ist jetzt nicht aktueller als<br />
die Schlagzeilen von morgen.<br />
Glauben Sie mir, es gibt nichts Langweiligeres als<br />
Schlagzeilen von morgen in der Science-Fiction-<br />
Literatur. Denken Sie zum Beispiel an Nevil Shutes<br />
Erzählung »Am Strand«. Dem Science-Fiction-Fan<br />
mag diese Geschichte im Gegensatz zur Allgemeinheit<br />
reichlich seicht erscheinen. Die Erzählung beginnt<br />
mit einem Atomkrieg. Was ist da neu daran?<br />
Ich widerstand der Versuchung, eine Geschichte<br />
sklavisch der Gegenwart anzupassen, bis ich einen<br />
Weg fand, wie ich das tun konnte, ohne mich von<br />
Schlagzeilen und Aktualität abhängigzumachen. Ich<br />
wollte eine Erzählung schreiben, die sich mit den<br />
Dingen von morgen beschäftigte, ohne übermorgen<br />
überholt zu sein.<br />
Das Ergebnis war »Die Experimentatoren«, eine<br />
Erzählung, die trotz all ihrer Aktualität heute noch<br />
genau so zur Science-Fiction-Literatur gehört, wie<br />
1951, als sie entstand.<br />
Polizeisergeant Mankiewicz war am Telefon, und er<br />
schien ziemlich mißgelaunt zu sein. Seine Stimme<br />
klang wie ein Reibeisen.<br />
6
»Es stimmt«, sagte er. »Er kam zu mir und sagte:<br />
›Mister, würden Sie mich bitte ins Gefängnis sperren,<br />
weil ich mich umbringen will.‹<br />
… Ich kann es nicht ändern, genau das sagte er.<br />
Mir kam es auch verrückt vor.<br />
… hören Sie, Mister, die Beschreibung paßt genau<br />
auf den Burschen. Sie baten mich um eine Information,<br />
und ich gebe Sie Ihnen.<br />
… er hat diese Narbe auf der rechten Wange und<br />
sagte, daß er John Smith heißt. Von Doktor Smith<br />
sagte er nichts.<br />
… sicher ist das ein falscher Name. Kein Mensch<br />
heißt John Smith. Zumindest nicht auf einer Polizeistation.<br />
… er ist jetzt im Gefängnis.<br />
… ja sicher.<br />
… Widerstand gegen die Staatsgewalt, tätlicher<br />
Angriff, böswillige Sachbeschädigung. Das genügt<br />
doch wohl.<br />
… es ist mir egal, wer er ist.<br />
… gut, ich werde warten.«<br />
Er blickte zu Wachtmeister Brown hoch und legte<br />
die Hand über die Sprechmuschel. Die riesige Pranke<br />
schien fast das ganze Telefon zu verschlucken. Sein<br />
grobliniges Gesicht war gerötet und schwitzte unter<br />
dem strohgelben Haarschopf.<br />
»Ärger!« sagte er. »Nichts als Ärger gibt es auf so<br />
einer Bezirksstation.«<br />
»Mit wem sprechen Sie denn?« fragte Brown. Er<br />
war soeben eingetreten, und es interessierte ihn nicht<br />
7
sonderlich. Er dachte wieder einmal daran, daß Mankiewicz<br />
in einer der Vorstädte besser aufgehoben<br />
wäre.<br />
»Oak Ridge. Ferngespräch. <strong>Der</strong> Leiter von weiß<br />
was ich für einer Abteilung. Und jetzt ruft er jemanden<br />
anderen für fünfundzwanzig Cent pro Minute an<br />
… Hallo!«<br />
Mankiewicz hielt den Hörer ans andere Ohr und<br />
versuchte sich zu beherrschen.<br />
»Hören Sie«, sagte er. »Lassen Sie mich doch von<br />
vorn anfangen. Ich will, daß Sie genau Bescheid wissen,<br />
und wenn Ihnen die Sache dann nicht gefällt,<br />
können Sie ja jemanden zu uns schicken. <strong>Der</strong> Bursche<br />
will keinen Anwalt. Er will nichts anderes als<br />
im Gefängnis bleiben, und das erscheint mir ganz<br />
richtig.<br />
Also passen Sie mal auf. Er kam gestern schnurstracks<br />
zu mir und sagte: ›Mister, würden Sie mich<br />
bitte ins Gefängnis sperren, weil ich mich umbringen<br />
will.‹ Ich erwiderte: ›Es tut mir leid, daß Sie sich<br />
umbringen wollen, Mister. Tun Sie es nicht, denn Sie<br />
werden es für den Rest Ihres Lebens bereuen.‹<br />
… Ich mache keinen Spaß. Ich erzähle Ihnen nur,<br />
was ich gesagt habe. Ich bin nicht zum Scherzen aufgelegt,<br />
ich habe genug Ärger hier, wenn Sie wissen,<br />
was ich damit sagen will.<br />
Glauben Sie, ich habe nichts anderes zu tun, als irgendwelchen<br />
Irren zuzuhören, die hier hereinspaziert<br />
kommen und …<br />
›… Sie müssen mir schon einen Grund liefern‹,<br />
8
sagte ich. ›Ich kann Sie nicht einsperren, nur weil Sie<br />
sich umbringen wollen. Das ist kein Verbrechen.‹<br />
Daraufhin sagte er: ›Aber ich will nicht sterben.‹<br />
Und ich sagte: ›Hören Sie, Mann, verschwinden Sie.‹<br />
Ich meine, wenn ein Bursche Selbstmord begehen<br />
will, gut. Wenn er nicht will, auch gut. Aber warum<br />
muß er sich an meiner Schulter ausweinen?<br />
… ich erzähle ja schon weiter. Also, er fragte<br />
mich: ›Wenn ich ein Verbrechen begehe, stecken Sie<br />
mich dann ins Gefängnis?‹ Ich sagte: ›Wenn Sie erwischt<br />
werden, wenn jemand eine Klage einreicht und<br />
Sie keine Bürgschaft stellen können, werden wir Sie<br />
einsperren.‹ Daraufhin nahm er, bevor ich ihn daran<br />
hindern konnte, das Tintenfaß von meinem Schreibtisch<br />
und leerte es auf das offene Eintragsbuch.<br />
… sicher! Warum glauben Sie denn, haben wir<br />
›böswillige Sachbeschädigung‹ angegeben? Die Tinte<br />
rann über meine ganze Hose.<br />
… ja, auch tätlicher Angriff. Als ich aufsprang,<br />
um ihn zur Räson zu bringen, trat er mich gegen das<br />
Schienbein und schlug mir fast das rechte Auge ein.<br />
… ich erfinde das nicht. Kommen Sie doch her<br />
und sehen Sie sich mein Gesicht an.<br />
… in den nächsten Tagen wird er vor Gericht gestellt.<br />
Wahrscheinlich am Donnerstag.<br />
… er wird mindestens neunzig Tage bekommen,<br />
außer der Psychologe ist anderer Meinung. Ich glaube<br />
ja selbst, daß er in die Irrenanstalt gehört.<br />
… offiziell heißt er John Smith. Das ist der einzige<br />
Name, den er angegeben hat.<br />
9
… Nein, Sir, er wird nicht vorzeitig entlassen.<br />
… okay, machen Sie, was Sie wollen. Ich tue jedenfalls<br />
hier meinen Job.«<br />
Er knallte den Hörer auf die Gabel, starrte ihn an,<br />
hob ihn dann wieder ab und drehte die Wählscheibe.<br />
»Gianetti?« fragte er, erhielt die gewünschte Antwort<br />
und begann zu sprechen. »Was ist A.E.C.? Ich<br />
habe mit irgend so einem Joe telefoniert, und er sagte<br />
…<br />
… nein, ich scherze nicht, Sie Trottel. Wenn ich<br />
das täte, würde ich es Ihnen vorher sagen. Was heißt<br />
A.E.C.?«<br />
Er lauschte, dann sagte er kleinlaut »Danke« und<br />
legte den Hörer auf. Die Farbe war aus seinem Gesicht<br />
gewichen.<br />
»Dieser zweite Bursche war der Leiter der Atomenergiekommission«,<br />
sagte er zu Brown. »Sie müssen<br />
mich von Oak Ridge nach Washington geschaltet<br />
haben.«<br />
Brown streckte sich und gähnte.<br />
»Vielleicht ist das FBI hinter diesem John Smith<br />
her. Vielleicht ist er einer von diesen Wissenschaftlern.<br />
Man sollte die Atomgeheimnisse von solchen<br />
Burschen fernhalten. Alles war okay, solange General<br />
Groves als einziger über die Atombombe Bescheid<br />
wußte. Aber seit sie die Wissenschaftler losgelassen<br />
haben …«<br />
»Oh, halten Sie doch den Mund«, krächzte Mankiewicz.<br />
10
Dr. Oswald Grant starrte unentwegt auf die weiße<br />
Linie, die die Hochstraße markierte, und behandelte<br />
das Auto, als wäre es einer seiner schlimmsten Feinde.<br />
Das tat er immer. Er war hochgewachsen und hager.<br />
Ein verschlossener Ausdruck lag auf seinem Gesicht.<br />
Seine Knie stießen an das Lenkrad, und jedesmal,<br />
wenn er den Wagen um eine Kurve lenkte, traten<br />
seine Fingerknöchel weiß hervor.<br />
Inspektor Darrity saß mit übereinandergeschlagenen<br />
Beinen neben ihm. Die Sohle seines linken<br />
Schuhs berührte die Wagentür, wo sie bestimmt einen<br />
Schmutzfleck hinterlassen würde. Seine Finger spielten<br />
mit einem nußbraunen Taschenmesser. Vorhin<br />
hatte er die blanke Klinge aus der Scheide springen<br />
lassen und hatte damit gelegentlich an seinen Fingernägeln<br />
geschabt. Als ihn aber eine scharfe Kurve beinahe<br />
einen Finger gekostet hätte, hörte er damit auf.<br />
»Was wissen Sie über diesen Ralson?« fragte er.<br />
Dr. Grant wandte sich ihm kurz zu und blickte<br />
dann gleich wieder auf die Straße.<br />
»Ich kenne ihn, seit er sein Doktorat in Princeton<br />
gemacht hat«, erwiderte er unbehaglich. »Er ist ein<br />
brillanter Wissenschaftler.«<br />
»Ja? Brillant, eh? Warum ihr Wissenschaftler euch<br />
gegenseitig nur immer als brillant bezeichnen müßt!<br />
Gibt es bei euch gar keine Mittelmäßigkeit?«<br />
»Doch. Ich bin zum Beispiel mittelmäßig. Aber<br />
Ralson ist es nicht. Fragen Sie Oppenheimer. Fragen<br />
Sie Bush. Er war der jüngste Mitarbeiter in Alamogordo.«<br />
11
»Okay. Er ist also brillant. Wie steht es mit seinem<br />
Privatleben?«<br />
»Davon weiß ich nichts«, sagte Grant nach einer<br />
kleinen Pause.<br />
»Sie kennen ihn von Princeton her. Wieviel Jahre<br />
sind seither vergangen?«<br />
Sie waren die Hochstraße von Washington in nördliche<br />
Richtung zwei Stunden lang dahingefahren,<br />
und es war kaum ein Wort zwischen ihnen gewechselt<br />
worden. Jetzt fühlte Grant, daß die Atmosphäre<br />
sich geändert hatte. Das Gesetz griff nach ihm.<br />
»Er ist 1943 graduiert worden.«<br />
»Da haben Sie ihn schon acht Jahre lang gekannt.«<br />
»Richtig.«<br />
»Und Sie wissen nichts über sein Privatleben?«<br />
»Jeder Mensch hat ein Recht auf Eigenleben, Inspektor.<br />
Er war nicht sehr gesellig. Viele dieser Menschen<br />
sind so. Sie arbeiten unter großem Druck, und<br />
wenn sie ihren Job beendet haben, sind sie nicht daran<br />
interessiert, die Laboratoriumsbekanntschaften<br />
fortzusetzen.«<br />
»Gehört er irgendwelchen Organisationen an, die<br />
Sie kennen?«<br />
»Nein.«<br />
»Hat er jemals irgend etwas zu Ihnen gesagt, das<br />
man als unloyal bezeichnen könnte?«<br />
»Nein!« schrie Grant, und dann herrschte eine<br />
Zeitlang Schweigen.<br />
Dann fragte Darrity: »Wie bedeutend ist Ralson<br />
auf dem Gebiet der Atomforschung?«<br />
12
Grant beugte sich über das Lenkrad.<br />
»So bedeutend, wie es ein Mann nur sein kann. Ich<br />
garantiere Ihnen, daß kein Mann unersetzlich ist,<br />
aber Ralson schien immer einzigartig zu sein. Er hat<br />
den richtigen technischen Verstand.«<br />
»Was heißt das?«<br />
»Er ist zwar selbst kein großer Mathematiker, aber<br />
er kann die Berechnungen anderer zum Leben erwecken.<br />
Da kann ihm keiner das Wasser reichen.<br />
Wie oft hatten wir ein Problem zu lösen, Inspektor,<br />
und hatten keine Zeit dazu! Keiner hatte eine Idee,<br />
bis er kam und sagte: ›Warum macht Ihr es nicht so<br />
und so?‹ Dann ging er. Er interessierte sich nicht<br />
einmal dafür, ob sein Vorschlag auch funktionierte.<br />
Aber er funktionierte immer. Vielleicht wären wir<br />
auch daraufgekommen, aber es hätte Monate gedauert.<br />
Ich weiß nicht, wie er das machte. Es hat auch<br />
keinen Sinn, ihn danach zu fragen. Er sieht einen nur<br />
an und sagt: ›Aber das war doch offensichtlich‹, und<br />
spaziert davon. Natürlich nachdem er uns darauf hingewiesen<br />
hatte, war es offensichtlich.«<br />
<strong>Der</strong> Inspektor ließ ihn ausreden. Als Grant<br />
schwieg, sagte Darrity: »Würden Sie sagen, daß er<br />
sonderbar war? Ich meine, launenhaft.«<br />
»Von einem Genie erwartet man doch nicht, daß<br />
es normal ist, nicht wahr?«<br />
»Vielleicht nicht. Aber wie abnorm war dieses<br />
spezielle Genie?«<br />
»Er redete nie viel. Und manchmal wollte er nicht<br />
arbeiten.«<br />
13
»Blieb er dann daheim oder ging er angeln?«<br />
»Nein. Er kam ins Laboratorium. Aber er saß nur<br />
an seinem Schreibtisch und tat nichts. Manchmal<br />
dauerte das wochenlang. Er antwortete nicht und sah<br />
einen nicht einmal an, wenn man mit ihm sprach.«<br />
»Hat er jemals seine Arbeit gänzlich niedergelegt?«<br />
»Sie meinen, vor diesem Zwischenfall? Nie!«<br />
»Hat er jemals gesagt, daß er Selbstmord begehen<br />
wolle? Oder hat er jemals behauptet, er würde sich<br />
nirgendwo sicherer fühlen außer im Gefängnis?«<br />
»Nein.«<br />
»Sind Sie sicher, daß dieser John Smith mit Ralson<br />
identisch ist?«<br />
»Ziemlich sicher. Er hat ein Brandmal von irgendwelchen<br />
Chemikalien auf seiner rechten Wange, das<br />
einwandfrei beweist, daß es sich um Ralson handelt.«<br />
»Okay. Dann werde ich mit ihm sprechen und sehen,<br />
was er zu sagen hat.«<br />
Dann herrschte endgültig Schweigen. Dr. Grant<br />
folgt der gewundenen Straße, und Inspektor Darrity<br />
warf das Taschenmesser von einer Hand in die andere.<br />
<strong>Der</strong> Gefängnisdirektor hielt den Telefonhörer ans<br />
Ohr, lauschte und blickte dann zu seinen beiden Besuchern<br />
auf.<br />
»Wir können ihn heraufbringen, Inspektor. Bedenkenlos.«<br />
»Nein.« Dr. Grant schüttelte den Kopf. »Gehen<br />
wir zu ihm.«<br />
14
»Warum?« fragte Darrity. »Erwarten Sie, daß Ralson<br />
den Wärter attackiert, wenn er ihn aus der Zelle<br />
führt?«<br />
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Grant.<br />
<strong>Der</strong> Gefängnisdirektor hob seine schwielige Hand.<br />
Seine dicke Nase zuckte leicht.<br />
»Wir haben seinetwegen bisher nichts unternommen.<br />
Wegen dieses Telegrammes aus Washington.<br />
Aber ehrlich gesagt, er gehört nicht hierher. Ich bin<br />
froh, wenn ich die Verantwortung für ihn los bin.«<br />
»Wir werden ihn in seiner Zelle aufsuchen«, sagte<br />
Darrity.<br />
Sie gingen den engen, von Eisengittern gesäumten<br />
Korridor entlang. Leere, desinteressierte Augen beobachteten<br />
sie, als sie an den Zellen vorbeikamen. Ein<br />
Schauder lief Dr. Grant über den Rücken.<br />
»War er die ganze Zeit hier?«<br />
Darrity antwortete nicht. <strong>Der</strong> Wärter, der ihnen<br />
vorausging, blieb stehen.<br />
»Hier ist die Zelle.«<br />
»Ist das Ralson?« fragte Darrity.<br />
Dr. Grant betrachtete schweigend die Gestalt, die<br />
auf der Pritsche lag. Als der Mann merkte, daß jemand<br />
vor seiner Zelle stand, richtete er sich auf,<br />
stützte sich auf einen Ellbogen und sah so aus, als<br />
würde er am liebsten im Erdboden versinken. Sein<br />
Haar war sandfarben und schütter. Sein Körper war<br />
schmächtig, und seine blanken Augen glänzten wie<br />
blaues Porzellan. Auf seiner rechten Wange war ein<br />
kaulquappenförmiger rosa Fleck.<br />
15
»Das ist Ralson«, sagte Grant.<br />
<strong>Der</strong> Wärter öffnete die Zellentür und trat ein, aber<br />
Inspektor Darrity bedeutete ihm mit einer Handbewegung,<br />
sich zu entfernen. Ralson beobachtete die<br />
Männer stumm. Er zog die Beine an und drückte sich<br />
an die Wand. Sein Adamsapfel zitterte, als er<br />
schluckte.<br />
»Dr. Elwood Ralson?« fragte Darrity ruhig.<br />
»Was wollen Sie?« Die Stimme klang überraschend<br />
baritonal.<br />
»Würden Sie uns bitte folgen? Wir haben Ihnen<br />
einige Fragen zu stellen.«<br />
»Nein. Lassen Sie mich allein.«<br />
»Dr. Ralson«, sagte Grant. »Ich wurde zu Ihnen<br />
geschickt, um Sie zu bitten, Ihre Arbeit wieder aufzunehmen.«<br />
Ralson blickte den Wissenschaftler an, und sekundenlang<br />
blitzte etwas anderes als Furcht in seinen<br />
Augen auf.<br />
»Hallo, Grant«, sagte er und erhob sich von der<br />
Pritsche. »Hören Sie, ich bat die Leute, sie möchten<br />
mich in eine Gummizelle stecken. Sie kennen mich,<br />
Grant. Sie wissen, daß ich nichts verlange, von dem<br />
ich nicht überzeugt bin, daß es notwendig ist. Helfen<br />
Sie mir. Ich kann diese harten Mauern nicht ertragen.<br />
Immerzu will ich mich dagegenwerfen …« Er schlug<br />
mit der flachen Hand gegen den schmutziggrauen<br />
Beton hinter der Pritsche.<br />
Darrity betrachtete ihn nachdenklich. Er zog sein<br />
Taschenmesser aus der Hosentasche und ließ die<br />
16
lanke Klinge herausschnappen. Sorgfältig kratzte er<br />
damit an seinem Daumennagel und fragte: »Wollen<br />
Sie mit einem Arzt sprechen?«<br />
Aber Ralson gab keine Antwort darauf. Seine Augen<br />
folgten dem glänzenden Metall, seine Lippen<br />
öffneten sich und wurden feucht. Sein Atem ging<br />
stoßweise.<br />
»Stecken Sie das weg!« sagte er.<br />
»Was soll ich wegstecken?« fragte Darrity nach<br />
einer kleinen Pause.<br />
»Das Messer. Ich kann den Anblick nicht ertragen.«<br />
»Warum nicht?« Darrity streckte das Messer aus.<br />
»Stimmt etwas nicht damit? Es ist ein gutes Messer.«<br />
Ralson sprang vor. Darrity trat zurück, und seine<br />
linke Hand umspannte Ralsons Handgelenk. Er hob<br />
das Messer hoch.<br />
»Was ist los, Ralson? Was haben Sie?«<br />
Grant protestierte, aber Darrity schnitt ihm mit einer<br />
Handbewegung das Wort ab.<br />
»Was wollen Sie, Ralson?«<br />
Ralson streckte die freie Hand nach dem Messer<br />
aus und krümmte sich unter dem eisernen Griff des<br />
Inspektors.<br />
»Geben Sie mir das Messer«, keuchte er.<br />
»Warum, Ralson? Was wollen Sie damit tun?«<br />
»Bitte. Ich muß …« Seine Stimme klang flehentlich.<br />
»Ich kann nicht mehr leben.«<br />
»Sie wollen sterben?«<br />
»Nein. Aber ich muß.«<br />
17
Darrity versetzte ihm einen Stoß. Ralson taumelte<br />
zurück und sank auf die Pritsche, die einen quietschenden<br />
Laut von sich gab. Langsam klappte Darrity<br />
das Taschenmesser zusammen und steckte es ein.<br />
Ralson vergrub das Gesicht in den Händen. Er saß<br />
reglos da, nur seine Schultern zuckten.<br />
Rufe klangen vom Korridor herein. Die anderen<br />
Häftlinge waren auf den Lärm in Ralsons Zelle aufmerksam<br />
geworden. <strong>Der</strong> Wärter eilte herbei.<br />
»Ruhe!« brüllte er und entfernte sich dann wieder.<br />
»Es ist alles in Ordnung«, sagte der Inspektor zu<br />
ihm. Er wischte seine Hände mit einem großen weißen<br />
Taschentuch ab. »Ich glaube, wir sollten einen<br />
Arzt holen.«<br />
Dr. Gottfried Blaustein war klein und dunkelhäutig<br />
und sprach mit kaum merklichem österreichischem<br />
Akzent. Es fehlte ihm nur noch ein Ziegenbart, und<br />
er hätte für jeden Laien die vollendete Karikatur eines<br />
Psychiaters abgegeben. Aber er war glattrasiert<br />
und sehr sorgfältig gekleidet. Er musterte Grant aufmerksam<br />
und abschätzend, fügte verschiedene kleine<br />
Beobachtungen zu einem Gesamtbild. Das tat er automatisch<br />
bei jedem Menschen, dem er begegnete.<br />
»Sie haben mir den Mann als sehr talentiert beschrieben«,<br />
sagte er. »Vielleicht ist er sogar ein Genie.<br />
Sie sagten, er sei nie gern mit Menschen zusammengewesen.<br />
Er hätte sich auch nie in der Atmosphäre<br />
des Laboratoriums wohlgefühlt, obwohl er<br />
doch dort seine größten Erfolge errungen hat. Hat er<br />
18
sich vielleicht in einer anderen Umwelt wohler gefühlt?«<br />
»Ich verstehe Sie nicht.«<br />
»Kaum ein Mensch hat das Glück, in seinem Beruf<br />
die ideale Umwelt zu finden. <strong>Der</strong> eine kompensiert<br />
das, indem er ein Instrument spielt, der andere<br />
geht spazieren oder wird Mtglied irgendeines Klubs.<br />
Mit anderen Worten, er schaffte sich außerhalb seiner<br />
Arbeit eine eigene Welt, in der er sich mehr zu<br />
Hause fühlt. Und diese eigene Welt muß in gar keinem<br />
Zusammenhang mit dem Beruf eines Menschen<br />
stehen. Sie ist oft eine Flucht vor der Wirklichkeit<br />
und hilft, das Leben leichter zu ertragen.« Er lächelte<br />
und fügte hinzu: »Ich selbst sammle zum Beispiel<br />
Briefmarken. Ich bin aktives Mitglied der Amerikanischen<br />
Philatelistengesellschaft.«<br />
Grant schüttelte den Kopf.<br />
»Ich weiß nicht, was er in seiner Freizeit machte.<br />
Ich bezweifle, daß er irgendeinem Hobby frönte.«<br />
»Hm. Das ist natürlich traurig. Man muß doch irgendwo<br />
Entspannung oder Vergnügen finden.«<br />
»Haben Sie schon mit Dr. Ralson gesprochen?«<br />
»Über seine Probleme? Nein.«<br />
»Werden Sie es tun?«<br />
»Oh, ja. Aber er ist erst seit einer Woche hier. Man<br />
muß ihm Zeit lassen, damit er sich erholen kann. Er<br />
befand sich in einem sehr erregten Zustand, als er hier<br />
eintraf. Man kann es fast als Delirium bezeichnen. Er<br />
muß viel Ruhe haben und sich an die neue Umgebung<br />
gewöhnen, bevor ich mit ihm spreche.«<br />
19
»Werden Sie ihn dazu bringen können, daß er<br />
wieder seine Arbeit aufnimmt?«<br />
Blaustein lächelte.<br />
»Wie kann ich das wissen? Ich weiß ja noch nicht<br />
einmal, an welcher Krankheit er leidet.«<br />
»Könnten Sie ihm nicht erst einmal über das<br />
Schlimmste hinweghelfen? Ich meine, Sie könnten<br />
ihn vorerst einmal von seinem Selbstmordzwang befreien<br />
und die Kur fortsetzen, wenn er wieder an seinen<br />
Arbeitsplatz zurückgekehrt ist.«<br />
»Vielleicht. Ich kann mir keine Meinung bilden,<br />
bevor ich nicht mit ihm gesprochen habe.«<br />
»Wie lange wird es etwa dauern?«<br />
»In solchen Fällen kann man das nie vorhersagen,<br />
Dr. Grant.«<br />
»Dann tun Sie, was Sie für richtig halten.« Grant<br />
beugte sich vor. »Es ist sehr wichtig, daß Ralson bald<br />
gesund wird. Sie wissen gar nicht, wie wichtig.«<br />
»Möglich. Sie können mir vielleicht helfen, Dr.<br />
Grant.«<br />
»Wie?«<br />
»Können Sie mir gewisse Informationen beschaffen,<br />
die als ›Top secret‹ bezeichnet werden?«<br />
»Welche Art von Informationen?«<br />
»Ich würde gern die Selbstmordquote der Nuklearwissenschaftler<br />
seit 1945 kennen. Außerdem möchte<br />
ich wissen, wieviele ihre Arbeit niedergelegt beziehungsweise<br />
sich einem anderen Forschungsgebiet<br />
zugewandt haben.«<br />
»Steht das in Zusammenhang mit Ralson?«<br />
20
»Meinen Sie nicht, daß es sich bei seiner schrecklichen<br />
Depression um eine Berufskrankheit handelt?«<br />
»Sie müssen das verstehen, Dr. Blaustein. Die<br />
Atmosphäre in der modernen Nuklearforschung ist<br />
von starkem Druck und Bürokratismus bestimmt.<br />
Wir arbeiten mit Regierung und Militär zusammen.<br />
Wir dürfen über unsere Arbeit nicht sprechen, und<br />
wir müssen sehr vorsichtig mit unseren Äußerungen<br />
sein. Natürlich, wenn einem von uns eine Stellung an<br />
einer Universität angeboten wird, wo man seine Arbeitszeit<br />
selbst bestimmen, seine eigene Forschung<br />
betreiben kann, wo man nicht jede schriftliche Arbeit<br />
erst einmal der A.E.C. vorlegen muß, bevor man sie<br />
veröffentlichen kann, wo man nicht hinter verschlossenen<br />
Türen arbeiten muß, würde jeder sofort zugreifen.«<br />
»Und Sie würden Ihrem Spezialgebiet für immer<br />
den Rücken kehren?«<br />
»Kann sein. Die Gründe, warum so viele ihre Arbeit<br />
aufgeben, sind selten militärischer Natur. Aber<br />
einmal erzählte mir ein Mann, daß er nachts nicht<br />
schlafen könne. Er sagte, er würde hunderttausend<br />
Schreie aus Hiroshima hören, sobald er das Licht<br />
ausgeschaltet hätte. Er nahm einen Job in einem Herrenmodegeschäft<br />
an.«<br />
»Und Sie selbst hören niemals Schreie?«<br />
»Doch.« Grant nickte schwer. »Es ist kein angenehmes<br />
Gefühl zu wissen, daß ein kleiner Teil der<br />
Verantwortung für eine eventuelle atomare Zerstö-<br />
21
ung auf meinen eigenen Schultern ruht.«<br />
»Und welches Gefühl hat Ralson?«<br />
»Er sprach nie über solche Dinge.«<br />
»Mit anderen Worten, wenn er derartige Gefühle<br />
hatte, so verriet er es seinen Mitarbeitern nicht.«<br />
»Nein.«<br />
»Und trotz alldem ist die atomare Forschung notwendig,<br />
nicht wahr?«<br />
»Ich würde sagen, ja.«<br />
»Was würden Sie machen, Dr. Grant, wenn Sie irgend<br />
etwas tun müßten, wozu Sie sich innerlich nicht<br />
imstande fühlen?«<br />
Grant zuckte mit den Schultern.<br />
»Ich weiß es nicht.«<br />
»Manche Menschen begehen Selbstmord.«<br />
»Sie meinen, das trifft auf Ralson zu?«<br />
»Wie kann ich das wissen? Ich werde heute abend<br />
mit Dr. Ralson sprechen. Ich kann Ihnen natürlich<br />
nichts versprechen, aber ich versichere Ihnen, daß<br />
ich Ihnen meine Beobachtungen sofort mitteilen<br />
werde.«<br />
Grant erhob sich.<br />
»Vielen Dank, Doktor. Ich werde versuchen, die<br />
von Ihnen gewünschten Informationen zu erhalten.«<br />
Elwood Ralsons Aussehen hatte sich in der Woche,<br />
die er bis jetzt in Dr. Blausteins Sanatorium verbracht<br />
hatte, gebessert. Sein Gesicht war voller geworden,<br />
und die Ruhelosigkeit war von ihm gewichen.<br />
Er trug keine Krawatte und keinen Hosengürtel,<br />
und seine Schuhe hatten keine Schnürsenkel.<br />
22
»Wie fühlen Sie sich, Dr. Ralson?« fragte Dr.<br />
Blaustein.<br />
»Erholt.«<br />
»Werden Sie gut behandelt?«<br />
»Ich habe keine Klagen, Doktor.«<br />
Blaustein griff nach dem Brieföffner, mit dem er<br />
gern spielte, wenn er über irgend etwas nachdachte.<br />
Aber der Brieföffner war verschwunden. Natürlich<br />
hatte man ihn entfernt, wie alle anderen Gegenstände<br />
mit scharfen Kanten. Nur Papiere lagen auf dem<br />
Schreibtisch.<br />
»Setzen Sie sich, Dr. Ralson«, sagte Blaustein.<br />
»Wie steht es mit Ihren Krankheitssymptomen?«<br />
»Meinen Sie meinen Selbstmordzwang? Es wird<br />
schlimmer oder besser, das hängt ganz von meinen<br />
Gedanken ab. Ich denke viel nach. Aber mein<br />
Wunsch nach Selbstmord begleitet mich auf Schritt<br />
und Tritt. Da können auch Sie mir nicht helfen.«<br />
»Vielleicht haben Sie recht. Es gibt viele Fälle, in<br />
denen ich nicht helfen kann. Ich würde gern möglichst<br />
viel von Ihnen wissen. Sie sind ein bedeutender<br />
Mann …«<br />
Ralson seufzte.<br />
»Sind Sie anderer Meinung?« fragte Blaustein.<br />
»Allerdings. Es gibt keine bedeutenden Männer,<br />
genauso wie es keine bedeutenden individuellen<br />
Bakterien gibt.«<br />
»Ich verstehe Sie nicht.«<br />
»Das erwarte ich auch nicht von Ihnen.«<br />
»Und doch scheint mir, daß eine Menge Gedanken<br />
23
hinter Ihrer Bemerkung stehen. Es würde für mich<br />
sehr interessant sein, einige dieser Gedanken zu kennen.«<br />
Zum erstenmal lächelte Ralson. Es war kein angenehmes<br />
Lächeln.<br />
»Es ist amüsant, Sie zu beobachten, Doktor«, sagte<br />
er. »Sie üben Ihren Beruf so gewissenhaft aus. Sie<br />
hören mir zu, mit diesem gewissen falschen Interesse<br />
und dieser öligen Sympathie. Ich könnte Ihnen den<br />
größten Blödsinn erzählen, und Sie würden mir<br />
trotzdem aufmerksam zuhören, nicht wahr?«<br />
»Können Sie sich nicht vorstellen, daß mein Interesse<br />
echt ist, obwohl es natürlich in erster Linie beruflich<br />
ist?«<br />
»Nein, das kann ich nicht.«<br />
»Warum nicht?«<br />
»Ich bin nicht in der Stimmung, darüber zu diskutieren.«<br />
»Dann gehen Sie doch bitte in Ihr Zimmer zurück.«<br />
»Das werde ich nicht tun, wenn Sie nichts dagegen<br />
haben.« Seine Stimme klang plötzlich zornig, als er<br />
sich erhob und sich fast augenblicklich wieder niedersetzte.<br />
»Warum sollte ich Sie nicht benützen. Ich<br />
rede nicht gern mit den Menschen. Sie sind dumm.<br />
Sie merken nichts, Sie starren das Offensichtliche<br />
stundenlang an, und es bedeutet nichts für sie. Wenn<br />
ich mit ihnen spreche, verstehen sie mich nicht. Sie<br />
verlieren die Geduld, oder sie lachen. Aber Sie müssen<br />
zuhören. Das ist Ihr Job. Sie können mich nicht<br />
24
unterbrechen und mir sagen, daß ich verrückt bin,<br />
auch wenn Sie das vielleicht denken.«<br />
»Ich bin froh, wenn ich Ihnen zuhören kann. Was<br />
immer Sie mir auch erzählen.«<br />
Ralson holte tief Luft.<br />
»Ich weiß nun schon seit einem Jahr etwas, das<br />
nur sehr wenige Menschen wissen. Vielleicht ist es<br />
sogar etwas, das keine lebende Person weiß. Wissen<br />
Sie, daß der kulturelle Fortschritt der Menschheit<br />
immer in plötzlichen Ballungen auftritt? Im Zeitraum<br />
von zwei Generationen kann in einer Stadt von dreißigtausend<br />
Einwohnern genug literarisches oder sonstiges<br />
künstlerisches Genie entstehen, um das Kulrurbedürfnis<br />
einer Millionennation ein Jahrhundert<br />
lang zu befriedigen. Ich denke an das Athen des perikleischen<br />
Zeitalters.<br />
Es gibt noch andere Beispiele. Das Florenz der<br />
Medicis, das elisabethanische England, das Spanien<br />
der Emire von Cordoba. Dann die Sozialreformen<br />
der Israeliten im achten und siebenten Jahrhundert<br />
vor Christi. Wissen Sie, was ich meine?«<br />
Blaustein nickte.<br />
»Ich sehe, daß Sie sich für Geschichte interessieren.«<br />
»Warum nicht? Es gibt keinen Grund, warum ich<br />
mein Interesse auf die Atomforschung beschränken<br />
sollte.«<br />
»Natürlich nicht. Sprechen Sie bitte weiter.«<br />
»Zuerst dachte ich, ich könnte mehr über das wahre<br />
Wesen der historischen Zyklen erfahren, wenn ich<br />
25
einen Spezialisten zu Rate zöge. Ich hatte einige Unterredungen<br />
mit einem Berufshistoriker. Aber das<br />
war reine Zeitverschwendung.«<br />
»Wie hieß der Historiker?«<br />
»Ist das so wichtig?«<br />
»Sicher nicht, wenn Sie es lieber für sich behalten<br />
wollen. Was sagte er?«<br />
»Er meinte, daß ich unrecht hätte, daß die Geschichte<br />
nur scheinbar in Eruptionen verläuft. Er sagte,<br />
daß er nach eingehenden Studien festgestellt hätte,<br />
die großen Zivilisationen der Ägypter und Sumerer<br />
seien nicht plötzlich aus dem Nichts entstanden,<br />
sondern auf der Basis einer sich über lange Zeit hinweg<br />
entwickelnden Subzivilisation, die sich bereits<br />
in den Künsten ausgedrückt hätte. Er sagt, das perikleische<br />
Athen hätte sich auf einem vorperikleischen<br />
Athen aufgebaut, ohne das es die perikleische<br />
Blütezeit nie gegeben hätte.<br />
Ich fragte ihn, warum uns dann nichts von einem<br />
nachperikleischen Athen bekannt sei, das doch auf<br />
einer noch höheren Stufe hätte stehen müssen. Daraufhin<br />
erzählte er mir, Athen sei durch eine Seuche<br />
und den langen Krieg mit Sparta ruiniert worden. Ich<br />
befragte ihn über andere kulturelle Ballungszeiten,<br />
und jedesmal war es ein Krieg, der sie beendete. Er<br />
war wie all die anderen. Die Wahrheit lag vor ihm.<br />
Er hätte sie nur aufgreifen müssen. Aber er tat es<br />
nicht.«<br />
Ralson starrte zu Boden und sagte mit müder<br />
Stimme: »Sie kommen manchmal zu mir ins Labora-<br />
26
torium, Doktor. Sie sagen: ›Wie, zum Teufel, können<br />
wir den So-und-so-Effekt beseitigen, der all unsere<br />
Berechnungen über den Haufen wirft, Ralson?‹ Sie<br />
zeigen mir ihre Instrumente und ihre Schaltschemata,<br />
und ich sage: »Aber das ist doch sonnenklar. Warum<br />
macht ihr es nicht so und so? Das sieht doch jedes<br />
Kind.‹ Dann gehe ich davon, denn ich kann es nicht<br />
ertragen, die Verwirrung auf ihren stupiden Gesichtern<br />
zu sehen. Später kommen sie dann zu mir und<br />
sagen: ›Es funktioniert, Ralson. Wie haben Sie das<br />
nur herausgefunden?‹ Ich kann es ihnen nicht erklären,<br />
Doktor. Es wäre genauso, wie wenn ich erklären<br />
müßte warum das Wasser naß ist. Ich konnte es auch<br />
nicht dem Historiker erklären. Und ebenso wenig<br />
kann ich es Ihnen erklären. Es ist Zeitverschwendung.«<br />
»Würden Sie jetzt lieber in Ihr Zimmer zurückgehen?«<br />
»Ja.«<br />
Blaustein saß noch lange nachdenklich an seinem<br />
Schreibtisch, nachdem Ralson hinausgeführt worden<br />
war. Automatisch fanden seine Finger ihren Weg in<br />
die obere rechte Schublade. Er holte den Brieföffner<br />
hervor und spielte damit.<br />
Schließlich griff er zum Telefon.<br />
»Hier ist Blaustein. Dr. Ralson hatte vor einiger<br />
Zeit eine Unterredung mit einem Historiker. Wahrscheinlich<br />
vor etwa einem Jahr. Ich kenne den Namen<br />
des Historikers nicht. Ich weiß nicht einmal, ob<br />
er in Verbindung mit einer Universität steht. Wenn<br />
27
Sie ihn ausfindig machen könnten, würde ich gern<br />
mit ihm sprechen.«<br />
Dr. phil. Thaddeus Milton blickte Blaustein gedankenvoll<br />
an und fuhr sich mit der Hand durch das eisengraue<br />
Haar.<br />
»Ich habe tatsächlich mit diesem Mann gesprochen.<br />
Aber ich habe sehr wenig Kontakt mit ihm gehabt.<br />
Eigentlich keinen außer ein paar Gesprächen<br />
über historische Belange.«<br />
»Wie trat er an Sie heran?«<br />
»Er schrieb mir einen Brief. Ich weiß nicht, warum<br />
er sich mich ausgesucht hat und nicht irgendeinen<br />
anderen Historiker. Eine Serie meiner Artikel ist etwa<br />
zu dieser Zeit in einem dieser halbwissenschaftlichen<br />
Journale mit halbpopulärem Anstrich erschienen.<br />
Vielleicht ist er dadurch auf mich aufmerksam geworden.«<br />
»Ich verstehe. Mit welchen Themen beschäftigten<br />
sich Ihre Artikel?«<br />
»Sie behandelten den Wert der Zyklentheorie in<br />
der Geschichte. Das heißt, ich versuchte zu klären,<br />
ob man wirklich behaupten kann, daß eine herausragende<br />
Zivilisation bestimmten Gesetzen des Wachstums<br />
und der Auflösung folgen muß.«<br />
»Ich habe Toynbee gelesen, Dr. Milton.«<br />
»Nun, dann wissen Sie ja, was ich meine.«<br />
»Und in Ihren Gesprächen mit Dr. Ralson ging es<br />
um diesen zyklischen Verlauf der Geschichte?«<br />
»Hm, in gewisser Weise, ja. Natürlich ist der<br />
28
Mann kein Historiker, und einige seiner Bemerkungen<br />
über kulturelle Trends hörten sich richtig dramatisch<br />
an – und – wie soll ich sagen – pseudowissenschaftlich.<br />
Verzeihen Sie, wenn ich eine indiskrete<br />
Frage stelle, Doktor. Ist Dr. Ralson einer von Ihren<br />
Patienten?«<br />
»Es geht Dr. Ralson nicht gut, und er befindet sich<br />
in meiner Obhut. Alles, was ich hier mit Ihnen bespreche,<br />
bitte ich Sie, streng vertraulich zu behandeln.«<br />
»Sicher. Das verstehe ich. Aber wie dem auch sei,<br />
Ihre Auskunft läßt mir einiges verständlich erscheinen.<br />
Manche seiner Ideen grenzten nahezu an das<br />
Irrationale. Er schien sich ständig Sorgen über die<br />
Zusammenhänge zwischen den kulturellen Ballungszeiten,<br />
wie er es nannte, und irgendwelchen Katastrophen<br />
zu machen. Nun wurden solche Zusammenhänge<br />
häufig festgestellt. Die Zeit der größten<br />
Vitalität einer Nation kann mit der Zeit größter nationaler<br />
Unsicherheit zusammenfallen. Die Niederlande<br />
sind hierfür ein gutes Beispiel. Die bedeutendsten<br />
niederländischen Künstler, Staatsmänner und<br />
Forscher lebten im frühen siebzehnten Jahrhundert,<br />
zur selben Zeit, als das Land in den tödlichen Kampf<br />
mit der damals größten europäischen Macht verstrickt<br />
war, mit Spanien. Zur selben Zeit, als das<br />
Mutterland vernichtet wurde, baute es das Kolonialreich<br />
im fernen Osten auf und fand Halt in den Gebieten<br />
an der nördlichen Küste Südamerikas, an der<br />
südlichsten Spitze von Afrika und am Hudson. Die<br />
29
niederländischen Flotten besiegten England. Und<br />
dann, als die politische Sicherheit der Niederlande<br />
wiederhergestellt war, begann die kulturelle Auflösung.<br />
Sicher, das ist nichts Ungewöhnliches. Gruppen<br />
wie Individuen können sich als Antwort auf eine<br />
Herausforderung zu einsamer Höhe erheben und dahinvegetieren,<br />
wenn die Herausforderung fehlt. Jedenfalls,<br />
als Dr. Ralson seinen gesunden Verstand<br />
verlor, trug sicher der Umstand dazu bei, daß in seinem<br />
Standpunkt sich die Begriffe von Ursache und<br />
Wirkung verwirrten. Er behauptete, nicht die Zeiten<br />
von Krieg und Gefahr brächten die kulturellen Eruptionen<br />
hervor, sondern es geschehe umgekehrt. Er<br />
stellte fest, daß zu jeder Zeit, wenn eine bestimmte<br />
Menschengruppe zu viel Vitalität und Fähigkeiten<br />
zeigt, ein Krieg notwendig wird, um die Möglichkeiten<br />
einer weiteren Entwicklung zu vernichten.«<br />
»Ich verstehe«, sagte Blaustein.<br />
»Ich fürchte, ich habe ihn damals ausgelacht. Vielleicht<br />
hat er deshalb unsere letzte Verabredung nicht<br />
eingehalten. Am Ende unserer letzten Unterredung<br />
fragte er mich in höchster Erregung, ob ich es nicht<br />
seltsam finde, daß ausgerechnet eine so fragwürdige<br />
Spezies wie der Mensch die Erde beherrsche, der<br />
doch nichts als seine Intelligenz aufzuweisen hätte.<br />
Da lachte ich laut auf. Das hätte ich vielleicht nicht<br />
tun sollen. <strong>Der</strong> arme Kerl!«<br />
»Das war eine ganz natürliche Reaktion«, erwiderte<br />
Blaustein, »aber jetzt werde ich Ihre Zeit nicht<br />
30
länger in Anspruch nehmen. Sie haben mir sehr geholfen.«<br />
Sie schüttelten sich die Hände, und Thaddeus Milton<br />
verließ Blausteins Arbeitszimmer.<br />
»Hier bringe ich Ihnen die gewünschten Informationen<br />
über die Selbstmordquote der Wissenschaftler«,<br />
sagte Darrity. »Können Sie daraus irgendwelche<br />
Schlüsse ziehen?«<br />
»Das sollte ich eigentlich Sie fragen«, sagte Blaustein<br />
sanft. »Das FBI hat doch sicher sehr sorgfältige<br />
Untersuchungen angestellt.«<br />
»Darauf können Sie sich verlassen. Es handelt sich<br />
jedenfalls um Selbstmorde. Da gibt es gar keinen<br />
Zweifel. Man hat die Selbstmordrate der Wissenschaftler<br />
mit der von anderen Berufsgruppen verglichen.<br />
Die der Wissenschaftler ist etwa viermal so<br />
hoch, wenn man auch das Alter, den sozialen Status<br />
und die wirtschaftliche Situation der Betreffenden in<br />
Betracht zieht.«<br />
»Und wie steht es mit den britischen Wissenschaftlern?«<br />
»Ähnlich.«<br />
»Und mit den sowjetischen?«<br />
»Wer kann das sagen?« <strong>Der</strong> Inspektor beugte sich<br />
vor. »Doktor, Sie glauben doch nicht, daß die Sowjets<br />
irgendwelche Strahlen haben, die die Leute<br />
zum Selbstmord treiben? Es erregt natürlich Verdacht,<br />
daß ausgerechnet die Atomforscher am stärksten<br />
von diesem Selbstmordzwang befallen sind.«<br />
31
»Tatsächlich? Vielleicht auch nicht. Die Atomphysiker<br />
arbeiten möglicherweise in einem besonders<br />
starken Spannungszustand. Das bedarf natürlich<br />
erst einmal genauer Studien, bevor man irgendwelche<br />
Behauptungen aufstellt.«<br />
»Sie meinen, es handelt sich um eine bestimmte<br />
Art von Komplexen?« fragte Darrity vorsichtig.<br />
Blaustein verzog das Gesicht.<br />
»Die Psychiatrie ist schon viel zu populär geworden.<br />
Jeder redet von Komplexen und Neurosen und<br />
Psychosen und Zwangsvorstellungen, und so weiter.<br />
<strong>Der</strong> Schuldkomplex des einen ist die ungestörte<br />
Nachtruhe des anderen. Wenn ich mit jedem, der<br />
Selbstmord begangen hat, sprechen könnte, würde<br />
ich vielleicht mehr wissen.«<br />
»Sie sprechen mit Ralson.«<br />
»Ja, ich spreche mit Ralson.«<br />
»Hat er vielleicht einen Schuldkomplex?«<br />
»Eigentlich nicht. Auf Grund seiner Vergangenheit<br />
würde es mich nicht überraschen, wenn er eine<br />
morbide Beziehung zum Tod hätte. Als er zwölf Jahre<br />
alt war, starb seine Mutter vor seinen Augen unter<br />
den Rädern eines Autos. Sein Vater siechte langsam<br />
an Krebs dahin. Trotzdem ist mir der Zusammenhang<br />
zwischen diesen Erfahrungen und seinen gegenwärtigen<br />
Schwierigkeiten noch nicht recht klar.«<br />
Darrity nahm seinen Hut.<br />
»Nun, ich wünschte, Sie kämen etwas schneller<br />
voran, Doktor. Irgend etwas Gewaltiges kommt auf<br />
uns zu. Etwas viel Gewaltigeres, als es die H-Bombe<br />
32
war. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, daß es etwas<br />
noch Gewaltigeres als die H-Bombe gibt, und doch<br />
ist es so.«<br />
Ralson bestand darauf stehenzubleiben.<br />
»Ich hatte eine schlechte Nacht, Doktor.«<br />
»Ich hoffe, Sie fühlen sich durch unsere Gespräche<br />
nicht gestört«, sagte Blaustein.<br />
»Doch, in gewisser Weise schon. Sie bringen mich<br />
wieder dazu, über dieses Thema nachzudenken. Und<br />
wenn ich nachdenke, verschlechtert sich mein Zustand.<br />
Wie, glauben Sie, fühlt man sich wohl als Teil<br />
einer bakteriellen Kultur, Doktor?«<br />
»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Für eine<br />
Bakterie ist es bestimmt völlig normal.«<br />
Ralson hatte nicht zugehört. Er sagte langsam:<br />
»Eine Kultur, in der man die Intelligenz studiert hat.<br />
Wir studieren alles, was mit den genetischen Beziehungen<br />
zusammenhängt. Wir nehmen Fruchtfliegen<br />
und kreuzen die rotäugigen mit den weißäugigen, um<br />
zu sehen, was dann passiert. Im Grund sind uns sowohl<br />
die rotäugigen als auch die weißäugigen völlig<br />
egal. Wir versuchen nur, durch sie gewisse grundlegende<br />
genetische Prinzipien zu entdecken. Verstehen<br />
Sie, was ich meine?«<br />
»Sicher.«<br />
»Auch bei den Menschen kann man verschiedene<br />
physische Charakteristika feststellen. <strong>Der</strong>lei lernt<br />
man auf der biologischen Fakultät. Aber man kann<br />
Menschen nicht in derselben Weise kreuzen wie<br />
33
Fruchtfliegen. Menschen leben zu lange. Es würde<br />
Jahrhunderte dauern, bis irgendwelche Schlüsse gezogen<br />
werden können. Wirklich schade, daß es nicht<br />
eine bestimmte Menschenrasse gibt, die sich innerhalb<br />
von Wochen reproduziert, nicht wahr?«<br />
Er wartete auf eine Antwort, aber Blaustein lächelte<br />
nur.<br />
»Eine solche Rasse würden wir nämlich für andere<br />
Geschöpfe sein, die über tausend Jahre lang leben«,<br />
fuhr Ralson fort. »Für solche Wesen würden wir uns<br />
schnell genug vermehren. Wir wären kurzlebige Kreaturen,<br />
und sie könnten unsere Genetik studieren,<br />
beispielsweise unsere Musikalität, unsere wissenschaftlichen<br />
Fähigkeiten, und so weiter. Aber ich<br />
glaube nicht, daß diese Dinge sie mehr interessieren<br />
würden als uns die weißen Augen der Fruchtfliegen.«<br />
»Eine sehr interessante Bemerkung«, sagte Blaustein.<br />
»Es ist nicht bloß eine Bemerkung. Es ist die<br />
Wahrheit. Für mich ist das offensichtlich, und es ist<br />
mir egal, was Sie davon halten. Sehen Sie sich doch<br />
um. Sehen Sie sich einmal den Planeten Erde an.<br />
Was für eine lächerliche Tierart sind wir denn, daß<br />
wir uns zu Herrn der Welt aufspielen, nachdem die<br />
Dinosaurier keinen Erfolg hatten? Sicher, wir sind<br />
intelligent, aber was ist Intelligenz? Wir glauben, daß<br />
sie so wichtig ist, weil wir sie besitzen. Wenn der<br />
Tyrannosaurier sich eine Eigenschaft ausgesucht hätte,<br />
von der er glauben konnte, daß sie seine dominierende<br />
Rolle auf der Erde garantiert, wäre seine Wahl<br />
34
sicher auf Größe und Kraft gefallen. Und er hätte etwas<br />
Besseres daraus gemacht als wir aus unserer Intelligenz.<br />
Immerhin hat seine Spezies länger existiert,<br />
als es aller Voraussicht nach beim Menschen der Fall<br />
sein wird.<br />
Die Intelligenz an sich hat keinen großen Wert als<br />
Überlebensfaktor. <strong>Der</strong> Elefant schneidet ziemlich<br />
schlecht ab, wenn man ihn mit dem Sperling vergleicht,<br />
obwohl er viel intelligenter ist. <strong>Der</strong> Hund<br />
steht ganz gut da, solange er vom Menschen beschützt<br />
wird, aber nicht so gut wie die Hausfliege,<br />
gegen die sich jede Menschenhand erhebt. Oder<br />
nehmen wir doch die Säugetiere als Gruppe. Die<br />
Kleineren verstecken sich vor ihren Feinden. Die<br />
Großen haben kaum je etwas anderes zustande gebracht,<br />
als ihre Art zu erhalten. Die Paviane stehen<br />
noch am besten da, und das liegt sicher an ihren hündischen<br />
Eigenschaften, nicht an ihrem Verstand.«<br />
Kleine Schweißperlen bedeckten Ralsons Stirn.<br />
»Es ist doch klar ersichtlich, daß der Mensch als<br />
eine ganz bestimmte Spezies für die geschaffen wurde,<br />
die ihn studieren wollen. Im allgemeinen ist das<br />
Säugetier kurzlebig. Natürlich leben die größeren<br />
meist etwas länger. Und doch wird der Mensch etwa<br />
zweimal so alt wie die Menschenaffen, älter sogar als<br />
der Gorilla. Wir werden später reif. Es ist so, als hätte<br />
man uns sorgfältig ausgebrütet, damit wir etwas<br />
länger leben, so daß unser Lebenszyklus gerade richtig<br />
ist.«<br />
Er schlug sich mit der Faust gegen die Stirn.<br />
35
»Tausend Jahre sind gerade soviel wie der gestrige<br />
Tag …«<br />
Blaustein drückte hastig auf einen Knopf. Einen<br />
Augenblick lang kämpfte Ralson gegen den Wärter<br />
im weißen Mantel, dann ließ er sich willenlos abführen.<br />
Blaustein blickte ihm nach, schüttelte den Kopf<br />
und griff zum Telefon.<br />
»Inspektor«, sagte er, nachdem er sich mit Darrity<br />
hatte verbinden lassen, »ich muß Ihnen sagen, daß es<br />
leider noch sehr lange dauern wird.«<br />
Er lauschte und schüttelte den Kopf.<br />
»Ich weiß, wie dringlich die Angelegenheit ist.«<br />
Die Stimme, die aus dem Hörer klang, war blechern<br />
und rauh.<br />
»Doktor, das wissen Sie nicht. Ich werde Grant zu<br />
Ihnen schicken. Er wird Ihnen die Situation erklären.«<br />
Dr. Grant fragte, wie es Ralson ginge, und dann<br />
fragte er mit leiser Sehnsucht in der Stimme, ob er<br />
ihn sehen könne. Blaustein schüttelte sanft den Kopf.<br />
»Man hat mich zu Ihnen gesandt«, begann Grant,<br />
»damit ich Sie über den gegenwärtigen Zustand der<br />
atomaren Forschung in Kenntnis setze.«<br />
»So, daß ich es verstehen werde?«<br />
»Ich hoffe es. Die Lage ist ziemlich verzweifelt.<br />
Ich muß Sie daran erinnern …«<br />
»Ja, ich weiß. Die ängstliche Unsicherheit von<br />
euch Atomwissenschaftlern ist wirklich unverständlich.<br />
Ihr müßt doch wissen, daß diese Dinge nicht<br />
ewig verborgen bleiben können.«<br />
36
»Man muß mit dem Geheimnis leben. Es ist wie<br />
eine ansteckende Krankheit.«<br />
»Genau. Und um welches Geheimnis handelt es<br />
sich zur Zeit?«<br />
»Wir werden – oder wir könnten vielleicht bald<br />
ein wirksames Verteidigungsmittel gegen die Atombombe<br />
entwickeln.«<br />
»Und da macht ihr ein Geheimnis draus? Es wäre<br />
doch viel besser, wenn man das sofort in alle Welt<br />
hinausschreien würde.«<br />
»Um Himmels willen, nein! Hören Sie mir zu, Dr.<br />
Blaustein. Vorläufig existiert die Verteidigungsmöglichkeit<br />
nur auf dem Papier. Wir befinden uns im E =<br />
mc 2 -Stadium. In der Praxis sind wir noch nicht soweit.<br />
Es wäre falsch, wenn wir Hoffnungen wecken,<br />
die dann zunichte gemacht würden. Auf der anderen<br />
Seite, wenn es bekannt würde, daß wir uns schon<br />
beinahe gegen die Atombombe verteidigen können,<br />
entsteht vielleicht der Wunsch, einen Krieg zu beginnen<br />
und zu gewinnen, bevor die Verteidigungsmöglichkeit<br />
zufriedenstellend entwickelt werden<br />
kann.«<br />
»Das glaube ich nicht. Aber das tut nichts zur Sache.<br />
Welcher Art ist diese Verteidigungsmöglichkeit?<br />
Oder wagen Sie es nicht, mir noch mehr mitzuteilen?«<br />
»Doch. Ich muß Ihnen so viel sagen, wie es nötig<br />
ist, um Sie davon zu überzeugen, daß wir Ralson<br />
brauchen – und zwar möglichst schnell.«<br />
»Nun, dann reden Sie. Endlich erfahre ich auch<br />
37
einmal Geheimnisse. Ich fühle mich schon fast wie<br />
ein Regierungsmitglied.«<br />
»Sie werden mehr als die meisten anderen Regierungsmitglieder<br />
wissen. Sehen Sie, Dr. Blaustein, ich<br />
werde es Ihnen in der Laiensprache erklären. Die militärische<br />
Geschichte zeigt uns, daß stets Angriffsund<br />
Verteidigungswaffen in gleichem Maß entwickelt<br />
wurden. Nur einmal schien sich die Kriegführung<br />
ganz auf den Angriff zu konzentrieren, und das<br />
war nach der Erfindung des Schießpulvers der Fall.<br />
Aber die Verteidigung holte bald auf. <strong>Der</strong> mittelalterliche<br />
Krieger, der in seiner Rüstung auf dem Pferd<br />
saß, wurde zum modernen Panzersoldaten, statt der<br />
steinernen Burgen haben wir nun die Betonbunker.<br />
Im Grund dasselbe, wenn man davon absieht, daß<br />
heute andere Größenordnungen herrschen.«<br />
»Sehr gut. Sie drücken sich recht klar aus. Und die<br />
Atombombe brachte wieder völlig neue Größenordnungen<br />
mit sich, nicht wahr? Um sich vor ihr zu<br />
schützen, helfen weder Beton noch Stahl.«<br />
»Richtig. Aber es nützt nichts, wenn wir immer<br />
dickere Wände konstruieren. Es gibt kein Material,<br />
das widerstandsfähig genug wäre. In einem Atomkrieg<br />
kann uns nur die Atomenergie schützen. Wir<br />
werden ein Kraftfeld bauen.«<br />
»Und was ist ein Kraftfeld?« fragte Blaustein<br />
sanft.<br />
»Ich wollte, ich könnte es Ihnen sagen. Bisher ist<br />
es nur eine Gleichung auf dem Papier. Die Energie<br />
kann so geleitet werden, daß sie eine unerschütterli-<br />
38
che Schutzwand bildet. Theoretisch. Aber wie wir<br />
das in der Praxis zustande bringen sollen, weiß ich<br />
nicht.«<br />
»Das würde also eine Wand sein, die nichts<br />
durchdringen könnte. Auch keine Atombomben,<br />
nicht wahr?«<br />
»Auch keine Atombomben. Die einzige Begrenzung<br />
der Widerstandsfähigkeit wäre an der Energiemenge<br />
zu messen, die wir in diese Wand laden können.<br />
Theoretisch könnte man diese Wand sogar für<br />
Strahlen undurchdringlich machen. Auch Gammastrahlen<br />
würden an ihr abprallen. Wir träumen von<br />
einem Schutzschirm, der permanent über den Städten<br />
schwebt. Im Normalfall wäre er nur mit einem Minimum<br />
an Energie geladen. Aber im Ernstfall könnte<br />
er innerhalb eines Sekundenbruchteils mit einem<br />
Energiemaximum geladen werden und zwar mit Hilfe<br />
von Kurzwellenstrahlen. All das ist theoretisch<br />
bereits möglich.«<br />
»Und warum brauchen Sie Ralson?«<br />
»Weil er der einzige ist, der die Theorie in die<br />
Praxis umsetzen kann. Und er ist der einzige, der dazu<br />
schnell genug imstande ist. Heutzutage zählt jede<br />
Minute. Sie kennen die internationale Lage. Die<br />
atomare Verteidigung muß funktionieren, bevor es zu<br />
einem atomaren Krieg kommt.«<br />
»Sind Sie sicher, daß Ralson Ihnen helfen kann?«<br />
»Ich war noch nie so sehr von den Fähigkeiten eines<br />
Mannes überzeugt wie von den seinen. Er ist erstaunlich,<br />
Doktor. Er hat immer recht. Keiner von<br />
39
seinen Kollegen weiß, wie er das macht.«<br />
»Vielleicht eine Art Intuition?« <strong>Der</strong> Psychiater<br />
blickte seinen Gesprächspartner verwirrt an. »Vielleicht<br />
verfügt er über Denkpotenzen, die über normale<br />
menschliche Fähigkeiten hinausgehen. Kann das<br />
sein?«<br />
»Ich weiß es nicht.«<br />
»Ich werde noch einmal mit ihm sprechen. Ich benachrichtige<br />
Sie, sobald ich etwas herausgefunden<br />
habe.«<br />
»Gut.« Grant erhob sich. Dann fügte er mit einem<br />
kleinen Hintergedanken hinzu: »Ich möchte Sie darauf<br />
aufmerksam machen, Doktor, daß die Kommission<br />
plant, Ralson aus Ihrem Sanatorium zu entfernen,<br />
wenn Sie nicht bald Erfolg haben.«<br />
»Wollen Sie es mit einem anderen Psychiater versuchen?<br />
In diesem Fall will ich Ihnen natürlich nicht<br />
im Weg stehen. Trotzdem bin ich der Meinung, daß<br />
kein verantwortungsbewußter Facharzt Ralson so<br />
schnell gesund machen kann, wie Sie es wünschen.«<br />
»Einer weiteren psychotherapeutischen Behandlung<br />
steht auch nichts entgegen. Er soll nur schon<br />
vorher seine Arbeit wieder aufnehmen.«<br />
»Ich bestreite, daß er vor seiner völligen Heilung<br />
dazu fähig sein wird, Dr. Grant. Sie werden nichts<br />
aus ihm herausbringen. Und es würde seinen Tod<br />
bedeuten.«<br />
»Jetzt kriegen wir auch nichts aus ihm heraus.«<br />
»Aber solange ich ihn behandle, besteht doch wenigstens<br />
eine kleine Chance, nicht wahr?«<br />
40
»Ich hoffe. Übrigens, erwähnen Sie bitte nichts<br />
davon, daß Ralson möglicherweise von hier entfernt<br />
werden könnte.«<br />
»Ich werde nichts davon verlauten lassen. Vielen<br />
Dank für die Warnung. Auf Wiedersehen, Dr.<br />
Grant.«<br />
»Ich habe mich in letzter Zeit zum Narren gemacht,<br />
nicht wahr, Doktor?« fragte Ralson und runzelte die<br />
Stirn.<br />
»Sie meinen, daß Sie an das, was Sie mir bei unserem<br />
letzten Gespräch erzählt haben, gar nicht glauben?«<br />
»Oh, doch!« Ralsons schlanker Körper zitterte vor<br />
innerer Erregung. Er rannte zum Fenster, und Blaustein<br />
drehte sich im Sessel, um ihn im Auge behalten<br />
zu können. Ralson konnte nicht aus dem Fenster<br />
springen. Das Glas war unzerbrechlich.<br />
Das Dämmerlicht verlosch und die ersten Sterne<br />
zeigten sich am Himmel. Ralson starrte sie fasziniert<br />
an, dann wandte er sich Blaustein zu und zeigte mit<br />
einem Finger aus dem Fenster.<br />
»Jeder einzelne von ihnen ist ein Brutapparat. Sie<br />
haben gerade die richtigen Temperaturen. Verschiedene<br />
Experimente, verschiedene Temperaturen. Und<br />
die Planeten, die sie umkreisen, besitzen gewaltige<br />
Kulturen, die verschiedene Nährstoffmixturen und<br />
verschiedene Lebensformen enthalten. Die Experimentatoren<br />
sind natürlich auch Ökonomen, wer immer<br />
und was immer sie auch sein mögen. Sie haben<br />
41
verschiedene Typen von Lebensformen in dieser besonderen<br />
Teströhre kultiviert. Die Dinosaurier in einem<br />
feuchten, tropischen Zeitalter und uns selbst in<br />
einer Art Eiszeit. Sie bewegen die Sonne hin und her,<br />
und wir versuchen die Sonne zu erforschen.« Er verzog<br />
die Lippen zu einem verächtlichen Lächeln.<br />
»Sicher ist es nicht möglich, die Sonne hin- und<br />
herzubewegen, wie man es gerade möchte.«<br />
»Warum nicht? Genauso stellen wir die richtige<br />
Temperatur in einem Brutkasten her. Glauben Sie,<br />
die Bakterien wissen, wie die Hitze entstanden ist,<br />
die sie umgibt? Wer weiß das? Vielleicht entwickeln<br />
sie auch Theorien. Vielleicht haben sie ihre eigene<br />
Kosmogenie über kosmische Katastrophen, die aus<br />
zerbrochenen Glühbirnen bestehen. Vielleicht glauben<br />
Sie an irgendeinen wohltätigen Schöpfer, der sie<br />
mit Futter und Wärme versorgt und zu ihnen spricht:<br />
›Seid fruchtbar und vermehret euch!‹<br />
Wir pflanzen uns wie sie fort, und wir wissen<br />
nicht, warum. Wir beobachten die sogenannten Gesetze<br />
der Natur, die nichts anderes sind als unsere<br />
Interpretationen der unverstandenen Mächte, die uns<br />
beherrschen.<br />
Und jetzt machen sie das größte und bedeutendste<br />
Experiment mit uns. Es dauert schon zweihundert<br />
Jahre. Ich kann mir vorstellen, daß sie im siebzehnten<br />
Jahrhundert beschlossen, Englands Fähigkeit für<br />
Mechanik zu entwickeln. Wir nennen das die industrielle<br />
Revolution. Es begann mit Dampfenergie,<br />
dann folgte die Elektrizität und schließlich die<br />
42
Atomenergie. Es war ein interessantes Experiment,<br />
und sie trieben es bis zum äußersten. Und deshalb<br />
müssen sie es jetzt auf ziemlich drastische Weise beenden.«<br />
»Und wie wollen sie es beenden?« fragte Blaustein.<br />
»Haben Sie eine Idee?«<br />
»Welches Mittel gibt es wohl, ein technisches<br />
Zeitalter zu beenden? Die ganze Welt fürchtet einen<br />
Atomkrieg und unternimmt alles, um ihn zu verhindern.<br />
Aber ebenso herrscht die weltweite Furcht, daß<br />
ein Atomkrieg unvermeidlich sein wird.«<br />
»Mit anderen Worten, die Experimentatoren werden<br />
einen Atomkrieg arrangieren, gleichgültig, ob<br />
wir damit einverstanden sind oder nicht, um die<br />
technische Ära zu beenden und eine neue zu beginnen.<br />
Das meinen Sie doch, nicht wahr?«<br />
»Ja. Das ist doch logisch. Wenn wir ein Instrument<br />
sterilisieren, wissen dann die Bakterien, woher die<br />
tödliche Hitze kommt? Oder wodurch sie verursacht<br />
wird? Und genauso gibt es einen Weg, wie die Experimentatoren<br />
unsere Emotionen erhitzen können, einen<br />
Weg, wie sie unsere Handlungen beeinflussen,<br />
der über unser Verständnis hinausgeht.«<br />
»Und deshalb wollen Sie sterben? Weil Sie glauben,<br />
daß die Zerstörung der Zivilisation bevorsteht<br />
und durch nichts aufgehalten werden kann?«<br />
»Ich will nicht sterben«, sagte Ralson. »Aber ich<br />
muß.« Unsägliche Qual sprach aus seinen Augen.<br />
»Doktor, wenn Sie eine Kultur sehr gefährlicher<br />
Bakterien angelegt haben, die Sie ständig unter Kon-<br />
43
trolle halten müssen, wäre es da nicht notwendig, daß<br />
Sie in einer gewissen Entfernung vom Impfzentrum<br />
einen mit Penizillin imprägnierten Kreis von Agar-<br />
Medien errichten? Alle Bakterien, die sich zu weit<br />
vom Zentrum entfernen, würden sterben. Ganz automatisch.<br />
Und sehen Sie, Doktor, genauso legen die Experimentatoren<br />
einen Penizillinring um unseren Intellekt.<br />
Wenn wir zu weit ausschwärmen, wenn wir die<br />
wahre Bedeutung unserer Existenz durchbrechen,<br />
stoßen wir auf das Penizillin und müssen sterben. Es<br />
funktioniert ganz langsam, aber unaufhaltsam.«<br />
Er lächelte traurig.<br />
»Kann ich jetzt in mein Zimmer zurückgehen,<br />
Doktor?«<br />
Um die Mittagsstunde des nächsten Tages kam Dr.<br />
Blaustein in Ralsons Zimmer. Es war ein kleiner, unpersönlicher<br />
Raum. Die Wände waren mit grauem<br />
Gummi verkleidet. Die kleinen Fenster lagen in unerreichbarer<br />
Höhe. Direkt auf dem Gummiboden lag<br />
eine Matratze. Kein einziger Metallgegenstand befand<br />
sich im Zimmer, kein einziger Gegenstand, mit<br />
dem man hätte Selbstmord begehen können.<br />
Ralson setzte sich auf.<br />
»Hallo!«<br />
»Hallo, Dr. Ralson. Kann ich mit Ihnen sprechen?«<br />
»Hier? Ich kann Ihnen keinen Stuhl anbieten.«<br />
»Das macht nichts. Ich kann stehen. Ich sitze die<br />
44
ganze Zeit, und da tut mir das Stehen manchmal ganz<br />
gut. Dr. Ralson, ich habe die ganze Nacht über unsere<br />
bisherigen Gespräche nachgedacht.«<br />
»Und jetzt wollen Sie eine Behandlung beginnen,<br />
die mich von den Ideen befreien soll, die Sie für<br />
Wahnvorstellungen halten.«<br />
»Nein. Ich will nur ein paar Fragen an Sie richten<br />
und vielleicht einige Konsequenzen Ihrer Theorien<br />
aufdecken, die Sie möglicherweise nicht bedacht haben.«<br />
»Oh?«<br />
»Sehen Sie, Dr. Ralson, seit Sie mir Ihre Gedankengänge<br />
eröffnet haben, weiß ich, was Sie wissen,<br />
und trotzdem fühle ich keinerlei Zwang, mich umzubringen.«<br />
»Glaube ist mehr als Wissen, Doktor. Sie müßten<br />
ganz fest an meine Theorie glauben, und das tun Sie<br />
nicht.«<br />
»Vielleicht bin ich nicht fähig dazu.«<br />
»Wie meinen Sie das?«<br />
»Sie sind kein Biologe, Dr. Ralson. Und wenn Sie<br />
auch ein brillanter Physiker sind, so können Sie doch<br />
nicht wirklich über diese Bakterienkulturen Bescheid<br />
wissen, die Sie als Analogien benutzen. Sie müssen<br />
wissen, daß es möglich ist, Bakterien zu züchten, die<br />
gegen Penizillin oder jedes andere bakterielle Gift<br />
immun sind.«<br />
»Und?«<br />
»Die Experimentatoren, die uns sozusagen züchten,<br />
arbeiten doch schon seit vielen Generationen mit<br />
45
der Menschheit, nicht wahr? Und dieses besondere<br />
Geschlecht, das sie seit zwei Jahrhunderten kultivieren,<br />
scheint keineswegs aussterben zu wollen. Im<br />
Gegenteil, es ist ein kräftiges, lebensfreudiges Geschlecht.<br />
Ältere hochentwickelte Geschlechter waren<br />
auf einzelne Städte oder kleinere Länder beschränkt<br />
und hielten sich nur ein oder zwei Generationen.<br />
Aber dieses jetzige Geschlecht ist über die ganze Erde<br />
verbreitet. Meinen Sie nicht, daß es gegen Penizillin<br />
immun sein könnte. Mit anderen Worten, die Methoden,<br />
die die Experimentatoren anwenden wollen,<br />
um uns zu vernichten, müssen nicht unbedingt wirksam<br />
sein.«<br />
Ralson schüttelte den Kopf.<br />
»Was mich betrifft, so spüre ich ihre Wirkung<br />
recht deutlich.«<br />
»Vielleicht leisten Sie nicht genug Widerstand.<br />
Oder Sie sind in stark konzentriertes Penizillin hineingestolpert.<br />
Denken Sie doch an all die Menschen,<br />
die sich bemühen, die atomare Aufrüstung gesetzlich<br />
zu verbieten und eine Weltregierung zu schaffen, die<br />
einen andauernden Frieden garantiert. Diese Anstrengungen<br />
haben sich in letzter Zeit verstärkt.«<br />
»Sie werden den bevorstehenden Atomkrieg nicht<br />
aufhalten.«<br />
»Vielleicht ist dazu nur ein kleines bißchen mehr<br />
Mühe notwendig. Die Verfechter des Friedens werden<br />
sich nicht umbringen. Immer mehr Menschen<br />
werden gegen die Methoden der Experimentatoren<br />
immun werden. Wissen Sie, was in unseren Atom-<br />
46
Laboratorien geschieht?«<br />
»Ich will es nicht wissen.«<br />
»Sie müssen es wissen. Sie versuchen ein Kraftfeld<br />
zu entwickeln, das die Atombombe stoppen<br />
kann. Nehmen Sie einmal an, ich kultiviere eine giftige<br />
Bakterie. Da kann es bei allen Vorsichtsmaßnahmen<br />
einmal passieren, daß sich eine Seuche ausbreitet.<br />
Wir sind für die Experimentatoren zwar nur<br />
Bakterien, aber wir können ihnen gefährlich werden.<br />
Sonst würden sie uns nicht nach jedem Experiment<br />
so sorgfältig vernichten.<br />
Sie arbeiten nicht sehr schnell, nicht wahr? Für sie<br />
sind tausend Jahre wie ein Tag. Mit der Zeit merken<br />
sie, daß wir die Penizillinsperre durchbrochen haben.<br />
Und dann ist es für sie zu spät, uns aufzuhalten. Sie<br />
haben uns zur Atomphysik geleitet, und wenn es uns<br />
gelingt zu vermeiden, daß wir einander in einem<br />
Atomkrieg vernichten, so sind wir den Experimentatoren<br />
ebenbürtig.«<br />
Ralson stand auf. Obwohl er nicht sehr groß war,<br />
überragte er Blaustein doch um eineinhalb Zoll.<br />
»Arbeiten sie tatsächlich an einem Kraftfeld?«<br />
»Sie versuchen es. Und sie brauchen Sie.«<br />
»Nein. Ich kann nicht.«<br />
»Sie brauchen Sie, damit Sie ihnen sagen, was für<br />
Sie so offensichtlich ist. Für die anderen ist es nicht<br />
offensichtlich. Denken Sie doch, was es heißt, wenn<br />
Sie Ihre Hilfe verweigern. Es bedeutet die Niederlage<br />
der Menschheit gegen die Experimentatoren.«<br />
Ralson ging mit großen Schritten durch den Raum.<br />
47
Er starrte die gummiverkleidete Wand an.<br />
»Aber diese Niederlage wird es geben. Wenn sie<br />
ein Kraftfeld konstruieren, so bedeutet das ihren sicheren<br />
Tod, noch bevor sie ihre Arbeit beendet haben.«<br />
»<strong>Der</strong> Tod droht ihnen so oder so. Aber sie versuchen,<br />
ihn zu verhindern.«<br />
»Ich will ihnen helfen.«<br />
»Wollen Sie sich noch immer umbringen?«<br />
»Ja.«<br />
»Aber Sie werden versuchen, es zu unterlassen?«<br />
»Ich werde es versuchen, Doktor.« Ralsons Lippen<br />
zitterten. »Ich muß ständig unter Aufsicht stehen.«<br />
Blaustein stieg die Stufen empor und zeigte dem<br />
Wächter in der Vorhalle seinen Paß. Er hatte ihn<br />
schon an der Außentür vorweisen müssen, aber jetzt<br />
wurden seine Person, sein Paß und seine Unterschrift<br />
erneut geprüft. Nach einer Weile kehrte der Wächter<br />
in seinen kleinen Amtsraum zurück und telefonierte.<br />
Die Antwort stellte ihn endlich zufrieden. Blaustein<br />
nahm Platz, und nach wenigen Minuten stand er auf<br />
und schüttelte Dr. Grant die Hand.<br />
»Sogar der Präsident der Vereinigten Staaten hätte<br />
Schwierigkeiten, hier hereinzukommen, nicht wahr?«<br />
sagte Blaustein.<br />
<strong>Der</strong> schlanke Physiker lächelte.<br />
»Sicher, wenn er ohne Vorankündigung eintrifft.«<br />
Sie bestiegen einen Lift, der sie zwölf Stockwerke<br />
hochbrachte. Das Büro, in das Grant den Psychiater<br />
48
führte, hatte Fenster nach drei Richtungen. Es war<br />
schalldicht und besaß eine Klimaanlage. Die polierten<br />
Walnußbaummöbel glänzten.<br />
»Das sieht ja aus wie die Office eines Vorsitzenden.<br />
Die Wissenschaft wird langsam zum ganz großen<br />
Geschäft.«<br />
Grant blickte seinen Besucher verwirrt an.<br />
»Ja, sicher. Aber die Gelder der Regierung fließen<br />
reichlich, und es ist schwierig, ein Kongreßmitglied<br />
von der Wichtigkeit Ihrer Arbeit zu überzeugen,<br />
wenn der Mann nicht den äußeren Glanz sehen, riechen<br />
oder fühlen kann, mit dem Sie sich umgeben.«<br />
Blaustein setzte sich und spürte, wie der gepolsterte<br />
Sessel weich nachgab.<br />
»Dr. Elwood Ralson ist bereit, seine Arbeit wieder<br />
aufzunehmen«, sagte er.<br />
»Wunderbar. Ich hoffte, daß Sie mir diese Nachricht<br />
bringen würden, als 5ie sich bei mir anmeldeten.«<br />
Grant bot dem Psychiater eine Zigarre an, die<br />
dieser jedoch ablehnte.<br />
»Aber wie dem auch sei«, sagte Blaustein, »er ist<br />
noch immer ein kranker Mann. Er muß sorgfältig<br />
und mit großer Einfühlungsgabe behandelt werden.«<br />
»Sicher. Natürlich.«<br />
»Es ist nicht so einfach, wie Sie vielleicht denken.<br />
Ich werde Ihnen einiges über Ralsons Probleme erzählen,<br />
damit Sie verstehen, wie heikel die Situation<br />
ist.«<br />
Er begann zu sprechen, und Grant hörte zuerst interessiert<br />
und dann mit wachsender Bestürzung zu.<br />
49
»Er muß den Verstand verloren haben, Dr. Blaustein.<br />
Unter diesen Umständen wird er uns nicht<br />
nützlich sein können. Er ist verrückt.«<br />
Blaustein zuckte mit den Schultern.<br />
»Ich weiß nicht, was Sie unter ›verrückt‹ verstehen.<br />
Das ist ein böses Wort. Gebrauchen Sie es nicht.<br />
Sicher, er leidet unter Wahnvorstellungen. Man kann<br />
nicht wissen, ob sie seine speziellen Talente beeinflußen<br />
oder nicht.«<br />
»Aber ein Wahnsinniger kann doch nicht …«<br />
»Bitte, halten wir uns nicht mit langen EHskussionen<br />
über die psychologische Definition von Wahnsinn<br />
auf. <strong>Der</strong> Mann hat Wahnvorstellungen, und unter<br />
normalen Umständen würde ich ihn zweifellos<br />
beurlauben. Aber die besonderen Fähigkeiten dieses<br />
Mannes werden mithelfen, ein Problem zu lösen, das<br />
absolut außerhalb jeder Norm liegt. So ist es doch,<br />
nicht wahr?«<br />
»Das stimmt.«<br />
»Wie können Sie oder ich dann den Wert seiner<br />
Arbeit beurteilen? Übrigens, hatten Sie in letzter Zeit<br />
Selbstmordgedanken?«<br />
»Nein.«<br />
»Und die anderen Wissenschaftler hier?«<br />
»Sicher nicht.«<br />
»Ich möchte vorschlagen, daß während der Arbeit<br />
an dem Kraftfeld die betroffenen Wissenschaftler<br />
sowohl hier als auch zu Hause beobachtet werden.<br />
Noch besser wäre es, wenn sie gar nicht nach Hause<br />
gehen würden. Büros wie dieses kann man als kleine<br />
50
Schlafzimmer einrichten …«<br />
»Sie wären niemals damit einverstanden.«<br />
»Oh doch, wenn Sie ihnen die wahren Gründe verschweigen<br />
und sagen, es handle sich um eine Sicherheitsmaßnahme,<br />
werden sie zustimmen. Sicherheitsmaßnahmen.<br />
Dieses Wort ist doch heute sehr beliebt.<br />
Ralson muß mehr als alle anderen beaufsichtigt werden.«<br />
»Natürlich.«<br />
»Aber all das ist von geringerer Bedeutung. Es<br />
muß etwas getan werden, um mein Gewissen zu entlasten,<br />
für den Fall, daß Ralsons Theorien richtig<br />
sind. Ich glaube das natürlich nicht. Es handelt sich<br />
sicher um Wahnvorstellungen, aber es ist notwendig,<br />
nach ihrer Ursache zu fragen. Was gab oder gibt es<br />
in Ralsons Leben, das diese Wahnvorstellungen hervorruft?<br />
Die Antwort wird nicht einfach sein. Es<br />
kann jahrelanger konsequenter Psychoanalyse bedürfen,<br />
um eine befriedigende Erklärung zu finden. Und<br />
bevor ich die Antwort nicht weiß, kann ich ihn nicht<br />
heilen.<br />
Aber vorläufig können wir wenigstens einige Gegebenheiten<br />
annehmen. Er hatte eine unglückliche<br />
Kindheit, in der er auf die eine oder andere Art mit<br />
dem Tod konfrontiert wurde, und zwar auf ziemlich<br />
unangenehme Weise. Außerdem war er nie fähig,<br />
Kontakt zu anderen Kindern zu finden, und als er<br />
erwachsen wurde, ging es ihm genauso mit allen anderen<br />
Menschen. Ihre langsame Denkungsart erweckte<br />
stets seine Ungeduld. Was immer auch der<br />
51
Unterschied zwischen seinem Denken und dem anderer<br />
Menschen sein mag, er errichtete eine Mauer zwischen<br />
sich und der Gesellschaft, die etwa so stark ist<br />
wie das Kraftfeld, daß Sie zum Schutz gegen die<br />
Atombombe zu entwickeln versuchen. Aus ähnlichen<br />
Gründen war er immer außerstande, ein normales<br />
Geschlechtsleben zu führen. Er war nie verheiratet,<br />
er hatte nie eine Geliebte.<br />
Um diesen Mangel zu kompensieren und eine Entschuldigung<br />
für sein Außenseitertum zu finden,<br />
flüchtete er sich in die Annahme, daß andere Menschen<br />
ihm unterlegen sind. Das mag vielleicht stimmen,<br />
soweit es seinen Verstand betrifft.<br />
Aber es gibt noch viele andere Facetten der<br />
menschlichen Persönlichkeit, und nicht in allen ist er<br />
überlegen. Kein Mensch wird das jemals sein. Andere<br />
Menschen, wenn sie auch ihre Unterlegenheit in<br />
gewissen Belangen anerkennen, werden seinen Anspruch<br />
auf absoluten Vorrang nicht akzeptieren. Sie<br />
würden denken, daß er etwas seltsam, ja sogar lächerlich<br />
ist. Und das macht es für Ralson nur noch<br />
notwendiger zu beweisen, wie armselig und unterlegen<br />
die Spezies Mensch ist. Und wie kann er das<br />
besser bewerkstelligen, als sich eine Theorie zurechtzuzimmern,<br />
die besagt, daß die Menschen nur<br />
Bakterien sind, mit denen andere, höhere Geschöpfe<br />
experimentieren. Und sein Selbstmordimpuls ist<br />
nichts anderes als eine wilde Sehnsucht, sich von allem,<br />
was menschlich ist, zu lösen, die Identifizierung<br />
mit dieser jämmerlichen Spezies zu beenden. Verste-<br />
52
hen Sie, was ich meine?«<br />
Grant nickte.<br />
»<strong>Der</strong> arme Kerl.«<br />
»Ja, er ist bedauernswert. Wenn seine Kindheit<br />
anders verlaufen wäre … Nun, es wird das Beste für<br />
Dr. Ralson sein, wenn er in keinen Kontakt mit den<br />
anderen Männern hier kommt. Er ist zu krank, als<br />
daß man ihn den anderen Wissenschaftlern anvertrauen<br />
könnte. Sie werden der einzige sein, der ihn<br />
sieht und mit ihm spricht. Dr. Ralson hat sich damit<br />
einverstanden erklärt. Er denkt offensichtlich, daß<br />
Sie nicht ganz so dumm sind wie die anderen.«<br />
Grant lächelte schwach.<br />
»Gut, ich werde tun, was Sie sagen.«<br />
»Sie müssen natürlich sehr vorsichtig sein. Sprechen<br />
Sie mit ihm nur über die Arbeit, über nichts anderes.<br />
Sollte er freiwillig von seinen Theorien erzählen,<br />
was ich bezweifle, so sagen Sie irgend etwas<br />
Unverbindliches und lassen ihn dann allein. Und sorgen<br />
Sie dafür, daß jeder spitze oder scharfe Gegenstand<br />
aus seiner Nähe entfernt wird. Ebenso darf er<br />
an kein Fenster herankommen. Versuchen Sie immer,<br />
seine Hände zu beobachten. Sie müssen mich<br />
verstehen. Ich lasse meinen Patienten in Ihrer Obhut.<br />
Sie sind für ihn verantwortlich, Dr. Grant.«<br />
»Ich werde mein Bestes tun, Dr. Blaustein.«<br />
Zwei Monate lang wohnte Ralson in einer Ecke von<br />
Grants Office, und Grant wohnte bei ihm. Vor den<br />
Fenstern waren Gitter angebracht worden. Alle höl-<br />
53
zernen Einrichtungsgegenstände waren entfernt und<br />
durch weich gepolsterte Sofas ersetzt worden. Wenn<br />
Ralson nachdachte, lag er auf einer Couch und wenn<br />
er rechnete, saß er auf einem Kissen und schrieb an<br />
einem Schreibtisch, der ebenfalls aus weichen Kissen<br />
bestand.<br />
Vor dem Büro war die Aufschrift ›Bitte nicht eintreten‹<br />
angebracht worden. Grant brachte das Essen.<br />
<strong>Der</strong> anschließende Aufenthaltsraum war für jeden<br />
privaten Gebrauch gesperrt worden, und die Tür zwischen<br />
den beiden Räumen hatte man zugemauert.<br />
Grant war dazu übergegangen, sich elektrisch zu rasieren,<br />
damit Ralson nicht durch ein Rasiermesser<br />
auf dumme Gedanken kommen konnte. Er vergewisserte<br />
sich, daß Ralson jeden Abend Schlaftabletten<br />
schluckte, und wartete, bis er eingeschlafen war, bevor<br />
er selbst schlief.<br />
Wenn Ralson die Forschungsberichte las, die ihm<br />
ständig gebracht wurden, so beobachtete Grant ihn<br />
unauffällig. Nach der Lektüre ließ Ralson die Papiere<br />
zu Boden fallen und beschattete die Augen mit der<br />
Hand.<br />
»Ist irgend etwas?« fragte Grant.<br />
Ralson schüttelte den Kopf.<br />
»Während des Schichtwechsels werde ich dafür<br />
sorgen, daß das Gebäude völlig leer ist. Sie müßten<br />
sich einmal die Versuchsanordnungen ansehen, die<br />
wir aufgebaut haben.«<br />
Sie gingen durch die erhellten, leeren Räume,<br />
Hand in Hand. Sie gingen immer Hand in Hand.<br />
54
Grants Griff war fest. Aber danach schüttelte Ralson<br />
noch immer den Kopf.<br />
Ein halbes dutzendmal begann er zu schreiben,<br />
kritzelte ein wenig auf dem Papier herum und warf<br />
dann die Kissen beiseite.<br />
Bis er schließlich wieder einmal zu schreiben begann<br />
und blitzschnell ein halbes Blatt Papier vollschrieb.<br />
Automatisch trat Grant näher. Ralson blickte<br />
auf und bedeckte das Papier mit seiner zitternden<br />
Hand.<br />
»Rufen Sie Blaustein an!« sagte er.<br />
»Was?«<br />
»Ich sagte, Sie sollen Blaustein anrufen. Er soll<br />
hierherkommen! Sofort!«<br />
Grant ging zum Telefon. Ralson schrieb immer rascher.<br />
Er hielt nur ab und zu inne, um sich mit der<br />
Hand über die feuchte Stirn zu wischen. Dann blickte<br />
er auf und fragte mit gebrochener Stimme: »Kommt<br />
er?«<br />
Grant musterte ihn besorgt.<br />
»Er ist nicht in seinem Büro.«<br />
»Rufen Sie bei ihm zu Hause an! Oder sonstwo!<br />
Rasch, verlieren Sie keine Zeit!«<br />
Grant wandte sich wieder dem Telefon zu, und<br />
Ralson nahm ein zweites Blatt Papier. Fünf Minuten<br />
später sagte Grant: »Er kommt. Ist etwas nicht in<br />
Ordnung? Sie sehen krank aus.«<br />
»Keine Zeit – kann nicht reden …«, erwiderte<br />
Ralson dumpf.<br />
Er schrieb, kritzelte, skizzierte. Seine Hand schien<br />
55
seinen Gedankengängen kaum folgen zu können.<br />
»Diktieren Sie!« sagte Grant. »Ich werde schreiben.«<br />
Ralson wehrte ab. Mit der Linken umklammerte er<br />
sein rechtes Handgelenk, schob die Hand über das<br />
Blatt Papier, als wäre sie ein Stück Holz. Dann brach<br />
er über den Papieren zusammen.<br />
Grant zog die Blätter unter Ralsons Brust hervor<br />
und bettete den Bewußtlosen auf die Couch. Besorgt<br />
beugte er sich über ihn, als Blaustein eintraf.<br />
»Was ist passiert?« <strong>Der</strong> Psychiater trat an Grants<br />
Seite.<br />
»Ich glaube, er lebt noch«, erwiderte Grant. Aber<br />
inzwischen hatte das Blaustein bereits selbst festgestellt.<br />
Grant erzählte ihm, was geschehen war. Mit<br />
einer Injektion rief der Psychiater Ralson ins Bewußtsein<br />
zurück. Die Augen des Kranken glänzten<br />
unnatürlich, als er sie aufschlug. Er stöhnte.<br />
»Ralson!« sagte Blaustein eindringlich.<br />
Blindlings griff Ralson nach der Hand des Psychiaters.<br />
»Doktor, nehmen Sie mich wieder mit.«<br />
»Das werde ich tun. Haben Sie herausgefunden,<br />
wie das Kraftfeld funktionieren könnte?«<br />
»Es steht alles in den Papieren.«<br />
Grant überflog skeptisch Ralsons Aufzeichnungen.<br />
»Es ist nicht alles«, sagte Ralson mit schwacher<br />
Stimme. »Ich kann nicht alles aufschreiben. Den<br />
Rest müssen Sie selbst herausfinden. Nehmen Sie<br />
mich mit, Doktor.«<br />
56
»Warten Sie!« sagte Grant. Hüsternd wandte er<br />
sich an Blaustein. »Können Sie ihn nicht hierlassen,<br />
bis wir seine Berechnungen überprüft und genau untersucht<br />
haben? Ich kann im Moment nichts damit<br />
anfangen. Es ist fast unleserlich. Fragen Sie ihn<br />
doch, was er damit meint!«<br />
»Fragen Sie mich«, sagte Ralson. Er hatte von seiner<br />
Couch aus das Gespräch mitangehört. Seine<br />
weitgeöffneten Augen funkelten. Die beiden Männer<br />
drehten sich zu ihm herum.<br />
»Sie wollen kein Kraftfeld«, sagte Ralson. »Sie,<br />
die Experimentatoren! Solange ich den Dingen nicht<br />
wirklich auf der Spur war, passierte nichts. Aber dieser<br />
Gedanke, da auf den Papieren, kaum daß ich ihn<br />
dreißig Sekunden lang verfolgt habe, da spürte ich –<br />
spürte ich – Doktor …«<br />
»Was spürten Sie?« fragte Blaustein.<br />
»Ich bin tiefer in das Penizillin eingedrungen«,<br />
flüsterte Ralson. »Ich fühlte, wie ich hineinglitt, und<br />
je weiter ich den Gedanken verfolgte, um so tiefer<br />
drang ich in das Penizillin ein. Noch nie war ich – so<br />
tief drin gewesen. Und deshalb weiß ich, daß ich auf<br />
der richtigen Spur bin. Nehmen Sie mich mit, Doktor.«<br />
»Ich muß ihn mitnehmen, Grant«, sagte Blaustein<br />
mit fester Stimme. »Ich habe keine andere Wahl.<br />
Wenn Sie aus seinen Aufzeichnungen klug werden,<br />
ist es gut. Wenn nicht, kann ich Ihnen auch nicht helfen.<br />
Dieser Mann kann jetzt nicht weiterarbeiten. Es<br />
würde seinen Tod bedeuten. Verstehen Sie das?«<br />
57
»Aber es ist doch völlig unmöglich und unlogisch,<br />
daß er daran stirbt«, warf Grant ein.<br />
»Mag sein. Aber spielt es eine Rolle, woran er<br />
stirbt?«<br />
Ralson war wieder bewußtlos und hörte nichts<br />
mehr. Grant bückte ihn ernst an.<br />
»Gut, nehmen Sie ihn mit.«<br />
Mürrisch betrachteten zehn der qualifiziertesten Wissenschafler<br />
des Instituts die leuchtende Filmleinwand,<br />
über die ein Dia nach dem anderen glitt. Grant<br />
beobachtete sie stirnrunzelnd.<br />
»Ich denke, die Idee ist einfach genug«, sagte er.<br />
»Sie sind Mathematiker und Ingenieure. Die Aufzeichnungen<br />
mögen unsinnig wirken, aber es steht<br />
eine Bedeutung dahinter. Irgendwo in diesem Gekritzel<br />
muß sie zu finden sein, wenn es auch noch so<br />
wirr aussieht. Die erste Seite ist klar genug und kann<br />
als Anhaltspunkt dienen. Jeder von Ihnen wird sich<br />
die Papiere immer wieder ansehen, jede mögliche<br />
Version untersuchen. Sie werden unabhängig voneinander<br />
arbeiten. Keiner soll die Gedanken des anderen<br />
beeinflussen.«<br />
»Wie können Sie wissen, daß das überhaupt etwas<br />
bedeutet, Grant?« fragte einer der Männer.<br />
»Weil es sich um Ralsons Aufzeichnungen handelt.«<br />
»Ralson! Ich dachte, er sei …«<br />
»Sie dachten, er sei krank.« Grant mußte die<br />
Stimme heben, um das immer lauter werdende Ge-<br />
58
murmel zu übertönen. »Ich weiß. Er ist krank. Dies<br />
sind die Aufzeichnungen eines Mannes, der knapp<br />
dem Tod entronnen ist. Das ist alles, was Ralson uns<br />
noch geben konnte. Wir haben nichts mehr von ihm<br />
zu erwarten. Irgendwo in diesen Aufzeichnungen<br />
liegt die Lösung unseres Problems. Wenn wir sie<br />
nicht finden, werden wir noch zehn Jahre verschwenden<br />
müssen, um sie anderswo zu suchen.«<br />
Sie machten sich an die Arbeit. Die Nacht verstrich.<br />
Zwei Nächte verstrichen. Drei Nächte …<br />
Grant prüfte die Ergebnisse. Er schüttelte den<br />
Kopf.<br />
»Ich kann Ihnen versichern, daß hier irgendwo ein<br />
Zusammenhang besteht. Aber ich kann ihn nicht sehen.«<br />
Lowe, nach Ralson der beste Nuklear-Ingenieur<br />
des Instituts, zuckte mit den Schultern.<br />
»Ich werde nicht ganz schlau daraus. Wenn seine<br />
Theorie wirklich funktionieren soll, dann geht daraus<br />
jedenfalls nicht hervor, auf welche Weise.«<br />
»Er hatte keine Zeit mehr, das zu erklären. Können<br />
Sie den Generator so aufbauen, wie er es angegeben<br />
hat?«<br />
»Ich kann es versuchen.«<br />
»Könnten Sie auch die anderen Versionen auf diesen<br />
Papieren überprüfen?«<br />
»In den anderen sehe ich keinen Zusammenhang.«<br />
»Würden Sie es bitte noch einmal versuchen?«<br />
»Wenn Sie es wünschen.«<br />
»Und könnten Sie auf jeden Fall mit der Konstruk-<br />
59
tion beginnen?«<br />
»Das kann ich tun. Aber ich sage Ihnen ganz offen,<br />
daß ich sehr pessimistisch bin.«<br />
»Ich weiß. Mir geht es nicht anders.«<br />
Die Arbeit machte Fortschritte. Hal Ross, der dienstälteste<br />
Mechaniker, war mit der praktischen Konstruktion<br />
betraut worden. Schon seit Nächten verzichtete<br />
er auf seinen Schlaf. Zu jeder Tages- oder<br />
Nachtstunde beugte er sich über seine Arbeit.<br />
»Was ist das, Dr. Lowe? So etwas habe ich noch<br />
nie gesehen. Was soll das denn bedeuten?«<br />
»Sie wissen doch, daß hier keine Fragen gestellt<br />
werden sollen. Fragen Sie nicht mehr.«<br />
Ross stellte keine Fragen mehr. Die Konstruktion,<br />
die er errichtete, mißfiel ihm absolut. Aber er arbeitete<br />
weiter.<br />
Eines Tages rief Blaustein an.<br />
»Wie geht es Ralson?« fragte Grant.<br />
»Nicht gut. Er will den ersten Test des Projektors<br />
miterleben.«<br />
»Das sollten wir ihm erlauben«, sagte Grant zögernd.<br />
»Immerhin handelt es sich um seine Erfindung.«<br />
»Ich müßte mit ihm kommen.«<br />
»Das ist gefährlich«, sagte Grant unglücklich.<br />
»Immerhin experimentieren wir mit ungeheuren<br />
Energien.«<br />
»Es ist für uns nicht gefährlicher als für Sie.«<br />
»Also gut. Die Liste der Zuschauer wird von der<br />
60
Kommission und vom FBI überprüft, aber ich werde<br />
versuchen, Sie zu nominieren.«<br />
Blaustein betrachtete den Projektor, der in der Mitte<br />
des riesigen Versuchslaboratoriums aufgebaut war.<br />
Alle anderen Maschinen waren entfernt worden. Es<br />
gab keine sichtbare Verbindung mit der Atomkraftanlage,<br />
die als Energiequelle diente, aber den Gesprächsfetzen,<br />
die der Psychiater aufschnappte,<br />
konnte er entnehmen, daß der Projektor von unten<br />
mit Atomenergie versorgt wurde. Ralson hatte er<br />
nicht fragen wollen.<br />
Zuerst waren die Besucher um die Maschine herumgestanden<br />
und hatten sich in einem für Blaustein<br />
unverständlichen Vokabular unterhalten. Jetzt zogen<br />
sie sich zurück, und die Galerie füllte sich. Auf der<br />
gegenüberliegenden Seite saßen drei Generäle und<br />
eine ganze Reihe niederer militärischer Dienstgrade.<br />
Blaustein suchte nach einem abgelegenen Platz. Ralson<br />
zuliebe.<br />
»Wollen Sie wirklich bleiben?« fragte er ihn.<br />
Es war sehr warm im Laboratorium. Trotzdem<br />
trug Ralson einen Mantel und hatte den Kragen<br />
hochgeklappt. Aber Blaustein wußte, daß das unnötig<br />
war. Er bezweifelte, daß irgendeiner von Ralsons<br />
früheren Bekannten den Ingenieur wiedererkannt<br />
hätte.<br />
»Ich will bleiben«, sagte Ralson.<br />
Blaustein war zufrieden. Er wollte selbst den Versuch<br />
sehen. Er drehte sich um, als eine Stimme hinter<br />
61
ihm ertönte.<br />
»Hallo, Dr. Blaustein.«<br />
Sekundenlang wußte Blaustein nicht, wen er vor<br />
sich hatte, doch dann sagte er: »Ah, Inspektor Darrity?<br />
Was machen denn Sie hier?«<br />
»Das können Sie sich doch denken.« <strong>Der</strong> Inspektor<br />
zeigte auf die Zuschauer. »Man kann nie sicher<br />
sein, ob sich nicht doch ein Unbefugter eingeschlichen<br />
hat. Man muß immer mit einem unvorhergesehenen<br />
Zwischenfall rechnen. »Er warf sein Taschenmesser<br />
in die Luft und fing es geschickt wieder<br />
auf.<br />
»Natürlich«, sagte Blaustein. »Wo gibt es schon<br />
vollkommene Sicherheit? Wer kann schon seinem<br />
eigenen Unterbewußtsein trauen? Und jetzt wollen<br />
Sie also mich beobachten?«<br />
»Vielleicht.« Darrity lächelte. »Sie waren doch<br />
ganz versessen darauf, hier hereinzukommen, nicht<br />
wahr?«<br />
»Nicht meinetwegen, Inspektor. Und würden Sie<br />
bitte dieses Messer wegstecken?«<br />
Überrascht folgte Darrity Blausteins Blick. Er<br />
steckte das Messer ein und musterte Blausteins Begleiter<br />
etwas genauer. Dann stieß er einen leisen Pfiff<br />
aus.<br />
»Hallo, Dr. Ralson«, sagte er.<br />
»Hallo«, krächzte Ralson.<br />
Darritys Reaktion überraschte Blaustein nicht.<br />
Ralson hatte zwanzig Pfund abgenommen, nachdem<br />
er wieder ins Sanatorium zurückgekehrt war. Sein<br />
62
Gesicht war gelb und faltig. Es war das Gesicht eines<br />
Mannes, der von heute auf morgen sechzig Jahre alt<br />
geworden war.<br />
»Wird der Versuch bald beginnen?« fragte Blaustein.<br />
»Es sieht so aus, als ob sie jetzt anfangen«, erwiderte<br />
Darrity. Er wandte sich ab und beugte sich über<br />
das Geländer der Galerie. Blaustein nahm Ralsons<br />
Ellbogen und wollte ihn beiseite führen, aber Darrity<br />
sagte leise: »Bleiben Sie hier, Doktor. Ich will nicht,<br />
daß Sie herumspazieren.«<br />
Blaustein ließ seine Blicke über die Zuschauer<br />
schweifen. Die Männer sahen aus, als seien sie halb<br />
zu Stein erstarrt. Er konnte Grant sehen, groß und<br />
hager. Langsam hob er seine Hand, um sich eine Zigarette<br />
anzuzünden, doch dann schien er es sich anders<br />
zu überlegen und steckte Zigarette und Feuerzeug<br />
in die Hosentasche. Die jungen Männer an den<br />
Schalttafeln warteten angespannt.<br />
Dann ertönte ein leises Summen, und der schwache<br />
Geruch von Ozon erfüllte die Luft.<br />
»Sehen Sie!« sagte Ralson barsch. Blaustein und<br />
Darrity folgten mit den Augen dem ausgestreckten<br />
Zeigefinger. <strong>Der</strong> Projektor schien zu flackern. Erhitzte<br />
Luft schien zwischen der Maschine und den Männern<br />
zu zittern. Eine Eisenkugel, die wie ein Pendel<br />
hin- und herschwang, senkte sich durch das Flimmern<br />
herab.<br />
»Es wird langsamer, nicht wahr?« fragte Blaustein<br />
erregt.<br />
63
Ralson nickte.<br />
»Sie messen das Anschwellen der Energie, um den<br />
Verlust der Triebkraft berechnen zu können. Diese<br />
Idioten! Ich sagte ihnen doch, daß es funktionieren<br />
würde.« Das Sprechen bereitete ihm offensichtlich<br />
Schwierigkeiten.<br />
»Sehen Sie nur ganz ruhig zu, Dr. Ralson«, sagte<br />
Blaustein. »Ich würde mich nicht mehr grundlos aufregen.«<br />
Das Pendel hörte auf zu schwingen und wurde<br />
hochgezogen. Das Flackern auf dem Projektor wurde<br />
stärker, und wieder senkte sich die Eisenkugel. <strong>Der</strong><br />
Vorgang wiederholte sich noch mehrmals, und jedesmal<br />
endete das Schwingen des Pendels ruckhafter.<br />
Bald konnte man klar hören, wann es in das Flackern<br />
tauchte, und plötzlich sprang es zurück. Erst<br />
mit dumpfem Laut, als wenn es gegen Kalk geprallt<br />
wäre, dann klirrend, wie wenn Metall gegen Metall<br />
stößt.<br />
Sie zogen das Pendel endgültig zurück. <strong>Der</strong> Projektor<br />
war von einem Schleier umgeben. Man konnte<br />
ihn kaum mehr sehen. Grant gab eine Anordnung,<br />
und plötzlich wurde der Ozongeruch scharf und beißend.<br />
Die Zuschauer schrien auf. Ein Dutzend Finger<br />
wiesen zur Mitte des Raumes.<br />
Blaustein beugte sich über das Geländer. Er war<br />
genauso erregt wie die anderen. An der Stelle, wo<br />
noch vor kurzem der Projektor gestanden hatte, befand<br />
sich nun ein halbkugelförmiger Spiegel von<br />
vollkommener Klarheit und Schönheit. Blaustein<br />
64
konnte sich selbst darin sehen, einen kleinen Mann,<br />
der auf einem kleinen Balkon stand. Das Geländer<br />
des Balkons schwang sich auf jeder Seite kurvenförmig<br />
nach unten. Er konnte die fluoreszierenden<br />
Lichter sehen, die der Spiegel in glühenden Punkten<br />
zurückwarf.<br />
»Sehen Sie, Ralson!« schrie er. »Die Energie wird<br />
reflektiert. <strong>Der</strong> Projektor wirft Lichtwellen zurück<br />
wie ein Spiegel. Ralson …« Er wandte sich um. »Inspektor,<br />
wo ist Ralson?«<br />
»Was?« Darrity fuhr herum. »Ich habe ihn nicht<br />
gesehen.« Aufgeregt blickte er um sich. »Er kann das<br />
Laboratorium nicht verlassen. Niemand kann hier<br />
heraus. Suchen Sie auf der anderen Seite.« Und dann<br />
fuhr seine Hand zum Oberschenkel, kramte in der<br />
Hosentasche. »Mein Messer ist verschwunden!«<br />
Blaustein fand ihn. Er war in Hal Ross’ kleinem<br />
Büro. Man konnte es vom Balkon aus erreichen, und<br />
an diesem Tag war es leer. Ross befand sich nicht<br />
einmal unter den Zuschauern. Für einen erfahrenen<br />
Mechaniker war es nicht nötig zuzusehen. Aber sein<br />
Büro war gerade geeignet, um den langen Kampf<br />
gegen einen Selbstmord zu beenden.<br />
Blaustein blieb eine schreckliche Sekunde lang in<br />
der Tür stehen, dann wandte er sich ab. Er sah Darrity<br />
aus einem der anderen Büros treten, winkte ihm<br />
zu, und der Inspektor lief zu ihm.<br />
Grant zitterte vor Erregung. Aus zwei Zigaretten hatte<br />
er je zwei Züge genommen und sie dann auf dem<br />
65
Fußboden zertreten. Jetzt drehte er die dritte zwischen<br />
den Fingern.<br />
»Das ist besser, als wir zu hoffen wagten«, sagte<br />
er. »Morgen machen wir den Schlußtest. Ich weiß<br />
zwar schon jetzt, wie er ausfallen wird, aber wir haben<br />
ihn geplant und werden ihn auch durchführen.<br />
Wir lassen die kleineren Waffen aus und fangen<br />
gleich mit den Raketenrohren an. Oder vielleicht<br />
auch nicht. Man müßte eine spezielle Testvorrichtung<br />
konstruieren, um die Querschläger abzufangen.«<br />
Er warf seine dritte Zigarette zu Boden.<br />
»Wir müssen die Wirkung der Atombombe testen«,<br />
sagte ein General.<br />
»Natürlich. Wir haben schon Pläne für eine Versuchsstadt<br />
entworfen. Wir stellen mitten drin einen<br />
Generator auf und werfen eine Bombe. In der Stadt<br />
werden Tiere sein.«<br />
»Und Sie glauben wirklich, daß wir mit diesem<br />
Kraftfeld einen wirksamen Schutz gegen die Atombombe<br />
haben?«<br />
»Nicht nur das, General. Bevor die Bombe geworfen<br />
wird, wird nichts von dem Kraftfeld zu sehen sein.<br />
Die Strahlung des Plutoniums versorgt das Feld erst<br />
kurz vor der Explosion mit Energie. So wie hier bei<br />
der letzten Stufe des Tests. Das ist das Wesentliche.«<br />
»Die Sache hat aber auch Nachteile«, sagte ein<br />
Professor aus Princeton. »Wenn das Feld voll geladen<br />
ist, wird alles darunter in totale Finsternis gehüllt,<br />
zumindest, soweit das Licht von der Sonne<br />
ausgeht. Außerdem stört es mich, daß der Feind<br />
66
harmlose Raketengeschosse abfeuern kann, um das<br />
Feld immer wieder in volle Ladung zu versetzen. Es<br />
wäre sehr unangenehm, wenn unsere Atomkraftanlage<br />
auf diese Weise verzehrt würde.«<br />
»Auch diese Schwierigkeiten wird man beseitigen<br />
können, jetzt nachdem das Hauptproblem gelöst ist«,<br />
sagte Grant.<br />
Ein Brite trat auf Grant zu und schüttelte ihm die<br />
Hand.<br />
»Meine Sorge um London ist zwar kleiner geworden,<br />
aber ich wünschte, Ihre Regierung würde uns<br />
die gesamten Pläne zur Verfügung stellen. Was ich<br />
bis jetzt gesehen habe, erscheint mir genial. Sicher,<br />
jetzt kommt uns alles ganz selbstverständlich vor.<br />
Aber wie konnte ein Mensch jemals auf diese Idee<br />
kommen?«<br />
Grant lächelte.<br />
»Dr. Ralsons Entwürfe …«<br />
Er drehte sich um, als eine Hand seine Schulter berührte.<br />
»Dr. Blaustein! Sie habe ich ganz vergessen.<br />
Kommen Sie, ich muß mit Ihnen sprechen.« Er zog<br />
den kleinen Psychiater beiseite und flüsterte: »Hören<br />
Sie, könnten Sie Ralson dazu überreden, daß er sich<br />
diesen Leuten vorstellen läßt? Heute ist doch der Tag<br />
seine Triumphes.«<br />
»Ralson ist tot«, sagte Blaustein.<br />
»Was?«<br />
»Könnten Sie Ihre Gäste für einige Zeit allein lassen?«<br />
67
»Ja – ja … Gentlemen, bitte entschuldigen Sie<br />
mich für ein paar Minuten.«<br />
Er eilte mit Blaustein davon.<br />
Die Polizei hatte sich bereits eingeschaltet. Die<br />
Beamten riegelten Ross’ Büro ab. Vor der Tür diskutierte<br />
die erregte Menge das Wunder der Wissenschaft,<br />
das sie soeben miterlebt hatte. Man wußte<br />
nicht, daß der Schöpfer dieses Wunders tot war. Die<br />
Beamten wichen zur Seite, um Grant und Blaustein<br />
einzulassen. Die Tür schloß sich hinter ihnen.<br />
Grant hob das Leichentuch.<br />
»Er sieht zufrieden aus.«<br />
»Ich würde sagen – glücklich«, sagte Blaustein.<br />
»Die Selbstmordwaffe war mein eigenes Messer«,<br />
sagte der totenbleiche Darrity. »Es war meine Nachlässigkeit.<br />
Ich werde es melden.«<br />
»Nein«, sagte Blaustein. »Das wäre sinnlos. Er<br />
war mein Patient, und ich war für ihn verantwortlich.<br />
Er hätte keinesfalls mehr länger als eine Woche gelebt.<br />
Seit er den Projektor erfunden hat, schritt er unaufhaltsam<br />
dem Tod entgegen.«<br />
»Muß eigentlich die ganze Geschichte in den polizeilichen<br />
Akten auftauchen?« fragte Grant. »Können<br />
wir nicht seinen Wahnsinn in Vergessenheit geraten<br />
lassen?«<br />
»Ich fürchte, das wird nicht möglich sein, Dr.<br />
Grant«, sagte der Inspektor.<br />
»Ich habe ihm alles erzählt«, sagte Blaustein traurig.<br />
Grant blickte von einem zum anderen.<br />
68
»Ich werde mit dem Polizeipräsidenten sprechen.<br />
Ich gehe auch zum Präsidenten der Vereinigten Staaten,<br />
wenn es notwendig ist. Ich verstehe nicht, warum<br />
man den Selbstmord oder den Wahnsinn Ralsons<br />
erwähnen muß. Warum muß ein Schatten auf seinen<br />
Ruhm fallen?«<br />
»Er hat einen Brief hinterlassen«, sagte Blaustein.<br />
»Einen Brief?«<br />
Darrity reichte Grant ein Blatt Papier und sagte:<br />
»Das tun fast alle Selbstmörder. Dieser Brief ist der<br />
Grund, warum der Doktor mir erzählt hat, was Ralson<br />
wirklich getötet hat.«<br />
<strong>Der</strong> Brief war an Blaustein gerichtet und lautete:<br />
<strong>Der</strong> Projektor funktioniert. Ich wußte es. <strong>Der</strong><br />
Handel ist beendet. Sie haben erreicht, was Sie wollten,<br />
und Sie brauchen mich jetzt nicht mehr. Also<br />
werde ich gehen. Sie müssen sich keine Sorgen mehr<br />
um die Menschheit machen, Doktor. Sie haben recht.<br />
Sie haben zu lange mit uns experimentiert, sie haben<br />
uns zu viele Chancen gelassen. Jetzt haben wir das<br />
Penizillin durchbrochen, sie können uns nicht mehr<br />
stoppen. Ich weiß es. Das ist alles, was ich sagen<br />
kann. Ich weiß es.<br />
Dann folgte Ralsons rasch hingeworfener Namenszug,<br />
und darunter befand sich noch eine dick<br />
unterstrichene Zeile.<br />
Vorausgesetzt, daß genug Menschen dem Penizillin<br />
Widerstand leisten können.<br />
Grant wollte schon das Papier zerknüllen, aber<br />
Darrity streckte rasch die Hand aus.<br />
69
»Für die Akten, Doktor.«<br />
Grant gab ihm den Brief.<br />
»<strong>Der</strong> arme Ralson! Er starb im Glauben an diesen<br />
ganzen Unsinn.«<br />
Blaustein nickte.<br />
»Ja. Ralson wird ein großes Begräbnis haben,<br />
nehme ich an, und die Öffentlichkeit wird nichts von<br />
seinem Wahnsinn und seinem Selbstmord erfahren.<br />
Aber die Regierung wird sich für seine verrückten<br />
Theorien interessieren. Vielleicht sind sie gar nicht<br />
so verrückt, nicht wahr, Mr. Darrity?«<br />
»Das ist doch lächerlich, Doktor«, sagte Grant.<br />
»Kein einziger Wissenschaftler hier hat jemals<br />
Selbstmordgedanken gehabt.«<br />
»Erzählen Sie es ihm, Mr. Darrity«, sagte Blaustein.<br />
»Es hat noch einen Selbstmord gegeben«, sagte<br />
der Inspektor. »Nein, nein, es war kein Wissenschaftler.<br />
Jedenfalls kein graduierter. Es passierte diesen<br />
Morgen, und wir nahmen an, daß der Selbstmord mit<br />
dem heutigen Test zusammenhing. Vorerst schien<br />
nichts darauf hinzuweisen, und wir schwiegen, bis<br />
der Test vorüber war. Aber jetzt sind die Zusammenhänge<br />
wohl klar. <strong>Der</strong> Tote war ein Mann mit Frau<br />
und drei Kindern. Er hatte keinen Grund, Selbstmord<br />
zu begehen. Er war nicht geisteskrank. Er hat sich<br />
unter ein Auto geworfen. Es wurde von mehreren<br />
Zeugen bestätigt, daß er es mit Absicht getan haben<br />
muß. Er starb nicht sofort, und man holte einen Arzt.<br />
Er war schrecklich zugerichtet, und seine letzten<br />
70
Worte lauteten: ›Jetzt fühle ich mich viel besser.‹<br />
Und dann starb er.«<br />
»Wer war es?« schrie Grant.<br />
»Hal Ross. <strong>Der</strong> Mechaniker, der den Projektor gebaut<br />
hat. <strong>Der</strong> Mann, in dessen Büro wir hier stehen.«<br />
Blaustein ging zum Fenster. Am dunklen Abendhimmel<br />
zeigten sich die ersten Sterne.<br />
»<strong>Der</strong> Mann wußte nichts von Ralsons Gedanken.<br />
Er hat nie mit Ralson gesprochen. Vielleicht sind die<br />
Wissenschaftler widerstandsfähiger als andere Menschen.<br />
Sie müssen es sein, sonst wären sie gezwungen,<br />
ihren Beruf aufzugeben. Ralson war eine Ausnahme.<br />
Er war zu sensibel, um sich gegen das Penizillin<br />
wehren zu können. Sie wissen, was mit ihm<br />
geschehen ist. Aber was ist mit den anderen? Mit den<br />
Sensiblen, die nur überlebt haben, weil sie bisher<br />
nicht konsequent und konstant vernichtet wurden?<br />
Wieviele Menschen werden dem Penizillin Widerstand<br />
leisten können?«<br />
»Sie glauben an Ralsons verrückte Theorien?«<br />
fragte Grant mit schreckgeweiteten Augen.<br />
»Ich weiß es nicht genau.«<br />
Blaustein blickte zu den Sternen auf.<br />
Wo waren sie, die Experimentatoren?<br />
71
<strong>Der</strong> <strong>Todeskanal</strong><br />
1950 brach der Korea-Krieg aus. Es war eine<br />
schreckliche Zeit, fast so schrecklich wie die heutige.<br />
Ich will Ihnen nicht verheimlichen, daß Othellos<br />
Worte von ›Glanz, Pracht, Pomp und Rüstung des<br />
glorreichen Kriegs‹ mich nicht begeistern kann.<br />
<strong>Der</strong> Zweite Weltkrieg bildet eine Ausnahme. Damals<br />
konnte man sich noch an Ideale klammern. Wir<br />
kämpften gegen das Böse an sich, und das erhob diesen<br />
Krieg über jede Nieder-mit-dem-Feind-Routine.<br />
Und außerdem bewegte uns die begründete Hoffnung,<br />
daß nach dem Krieg eine Weltorganisation ins<br />
Leben gerufen werden könnte, die jeden weiteren<br />
Krieg verhindern würde.<br />
Die Euphorie jener Tage, als der Krieg zu Ende<br />
und die Vereinten Nationen gegründet waren, hielt<br />
nicht lange an. <strong>Der</strong> Korea-Krieg machte alle großen<br />
Hoffnungen zunichte.<br />
Vielleicht glauben Sie, daß wir Science-Fiction-<br />
Autoren besser dran sind als andere Menschen. Wir<br />
können in andere Welten entfliehen, in den Raum vordringen<br />
und alle erdgebundenen Probleme hinter uns<br />
lassen. Aber ganz so einfach ist es nicht. Es ist<br />
schwieriger, als Sie glauben, sich von der Wirklichkeit<br />
zu lösen, und als ich damals, in den Tagen des<br />
Korea-Krieges, in meinem Raumschiff zu den Sternen<br />
floh, was fand ich da? Einen interstellaren Krieg.<br />
Ich konnte der Wirklichkeit nicht entkommen!<br />
72
Noch etwas: Vor den Tagen des Fernsehens gab es<br />
etwas, das sich Radio nannte. Um 1960 konnte man<br />
ziemlich viele Science-Fiction-Sendungen hören. Im<br />
Radio war es nicht so kompliziert und teuer, Science-<br />
Fiction-Sendungen real erscheinen zu lassen wie im<br />
Fernsehen. Mit Geräuscheffekten kann man nahezu<br />
alle Illusionen zaubern, die der Hörer dann vor seinem<br />
geistigen Auge sieht.<br />
Die Programme, Zweitausend plus‹ und ›Dimension<br />
X‹, wurden unglücklicherweise von nur wenigen<br />
reklamewilligen Firmen unterstützt beziehungsweise<br />
finanziert, und so wurden sie bald eingestellt. Trotzdem<br />
war die Angelegenheit für mich recht befriedigend.<br />
Immerhin wurden nicht weniger als drei meiner<br />
Erzählungen gesendet. Eine davon war ›Und<br />
Finsternis wird kommen …‹, und eine andere war<br />
›<strong>Der</strong> <strong>Todeskanal</strong>‹.<br />
In der Radio-Version dieser Story wurde Mullen<br />
von einem Schauspieler mit einer sehr eindrucksvollen<br />
Stimme gesprochen. Sie klang trocken, zurückhaltend,<br />
leidenschaftslos und sanft. Es war genau<br />
Mullens Stimme. Als das Fernsehen aufkam, sah ich<br />
das Gesicht dieser Stimme, und es war genau Mullens<br />
Gesicht.<br />
Es freut mich, daß ich jedesmal, wenn ich ihn sehe,<br />
sagen kann: »Das ist Mullen«, obwohl er ziemlich<br />
groß ist. Mullen ist die einzige meiner Gestalten,<br />
die ich jemals in Fleisch und Blut gesehen habe, und<br />
ich habe nie versucht, den Namen dieses Schauspielers<br />
herauszufinden. Für mich soll er Mullen bleiben.<br />
73
Colonel Anthony Windham konnte sogar in der Kabine,<br />
in die man ihn und die anderen Passagiere geführt<br />
hatte, feststellen, wie der Kampf weiter verlief.<br />
Eine Zeitlang herrschte Stille. Keine Erschütterungen<br />
waren zu spüren. Das bedeutete, daß die Raumschiffe<br />
in astronomischen Entfernungen gegeneinander<br />
kämpften, sich ein Duell von Energieexplosionen<br />
und gewaltiger Kraftfeld-Verteidigung lieferten.<br />
Er wußte, daß es nur einen möglichen Ausgang<br />
des Kampfes gab. Die Erdenbewohner hatten nur ein<br />
bewaffnetes Handelschiff, und der kurze Blick, den<br />
er auf den Feind hatte werfen können, bevor die<br />
Mannschaft ihn vom Deck des Schiffes vertrieben<br />
hatte, war entmutigend gewesen. Kloro hatte einen<br />
Kreuzer entsandt.<br />
Nach einer halben Stunde wurde das Erdenschiff<br />
von den harten kleinen Stößen erschüttert, auf die er<br />
gewartet hatte. Die Passagiere schwankten hin und<br />
her, als das Schiff stampfte und fierte wie ein Ozeandampfer<br />
im Sturm. Aber der Weltraum war ruhig<br />
und still wie zuvor. <strong>Der</strong> Pilot jagte verzweifelte<br />
Energieströme durch die Röhren, die das Schiff taumeln<br />
ließen. Das konnte nur bedeuten, daß das Unvermeidliche<br />
passiert war. Die Abschirmung des Erdenschiffes<br />
war durchbrochen, und es konnte keinem<br />
direkten Treffer widerstehen.<br />
Colonel Windham versuchte mit Hilfe seines<br />
Aluminiumstockes Haltung zu bewahren. Er dachte<br />
daran, daß er ein alter Mann war. Er hatte sein Leben<br />
74
eim Militär verbracht und hatte noch nie eine<br />
Schlacht gesehen. Und jetzt, als um ihn herum der<br />
Kampf tobte, war er alt und fett und lahm, und kein<br />
einziger Soldat stand unter seinem Kommando.<br />
Diese Kloro-Monstren würden bald an Bord<br />
kommen. Das war ihre Kampfmethode. Ihre Raumanzüge<br />
bedeuteten zwar ein Handikap für sie, und sie<br />
mußten mit zahlreichen Verlusten rechnen, aber sie<br />
wollten das Erdenschiff haben. Wenn die Passagiere<br />
bewaffnet wären und ich sie anführen könnte, dachte<br />
er sekundenlang …<br />
Er verdrängte den Gedanken. Porter war offensichtlich<br />
das Herz vor Angst in die Hose gefallen,<br />
und dem jungen Burschen, diesem Leblanc, ging es<br />
kaum besser. Die unzertrennlichen Brüder Polyorketes<br />
drängten sich in eine Ecke und flüsterten miteinander.<br />
Und Mullen? Er saß hochaufgerichtet da, und<br />
sein Gesicht zeigte weder Anzeichen von Furcht<br />
noch sonstige Emotionen. Aber der Mann war nur<br />
etwa fünf Fuß groß, und zweifellos hatte er nie im<br />
Leben eine Waffe in der Hand gehalten. Er konnte<br />
nichts tun.<br />
Und dann war da noch Stuart mit seinem frostigen<br />
Lächeln und seinem schrillen Sarkasmus, von dem<br />
alle seine Äußerungen nur so trieften. Windham musterte<br />
Stuart von der Seite. Die weißen Hände fuhren<br />
durch das sandfarbene Haar. Mit diesen Künstlerhänden<br />
war Stuart natürlich zu nichts zu gebrauchen.<br />
Windham spürte die Vibration, als die beiden<br />
Schiffe zum Nahkampf übergingen. Innerhalb von<br />
75
fünf Minuten dröhnte der Lärm der Schlacht durch<br />
die Korridore. Einer der Brüder Polyorketes schrie<br />
auf und rannte zur Tür.<br />
»Warte, Aristides!« brüllte der andere und lief ihm<br />
nach. Es geschah blitzschnell. Aristides sprang durch<br />
die Tür und rannte in kopfloser Panik den Korridor<br />
entlang. Ein kurzes Aufglühen, dann verstummten die<br />
Schreie. Windham, der in der Tür stand, wandte entsetzt<br />
den Blick von den schwarzverkohlten Überresten<br />
Aristides’. Mit vereinten Kräften schleppten die<br />
Männer den Bruder des Toten in die Kabine zurück.<br />
<strong>Der</strong> Lärm der Schlacht ließ nach.<br />
»Sie werden zwei Mann an Bord schicken und uns<br />
auf einen ihrer Heimatplaneten bringen«, sagte Stuart.<br />
»Wir sind Kriegsgefangene.«<br />
»Nur zwei Kloros werden an Bord bleiben?« fragte<br />
Windham erstaunt.<br />
»Das ist bei ihnen so üblich. Warum fragen Sie,<br />
Colonel? Wollen Sie einen tapferen Stoßtrupp aufstellen,<br />
der das Schiff wieder zurückerobern soll?«<br />
Windham lief rot an.<br />
»Es war nur eine Frage.« Aber seiner Stimme fehlte<br />
die Würde und Autorität, um die er sich bemüht<br />
hatte. Das wußte er. Er war nur ein alter Mann mit<br />
einem lahmen Bein.<br />
Und Stuart hatte wahrscheinlich recht. Er hatte bei<br />
den Kloros gelebt und kannte ihre Methoden.<br />
John Stuart hatte behauptet, die Kloros seien Gentlemen.<br />
Vierundzwanzig Stunden der Gefangenschaft<br />
76
waren bereits verstrichen, und jetzt wiederholte er<br />
seine Feststellung. Er krümmte die Finger und betrachtete<br />
die Falten, die in sanften Wellen über die<br />
Plastikhaut seiner Hände liefen. Die mißmutige Reaktion<br />
der anderen bereitete ihm Vergnügen. Die<br />
Menschen waren seiner Meinung nach dazu erschaffen<br />
worden, um gequält zu werden.<br />
Da war zum Beispiel Anthony Windham. Colonel<br />
Windham nannte er sich, und Stuart war sogar gewillt,<br />
das zu glauben. Ein pensionierter Colonel, der<br />
vielleicht vor vierzig Jahren eine Heimwehrtruppe<br />
auf irgendeiner Dorfwiese gedrillt hatte. Er war so<br />
unbedeutend, daß man seine Dienste nicht einmal im<br />
äußersten Notfall des ersten interstellaren Krieges in<br />
Anspruch genommen hatte.<br />
»Ich kann die Art nicht leiden, wie Sie über einen<br />
Feind sprechen, Stuart.« Windhams gestutzter<br />
Schnurrbart bebte entrüstet. Sein Kopf war nach letzter<br />
militärischer Mode glattrasiert, aber es zeigten<br />
sich bereits graue Stoppeln auf der Glatze. Die<br />
schlaff herabhängenden Wangen und die feinen roten<br />
Linien auf der dicken Nase gaben ihm irgendwie etwas<br />
Verlorenes, so als hätte man ihn zu unsanft und<br />
zu früh am Morgen geweckt.<br />
»Unsinn«, sagte Stuart. »Denken Sie doch nur an<br />
unsere gegenwärtige Situation. Angenommen, ein<br />
Kriegsschiff der Erde hätte ein Linienschiff der Kloros<br />
gekapert. Was, glauben Sie, wäre mit den Zivilisten<br />
an Bord passiert?«<br />
»Ich bin sicher, daß die Erde alle Regeln der inter-<br />
77
stellaren Kriegführung einhalten würde«, sagte<br />
Windham steif.<br />
»Leider gibt es keine solchen Regeln. Wenn wir<br />
eine Mannschaft auf einem ihrer Schiffe postieren<br />
würden, glauben Sie im Ernst, sie würde sich die<br />
Mühe machen, eine Chloratmosphäre zu schaffen,<br />
um den Kloros das Leben zu retten? Ihnen erlauben,<br />
ihr Eigentum zu behalten? Ihnen den bequemsten<br />
Aufenthaltsraum zur Verfügung stellen, et cetera, et<br />
cetera?«<br />
»Halten Sie um Gottes willen den Mund«, sagte<br />
Ben Porter. »Wenn Sie noch einmal et cetera sagen,<br />
werde ich wahnsinnig.«<br />
»Es tut mir leid«, sagte Stuart, was allerdings nicht<br />
stimmte.<br />
Porter schien langsam den Verstand zu verlieren.<br />
Sein mageres Gesicht und seine Hakennase glänzten<br />
vor Schweiß, und er biß so lange auf der Innenseite<br />
seiner Wange herum, bis er plötzlich aufwimmerte.<br />
Er legte seine Zungenspitze an die Wunde, was ihm<br />
ein noch groteskeres Aussehen verlieh.<br />
Stuart wurde es allmählich zu langweilig, seinen<br />
ätzenden Spott an diese Leute zu verschwenden.<br />
Windham war eine zu uninteressante Zielscheibe,<br />
und Porter konnte nichts anderes als sich winden.<br />
<strong>Der</strong> Rest der Versammlung schwieg. Demetrios Polyorketes<br />
vergrub sich in seine Trauer. Er schien die<br />
ganze letzte Nacht kein Auge zugetan zu haben.<br />
Wann immer Stuart sich auf die andere Seite gewälzt<br />
hatte, hatte er das dumpfe Gemurmel auf der Couch<br />
78
neben sich gehört. Demetrios hatte viel gesagt, und<br />
immer wieder waren die klagenden Worte ertönt:<br />
»Oh, mein Bruder!«<br />
Jetzt saß er benommen auf seiner Couch, die roten<br />
Augen in dem dunklen Gesicht rollten von einem<br />
Gefangenen zum anderen. Stuart sah, wie das Gesicht<br />
des Griechen in die schwieligen Hände sank, so<br />
daß nur das krause schwarze Haar zu sehen war. Sein<br />
Körper zuckte, aber jetzt, da alle wach waren, gab er<br />
keinen Laut von sich.<br />
Claude Leblanc versuchte mit mäßigem Erfolg,<br />
einen Brief zu lesen. Er war der jüngste der sechs<br />
Männer. Soeben dem College entronnen, hatte er auf<br />
die Erde zurückkehren wollen, um zu heiraten. Stuart<br />
hatte am Morgen bemerkt, daß der Junge weinte.<br />
Sein blasses Gesicht war gerötet und fleckig gewesen,<br />
wie das eines Kindes, dem man sein Lieblingsspielzeug<br />
weggenommen hatte. Er war sehr hübsch,<br />
beinahe wie ein Mädchen. Er hatte große blaue Augen<br />
und volle Lippen, und Stuart fragte sich, was das<br />
wohl für ein Mädchen war, das diesem Jungen das<br />
Jawort gegeben hatte. Er hatte ihr Bild gesehen. Wer<br />
auf dem Schiff hatte das nicht? Sie war von jener<br />
ausdruckslosen Schönheit, die es so schwierig machte,<br />
die Photos von Bräuten voneinander zu unterscheiden.<br />
Stuart war jedenfalls der Ansicht, daß er<br />
sich einen etwas männlicheren Verlobten ausgesucht<br />
hätte, wenn er ein Mädchen wäre.<br />
Blieb nur noch Randolph Mullen übrig. Stuart<br />
wußte nicht, was er von ihm halten sollte. Er war der<br />
79
einzige der sechs Männer, der längere Zeit auf den<br />
Arkturischen Welten gelebt hatte. Stuart selbst zum<br />
Beispiel hatte sich nur kurz dort aufgehalten, gerade<br />
lang genug, um ein paar Vorlesungen über Astronautik<br />
an einem provinziellen Institut zu halten. Colonel<br />
Windham hatte eine gastronomische Reise zu den<br />
fernen Sternen gemacht. Porter wollte konzentrierte<br />
fremde Gemüsesorten für seine Konservenfabrik auf<br />
die Erde holen, und die Brüder Polyorketes hatten<br />
sich auf den Arkturischen Planeten als Gemüsegärtner<br />
versucht. Nach zwei ertragreichen Ernten hatten<br />
sie es aufgegeben, hatten all ihr Gemüse zu Schleuderpreisen<br />
auf den Markt geworfen und zur Erde zurückkehren<br />
wollen.<br />
Aber Randolph Mullen war siebzehn Jahre lang im<br />
Arkturischen System gewesen. Es war seltsam, daß<br />
Reisende so schnell übereinander Bescheid wußten.<br />
So weit Stuart wußte, hatte der kleine Mann an Bord<br />
dieses Schiffes kaum gesprochen. Er war stets höflich,<br />
trat immer zur Seite, um die anderen vorbeigehen<br />
zu lassen, aber sein gesamtes Vokabular schien<br />
aus ›Vielen Dank‹ und ›Entschuldigen Sie, bitte‹ zu<br />
bestehen. Und trotzdem ging das Gerücht um, daß er<br />
seit sieben Jahren seinen ersten Flug zur Erde hatte<br />
unternehmen wollen.<br />
Er war ein kleiner Mann, und er war so pedantisch,<br />
daß es einen fast irritierte. Jeden Morgen<br />
machte er ordentlich sein Bett, rasierte sich, badete<br />
und kleidete sich an. Die Gewohnheit langer Jahre<br />
schien sich nicht im mindesten von der Tatsache be-<br />
80
eindrucken zu lassen, daß er jetzt ein Gefangener der<br />
Kloros war. Er ließ nicht erkennen, daß er die<br />
Schlamperei der anderen mißbilligte. Er saß ganz<br />
einfach da, in seinen überkonservativen Anzug gepackt,<br />
die Hände im Schoß gefaltet, und schien für<br />
seine Gegenwart um Entschuldigung zu bitten. Dem<br />
dünnen Bart auf seiner Oberlippe gelang es keineswegs,<br />
seinem Gesicht etwas mehr Charakter zu verleihen,<br />
sondern betonte noch seine Affektiertheit.<br />
Er sah aus wie die Karikatur eines Buchhalters.<br />
Und das Merkwürdige war, daß er tatsächlich Buchhalter<br />
war. Stuart hatte es in der Passagierliste gelesen<br />
– Randolph Fluellen Mullen, Beruf: Buchhalter,<br />
beschäftigt bei Prime Paper Box & Co, 27 Tobias<br />
Avenue, New Warsaw, Arkturus II.<br />
»Mr. Stuart?«<br />
Stuart blickte auf. Es war Leblanc. Seine Unterlippe<br />
zitterte leicht. Stuart versuchte, seinem Gesicht<br />
einen milden Ausdruck zu geben.<br />
»Was ist, Leblanc?«<br />
»Wann wird man uns freilassen?«<br />
»Wie soll ich das wissen?«<br />
»Sie haben doch auf einem Kloro-Planeten gelebt,<br />
und vorhin sagten Sie, die Kloros seien Gentlemen.«<br />
»Nun ja. Aber auch Gentlemen wollen Kriege gewinnen.<br />
Wahrscheinlich wird man uns während des<br />
ganzen Krieges gefangenhalten.«<br />
»Aber das kann doch Jahre dauern! Margaret wartet.<br />
Sie wird glauben, ich bin tot.«<br />
81
»Ich nehme an, sie werden uns erlauben, der Erde<br />
eine Nachricht zukommen zu lassen, sobald wir auf<br />
einem ihrer Planeten gelandet sind.«<br />
Porter mischte sich mit heiserer, aufgeregter<br />
Stimme ein.<br />
»Wenn Sie über diese Teufel schon so gut Bescheid<br />
wissen, dann sagen Sie uns wenigstens, was<br />
Sie mit uns während der Gefangenschaft machen<br />
werden? Was werden sie uns zu essen geben? Werden<br />
sie uns genug Sauerstoff geben? Sie werden uns<br />
töten, sage ich Ihnen.« Und nach einer kurzen Pause<br />
fügte er hinzu: »Auch meine Frau wartet auf mich.«<br />
Stuart hatte Porter vor dem Angriff über seine<br />
Frau sprechen hören, und deshalb machte diese letzte<br />
Feststellung keinen sonderlichen Eindruck auf ihn.<br />
Porters abgebissene Fingernägel krallten sich in Stuarts<br />
Hemdkragen. Stuart riß sich angewidert los. Er<br />
konnte die Berührung dieser häßlichen Hände nicht<br />
ertragen. Es erfüllte ihn beinahe mit Verzweiflung,<br />
daß diese Monstren wirklich waren, während seine<br />
eigenen, perfekt geformten Hände täuschend echt<br />
wirkende Imitationen aus Plastik von einem fremden<br />
Planeten waren.<br />
»Sie werden uns nicht töten«, sagte er. Wenn sie<br />
das wirklich im Sinn hätten, wäre es längst geschehen.<br />
Auch wir halten Kloros in Kriegsgefangenschaft.<br />
Und es leuchtet also jedem ein, daß man seine<br />
Gefangenen anständig behandelt, wenn man will, daß<br />
auch die andere Seite dasselbe tut. Es ist also nur zu<br />
ihrem Besten, wenn sie nett zu uns sind. Das Essen<br />
82
wird nicht besonders gut sein, aber sie sind hervorragende<br />
Chemiker. Sie wissen genau, welche Nahrungsbestandteile<br />
wir brauchen und wieviele Kalorien.<br />
Wir werden es überleben. Dafür werden sie sorgen.«<br />
»Sie reden wie ein Sympathisant, Stuart. Mein<br />
Magen dreht sich um, wenn ich Ihnen zuhöre. Wo<br />
bleibt Ihre Loyalität?«<br />
»Meine Loyalität ist untadelig, gleichgültig, in<br />
welcher Form sie auftreten mag.« Er hob seine Hände.<br />
»Schauen Sie her. Das haben Kloros gemacht.<br />
Ich habe sechs Monate auf einem ihrer Planeten verbracht.<br />
Meine Hände wurden in einer Klimamaschine<br />
zerquetscht. Ich glaubte, sie würden mir zu wenig<br />
Sauerstoff geben, was tatsächlich nicht der Fall war,<br />
und experimentierte auf eigene Faust an der Maschine<br />
herum. Das war mein Fehler. Man soll nie an Maschinen<br />
einer fremden Rasse herumbasteln. Bis ein<br />
Kloro einen Atmosphäre-Anzug angezogen und zu<br />
mir gelaufen war, war es bereits zu spät, meine Hände<br />
zu retten.<br />
Sie fertigten für mich diese Kunststoffdinger an.<br />
Wissen Sie, was das heißt? Eine Ausrüstung und<br />
Nährstoffe zu entwickeln, die in einer Sauerstoffatmosphäre<br />
funktionieren? Ihre Chirurgen mußten eine<br />
komplizierte Operation durchführen, angetan mit<br />
Atmosphäre-Anzügen. Und jetzt habe ich meine<br />
Hände wieder.« Er lachte heiser und ballte sie zu<br />
kraftlosen Fäusten. »Hände …«<br />
»Und deshalb vergessen Sie Ihre Loyalität der Er-<br />
83
de gegenüber?« fragte Windham.<br />
»Meine Loyalität vergessen? Sind Sie wahnsinnig?<br />
Jahrelang haßte ich die Kloros wegen des Mißgeschicks,<br />
das mir auf einem ihrer Planeten passiert<br />
war. Ich war Chefpilot der transgalaktischen Raumfahrtlinie,<br />
bevor es geschah. Und jetzt? Schreibtischarbeit.<br />
Oder gelegentliche Vorlesungen. Ich brauchte<br />
lange, bevor ich den Fehler bei mir selbst suchte und<br />
erkannte, daß die Kloros sich sehr anständig verhalten<br />
hatten. Sie haben ihre ethischen Gesetze, und sie<br />
sind so gut wie die unseren. Wenn nicht manche unter<br />
ihnen so dumm wären, und, bei Gott, wenn auch<br />
einige Erdenbewohner klüger wären, würden wir<br />
nicht miteinander Krieg führen. Und wenn es vorbei<br />
ist …«<br />
Polyorketes stand auf. Seine dunklen Augen funkelten.<br />
»Es gefällt mir nicht, was Sie da sagen, Mister!«<br />
»Warum nicht?«<br />
»Weil Sie viel zu freundlich über diese verdammten<br />
grünen Bastarde reden. Die Kloros waren nett zu<br />
Ihnen, eh? Aber zu meinem Bruder waren sie nicht<br />
nett. Sie haben ihn getötet. Und vielleicht töte ich<br />
auch Sie, Sie mieser Spion.«<br />
Er stürzte sich auf Stuart, der kaum Zeit fand, seine<br />
Arme zu heben und sich gegen den wütenden<br />
Gemüsegärtner zu verteidigen.<br />
»Zum Teufel …«, keuchte Stuart, als er endlich<br />
ein Handgelenk seines Gegners zu packen bekam<br />
und mit der Schulter die andere Hand daran hinderte,<br />
84
sich um seinen Hals zu schließen. Seine Kunststoffhand<br />
gab nach. Fast mühelos entwand sich Polyorketes<br />
dem schwachen Griff.<br />
Windham fluchte, und Leblanc schrie mit seiner<br />
dünnen Stimme: »Aufhören! Aufhören!« Aber es<br />
war der kleine Mullen, der dem Gemüsegärtner von<br />
hinten die Arme um den Hals schlang und ihn mit<br />
aller Kraft zurückzureißen versuchte. Es nützte nicht<br />
viel. Polyorketes schien das Gewicht des kleinen<br />
Mannes, der an seinem Hals hing, kaum zu spüren.<br />
Mullens Füße hoben sich vom Boden hoch, so daß er<br />
hilflos hin- und herbaumelte. Aber er ließ nicht los,<br />
und er behinderte Polyorlcetes schließlich doch so<br />
sehr, daß sich Stuart für einen Moment befreien und<br />
nach Windhams Aluminiumstock greifen konnte.<br />
»Bleiben Sie mir vom Leib, Polyorketes!« rief er.<br />
Er schnappte nach Luft und erwartete ängstlich den<br />
nächsten Angriff. <strong>Der</strong> Aluminiumstock war kaum<br />
schwer genug, um als wirksame Waffe zu dienen,<br />
aber er war doch besser als Stuarts schwache Hände.<br />
Polyorketes hatte Mullen abgeschüttelt, der die<br />
beiden Männer nun vorsichtig umkreiste. <strong>Der</strong> Gemüsegärtner<br />
blieb einen Augenblick lang reglos stehen,<br />
den Kopf mit dem zottigen Haar gesenkt.<br />
»Es hat keinen Sinn«, sagte er schließlich. »Ich<br />
muß die Kloros umbringen. Aber hüten Sie Ihre<br />
Zunge, Stuart. Wenn Sie weiterhin so quatschen, sind<br />
Sie selbst daran schuld, wenn ich Ihnen weh tue.«<br />
Stuart fuhr sich mit einem Unterarm über die Stirn<br />
und reichte den Aluminiumstock Windham, der ihn<br />
85
mit der Linken ergriff, während er in der Rechten ein<br />
Taschentuch hielt und damit heftig über seine Glatze<br />
wischte.<br />
»Gentlemen, so etwas müssen wir in Zukunft vermeiden«,<br />
sagte der Colonel. »Es schadet unserem<br />
Prestige. Wir müssen an den gemeinsamen Feind<br />
denken. Wir sind Erdenmenschen, und wir müssen<br />
uns so benehmen, daß wir unserer Rolle als herrschende<br />
Rasse der Galaxis gerecht werden. Wir dürfen<br />
uns nicht vor den Minderwertigen erniedrigen.«<br />
»Ja, Colonel«, sagte Stuart müde. »Verschieben<br />
Sie den Rest Ihrer Ansprache auf morgen.« Er wandte<br />
sich an Mullen. »Ich möchte mich bei Ihnen bedanken.«<br />
Er fühlte sich bei diesen Worten zwar etwas<br />
unbehaglich, aber mußte sie sagen. <strong>Der</strong> kleine<br />
Buchhalter hatte ihn in ziemliches Erstaunen versetzt.<br />
Aber Mullen sagte mit trockener Stimme, die<br />
kaum über ein Flüstern erhob: »Sie haben mir nicht<br />
zu danken, Mr. Stuart. Es war das einzig Logische,<br />
das ich tun konnte. Wenn wir gefangen sind, werden<br />
wir Sie als Unterhändler brauchen, als Mann, der die<br />
Motivationen der Kloros vielleicht verstehen kann.«<br />
Stuart erstarrte. Typisch Buchhalter, dachte er. Viel<br />
zu logisch, viel zu saftlos. Risiko in der Gegenwart,<br />
Gewinn in der Zukunft. Soll und Haben hielten sich<br />
genau die Waage. Er hätte es lieber gesehen, wenn<br />
Mullen ihm aus anderen Beweggründen beigestanden<br />
wäre, aus – ja, was für welchen Beweggründen?<br />
Stuart grinste in sich hinein. Erwartete er von den<br />
86
Menschen etwa Idealismus an Stelle von redlichem,<br />
nützlichem Egoismus?<br />
Polyorketes schwieg. Kummer und Wut ätzten<br />
sein Inneres wie Säuren, aber er fand keine Worte,<br />
um sich seine Erbitterung von der Seele zu reden.<br />
Wenn er wie Stuart wäre, wie der geschwätzige Stuart<br />
mit den weißen Händen, dann könnte er reden<br />
und reden und sich danach vielleicht besser fühlen.<br />
Aber statt dessen saß er da, und sein zweites Ich war<br />
tot. Er hatte keinen Bruder mehr, keinen Aristides.<br />
Es war alles so schnell geschehen. Wenn er nur eine<br />
Sekunde länger Zeit gehabt hätte, Aristedes zurückzuhalten,<br />
ihn zu retten …<br />
Wie er die Kloros haßte! Vor zwei Monaten hatte<br />
er kaum etwas von ihnen gewußt, und jetzt haßte er<br />
sie so sehr, daß er gern sterben würde, wenn er vorher<br />
nur ein paar dieser grünen Biester töten könnte.<br />
Ohne aufzublicken, fragte er: »Warum ist dieser<br />
Krieg eigentlich ausgebrochen, eh?«<br />
Er fürchtete, Stuarts Stimme würde antworten. Er<br />
haßte Stuarts Stimme. Aber Windham, der Glatzkopf,<br />
ergriff das Wort.<br />
»<strong>Der</strong> unmittelbare Anlaß war ein Streit wegen der<br />
Bergbaukonzessionen im Wyandotte-System. Die<br />
Kloros haben die Erde bestohlen.«<br />
»Im Wyandotte-System ist für beide Platz genug,<br />
Colonel.«<br />
Wütend richtete sich Polyorketes auf. Dieser Stuart<br />
konnte einfach nicht den Mund halten. Andauernd<br />
mußte er quatschen, dieser neunmalkluge Klorofreund.<br />
87
»Ist das ein Grund, einen Krieg zu führen, Colonel?«<br />
fragte Stuart. »Wir können mit ihren Planeten<br />
nichts anfangen, und sie ebenso wenig mit den unseren.<br />
Chlor ist für uns tödlich, genau wie unser Sauerstoff<br />
für sie tödlich ist. Es gibt keinerlei Übereinstimmung<br />
zwischen unseren beiden Rassen. Muß<br />
man einen Krieg beginnen, nur weil beide Rassen auf<br />
denselben luftlosen Planetoiden nach Eisen graben<br />
wollen, wenn es Millionen ähnliche Planetoiden in<br />
der Galaxis gibt?«<br />
»Das ist eine Frage der planetarischen Ehre …«<br />
»Wohl eher der planetarischen Habgier. Wie kann<br />
man einen so lächerlichen Krieg auch noch verteidigen?<br />
Es kann nur auf den Vorposten gekämpft werden,<br />
und man muß sich auf eine Reihe von Fesselungsangriffen<br />
beschränken. Vielleicht wird der<br />
Krieg auf dem Verhandlungsweg beendet werden,<br />
den man schon längst hätte beschreiten sollen. Weder<br />
wir noch die Kloros können in diesem Krieg irgend<br />
etwas gewinnen.«<br />
Widerstrebend mußte Polyorketes zugeben, daß er<br />
Stuarts Meinung war. Was interessierte es ihn oder<br />
Aristides, wo die Kloros oder die Erdenbewohner ihr<br />
Eisen herholten? Und deshalb hatte Aristides sterben<br />
müssen.<br />
Die Alarmglocke schrillte.<br />
Polyorketes’ Kopf fuhr hoch. Langsam stand er<br />
auf und preßte die Lippen zusammen. Nur ein Kloro<br />
konnte vor der Tür stehen. Polyorketes wartete mit<br />
geballten Fäusten. Stuart trat auf ihn zu, und Polyor-<br />
88
ketes sah es. Er lachte in sich hinein. Soll der Kloro<br />
nur kommen! Weder Stuart noch einer der anderen<br />
Männer würde Polyorketes aufhalten können.<br />
Warte, Aristides, warte nur noch einen Augenblick,<br />
dann beginnt der große Racheakt.<br />
Die Tür öffnete sich, und eine Gestalt trat ein, die<br />
in einen dicken, unförmigen Raumanzug gehüllt war.<br />
Eine merkwürdige, unnatürliche, aber nicht unangenehm<br />
klingende Stimme begann zu sprechen.<br />
»Meine Herren Erdenbewohner, in großer Besorgnis<br />
haben mein Kamerad und ich festgestellt …«<br />
Er brach abrupt ab, als Polyorketes brüllend vorstürzte.<br />
Den dunklen Kopf gesenkt, die behaarten Finger<br />
zum Würgegriff gekrümmt, sprang er den Kloro an.<br />
Stuart wurde beiseitegeschleudert, bevor er eine<br />
Möglichkeit fand dazwischenzufahren. Taumelnd<br />
landete er auf einer Couch.<br />
<strong>Der</strong> Kloro hätte den Angreifer mühelos mit ausgestrecktem<br />
Arm aufhalten oder ausweichen und Polyorketes<br />
ins Leere laufen lassen können. Er tat weder<br />
das eine noch das andere. Mit einer blitzschnellen<br />
Bewegung hob er eine Handwaffe, und ein zarter rosa<br />
Strahl griff nach dem Erdenbewohner. Polyorketes<br />
stolperte und stürzte krachend zu Boden. Sein Körper<br />
erstarrte in der Haltung, die er zuletzt eingenommen<br />
hatte, ein Bein ragte in die Luft. Er sank zur Seite<br />
und blieb wie gelähmt liegen. Nur seine wütend funkelnden<br />
Augen zeigten, daß er bei Bewußtsein war.<br />
»Dieser Zustand geht wieder vorüber«, sagte der<br />
89
Kloro. Er schien Polyorketes’ Gewalttätigkeit nicht<br />
übelzunehmen und begann noch einmal von vorn.<br />
»Meine Herren Erdenbewohner, in großer Besorgnis<br />
haben mein Kamerad und ich festgestellt, daß in<br />
diesem Raum ein gewisser Aufruhr herrscht. Haben<br />
Sie irgendwelche Bedürfnisse, die wir befriedigen<br />
können?«<br />
Stuart massierte ärgerlich sein Knie, das gegen den<br />
Pfosten der Couch gestoßen war.<br />
»Nein, vielen Dank, Kloro.«<br />
»Hören Sie«, zischte Windham, »wir verlangen<br />
unsere sofortige Freilassung.«<br />
<strong>Der</strong> winzige, insektenähnliche Kopf des Kloros<br />
wandte sich dem fetten alten Mann zu. Das Wesen<br />
war kein erfreulicher Anblick. Es war etwa so groß<br />
wie ein Erdenbewohner. <strong>Der</strong> Kopf, der auf einem<br />
stengelartigen Hals saß, war der kleinste Körperteil.<br />
Er bestand aus einem Rüssel, der die Form eines<br />
stumpfen Dreiecks hatte. Auf jeder Seite quoll ein<br />
Auge hervor. Das war alles. <strong>Der</strong> Kloro besaß weder<br />
eine Hirnschale noch ein Hirn. Sein Verstand saß<br />
etwa dort, wo sich beim Erdenmenschen der Magen<br />
befand. <strong>Der</strong> Kopf war nichts weiter als ein Sinnesorgan.<br />
<strong>Der</strong> Raumanzug des Kloros zeichnete mehr oder<br />
weniger getreu die Umrisse des Kopfes nach. Die<br />
beiden Augen blickten durch zwei Glashalbkugeln,<br />
die das Chlor, das sich innerhalb des Raumanzugs<br />
befand, leicht grünlich tönte.<br />
Eines der Augen richtete sich nun ausdruckslos<br />
auf den Colonel, der dem starren Blick unbehaglich<br />
90
auswich, aber trotzdem tapfer weitersprach.<br />
»Sie haben kein Recht, uns gefangenzuhalten. Wir<br />
sind Zivilisten.«<br />
Die gekünstelt klingende Stimme des Kloros drang<br />
aus einem Netzwerk aus Chrom, das an seiner Brust<br />
angebracht war. <strong>Der</strong> Kehlkopf wurde mittels Druckluft<br />
gehandhabt, die von ein oder zwei der vielen gespaltenen<br />
Ranken kontrolliert wurde, die, in zwei<br />
Kreisen angeordnet, aus dem Oberkörper des Kloros<br />
wuchsen. Gnädigerweise wurden diese Ranken vom<br />
Raumanzug verhüllt.<br />
»Meinen Sie das ernst, Erdenbewohner?« sagte die<br />
Stimme. »Sie haben doch sicher schon von Krieg,<br />
von Kriegsgesetzen und Kriegsgefangenen gehört.«<br />
Er blickte sich um. Mit flinken, ruckartigen Bewegungen<br />
schickte er die beiden Augen durch den<br />
Raum, starrte jede Person und jeden Gegenstand zuerst<br />
mit dem einen, dann mit dem anderen an. Stuart<br />
wußte, daß jedes der beiden Augen dem Magenverstand<br />
eine andere Botschaft übermittelte. <strong>Der</strong><br />
Verstand mußte die beiden Botschaften koordinieren,<br />
um vollwertige Informationen zu erhalten.<br />
Windham wußte nichts mehr zu sagen, und auch<br />
die anderen schwiegen. <strong>Der</strong> Kloro, dessen vier<br />
Hauptgliedmaßen ungefähr wie Arme und Beine aussahen,<br />
wirkte im Raumanzug fast wie eine menschliche<br />
Gestalt, wenn man vom Kopf absah. Aber niemand<br />
konnte ahnen, was er dachte oder fühlte.<br />
Nach zwei letzten Blicken wandte er sich ab und<br />
ging.<br />
91
»O Gott, riechen Sie denn das Chlor nicht?« sagte<br />
Porter mit erstickter Stimme. »Wenn sie nichts dagegen<br />
unternehmen, werden wir mit verfaulten Lungen<br />
elend zugrunde gehen.«<br />
»Halten Sie den Mund«, sagte Stuart. »Das Chlor,<br />
das hier in der Luft liegt, bringt nicht einmal einen<br />
Moskito zum Niesen. Außerdem wird es in zwei Minuten<br />
nach außen gedrungen sein. Übrigens, ein bißchen<br />
Chlor wird Ihnen guttun. Es wird Ihre Bosheit<br />
ein wenig dämpfen.«<br />
Windham stieß einen Fluch aus.<br />
»Hören Sie, Windham, warum haben Sie mit dem<br />
Kloro denn nicht über unsere Freilassung gesprochen?<br />
In seiner Gegenwart waren Sie lange nicht so<br />
frech wie sonst.«<br />
»Sie haben gehört, was er gesagt hat, Colonel. Wir<br />
sind Kriegsgefangene, und über den Austausch von<br />
Kriegsgefangenen verhandeln die Diplomaten. Wir<br />
können nichts anderes tun als warten.«<br />
Leblanc, der beim Eintritt des Kloros kreidebleich<br />
geworden war, stand auf und lief in den Waschraum.<br />
Die anderen hörten, daß er sich erbrach.<br />
Eine unangenehme Stille trat ein. Stuart dachte<br />
angestrengt nach, was er sagen könnte, um die ekelerregenden<br />
Geräusche zu übertönen. Mullen kam<br />
ihm zu Hilfe. Er hatte in einer kleinen Schachtel herumgestöbert,<br />
die er unter seinem Kopfkissen aufbewahrte.<br />
»Vielleicht sollte Mr. Leblanc ein Sedativ ein-<br />
92
nehmen, bevor er sich schlafen legt. Ich habe noch<br />
ein paar Tabletten und gebe ihm gern eine.« Er beeilte<br />
sich, eine Erklärung für seine Großzügigkeit abzugeben.<br />
»Sonst stört er vielleicht unseren Schlaf.«<br />
»Sehr logisch«, sagte Stuart trocken. »Aber Sie<br />
heben besser ein paar Tabletten für unseren Sir<br />
Launcelot auf. Er kann ein halbes Dutzend brauchen.«<br />
Er ging zu Polyorketes, der immer noch starr<br />
auf dem Boden lag, alle viere von sich gestreckt.<br />
»Liegen Sie bequem, mein Freund?«<br />
»Reden Sie nicht so geschmacklos daher, Stuart«,<br />
sagte Windham.<br />
»Nun, wenn Sie sich schon so für ihn einsetzen,<br />
warum heben Sie und Porter ihn dann nicht auf seine<br />
Couch?«<br />
Er half ihnen dabei. Polyorketes’ Arme zuckten<br />
krampfhaft. Da Stuart die Wirkung der Nervenwaffen<br />
der Kloros kannte, wußte er, daß tausend Nadelstiche<br />
durch den Körper des Mannes fuhren.<br />
»Gehen Sie nicht allzu sanft mit ihm um, Gentlemen«,<br />
sagte er. »<strong>Der</strong> verdammte Narr hätte uns alle<br />
beinahe umgebracht. Und wozu?« Er boxte den erstarrten<br />
Polyorketes in die Seite und setzte sich auf<br />
den Rand der Couch. »Können Sie mich hören, Polyorketes?«<br />
Polyorketes’ Augen glitzerten. Mühsam versuchte<br />
er einen Arm zu heben, der aber sofort wieder auf die<br />
Kissen zurücksank.<br />
»Also gut, dann hören Sie mir zu. Machen Sie das<br />
nicht noch einmal. Das nächste Mal könnte es das<br />
93
Ende für uns alle bedeuten. Wenn Sie ein Kloro wären<br />
und er ein Erdenmensch, dann wären wir jetzt<br />
tot. Und vielleicht geht es endlich in Ihren verdammten<br />
Schädel, daß uns der Tod Ihres Bruders zwar sehr<br />
leid tut, daß er aber immerhin selbst daran schuld<br />
war.«<br />
Polyorketes versuchte sich zu erheben, aber Stuart<br />
stieß ihn zurück.<br />
»Hören Sie mich nur weiter an. Vielleicht werde<br />
ich nie mehr die Gelegenheit haben, mit Ihnen sprechen<br />
zu können, und zwar so, daß Sie mir zuhören<br />
müssen. Ihr Bruder hatte kein Recht, die Passagierräume<br />
zu verlassen. Er kann auch unseren eigenen<br />
Leuten in die Quere gekommen sein. Wir wissen<br />
nicht einmal, ob er auch wirklich von einem Kloro<br />
getötet wurde. Es hätte auch einer von unseren Männern<br />
sein können.«<br />
»Hören Sie, Stuart …«, protestierte Windham.<br />
Stuart fuhr zu ihm herum.<br />
»Haben Sie denn Beweise, daß er nicht so gewesen<br />
sein könnte? Haben Sie gesehen, wer geschossen<br />
hat? Können Sie aus den verkohlten Überresten des<br />
Körpers ersehen, ob Polyorketes’ Bruder von einer<br />
Kloro-Waffe oder einer Erden-Waffe getötet wurde?«<br />
Polyorketes fand seine Stimme wieder. Mit schwerer<br />
Zunge lallte er: »Sie verdammter, stinkender Bastard!«<br />
»Ich?« fragte Stuart. »Ich weiß nicht, was in Ihrem<br />
Kopf vorgeht, Polyorketes. Glauben Sie, es wird Ihre<br />
94
Gefühle erleichtern, wenn Sie sich mit mir herumschlagen?<br />
Haben Sie das vor, wenn die Lähmung<br />
abklingt? Nun, wenn das so ist, dann wird das unseren<br />
sichern Tod bedeuten.«<br />
Er stand auf, lehnte sich gegen die Wand und spürte,<br />
daß er jetzt alle gegen sich hatte.<br />
»Niemand von Ihnen kennt die Kloros, wie ich sie<br />
kenne. Die physischen Unterschiede, die Sie gesehen<br />
haben, sind nicht wesentlich. Es kommt auf die Unterschiede<br />
der Temperamente an. Zum Beispiel verstehen<br />
sie nicht unsere Auffassung des Geschlechtslebens.<br />
Für sie ist das nur ein biologischer Reflex wie<br />
das Atmen. Sie messen dem Sex keine weitere Bedeutung<br />
zu. Um so wichtiger nehmen sie die gesellschaftliche<br />
Rangordnung. Denken Sie daran, daß ihre<br />
Ahnen mit unseren Insekten viel gemeinsam hatten.<br />
Sie glauben, daß jede Gruppe von Erdenmenschen,<br />
die ihnen begegnet, eine gesellschaftliche Einheit<br />
bildet.<br />
Das ist das Allerwichtigste in ihren Augen. Ich<br />
kann nicht genau verstehen, was dieses Phänomen<br />
eigentlich bedeutet. Kein Erdenmensch kann das verstehen.<br />
Aber es ist Tatsache, daß sie eine Gruppe<br />
niemals auseinanderreißen, so wie wir niemals eine<br />
Mutter von ihrem Kind trennen würden, wenn wir es<br />
vermeiden können. Und einer der Gründe, warum sie<br />
uns soeben mit Samthandschuhen angefaßt haben, ist<br />
darin zu suchen, daß sie glauben, der Tod unseres<br />
Gruppenmitglieds hätte uns völlig niedergeschmettert.<br />
Sie fühlen sich schuldig.<br />
95
Und daran müssen Sie stets denken. Man wird uns<br />
zusammen internieren, und wir haben eine lange gemeinsame<br />
Zeit vor uns. Freiwillig hätte ich mir keinen<br />
von Ihnen als Wohngenossen ausgesucht, und<br />
Sie hätten mich wahrscheinlich auch nicht als Gefährten<br />
erwählt. Aber es ist nun einmal nicht zu ändern.<br />
Die Kloros würden nie verstehen, daß wir nur<br />
aus purem Zufall auf demselben Schiff sind.<br />
Das bedeutet, daß wir eben irgendwie miteinander<br />
zurechtkommen müssen. Was glauben Sie denn, wäre<br />
passiert, wenn der Kloro etwas früher gekommen<br />
wäre und gesehen hätte, wie Polyorketes und ich einander<br />
zu töten versuchten?<br />
Er hätte dasselbe gedacht wie Sie, wenn Sie miterlebt<br />
hätten, daß eine Mutter ihre Kinder zu töten versucht.<br />
Sie hätten uns alle getötet, denn sie hätten uns für<br />
perverse Monstren gehalten. Haben Sie das jetzt verstanden?<br />
Und wie ist es mit Ihnen, Polyorketes? Haben<br />
auch Sie es verstanden? Wir können uns nach<br />
Herzenslust beschimpfen, aber in Zukunft darf keiner<br />
mehr den anderen anrühren. Und jetzt werde ich,<br />
wenn Sie nichts dagegen haben, meine Hände wieder<br />
in die richtige Form massieren, meine synthetischen<br />
Hände, die ich von den Kloros erhalten habe und die<br />
einer meiner eigenen Artgenossen wieder zu zerquetschen<br />
versuchte.«<br />
Für Claude Leblanc war das Schlimmste vorbei. Er<br />
hatte sich elend gefühlt. Warum hatte er nur die Erde<br />
96
verlassen müssen? Es war natürlich eine großartige<br />
Sache gewesen, auf einem fremden Planeten das College<br />
zu besuchen. Es war ein Abenteuer, und er war<br />
endlich von seiner Mutter losgekommen.<br />
In den Sommerferien war er nicht mehr Claude,<br />
der schüchterne Schüler, sondern Leblanc, der<br />
Raumfahrer. Er hatte es richtig genossen, von Sternen,<br />
Sitten und Lebensformen fremder Welten zu<br />
reden. Endlich hatte er den Mut gehabt, Margaret<br />
einen Antrag zu machen. Sie hatte sich in ihn verliebt,<br />
in den Helden, der so viele Gefahren bestanden<br />
hatte …<br />
Natürlich war das jetzt die erste wirklich gefährliche<br />
Lage, in der er sich je befunden hatte, und bis<br />
jetzt hatte er das Abenteuer nicht sonderlich gut bestanden.<br />
Er wußte das. Er schämte sich und wünschte,<br />
er wäre Stuart.<br />
Beim Essen trat er an ihn heran.<br />
»Mr. Stuart.«<br />
Stuart blickte auf und fragte kurz: »Wie fühlen Sie<br />
sich?«<br />
Leblanc spürte, daß er errötete. Er errötete sehr<br />
leicht, und wenn er sich bemühte, nicht zu erröten,<br />
wurde es nur noch schlimmer. Er sagte: »Viel besser,<br />
danke. Hier, ich bringe Ihnen Ihr Essen.«<br />
Stuart ergriff die dargebotene Dose, die die Standard-Weltraumnahrung<br />
enthielt. Synthetisch, konzentriert,<br />
nahrhaft und irgendwie unbefriedigend.<br />
Das Essen erhitzte sich automatisch, wenn man die<br />
Dose öffnete, konnte aber auch kalt gegessen wer-<br />
97
den. An der Dose hing ein kombiniertes Gabel-<br />
Löffel-Untensil, aber es war fast praktischer, mit den<br />
Fingern zu essen. Man machte sich dabei nicht einmal<br />
besonders schmutzig.<br />
»Haben Sie meine kleine Ansprache gehört?«<br />
fragte Stuart.<br />
»Ja, Sir. Sie können auf mich zählen.«<br />
»Gut. Und jetzt gehen Sie essen.«<br />
»Dürfte ich mich zu Ihnen setzen?«<br />
»Bitte.«<br />
Ein paar Minuten lang aßen sie schweigend, und<br />
dann platzte Leblanc heraus: »Sie sind so selbstsicher,<br />
Mr. Stuart. Es muß wunderbar sein, wenn man<br />
so ist.«<br />
»Selbstsicher? Danke. Aber da ist jemand, der ist<br />
noch viel selbstsicherer.<br />
Verwundert blickte Leblanc in die Richtung, in die<br />
Stuart mit einem leichten Kopfnicken gewiesen hatte.<br />
»Mr. Mullen? Dieser kleine Mann? Oh, nein!«<br />
»Sie glauben nicht, daß er selbstsicher ist?«<br />
Leblanc schüttelte den Kopf. Er musterte Stuart<br />
zweifelnd. Hatte er es vielleicht ironisch gemeint?<br />
»Mr. Mullen ist eiskalt. Er hat überhaupt keine<br />
Gefühle. Er ist wie eine kleine Maschine. Ich finde<br />
ihn abstoßend. Sie sind anders, Mr. Stuart. Sie haben<br />
Gefühle, aber Sie können sie kontrollieren. Ich wäre<br />
so gern wie Sie.«<br />
Als wenn er gespürt hätte, daß über ihn gesprochen<br />
wurde, näherte sich Mullen. Er hatte seine Dose<br />
98
kaum angerührt. Sie dampfte leicht, als er sich zu<br />
den beiden Männern setzte.<br />
Seine Stimme klang wie raschelndes, welkes<br />
Laub.<br />
»Mr. Stuart, wie lange, glauben Sie, wird unser<br />
Flug noch dauern?«<br />
»Das kann ich nicht sagen, Mullen. Unzweifelhaft<br />
vermeiden die Kloros die üblichen Handelsrouten<br />
und weichen immer wieder in den Hyper-Raum aus,<br />
um eventuelle Verfolger abzuschütteln. Es würde<br />
mich nicht überraschen, wenn wir erst in einer Woche<br />
irgendwo landeten. Warum fragen Sie? Ich nehme<br />
an, Sie haben irgendeinen praktischen oder logischen<br />
Grund.«<br />
»Warum? Ja, sicher.« Er schien den Sarkasmus<br />
nicht zu spüren. »Ich denke, es wäre vielleicht angebracht,<br />
unsere Rationen zu rationieren, sozusagen.«<br />
»Wir haben genug Essen und Wasser. Es reicht für<br />
einen Monat. Ich habe die Vorräte überprüft.«<br />
»Ich verstehe. In diesem Fall kann ich meine Dose<br />
ja leer essen.« Er tat es. Geziert hantierte er mit dem<br />
Gabel-Löffel und wischte sich ab und zu mit seinem<br />
Taschentuch über den Mund.<br />
Zwei Stunden später kam Polyorketes wieder auf die<br />
Beine. Er schwankte ein bißchen und blickte Stuart<br />
wütend an.<br />
»Nehmen Sie sich in acht, Sie stinkender Spion!«<br />
»Sie haben gehört, was ich vorhin sagte, Polyorketes.«<br />
99
»Ich habe es gehört. Aber ich habe auch gehört,<br />
was Sie über Aristides gesagt haben. Ich werde mich<br />
mit Ihnen gar nicht mehr abgeben, denn für mich<br />
sind Sie nur ein dreckiges Nichts. Aber warten Sie<br />
nur! Wenn Sie weiter Ihr Gift verspritzen, werden<br />
Sie eines Tages an jemanden geraten, der Sie zu<br />
Kleinholz schlägt.«<br />
»Ich werde warten«, sagte Stuart.<br />
Windham hinkte heran und stützte sich schwer auf<br />
seinen Stock.<br />
»Nun, nun«, sagte er mit erzwungener Heiterkeit,<br />
die seine Furcht eher noch unterstrich, als daß sie sie<br />
verdeckte. »Wir sind nun einmal alle Erdenmenschen.<br />
Denken Sie daran, wir sitzen auf einem Boot.<br />
Vor den verdammten Kloros werden wir uns nicht<br />
beugen. Wir müssen unsere privaten Fehden vergessen.<br />
Nur eines dürfen wir nie vergessen: daß wir Erdenmenschen<br />
sind und gegen die fremden Schufte<br />
zusammenhalten müssen.«<br />
Stuarts Kommentar war nicht druckreif.<br />
Porter trat hinter Windham. Er hatte sich mit dem<br />
Colonel eine Stunde lang im Flüsterton unterhalten,<br />
und nun sagte er indigniert: »Hören Sie endlich auf,<br />
den Neunmalklugen zu spielen, Stuart. Hören Sie<br />
lieber dem Colonel zu. Wir müssen unsere Lage<br />
einmal ernsthaft überdenken.« Er hatte sich das Gesicht<br />
gewaschen, die Haare befeuchtet und zurückgestrichen.<br />
Aber sein rechter Mundwinkel zuckte immer<br />
noch nervös, und seine abgebissenen Fingernägel<br />
machten seine Erscheinung nicht attraktiver.<br />
100
»Also gut, Colonel, was haben Sie vor?«<br />
»Ich möchte, daß alle zuhören«, sagte Windham.<br />
»Okay, rufen Sie sie zusammen.«<br />
Leblanc beeilte sich, die anderen zu holen. Mullen<br />
näherte sich etwas langsamer.<br />
Stuart deutete auf Polyorketes.<br />
»Wollen Sie den Burschen auch dabei haben?«<br />
»Sicher, natürlich«, sagte Windham. »Würden Sie<br />
bitte kommen, Mr. Polyorketes?«<br />
»Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe.«<br />
»Wir brauchen ihn nicht«, sagte Stuart.<br />
»Doch«, sagte der Colonel bestimmt. »Das geht<br />
alle Erdenmenschen an. Mr. Polyorketes, Sie müssen<br />
dabei sein.«<br />
Polyorketes wälzte sich auf seiner Couch herum.<br />
»Ich kann Sie auch von hier aus hören.«<br />
Windham wandte sich an Stuart.<br />
»Glauben Sie, daß die Kloros in diesem Raum ein<br />
Abhörgerät installiert haben?«<br />
»Nein. Warum sollten sie?«<br />
»Sind Sie sicher?«<br />
»Natürlich bin ich sicher. Sie wußten ja auch<br />
nicht, daß Polyorketes mich angegriffen hat, sie spürten<br />
nur die Erschütterungen.«<br />
»Vielleicht wollen sie uns nur glauben machen,<br />
daß hier kein Abhörgerät ist.«<br />
»Hören Sie, Colonel, ich habe noch nie erlebt, daß<br />
ein Kloro lügt …«<br />
»Dieser Schmutzfink liebt die Kloros«, unterbrach<br />
ihn Polyorketes.<br />
101
»Fangen wir nicht wieder damit an«, sagte Windham<br />
hastig. »Stuart, Porter und ich hatten eine lange<br />
Unterredung, und wir sind auf den Gedanken gekommen,<br />
daß Sie die Kloros gut genug kennen, um<br />
irgendeine Möglichkeit zu finden, zur Erde zurückzugelangen.«<br />
»Da haben Sie sich leider geirrt. Ich weiß keine<br />
Möglichkeit.«<br />
»Vielleicht können wir das Schiff zurückerobern.<br />
Irgendwo müssen doch auch diese grünen Kerle eine<br />
schwache Stelle haben. So verstehen Sie mich<br />
doch!«<br />
»Sagen Sie einmal, Colonel, was wollen Sie eigentlich?<br />
Ihre eigene Haut retten? Oder geht es Ihnen<br />
um das Wohl der Erde?«<br />
»Diese Frage muß ich entschieden zurückweisen.<br />
Sicher, ich will mein Leben retten. Das will jeder,<br />
und jeder hat auch das Recht dazu. Aber primär denke<br />
ich natürlich an die Erde. Und ich denke, das trifft<br />
auf uns alle zu.«<br />
»Das stimmt«, beeilte sich Porter zu sagen. Leblanc<br />
blickte ängstlich drein, Polyorketes’ Augen<br />
funkelten wütend, und Mullens Miene war ausdruckslos<br />
wie immer.<br />
»Gut«, sagte Stuart. »Natürlich glaube ich nicht,<br />
daß wir uns des Schiffes bemächtigen können. Im<br />
Gegensatz zu uns sind sie bewaffnet. Aber etwas anderes:<br />
Sie wissen, warum die Kloros dieses Schiff<br />
nicht zerstört haben. Weil sie Schiffe brauchen. Sie<br />
mögen bessere Chemiker als die Erdenbewohner<br />
102
sein, aber auf der Erde gibt es bessere Astronautik-<br />
Ingenieure. Wir haben bessere, größere und zahlreichere<br />
Schiffe. Wenn unsere Crew in erster Linie militärisch<br />
eingestellt gewesen wäre, hätte sie unser<br />
Schiff explodieren lassen, bevor die Kloros an Bord<br />
gekommen wären.«<br />
»Und Sie hätten die Passagiere getötet?« fragte<br />
Leblanc entsetzt.<br />
»Warum nicht? Sie haben gehört, was der Colonel<br />
gesagt hat. Jeder von uns stellt die Interessen der Erde<br />
über sein eigenes lausiges Leben. Was nützt es der<br />
Erde, wenn wir überleben? Gar nichts. Was können<br />
die Kloros anrichten, wenn sie dieses Schiff in der<br />
Hand haben? Eine ganze Menge.«<br />
»Aber warum haben unsere Männer das Schiff<br />
nicht gesprengt?« fragte Mullen. »Sie müssen doch<br />
einen Grund gehabt haben.«<br />
»Sie haben auch einen Grund gehabt. Es ist eine<br />
Tradition des Militärs, daß es kein unvorteilhaftes<br />
Verhältnis der Anzahl von Gefallenen geben darf.<br />
Wenn wir uns selbst ins All gesprengt hätten, wären<br />
zwanzig Soldaten und sieben Zivilisten ums Leben<br />
gekommen, während der Feind keine Verluste erlitten<br />
hätte. Also haben wir die Kloros lieber an Bord<br />
kommen lassen, haben etwa achtundzwanzig getötet<br />
und ihnen das Schiff überlassen.«<br />
»Blödes Gerede«, spottete Polyorketes.<br />
»Das ist eine moralische Angelegenheit«, sagte<br />
Stuart. »Wir können den Kloros das Schiff nicht<br />
wieder abnehmen. Aber wir können sie trotzdem er-<br />
103
ledigen. Wir können sie ablenken und einem von uns<br />
die Gelegenheit verschaffen, die Maschinen abzustellen.«<br />
»Was?« schrie Porter, und Windham zuckte erschrocken<br />
zusammen.<br />
»Die Maschinen abstellen«, wiederholte Stuart.<br />
»Auf diese Weise können wir das Schiff zerstören.<br />
Und das wollen wir doch, nicht wahr?«<br />
Leblancs Lippen waren weiß.<br />
»Ich glaube, das geht nicht.«<br />
»Wir können es wenigstens versuchen. Was haben<br />
wir schon zu verlieren?«<br />
»Unser Leben, verdammt!« schrie Porter. »Sie<br />
sind verrückt!«<br />
»Wenn wir unser Leben verlieren, was mit ziemlicher<br />
Wahrscheinlichkeit der Fall sein wird, dann verlieren<br />
wir jedenfalls nichts, was für die Erde von besonderem<br />
Wert wäre. Aber wenn wir das Schiff zerstören,<br />
erweisen wir der Erde einen großen Dienst.<br />
Welcher Patriot würde zögern, so zu handeln? Wem<br />
von uns wäre sein eigenes Leben wichtiger als das<br />
Wohl der Erde?« Er blickte in die schweigende Runde.<br />
»Sie sind doch sicher meiner Meinung, Colonel<br />
Windham.«<br />
<strong>Der</strong> Colonel hustete verlegen.<br />
»Mein lieber Freund, das steht außer Frage. Aber<br />
es muß doch einen Weg geben das Schiff zurückzugewinnen,<br />
ohne daß wir unser Leben verlieren, eh?«<br />
»Was schlagen Sie also vor?«<br />
»Wir müssen einmal überlegen. Es sind nur zwei<br />
104
Kloros auf dem Schiff. Wenn sich einer von uns an<br />
sie anschleichen könnte …«<br />
»Wie denn? Das ganze übrige Schiff ist mit Chlor<br />
gefüllt. Man müßte einen Raumanzug anziehen. Außerdem<br />
ist die Schwerkraft auf Kloro-Niveau gesunken.<br />
Wer immer sich also für ein so waghalsiges Unternehmen<br />
zur Verfügung stellt, müßte laut klirrend<br />
von Metall zu Metall hüpfen. Er könnte sich anschleichen<br />
wie ein Elefant.«<br />
»Dann müssen wir diesen Plan also fallen lassen.«<br />
Porters Stimme zitterte. »Hören Sie, Stuart, wir können<br />
das Schiff nicht zerstören. Mein Leben bedeutet<br />
mir sehr viel, und wenn einer hier so etwas<br />
Wahnsinniges versuchen würde, dann rufe ich die<br />
Kloros. Ich meine es ernst.«<br />
»Gut«, sagte Stuart. »Hier steht also Held Nummer<br />
eins.«<br />
»Ich will zur Erde zurück«, sagte Leblanc, »aber<br />
ich …«<br />
»Ich glaube nicht«, unterbrach ihn Mullen, »daß es<br />
uns gelingen würde, das Schiff zu vernichten, solange<br />
…«<br />
»Die Helden Nummer zwei und drei. Und was ist<br />
mit Ihnen, Polyorketes? Sie würden die Gelegenheit<br />
haben, zwei Kloros zu töten.«<br />
»Ich möchte sie mit bloßen Händen umbringen«,<br />
knurrte der Gemüsegärtner und hob die Fäuste. »Auf<br />
ihrem Planeten werde ich sie dutzendweise töten.«<br />
»Das hört sich ja schon ganz nett an. Und Sie, Colonel?<br />
Wollen Sie mit mir glorreich untergehen?«<br />
105
»Ihr Zynismus ist widerlich, Stuart. Es ist doch offensichtlich,<br />
daß Ihr Plan mit Stimmenmehrheit abgelehnt<br />
ist.«<br />
»Und wenn ich es selbst tue?«<br />
»Sie werden es nicht tun, verstanden?« sagte Porter<br />
hastig.<br />
»Nein, verdammt«, sagte Stuart. Ich behaupte<br />
nicht, daß ich ein Held bin. Ich bin nur ein Durchschnittspatriot<br />
und lasse mich willig auf jeden beliebigen<br />
Planeten bringen, wenn ich nur nichts vom<br />
Krieg sehe.«<br />
Mullen sagte nachdenklich: »Es gibt einen Weg,<br />
wie wir die Kloros überraschen könnten.«<br />
Die Bemerkung wäre untergegangen, wenn nicht<br />
Polyorketes auf Mullen gedeutet und laut aufgelacht<br />
hätte.<br />
»Mr. Buchhalter ist genauso ein Großmaul wie unser<br />
dreckiger Spion. Los, Mr. Buchhalter, reden Sie,<br />
beglücken Sie uns mit Ihren Weisheiten.«<br />
Mit sanfter Stimme wandte sich Mullen an Stuart.<br />
»Wir können von außen an Sie herankommen. Ich<br />
bin sicher, daß dieser Raum einen T-Kanal hat.«<br />
»Was ist ein T-Kanal?« frage Leblanc.<br />
»Nun …«, begann Mullen und brach gleich wieder<br />
verlegen ab.<br />
»Es handelt sich um einen Euphemismus, mein<br />
Junge«, sagte Stuart spöttisch. »Die volle Bezeichnung<br />
lautet <strong>Todeskanal</strong>. Man redet nicht viel darüber,<br />
aber die Haupträume jedes Schiffes haben solche<br />
Kanäle. Das sind kleine Schleusen, gerade groß<br />
106
genug, daß ein Mensch hindurchschlüpfen kann. Begräbnis<br />
im Weltraum. Viel Gefühl, gesenkte Köpfe<br />
und eine gefühlvolle Rede des Captains.«<br />
»Und auf diesem Weg sollen wir das Schiff verlassen?«<br />
fragte Leblanc entsetzt.<br />
»Warum nicht? Sind Sie abergläubisch? Fahren<br />
Sie fort, Mullen.«<br />
<strong>Der</strong> kleine Mann hatte geduldig gewartet. Nun<br />
sagte er: »Wenn einer von uns einmal draußen wäre,<br />
könnte er das Schiff durch die Energieröhren wieder<br />
betreten. Wenn man Glück hat, könnte das gelingen.<br />
Dann konnte man völlig unerwartet im Kontrollraum<br />
auftauchen.«<br />
Stuart starrte ihn neugierig an.<br />
»Wie stellen Sie sich das denn vor? Was wissen<br />
Sie von den Energieröhren?«<br />
Mullen hustete.<br />
»Sie meinen, weil ich in der Papierbranche tätig<br />
bin? Nun …« Sein Gesicht lief rosa an, er wartete<br />
einen Augenblick und begann wieder mit farbloser,<br />
ausdrucksloser Stimme zu sprechen. »Meine Firma<br />
stellt Spielzeugschachteln her. Vor einigen Jahren<br />
brachten wir auch Bonbonschachteln in der Form<br />
von Raumschiffen auf den Markt. Wenn man an einer<br />
Schnur zog, schoß Druckluft durch die kleinen<br />
Energieröhren, das Schiff segelte durch das Zimmer<br />
und verstreute Bonbons. Wir dachten, es würde den<br />
Kindern Spaß machen, mit dem Schiff zu spielen und<br />
die Bonbons aufzulesen. Leider erwies sich die Idee<br />
als Fehlschlag. Das Schiff zerbrach Teller, und die<br />
107
Bonbons trafen die Kinder in die Augen. Außerdem<br />
begnügten sich die Kleinen nicht damit, die Bonbons<br />
aufzusammeln, sie balgten sich auch noch darum. Es<br />
war beinahe unser schlimmster Fehlschlag. Wir verloren<br />
Tausende.<br />
Aber während die Schiffe entworfen wurden, verfolgte<br />
die ganze Firma die Arbeit mit großem Interesse.<br />
Nach einiger Zeit wuchsen wir alle zu Energieröhren-Experten<br />
heran. Ich habe einige Bücher über<br />
die Konstruktion von Raumschiffen gelesen. Natürlich<br />
in meiner Freizeit.«<br />
Stuart hatte ihm interessiert zugehört.<br />
»Eine großartige Idee. Wenn wir einen Helden in<br />
unserer Mitte hätten, könnte sie funktionieren. Haben<br />
wir einen?«<br />
»Wie steht es denn mit Ihnen?« fragte Porter ärgerlich.<br />
»Uns verfolgen Sie mit Ihrem billigen Spott,<br />
aber Sie selbst stellen sich natürlich nicht zur Verfügung.«<br />
»Weil ich kein Held bin, Porter. Das gebe ich zu.<br />
Ich möchte gern am Leben bleiben, und wenn ich<br />
durch Energieröhren krieche, wird mir das wohl<br />
kaum gelingen. Aber Sie, meine Herren, Sie sind<br />
doch alle ehrenwerte Patrioten. Sie zum Beispiel,<br />
Colonel, sind der älteste Held in unserem kleinen<br />
Kreis.«<br />
»Wenn ich jünger wäre, verdammt, und wenn Sie<br />
noch Ihre eigenen Hände hätten, würde es mir ein<br />
großes Vergnügen sein, Sie zu verprügeln«, sagte<br />
Windham.<br />
108
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«<br />
»Sie wissen sehr gut, daß ich in meinem Alter und<br />
mit meinem Bein …« Er klopft sich auf sein steifes<br />
Knie »… nicht in der Lage bin, eine solche Tat zu<br />
vollbringen, selbst wenn ich es wollte.«<br />
»Natürlich. Und meine Hände sind verkrüppelt.<br />
Damit sind wir gerettet. Und welche unglücklichen<br />
Deformierungen haben die anderen Herren aufzuweisen?«<br />
»Was soll das eigentlich?« fragte Porter. »Wie<br />
kann irgendeiner von uns durch die Röhren kriechen?<br />
Was ist, wenn die Kloros sie gerade in dem<br />
Augenblick benutzen?«<br />
»Das ist eben das Risiko bei der Sache. Das macht<br />
es nur noch spannender.«<br />
»<strong>Der</strong> Mann wird wie ein Hummer gekocht werden.«<br />
»Eine hübsche Vorstellung, aber nicht ganz richtig.<br />
Die Energie würde höchstens eine oder zwei Sekunden<br />
lang durch die Röhre laufen, und so lange<br />
hält die Isolierung unserer Anzüge dicht. Außerdem<br />
kommt der Energieschuß mit einer Geschwindigkeit<br />
von siebenhundert Meilen in der Minute durch die<br />
Röhre, so daß Sie längst im Weltall sind, bevor Sie<br />
die Hitze überhaupt spüren. Sie schweben meilenweit<br />
entfernt im Raum und sind vor den Kloros endlich<br />
sicher. Natürlich dürfte es Ihnen schwerfallen,<br />
zum Schiff zurückzukehren.«<br />
Porter schwitzte.<br />
»Es wird Ihnen nicht gelingen, mir Angst einzuja-<br />
109
gen, Stuart.«<br />
»Nein? Dann wollen Sie also die Heldentat begehen?<br />
Haben Sie sich auch überlegt, was das bedeutet,<br />
wenn man in den Raum geschleudert wird? Sie sind<br />
allein, ganz allein. <strong>Der</strong> Energiestoß wird Sie blitzschnell<br />
durch das leere All treiben. Sie spüren es<br />
nicht. Sie glauben, daß Sie sich überhaupt nicht bewegen.<br />
Aber die Sterne rasen vorbei, als Lichtstreifen.<br />
Sie bleiben nie mehr stehen. Sie werden nicht<br />
einmal langsamer. Dann geht Ihr Heizkörper aus, der<br />
Sauerstoff wird immer weniger, und Sie sterben ganz<br />
langsam. Sie haben noch eine Menge Zeit, um nachzudenken.<br />
Wenn Sie es eilig haben, können Sie natürlich<br />
Ihren Anzug öffnen. Das ist aber auch nicht<br />
sehr angenehm. Ich habe die Gesichter von Männern<br />
gesehen, deren Anzug durch einen bösen Zufall zerrissen<br />
wurde. Schrecklich! Aber es geht eben schneller.<br />
Und dann …«<br />
Porter wandte sich ab und ging mit weichen Knien<br />
davon.<br />
»Noch ein Fehlschlag«, sagte Stuart lächelnd.<br />
»Nun, wer reißt sich noch darum, ein Held zu sein?«<br />
»Sie reden und reden«, krächzte Polyorketes. »Ich<br />
glaube, wir werden Ihnen ziemlich bald die Zähne<br />
einschlagen, Mr. Großmaul. Nicht wahr, Mr. Porter?«<br />
<strong>Der</strong> Blick, den Porter Stuart zuwarf, zeigte deutlich,<br />
daß er vollauf mit Polyorketes übereinstimmte,<br />
aber er sagte nichts.<br />
»Und wie steht es mit Ihnen, Polyorketes? Sie sind<br />
110
doch mutig. Soll ich Ihnen in den Anzug helfen?«<br />
»Wenn ich Ihre Hilfe brauche, werde ich mich<br />
schon von selbst rühren.«<br />
»Und Sie, Leblanc?«<br />
Ängstlich wich der junge Mann zurück.<br />
»Wollen Sie es nicht einmal Margaret zuliebe wagen?<br />
Sie wollen sie doch wiedersehen.«<br />
Leblanc brachte kein Wort hervor. Er konnte nur<br />
den Kopf schütteln.<br />
»Mullen?«<br />
»Also gut, ich will es versuchen.«<br />
»Sie wollen was?«<br />
»Ich sagte, ich will es versuchen. Immerhin war es<br />
ja meine Idee.«<br />
Stuart starrte ihn erstaunt an.<br />
»Meinen Sie das ernst?«<br />
Mullens Mund verzog sich.<br />
»Nun ja, wenn es keiner der anderen Herren tun<br />
will …«<br />
»Trotzdem, Sie müssen sich nicht opfern.«<br />
Mullen zuckte mit den Schultern. Hinter Stuart fiel<br />
eine Dose klirrend zu Boden. Windham hinkte hastig<br />
auf Mullen zu.<br />
»Wollen Sie es wirklich tun?«<br />
»Ja, Colonel.«<br />
»In diesem Fall erlauben Sie mir, Ihnen die Hand<br />
zu schütteln. Sie sind, bei Gott, ein wahrer Erdenmann.<br />
Wer wagt, gewinnt. Auch wenn Sie in den<br />
Tod gehen, Ihr Ruhm wird sie unsterblich machen.«<br />
Stuart stand nur da. Er befand sich in einem äu-<br />
111
ßerst ungewöhnlichen Zustand. Er wußte nicht, was<br />
er sagen sollte.<br />
Die Niedergeschlagenheit der Gefangenen war einem<br />
erregenden verschwörerischen Gefühl gewichen. Sogar<br />
Polyorketes fingerte an den Raumanzügen herum<br />
und verkündete mit heiserer Stimme, welchen er für<br />
den geeignetsten hielt.<br />
Mullen hatte einige Schwierigkeiten. <strong>Der</strong> Raumanzug<br />
hing schlotternd an ihm, obwohl man die Verschlüsse<br />
möglichst eng zugemacht hatte. Er stand da<br />
und wartete darauf, daß man ihm den Helm aufsetzte.<br />
Sein Hals wackelte hin und her.<br />
Stuart hob mit einiger Anstrengung den schweren<br />
Helm hoch. Seine Kunststoffhände konnten ihn nicht<br />
richtig greifen.<br />
»Putzen Sie sich lieber noch einmal die Nase«,<br />
sagte er. »Das ist für längere Zeit die letzte Gelegenheit.<br />
Vielleicht die allerletzte, dachte er, aber er sagte<br />
es nicht.<br />
»Ich möchte noch einen Reserve-Sauerstoffzylinder<br />
haben«, sagte Mullen tonlos.<br />
»Okay.«<br />
»Mit Reduzierventil.«<br />
Stuart nickte.<br />
»Ich weiß, was Sie denken. Wenn Sie aus dem<br />
Schiff geschleudert werden, könnten Sie den Zylinder<br />
als Reaktionsmotor benutzen.«<br />
Sie befestigten den Reservezylinder um Mullens<br />
Mitte. Polyorketes und Leblanc hoben den kleinen<br />
112
Mann zu der gähnenden Öffnung des T-Kanals hoch.<br />
Die Metallwände des Kanals waren in traurigem<br />
Schwarz bemalt. Stuart glaubte, einen modrigen Geruch<br />
wahrzunehmen, aber das war nur Einbildung.<br />
Er hielt die Männer zurück, als Mullen bereits zur<br />
Hälfte in der Öffnung verschwunden war, und klopfte<br />
auf das Sehfenster des kleinen Mannes.<br />
»Können Sie mich hören?«<br />
Mullen nickte.<br />
»Haben Sie genug Luft? Gibt es sonst noch irgendwelche<br />
Schwierigkeiten?«<br />
Mullen hob seinen gepanzerten Arm zum Zeichen,<br />
daß alles in Ordnung war.<br />
»Benutzen Sie draußen im Raum keinesfalls das<br />
Funkgerät. Die Kloros könnten die Signale bemerken.«<br />
Widerstrebend trat er zurück. Polyorketes’ starke<br />
Hände ließen Mullen hinabgleiten. Sie hörten die<br />
Metallsohlen auf der äußeren Ventilkappe aufschlagen,<br />
und dann schloß sich das innere Ventil mit<br />
schrecklicher Endgültigkeit. <strong>Der</strong> schräge Silikon-<br />
Dichtungsring gab ein leises saugendes Geräusch<br />
von sich.<br />
Stuart stand am Kipphebelschalter, der das äußere<br />
Ventil regelte. Er betätigte ihn, und der Skalenzeiger,<br />
der den Luftdruck im Innern des Kanals angab, fiel<br />
auf Null. Ein kleines rotes Licht zeigte an, daß das<br />
Außenventil offen war. Dann verschwand das Licht,<br />
das Ventil war geschlossen, und der Skalenzeiger<br />
kletterte wieder auf fünfzehn.<br />
113
Sie öffneten das Innenventil wieder, blickten hinein.<br />
<strong>Der</strong> T-Kanal war leer. Polyorketes fand als erster<br />
die Sprache wieder.<br />
»Dieser kleine Teufelskerl! Er ist tatsächlich draußen.<br />
So ein Zwerg und so tapfer.«<br />
»Wir müssen uns darauf vorbereiten, daß die Kloros<br />
auftauchen«, sagte Stuart. »Es kann sein, daß sie<br />
das Öffnen und Schließen der Ventile bemerkt haben.<br />
In diesem Fall werden sie zu uns kommen und<br />
nachsehen, was passiert ist.«<br />
»Was sollen wir dann machen?«<br />
»Sie werden Mullen vermissen. Wir sagen, er ist<br />
im Waschraum. Die Kloros wissen, daß es zu den<br />
seltsamen Eigenschaften der Erdenbewohner gehört,<br />
daß sie auf der Toilette mit sich allein sein wollen.<br />
Sie werden nicht in den Waschraum gehen.«<br />
»Und wenn sie warten oder die Raumanzüge zählen?«<br />
fragte Porter.<br />
Stuart zuckte mit den Schultern.<br />
»Hoffen wir, daß sie das nicht tun. Und Sie, Polyorketes,<br />
machen Sie keine Dummheiten mehr, wenn<br />
die Kloros kommen.«<br />
»Wenn der kleine Kerl da draußen ist?« grunzte<br />
Polyorketes. »Was glauben Sie denn von mir?« Er<br />
blickte Stuart ohne jede Feindseligkeit an, dann fuhr<br />
er sich mit einer heftigen Bewegung durch das krause<br />
Haar. »Sie wissen, ich habe immer über ihn gelacht.<br />
Mir ist er wie ein altes Weib vorgekommen.<br />
Jetzt schäme ich mich dafür.«<br />
Stuart räusperte sich.<br />
114
»Nun, ja … ich habe einige Dinge gesagt, die vielleicht<br />
gar nicht so spaßig waren, wie es mir schien.<br />
Nach einiger Überlegung weiß ich das jetzt. Es tut<br />
mir leid.« Mit ernstem Gesicht wandte er sich ab und<br />
ging zu seiner Couch. Er hörte die Schritte hinter<br />
sich, spürte die Berührung auf seinem Arm. Er drehte<br />
sich um. Es war Leblanc.<br />
»Es geht mir nicht aus dem Kopf, daß Mullen für<br />
so etwas doch schon viel zu alt ist«, sagte der Junge<br />
leise.<br />
»Sicher, er ist kein Jüngling mehr. Etwa fünfundvierzig<br />
oder fünfzig.«<br />
»Glauben Sie nicht, Mr. Stuart, daß ich es hätte<br />
tun müssen? Ich bin der Jüngste. Und der Gedanke,<br />
daß ein alter Mann an meiner Stelle da draußen ist,<br />
gefällt mir gar nicht. Ich fühle mich ziemlich übel.«<br />
»Ich weiß. Wenn er stirbt, wird es für uns alle<br />
schrecklich sein.«<br />
»Aber er tat es doch freiwillig. Wir haben ihn<br />
nicht dazu aufgefordert, nicht wahr?«<br />
»Versuchen Sie nicht, die Verantwortung von sich<br />
abzuwälzen. Dadurch werden Sie sich nicht besser<br />
fühlen. Er hatte nicht weniger Grund, das Risiko zu<br />
scheuen, als wir.« Schweigend und nachdenklich<br />
blieb Stuart auf der Couch sitzen.<br />
Mullen spürte, wie das Hindernis unter seinen Füßen<br />
wegglitt, und die Wände sausten an ihm vorbei, viel<br />
zu schnell. <strong>Der</strong> Stoß der entweichenden Luft trug ihn<br />
mit sich, und wild schlug er mit Armen und Beinen<br />
115
gegen die Wände, um abzubremsen. Die Leichen<br />
konnten natürlich geradewegs aus dem Schiff geschleudert<br />
werden. Aber er war keine Leiche – wenigstens<br />
vorläufig noch nicht.<br />
Er hörte einen seiner Magnetstiefel auf dem<br />
Schiffsrumpf aufschlagen, während sein restlicher<br />
Körper ins Freie flog wie der Korken einer Sektflasche.<br />
Gefährlich schwankend balancierte er am Rand<br />
der Öffnung. Plötzlich hatte sich sein Körper gedreht,<br />
und er bückte auf die Öffnung hinab. Er trat<br />
einen Schritt zurück, als der Deckel sich von selbst<br />
schloß.<br />
Ein Gefühl der Unwirklichkeit überkam ihn. Nein,<br />
das konnte nicht er selbst sein, der da auf der äußeren<br />
Fläche eines Raumschiffs stand. Nicht Randolph F.<br />
Mullen. Es gab wenige Leute, die das jemals erlebt<br />
hatten, auch wenn sie es gewohnt waren, ständig<br />
durch den Raum zu reisen.<br />
Nur allmählich wurde ihm bewußt, daß er<br />
Schmerzen fühlte. Das plötzliche Herausschnellen<br />
aus der Öffnung, während sein einer Fuß am Schiffsrumpf<br />
klebte, hätte ihn beinahe in zwei Teile gerissen.<br />
Vorsichtig versuchte er, sich zu bewegen. Seine<br />
Bewegungen waren unregelmäßig, und es war fast<br />
unmöglich, sie zu kontrollieren. Er glaubte, daß er<br />
sich keine Knochen gebrochen hatte. Aber die Muskeln<br />
an seiner linken Seite schmerzten höllisch.<br />
Und dann kam er wieder zu sich und entdeckte,<br />
daß die Lämpchen an seinen Handgelenken brannten.<br />
In ihrem Licht hatte er in die Schwärze des Kanals<br />
116
starren können. Er erstarrte bei dem nervösen Gedanken,<br />
daß die Kloros die beiden Lichtpunkte bemerkt<br />
haben könnten, die sich da draußen auf dem<br />
Schiffsrumpf bewegten. Er drückte auf die Schalter,<br />
die sich in seiner Nabelgegend befanden, und die<br />
Lämpchen verlöschten.<br />
Mullen hätte nie gedacht, daß er den Schiffsrumpf<br />
nicht würde sehen können, wenn er daraufstand.<br />
Aber es war stockdunkel, sowohl oberhalb als auch<br />
unterhalb. Da waren die Sterne, glänzende, kleine<br />
Punkte, deren Entfernung er nicht abschätzen konnte.<br />
Sonst nichts. Unter seinen Füßen konnte er keine<br />
Sterne sehen, ja, nicht einmal seine Füße.<br />
Er blickte wieder zu den Sternen auf. Sein Kopf<br />
dröhnte. Sie bewegten sich langsam. Aber wahrscheinlich<br />
standen sie, und das Schiff bewegte sich,<br />
aber seine Augen sahen es anders. Die Sterne bewegten<br />
sich. Sein Blick folgte ihnen, am Schiff vorbei.<br />
Neue Sterne tauchten auf, glitten an ihm vorüber. Ein<br />
schwarzer Horizont. Das Schiff war nur eine Zone, in<br />
der keine Sterne existierten.<br />
Keine Sterne? Da war doch einer auf seinen Füßen.<br />
Fast hätte er schon danach gegriffen, aber da sah<br />
er, daß es nur das glänzende Spiegelbild im Metall<br />
war.<br />
Die Sterne legten in einer Stunde Tausende von<br />
Meilen zurück. Auch das Schiff. Auch er. Aber er<br />
spürte nichts, nur Stille und Dunkelheit und das langsame<br />
Gleiten der Sterne. Seine Augen folgten den<br />
Sternen …<br />
117
Sein behelmter Kopf schlug mit leisem, glockenähnlichem<br />
Klang auf dem Schiffsrumpf auf. In panischer<br />
Angst griff er mit seinen dicken Silikonhandschuhen<br />
um sich. Seine Magnetstiefel hafteten noch<br />
immer fest am Schiffsrumpf, aber sein Körper war<br />
zurückgebeugt, die Knie in einem rechten Winkel<br />
gebogen. Außerhalb des Schiffes gab es keine<br />
Schwerkraft. Wenn er sich zurückbeugte, so spürte er<br />
nicht, daß seine Gelenke sich bogen.<br />
Er preßte sich gegen den Schiffsrumpf, und sein<br />
Körper schnellte hoch. Aber er blieb nicht aufrecht<br />
stehen, sondern fiel nach vorn. Jetzt versuchte er es<br />
etwas langsamer, balancierte mit beiden Händen auf<br />
dem Schiffsrumpf, bis er gleichmäßig hockte. Langsam<br />
richtete er sich auf, hielt mit ausgestreckten Armen<br />
das Gleichgewicht.<br />
Jetzt stand er aufrecht da und blickte sich um. Wo<br />
waren die Energieröhren? Er konnte sie nicht sehen.<br />
Alles war Schwarz in Schwarz.<br />
Rasch knipste er die Handgelenklämpchen an. Im<br />
Raum gab es keine Strahlen, nur ellipsenförmige,<br />
scharf abgegrenzte Flecken von blauem Stahl, der<br />
das Licht zurückwarf. Wenn der Schein der Lampe<br />
eine Niete traf, zeigte sich ein Schatten, und plötzlich<br />
endete die Lichtregion. Nurmehr schwarzer Raum.<br />
Er hob die Arme. Sein Körper schwankte leicht in<br />
die entgegengesetzte Richtung. Eine Energieröhre<br />
mit ihren glatten zylindrischen Rändern sprang ihm<br />
in die Augen. Er versuchte, sich darauf zuzubewegen.<br />
Sein Fuß haftete fest am Schiffsrumpf. Er zog<br />
118
daran, und der Fuß rutschte hoch. Noch drei Zoll,<br />
und er war frei. Noch sechs Zoll, und er dachte, er<br />
würde davonfliegen.<br />
Es gelang ihm, sich wieder dem Schiffsrumpf zu<br />
nähern, und die Magnetstiefel schlugen mit hartem<br />
Klirren erneut auf dem Metall auf. Die Vibration<br />
fuhr durch den Raumanzug.<br />
Erschrocken blieb er stehen. Die Dehydratoren,<br />
die die Atmosphäre im Raumanzug trocken hielten,<br />
halfen nicht sofort gegen den plötzlichen Schweißausbruch<br />
auf seiner Stirn und in den Achselhöhlen.<br />
Er wartete, bis der Schweiß trocknete.<br />
Dann versuchte er wieder den Fuß zu heben, nur<br />
einen Zoll, dann bewegte er ihn in horizontaler Richtung<br />
weiter. Die Bewegung verlief lotrecht zur Magnetwirkung.<br />
Er mußte nur darauf achten, daß ihm<br />
der Fuß nicht nach unten gezogen wurde, und ihn<br />
langsam wieder aufsetzen.<br />
Jeder Schritt schmerzte, seine Kniesehnen krachten,<br />
tausend Messer durchfuhren sein Inneres. Er<br />
blieb stehen, um wieder den Schweiß trocknen zu<br />
lassen. Die Innenseite seines Gesichtsfensters durfte<br />
nicht vom Dunst blind werden. Er hob die Handgelenklämpchen,<br />
und der Energiezylinder war direkt<br />
über ihm.<br />
Das Schiff hatte vier Energieröhren, die im Winkel<br />
von neunzig Grad von der Mittelenergiequelle nach<br />
außen liefen. Sie wurden nach dem jeweiligen Kurs<br />
des Schiffes reguliert. Die Kursregulatoren waren die<br />
mächtigen Düsen vorn und hinten, die die Flugge-<br />
119
schwindigkeit mit ihrer Beschleunigungs- und Drosselungskraft<br />
bestimmten, und die Hyperatom-<br />
Batterien, die für die Flüge in den Hyperraum sorgten.<br />
Gelegentlich mußte die Flugrichtung geändert<br />
werden, und dann traten die Energieröhren in Funktion.<br />
Eine allein konnte das Schiff nach oben, hinab,<br />
nach rechts oder links lenken. Zu zweit, bei angemessener<br />
Aufteilung der Energiestöße, konnte das<br />
Schiff in jede gewünschte Richtung gelenkt werden.<br />
Die Erfindung war seit Jahrhunderten nicht mehr<br />
verbessert worden. Das war auch nicht nötig. Die<br />
Atombatterie erhitzte das Wasser in einem geschlossenen<br />
Behälter innerhalb von Sekunden bis zu einer<br />
Temperatur, bei der es sich in eine Mischung von<br />
Wasserstoff und Sauerstoff verwandelt und dann zu<br />
einer Mischung von Elektronen und Ionen.<br />
Wenn der kritische Punkt erreicht war, öffnete sich<br />
ein Ventil, und die Dampfenergie schoß in einem<br />
einzigen kurzen Stoß heraus. Das Schiff bewegte<br />
sich majestätisch in die entgegengesetzte Richtung,<br />
drehte sich um seinen eigenen Schwerkraftmittelpunkt.<br />
Wenn die gewünschte Richtung erreicht war,<br />
fand ein entgegengesetzter Energiestoß statt, und die<br />
Drehung konnte ausgeglichen werden. Das Schiff<br />
bewegte sich in seiner ursprünglichen Geschwindigkeit<br />
weiter, aber in einer neuen Richtung.<br />
Mullen zog sich am Rand der Energieröhre hoch.<br />
Da hing er nun, ein winziger, schwankender Punkt<br />
am äußersten Ende einer gigantischen Energiekon-<br />
120
struktion, die das Schiff durch den Weltraum jagte.<br />
Kein Luftstrom wischte ihn vom Schiffsrumpf, die<br />
Magnetsohlen klebten fester am Metall, als es ihm<br />
lieb war. Er beugte sich vor, im Schein seiner eingeschalteten<br />
Lampen starrte er in die Röhre. Das Schiff<br />
sackte nach unten, als er seine Körperlage änderte. Er<br />
bemühte sich, das Gleichgewicht zu halten, aber er<br />
fiel nicht. Im Weltraum gab es kein Oben oder Unten.<br />
Nur das, was sein verwirrter Sinn als oben oder<br />
unten betrachtete.<br />
<strong>Der</strong> Zylinder war gerade groß genug, um einen<br />
Mann aufzunehmen, so daß man zum Zweck eventueller<br />
Reparaturen in die Röhre eindringen konnte.<br />
Das Licht fiel auf eine Sprosse direkt gegenüber vor<br />
der Zylinderseite, an der Mullen hing. Er stieß einen<br />
erleichterten Seufzer aus. Manche Schiffe hatten keine<br />
Leitern.<br />
Das Schiff schien unter ihm zu taumeln, als er sich<br />
auf die Sprosse zubewegte. Er griff nach ihr, befreite<br />
einen Fuß nach dem anderen und zog sich durch die<br />
Öffnung.<br />
<strong>Der</strong> Druck im Magen, den er von Anfang an verspürt<br />
hatte, hatte sich zu einem krampfartigen<br />
Schmerz verstärkt. Wenn sie jetzt beschlossen, den<br />
Kurs zu ändern, wenn die Energie durch die Röhre<br />
schoß …<br />
Er würde es nicht hören, nicht wissen. Er würde<br />
sich an einer Sprosse festhalten und nach der nächsten<br />
tasten, und im nächsten Augenblick würde er<br />
draußen im All sein, allein, das Schiff für immer<br />
121
zwischen den Sternen verschwunden. Vielleicht der<br />
kurze Schein von Eiskristallen, die ihn umschwirren,<br />
sich ihm langsam nähern, ihn umkreisen würden, angezogen<br />
von seinem Gewicht wie Planeten von einer<br />
Sonne.<br />
Eine Sprosse, noch eine und noch eine. Wie viele<br />
waren es? Seine Hand rutschte aus, und er starrte ungläubig<br />
auf das Glitzern im Schein seiner Lampen.<br />
Eis?<br />
Warum nicht? <strong>Der</strong> Dampf, so heiß er auch war,<br />
streifte immerhin Metall, das die Temperatur von<br />
ungefähr null Grad hatte. In den wenigen Sekundenbruchteilen,<br />
die der Energiestoß andauerte, hatte das<br />
Metall nicht genug Zeit, sich über den Gefrierpunkt<br />
zu erwärmen. Eine dünne Eisschicht würde kondensieren<br />
und dann langsam im Vakuum verschwinden.<br />
Die Geschwindigkeit des ganzen Vorganges verhinderte<br />
die Fusion von den Röhren und dem Wasserbehälter.<br />
Seine tastende Hand erreichte das Ende. Die<br />
Handgelenklampen flammten auf. Mit wachsendem<br />
Schrecken starrte er auf die Energiedüse, die etwa<br />
einen halben Zoll im Durchmesser maß. Sie sah ganz<br />
harmlos aus. Aber innerhalb eines Sekundenbruchteils<br />
…<br />
Daneben befand sich die äußere Energieschleuse.<br />
Sie drehte sich um einen zentralen Angelpunkt, der<br />
in Richtung des Raumes mit Sprungfedern umgeben<br />
und auf das Schiff zu festgeschraubt war. Durch die<br />
Stricke wurde der erste heftige Energiestoß abgefan-<br />
122
gen. Dadurch wurde verhindert, daß der mächtige<br />
Schwungkraftanlasser des Schiffes außer Betrieb gesetzt<br />
werden konnte. Die Energie strömte in die innere<br />
Kammer, die Gewalt des Stoßes wurde gemildert,<br />
ohne daß die Kraft der Energie sich änderte, sondern<br />
sich allmählich verteilte, so daß der Schiffsrumpf der<br />
Gefahr entging, zerstört zu werden.<br />
Mullen klammerte sich fest an eine Sprosse und<br />
preßte sich gegen die Schleuse, die ein wenig nachgab.<br />
Sie mußte nicht sehr nachgeben, nur so viel, daß<br />
er nach der Schraube greifen konnte. Bald konnte er<br />
sie fühlen.<br />
Er drehte sie und fühlte, wie sein Körper sich in<br />
die entgegengesetzte Richtung bewegte. Er hielt fest,<br />
und vorsichtig regulierte er den kleinen Schalter, der<br />
die Sprungfedern lockerte. Er erinnerte sich genau an<br />
alles, was er in den Büchern gelesen hatte.<br />
Jetzt befand er sich im inneren Schleusenraum, der<br />
groß genug war, um einem Mann bequem Platz zu<br />
bieten, denn auch hier waren ab und zu Reparaturen<br />
erforderlich. Jetzt konnte er nicht mehr aus dem<br />
Schiff geschleudert werden. Wenn jetzt der Energiestoß<br />
erfolgte, würde er ihn gegen die innere Schleuse<br />
pressen, fest genug, um ihn zu Brei zu quetschen. Ein<br />
schneller Tod, den er nicht einmal spüren würde.<br />
Langsam hakte er den Reserve-Sauerstoffzylinder<br />
vom Raumanzug los. Jetzt war nur mehr die innere<br />
Schleuse zwischen ihm und dem Kontrollraum. Die<br />
Schleuse ging in Richtung zum Weltraum auf, so daß<br />
der Energiestoß sie nur noch fester schloß, anstatt sie<br />
123
zu öffnen. Sie saß fest und geschmeidig. Es gab absolut<br />
keinen Weg, sie von außen zu öffnen.<br />
Er preßte seinen gebeugten Rücken gegen die<br />
Schleusendeckel. Diese Stellung erschwerte das Atmen.<br />
<strong>Der</strong> Sauerstoffzylinder schlenkerte in einem<br />
sonderbaren Winkel von seinem Körper weg. Er ergriff<br />
den Schlauch aus Metallnetzwerk und richtete<br />
ihn gerade, drückte sich gegen die Schleuse, sein<br />
Kopf dröhnte. Immer wieder, immer wieder …<br />
Die Vibration, die sein Druck gegen die Schleuse<br />
erzeugte, mußte die Aufmerksamkeit der Kloros wecken.<br />
Sie würden nachsehen müssen.<br />
Er konnte nicht wissen, wann sie das tun würden.<br />
Zuerst würden sie Luft in die innere Schleuse lassen,<br />
um die äußere zu schließen. Aber die Außenschleuse<br />
war losgeschraubt. Die Luft würde wirkungslos<br />
durch sie hindurchpuffen, in den Raum entweichen.<br />
Mullen warf sich immer wieder gegen die Innenschleuse.<br />
Würden die Kloros auf den Luftdruckmesser<br />
schauen? Würden sie merken, daß der Zeiger sich<br />
kaum merklich von Null entfernte? Oder nahmen sie<br />
es als selbstverständlich an, daß alles in Ordnung<br />
war?<br />
»Jetzt ist er schon seit eineinhalb Stunden weg«, sagte<br />
Porter.<br />
»Ich weiß«, erwiderte Stuart.<br />
Sie waren rastlos, nervös, aber die privaten Spannungen<br />
zwischen den Männern waren gewichen. Es<br />
war, als richteten sich alle Gedanken und Gefühle<br />
124
auf den Mann draußen auf dem Schiffsrumpf.<br />
Porter war etwas durcheinander. Seine Lebensphilosophie<br />
hatte immer gelautet: Sorge für dich selbst,<br />
denn niemand anderer wird für dich sorgen. Es<br />
brachte ihn aus der Fassung, daß diese Philosophie<br />
jetzt nicht mehr stimmte.<br />
»Glauben Sie, daß sie ihn erwischt haben?« fragte<br />
er.<br />
»Wenn das der Fall wäre, hätten wir es bemerkt«,<br />
sagte Stuart kurz.<br />
Porter fühlte, daß die anderen keine Lust hatten,<br />
mit ihm zu sprechen. Er konnte es verstehen. Er hatte<br />
sich ihre Achtung durch nichts verdient. Aber hatte<br />
er sich denn schuldig gemacht? Ein Mensch hatte das<br />
Recht, Angst zu haben. Die anderen hatten genauso<br />
Angst gehabt. Keiner wollte dem Tod ins Auge sehen.<br />
Immerhin, er hatte nicht die Nerven verloren<br />
wie Aristides Polyorketes, er hatte nicht geweint wie<br />
Leblanc …<br />
Aber da war Mullen, draußen auf dem Schiffsrumpf.<br />
»So hört doch!« schrie er. »Warum hat er es getan?«<br />
Verständnislos starrten sie ihn an, aber Porter<br />
kümmerte sich nicht darum. Er konnte sich nicht<br />
mehr beherrschen. »Ich will wissen, warum Mullen<br />
sein Leben riskiert!«<br />
»<strong>Der</strong> Mann ist ein Patriot«, sagte Windham.<br />
»Nein!« schrie Porter hysterisch. »<strong>Der</strong> kleine Bursche<br />
hat doch keinerlei Gefühle. Er kennt nur verstandesmäßige<br />
Gründe, und ich will wissen, was das<br />
125
für Gründe sind, weil …«<br />
Er beendete den Satz nicht. Wie konnte er wissen,<br />
ob die Gründe, die einen kleinen Buchhalter zu einer<br />
Heldentat bewegten, auf ihn, Porter, dieselbe Wirkung<br />
hätten?<br />
»Er ist ein verdammt tapferer kleiner Kerl«, sagte<br />
Polyorketes.<br />
Porter stand auf.<br />
»Hören Sie, was immer er auch tut, er kann es<br />
nicht allein zu Ende bringen. Ich – ich folge ihm<br />
freiwillig.« Er zitterte bei diesen Worten und wartete<br />
ängstlich auf Stuarts sarkastische Bemerkung. Stuart<br />
starrte ihn an, wahrscheinlich überrascht.<br />
»Geben wir ihm noch eine halbe Stunde«, sagte<br />
Stuart sanft.<br />
Porter bückte verwirrt auf. Kein Spott lag in Stuarts<br />
Augen. Er sah ihn sogar freundlich an. Alle sahen<br />
ihn freundlich an.<br />
»Und dann …?« fragte er.<br />
»Dann wird jeder Freiwillige seine Aufgabe bekommen.<br />
Wer meldet sich noch, außer Porter?«<br />
Sie alle hoben die Hand, auch Stuart. Porter war<br />
glücklich. Er war der erste Freiwillige gewesen. Ungeduldig<br />
erwartet er das Ende der halben Stunde.<br />
Es kam für Mullen ganz überraschend. Die Außenschleuse<br />
flog auf, und der lange, dünne, schlangengleiche,<br />
fast kopflose Hals eines Kloros fuhr durch<br />
die Innenschleuse. <strong>Der</strong> Kloro konnte gegen die starke<br />
126
Saugkraft der entweichenden Luft nicht ankämpfen.<br />
Mullens Sauerstoffzylinder flog davon, riß sich<br />
beinah los. Nach einem schrecklichen Augenblick<br />
voll eiskalter Angst bekam Mullen ihn zu fassen,<br />
stemmte sich gegen den Luftstrom, wartete, bis der<br />
erste wilde Sturm nachließ, die Luft im Kontrollraum<br />
dünner wurde. Dann zog er den Zylinder mit einer<br />
gewaltigen Kraftanstrengung zu sich.<br />
<strong>Der</strong> Zylinder stieß gegen den nervigen Hals des<br />
Kloros. Mullen, der oberhalb der Schleuse kauerte<br />
und gegen den Luftstrom geschützt war, schmetterte<br />
den Zylinder auf den winzigen Kopf unter ihm, immer<br />
wieder, bis die starren Augen brachen. Im fast<br />
luftleeren Raum spritzte grünes Blut aus dem unnatürlich<br />
verkrümmten Hals.<br />
Mullen wagte nicht, sich zu übergeben, obwohl er<br />
es gern getan hätte.<br />
Mit abgewandtem Blick kroch er zurück, griff mit<br />
einer Hand nach der Außenschleuse, die sich wirbelnd<br />
zu drehen begann. <strong>Der</strong> Wirbel dauerte mehrere<br />
Sekunden lang an, dann schnappten die Sprungfedern<br />
am anderen Ende der Schraube ein, und die<br />
Schleuse schloß sich automatisch. Was von der Atmosphäre<br />
übriggeblieben war, verdichtete sich, und<br />
die Pumpen begannen, den Kontrollraum erneut mit<br />
Luft zu füllen.<br />
Mullen kroch über den zerquetschten Kloro hinweg<br />
in den Kontrollraum. Er war leer.<br />
Er fand kaum Zeit, das festzustellen, als er auch<br />
schon auf den Knien lag. Nur mit äußerster Anstren-<br />
127
gung konnte er aufstehen. <strong>Der</strong> Übergang von Schwerelosigkeit<br />
zu Schwerkraft hatte ihn völlig überrumpelt.<br />
Außerdem handelte es sich um Kloro-<br />
Schwerkraft. Das bedeutete, daß er mit seinem<br />
Raumanzug fünfzig Prozent Übergewicht zu tragen<br />
hatte. Immerhin klirrten seine schweren Metallstiefel<br />
nicht mehr so aufreizend laut gegen Metall. Im Innern<br />
des Schiffes waren die Aluminiumwände und -böden<br />
mit Kork legiert.<br />
Er dreht sich langsam um. Vor ihm lag der halslose<br />
Kloro. Nur ein gelegentliches Zucken zeigte noch<br />
an, daß dieser Körper vor kurzem ein lebender Organismus<br />
gewesen war. Angewidert stieg Mullen über<br />
den Kloro und schloß die Schleuse.<br />
Ein deprimierendes, gelbgrünes Licht durchflutete<br />
den Kontrollraum. Das lag natürlich an der Kloro-<br />
Atmosphäre. Mullen stellte überrascht und mit widerwilliger<br />
Bewunderung fest, daß die Kloros offensichtlich<br />
eine Methode entwickelt hatten, sämtliche<br />
Materialien gegen die oxydierende Wirkung des<br />
Chlors widerstandsfähig zu machen. Selbst die Erdkarte<br />
an der Wand, die auf glänzendes Plastikpapier<br />
gedruckt war, wirkte wie neu. Er trat näher, wie magisch<br />
angezogen von den vertrauten Umrissen der<br />
Kontingente …<br />
Da sah er den Schatten einer Bewegung aus dem<br />
Augenwinkel. Er fuhr herum, so schnell er es in seinem<br />
schweren Raumanzug vermochte, und dann<br />
schrie er auf. <strong>Der</strong> Kloro, den er für tot gehalten hatte,<br />
erhob sich.<br />
128
Sein Hals hing schlaff herunter, eine schlammige,<br />
breiige Masse, aber seine Arme griffen blind um<br />
sich, und die Tentakel an seiner Brust vibrierten wie<br />
unzählige Schlangenzungen. Er war natürlich blind.<br />
Die Zerstörung des Halses hatte ihn all seiner Sinnesorgane<br />
beraubt, und die partielle Bewußtlosigkeit<br />
hatte seine Lebensfunktionen durcheinandergebracht.<br />
Aber der Verstand lebte noch immer in der Magengegend,<br />
voll intakt und geschützt.<br />
Mullen trat zurück. Er versuchte auf Zehenspitzen<br />
zu gehen, obwohl er wußte, daß das, was von dem<br />
Kloro übriggeblieben war, nicht hören konnte. <strong>Der</strong><br />
Kloro stolperte nach vorn, stieß gegen eine Wand<br />
und glitt seitlich an ihr entlang.<br />
Mullen blickte sich verzweifelt nach einer Waffe<br />
um und fand nichts. Er sah das Halfter des Kloros,<br />
wagte aber nicht, danach zu greifen. Warum hatte er<br />
die Waffe nicht sofort an sich genommen?<br />
Die Tür des Kontrollraums öffnete sich fast lautlos.<br />
Zitternd wandte Mullen sich um.<br />
<strong>Der</strong> andere Kloro trat ein, unverletzt. Einen Augenblick<br />
lang blieb er in der Tür stehen. Seine Brust-<br />
Tentakel erstarrten. Sein Stengelhals streckte sich<br />
vor, und seine schrecklichen Augen flackerten zuerst<br />
Mullen an, dann seinen beinahe toten Kameraden.<br />
Und dann fuhr seine Hand blitzschnell zur Seite.<br />
In einer raschen Reflexbewegung streckte Mullen<br />
den Schlauch seines Sauerstoffzylinders aus, den er<br />
wieder an seinem Raumanzug befestigt hatte als er<br />
im Kontrollraum angelangt war. Er öffnete das Ven-<br />
129
til, machte sich nicht die Mühe, den Druck zu reduzieren.<br />
Er ließ den Sauerstoff mit aller Gewalt ausströmen<br />
so daß er unter der Erschütterung beinahe<br />
taumelte.<br />
Er konnte den Sauerstoffschwall sehen. Er war eine<br />
blasse Wolke, die durch das grüne Chlor wogte<br />
und den Kloro erwischte.<br />
<strong>Der</strong> Kloro hob die Hände. <strong>Der</strong> kleine Schnabel<br />
öffnete sich erschreckend weit, gab aber keinen Laut<br />
von sich. Er schwankte und fiel zu Boden, krümmte<br />
sich und lag dann still. Mullen trat näher und goß den<br />
Sauerstoffstrom über den Körper, wie wenn er ein<br />
Feuer löschen würde. Und dann hob er seinen schweren<br />
Stiefel und zertrat den dünnen Hals.<br />
Er blickte sich nach dem anderen Kloro um. Reglos<br />
lag der halslose Körper am Boden.<br />
<strong>Der</strong> ganze Raum war nun von weißem Sauerstoff<br />
erfüllt, genug, um ganze Kloro-Legionen zu töten.<br />
Und Mullens Zylinder war leer.<br />
Er stieg über den toten Kloro, verließ den Kontrollraum,<br />
lief, so schnell er konnte, den Hauptkorridor<br />
entlang, auf das Gefangenenquartier zu. Die Reaktion<br />
setzte nun ein. Er wimmerte in blinder, grundloser<br />
Furcht.<br />
Stuart war müde. Trotz seiner Kunststoffhände lenkte<br />
er wieder ein Raumschiff. Zwei Erdenkriegsschiffe<br />
wiesen ihm den Weg. Seit vierundzwanzig Stunden<br />
war er nun auf dem Posten. Er hatte die Kloro-<br />
Ausrüstung entfernt, die frühere Atmosphäre wieder-<br />
130
hergestellt, die Position des Schiffes festgestellt und<br />
es auf den richtigen Kurs zu bringen versucht. Und er<br />
hatte Signale ausgesandt – mit Erfolg.<br />
Leicht verärgert wandte er sich um, als die Tür des<br />
Kontrollraums sich öffnete. Er war zu müde, um<br />
Konversation zu machen. Er wandte sich um. <strong>Der</strong><br />
kleine Mullen trat ein.<br />
»Um Gottes willen, gehen Sie ins Bett zurück,<br />
Mullen!« sagte Stuart.<br />
»Ich bin müde vom Schlafen. Obwohl ich zuerst<br />
glaubte, ich würde tagelang nicht mehr erwachen.«<br />
»Wie fühlen Sie sich?«<br />
»Ein bißchen steif. Besonders auf der Seite.« Er<br />
schnitt eine Grimasse und blickte sich um.<br />
»Sie brauchen nicht nach den Kloros zu suchen«,<br />
sagte Stuart. »Wir haben die armen Teufel hinausgeworfen.«<br />
Er schüttelte den Kopf. »Sie taten mir<br />
richtig leid. Sie hielten sich ja für die wahren Menschen.<br />
Für sie waren wir die Fremden. Damit will ich<br />
natürlich nicht sagen, daß es mir lieber gewesen wäre,<br />
Sie hätten sie nicht getötet, Mullen. Verstehen<br />
Sie?«<br />
»Ich verstehe.«<br />
Stuart warf dem kleinen Mann, der vor der Erdkarte<br />
saß und sie betrachtete, einen kurzen Seitenblick<br />
zu.<br />
»Ich möchte mich ganz persönlich bei Ihnen entschuldigen,<br />
Mullen. Ich habe nicht sehr viel von Ihnen<br />
gehalten.«<br />
»Das war Ihr gutes Recht«, sagte Mullen mit sei-<br />
131
ner trockenen, gefühllosen Stimme.<br />
»Nein, das war es nicht. Niemand hat das Recht,<br />
einen anderen geringzuschätzen. Das kann nur ein<br />
hart erkämpftes Recht nach langer Erfahrung sein.«<br />
»Haben Sie darüber nachgedacht?«<br />
»Ja, den ganzen Tag. Ich kann es Ihnen nicht erklären.<br />
Diese Hände …« Er hielt sie vor sich hin, mit<br />
gespreizten Fingern. »Das Wissen, daß andere Menschen<br />
normale Hände haben, war für mich schwer zu<br />
ertragen. Ich haßte sie dafür. Ich bemühte mich immer,<br />
ihre Gefühle zu erforschen, ihre Schwächen<br />
aufzudecken, ihre Dummheit bloßzustellen. Ich mußte<br />
alles tun, um mir selbst zu beweisen, daß die anderen<br />
Menschen nichts hatten, um das ich sie zu beneiden<br />
hätte.«<br />
»Es ist nicht nötig, daß Sie mir das erklären.«<br />
»Doch!« Er sehnte sich danach, seine Gedanken in<br />
Worte zu fassen. »Vor Jahren schon habe ich die<br />
Hoffnung aufgegeben, nur eine Spur von Anständigkeit<br />
in den Menschen zu finden. Und dann kamen Sie<br />
und kletterten in den T-Kanal.«<br />
»Sie müssen wissen, daß ich von praktischen und<br />
selbstsüchtigen Überlegungen geleitet wurde«, sagte<br />
Mullen. »Ich will nicht, daß Sie mich als Helden hinstellen.«<br />
»Das war auch nicht meine Absicht. Ich weiß, daß<br />
Sie nichts ohne besondere Veranlassung tun würden.<br />
Doch Ihre Tat hat eine merkwürdige Wirkung auf<br />
uns alle gehabt. Sie hat eine Ansammlung Egoisten<br />
und Narren in anständige Leute verwandelt. Und<br />
132
keineswegs durch Zauberei. An sich waren sie alle<br />
anständig. Es bedurfte nur eines Anstoßes, um diese<br />
Anständigkeit wieder zu wecken. Und das war Ihr<br />
Werk. Und – ich bin einer von ihnen. Ich muß Ihnen<br />
dankbar sein, Mullen. Für den ganzen Rest meines<br />
Lebens.«<br />
Mullen wandte sich unbehaglich ab. Seine Hand<br />
strich seinen Jackenärmel glatt, der ohnehin nicht<br />
verdrückt war. Dann fuhr sein Finger über die Erdkarte.<br />
»Ich bin in Richmond geboren, Virginia. Da ist es.<br />
Dorthin werde ich zuerst gehen. Wo sind Sie geboren?«<br />
»In Toronto.«<br />
»Das ist hier. Auf der Landkarte ist das gar keine<br />
Entfernung.«<br />
»Würden Sie mir eine Frage beantworten?«<br />
»Wenn ich kann.«<br />
»Warum haben Sie es getan?«<br />
Mullen verzog die zierlichen Lippen. Er erwiderte<br />
trocken: »Und wenn meine ziemlich prosaischen<br />
Gründe den erhebenden Effekt zunichte machen würden?«<br />
»Nennen Sie es intellektuelle Neugier. Jeder von<br />
uns hatte ganz offensichtliche Motive. Porter erschreckte<br />
die Aussicht auf lange Gefangenschaft zu<br />
Tode. Leblanc wollte seine Braut wiedersehen. Polyorketes<br />
wollte Kloros umbringen. Und Windham war<br />
ein Patriot, so gut er es eben verstand. Was mich betrifft,<br />
so hielt ich mich für einen edlen Idealisten,<br />
133
fürchte ich. Aber in keinem von uns waren die Motive<br />
stark genug, uns hinaus in das All zu treiben. Was<br />
hat ausgerechnet Sie dazu veranlaßt?«<br />
»Warum betonen Sie das so? ausgerechnet ich‹ …«<br />
»Seien Sie nicht beleidigt, aber Sie schienen keinerlei<br />
Gefühle zu besitzen.«<br />
»Tatsächlich?« Mullens Tonfall änderte sich nicht.<br />
Seine Stimme klang trocken und leise wie zuvor, und<br />
doch hatte sie irgendwie an Festigkeit gewonnen.<br />
»Das ist nur Training, Mr. Stuart, Selbstdisziplin.<br />
Nicht meine wahre Natur. Ein kleiner Mann kann<br />
keine respektablen Gefühle haben. Gibt es etwas Lächerlicheres,<br />
als einen kleinen Mann, der sich wütend<br />
aufspielt? Ich bin fünf Fuß und einen halben<br />
Zoll groß und wiege einhundertundzwei Pfund.<br />
Kann ich würdevoll sein? Stolz? Kann ich mich zu<br />
meiner vollen Größe erheben, ohne Gelächter hervorzurufen?<br />
Wo ist die Frau, die mich nicht sofort<br />
kichernd abweisen würde? Natürlich mußte ich lernen,<br />
auf die äußere Zurschaustellung meiner Gefühle<br />
zu verzichten.<br />
Sie sprachen von Deformationen. Kein Mensch<br />
würde Ihre Hände bemerken oder feststellen, daß sie<br />
anders sind als andere Hände, wenn Sie nicht allen<br />
Leuten, denen Sie begegnen, sofort eifrigst alles über<br />
Ihre Hände erzählen würden. Glauben Sie, daß die<br />
acht Zoll, die mir fehlen, verborgen bleiben? Daß das<br />
nicht die erste und in vielen Fällen auch die einzige<br />
Besonderheit ist, die die Leute an meiner Person bemerken?«<br />
134
Stuart schämte sich. Er war in die Intimsphäre dieses<br />
Mannes eingedrungen, und das hätte er nicht tun<br />
dürfen.<br />
»Es tut mir leid«, sagte er.<br />
»Warum?«<br />
»Ich hätte Sie nicht veranlassen dürfen, darüber zu<br />
sprechen. Ich hätte von selbst merken müssen, daß<br />
Sie – daß Sie …«<br />
»Daß ich was? Daß ich meinen Wert beweisen<br />
muß? Daß ich den anderen zeigen will: Seht her, obwohl<br />
ich so klein bin, habe ich den Mut eines Riesen?«<br />
»Ich würde es nicht auf diese spöttische Art ausdrücken.«<br />
»Warum nicht? Es ist Unsinn. Nein, solche Gründe<br />
haben mich nicht zu meiner Tat veranlaßt. Was<br />
würde ich gewinnen, wenn es tatsächlich so wäre?<br />
Sie bringen mich auf die Erde zurück, stellen mich<br />
vor die Fernsehkameras – natürlich nehmen sie nur<br />
mein Gesicht auf oder stellen mich auf einen Stuhl.<br />
Dann hängen sie mir Orden um den Hals …«<br />
»Wahrscheinlich werden sie das alles tun.«<br />
»Und was habe ich davon? ›Dabei ist er so ein<br />
kleiner Kerl‹, würden sie sagen. Und danach? Soll<br />
ich jedem Mann, dem ich begegne, sagen: ›Wissen<br />
Sie, ich bin der Bursche, den Sie im vergangenen<br />
Monat für unglaubliche Tapferkeit dekoriert haben?‹<br />
Wieviele Medaillen, glauben Sie, würde ich denn<br />
brauchen, um die fehlenden acht Zoll und sechzig<br />
Pfund aufzuwiegen?«<br />
135
»Wenn Sie es so ausdrücken, verstehe ich Ihren<br />
Standpunkt.«<br />
Mullen sprach jetzt etwas schneller. Eine kontrollierte<br />
Hitzigkeit war in seine Worte gedrungen.<br />
»Es gab Tage, da dachte ich: Ich werde es ihnen<br />
zeigen. Und dieses mysteriöse ›ihnen‹ umschloß die<br />
ganze Erde. Ich wollte die Erde verlassen und mir<br />
meinen Weg in andere Welten bahnen. Ich wollte ein<br />
neuer und noch kleinerer Napoleon sein. Also ließ<br />
ich die Erde hinter mir und ging in das Arkturische<br />
System. Und was konnte ich auf den Arkturischen<br />
Planeten tun, das ich auf der Erde nicht auch hätte<br />
tun können? Nichts. Ich arbeitete in der Buchhaltung.<br />
Und jetzt habe ich meinen eitlen Drang, mich auf die<br />
Zehenspitzen zu stellen, längst überwunden, Mr.<br />
Stuart.«<br />
»Aber warum haben Sie es dann getan?«<br />
»Ich war achtundzwanzig Jahre alt, als ich die Erde<br />
verließ und in das Arkturische System kam. Seither<br />
bin ich nie mehr auf der Erde gewesen. Dieser Trip<br />
sollte nach langer Zeit mein erster Ausflug auf die<br />
Erde sein. Ich wollte sechs Monate bleiben. Statt<br />
dessen nahmen sie uns gefangen. Sie hätten uns endlos<br />
lang festhalten können. Aber ich konnte – ich<br />
konnte es nicht zulassen, daß sie mich daran hinderten,<br />
zur Erde zu reisen. Welches Risiko das auch<br />
immer für mich bedeuten mochte, ich mußte die Absichten<br />
der Kloros vereiteln. Es war nicht Liebe zu<br />
einer Frau oder Angst oder Haß oder irgendeine Art<br />
von Idealismus. Es war stärker als all das.« Mullen<br />
136
streckte eine Hand aus, als wolle er zärtlich über die<br />
Erdkarte an der Wand streichen. Dann fragte er ruhig:<br />
»Mr. Stuart, hatten Sie schon jemals Heimweh?«<br />
137
Die Geschichte eines Helden<br />
Die Leser fragen sich immer wieder, ob die Meinungen<br />
der Personen in einer Erzählung mit den Meinungen<br />
des Autors übereinstimmen. Die Antwort lautet:<br />
»Nicht notwendigerweise …«, aber man sollte<br />
noch hinzufügen: »Aber meistens …«<br />
Wenn ich eine Erzählung schreibe, in der gegensätzliche<br />
Charaktere gegensätzliche Meinungen vertreten,<br />
so bemühe ich mich nach Kräften, jede Person<br />
ihre Meinung ehrlich ausdrücken zu lassen.<br />
Es gibt wenig Menschen, die mit Richard III. sagen:<br />
»Und darum, weil ich nicht als ein Verliebter<br />
kann kürzen diese fein beredten Tage, bin ich gewillt,<br />
ein Bösewicht zu sein.«<br />
Mag Tom dem Dick auch noch so schurkisch erscheinen,<br />
Tom hat zweifellos Argumente aufzuweisen,<br />
die er ernsthaft vertritt, um sich selbst zu beweisen,<br />
daß er gar nicht schurkisch ist. Deshalb ist es<br />
lächerlich, einen Schurken ostentativ schurkisch<br />
agieren zu lassen. (Außer man besitzt den Genius<br />
Shakespeares und kann sich nahezu alles leisten.<br />
Aber ich fürchte, das trifft auf mich nicht zu.)<br />
Trotzdem, so sehr ich mich auch bemühe, fair zu<br />
sein und den Standpunkt jeder Person ernsthaft zu<br />
präsentieren, auch wenn er mit dem meinen nicht<br />
übereinstimmt, so kann ich Meinungen, die ich nicht<br />
vertrete, nicht mit derselben Überzeugungskraft darstellen<br />
wie solche, die auch die meinen sind. Außer-<br />
138
dem enden meine Erzählungen stets so, wie es mir<br />
persönlich gefällt. Die Person, die mir sympathisch<br />
ist, siegt immer. Auch wenn das Ende traurig ist, ist<br />
die Tendenz der Erzählung (ich hasse das Wort ›Moral‹)<br />
stets so angelegt, daß sie mich befriedigt.<br />
Wenn Sie die feinen Details meiner Erzählungen<br />
übergehen und sie in ihrer Ganzheit betrachten, so<br />
glaube ich, daß das Gefühl, das jede einzelne Erzählung<br />
in Ihnen weckt, identisch mit meinem Gefühl ist,<br />
das ich in diese Erzählung gelegt habe. Das ist keine<br />
Persönlichkeitspropaganda. Ich bin eben einfach ein<br />
Mensch mit ganz bestimmten Gefühlen und kann es<br />
nicht verhindern, daß diese Gefühle in meine Erzählungen<br />
einströmen.<br />
1951 plante der Anthologe Raymond J. Healy eine<br />
Sammlung von Science-Fiction-Erzählungen und bat<br />
mich, eine für ihn zu schreiben. Er stellte mir nur<br />
eine Bedingung. Er wollte eine Geschichte mit ›Happy-End‹.<br />
Also schrieb ich eine Erzählung mit ›Happy-End‹.<br />
Da ich aber stets danach strebe, die Wege der Routine<br />
zu verlassen, versuchte ich, eine Erzählung mit<br />
unerwartetem ›Happy-End‹ zustande zu bringen, eine<br />
Erzählung, in der der Leser erst ganz zum Schluß<br />
herausfindet, worin das ›Happy-End‹ wirklich besteht.<br />
Erst nachdem ich dieses Vorhaben (hoffentlich)<br />
erfolgreich beendet hatte und meine Erzählung veröffentlich<br />
worden war, bemerkte ich, daß meine Bemühungen<br />
um die schriftstellerische Technik mich<br />
139
meine eigenen Intentionen hatten vergessen lassen.<br />
Irgendwie gibt diese Erzählung meine eigenen Gefühle<br />
nicht wieder.<br />
<strong>Der</strong> kompetente Science-Fiction-Kritiker Groff<br />
Conklin meinte, daß ihm diese Erzählung gefiele,<br />
obwohl sie nicht mit seiner eigenen Philosophie<br />
übereinstimme, und zu meiner Verwirrung entdeckte<br />
ich, daß das auch auf meine eigene Philosophie zutrifft.<br />
In dem großen Hof, der wie eine Oase unberührten<br />
Friedens inmitten der über fünfzig Quadratmeilen<br />
verstreuten, hochaufragenden Gebäude der Vereinigten<br />
Welten der Galaxis mit ihrer pulsierenden Geschäftigkeit<br />
lag, steht eine Statue. Sie steht so, daß<br />
sie nachts zu den Sternen aufblicken kann. Noch andere<br />
Statuen stehen rings um den Hof, aber diese eine<br />
steht in der Mitte, allein.<br />
Es ist keine sehr gute Statue. Das Gesicht ist zu<br />
edel und läßt alle Lebendigkeit vermissen. Die Stirn<br />
ist etwas zu hoch, die Nase eine Spur zu symmetrisch,<br />
die Kleidung eine Kleinigkeit zu ordentlich.<br />
Die ganze Gestalt wirkt viel zu überirdisch, um wirklich<br />
zu sein. Man kann annehmen, daß dieser Mann<br />
in seinem realen Leben vielleicht ab und zu die Stirn<br />
gerunzelt oder Schluckauf gehabt hat. Aber die Statue<br />
scheint dem Betrachter suggerieren zu wollen,<br />
daß es solche Unvollkommenheiten im Leben dieses<br />
Mannes nicht gegeben hat.<br />
Es handelt sich hier um eine Art verständlichen,<br />
140
übertriebenen Schadenersatz. Dem Mann waren zeitlebens<br />
keine Denkmäler errichtet worden, und die<br />
erfolgreichen Generationen nach ihm fühlen sich<br />
schuldig, wenn sie in die Vergangenheit blicken.<br />
<strong>Der</strong> Name auf dem Podest lautet ›Richard Sayama<br />
Altmayer‹. Darunter steht ein kurzer Satz und drei<br />
vertikal angeordnete Daten. <strong>Der</strong> Satz heißt: »Eine<br />
gute Absicht kann nicht fehlschlagen.« Bei den drei<br />
Daten handelt es sich um den 17. Juni 2755, den 5.<br />
September 2788 und den 21. Dezember 2800. Die<br />
Jahreszahlen wurden nach der atomaren Zeitrechnung<br />
angegeben, die mit dem Abwurf der ersten<br />
Atombombe im Jahr 1945 der alten Ära einsetzt.<br />
Keines dieser Daten gibt den Geburts- oder Todestag<br />
an, weder den Tag seiner Verehelichung oder den<br />
Tag einer Heldentat, ebenso keinen anderen Tag, an<br />
den die Mitglieder der Vereinigten Welten mit Freude<br />
oder Stolz zurückdenken. Diese drei Daten sind<br />
nichts anderes als Ausdruck von Schuldgefühlen.<br />
Kurz gesagt, diese drei Daten geben die Tage an,<br />
an denen Richard Sayama Altmayer ins Gefängnis<br />
wanderte, weil er eine Meinung vertrat.<br />
17. Juni 2755<br />
Im Alter von zweiundzwanzig Jahren war Dick Altmayer<br />
noch temperamentvoll genug, um richtig wütend<br />
zu werden. Sein Haar war noch dunkelbraun,<br />
und er trug noch nicht den Schnurrbart, der in späteren<br />
Jahren so charakteristisch für ihn werden sollte.<br />
Seine Nase war dünn und lang, aber seine Gesichts-<br />
141
züge wirkten noch sehr jugendlich. Erst später sollte<br />
die Hagerkeit seiner Wangen diese Nase in das berühmte<br />
Wahrzeichen verwandeln, das heute Billionen<br />
von Schulkindern kennen.<br />
Geoffrey Stock stand in der Tür und betrachtete<br />
die Ergebnisse der Wut seines Freundes. Kalte, kluge<br />
Augen blickten aus seinem runden Gesicht. Bald<br />
würde er die erste der Militäruniformen anziehen, in<br />
denen er den Rest seines Lebens verbringen sollte.<br />
»Du große Galaxis!« sagte er.<br />
Altmayer blickte auf.<br />
»Hallo, Jeff.«<br />
»Was ist denn passiert, Dick? Ich dachte, deine<br />
Prinzipien würden dir jede Art von Zerstörung verbieten.<br />
Dieser Leseapparat wirkt aber doch irgendwie<br />
zerstört.« Er hob die einzelnen Teile auf.<br />
»Ich hielt ihn gerade in der Hand, als aus meinem<br />
Wellenempfänger die offizielle Nachricht kam. Du<br />
weißt, welche.«<br />
»Ich weiß. Es ist mir auch passiert. Wo ist er?«<br />
»Da auf dem Boden. Ich habe das Kabel aus der<br />
Wand gerissen, als er losrülpste. Los, wir werfen ihn<br />
in den Atomkanal.«<br />
»Halt, du kannst doch nicht …«<br />
»Warum nicht?«<br />
»Weil es sinnlos ist. Du mußt zur Musterung antreten.«<br />
»Aber warum?«<br />
»Sei nicht so blöd, Dick.«<br />
»Es ist eine Frage der Prinzipien.«<br />
142
»Das ist doch verrückt! Du kannst nicht gegen den<br />
ganzen Planeten kämpfen.«<br />
»Ich will nicht gegen den ganzen Planeten kämpfen,<br />
nur gegen die wenigen, die uns in Kriege verwickeln.«<br />
Stock zuckte mit den Schultern.<br />
»Das bedeutet aber den ganzen Planeten. Deine<br />
verrückte Behauptung, daß nur die wenigen Führer<br />
die armen Leute in den Krieg treiben, sind doch<br />
Hirngespinste. Glaubst du nicht, daß diese Leute für<br />
den Krieg stimmen würden, wenn eine Wahl stattfände?«<br />
»Das besagt gar nichts, Jeff. Die Regierung lenkt<br />
die Organe …«<br />
»Die Organe der Propaganda, ich weiß. Ich habe<br />
dir oft genug zugehört. Aber warum willst du nicht<br />
zur Musterung antreten?«<br />
Altmayer wandte sich ab.<br />
»Vorerst wirst du kaum der ärztlichen Untersuchung<br />
entgehen können.«<br />
»Doch. Ich war im Weltraum.«<br />
»Das hat nichts zu bedeuten. Die Ärzte lassen dich<br />
schon auf ein Raumschiff hopsen, wenn du keinen<br />
Herzfehler hast und nicht nervenschwach bist. Aber<br />
um auf einem Militärschiff Dienst zu tun, ist wesentlich<br />
mehr erforderlich. Wie kannst du denn wissen,<br />
ob du qualifiziert bist oder nicht?«<br />
»Das ist eine beleidigende Frage, Jeff. Ich habe<br />
keine Angst zu kämpfen.«<br />
»Glaubst du, daß du den Krieg auf diese Weise<br />
143
aufhalten kannst?«<br />
»Ich wünschte, ich könnte es.« Altmayers Stimme<br />
zitterte. »Die ganze Menschheit müßte eine Einheit<br />
bilden. Es dürfte keine Kriege mehr geben, keine<br />
Raumflotten, nur geschaffen zum Zweck der Zerstörung.<br />
Die Galaxis ist bereit, sich den vereinten, friedlichen<br />
Bemühungen der menschlichen Rasse zu öffnen.<br />
Statt dessen streiten wir uns seit fast zweitausend<br />
Jahren herum und vernichten die Galaxis.«<br />
Stock lachte.<br />
»Und daran tun wir ganz recht. Es gibt mehr als<br />
achtzig von einander unabhängige Planetensysteme.<br />
»Und wir sind die einzige intelligente Rasse in der<br />
Galaxis?«<br />
»Oh, die Diaboli, deine seltsamen Teufel.« Stock<br />
legte seine Fäuste an die Schläfen, streckte die beiden<br />
Zeigefinger aus und wackelte mit ihnen.<br />
»Sie sind nicht meine Teufel. Sie gehen die ganze<br />
Menschheit etwas an. Sie haben eine einzige Regierung,<br />
die über mehr Planeten herrscht, als in unserer<br />
wunderbaren Galaxis mit ihren achtzig unabhängigen<br />
Systemen zu finden sind.«<br />
»Sicher, und ihr nächstliegender Planet ist nur<br />
fünfzehnhundert Lichtjahre von der Erde entfernt,<br />
und sie können auf Sauerstoffplaneten nicht leben.«<br />
Langsam verlor Stock seine gute Laune. »Dick, ich<br />
bin hierhergekommen, um dir zu sagen, daß ich<br />
nächste Woche zur Musterung gehe. Kommst du mit<br />
mir?«<br />
»Nein.«<br />
144
»Du bist fest entschlossen?«<br />
»Ich bin fest entschlossen.«<br />
»Du wirst nichts dabei gewinnen. Es wird sich<br />
keine begeisternde Flamme auf der Erde entzünden,<br />
die Millionen junge Männer mitreißen wird, deinem<br />
Beispiel zu folgen. Du wirst ganz einfach ins Gefängnis<br />
gesteckt.«<br />
»Nun, dann werde ich eben ins Gefängnis gesteckt.«<br />
Und so kam es auch. Am 17. Juni 2755 des atomaren<br />
Zeitalters, nach einer kurzen Gerichtsverhandlung,<br />
in der Richard Sayama Altmayer es ablehnte,<br />
einen Verteidiger zu präsentieren, wurde er für drei<br />
Jahre oder beziehungsweise für die Dauer des Krieges<br />
ins Gefängnis gesteckt. Es dauerte vier Jahre und<br />
zwei Monate, bis der Krieg definitiv zu Ende war,<br />
obwohl die Verteidigung von Satannia nicht zerstört<br />
worden war. Die Erde hatte die alleinige Herrschaft<br />
über einige Asteroiden gewonnen, viele Handelsvorteile<br />
und einen Teil der satannischen Raumflotte.<br />
Die Menschheit hatte etwa zweitausend Schiffe<br />
verloren, natürlich auch ihre Besatzungen, außerdem<br />
wurden mehrere Millionen Menschen während des<br />
Bombardements getötet. Die Flotten der beiden<br />
kriegführenden Mächte hatten das Bombardement<br />
auf die Außenposten ihrer Planetensysteme beschränkt,<br />
so daß die Erde und Satannia selbst kaum<br />
in Mitleidenschaft gezogen worden waren.<br />
<strong>Der</strong> Krieg hatte wieder einmal bewiesen, daß die<br />
Erde die stärkste menschliche Militärmacht war.<br />
145
Geoffrey Stock hatte während des ganzen Krieges<br />
gekämpft, ohne eine ernsthafte Verwundung davonzutragen.<br />
Zu Ende des Krieges hatte er den Rang eines<br />
Majors erreicht. Er nahm an der ersten diplomatischen<br />
Mission teil, die die Erde zu den Welten der<br />
Diaboli sandte. Dies war der erste Schritt in seiner<br />
bedeutenden militärischen und politischen Karriere.<br />
5. September 2788<br />
Sie waren die ersten Diaboli, die jemals die Erde betreten<br />
hatten. Die Zeitungen, Nachrichtensendungen<br />
in Rundfunk und Fernsehen machten das jedem klar,<br />
der noch daran gezweifelt hatte. Die Föderalistische<br />
Partei zeigte großes Interesse daran, daß diese Tatsache<br />
immer wieder betont wurde.<br />
Zu Beginn des Jahrhunderts waren menschliche<br />
Forscher zum erstenmal auf die Diaboli gestoßen. Sie<br />
waren intelligent und hatten die interstellare Raumfahrt<br />
etwas früher als die Menschen entwickelt. Auch<br />
das galaktische Volumen ihres Herrschaftsgebiets<br />
war größer als das der Menschen.<br />
Zwanzig Jahre später hatten reguläre diplomatische<br />
Beziehungen zwischen den Diaboli und den bedeutendsten<br />
menschlichen Mächten eingesetzt, und<br />
zwar sofort nach dem Krieg zwischen Satannia und<br />
der Erde. Zu dieser Zeit waren die Außenposten des<br />
Herrschaftsbereiches der Diaboli bereits auf zwanzig<br />
Lichtjahre an die äußersten Planeten der Menschen<br />
herangerückt. Sie breiteten sich immer mehr aus,<br />
gründeten Handelsrouten, bemühten sich um die<br />
146
Rechte auf unbesetzte Asteroiden, schickten ihre<br />
Missionen kreuz und quer durch den Raum.<br />
Und jetzt waren sie auf der Erde selbst. Sie wurden<br />
als Gleichberechtigte behandelt, und die Regenten<br />
des dichtbevölkerten Zentrums der Menschenplaneten<br />
sahen in ihnen vielleicht sogar etwas mehr<br />
als gleichberechtigte Geschöpfe. Die beschämendste<br />
Statistik, die die Föderalisten immer wieder laut hinausposaunten,<br />
lautete: Obwohl die Zahl der lebenden<br />
Diaboli etwas kleiner ist als die der lebenden Menschen,<br />
hatten sie doch innerhalb von fünfzig Jahren<br />
fast fünfhundert neue Welten kolonisiert, während<br />
die Erde nur fünf geschafft hatte.<br />
»Hundert ihrer Welten kommen auf eine von uns«,<br />
schrien die Föderalisten. »Und das nur, weil sie eine<br />
einzige politische Organisation haben und wir nahezu<br />
hundert.« Aber relativ wenig Menschen auf der<br />
Erde und noch weniger im Raum der ganzen Galaxis<br />
hörten auf die Föderalisten und ihre Forderung nach<br />
einer galaktischen Union.<br />
Menschenmengen säumten die Straßen, auf denen<br />
die Diabolische Mission von ihrer spezialklimatisierten<br />
Suite im besten Hotel der Stadt zum Verteidigungsministerium<br />
fuhr. Die Menschen betrachteten<br />
die Fremden im großen und ganzen ohne Feindseligkeit.<br />
Man war hauptsächlich neugierig und ziemlich<br />
verwirrt.<br />
Die Diaboli boten keinen angenehmen Anblick.<br />
Sie waren größer und massiver gebaut als Erdenmenschen.<br />
Vier dicke Beine wuchsen dicht nebeneinan-<br />
147
der aus ihrer unteren Körperhälfte. Den Oberkörper<br />
zierten zwei Arme mit flexiblen Fingern. Ihre Haut<br />
war faltig und nackt, sie trugen keine Kleider. Ihre<br />
breiten, schuppigen Gesichter zeigten keinen Ausdruck,<br />
den die Erdenmenschen hätten interpretieren<br />
können. Aus der flachen Stirn über den Augen mit<br />
den großen Pupillen sprangen zwei kurze Hörner.<br />
Diese Eigentümlichkeit hatte den Geschöpfen zu ihrem<br />
Erdennamen verholfen. Zuerst hatte man ›Teufel‹<br />
gesagt, und dann war man zu der etwas freundlicher<br />
klingenden lateinischen Form übergegangen.<br />
Jeder trug zwei zylinderförmige Behälter auf dem<br />
Rücken, aus denen biegsame Röhren zu ihren Nasenlöchern<br />
führten. Die Behälter enthielten eine Mischung<br />
von Soda und Kalk, die das für die Diaboli<br />
giftige Kohlendioxyd in der Erdenluft absorbierte.<br />
Ihr eigener Stoffwechsel beruhte auf der Reduktion<br />
von Schwefel, und manchmal konnten die Vordersten<br />
in der dicht gedrängten Menschenreihe den<br />
Hauch von Schwefelwasserstoff riechen, den die Diaboli<br />
ausatmeten.<br />
<strong>Der</strong> Führer der Föderalisten stand ebenfalls in der<br />
Menge. Er stand etwas weiter hinten, wo er die Aufmerksamkeit<br />
der Polizisten nicht auf sich zog. Die<br />
Beamten hatten die Menschen von den Straßen entfernt<br />
und sorgten nun von ihren kleinen Flugrädern<br />
aus für Ordnung. Mit diesen Fahrzeugen konnte man<br />
auch durch die dichteste Menschenmenge schnell<br />
und gewandt hindurchmanövrieren.<br />
Das Gesicht des Föderalistenführers war hager,<br />
148
seine Nase lang und dünn, und das braune Haar begann<br />
zu ergrauen. Er wandte sich ab.<br />
»Ich kann ihren Anblick nicht ertragen.«<br />
Sein Begleiter war etwas philosophischer eingestellt.<br />
»Aber ihr Geist ist nicht häßlicher als der unserer<br />
gutaussehenden Beamten. Diese Kreaturen sind sich<br />
wenigstens selbst treu.«<br />
»Leider hast du nur zu recht. Sind wir ganz fertig?«<br />
»Ja. Keiner von ihnen wird am Leben bleiben und<br />
zu seiner Welt zurückkehren.«<br />
»Gut! Ich werde hier bleiben und das Zeichen geben.«<br />
Die Diaboli unterhielten sich miteinander. Diese Tatsache<br />
konnte allerdings von keinem menschlichen<br />
Wesen bemerkt werden, wenn es auch noch so lange<br />
an die Fremden herankam. Sie konnten sich natürlich<br />
auch durch gewisse Laute verständigen, aber sie hatten<br />
noch eine andere Methode. Die Haut zwischen<br />
ihren Hörnern konnte durch eine Art der Muskelspannung,<br />
die es bei den Menschen nicht gab, in<br />
schnelles Vibrieren versetzt werden. Die kleinen<br />
Wellen, die auf diese Weise durch die Luft gesendet<br />
wurden, hatten eine zu hohe Schwingung, um vom<br />
menschlichen Ohr gehört werden zu können, und sie<br />
waren so fein, daß auch das sensitivste, von den<br />
Menschen erfundene Instrument sie nicht registrieren<br />
konnte. Zu dieser Zeit war den Menschen diese Art<br />
149
der Kommunikation der Diaboli noch gar nicht bekannt.<br />
»Wußtet ihr, daß dieser Planet die Ursprungswelt<br />
der Zweibeiner ist?« fragte eine Vibration.<br />
Ein Chor von ›Nein‹-Vibrationen ertönte, und<br />
dann sagte eine einzelne Vibration: »Weißt du das<br />
von deinen Studien über die Zweibeiner-Kommunikationen<br />
her, du komischer Kerl?«<br />
»Komisch? Weil ich ihre Kommunikationsformen<br />
studiert habe? Das sollten mehrere von unseren Leuten<br />
tun, anstatt so borniert darauf zu bestehen, daß<br />
die ganze Zweibeiner-Kultur völlig wertlos ist. Wir<br />
könnten von einer viel besseren Position aus mit den<br />
Zweibeinern verhandeln, wenn wir mehr über sie<br />
wüßten. Ihre Geschichte ist auf schreckliche Weise<br />
interessant.«<br />
»Und doch«, sagte eine andere Vibration, »unsere<br />
ersten Kontakte mit den Zweibeinern zeigten doch<br />
fast eindeutig, daß sie vom Ursprung ihrer Rasse auf<br />
diesem Planeten nichts wissen. Auf diesem Planeten<br />
namens Erde gibt es keinen Verehrungskult oder irgendwelche<br />
Gedenkriten. Bist du sicher, daß deine<br />
Information stimmt?«<br />
»Ganz sicher. Das Fehlen von Ritualen und die<br />
Tatsache, daß diese Welt alles andere als ein Reliquienschrein<br />
ist, erscheint im Licht der Zweibeiner-<br />
Geschichte völlig verständlich. Die Zweibeiner auf<br />
den anderen Planeten würden der Erde diese Ehre<br />
nicht gönnen. Es würde die unabhängige Würde ihrer<br />
eigenen Planeten vermindern.«<br />
150
»Das verstehe ich nicht ganz.«<br />
»Ganz verstehe ich es auch nicht, aber nach einigen<br />
Tagen der Lektüre habe ich doch einiges herausgefunden.<br />
Es scheint, als ob die Zweibeiner in einer<br />
einzigen politischen Union gelebt hätten, bevor sie<br />
die interstellare Raumfahrt aufnahmen.«<br />
»Natürlich.«<br />
»Für diese Zweibeiner ist das nicht natürlich. Es<br />
war eine ungewöhnliche Epoche in ihrer Geschichte,<br />
und sie dauerte nicht lange an. Nachdem die Kolonien<br />
auf den verschiedenen Kolonien aufgeblüht waren<br />
und eine gewisse Reife erlangt hatten, war es ihr<br />
dringlichstes Interesse, sich von der Mutterwelt zu<br />
lösen. Damals begann die erste Serie der interstellaren<br />
Kriege der Zweibeiner.«<br />
»Schrecklich! Wie Kannibalen!«<br />
»Ja, nicht wahr? Ich hatte tagelang Verdauungsschwierigkeiten,<br />
als ich das bei meinen Studien entdeckt<br />
hatte. Mein Wiedergekäutes war ganz sauer.<br />
Jedenfalls, die verschiedenen Kolonien gewannen<br />
ihre Unabhängigkeit, so daß wir jetzt eine Situation<br />
vorfinden, die uns wohlbekannt ist. All die Königreiche,<br />
Republiken und Demokratien der Zweibeiner<br />
sind ganz einfach winzige Klümpchen von Welten,<br />
und jedes besteht aus einer Hauptwelt und ein paar<br />
kleinen Nebenwelten, die ihrerseits immer wieder<br />
versuchen, ihre Unabhängigkeit zu erlangen oder von<br />
einer Hauptwelt zur anderen geschoben werden. Die<br />
Erde ist die mächtigste der Hauptwelten und hat etwa<br />
ein Dutzend Nebenwelten unter sich.«<br />
151
Unglaublich, daß diese Kreaturen so blind für ihre<br />
eigenen Interessen sind! Hat denn jene einzige Regierung,<br />
die sie damals beherrschte, als sie noch aus<br />
einer einzigen Welt bestanden, keine Tradition begründet?«<br />
»Ich sagte doch, das war etwas ganz Ungewöhnliches<br />
für sie. Diese eine Regierung bestand nur ein<br />
paar Jahrzehnte. Davor war auch dieser Planet in<br />
mehrere politische Einheiten zersplittert.«<br />
»So etwas habe ich noch nie gehört.« Die überschallgeschwinden<br />
Wellen der Diaboli vibrierten eine<br />
Weile erregt durcheinander.«<br />
»Tatsächlich, sie haben höchstens eine animalische<br />
Intelligenz.«<br />
Sie waren beim Verteidigungsministerium angelangt.<br />
Die fünf Diaboli standen an dem langen Tisch. Sie<br />
standen, weil ihre Anatomie das Sitzen nicht zuließ.<br />
Auf der anderen Seite des Tisches standen fünf Erdenmänner.<br />
Für die Menschen wäre es natürlich bequemer<br />
gewesen zu sitzen, aber verständlicherweise<br />
wollten sie ihr Handikap der kleineren Körpergröße<br />
nicht noch betonen. <strong>Der</strong> Tisch war sehr breit, der<br />
breiteste, der aufzutreiben gewesen war. Das war den<br />
menschlichen Nasen zuliebe geschehen, denn von<br />
den Diaboli ging ein ständiger Geruch von Schwefelwasserstoff<br />
aus, wenn sie atmeten, der sich noch<br />
verstärkte, wenn sie sprachen.<br />
Für gewöhnlich dauerten die Unterredungen nicht<br />
länger als eine halbe Stunde, und am Ende dieser<br />
152
Zeitspanne beendeten die Diaboli die Gespräche ohne<br />
große Formalitäten. Sie drehten sich einfach um<br />
und gingen. Diesmal wurde ihr Abgang jedoch unterbrochen.<br />
Ein Mann trat ein, und die fünf Erdendiplomaten<br />
traten beiseite, um ihm Platz zu machen. Er<br />
war größer als die anderen Erdenmänner und trug<br />
seine Uniform mit der Selbstverständlichkeit langer<br />
Gewohnheit. Sein Gesicht war rund, und er hatte<br />
kluge, kalte Augen. Sein schwarzes Haar war ziemlich<br />
dünn, zeigte aber noch keine Spur von Grau. Eine<br />
Narbe lief von seiner Kinnspitze den Hals hinab<br />
bis in den hohen lederbraunen Kragen. Eine Wunde,<br />
die vielleicht von einer Strahlwaffe stammte, die irgendein<br />
Feind dem Mann in irgendeinem der fünf<br />
Kriege zugefügt hatte, an denen er aktiv teilgenommen<br />
hatte.<br />
»Meine Herren«, sagte der Chef der menschlichen<br />
Diplomatendelegation, »darf ich Ihnen den Verteidigungsminister<br />
vorstellen?«<br />
Die Diaboli waren etwas erschrocken. Obwohl ihr<br />
Gesichtsausdruck undurchdringlich war, vibrierte<br />
ihre Hirnhaut erregt. Ihr strenger Sinn für Hierarchie<br />
war durcheinandergebracht worden. <strong>Der</strong> Minister<br />
war zwar nur ein Zweibeiner, aber vom Standpunkt<br />
der Zweibeiner aus gesehen, war er ranghöher als sie.<br />
Sie konnten keine Geschäfte mit ihm abwickeln.<br />
<strong>Der</strong> Minister war sich ihrer Gefühle bewußt, aber<br />
in diesem Fall hatte er keine andere Wahl. Für wenigstens<br />
zehn Minuten mußten die Diaboli noch aufgehalten<br />
werden, und eine gewöhnliche Unterbre-<br />
153
chung hätte das nicht vermocht.<br />
»Meine Herren«, sagte er, »ich muß Sie um die<br />
Gefälligkeit bitten, diesmal etwas länger zu bleiben.«<br />
<strong>Der</strong> Führer der Diaboli antwortete mit größtmöglicher<br />
Annäherung an die englische Sprache, der ein<br />
Diabolus fähig war. Ein Diabolus hatte zwei Münder.<br />
Einer saß an der äußersten Stelle seiner Kinnbacken<br />
und wurde zum Essen benutzt. Wie dies vor sich<br />
ging, hatte noch kein menschliches Wesen gesehen,<br />
denn die Diaboli zogen es vor, ganz exklusiv in der<br />
Gesellschaft ihrer Artgenossen zu speisen. Eine kleinere<br />
Mundöffnung, etwa zwei Zoll breit, diente zum<br />
Sprechen. Wenn sie sich auseinanderzog, enthüllte<br />
sie ein gummiartiges Loch, denn die Diaboli hatten<br />
keine Zähne. Dieser Mund blieb während des Sprechens<br />
offen, denn die Konsonanten wurden am<br />
Gaumen geformt. Die Worte kamen heiser und verschwommen,<br />
aber man konnte sie verstehen.<br />
»Sie werden uns entschuldigen«, sagte der Diabolus.<br />
»Wir leiden bereits.« Und seine Stirn signalisierte,<br />
unhörbar für die Menschen: »Sollen wir denn in<br />
ihrer schrecklichen Atmosphäre ersticken? Wir müssen<br />
um größere Absorbier-Zylinder bitten.«<br />
<strong>Der</strong> Verteidigungsminister sagte: »Ich kann Ihre<br />
Gefühle verstehen, aber dies ist für mich die einzige<br />
Gelegenheit, mit Ihnen zu sprechen. Vielleicht könnten<br />
Sie uns die Ehre geben, mit uns zu essen.«<br />
<strong>Der</strong> Erdenmann, der neben dem Minister stand,<br />
konnte ein Stirnrunzeln nicht unterdrücken. Hastig<br />
zog er ein Blatt Papier aus der Tasche, kritzelte etwas<br />
154
darauf und reichte es dem Minister.<br />
Dieser las: »Nein! Sie essen geschwefeltes Heu.<br />
Stinkt unerträglich.«<br />
<strong>Der</strong> Minister zerknüllte das Papier und ließ es zu<br />
Boden fallen.<br />
»Die Ehre ist auf unserer Seite«, sagte der Diabolus,<br />
»wenn wir physisch imstande wären, Ihre fremde<br />
Atmosphäre für eine so lange Zeitspanne zu ertragen,<br />
würden wir Ihre Einladung gern annehmen.« Und via<br />
Stirn sagte er verärgert: »Sie können uns doch nicht<br />
zumuten, mit Ihnen zu essen und mitanzusehen, wie<br />
sie die Tierleichen verschlingen. Da wäre mein Wiedergekäutes<br />
ja für alle Zeit sauer.«<br />
»Wir respektieren Ihre Gründe«, sagte der Minister.<br />
»Dann wollen wir unsere Probleme also jetzt<br />
gleich besprechen. In den bisherigen Verhandlungen<br />
ist es uns nicht gelungen, von Ihrer Regierung, die<br />
Sie repräsentieren, irgendeinen klaren Hinweis zu<br />
erhalten, wo und wie sie sich die Grenzen ihrer Einflußsphäre<br />
vorstellt. Wir haben Ihnen in dieser Beziehung<br />
schon mehrere Vorschläge unterbreitet.«<br />
»Was das Erdenterritorium betrifft, so sind wir<br />
doch zu einer Definition gekommen.«<br />
»Aber Sie werden doch einsehen, daß das für uns<br />
unbefriedigend ist. Die Grenzen der Erde und die<br />
Grenzen Ihres Gebietes berühren sich nirgends. Diese<br />
Tatsache haben Sie als einzige festgestellt. Aber<br />
auch das ist unbefriedigend.«<br />
»Wir verstehen nicht ganz. Wollen Sie über die<br />
Grenzen zwischen uns und beispielsweise dem unab-<br />
155
hängigen Königreich Wega diskutieren?«<br />
»Allerdings.«<br />
»Das ist nicht möglich, Sir. Sie werden einsehen,<br />
daß die Beziehungen zwischen uns und der souveränen<br />
politischen Einheit Wega nicht Angelegenheit<br />
der Erde sein können. Darüber können wir nur mit<br />
Wega diskutieren.«<br />
»Dann wollen Sie hundertmal mit hundert<br />
menschlichen Weltsystemen verhandeln?«<br />
»Wenn es notwendig ist, ja. Ich möchte aber betonen,<br />
daß diese Notwendigkeit nicht von uns hervorgerufen<br />
wird, sondern von der Art der menschlichen<br />
politischen Organisation.«<br />
»Das begrenzt unser Diskussionsthema natürlich<br />
drastisch.« <strong>Der</strong> Minister wirkte irgendwie abwesend.<br />
Er lauschte, nicht direkt auf die Worte des Diabolus,<br />
sondern offensichtlich auf irgendwelche entfernte<br />
Geräusche.<br />
Eine leise Bewegung war zu hören, Stimmen,<br />
dann das Krachen von Atomgewehren, das Rattern<br />
von Polizeiflugrädern.<br />
Die Diaboli ließen nicht erkennen, daß sie etwas<br />
gehört hatten. Aber das lag nicht an ihrer Höflichkeit.<br />
Wenn sie auch fähig waren, überschallgeschwinde<br />
Laute wahrzunehmen, so war ihr Gehör gewöhnlichen<br />
Erdengeräuschen gegenüber taub.<br />
»Wir bitten um die Erlaubnis, unsere Überraschung<br />
auszudrücken«, sagte der Diabolus. »Wir waren<br />
der Meinung, dies alles sei Ihnen bekannt.«<br />
Ein Mann in Polizeiuniform erschien in der Tür.<br />
156
<strong>Der</strong> Minister wandte sich ihm zu, und der Polizist<br />
verschwand mit einem kurzen Nicken.<br />
»Sicher«, sagte der Minister, plötzlich kurzangebunden.<br />
»Ich wollte mich nur noch einmal über den<br />
Stand der Dinge persönlich informieren. Glauben<br />
Sie, daß Sie imstande sein werden, morgen die Verhandlungen<br />
wieder aufzunehmen?«<br />
»Sicher, Sir.«<br />
Einer nach dem anderen, langsam und würdevoll,<br />
wie es den Herren des Universums zustand, verließen<br />
die Diaboli den Verhandlungsraum.<br />
Einer der Erdenmänner sagte: »Ich bin froh, daß<br />
sie abgelehnt haben, mit uns zu essen.«<br />
»Ich wußte, daß sie das nicht annehmen würden«,<br />
sagte der Minister nachdenklich. »Sie sind Vegetarier.<br />
Allein der Gedanke, Fleisch zu essen, macht sie<br />
ganz krank. Ich habe sie essen sehen. Sie ähneln darin<br />
unseren Rindern. Sie schlingen ihr Futter hinein,<br />
und dann stehen sie feierlich im Kreis und beginnen<br />
in einer sogenannten Gedankengemeinschaft zu wiederkäuen.<br />
Vielleicht verständigen sie sich dabei auf<br />
irgendeine Weise, die uns unbekannt ist. <strong>Der</strong> große<br />
Unterkiefer rotiert in einem langsamen, mahlenden<br />
Prozeß …«<br />
<strong>Der</strong> Polizist erschien wieder in der Tür.<br />
<strong>Der</strong> Minister brach ab und fragte: »Haben Sie alle?«<br />
»Ja, Sir.«<br />
»Haben Sie Altmayer?«<br />
»Ja, Sir.«<br />
»Gut.«<br />
157
Die Menschenmenge hatte sich wieder versammelt,<br />
als die Diaboli das Ministerium verließen. <strong>Der</strong> Zeitplan<br />
wurde streng eingehalten. Um drei Uhr nachmittags<br />
verließen sie ihre Suite, waren drei Minuten zum<br />
Ministerium unterwegs, um drei Uhr fünfunddreißig<br />
verließen sie das Ministerium wieder und kehrten in<br />
ihre Suite zurück. Die Fahrtroute wurde ständig von<br />
Polizisten bewacht. Mit ausdruckslosen Gesichtern,<br />
fast mechanisch, patrouillierten sie die breite Straße<br />
auf und ab.<br />
In der Mitte ihrer Marschroute klangen plötzlich<br />
Schreie auf. Die meisten der versammelten Leute<br />
hatten die Worte nicht verstanden, denn gleich darauf<br />
krachten Atomgewehre, und blaßblaue Leuchtwolken<br />
stiegen in die Luft. Die Polizistenflugräder<br />
sprangen sieben Fuß hoch in die Luft, die Polizisten<br />
zogen ihre eigenen Atomwaffen, landeten geschickt<br />
mitten in einer Menschengruppe, ohne jemanden zu<br />
verletzen, und sprangen sofort wieder hoch. Das erregte<br />
Stimmengewirr vermischte sich zu einem einzigen<br />
Lautschwall.<br />
Mitten durch das Durcheinander marschierten die<br />
Diaboli ruhig wie immer. Entweder hörten sie nichts,<br />
oder es lag unter ihrer Würde, Reaktionen zu zeigen.<br />
Weit hinten in der Menge, fern vom Zentrum der<br />
Aufregung, strich sich Richard Sayama Altmayer<br />
zufrieden über die Nase. Die strenge Zeiteinteilung<br />
der Diaboli hatte eine minuziös genaue Planung ermöglicht.<br />
Die erste Störung sollte nur die Polizei ab-<br />
158
lenken. Aber jetzt …<br />
Er schoß mit einer harmlosen Knallpistole in die<br />
Luft.<br />
Sofort krachten aus vier Richtungen Gewehrschüsse.<br />
Scharfschützen feuerten von den Dächern<br />
der Gebäude, die die Straße säumten.<br />
Die Diaboli schwankten, ihre Körper wurden von<br />
den Kugeln zerrissen, einer nach dem anderen sank<br />
zu Boden.<br />
Polizisten tauchten an Altmayers Seite auf. Erstaunt<br />
starrte er sie an.<br />
»Sie waren schnell da, aber Sie sind zu spät gekommen«,<br />
sagte er mit sanfter Stimme, denn in<br />
zwanzig Jahren hatte er sich seine Wutausbrüche abgewöhnt,<br />
und zeigte auf die Diaboli.<br />
<strong>Der</strong> Polizist, der Altmayer mit festem Griff am<br />
Arm gepackt hatte, nahm ihm die Knallpistole ab<br />
und untersuchte ihn schnell nach weiteren Waffen.<br />
Er war Captain. Steif sagte er: »Ich glaube, Sie haben<br />
einen Fehler gemacht, Mr. Altmayer. Sie haben kein<br />
Blut vergossen.« Auch er deutete in die Richtung der<br />
Diaboli.<br />
Verwirrt wandte sich Altmayer um. Die Kreaturen<br />
lagen auf der Seite, manche waren in Stücke gerissen,<br />
zerfetzte Haut hing von ihnen, ihre Gestalten<br />
waren verkrümmt, aber der Captain hatte recht. Kein<br />
Blut. Altmayers bleiche Lippen bewegten sich lautlos.<br />
<strong>Der</strong> Captain interpretierte die Lippenbewegung<br />
richtig.<br />
159
»Sie haben recht, Sir, es sind Roboter.«<br />
»Und aus dem großen Tor des Verteidigungsministeriums<br />
traten die echten Diaboli. Die Polizisten<br />
bahnten ihnen einen Weg, aber einen anderen, als sie<br />
sonst benutzten. <strong>Der</strong> Anblick ihrer eigenen Travestien<br />
aus Plastik und Aluminium, die nun zerrissen auf<br />
der Straße lagen, sollte ihnen erspart werden.<br />
»Ich bitte Sie, keine Schwierigkeiten zu machen,<br />
Mr. Altmayer«, sagte der Captain. »Folgen Sie mir.<br />
<strong>Der</strong> Verteidigungsminister will mit Ihnen sprechen.«<br />
»Ich komme, Sir.« Dumpfe Enttäuschung überwältigte<br />
Altmayer.<br />
Geoffrey Stock und Richard Altmayer sahen sich<br />
zum erstenmal nach fast einem Vierteljahrhundert<br />
wieder, hier im Privatbüro im Verteidigungsministerium.<br />
<strong>Der</strong> Raum war einfach eingerichtet. Ein<br />
Schreibtisch, ein Lehnstuhl und zwei weitere Sessel.<br />
Alle waren von stumpfbrauner Farbe. Die Sitzflächen<br />
der Sessel waren mit braunem Schaumgummi<br />
ausgelegt, was mehr der Bequemlichkeit als dem Luxus<br />
dienen sollte. Ein Mikro-Leseapparat stand auf<br />
dem Tisch, und in einem Kasten dahinter wurden<br />
Filmspulen aufbewahrt. An der dem Schreibtisch gegenüberliegenden<br />
Wand hing eine dreidimensionale<br />
Fotographie der alten Dauntless, der ersten Raumkriegsschiffes,<br />
das der Verteidigungsminister befehligt<br />
hatte.<br />
»Ein etwas lächerliches Zusammentreffen nach so<br />
vielen Jahren«, sagte Stock. »Ich bedaure das.«<br />
160
»Warum, Jeff?« Altmayer zwang sich zu einem<br />
Lächeln. »Ich bedaure gar nichts, außer daß ich mich<br />
von dir mit diesen Robotern habe zum Narren halten<br />
lassen.«<br />
»Das war nicht schwierig. Und es war eine glänzende<br />
Gelegenheit, deine Partei zu ruinieren. Ich bin<br />
sicher, nach diesem Vorfall sind sie sehr in Mißkredit<br />
geraten. <strong>Der</strong> Pazifist will einen Krieg heraufbeschwören,<br />
der Apostel der Milde dingt Meuchelmörder.«<br />
»Krieg gegen den wahren Feind«, sagte Altmayer<br />
traurig.<br />
»Aber du hast recht. Es ist ein Zeichen meiner<br />
Verzweiflung, daß ich zu solchen Mitteln griff. Wie<br />
hast du von meinem Plan erfahren?«<br />
»Du überschätzt noch immer die Menschheit,<br />
Dick. In jeder Verschwörung sind die Menschen, die<br />
sich an ihr beteiligen, die schwachen Punkte. Du hattest<br />
fünfundzwanzig Mitverschwörer. Kamst du nie<br />
auf den Gedanken, daß vielleicht ein Verräter unter<br />
ihnen sein könnte – oder einer meiner Leute?«<br />
Eine dunkle Röte brannte auf Altmayers hohen<br />
Backenknochen.<br />
»Wer war es?«<br />
»Das kann ich dir leider nicht sagen. Vielleicht<br />
setzen wir ihn noch einmal ein.«<br />
Altmayer lehnte sich müde zurück.<br />
»Was hast du dabei gewonnen?«<br />
»Was hast du dabei gewonnen?« Du bist heute<br />
noch genau so unzugänglich wie damals, als ich dich<br />
161
das letztemal gesehen habe, an dem Tag, als du dich<br />
entschlossen hast, lieber ins Gefängnis zu wandern<br />
als zur Musterung anzutreten. Du hast dich nicht geändert.«<br />
Altmayer schüttelte den Kopf.<br />
»Die Wahrheit ändert sich nicht.«<br />
»Wenn es die Wahrheit ist, warum erleidest du<br />
dann nur Fehlschläge?« fragte Stock ungeduldig.<br />
»Dein Gefängnisaufenthalt hat dir nichts eingebracht.<br />
<strong>Der</strong> Krieg ging weiter. Und dann hast du eine politische<br />
Partei gegründet. Alles, was sie unternahm,<br />
mißlang. Und jetzt ist auch das Attentat fehlgeschlagen.<br />
Du bist bald fünfzig, Dick. Was hast du gewonnen?<br />
Nichts.«<br />
»Und du bist in den Krieg gezogen, hast ein<br />
Raumschiff befehligt und bist schließlich Regierungsmitglied<br />
geworden. Du hast viel erreicht. Aber<br />
Erfolge und Fehlschläge sind mit zweierlei Maß zu<br />
messen. Worin kann man Erfolg haben? In der Vernichtung<br />
der Menschheit? Und kann man es einen<br />
Mißerfolg nennen, wenn der Versuch, diese Vernichtung<br />
zu verhindern, fehlschlägt? Ich möchte nicht<br />
mir dir tauschen. Jeff, merk dir eines: Eine gute Absicht<br />
kann nicht fehlschlagen. Ihr Erfolg kann nur<br />
verzögert werden.«<br />
»Auch wenn du für deine heutige Tat exekutiert<br />
wirst?«<br />
»Auch dann. Jemand anderer wird in meinem<br />
Geist weiterarbeiten, und sein Erfolg wird auch der<br />
meine sein.«<br />
162
»Und wie sieht dieser Erfolg in deinen Augen aus?<br />
Kannst du dir eine Union der Welten vorstellen, eine<br />
galaktische Föderation? Willst du, daß Satannia unsere<br />
Angelegenheiten regelt? Soll uns ein Weganer<br />
sagen, was wir tun sollen? Soll die Erde selbst über<br />
ihr Schicksal bestimmen oder der Gnade einer Union<br />
von blindlings zusammengewürfelten Mächten ausgeliefert<br />
sein?«<br />
»Wir wären ihrer Gnade nicht weniger ausgeliefert<br />
als sie der unseren.«<br />
Abgesehen davon, daß wir die reichste Macht<br />
sind. Wir würden um des Notstandsgebiets im Sirius-<br />
Sektor willen geplündert werden.«<br />
»Und das zurückzahlen, was die Erde während der<br />
Kriege geplündert hat, die dann nicht mehr stattfinden.«<br />
»Weißt du auf alle Fragen eine Antwort, Dick?«<br />
»In zwanzig Jahren haben wir alle Fragen gefragt,<br />
Jeff.«<br />
»Dann beantworte mir folgende Frage: Wie willst<br />
du der unwilligen Menschheit diese Union aufzwingen?«<br />
»Deshalb wollte ich die Diaboli töten.« Zum erstenmal<br />
zeigte Altmayer eine innere Bewegung. »Es<br />
hätte einen Krieg mit den Diaboli heraufbeschworen,<br />
und zum erstenmal hätte sich die ganze Menschheit<br />
gegen einen gemeinsamen Feind vereint. Unsere politischen<br />
und ideologischen Differenzen hätten sich<br />
angesichts dieser Gefahr in nichts aufgelöst.«<br />
»Glaubst du das wirklich? Die Diaboli sind uns<br />
163
niemals zu nahe getreten. Sie können auf unseren<br />
Welten nicht leben. Sie müssen auf ihren eigenen<br />
Planeten mit der Sulfidatmosphäre und den Ozeanen<br />
bleiben, die aus Natriumsulfat-Lösungen bestehen.«<br />
»Die Menschheit weiß es besser, Jeff. Sie breiten<br />
sich von Welt zu Welt aus wie eine Atomexplosion.<br />
Sie blockieren die Raumfahrt in Regionen, wo es<br />
noch unbesetzte Sauerstoffweiten gibt, die wir gebrauchen<br />
könnten. Sie planen für die Zukunft. Sie<br />
schaffen Raum für ungezählte künftige Diaboli-<br />
Generationen, während wir uns in eine Ecke der Galaxis<br />
zurückziehen und uns zu Tode kämpfen müssen.<br />
In tausend Jahren werden wir ihre Sklaven sein.<br />
In zehntausend Jahren werden wir ausgelöscht sein.<br />
Oh, ja, sie sind ein gemeinsamer Feind, und die<br />
Menschheit wird es wissen. Vielleicht kommst du<br />
eher darauf, als du denkst.«<br />
»Deine Partei redet viel von den alten Griechen<br />
des präatomaren Zeitalters. Sie erzählen, daß die<br />
Griechen wunderbare Leute waren, die die höchste<br />
Kultur ihrer Zeit besaßen, vielleicht aller Zeiten. Sie<br />
wiesen der Menschheit den Weg, den sie nie gänzlich<br />
verlassen hat. Sie hatten nur einen Fehler. Sie<br />
konnten sich nicht einigen. Ihr Land wurde erobert,<br />
und die alten Griechen gingen unter. Und jetzt treten<br />
wir in ihre Fußstapfen, nicht wahr?«<br />
»Du hast deine Lektion gut gelernt, Jeff.«<br />
»Du auch, Dick?«<br />
»Was meinst du?«<br />
»Hatten die Griechen keinen gemeinsamen Feind,<br />
164
gegen den sie sich verbünden konnten?«<br />
Altmayer schwieg.<br />
»Die Griechen kämpften gegen Persien«, sagte<br />
Stock, »ihren großen gemeinsamen Feind. Ist es<br />
nicht Tatsache, daß ein guter Teil der griechischen<br />
Staaten auf der persischen Seite kämpfte?«<br />
»Ja. Weil sie dachten, daß der persische Sieg unvermeidlich<br />
war.«<br />
»Die Menschen haben sich nicht geändert, Dick.<br />
Warum, glaubst du, sind die Diaboli hier? Worüber<br />
verhandeln wir mit ihnen?«<br />
»Ich bin kein Regierungsmitglied.«<br />
»Nein«, sagte Stock wütend. »Aber ich. Wega hat<br />
sich mit den Diaboli verbündet.«<br />
»Das glaube ich nicht. Das kann nicht sein.«<br />
»Es ist so. Die Diaboli haben zugestimmt, sie mit<br />
fünfhundert Kriegsschiffen zu unterstützen, wann<br />
immer sie mit der Erde in Kriegszustand geraten. Als<br />
Gegenleistung gibt Wega alle Ansprüche auf die Nigellia-Sterne<br />
auf. Wenn dir der Meuchelmord an den<br />
Diaboli also wirklich gelungen wäre, hätte es einen<br />
Krieg gegeben. Aber die halbe Menschheit hätte auf<br />
der Seite der Diaboli gekämpft, auf der Seite unseres<br />
sogenannten gemeinsamen Feindes. Und das wollen<br />
wir verhindern.«<br />
Altmayer sagte langsam: »Ich bin bereit für die<br />
Gerichtsverhandlung. Oder soll ich ohne Prozeß exekutiert<br />
werden?«<br />
»Du bist und bleibst ein Narr, Dick. Wenn wir<br />
dich erschießen, machen wir einen Märtyrer aus dir.<br />
165
Wenn wir dich am Leben lassen und nur deine Mittäter<br />
exekutieren, wird man dich verdächtigen, daß du<br />
deine Gefährten verraten hast. Als mutmaßlicher<br />
Verräter wirst du in Zukunft nicht mehr gefährlich<br />
sein.«<br />
Und so wanderte Richard Sayama Altmayer am 5.<br />
September 2788 nach einem außerordentlich kurzen<br />
Prozeß hinter verschlossenen Türen für fünf Jahre ins<br />
Gefängnis. Im Jahr seiner Entlassung wurde Geoffrey<br />
Stock zum Präsidenten der Erde gewählt.<br />
31. Dezember 2800<br />
Simon Devoire fühlte sich etwas unbehaglich. Er war<br />
ein kleiner Mann mit sandfarbenem Haar und einem<br />
sommersprossigen roten Gesicht.<br />
»Ich bereue es, daß ich einer Zusammenkunft mit<br />
Ihnen zugestimmt habe, Mr. Altmayer«, sagte er. »Es<br />
wird Ihnen nicht nützen und mir nur schaden.«<br />
»Ich bin ein alter Mann«, sagte Altmayer. »Was<br />
kann ich Ihnen schon anhaben?«<br />
Und er war wirklich ein alter Mann. Um die Jahrhundertwende<br />
war er über Sechzig, aber er wirkte<br />
noch älter. Sowohl äußerlich als auch in seinem Innern.<br />
Seine Kleider waren ihm zu groß. Er schien in<br />
ihnen einzuschrumpfen. Nur seine Nase war nicht<br />
gealtert. Sie war noch immer die lange, dünne, aristokratische<br />
Altmayer-Nase.<br />
»Vor Ihnen fürchte ich mich auch nicht«, sagte<br />
Devoire.<br />
»Warum nicht? Vielleicht glauben Sie, daß ich die<br />
166
Männer von ‘88 verraten habe.«<br />
»Nein, natürlich nicht. Kein Mann mit Verstand<br />
glaubt das. Aber die Tage der Föderalisten sind vorbei,<br />
Altmayer.«<br />
Altmayer versuchte zu lächeln. Er hatte Hunger.<br />
Er hatte an diesem Tag noch nichts gegessen. Keine<br />
Zeit … War die Zeit der Föderalisten vorbei? Den<br />
anderen mochte es so scheinen. Die föderalistische<br />
Bewegung war in einer Woge der Lächerlichkeit untergegangen.<br />
Eine mißlungene Verschwörung wirkt<br />
oft romantisch. Man erinnert sich noch nach Generationen<br />
an sie, wenn die Umstände des Mißerfolgs<br />
würdig waren. Aber auf lebende Kreaturen zu schießen<br />
und dann zu entdecken, daß es nur Roboter waren,<br />
einem Trick auf den Leim zu gehen, lächerlich<br />
gemacht zu werden, das war tödlich. Tödlicher als<br />
Verrat, Unrecht und Sünde. Nur wenige hatten geglaubt,<br />
daß Altmayer um sein Leben gefleht und als<br />
Gegenleistung seine Mitverschwörer verraten hatte,<br />
aber das universelle Gelächter hatte den Föderalismus<br />
so effektvoll vernichtet, als wenn man den Verrat<br />
wirklich geglaubt hätte.<br />
Aber Altmayer war fest geblieben. Er sagte: »Die<br />
Zeit des Föderalismus wird nie vorbei sein, solange<br />
die menschliche Rasse lebt.«<br />
»Worte«, sagte Devoire ungeduldig. »Als ich jünger<br />
war, haben sie mir mehr bedeutet. Jetzt bin ich<br />
etwas müde.«<br />
»Simon, ich muß Zugang zum Subäther-System<br />
haben.«<br />
167
Devoires Gesicht verschloß sich.<br />
»Und da haben Sie an mich gedacht. Es tut mir<br />
leid, Altmayer. Ich kann meine Rundfunksendungen<br />
nicht für Ihre Zwecke zur Verfügung stellen.«<br />
»Sie waren einmal ein Föderalist.«<br />
»Berufen Sie sich nicht darauf. Das liegt lange zurück.<br />
Jetzt bin ich – gar nichts. Ich bin Devoirist,<br />
nehme ich an. Ich will leben.«<br />
»Auch unter der Knute der Diaboli? Wollen Sie<br />
leben, solange sie damit einverstanden sind, und<br />
sterben, wenn sie es beschließen?«<br />
»Worte!«<br />
»Billigen Sie die Galaktische Konferenz?«<br />
Devoires Gesicht wurde noch röter. Hitzig sagte<br />
er: »Warum nicht? Was spielt es für eine Rolle, wie<br />
wir die Föderation der Menschheit etablieren? Wenn<br />
Sie noch immer Föderalist sind, was haben Sie gegen<br />
eine vereinte Menschheit einzuwenden?«<br />
»Vereint unter der Herrschaft der Diaboli?«<br />
»Was macht das schon aus? Die Menschheit kann<br />
sich nicht von selbst einigen. Ob wir nun dazu getrieben<br />
werden oder nicht, das Resultat allein ist<br />
wichtig. Mich macht das alles krank, Altmayer, unsere<br />
ganze idiotische Geschichte. Ich bin es müde, immer<br />
wieder zu versuchen, ein Idealist zu sein, wenn<br />
es nichts gibt, worüber man in Idealismus ausbrechen<br />
kann. Menschen sind Menschen, das ist ja das Widerliche.<br />
Vielleicht müssen wir auf die richtige Spur<br />
geprügelt werden. Und ich bin durchaus gewillt, den<br />
Diaboli das Prügeln zu überlassen.«<br />
168
»Sie sind ein Narr, Devoire«, sagte Altmayer<br />
sanft. »Es wird keine wirkliche Union sein, das wissen<br />
Sie. Die Diaboli haben diese Konferenz einberufen,<br />
damit sie als Schiedsrichter in allen laufenden<br />
menschlichen Streitereien auftreten können und danach<br />
das oberste Gericht für uns bleiben. Sie haben<br />
nicht die Absicht, eine wirkliche zentrale Menschheitsregierung<br />
einzurichten. Es wird nur eine Art<br />
verbindendes Direktorium geben. Aber jede Menschenregierung<br />
wird wie bisher ihren eigenen Kram<br />
verwalten. Es ist ganz einfach so, daß wir uns langsam<br />
daran gewöhnen sollen, mit jedem kleinen Problem<br />
zu den Diaboli zu rennen.«<br />
»Wie können Sie das wissen?«<br />
»Glauben Sie im Ernst, daß es anders kommen<br />
wird?«<br />
Devoire kaute an seiner Unterlippe.<br />
»Wahrscheinlich haben Sie recht.«<br />
»Ich sehe es deutlich vor mir, Simon. Jede echte<br />
Unabhängigkeit, die wir jetzt noch haben, werden<br />
wir verlieren.«<br />
»Viel Gutes hat uns diese Unabhängigkeit bisher<br />
ja nicht eingebracht. Außerdem, wir können den<br />
Gang der Dinge nicht aufhalten. Präsident Stock ist<br />
wahrscheinlich ebenso wenig wie Sie auf diese Konferenz<br />
versessen, aber das nützt ihm nichts. Wenn die<br />
Erde der Konferenz fernbleibt, wird die Union wahrscheinlich<br />
ohne uns gebildet, und dann haben wir<br />
Krieg mit dem Rest der Menschheit und den Diaboli.<br />
Und das dürfte auch auf jede andere Regierung zu-<br />
169
treffen, die sich ausschließt.«<br />
»Und wenn sich alle Regierungen ausschließen?<br />
Würde die Konferenz dann nicht völlig zusammenbrechen?«<br />
»Haben Sie jemals erlebt, daß alle menschlichen<br />
Regierungen etwas gemeinsam tun? Sie werden es<br />
nie lernen, Altmayer.«<br />
»Jetzt geht es um neue Faktoren.«<br />
»Welche denn? Ich weiß, ich bin ein Narr, überhaupt<br />
danach zu fragen, aber reden Sie schon.«<br />
»Seit zwanzig Jahren ist der größte Teil der Galaxis<br />
für menschliche Schiffe verschlossen. Sie wissen<br />
das. Niemand von uns hat die geringste Ahnung, was<br />
in der diabolischen Einflußsphäre vor sich geht. Und<br />
doch existierten einige menschliche Kolonien in dieser<br />
Sphäre.«<br />
»So?«<br />
»Gelegentlich fliehen einige Menschen in den<br />
kleinen Teil der Galaxis, der noch frei ist und noch<br />
den Menschen gehört. Die Regierung der Erde besitzt<br />
Informationen. Informationen, die sie der Öffentlichkeit<br />
nicht bekanntzugeben wagt. Aber nicht<br />
alle Regierungsbeamten können es ertragen, sich feige<br />
in solche Aktionen verwickeln zu lassen. Einer<br />
von diesen Männern hat mit mir gesprochen. Ich<br />
kann Ihnen natürlich nicht sagen, welcher – aber ich<br />
habe Dokumente, Devoire, offizielle, verläßliche,<br />
wahre Dokumente.«<br />
Devoire zuckte mit den Schultern.<br />
»Worüber?« Ostentativ spielte er mit dem Schreib-<br />
170
tisch-Chronometer. Altmayer konnte die schimmernde<br />
Metallzifferntafel sehen. Die leuchtenden Zahlen<br />
hoben sich scharf ab. 22, 31. Dann machte die 1 einer<br />
2 Platz.<br />
»Es gibt einen Planeten, der von der Kolonialbevölkerung<br />
Chu Hsi genannt wird«, fuhr Altmayer<br />
fort. »Die Bevölkerung ist nicht sehr groß, etwa zwei<br />
Millionen. Vor fünfzehn Jahren besetzten die Diaboli<br />
verschiedene Welten rund um Chu Hsi. Und in all<br />
den fünfzehn Jahren landete kein menschliches<br />
Schiff mehr auf dem Planeten. Letztes Jahr landeten<br />
die Diaboli selbst. Sie brachten riesige Frachtschiffe<br />
mit Natriumsulfat-Lösungen und Bakterienkulturen<br />
von ihren eigenen Welten mit.«<br />
»Was? Das kann ich nicht glauben.«<br />
»Versuchen Sie es wenigstens«, sagte Altmayer<br />
ironisch. »Es ist gar nicht so schwer. Natriumsulfat<br />
kann sich in jedem Ozean jeder beliebigen Welt auflösen.<br />
In einem Sulfat-Ozean können ihre Bakterien<br />
wachsen und sich vermehren. Sie können Hydrogensulfide<br />
in enormen Mengen produzieren, die die<br />
Ozeane und die Atmosphäre füllen werden. Dann<br />
können sie ihre Pflanzen und Tiere bringen, und<br />
eventuell können sie sich auch selbst häuslich einrichten.<br />
Wieder ein Planet, auf dem die Diaboli leben<br />
können – und die Menschen nicht mehr. Es wird natürlich<br />
einige Zeit dauern, sicher, aber die Diaboli<br />
haben Zeit. Sie sind ein vereintes Volk und …«<br />
»Hören Sie doch auf!« Devoire machte eine angewiderte<br />
Geste. »Das ist doch einfach unglaubwür-<br />
171
dig. Die Diaboli haben so viele Welten, daß sie gar<br />
nicht wissen, was sie damit anfangen sollen.«<br />
»Für ihre gegenwärtigen Bedürfnisse haben sie<br />
mehr als genug Welten, ja. Aber die Diaboli denken<br />
an die Zukunft. Sie haben eine sehr hohe Geburtenrate,<br />
und eines Tages werden sie die Galaxis füllen.<br />
Und wie schön wäre es da für sie, wenn sie die einzige<br />
intelligente Rasse im Universum wären!«<br />
»Das ist doch allein aus physischen Gründen ganz<br />
unmöglich. Stellen Sie sich einmal vor, wieviele Millionen<br />
Tonnen Natriumsulfate sie brauchen würden,<br />
um all die Meere so zu füllen, daß ihren Bedürfnissen<br />
Genüge getan wird.«<br />
»Wahrscheinlich würden sie den Vorrat eines ganzen<br />
Planeten brauchen.«<br />
»Eben. Und glauben Sie, die Diaboli würden einen<br />
ihrer eigenen Planeten vernichten, um einen neuen zu<br />
kreieren? Was gewinnen sie denn dabei?«<br />
»Simon, es gibt Millionen Planeten in der Galaxis,<br />
die wegen ihrer atmosphärischen Bedingungen, ihrer<br />
Temperatur oder ihrer Schwerkraft für immer sowohl<br />
für die Menschen als auch für die Diaboli unbewohnbar<br />
sind. Aber viele dieser Planeten sind sehr<br />
reich an Schwefel.«<br />
»Und was ist mit den Menschen auf diesem Planeten?«<br />
fragte Devoire nach einer kleinen Pause.<br />
»Auf Chu Hsi? Euthanasie … Nur ein paar konnten<br />
rechtzeitig entkommen. Wahrscheinlich war es<br />
ganz schmerzlos. Die Diaboli sind nicht unnötig<br />
grausam. Nur zweckbetont.«<br />
172
Altmayer wartete. Devoire preßte seine Fäuste gegeneinander.<br />
»Bringen Sie diese Neuigkeiten an die Öffentlichkeit«,<br />
sagte Altmayer. »Senden Sie sie auf Subätherwellen<br />
in den interstellaren Raum, zu allen<br />
Rundfunkanstalten aller Menschenwelten. Sie haben<br />
die Möglichkeit dazu, und wenn sie es tun, wird sich<br />
die Galaktische Konferenz in Nichts auflösen.«<br />
Devoire stand auf.<br />
»Wo sind Ihre Beweise?«<br />
»Sie wollen es tun?«<br />
»Ich will Ihre Beweise sehen.«<br />
Altmayer lächelte.<br />
»Kommen Sie.«<br />
Sie warteten auf ihn, als er in sein möbliertes Zimmer<br />
zurückkehrte. Er bemerkte sie nicht sofort. Er<br />
sah das kleine Auto nicht, das ihm langsam und in<br />
vorsichtiger Entfernung folgte. Er ging mit gesenktem<br />
Kopf und überlegte, wie lange Devoire wohl<br />
brauchen würde, bis er die Nachrichten an alle Sender<br />
der menschlichen Welten durchgegeben hatte.<br />
Wann die Empfangsstationen auf Wega, Satannia<br />
und Centaurus die Neuigkeiten verbreiten würden.<br />
Wie lange es dauern würde, bis es die ganze Galaxis<br />
wußte. Er ging zwischen den beiden schlichtgekleideten<br />
Männern hindurch, die den Eingang zu seinem<br />
Wohnhaus flankierten, ohne sie wahrzunehmen.<br />
Erst als er die Tür zu seinem Zimmer öffnete,<br />
stutzte er und wandte sich um. Rasch wollte er wie-<br />
173
der zum Hauseingang zurückeilen, aber die beiden<br />
schlichtgekleideten Männer standen bereits dicht hinter<br />
ihm. Er unternahm keinen Fluchtversuch, betrat<br />
sein Zimmer, setzte sich und fühlte sich uralt. Ich<br />
muß sie nur eine Stunde und zehn Minuten hinhalten,<br />
dachte er verzweifelt.<br />
Einer der beiden Männer schaltete die Wandlampen<br />
an. Im sanften Licht traten das runde Gesicht und<br />
das schüttere Haar erschreckend deutlich hervor.<br />
»Es ist eine große Ehre für mich, daß der Präsident<br />
der Erde mich persönlich besucht.«<br />
»Wir sind alte Freunde, du und ich, Dick. Wir treffen<br />
uns immer wieder.«<br />
Altmayer antwortete nicht.<br />
»Du hast gewisse Dokumente der Regierung in der<br />
Hand, Dick«, sagte Stock.<br />
»Wenn du das glaubst, dann mußt du sie erst einmal<br />
finden.«<br />
Stock erhob sich müde.<br />
»Kein Heldentum, Dick. Ich erkläre dir, was diese<br />
Dokumente besagen. Es handelt sich um einen Bericht<br />
über die Sulfonierung von Chu Hsi. Ist das<br />
wahr?«<br />
Altmayer blickte auf seine Armbanduhr.<br />
»Wenn du im Sinn hast, uns hinzuhalten, so wirst<br />
du nicht viel Erfolg haben. Wir wissen, wo du gewesen<br />
bist. Wir wissen, daß Devoire die Papiere hat,<br />
und wir wissen genau, was er mit ihnen vorhat.«<br />
Altmayer erstarrte. Die dünne, pergamentartige<br />
Haut seiner Wangen bebte. Er fragte: »Wie lange<br />
174
weißt du es schon?«<br />
»So lange wie du, Dick. Du bist ein sehr berechenbarer<br />
Mensch. Und deshalb haben wir beschlossen,<br />
uns deiner zu bedienen. Glaubst du wirklich,<br />
dein Berichterstatter ist ohne unser Wissen zu dir gekommen?«<br />
»Ich verstehe nicht.«<br />
»Die Regierung der Erde ist an der Galaktischen<br />
Konferenz nicht sonderlich interessiert. Wir sind<br />
keine Föderalisten. Wir kennen die Menschen. Was,<br />
glaubst du, würde geschehen, wenn der Rest der Galaxis<br />
erführe, daß die Diaboli eine Sauerstoffwelt in<br />
eine Schwefelwelt verwandeln wollen?<br />
Nein, antworte nicht. Du bist Dick Altmayer, und<br />
ich bin sicher, daß du mir mit der Emphase der<br />
Überzeugung erzählen würdest, die Menschen werden<br />
die Konferenz abbrechen, sich zu einer liebenden,<br />
brüderlichen Union verbünden, sich mit vereinten<br />
Kräften auf die Diaboli werfen und sie vernichten.«<br />
Stock schwieg so lange, daß es fast so aussah, als<br />
hätte er nichts mehr zu sagen. Dann fuhr er mit flüsternder<br />
Stimme fort.<br />
»Unsinn. Die anderen Welten würden sagen, die<br />
Erde hätte aus eigennützigen Motiven diese Lüge<br />
verbreitet, hätte die Dokumente gefälscht, um die<br />
Konferenz zum Scheitern zu bringen. Die Diaboli<br />
würden alles ableugnen, und die meisten menschlichen<br />
Welten werden ihnen in ihrem eigenen Interesse<br />
glauben. Ihre ganze Wut würde sich auf die Erde<br />
175
konzentrieren, und die Freveltaten der Diaboli sieht<br />
keiner. Verstehst du nun, warum wir nicht verantworten<br />
können, daß deine Dokumente bekannt werden?«<br />
Altmayer fühlte sich verbraucht, unnütz.<br />
»Dann wirst du also Devoire aufhalten. Du bist<br />
immer schon im vorhinein so sicher, daß alle meine<br />
Unternehmungen nur Fehlschläge sein können. Dem<br />
unbedeutendsten deiner Gefolgsmänner glaubst du<br />
mehr als …«<br />
»So warte doch! Ich habe nicht gesagt, daß ich<br />
Devoire aufhalten werde. Ich habe nur gesagt, daß<br />
die Regierung nicht die Verantwortung für seine Absicht<br />
übernehmen kann. Aber die Dokumente werden<br />
gesendet. Nachher werden wir Devoire einsperren<br />
und dich auch und das Ganze genau so heftig als Lüge<br />
hinstellen wie die Diaboli. Das läßt die ganze Affäre<br />
in anderem Licht erscheinen. Die Erde hat sich<br />
von diesen Radiosendungen distanziert. Die anderen<br />
Welten werden glauben, wir hätten das aus selbstsüchtigen<br />
Gründen getan und wollten den Diaboli<br />
den Rücken decken. Vielleicht glauben sie auch, wir<br />
wären schon längst ein geheimes Bündnis mit den<br />
Diaboli eingegangen. Davor werden sie sich fürchten<br />
und sich gegen uns miteinander verbünden. Und<br />
wenn sie dann gegen uns sind, bedeutet das, daß sie<br />
auch gegen die Diaboli sind. Sie glauben an die<br />
Echtheit der Dokumente, und die Konferenz wird<br />
abgebrochen.«<br />
»Es wird wieder einen Krieg geben«, sagte Alt-<br />
176
mayer mit hoffnungsloser Stimme, »aber nicht gegen<br />
den wirklichen Feind. Wieder werden die Menschen<br />
einander bekämpfen. Und der Sieg der Diaboli wird<br />
um so größer sein, wenn alles vorbei ist.«<br />
»Es wird keinen Krieg geben«, sagte Stock.<br />
»Niemand wird es wagen, die Erde anzugreifen,<br />
wenn man glaubt, daß die Diaboli auf unserer Seite<br />
stehen. Die anderen Regierungen werden sich nur<br />
von uns zurückziehen und sich in konstanter Anti-<br />
Diaboli-Propaganda den Mund wetzen. Später, wenn<br />
es zu einem Krieg zwischen uns und den Diaboli<br />
kommen sollte, werden die anderen Welten neutral<br />
bleiben.«<br />
Er sieht sehr alt aus, dachte Altmayer. Wir sind alle<br />
alte, sterbende Männer. Laut sagte er: »Wie kannst<br />
du erwarten, daß die Diaboli die Erde unterstützen?<br />
Du kannst die übrige Menschheit zum Narren halten,<br />
indem du vorgibst, die Wahrheit über den Planeten<br />
Chu Hsi verschweigen zu wollen, aber nicht die Diaboli.<br />
Sie würden keine Minute lang daran glauben,<br />
daß die Erde es mit ihrer Behauptung, bei den Dokumenten<br />
über die geplante Sulfonierung der Planeten<br />
handle es sich um Fälschungen, ernst meint.«<br />
»Sie werden es glauben. Denn es handelt sich<br />
wirklich um Fälschungen. Die Diaboli mögen zwar<br />
für die Zukunft eine solche Sulfonierung planen, aber<br />
bis jetzt haben sie noch nichts dergleichen versucht.«<br />
Am 21. Dezember 2800 wanderte Richard Sayama<br />
Altmayer zum dritten- und letztenmal ins Gefängnis.<br />
177
Es hatte keine Gerichtsverhandlung gegeben, und es<br />
war auch keine Gefangenschaft im üblichen Sinn des<br />
Wortes. Er wurde beobachtet, und nur wenige Beamte<br />
traten mit ihm in Kontakt, aber er wurde sehr zuvorkommend<br />
behandelt und genoß alle Bequemlichkeiten.<br />
Er durfte weder Zeitungen lesen noch Radio<br />
hören oder fernsehen, und so wußte er nicht, daß im<br />
zweiten Jahr seiner dritten Gefangenschaft der Krieg<br />
zwischen der Erde und den Diaboli mit einem Überraschungsangriff<br />
der Erde in der Nähe des Sirius auf<br />
gewisse Schiffe der Diabolischen Flotte eröffnet<br />
wurde.<br />
2802 besuchte Geoffrey Stock Altmayer in seinem<br />
Arrest. Altmayer erhob sich überrascht, um ihn zu<br />
begrüßen.<br />
»Du siehst gut aus, Dick«, sagte Stock. Von ihm<br />
selbst konnte man das nicht behaupten. Seine Gesichtsfarbe<br />
war grau geworden, und seine Captain-<br />
Uniform schlotterte um seinen hageren Körper. Er<br />
sollte in diesem Jahr sterben, eine Tatsache, der er<br />
sich wohl bewußt war. Es bedeutete nicht viel für<br />
ihn. Ich habe die Jahre gelebt, die ich leben sollte<br />
und mußte, dachte er.<br />
Altmayer, der noch älter als Stock aussah, hatte<br />
noch neun Jahre vor sich.<br />
»Ein unerwartetes Vergnügen, Jeff. Aber diesesmal<br />
kannst du mich nicht wieder einsperren. Ich sitze<br />
bereits im Gefängnis.<br />
»Ich bin gekommen, um dich freizulassen, wenn<br />
178
du es wünschst.<br />
»Wozu, Jeff? Du verfolgst doch sicher einen<br />
Zweck damit. Willst du mich wieder zu irgend etwas<br />
benutzen?«<br />
Stocks Lächeln war nur ein sekundenschnelles Zucken<br />
der Mundwinkel.<br />
»Ja, ich will dich benutzen. Und diesmal wirst du<br />
einer Meinung mit mir sein … Wir haben Krieg.«<br />
»Mit den Diaboli. Seit sechs Monaten.«<br />
»Mit wem?« fragte Altmayer erregt. Altmayer<br />
schlang nervös seine Finger ineinander. »Ich habe<br />
nichts davon gehört.«<br />
»Ich weiß.« Stock verschränkte die Hände hinter<br />
dem Rücken und war etwas überrascht, als er merkte,<br />
daß sie zitterten. »Es war ein langer Weg für uns<br />
beide, Dick. Wir hatten dasselbe Ziel, du und ich …<br />
Nein, laß mich bitte ausreden. Ich habe dir oft meinen<br />
Standpunkt erklären wollen, aber du hättest mich<br />
nicht verstanden. Du bist nicht der Typ, der etwas<br />
versteht, wenn er nicht klare Resultate vor Augen<br />
hat. – Ich war fünfundzwanzig Jahre alt, als ich zum<br />
erstenmal eine Diaboli-Welt besuchte, Dick. Schon<br />
damals wußte ich es. Wir oder sie.«<br />
»Das habe ich von Anfang an gesagt«, flüsterte<br />
Altmayer.<br />
»Es nur zu sagen, genügt dir nicht. Du wolltest die<br />
menschlichen Regierungen zwingen, sich gegen die<br />
Diaboli zu verbünden. Und das war politisch unrealistisch<br />
und völlig unmöglich. Es war nicht einmal<br />
wünschenswert. Menschen sind keine Diaboli. Das<br />
179
individuelle Bewußtsein der Diaboli ist sehr schwach<br />
ausgeprägt, existiert fast nicht. Aber unser Individualitätsbestreben<br />
ist beinahe übermächtig. Die Diaboli<br />
kennen keine Politik. Aber wir können niemals in<br />
allen Dingen übereinstimmen, könnten eine einzige<br />
Regierung nicht ertragen. Wenn wir eine einzige Insel<br />
hätten, auf der wir leben müßten, würden wir sie<br />
in drei Teile spalten.<br />
Aber unsere Unstimmigkeit ist unsere Stärke. Deine<br />
föderalistische Partei sprach viel und oft von den<br />
alten Griechen. Erinnerst du dich? Aber deine Leute<br />
haben immer das Wesentliche übersehen. Sicher,<br />
Griechenland konnte nie eine Einheit bilden und ging<br />
deshalb unter. Aber sogar im Zustand der Uneinigkeit<br />
konnte es das gigantische Persien besiegen. Warum?<br />
Die griechischen Stadtstaaten kämpften jahrhundertelang<br />
miteinander. Sie waren durch lange Erfahrung<br />
den Persern in militärischer Hinsicht weit voraus.<br />
Sogar die Perser selbst erkannten das, denn im<br />
letzten Jahrhundert ihrer Existenz als Großreich bildeten<br />
griechische Söldner die wertvollsten Truppen<br />
ihres Heeres.<br />
Dasselbe kann man von den kleinen Nationalstaaten<br />
des präatomaren Europas sagen, die in langen<br />
Jahrhunderten des Kämpfens ihre Kriegskünste so<br />
ausgebildet hatten, so daß sie zwei Jahrhunderte lang<br />
den gigantischen Reichen Asiens standhalten konnten.<br />
Und so ist es auch mit uns. Die Diaboli, so mäch-<br />
180
tig sie auch sind, so weit sie sich auch in der Galaxis<br />
ausgebreitet haben, haben bisher noch nie Krieg geführt.<br />
Ihr Militärapparat ist massiv, aber unerprobt.<br />
Innerhalb von fünfzig Jahren bestand ihr einziger<br />
Fortschritt darin, daß sie die menschlichen Kriegsschiffe<br />
kopierten. Auf der anderen Seite befand sich<br />
die Menschheit in heftigem Wettstreit, was die Verbesserung<br />
des Kriegsmaterials betraf. Jede Regierung<br />
war ängstlich darauf bedacht, in den Belangen der<br />
Militärwissenschaft mit ihren Nachbarn Schritt zu<br />
halten. Sie mußten es tun! Unsere Unstimmigkeit<br />
machte das schreckliche Wettrennen um das Überleben<br />
notwendig, so daß schließlich jede einzelne<br />
Menschenwelt den Diaboli ebenbürtig war, vorausgesetzt<br />
natürlich, daß keine unserer Welten an der<br />
Seite der Diaboli kämpft.<br />
Dies zu verhindern, war das Ziel der Erdendiplomatie.<br />
Bevor es nicht feststand, daß in einem Krieg<br />
zwischen der Erde und den Diaboli die anderen Menschenwelten<br />
neutral bleiben würden, konnte ein solcher<br />
Krieg nicht entfesselt werden, und keine Union<br />
der Menschenwelten durfte gebildet werden, solange<br />
der Wettstreit der Kriegskünste noch ein Gebot der<br />
Notwendigkeit war, um militärische Perfektion zu<br />
erreichen. Als wir der Neutralität der anderen sicher<br />
waren, damals, als die Konferenz platzte, suchten wir<br />
den Krieg. Und jetzt haben wir ihn.«<br />
Eiseskälte durchströmte Altmayers Körper. Es<br />
dauerte lange, bis er sprechen konnte. Endlich sagte er:<br />
»Und wenn die Diaboli trotzdem siegen?«<br />
181
»Sie siegen nicht. Vor zwei Wochen vereinigten<br />
sich unsere Hauptflotten zu einer gemeinsamen Aktion,<br />
und die Flotten der Diaboli wurden vernichtet<br />
ohne allzugroße Verluste auf unserer Seite, obwohl<br />
wir schon ziemlich geschwächt sind. Es war fast so,<br />
als hätten wir unbewaffnete Schiffe bekämpft. Wir<br />
hatten die wirkungsvolleren Waffen mit der größeren<br />
Reichweite und den besseren Zielvorrichtungen. Wie<br />
fliegen dreimal so schnell wie sie. Seit dieser<br />
Schlacht entschlossen sich ein Dutzend andere<br />
menschliche Regierungen, sich auf die Siegerseite zu<br />
schlagen und erklärten den Diaboli den Krieg. Gestern<br />
schlugen die Diaboli vor, man möge über einen<br />
Waffenstillstand verhandeln. <strong>Der</strong> Krieg ist praktisch<br />
zu Ende. Und in Zukunft werden sich die Diaboli auf<br />
ihre Planeten beschränken und nur mit unserer Zustimmung<br />
weiter expandieren.«<br />
Altmayer murmelte unzusammenhängende Worte<br />
vor sich hin.<br />
»Und jetzt wird die Union notwendig«, fuhr Stock<br />
fort. »Nach dem Sieg über Persien ruinierten die<br />
griechischen Stadtstaaten sich selbst, weil sie weiterhin<br />
gegeneinander kämpften, so daß sie zuerst von<br />
Mazedonien und dann von Rom erobert werden<br />
konnten. Und als Europa zuerst Amerika kolonisiert,<br />
Afrika aufgeteilt und Asien erobert hatte, führten eine<br />
Reihe europäischer Kriege diesen Kontinent in<br />
den Untergang.<br />
Uneinigkeit vor dem Sieg, Einigkeit danach. Jetzt<br />
ist die Union sehr einfach. Wenn eine Regierung Er-<br />
182
folg hat, werden die anderen eifrig bestrebt sein, an<br />
diesem Erfolg teilzuhaben. <strong>Der</strong> präatomare Schriftsteller<br />
Toynbee betonte als erster den Unterschied<br />
zwischen einer ›dominaten Minorität‹ und einer ›kreativen<br />
Minorität‹.<br />
Und wir sind jetzt die ›kreative Minorität‹. Geradezu<br />
spontan haben viele Menschenwelten die Gründung<br />
einer Organisation der Vereinten Welten angeregt.<br />
Über siebzig Regierungen sind gewillt, an den<br />
ersten Sitzungen teilzunehmen, in denen über eine<br />
Charta der Föderation verhandelt werden soll. Die<br />
anderen werden später ebenfalls beitreten, da bin ich<br />
ganz sicher. Wir wollen, daß du einer der Abgeordneten<br />
der Erde bist, Dick.«<br />
Tränen traten in Altmayers Augen.<br />
»Ich – ich verstehe nicht … Ist das alles wirklich<br />
wahr?«<br />
»Es ist alles genau so, wie ich sagte. Du warst die<br />
erste Stimme im Chaos, Dick, die zur Union aufrief.<br />
Dick. Dein Wort wird viel Gewicht haben. Wie sagtest<br />
du doch einmal? ›Eine gute Absicht kann nicht<br />
fehlschlagen!‹«<br />
»Nein«, sagte Altmayer mit plötzlicher Energie.<br />
»Es scheint ganz so, als wäre deine Absicht die richtige<br />
gewesen.«<br />
Stocks Gesicht zeigte keinerlei Ausdruck.<br />
»Du hast die menschliche Natur nie verstanden,<br />
Dick. Wenn die Vereinigten Welten eine Realität<br />
sein werden, wenn Generationen von Männern und<br />
Frauen über viele friedliche Jahrhunderte hinweg auf<br />
183
diese Tage des Kriegs zurückblicken werden, dann<br />
werden sie den Zweck meiner Methoden vergessen<br />
haben. Für sie wird mein Tun Krieg und Tod bedeuten.<br />
Du hast zur Einigkeit aufgerufen, dein Idealismus<br />
wird für immer in der Erinnerung weiterleben.«<br />
Er wandte sich ab, und Altmayer verstand seine<br />
letzten Worte kaum noch.<br />
»Und wenn sie ihre Denkmäler bauen, werden sie<br />
mir keines errichten.«<br />
184
Was, wenn …<br />
Die häufigste Frage, die an einen Science-Fiction-<br />
Autor gestellt wird, lautet: »Wo nehmen Sie Ihre<br />
Ideen her?« Ich stelle mir vor, daß die Leute, die das<br />
fragen, an eine Art mysteriöse Inspiration denken<br />
oder daß der Autor sogar einen Pakt mit dem Teufel<br />
schließt.<br />
Aber die Antwort ist ganz einfach. Man hat genug<br />
Ideen, wenn man nur lange genug und ernsthaft<br />
nachdenkt. Das dürfte manche Leser etwas desillusionieren.<br />
Ihre Bewunderung läßt meist schlagartig<br />
nach, und der Autor hat das Gefühl, er hätte sich<br />
seihst als Betrüger entlarvt. Denn wenn langes,<br />
ernsthaftes Nachdenken alles ist, was man dazu<br />
braucht, dann kann das ja jeder.<br />
Seltsam, daß es so wenige tun.<br />
Jedenfalls, auch meine Frau wurde einmal<br />
schwach und stellte mir diese Frage, obwohl sie<br />
weiß, daß ich das nicht mag. Wir wohnten damals,<br />
1949, in Boston, und ich hatte gerade meine Stellung<br />
an der Boston University School of Mediane angetreten.<br />
Ab und zu besuchten wir unsere Familien in New<br />
York.<br />
Auf einer dieser Fahrten fragte sie also, vielleicht<br />
aus purer Langeweile. Ich erwiderte: »Von überall.<br />
Ich könnte auch auf dieser Bahnfahrt eine Idee aufschnappen,<br />
wenn ich es versuchte.«<br />
»Dann tu es«, sagte sie.<br />
185
So dachte ich lange und ernsthaft nach und erzählte<br />
ihr die Geschichte einer Eisenbahnfahrt, die ich<br />
dann daheim unter dem Titel ›Was, wenn …‹ niederschrieb.<br />
Die Erzählung ist auch aus einem anderen Grund<br />
ungewöhnlich für mich. Ich bin in meinen Geschichten<br />
nicht sehr romantisch. Warum das so ist, das soll<br />
wohl besser ein Psychiater klären. Ich will hier nur<br />
diese Tatsache feststellen.<br />
Manchmal kommen Frauen in meinen Erzählungen<br />
vor, beispielsweise in ›Die Wirtin‹. Aber dort ist<br />
die Romantik nur ein sehr untergeordneter Faktor,<br />
wenn sie überhaupt auftritt. In ›Was, wenn …‹ besteht<br />
die ganze Geschichte aus Romantik. Ich glaube<br />
sogar, dies ist meine einzige Erzählung, die ernstlich<br />
romantisch ist.<br />
Norman und Livvy waren zu spät dran, natürlich,<br />
denn wenn man einen Zug erreichen will, geht es<br />
immer um Sekunden. Sie ergatterten noch die letzten<br />
zwei freien Plätze in Fahrtrichtung. Die gegenüberliegenden<br />
Sitze waren noch unbesetzt. Während<br />
Norman die Koffer in das Gepäcknetz hob, fühlte<br />
sich Livvy leicht unbehaglich.<br />
Wenn sich ein Ehepaar ihnen gegenübersetzte,<br />
würde man sich während der ganzen langen Fahrt<br />
nach New York ins Gesicht starren oder sich hinter<br />
Zeitungsbarrieren verschanzen.<br />
Norman schien das nichts auszumachen, und das<br />
enttäuschte Livvy ein wenig. Meist hegten sie diesel-<br />
186
en Gefühle. Norman hatte stets behauptet, deshalb<br />
sei er auch so sicher, das richtige Mädchen geheiratet<br />
zu haben.<br />
»Wir passen zueinander, Livvy«, pflegte er zu sagen,<br />
»und das ist die Hauptsache. Wenn man die Teile<br />
eines Puzzle-Spiels zusammenlegt, dann gibt es<br />
immer nur eine einzige Möglichkeit. Darauf kommt<br />
es an. Es gibt keine anderen Möglichkeiten, und für<br />
mich gibt es kein anderes Mädchen.«<br />
Dann lachte sie meist und sagte: »Wenn du an diesem<br />
Tag nicht in der Straßenbahn gewesen wärst,<br />
hättest du mich wahrscheinlich nie getroffen. Was<br />
hättest du dann getan?«<br />
»Ich wäre Junggeselle geblieben, Livvy. Außerdem<br />
hätte ich dich durch Georgette an irgendeinem<br />
anderen Tag kennengelernt.«<br />
»Das wäre nicht dasselbe gewesen.«<br />
»Doch.«<br />
»Nein. Georgette hätte mich dir nie vorgestellt. Sie<br />
war selbst an dir interessiert. Und sie ist nicht der<br />
Typ, der sich absichtlich eine Rivalin schafft.«<br />
»Was für ein Unsinn!«<br />
Und dann stellte Livvy ihre Lieblingsfrage: »Norman,<br />
wenn du eine Minute später an der Straßenbahnhaltestelle<br />
gewesen wärst und die nächste Bahn<br />
genommen hättest, was wäre dann geschehen?«<br />
»Was wäre, wenn Fische Flügel hätten und in die<br />
Berge flögen? Was würden wir dann am Freitag essen?«<br />
Aber sie waren einander in der Straßenbahn be-<br />
187
gegnet, und sie aßen Fisch am Freitag.<br />
Und weil sie jetzt schon fünf Jahre lang verheiratet<br />
waren, wollten sie das feiern und eine Woche in New<br />
York verbringen.<br />
Und dann mußte Livvy wieder an ihr derzeitiges<br />
Problem denken.<br />
»Ich wollte, wir könnten einen anderen Platz finden.«<br />
»Bis jetzt ist ja noch niemand zugestiegen, und so<br />
werden wir zumindest bis Providence allein sein.«<br />
Livvy fühlte sich dadurch keineswegs getröstet,<br />
und sie schien recht zu behalten, als ein untersetzter<br />
kleiner Mann den Gang hinabkam. Woher kam er?<br />
<strong>Der</strong> Zug befand sich etwa auf halber Strecke zwischen<br />
Boston und Providence, und wenn er einen<br />
Platz hatte, warum blieb er dann nicht sitzen? Sie<br />
bildete sich ein, der kleine Mann würde vorbeigehen,<br />
wenn sie ihn nicht beachtete. Also zog sie ihren<br />
Handspiegel aus der Tasche und ordnete ihre hellbraunen<br />
Haare, die in der Hast, den Zug noch zu erreichen,<br />
etwas zerzaust worden waren. Sie betrachtete<br />
ihre blauen Augen und den kleinen Mund mit den<br />
vollen Lippen, von dem Norman behauptete, er sehe<br />
so aus, als wolle er immer küssen.<br />
Nicht schlecht, dachte sie.<br />
Sie blickte auf, und der kleine Mann saß ihr gegenüber.<br />
Er grinste breit, als sie ihn ansah. Sein Gesicht<br />
zog sich in Falten. Hastig nahm er den Hut ab<br />
und legte ihn neben sich auf eine kleine schwarze<br />
Schachtel. Ein weißer Haarkranz umgab eine spie-<br />
188
gelnde Glatze.<br />
Sie konnte nicht anders, sie mußte zurücklächeln,<br />
aber dann blickte sie noch einmal auf die kleine<br />
schwarze Schachtel, und ihr Lächeln erlosch. Sie<br />
stieß Norman an. Er blickte von seiner Zeitung auf.<br />
Er hatte auffallend schwarze Augenbrauen, die über<br />
der Nasenwurzel fast zusammenwuchsen. Das gab<br />
ihm ein etwas strenges Aussehen. Aber als er sie jetzt<br />
mit seinen dunklen Augen anblickte, war sein Gesicht<br />
freundlich wie immer, wenn er sie ansah.<br />
»Was ist denn?« fragte er. Er sah den kleinen untersetzten<br />
Mann gegenüber nicht an. Livvy wollte<br />
durch möglichst unauffällige Gesten Norman auf ihre<br />
Beobachtungen aufmerksam machen. Aber der kleine<br />
Mann betrachtete sie interessiert, und sie kam sich<br />
wie eine Idiotin vor, besonders, weil Norman sie<br />
noch immer verständnislos anstarrte. Schließlich zog<br />
sie ihn näher zu sich heran und flüsterte: »Sieh doch,<br />
was auf seiner Schachtel steht!« Sie sah noch einmal<br />
hin. Nein, sie hatte sich nicht geirrt. Ein glänzender<br />
Schriftzug auf dem schwarzen Grund: WAS WENN.<br />
<strong>Der</strong> kleine Mann lächelte wieder. Er nickte, zeigte<br />
auf die Schrift und dann auf sich.<br />
»Muß sein Name sein«, sagte Norman.<br />
»Wie kann denn jemand so heißen?« entgegnete<br />
Livvy.<br />
Norman legte die Zeitung beiseite.<br />
»Ich werde es dir beweisen.« Er beugte sich vor<br />
und sagte: »Mr. Wenn?«<br />
<strong>Der</strong> kleine Mann sah ihn eifrig an.<br />
189
»Können Sie mir bitte sagen, wie spät es ist, Mr.<br />
Wenn?«<br />
<strong>Der</strong> kleine Mann zog eine große Uhr aus seiner<br />
Westentasche und zeigte Norman das Zifferblatt.<br />
»Danke, Mr. Wenn«, sagte Norman. Und dann<br />
flüsterte er: »Siehst du, Livvy?«<br />
Er hätte sich wieder seiner Zeitung zugewandt,<br />
aber der kleine Mann öffnete seine Schachtel und<br />
hob Aufmerksamkeit heischend den Zeigefinger. Er<br />
nahm eine mattschimmernde Glastafel aus der<br />
Schachtel, etwa sechsmal neun Zoll breit und lang<br />
und vielleicht einen Zoll dick. Die Tafel hatte schräg<br />
abgekantete Ränder und abgerundete Ecken. Sonst<br />
war nichts Besonderes an ihr zu sehen. <strong>Der</strong> Mann<br />
holte einen kleinen Drahtständer hervor, in den die<br />
Tafel genau hineinpaßte. Er plazierte das Gestell auf<br />
seinen Knien und blickte Livvy und Norman stolz<br />
an.<br />
Livvy sagte aufgeregt: »Ich glaube, das soll eine<br />
Art Bild sein.«<br />
Norman beugte sich vor.<br />
»Soll das eine neue Form des Fernsehens darstellen?«<br />
<strong>Der</strong> kleine Mann schüttelte den Kopf, und Livvy<br />
sagte: »Nein, Norman, das sind wir.«<br />
»Was?«<br />
»Siehst du es denn nicht? Da ist die Straßenbahn,<br />
in der wir uns begegnet sind, da bist du auf dem<br />
Rücksitz, mit dem alten Filzhut, den ich vor drei Jahren<br />
weggeworfen habe. Und da sind Georgette und<br />
190
ich. Da ist die dicke Dame. Siehst du es jetzt?«<br />
»Das ist doch eine Illusion«, murmelte Norman.<br />
»Aber du siehst es auch, nicht wahr? Darum heißt<br />
das Ding ›Was, wenn‹. Es zeigt uns, was geschehen<br />
wäre, wenn die Straßenbahn nicht so schnell in die<br />
Kurve gegangen wäre …«<br />
Sie war sehr aufgeregt. Während sie auf das Glasbild<br />
starrte, schien die späte Nachmittagssonne immer<br />
schwächer, und das leise Murmeln der Fahrgäste,<br />
das aus den Nebenabteilen herüberdrang, verstummte.<br />
Wie gut sie sich an diesen Tag erinnern konnte!<br />
Norman kannte Georgette und wollte ihr gerade seinen<br />
Platz anbieten, als die Straßenbahn plötzlich<br />
stark schwankte und Livvy in seinen Schoß fiel. Sie<br />
war schrecklich verwirrt, und er tröstete sie galant.<br />
Es war gar nicht mehr nötig, daß Georgette die beiden<br />
einander vorstellte. Als sie die Straßenbahn verließen,<br />
wußte er bereits, wo Livvy arbeitete.<br />
Sie konnte sich noch gut erinnern, wie Georgette<br />
sie angestarrte und mit gezwungenem Lächeln gesagt<br />
hatte: »Norman scheint dich zu mögen.«<br />
»Sei nicht dumm!« hatte Livvy geantwortet. »Er<br />
war nur höflich. Aber er sieht gut aus, nicht wahr?«<br />
Sechs Monate später waren sie verheiratet.<br />
Und jetzt war hier wieder dieselbe Straßenbahn.<br />
Mit Norman, Georgette und Livvy. Die Eisenbahngeräusche,<br />
das schnelle Rattern der Räder verschwanden<br />
völlig aus ihrem Bewußtsein. Statt dessen war<br />
sie in der engen schwankenden Straßenbahn. Soeben<br />
191
war sie mit Georgette eingestiegen.<br />
Mühsam versuchte Livvy, ihr Gleichgewicht zu<br />
halten, genau wie die vierzig anderen Fahrgäste, die<br />
saßen oder standen und sich alle im gleichen, monotonen<br />
Rhythmus hin und her wiegten.<br />
»Da winkt dir jemand, Georgette. Kennst du ihn?«<br />
»Mir?« Georgette warf einen absichtlich beiläufigen<br />
Blick über die Schulter. Ihre langen künstlichen<br />
Wimpern zitterten. »Ich kenne ihn flüchtig. Was mag<br />
er nur von mir wollen?«<br />
»Das werden wir gleich wissen«, sagte Livvy ein<br />
wenig boshaft. Georgette war bekannt dafür, daß sie<br />
ihre männlichen Bekanntschaften sorgsam vor ihren<br />
Freundinnen versteckte, und es machte Livvy Spaß,<br />
Georgette zu ärgern. Und außerdem – dieser Mann<br />
sah wirklich interessant aus.<br />
Sie zwängte sich zwischen den Fahrgästen hindurch,<br />
und Georgette folgte ihr widerstrebend. Gerade<br />
als Livvy den jungen Mann erreichte, schwankte<br />
die Straßenbahn besonders heftig. Verzweifelt langte<br />
Livvy nach den Haltegriffen. Ihre Fingerspitzen berührten<br />
das Leder, und eine Sekunde lang verspürte<br />
sie das zwingende Gefühl, sich fallen zu lassen. Aber<br />
sie klammerte sich fest.<br />
<strong>Der</strong> junge Mann blickte sie nicht an. Er lächelte zu<br />
Georgette auf und erhob sich. Er hatte auffallende<br />
dunkle Augenbrauen, die ihm ein sehr selbstsicheres<br />
Aussehen verliehen. Livvy stellte fest, daß er ihr<br />
ausnehmend gut gefiel.<br />
»Bleiben Sie ruhig sitzen«, sagte Georgette. »Wir<br />
192
steigen ohnehin nach zwei Stationen aus.«<br />
Und das taten sie auch.<br />
»Ich dachte, wir wollten zu Sach’s gehen«, sagte<br />
Livvy.<br />
»Das tun wir auch. Ich muß nur rasch hier etwas<br />
erledigen. Es dauert nur eine Minute.«<br />
»Nächste Station Providence!« brüllte der Lautsprecher.<br />
<strong>Der</strong> Zug verlangsamte sich, und die Welt<br />
der Vergangenheit schrumpfte auf der Glastafel zusammen.<br />
<strong>Der</strong> kleine Mann lächelte Livvy und Norman<br />
noch immer an.<br />
Livvy wandte sich Norman zu. Sie hatte ein wenig<br />
Angst.<br />
»Hast du das auch alles gesehen?«<br />
»Wir können doch noch gar nicht in Providence<br />
sein!« Normanblickte auf seine Armbanduhr. »Aber<br />
es stimmt.« Dann sagte er zu Livvy: »Diesmal bist<br />
du nicht gefallen.«<br />
»Du hast es also gesehen?« Sie runzelte die Stirn.<br />
»Das sah Georgette ähnlich. Sie hatte keinen anderen<br />
Grund auszusteigen, als mich davon abzuhalten, deine<br />
Bekanntschaft zu machen. Wie lange hast du<br />
Georgette schon gekannt, Norman?«<br />
»Nicht sehr lange. Gerade lange genug, um sie zu<br />
erkennen und ihr den Platz anzubieten.«<br />
Livvy verzog die Lippen.<br />
»Du bist doch nicht eifersüchtig auf das, was hätte<br />
geschehen können? Außerdem, ich war so an dir interessiert,<br />
daß ich schon einen Weg gefunden hätte,<br />
dich kennenzulernen.«<br />
193
»Du hast mich ja gar nicht angesehen.«<br />
»Ich hatte ja kaum Gelegenheit dazu.«<br />
»Und wie hättest du es angestellt, mich zu treffen?«<br />
»Irgendwie. Ich weiß nicht. Aber du gibst doch zu,<br />
daß das ein ziemlich idiotischer Streit ist.«<br />
Sie verließen den Bahnhof von Providence. Livvy<br />
war besorgt. <strong>Der</strong> kleine Mann hatte ihrem geflüsterten<br />
Gespräch gelauscht, und sein erlöschendes Lächeln<br />
hatte ihr gezeigt, daß er alles verstanden hatte.<br />
Sie bat ihn: »Könnten Sie es uns noch einmal zeigen?«<br />
»Warte doch, Livvy«, unterbrach Norman sie.<br />
»Wozu denn?«<br />
»Ich will unseren Hochzeitstag sehen. Wie er gewesen<br />
wäre, wenn ich nicht gefallen wäre.«<br />
»Das ist unfair«, sagte Norman verärgert. »Wir<br />
hätten dann an einem anderen Tag geheiratet, das<br />
kannst du dir doch denken.«<br />
»Könnten Sie es mir zeigen, Mr. Wenn?« fragte<br />
Livvy, und der kleine Mann nickte.<br />
Die Glastafel erwachte wieder zu neuem Leben.<br />
Das Licht, das sich in ihr spiegelte, verdichtete sich<br />
zu Gestalten. Ein schwacher Klang von Orgelmusik<br />
war in Livvys Ohren.<br />
Norman sagte erleichtert: »Na, da bin ich ja. Unsere<br />
Hochzeit. Bist du nun zufrieden?«<br />
Die Klänge verstummten, und das letzte, was Livvy<br />
hörte, war ihre eigene Stimme.<br />
»Ja, da bist du. Aber wo bin ich7«<br />
194
Livvy saß auf einer der hinteren Kirchenbänke. Sie<br />
hatte eigentlich vorgehabt, die Trauung gar nicht zu<br />
besuchen. In den letzten Monaten hatte sie Georgette<br />
immer seltener gesehen, ohne zu wissen, warum. Sie<br />
hatte durch eine gemeinsame Freundin von ihrer<br />
Verlobung gehört, natürlich mit Norman. Sie konnte<br />
sich noch genau an den Tag erinnern, vor sechs Monaten,<br />
als sie ihn zum erstenmal in der Straßenbahn<br />
gesehen, als Georgette sie so schnell aus seinem Gesichtsfeld<br />
entfernt hatte. Seither war sie ihm bei verschiedenen<br />
Gelegenheiten begegnet, aber jedesmal<br />
hatte Georgette neben ihm gestanden, zwischen ihnen<br />
gestanden.<br />
Nun, es lag kein Grund zu Ressentiments vor. <strong>Der</strong><br />
Mann gehörte eben einer anderen. Georgette sah<br />
schöner aus, als sie eigentlich war. Und er sah geradezu<br />
wundervoll aus.<br />
Sie fühlte sich traurig und leer, so, als sei irgend<br />
etwas schiefgegangen, irgend etwas, das sie nicht<br />
genau zu umreißen wußte. Georgette, die langsam<br />
zwischen den Bänken hindurchschritt, schien sie<br />
nicht zu sehen, aber ihr Blick begegnete dem seinen,<br />
und sie lächelte ihn an. Livvy schien es, als würde er<br />
zurücklächeln.<br />
Sie hörte die Worte ganz deutlich.<br />
»So frage ich dich denn, Norman …«<br />
Das Rattern des Zuges kehrte zurück. Eine Frau ging<br />
schwankend den Gang entlang und trieb einen klei-<br />
195
nen Jungen vor sich her. Teenagergelächter klang<br />
schwach herüber. Ein Schaffner hastete vorbei.<br />
Livvy nahm alles ganz genau in sich auf. Sie saß<br />
da, mit hoch erhobenem Kopf. Die Bäume, die draußen<br />
vorbeiflogen, verschwammen zu einer einzigen<br />
grünen Masse, und die Telegraphendrähte tanzten<br />
bizarr.<br />
»Du hast sie geheiratet«, sagte sie.<br />
Er starrte sie sekundenlang an, und dann begann<br />
sein rechter Mundwinkel leicht zu zittern.<br />
»Aber doch nicht wirklich, Olivia«, sagte er vergnügt.<br />
»Du bist noch immer meine Frau, das weißt<br />
du doch.«<br />
Sie fuhr zu ihm herum.<br />
»Ja … du hast mich geheiratet, weil ich in deinen<br />
Schoß gefallen bin. Wenn ich das nicht getan hätte,<br />
dann wärst du jetzt mit Georgette verheiratet. Und<br />
wenn sie dich nicht gewollt hätte, hättest du irgendeine<br />
andere geheiratet. Irgendwer Du und dein Puzzle-Spiel!«<br />
»Verdammter Blödsinn!« sagte Norman sehr langsam.<br />
Er strich sich mit beiden Händen über den Kopf<br />
und glättete die Haare hinter seinen Ohren, die dort<br />
die fatale Tendenz hatten, immer leicht abzustehen.<br />
Er sah so aus, als wolle er seinen Kopf zusammenhalten.<br />
»Sieh mal, Livvy«, sagte er, »warum regst du<br />
dich über einen blöden Zaubertrick so auf? Du<br />
kannst mich doch nicht für irgend etwas verantwortlich<br />
machen, das ich gar nicht getan habe.«<br />
»Aber du hättest es getan.«<br />
196
»Wie kannst du das wissen?«<br />
»Du hast es doch gesehen.«<br />
»Ich habe eine lächerliche Spielerei von – sagen<br />
wir Hypnose gesehen.« Seine Stimme wurde immer<br />
lauter vor Zorn. Er fuhr zu dem kleinen Mann herum.<br />
»Hinaus mit Ihnen, Mr. Wenn, oder wie immer Sie<br />
auch heißen mögen. Verschwinden Sie, bevor ich Sie<br />
mitsamt Ihrer Trickkiste aus dem Fenster werfe.«<br />
Livvy hielt ihn am Ellbogen zurück.<br />
»Hör auf! Du bist doch in einem vollbesetzten<br />
Zug.«<br />
<strong>Der</strong> kleine Mann wich in die äußerste Ecke seines<br />
Sitzes zurück und versteckte seine schwarze Schachtel<br />
samt der Glastafel hinter dem Rücken. Norman<br />
sah ihn an, dann Livvy, dann die ältliche Dame, die<br />
auf der anderen Seite des Ganges saß und ihn mißbilligend<br />
musterte.<br />
Er lief rot an und unterdrückte eine vulgäre Bemerkung.<br />
In frostigem Schweigen fuhren sie durch<br />
New London. Fünf Minuten nach der Station sagte<br />
Norman: Livvy!«<br />
Sie sagte nichts, blickte aus dem Fenster, starrte<br />
das Glas an.<br />
Wieder drängte er: »Livvy, Livvy! So antworte<br />
doch!«<br />
»Was willst du?« fragte sie dumpf.<br />
»Sieh mal, Livvy, das ist doch alles Blödsinn. Ich<br />
weiß nicht, wie der Kerl das macht. Aber selbst,<br />
wenn es gesetzlich erlaubt ist, was er da treibt, so bist<br />
du unfair. Warum hast du dir das ›Was, wenn‹ denn<br />
197
nicht weiter ausgemalt? Angenommen, ich hätte<br />
Georgette geheiratet, so wärst du doch auch nicht<br />
allein geblieben. Vielleicht wärst du bei meiner<br />
Hochzeit schon verheiratet gewesen. Vielleicht habe<br />
ich deshalb Georgette genommen.«<br />
»Ich war nicht verheiratet.«<br />
»Wie kannst du das wissen?«<br />
»Ich hätte es genau wissen müssen. Ich wußte<br />
doch, was ich bei deiner Hochzeit dachte.«<br />
»Dann wärst du eben ein Jahr später verheiratet<br />
gewesen.«<br />
Livvy wurde zornig. <strong>Der</strong> Gedanke irgendwo im<br />
Hintergrund ihres Gehirns, daß ihre Wut ganz irrational<br />
war, beruhigte sie nicht, sondern stachelte ihren<br />
Zorn noch mehr an.<br />
»Und wenn ich geheiratet hätte! Das wäre ganz sicher<br />
nicht deine Angelegenheit gewesen«, zischte sie.<br />
»Oh, doch! Aber das Wesentliche ist doch, daß wir<br />
in der realen Welt nicht für das verantwortlich gemacht<br />
werden können, was wir getan hätten, wenn …«<br />
Livvys Nasenflügel bebten. Sie sagte nichts.<br />
»Sieh mal«, begann Norman wieder. »Kannst du<br />
dich an die Neujahrsparty bei Winnie letztes Jahr erinnern?«<br />
»Sicher. Du hast Wein über mein Kleid geschüttet.«<br />
»Darauf kommt es jetzt nicht an, abgesehen davon,<br />
daß es ein Cocktail war. Aber was ich sagen<br />
will – Winnie war doch schon jahrelang mit dir befreundet,<br />
schon lange bevor du mich geheiratet hast.«<br />
198
»Und?«<br />
»Auch Georgette ist eine gute Freundin von ihr,<br />
nicht wahr?«<br />
»Ja.«<br />
»Also gut. Du und Georgette, ihr wärt zu der Party<br />
gegangen, egal, welche von euch beiden ich geheiratet<br />
hätte. Ich hätte gar nichts damit zu tun gehabt. Er<br />
soll uns einmal die Party zeigen, wie sie verlaufen<br />
wäre, wenn ich Georgette geheiratet hätte, und ich<br />
wette, du bist mit deinem Mann oder Verlobten da.«<br />
Livvy zögerte. Sie war sich nicht mehr so sicher.<br />
»Hast du etwa Angst vor der Wahrheit?« fragte er.<br />
Das gab den Ausschlag. Wütend funkelte sie ihn an.<br />
»Keineswegs! Ich hoffe, daß ich verheiratet bin.<br />
Warum hätte ich mich denn ausgerechnet auf dich<br />
festlegen sollen? Und außerdem möchte ich gern sehen,<br />
wie du den Cocktail über Georgettes Kleid<br />
schüttest. Sie wird dir beide Ohren ausreißen, ich<br />
kenne sie. Vielleicht siehst du dann dein berühmtes<br />
Puzzle-Spiel etwas anders.« Sie blickte zornbebend<br />
vor sich hin und verschränkte die Arme vor der<br />
Brust.<br />
Norman sah zu dem kleinen Mann hinüber, aber es<br />
war nicht nötig, irgend etwas zu sagen. Die Glasplatte<br />
stand bereits wieder im Schoß des Mannes, die<br />
Sonne traf sie von Westen, und der weiße Haarkranz,<br />
der seinen Kopf umfloß, war in zartes Rosa getaucht.<br />
»Fertig?« fragte Norman angespannt. Livvy nickte,<br />
und die Geräusche des Zuges glitten davon.<br />
199
Livvy stand in der Tür. Ihr Gesicht war noch von der<br />
Kälte gerötet. Sie hatte gerade ihren Mantel mit den<br />
schmelzenden Schneeflocken abgelegt, und ihre bloßen<br />
Arme zitterten.<br />
Sie erwiderte die ›Frohes Neujahr‹-Rufe und erhob<br />
ihre Stimme, um die laute Musik zu übertönen. Das<br />
erste, was sie bei ihrem Eintritt vernommen hatte,<br />
war Georgettes schrilles Lachen gewesen, und jetzt<br />
stand sie ihr gegenüber. Sie hatte Georgette und<br />
Norman seit Wochen nicht mehr gesehen.<br />
Georgette hob eine Braue, eine Manier, die sie in<br />
letzter Zeit kultiviert hatte, und fragte: »Hast du niemanden<br />
mitgebracht, Olivia?« Ihre Blicke schweiften<br />
in der näheren Umgebung umher, um sich dann wieder<br />
auf Livvy zu heften.<br />
»Ich glaube, Dick wird etwas später nachkommen«,<br />
sagte Livvy. »Er muß noch etwas erledigen.«<br />
Sie spürte selbst, wie fadenscheinig das klang.<br />
Georgette lächelte süffisant.<br />
»Nun, Norman ist ja hier. Du wirst dich also nicht<br />
einsam fühlen, meine Liebe.«<br />
Norman schlenderte aus der Küche. Er hielt einen<br />
Cocktail-Shaker in der Hand, in dem Eiswürfel klirrten.<br />
»So, ihr fröhlichen Nachtschwärmer«, rief er, »jetzt<br />
werde ich euch etwas ganz Besonderes mixen … Ah,<br />
Livvy!«<br />
Grinsend ging er auf sie zu.<br />
»Wo versteckst du dich denn in letzter Zeit? Es<br />
scheint mir, als hätte ich dich schon seit zwanzig Jah-<br />
200
en nicht mehr gesehen. Was ist denn los? Will Dick<br />
dich vor der Männerwelt verbergen?«<br />
»Füll bitte mein Glas, Norman«, sagte Georgette<br />
spitz.<br />
»Sicher«, sagte er, ohne den Blick von Livvy zu<br />
wenden. »Willst du auch mittrinken, Livvy? Warte,<br />
ich hol dir ein Glas.« Er wandte sich ab, und da passierte<br />
es.<br />
»Paß auf!« schrie Livvy. Sie sah es kommen, hatte<br />
ein vages Gefühl, als sei das alles schon einmal passiert<br />
… Sein Schuhabsatz verfing sich im Teppichrand,<br />
er stolperte, suchte sein Gleichgewicht wiederzufinden,<br />
und der Cocktail-Shaker fiel ihm aus der<br />
Hand, und ein halber Liter eiskalter Alkohol tränkte<br />
Livvys Kleid von der Schulter bis zum Saum.<br />
Sie stand mit aufgerissenem Mund da. Die Partygeräusche<br />
verstummten. Hilflos sah Livvy an sich<br />
herunter, während Norman »Verdammt!« schrie.<br />
»Zu dumm, Livvy«, sagte Georgette kühl. »Aber<br />
das Kleid war sicher nicht besonders teuer.«<br />
Livvy drehte sich um und rannte davon, ins<br />
Schlafzimmer, das leer und verhältnismäßig ruhig<br />
war. Im Schein der fransenbehangenen Schirmlampe<br />
auf dem Frisiertisch suchte sie nach ihrem Mantel,<br />
der zwischen vielen anderen auf dem Bett lag.<br />
Norman war ihr gefolgt.<br />
»Hör doch nicht auf sie, Livvy. Es tut mir wirklich<br />
schrecklich leid. Ich werde es bezahlen …«<br />
»Ist schon gut. Du hast es ja nicht absichtlich getan.«<br />
Sie sah ihn nicht an. »Ich fahre nach Hause und<br />
201
ziehe mich um.«<br />
»Kommst du wieder zurück?«<br />
»Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht.«<br />
»Livvy …« Seine warmen Hände lagen auf ihrer<br />
Schulter. Ein seltsames, heißes Gefühl durchflutete<br />
Livvy, und …<br />
… und das Rattern des Zuges drang wieder in ihr<br />
Ohr.<br />
Irgend etwas mit der Zeit schien nicht zu stimmen.<br />
War sie so lange da drin in der Glastafel gewesen?<br />
Dämmerung lag vor dem Zugfenster. Die Lampen<br />
brannten. Aber das war ihr alles gleichgültig. Langsam<br />
erholte sie sich von dem brennenden Gefühl in<br />
ihrem Innern.<br />
Norman rieb sich die Augen.<br />
»Was ist denn passiert?«<br />
»Es ist soeben zu Ende gegangen, ganz plötzlich«,<br />
sage Livvy.<br />
»Wir werden bald in New Haven sein«, sage<br />
Norman unbehaglich. Er blickte auf seine Armbanduhr<br />
und schüttelte den Kopf.<br />
»Du hast den Cocktail über mein Kleid geschüttet«,<br />
sagte Livvy verwundert.<br />
»Wie im wirklichen Leben.«<br />
»Aber im wirklichen Leben war ich deine Frau.<br />
Diesmal hättest du den Cocktail auf Georgettes Kleid<br />
gießen müssen. Ist das nicht merkwürdig?« Sie dachte<br />
daran, wie Norman ihr gefolgt war. Seine Hände<br />
auf ihren Schultern …<br />
202
Sie blickte zu ihm auf und sagte mit zufriedenem<br />
Lächeln: »Ich war nicht verheiratet.«<br />
»Nein. Aber war das Dick Reinhardt, mit dem du<br />
befreundet warst?«<br />
»Ja.«<br />
»Hattest du vor, ihn zu heiraten, Livvy?«<br />
»Bist du eifersüchtig, Norman?«<br />
Norman blinzelte verwirrt.<br />
»Darauf? Auf eine Glastafel? Natürlich nicht.«<br />
»Ich glaube nicht, daß ich ihn geheiratet hätte.«<br />
»Weißt du, ich habe nicht gewollt, daß es schon<br />
aufhört. Ich glaube, da hätte noch irgend etwas geschehen<br />
müssen.« Er machte eine Pause, dann fügte<br />
er langsam hinzu: »Es war so, als hätte ich alles um<br />
mich vergessen …«<br />
»Auch Georgette?«<br />
»Ich habe keinen einzigen Gedanken an Georgette<br />
verschwendet. Aber das glaubst du mir vielleicht<br />
nicht.«<br />
»Vielleicht doch.« Sie sah ihm in die Augen. »Ich<br />
war sehr dumm, Norman. Wir wollen – unser wirkliches<br />
Leben leben. Spielen wir nicht mit Ereignissen<br />
herum, die hätten geschehen können, wenn …«<br />
Aber er griff nach ihrer Hand.<br />
»Nur noch ein einziges Mal, Livvy. Wir wollen<br />
sehen, was wir in diesem Augenblick getan hätten. In<br />
dieser Minute! Wenn ich Georgette geheiratet hätte.«<br />
Livvy erschrak ein bißchen.<br />
»Lieber nicht, Norman.« Sie dachte an seine Augen,<br />
die sie so verlangend angesehen hatten, als er<br />
203
neben ihr gestanden hatte, den Cocktail in der Hand.<br />
Georgette hatte er gar nicht beachtet. Sie wollte nicht<br />
wissen, was danach geschah. Sie wollte nichts anderes<br />
kennen als ihr wirkliches, wunderschönes Leben.<br />
New Haven zog vorbei.<br />
»Ich will es versuchen, Livvy«, sagte Norman.<br />
»Wenn du willst, Norman.« Sie entschied mit wilder<br />
Entschlossenheit, daß es keine Rolle spielen<br />
würde. Ihre Hand umklammerte seinen Arm, und sie<br />
dachte: »Kein ›Was, wenn‹ auf der ganzen Welt<br />
kann mich von ihm trennen.«<br />
»Könnten wir es noch einmal sehen?« fragte Norman<br />
den kleinen Mann.<br />
Im Schein des gelben Lichtes dauerte es etwas<br />
länger. Sanft klärte sich die milchige Glasscheibe,<br />
wie wenn ein milder Wind Wolken zerteilte.<br />
»Da stimmt irgend etwas nicht«, sagte Norman.<br />
»Das sind ja wir beide, wie wir hier sitzen.«<br />
Er hatte recht. Zwei kleine Gestalten saßen in einem<br />
Zug in Fahrtrichtung. Das Feld wurde größer –<br />
sie tauchten hinein. Normans Stimme verhallte.<br />
»Es ist derselbe Zug«, sagte er. »Das Fenster da<br />
hat genau denselben Sprung …«<br />
Livvy war irrsinnig glücklich.<br />
»Ich wollte, wir wären schon in New York«, sagte<br />
sie.<br />
»Es dauert nur mehr eine knappe Stunde, Liebling«,<br />
sagte er. »Gib mir einen Kuß.« Er beugte sich<br />
über sie.<br />
204
»Nicht hier, Norman! Die Leute--«<br />
Norman lehnte sich zurück. Er sagte: »Wir hätten<br />
uns ein Taxi nehmen sollen.«<br />
»Von Boston nach New York?«<br />
»Sicher. Das wäre mir das Alleinsein mit dir wert<br />
gewesen.«<br />
Sie lachte.<br />
»Du bist wirklich komisch, wenn du versuchst,<br />
den glühenden Liebhaber zu spielen.«<br />
»Ich spiele nicht.« Seine Stimme klang plötzlich<br />
ernst.<br />
»Immerhin habe ich fünf Jahre auf diesen Augenblick<br />
gewartet.«<br />
»Ich auch.«<br />
»Warum nur habe ich dich nicht zuerst getroffen,<br />
vor Georgette? So eine Zeitverschwendung!«<br />
»Die arme Georgette«, seufzte Livvy.<br />
Norman machte eine ungeduldige Handbewegung.<br />
»Mach dir keine Sorgen um sie, Livvy. Wir sind<br />
nie sonderlich gut miteinander ausgekommen. Sie ist<br />
froh, mich los zu sein.«<br />
»Ich weiß. Deshalb sage ich ja ›arme Georgettes<br />
Sie tut mir leid, weil sie nicht imstande war, ihr<br />
Glück zu würdigen.«<br />
»Nun, ich hoffe, du kannst es wenigstens halb so<br />
würdigen, wie ich es tue.«<br />
»Würdest du dich sonst auch von ihr scheiden lassen?«<br />
»Nur über meine Leiche«, sagte Norman.<br />
»Es ist alles so sonderbar. Ich muß immer denken,<br />
205
was wäre wohl geschehen, wenn du damals auf der<br />
Party nicht den Cocktail über mein Kleid gegossen<br />
hättest. Du wärst mir nicht nachgegangen, du hättest<br />
es mir nicht gesagt, ich hätte es nicht gewußt. Alles<br />
wäre ganz anders gekommen – alles.«<br />
»Unsinn. Es wäre alles ganz genauso gekommen.<br />
Es wäre eben ein anderes Mal passiert.«<br />
»Ich weiß nicht«, sagte Livvy sanft.<br />
Das Rattern des Zuges drang wieder in ihr Bewußtsein.<br />
Die Lichter der Großstadt flackerten vor den Fenstern.<br />
Auf dem Gang drängten sich die Fahrgäste und schoben<br />
ihr Gepäck vor sich her. Livvy saß starr wie ein<br />
Fels in der Brandung, bis Norman sie schüttelte.<br />
Sie sah ihn an und sagte: »Die Puzzle-Spiel-<br />
Teilchen passen doch zusammen.«<br />
»Ja.«<br />
Sie legte ihre Hand auf die seine.<br />
»Ich habe einen großen Fehler gemacht. Ich dachte,<br />
weil wir einander gehören, müßten auch alle<br />
›Was, wenns‹, die der eine vom anderen nur denken<br />
kann, genauso dazu gehören.<br />
Aber diese Möglichkeiten gehen uns nichts an. Die<br />
Wirklichkeit genügt vollkommen. Verstehst du, was<br />
ich meine?«<br />
Er nickte.<br />
»Es gibt Millionen von ›Was, wenns‹ auf der<br />
Welt. Ich will nie mehr wissen, was passiert wäre,<br />
wenn … Ich werde nie mehr sagen: »Was wäre,<br />
wenn‹ …«<br />
206
»Beruhige dich jetzt, mein Liebes«, sagte Norman.<br />
»Da ist dein Mantel.« Er griff nach den Koffern.<br />
»Wo ist Mr. Wenn?« fragte Livvy plötzlich.<br />
Langsam wandte sich Norman dem leeren Sitz zu.<br />
Beide blickten sich im Wagen um.<br />
»Vielleicht ist er in den nächsten Wagen gegangen.«<br />
»Aber warum? Da hätte er doch seinen Hut nicht<br />
liegen lassen.« Sie bückte sich und griff nach dem<br />
Hut.<br />
»Welchen Hut?« fragte Norman.<br />
Livvys Finger griffen ins Leere.<br />
»Er war hier – beinahe hätte ich ihn berührt.« Sie<br />
richtete sich auf. »Oh, Norman, was wäre denn,<br />
wenn …«<br />
Norman legte einen Finger auf ihren Mund.<br />
»Liebling …«<br />
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Komm, ich helfe dir<br />
mit dem Gepäck.«<br />
<strong>Der</strong> Zug tauchte in den Tunnel unterhalb der Park<br />
Avenue, und das Rattern der Räder wuchs zu einem<br />
Dröhnen an.<br />
207
<strong>Der</strong> Außenseiter<br />
Im Frühjahr 1967 trat man mit einer interessanten<br />
Bitte an mich heran.<br />
Es gibt eine Zeitschrift namens ›Abbottempo‹, die<br />
von den Abbott-Laboratorien, einer angesehenen<br />
pharmazeutischen Firma unterstützt wird. Die sehr<br />
sorgfältig gemachte, auf Kunstdruckpapier gedruckte<br />
Zeitschrift enthält exzellente Artikel über die verschiedensten<br />
medizinischen oder beinahe medizinischen<br />
Themen. Sie wird in den Niederlanden gedruckt<br />
und wird kostenlos an alle Ärzte des europäischen<br />
Kontinents verschickt. In den Vereinigten<br />
Staaten erscheint sie nicht.<br />
<strong>Der</strong> Herausgeber von ›Abbottempo‹ ersuchte<br />
mich, eine Science-Fiction-Erzählung über ein medizinisches<br />
Thema zu schreiben, das Mediziner interessieren,<br />
amüsieren und zum Nachdenken anregen<br />
würde. Die Geschichte sollte etwa 2 000 Wörter enthalten.<br />
Ich war wie stets mit Arbeit überhäuft. Also seufzte<br />
ich, spannte ein Blatt Papier in meine Schreibmaschine<br />
ein und wollte das Angebot höflich ablehnen.<br />
Unglücklicherweise oder glücklicherweise kostete<br />
es sehr viel Zeit, das Briefpapier mit Durchschlag<br />
und Kohlepapier dazwischen einzuspannen, die Blätter<br />
gerade zu rücken, das Datum, die Adresse und<br />
die Anrede zu tippen.<br />
In all der Zeit fiel mir eine Geschichte ein, und ich<br />
208
konnte einfach nicht mehr widerstehen. Nachdem ich<br />
also das ›sehr geehrter Herr‹ getippt hatte, ertappte<br />
ich mich dabei, wie ich höflich und hocherfreut zustimmte,<br />
die gewünschte Erzählung zu schreiben.<br />
Ich schrieb den ›Außenseiter‹ im April 1967. Das<br />
Thema ist ein echtes Science-Fiction-Thema. Die Erzählung<br />
erschien im Dezember 1967. Das netteste<br />
Resultat der Veröffentlichung von dieser Erzählung<br />
war eine Kassette, die mir ›Abbottempo‹ schickte. Sie<br />
enthält alle acht Ausgaben, in denen die Erzählung<br />
erschienen war, und zwar in englisch, französisch,<br />
spanisch, deutsch, italienisch, japanisch, griechisch<br />
und türkisch. Noch nie zuvor war eine meiner Erzählungen<br />
ins Griechische und Türkische übersetzt worden,<br />
und so bildet diese Kassette eine Kuriosität in<br />
meiner <strong>Asimov</strong>-Bibliothek.<br />
<strong>Der</strong> Chirurg blickte ausdruckslos auf.<br />
»Ist er bereit?«<br />
»Wie man's nimmt«, erwiderte der medizinischtechnische<br />
Assistent. »Wir sind bereit. Er ist sehr<br />
nervös.«<br />
»Das sind sie immer … Nun, es ist eine sehr<br />
schwierige Operation.«<br />
»Schwierig oder nicht, er sollte dankbar sein. Er<br />
ist aus einer großen Zahl von möglichen Anwärtern<br />
ausgewählt worden, und, offen gesagt, ich glaube<br />
nicht …«<br />
»Sagen Sie nichts«, unterbrach ihn der Chirurg.<br />
»Die Entscheidung liegt nicht bei uns.«<br />
<strong>209</strong>
»Wir haben sie akzeptiert. Aber müssen wir auch<br />
zustimmen?«<br />
»Ja«, sagte der Chirurg lebhaft. »Wir müssen zustimmen,<br />
und zwar aus ganzem Herzen. Die Operation<br />
ist wirklich zu kompliziert, als daß wir mit irgendwelchen<br />
Vorbehalten an sie herangehen. Dieser<br />
Mann hat seine Eignung auf vielerlei Arten bewiesen,<br />
und er ist für die Sterblichkeitsbehörde genau<br />
der richtige.«<br />
»Also gut«, sagte der Assistent ohne Überzeugung.<br />
»Ich werde ihn gleich hier sehen«, sagte der Chirurg.<br />
»Hier ist es sehr persönlich und behaglich.«<br />
»Das wird nichts nützen. Er hat bereits einen Entschluß<br />
gefaßt.«<br />
»Tatsächlich?«<br />
»Ja. Er will Metall. Das wollen sie immer.«<br />
Das Gesicht des Chirurgen war nach wie vor ausdruckslos.<br />
Er blickte auf seine Hände.<br />
»Manchmal kann man es ihnen ausreden.«<br />
»Warum?«, fragte der medizinisch-technische Assistent<br />
gleichgültig. »Wenn er Metall will, soll er<br />
Metall haben.«<br />
»Das macht Ihnen gar nichts aus?«<br />
»Warum sollte es mir etwas ausmachen?« erwiderte<br />
der Assistent fast brutal. »Es handelt sich um ein<br />
medizinisch-technisches Problem, und ich bin medizinisch-technischer<br />
Assistent. Ich werde schon damit<br />
fertig werden. Warum soll ich mir darüber hinaus<br />
noch Sorgen machen?«<br />
210
»Für mich geht es um die Wahl der richtigen Mittel«,<br />
beharrte der Chirurg.<br />
»Die richtigen Mittel! So können Sie nicht argumentieren.<br />
Glauben Sie, daß der Patient sich über die Wahl<br />
der richtigen Mittel Gedanken macht?«<br />
»Aber ich mache mir Gedanken darüber.«<br />
»Damit stehen Sie ziemlich allein auf weiter Hur.<br />
<strong>Der</strong> Trend ist gegen Sie. Sie haben keine Chance.«<br />
»Ich muß es versuchen.« Mit einer raschen Handbewegung<br />
brachte der Chirurg den Assistenten zum<br />
Schweigen. Es lag keine Ungeduld in dieser Bewegung,<br />
nur Eile. Er hatte die Schwester schon informiert<br />
und wußte, daß sie bereit war. Er drückte auf<br />
einen kleinen Knopf, und die Doppeltür wich zur<br />
Seite. <strong>Der</strong> Patient fuhr in seinem Rollstuhl herein.<br />
Mit lebhaften Schritten folgte ihm die Schwester.<br />
»Sie können gehen, Schwester«, sagte der Chirurg.<br />
»Aber warten Sie draußen. Ich werde Sie rufen,<br />
wenn ich Sie brauche.« Er nickte dem medizinischtechnischen<br />
Assistenten zu, der mit der Schwester<br />
den Raum verließ. Die Tür schloß sich hinter ihnen.<br />
<strong>Der</strong> Mann in dem Rollstuhl bückte über seine<br />
Schulter und sah zu, wie die beiden hinausgingen. Er<br />
hatte einen dünnen, schlaffen Hals, und ein Netz von<br />
Falten zog sich um seine Augen. Er war frisch rasiert,<br />
und seine Finger, die sich fest um die Armlehnen<br />
des Rollstuhls klammerten, zeigte frisch manikürte<br />
Nägel. Er war Patient erster Klasse, und man<br />
behandelte ihn sehr zuvorkommend … Aber sein<br />
211
Gesichtsausdruck war mürrisch.<br />
»Fangen wir heute an?« fragte er.<br />
<strong>Der</strong> Chirurg nickte.<br />
»Heute nachmittag, Senator.«<br />
»Es soll doch einige Wochen dauern, nicht wahr?«<br />
»Nicht die Operation selbst, Senator. Aber wir<br />
müssen uns auch noch um einige Begleiterscheinungen<br />
kümmern. <strong>Der</strong> Kreislauf muß erneuert werden,<br />
ebenso muß der hormonelle Haushalt neu angepaßt<br />
werden. Das ist alles ziemlich kompliziert.«<br />
»Ist es gefährlich?« Dann schien er die Notwendigkeit<br />
zu spüren, eine freundliche Atmosphäre zu<br />
schaffen, und setzte, allerdings offensichtlich gegen<br />
seinen Willen, hinzu: »Doktor?«<br />
<strong>Der</strong> Chirurg schenkte den Bemühungen seines Patienten<br />
keine Aufmerksamkeit und sagte schlicht:<br />
»Alles ist gefährlich. Wir versuchen, die Gefahr<br />
möglichst auszuschalten. Die Zeit, die das kostet, das<br />
Zusammenwirken so vieler verschiedener Kräfte, die<br />
Instrumente, all das bewirkt, daß diese Operation nur<br />
an sehr wenigen Patienten durchzuführen ist …«<br />
»Ich weiß das«, sagte der Senator nervös. »Aber<br />
ich lehne es ab, mich deswegen schuldig zu fühlen.<br />
Oder wollen Sie mich unter Druck setzen?«<br />
»Keineswegs, Senator. Die Entscheidungen der<br />
Behörde sind nie in Frage gestellt worden. Ich erwähne<br />
die Schwierigkeit der Operation nur, um meinen<br />
Wunsch zum Ausdruck zu bringen, daß sie unter<br />
den bestmöglichen Bedingungen abläuft.«<br />
»Das ist auch mein Wunsch.«<br />
212
»Dann muß ich Sie bitten, eine Entscheidung zu<br />
treffen. Wir können Ihnen zwei Arten von Kyber-<br />
Herzen einpflanzen. Metall oder …«<br />
»Plastik!« sagte der Patient gereizt. »Diese Alternative<br />
wollen Sie mir doch anbieten, Doktor? Billiges<br />
Plastik. Das will ich nicht. Ich habe meine Wahl<br />
bereits getroffen. Ich will Metall.«<br />
»Aber …«<br />
»Hören Sie, es wurde mir doch gesagt, daß die<br />
Entscheidung bei mir liegt, nicht wahr?«<br />
<strong>Der</strong> Chirurg nickte.<br />
»Wenn es zwei Möglichkeiten gibt, die vom medizinischen<br />
Standpunkt gleichwertig sind, so liegt die<br />
Entscheidung beim Patienten. In der Praxis liegt die<br />
Entscheidung sogar dann beim Patienten, wenn die<br />
beiden Möglichkeiten nicht gleichwertig sind wie in<br />
diesem Fall.«<br />
Die Augen des Patienten verengten sich.<br />
»Wollen Sie mir etwa weismachen, daß ein Plastikherz<br />
besser ist?«<br />
»Das hängt vom Patienten ab. Meiner Meinung<br />
nach ist in Ihrem individuellen Fall ein Plastikherz<br />
tatsächlich besser. Es ist ein faseriges Kyber-Herz.«<br />
»Soweit ich orientiert bin, ist es ein Plastikherz.«<br />
»Senator«, sagte der Chirurg geduldig, »das Material<br />
ist nicht Plastik im üblichen Sinn des Wortes.<br />
Sicher, es handelt sich um ein polymeres Material,<br />
aber es ist viel komplexer als gewöhnliches Plastik.<br />
Es ist eine komplexe proteinähnliche Faser, die so<br />
entwickelt wurde, daß sie die natürliche Struktur des<br />
213
menschlichen Herzens, das in Ihrer Brust schlägt,<br />
möglichst genau imitiert.«<br />
»Genau. Und das menschliche Herz in meiner<br />
Brust ist alt und abgenutzt, obwohl ich noch nicht<br />
einmal sechzig Jahre alt bin. Ein solches Herz will<br />
ich nicht mehr. Ich will etwas Besseres.«<br />
»Wir alle wollen das Beste für Sie, Senator. Das<br />
faserige Kyber-Herz ist besser als das Metallherz. Es<br />
hat eine potentielle Lebensdauer von Jahrhunderten.<br />
Es ist absolut unallergisch …«<br />
»Und das Metallherz nicht?«<br />
»Doch«, erwiderte der Chirurg. »Das Metallherz<br />
ist aus einer Titan-Legierung, die …«<br />
»Und es nützt sich nicht ab? Es ist stärker als Plastik<br />
oder jede andere beliebige Faser?«<br />
»Das Metall ist physikalisch stärker, ja. Aber mechanische<br />
Stärke ist nicht das Wesentliche. Die mechanische<br />
Stärke bringt Ihnen keinen besonderen<br />
Vorteil, da das Herz gut geschützt ist. Wenn irgend<br />
etwas an das Herz herankommt, so wird es Sie aus<br />
andern Gründen töten, auch wenn das Herz selbst der<br />
Berührung standhält.«<br />
<strong>Der</strong> Patient zuckte mit den Schultern.<br />
»Wenn ich mir jemals eine Rippe brechen sollte,<br />
so werde ich sie auch durch eine Titan-Rippe ersetzen<br />
lassen. Neue Knochen einzupflanzen, ist leicht.<br />
Das kann man bei jedem Menschen zu jeder Zeit<br />
machen. Ich will aus so viel Metall bestehen, wie es<br />
mir gefällt, Doktor.«<br />
»Das ist ihr gutes Recht. Aber wie dem auch sei,<br />
214
es ist meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen,<br />
daß ein Metallherz zwar noch nie aus mechanischen<br />
Gründen zerstört wurde, aber aus elektronischen.«<br />
»Was bedeutet das?«<br />
»Es bedeutet, daß jedes Kyber-Herz einen Schrittmacher<br />
als Teil seiner Struktur enthält. Beim Metallherzen<br />
ist dies eine Vorrichtung, die das Metall im<br />
Rhythmus hält. Es handelt sich um eine Batterie, die<br />
die Herzschläge je nach den Gefühlen des betreffenden<br />
Menschen und nach seinem physischen Zustand<br />
verändert. Gelegentlich ist in dieser Beziehung schon<br />
einiges schiefgegangen, und die Patienten starben,<br />
bevor der Fehler korrigiert werden konnte.«<br />
»Davon habe ich noch nie gehört.«<br />
»Ich versichere Ihnen, daß es passiert ist.«<br />
»Wollen Sie mir erzählen, daß es schon oft passiert<br />
ist?«<br />
»Das nicht. Es kommt sehr selten vor.«<br />
»Nun, dann werde ich meine Chancen wahren.<br />
Wie ist es beim Plastikherz? Hat das keinen Schrittmacher?«<br />
»Natürlich hat es einen, Senator. Aber die chemische<br />
Struktur eines faserigen Kyber-Herzens nähert<br />
sich sehr stark der Struktur des menschlichen Herzens.<br />
Es kann mit den ionisierenden und hormonellen<br />
Vorgängen im Körper korrespondieren. <strong>Der</strong> gesamte<br />
Komplex, der eingesetzt werden muß, funktioniert<br />
viel einfacher, als das beim Metallherzen der Fall ist.«<br />
»Aber entzieht sich das Plastikherz nicht manch-<br />
215
mal der hormonellen Kontrolle?«<br />
»Bis jetzt ist das noch nie vorgekommen.«<br />
»Weil Sie noch nicht lange genug damit gearbeitet<br />
haben. Ist es nicht so?«<br />
<strong>Der</strong> Chirurg zögerte.<br />
»Es stimmt, daß die faserigen Kyber-Herzen noch<br />
nicht so lange verwendet werden wie die Metallherzen.«<br />
»Eben. Was wollen Sie also, Doktor? Haben Sie<br />
Angst, daß ich mich in einen Roboter verwandle – in<br />
einen Metallo, wie man sie nennt, seit sie die Bürgerrechte<br />
erhalten haben?«<br />
»Es ist nichts Schlimmes, ein Metallo zu sein. Wie<br />
gesagt, sie haben die Bürgerrechte. Aber Sie sind ein<br />
Mensch. Warum wollen Sie nicht ein Mensch bleiben?«<br />
»Weil ich das Beste haben will, und das Beste ist<br />
ein Metallherz. Also handeln Sie danach.«<br />
<strong>Der</strong> Chirurg nickte.<br />
»Wie Sie wünschen. Sie werden jetzt bitte die nötigen<br />
Formulare unterzeichnen, und dann werden Sie<br />
Ihr Metallherz bekommen.«<br />
»Werden Sie der verantwortliche Chirurg sein?<br />
Man hat mir gesagt, Sie seien der beste.«<br />
»Ich will tun, was ich kann.«<br />
Die Tür öffnete sich, und der Stuhl mit dem Patienten<br />
rollte hinaus zu der wartenden Schwester.<br />
<strong>Der</strong> medizinisch-technische Assistent trat ein und<br />
blickte dem Patienten nach, bis sich die Tür hinter ihm<br />
216
geschlossen hatte. Er wandte sich dem Chirurgen zu.<br />
»Wie hat er sich entschieden?«<br />
<strong>Der</strong> Chirurg beugte sich über seinen Schreibtisch,<br />
fügt in die Akten des Patienten einige Notizen ein.<br />
»Wie Sie es vorausgesagt haben. Er will ein Metallherz.«<br />
»Letzten Endes sind die Metallherzen ja auch besser.«<br />
»Nicht unbedingt. Sie sind nur länger in Gebrauch.<br />
Es ist eine Plage für die Menschheit, daß diese Metallos<br />
jemals das Bürgerrecht erhalten haben. Die<br />
Menschen hegen den merkwürdigen Wunsch, sich in<br />
Metallos zu verwandeln, nur um der physischen<br />
Stärke und Dauerhaftigkeit willen.«<br />
»Man darf es nicht so einseitig betrachten, Doktor.<br />
Sie haben noch nicht mit Metallos gearbeitet, aber<br />
ich. Die letzten zwei, die zur Reparatur zu uns kamen,<br />
fragten nach Fasermaterialien.«<br />
»Haben sie sie bekommen?«<br />
»In einem Fall ging es nur um die Erneuerung von<br />
Sehnen. Da macht es keinen großen Unterschied, ob<br />
man Metall oder eine Faser verwendet. <strong>Der</strong> andere<br />
wollte ein Blutsystem oder ein Äquivalent dazu. Ich<br />
sagte ihm, daß das nicht möglich sei. Nicht, ohne daß<br />
sein ganzer Körper in eine Faserstruktur umgewandelt<br />
würde. Ich nehme an, eines Tages wird es dazu<br />
kommen. Metallos, die keine wirklichen Metallos<br />
mehr sind, sondern eine Art von Fleisch und Blut.«<br />
»Stört Sie dieser Gedanke nicht?«<br />
»Warum? Wir haben zwei Arten von Intelligenz-<br />
217
wesen auf der Erde. Wenn sie sich immer mehr einander<br />
angleichen, werden wir bald keinen Unterschied<br />
mehr sehen. Warum sollten wir auch? Wir werden<br />
alle Vorteile genießen, die eine Menschenwelt, kombiniert<br />
mit einer Roboterwelt für uns bedeutet.«<br />
»Sie sind hybrid«, sagte der Chirurg, und er schien<br />
beinahe Zorn zu empfinden. »Es wird weder eine<br />
Menschenwelt noch eine Roboterwelt mehr geben.<br />
Glauben Sie nicht, daß ein Individuum zu stolz auf<br />
seine Struktur und seine Identität ist, um sie mit etwas<br />
Fremden zu verdünnen? Wird es sich selbst zum<br />
Bastard machen wollen?«<br />
»Sie reden wie ein Außenseiter.«<br />
»Meinetwegen«, erwiderte der Chirurg mit gedämpfter<br />
Emphase. »Ich glaube an die Besonderheit<br />
des einzelnen. Nichts könnte mich veranlassen, ein<br />
Stück von mir gegen ein fremdes auszutauschen. Und<br />
wenn es doch irgendwann einmal nötig sein sollte,<br />
einen Teil von mir zu ersetzen, so werde ich ein Material<br />
wählen, das meiner Körperstruktur möglichst<br />
gleicht. Ich bin ich selbst, und ich bin sehr zufrieden<br />
mit mir. Ich will niemand anderer sein als ich selbst.«<br />
Er mußte sich auf die Operation vorbereiten. Er<br />
steckte seine starken Hände in den erhitzten Ofen,<br />
berührte die Glut, um sie zu sterilisieren. Trotz seiner<br />
leidenschaftlichen Rede hatte sich seine Stimme nie<br />
erhoben, und auf seinem leuchtenden Metallgesicht<br />
zeigt sich (wie immer) keinerlei Ausdruck.<br />
ENDE<br />
218
Als nächstes TERRA-Taschenbuch erscheint:<br />
Die Rebellen von Terra<br />
von Andre Norton<br />
Menschen der Erde im Kampf auf fernen Welten<br />
Terranische Soldaten auf fremden Welten<br />
Schon bei ihrem ersten Kontakt mit anderen Sternenvölkern<br />
erweisen sich die Terraner, die Bewohner<br />
eines kleinen, unbedeutenden Sonnensystems am<br />
Rande der Milchstraße, als äußerst kühn, wagemutig<br />
und ehrgeizig.<br />
Die zentrale Kontrollbehörde der Galaktischen<br />
Föderation entscheidet daher, daß die Terraner eine<br />
potentielle Gefahr für die Föderation der Sternenvölker<br />
darstellen. Und so wird ein Langzeitplan entwickelt,<br />
der die Terraner zum Militärdienst auf fremden<br />
Welten verpflichtet, um sie zu schwächen und zu dezimieren.<br />
Aber auch die Menschen der Erde haben ihren<br />
Langzeitplan entwickelt – er hat die Freiheit der<br />
Sternenwege zum Ziel.<br />
Ein Roman aus dem 40. Jahrhundert.<br />
Terra-Taschenbuch Nr. 210 in Kürze überall im Zeitschriften-<br />
und Bahnhofsbuchhandel erhältlich. Preis<br />
DM 2,80.<br />
219