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TTB 209 - Asimov, Isaac - Der Todeskanal - oompoop

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ISAAC ASIMOV<br />

DER TODESKANAL<br />

ERICH PABEL VERLAG KG • RASTATT/BADEN


Titel des Originals:<br />

NIGHTFALL – 2. Teil<br />

Aus dem Amerikanischen übertragen<br />

von Dr. E. Sander<br />

INHALT<br />

Die Experimentatoren (Breeds there a Man?)<br />

<strong>Der</strong> <strong>Todeskanal</strong> (C-Chute)<br />

Die Geschichte eines Helden (In a good Cause …)<br />

Was, wenn … (What if …)<br />

<strong>Der</strong> Außenseiter (Segregationist)<br />

TERRA-Taschenbuch Nr. <strong>209</strong><br />

TERRA-Taschenbuch erscheint vierzehntäglich im<br />

Erich Pabel Verlag KG, 7550 Rastatt, Pabelhaus<br />

Copyright © 1969 by <strong>Isaac</strong> <strong>Asimov</strong><br />

Titelbild: Rita Mühlbauer, Hanno Rink<br />

Redaktion: G. M. Schelwokat<br />

Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG<br />

Gesamtherstellung: Zettler, Schwabmünchen<br />

Einzelpreis: 2,80 DM (inkl. 5,5% MWST)<br />

Verantwortlich für die Herausgabe in Österreich: Waldbaur Vertrieb,<br />

A-5020 Salzburg,<br />

Franz-Josef-Straße 21<br />

Printed in Germany April 1973<br />

Scan by Brrazo 10/2007


DIE EXPERIMENTATOREN<br />

Als man 1945 die erste Atombombe abwarf, stieg die<br />

Science-Fiction in der Achtung der Leser. Nach dem<br />

Schrecken von Hiroshima konnte jeder sehen, daß<br />

die Science-Fiction-Autoren keine Phantasten oder<br />

Aufschneider sind und daß viele Themen dieser Literaturgattung<br />

ab jetzt täglich in den Leitartikeln der<br />

Zeitungen auftauchten.<br />

Ich nehme an, sowohl die Science-Fiction-Autoren<br />

als auch ihre Leser waren im großen und ganzen zufrieden<br />

– nicht mit der Wirkung der Atombombe an<br />

sich, sondern mit der Tatsache, daß die Science-<br />

Fiction-Phantasien nun Wirklichkeit geworden waren.<br />

Ich selbst wußte nicht so recht, was ich denken<br />

sollte. Abgesehen von den erschreckenden Aspekten<br />

der Nuklearexplosionen und dem leicht irrationalen<br />

Gefühl, daß solche Dinge wie Atombomben uns und<br />

nicht der realen Welt gehören, befürchtete ich auch,<br />

daß die Wirklichkeit die Science-Fiction-Literatur<br />

lächerlich machen könnte.<br />

Und ich glaube, bis zu einem gewissen Grad war<br />

das auch der Fall. In dieser neuen Realität lag eine<br />

Tendenz, die die Science-Fiction-Autoren festnagelte.<br />

Vor 1945 konnte sich die Science-Fiction-Literatur<br />

frei entfalten. Alle Themen und Handlungen entsprangen<br />

dem Reich der Phantasie, und wir konnten<br />

schreiben, was uns gefiel. Nach 1945 entstand die<br />

5


Notwendigkeit, über die Atombombe zu reden und<br />

den vorher unbegrenzten Spielraum unserer Gedanken<br />

dem anzupassen, was nun zur Realität geworden<br />

war.<br />

Tatsächlich wurde damals etwas Neues geboren,<br />

das ich »Tomorrow-Fiction« nennen möchte. Die<br />

Science-Fiction-Erzählung ist jetzt nicht aktueller als<br />

die Schlagzeilen von morgen.<br />

Glauben Sie mir, es gibt nichts Langweiligeres als<br />

Schlagzeilen von morgen in der Science-Fiction-<br />

Literatur. Denken Sie zum Beispiel an Nevil Shutes<br />

Erzählung »Am Strand«. Dem Science-Fiction-Fan<br />

mag diese Geschichte im Gegensatz zur Allgemeinheit<br />

reichlich seicht erscheinen. Die Erzählung beginnt<br />

mit einem Atomkrieg. Was ist da neu daran?<br />

Ich widerstand der Versuchung, eine Geschichte<br />

sklavisch der Gegenwart anzupassen, bis ich einen<br />

Weg fand, wie ich das tun konnte, ohne mich von<br />

Schlagzeilen und Aktualität abhängigzumachen. Ich<br />

wollte eine Erzählung schreiben, die sich mit den<br />

Dingen von morgen beschäftigte, ohne übermorgen<br />

überholt zu sein.<br />

Das Ergebnis war »Die Experimentatoren«, eine<br />

Erzählung, die trotz all ihrer Aktualität heute noch<br />

genau so zur Science-Fiction-Literatur gehört, wie<br />

1951, als sie entstand.<br />

Polizeisergeant Mankiewicz war am Telefon, und er<br />

schien ziemlich mißgelaunt zu sein. Seine Stimme<br />

klang wie ein Reibeisen.<br />

6


»Es stimmt«, sagte er. »Er kam zu mir und sagte:<br />

›Mister, würden Sie mich bitte ins Gefängnis sperren,<br />

weil ich mich umbringen will.‹<br />

… Ich kann es nicht ändern, genau das sagte er.<br />

Mir kam es auch verrückt vor.<br />

… hören Sie, Mister, die Beschreibung paßt genau<br />

auf den Burschen. Sie baten mich um eine Information,<br />

und ich gebe Sie Ihnen.<br />

… er hat diese Narbe auf der rechten Wange und<br />

sagte, daß er John Smith heißt. Von Doktor Smith<br />

sagte er nichts.<br />

… sicher ist das ein falscher Name. Kein Mensch<br />

heißt John Smith. Zumindest nicht auf einer Polizeistation.<br />

… er ist jetzt im Gefängnis.<br />

… ja sicher.<br />

… Widerstand gegen die Staatsgewalt, tätlicher<br />

Angriff, böswillige Sachbeschädigung. Das genügt<br />

doch wohl.<br />

… es ist mir egal, wer er ist.<br />

… gut, ich werde warten.«<br />

Er blickte zu Wachtmeister Brown hoch und legte<br />

die Hand über die Sprechmuschel. Die riesige Pranke<br />

schien fast das ganze Telefon zu verschlucken. Sein<br />

grobliniges Gesicht war gerötet und schwitzte unter<br />

dem strohgelben Haarschopf.<br />

»Ärger!« sagte er. »Nichts als Ärger gibt es auf so<br />

einer Bezirksstation.«<br />

»Mit wem sprechen Sie denn?« fragte Brown. Er<br />

war soeben eingetreten, und es interessierte ihn nicht<br />

7


sonderlich. Er dachte wieder einmal daran, daß Mankiewicz<br />

in einer der Vorstädte besser aufgehoben<br />

wäre.<br />

»Oak Ridge. Ferngespräch. <strong>Der</strong> Leiter von weiß<br />

was ich für einer Abteilung. Und jetzt ruft er jemanden<br />

anderen für fünfundzwanzig Cent pro Minute an<br />

… Hallo!«<br />

Mankiewicz hielt den Hörer ans andere Ohr und<br />

versuchte sich zu beherrschen.<br />

»Hören Sie«, sagte er. »Lassen Sie mich doch von<br />

vorn anfangen. Ich will, daß Sie genau Bescheid wissen,<br />

und wenn Ihnen die Sache dann nicht gefällt,<br />

können Sie ja jemanden zu uns schicken. <strong>Der</strong> Bursche<br />

will keinen Anwalt. Er will nichts anderes als<br />

im Gefängnis bleiben, und das erscheint mir ganz<br />

richtig.<br />

Also passen Sie mal auf. Er kam gestern schnurstracks<br />

zu mir und sagte: ›Mister, würden Sie mich<br />

bitte ins Gefängnis sperren, weil ich mich umbringen<br />

will.‹ Ich erwiderte: ›Es tut mir leid, daß Sie sich<br />

umbringen wollen, Mister. Tun Sie es nicht, denn Sie<br />

werden es für den Rest Ihres Lebens bereuen.‹<br />

… Ich mache keinen Spaß. Ich erzähle Ihnen nur,<br />

was ich gesagt habe. Ich bin nicht zum Scherzen aufgelegt,<br />

ich habe genug Ärger hier, wenn Sie wissen,<br />

was ich damit sagen will.<br />

Glauben Sie, ich habe nichts anderes zu tun, als irgendwelchen<br />

Irren zuzuhören, die hier hereinspaziert<br />

kommen und …<br />

›… Sie müssen mir schon einen Grund liefern‹,<br />

8


sagte ich. ›Ich kann Sie nicht einsperren, nur weil Sie<br />

sich umbringen wollen. Das ist kein Verbrechen.‹<br />

Daraufhin sagte er: ›Aber ich will nicht sterben.‹<br />

Und ich sagte: ›Hören Sie, Mann, verschwinden Sie.‹<br />

Ich meine, wenn ein Bursche Selbstmord begehen<br />

will, gut. Wenn er nicht will, auch gut. Aber warum<br />

muß er sich an meiner Schulter ausweinen?<br />

… ich erzähle ja schon weiter. Also, er fragte<br />

mich: ›Wenn ich ein Verbrechen begehe, stecken Sie<br />

mich dann ins Gefängnis?‹ Ich sagte: ›Wenn Sie erwischt<br />

werden, wenn jemand eine Klage einreicht und<br />

Sie keine Bürgschaft stellen können, werden wir Sie<br />

einsperren.‹ Daraufhin nahm er, bevor ich ihn daran<br />

hindern konnte, das Tintenfaß von meinem Schreibtisch<br />

und leerte es auf das offene Eintragsbuch.<br />

… sicher! Warum glauben Sie denn, haben wir<br />

›böswillige Sachbeschädigung‹ angegeben? Die Tinte<br />

rann über meine ganze Hose.<br />

… ja, auch tätlicher Angriff. Als ich aufsprang,<br />

um ihn zur Räson zu bringen, trat er mich gegen das<br />

Schienbein und schlug mir fast das rechte Auge ein.<br />

… ich erfinde das nicht. Kommen Sie doch her<br />

und sehen Sie sich mein Gesicht an.<br />

… in den nächsten Tagen wird er vor Gericht gestellt.<br />

Wahrscheinlich am Donnerstag.<br />

… er wird mindestens neunzig Tage bekommen,<br />

außer der Psychologe ist anderer Meinung. Ich glaube<br />

ja selbst, daß er in die Irrenanstalt gehört.<br />

… offiziell heißt er John Smith. Das ist der einzige<br />

Name, den er angegeben hat.<br />

9


… Nein, Sir, er wird nicht vorzeitig entlassen.<br />

… okay, machen Sie, was Sie wollen. Ich tue jedenfalls<br />

hier meinen Job.«<br />

Er knallte den Hörer auf die Gabel, starrte ihn an,<br />

hob ihn dann wieder ab und drehte die Wählscheibe.<br />

»Gianetti?« fragte er, erhielt die gewünschte Antwort<br />

und begann zu sprechen. »Was ist A.E.C.? Ich<br />

habe mit irgend so einem Joe telefoniert, und er sagte<br />

…<br />

… nein, ich scherze nicht, Sie Trottel. Wenn ich<br />

das täte, würde ich es Ihnen vorher sagen. Was heißt<br />

A.E.C.?«<br />

Er lauschte, dann sagte er kleinlaut »Danke« und<br />

legte den Hörer auf. Die Farbe war aus seinem Gesicht<br />

gewichen.<br />

»Dieser zweite Bursche war der Leiter der Atomenergiekommission«,<br />

sagte er zu Brown. »Sie müssen<br />

mich von Oak Ridge nach Washington geschaltet<br />

haben.«<br />

Brown streckte sich und gähnte.<br />

»Vielleicht ist das FBI hinter diesem John Smith<br />

her. Vielleicht ist er einer von diesen Wissenschaftlern.<br />

Man sollte die Atomgeheimnisse von solchen<br />

Burschen fernhalten. Alles war okay, solange General<br />

Groves als einziger über die Atombombe Bescheid<br />

wußte. Aber seit sie die Wissenschaftler losgelassen<br />

haben …«<br />

»Oh, halten Sie doch den Mund«, krächzte Mankiewicz.<br />

10


Dr. Oswald Grant starrte unentwegt auf die weiße<br />

Linie, die die Hochstraße markierte, und behandelte<br />

das Auto, als wäre es einer seiner schlimmsten Feinde.<br />

Das tat er immer. Er war hochgewachsen und hager.<br />

Ein verschlossener Ausdruck lag auf seinem Gesicht.<br />

Seine Knie stießen an das Lenkrad, und jedesmal,<br />

wenn er den Wagen um eine Kurve lenkte, traten<br />

seine Fingerknöchel weiß hervor.<br />

Inspektor Darrity saß mit übereinandergeschlagenen<br />

Beinen neben ihm. Die Sohle seines linken<br />

Schuhs berührte die Wagentür, wo sie bestimmt einen<br />

Schmutzfleck hinterlassen würde. Seine Finger spielten<br />

mit einem nußbraunen Taschenmesser. Vorhin<br />

hatte er die blanke Klinge aus der Scheide springen<br />

lassen und hatte damit gelegentlich an seinen Fingernägeln<br />

geschabt. Als ihn aber eine scharfe Kurve beinahe<br />

einen Finger gekostet hätte, hörte er damit auf.<br />

»Was wissen Sie über diesen Ralson?« fragte er.<br />

Dr. Grant wandte sich ihm kurz zu und blickte<br />

dann gleich wieder auf die Straße.<br />

»Ich kenne ihn, seit er sein Doktorat in Princeton<br />

gemacht hat«, erwiderte er unbehaglich. »Er ist ein<br />

brillanter Wissenschaftler.«<br />

»Ja? Brillant, eh? Warum ihr Wissenschaftler euch<br />

gegenseitig nur immer als brillant bezeichnen müßt!<br />

Gibt es bei euch gar keine Mittelmäßigkeit?«<br />

»Doch. Ich bin zum Beispiel mittelmäßig. Aber<br />

Ralson ist es nicht. Fragen Sie Oppenheimer. Fragen<br />

Sie Bush. Er war der jüngste Mitarbeiter in Alamogordo.«<br />

11


»Okay. Er ist also brillant. Wie steht es mit seinem<br />

Privatleben?«<br />

»Davon weiß ich nichts«, sagte Grant nach einer<br />

kleinen Pause.<br />

»Sie kennen ihn von Princeton her. Wieviel Jahre<br />

sind seither vergangen?«<br />

Sie waren die Hochstraße von Washington in nördliche<br />

Richtung zwei Stunden lang dahingefahren,<br />

und es war kaum ein Wort zwischen ihnen gewechselt<br />

worden. Jetzt fühlte Grant, daß die Atmosphäre<br />

sich geändert hatte. Das Gesetz griff nach ihm.<br />

»Er ist 1943 graduiert worden.«<br />

»Da haben Sie ihn schon acht Jahre lang gekannt.«<br />

»Richtig.«<br />

»Und Sie wissen nichts über sein Privatleben?«<br />

»Jeder Mensch hat ein Recht auf Eigenleben, Inspektor.<br />

Er war nicht sehr gesellig. Viele dieser Menschen<br />

sind so. Sie arbeiten unter großem Druck, und<br />

wenn sie ihren Job beendet haben, sind sie nicht daran<br />

interessiert, die Laboratoriumsbekanntschaften<br />

fortzusetzen.«<br />

»Gehört er irgendwelchen Organisationen an, die<br />

Sie kennen?«<br />

»Nein.«<br />

»Hat er jemals irgend etwas zu Ihnen gesagt, das<br />

man als unloyal bezeichnen könnte?«<br />

»Nein!« schrie Grant, und dann herrschte eine<br />

Zeitlang Schweigen.<br />

Dann fragte Darrity: »Wie bedeutend ist Ralson<br />

auf dem Gebiet der Atomforschung?«<br />

12


Grant beugte sich über das Lenkrad.<br />

»So bedeutend, wie es ein Mann nur sein kann. Ich<br />

garantiere Ihnen, daß kein Mann unersetzlich ist,<br />

aber Ralson schien immer einzigartig zu sein. Er hat<br />

den richtigen technischen Verstand.«<br />

»Was heißt das?«<br />

»Er ist zwar selbst kein großer Mathematiker, aber<br />

er kann die Berechnungen anderer zum Leben erwecken.<br />

Da kann ihm keiner das Wasser reichen.<br />

Wie oft hatten wir ein Problem zu lösen, Inspektor,<br />

und hatten keine Zeit dazu! Keiner hatte eine Idee,<br />

bis er kam und sagte: ›Warum macht Ihr es nicht so<br />

und so?‹ Dann ging er. Er interessierte sich nicht<br />

einmal dafür, ob sein Vorschlag auch funktionierte.<br />

Aber er funktionierte immer. Vielleicht wären wir<br />

auch daraufgekommen, aber es hätte Monate gedauert.<br />

Ich weiß nicht, wie er das machte. Es hat auch<br />

keinen Sinn, ihn danach zu fragen. Er sieht einen nur<br />

an und sagt: ›Aber das war doch offensichtlich‹, und<br />

spaziert davon. Natürlich nachdem er uns darauf hingewiesen<br />

hatte, war es offensichtlich.«<br />

<strong>Der</strong> Inspektor ließ ihn ausreden. Als Grant<br />

schwieg, sagte Darrity: »Würden Sie sagen, daß er<br />

sonderbar war? Ich meine, launenhaft.«<br />

»Von einem Genie erwartet man doch nicht, daß<br />

es normal ist, nicht wahr?«<br />

»Vielleicht nicht. Aber wie abnorm war dieses<br />

spezielle Genie?«<br />

»Er redete nie viel. Und manchmal wollte er nicht<br />

arbeiten.«<br />

13


»Blieb er dann daheim oder ging er angeln?«<br />

»Nein. Er kam ins Laboratorium. Aber er saß nur<br />

an seinem Schreibtisch und tat nichts. Manchmal<br />

dauerte das wochenlang. Er antwortete nicht und sah<br />

einen nicht einmal an, wenn man mit ihm sprach.«<br />

»Hat er jemals seine Arbeit gänzlich niedergelegt?«<br />

»Sie meinen, vor diesem Zwischenfall? Nie!«<br />

»Hat er jemals gesagt, daß er Selbstmord begehen<br />

wolle? Oder hat er jemals behauptet, er würde sich<br />

nirgendwo sicherer fühlen außer im Gefängnis?«<br />

»Nein.«<br />

»Sind Sie sicher, daß dieser John Smith mit Ralson<br />

identisch ist?«<br />

»Ziemlich sicher. Er hat ein Brandmal von irgendwelchen<br />

Chemikalien auf seiner rechten Wange, das<br />

einwandfrei beweist, daß es sich um Ralson handelt.«<br />

»Okay. Dann werde ich mit ihm sprechen und sehen,<br />

was er zu sagen hat.«<br />

Dann herrschte endgültig Schweigen. Dr. Grant<br />

folgt der gewundenen Straße, und Inspektor Darrity<br />

warf das Taschenmesser von einer Hand in die andere.<br />

<strong>Der</strong> Gefängnisdirektor hielt den Telefonhörer ans<br />

Ohr, lauschte und blickte dann zu seinen beiden Besuchern<br />

auf.<br />

»Wir können ihn heraufbringen, Inspektor. Bedenkenlos.«<br />

»Nein.« Dr. Grant schüttelte den Kopf. »Gehen<br />

wir zu ihm.«<br />

14


»Warum?« fragte Darrity. »Erwarten Sie, daß Ralson<br />

den Wärter attackiert, wenn er ihn aus der Zelle<br />

führt?«<br />

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Grant.<br />

<strong>Der</strong> Gefängnisdirektor hob seine schwielige Hand.<br />

Seine dicke Nase zuckte leicht.<br />

»Wir haben seinetwegen bisher nichts unternommen.<br />

Wegen dieses Telegrammes aus Washington.<br />

Aber ehrlich gesagt, er gehört nicht hierher. Ich bin<br />

froh, wenn ich die Verantwortung für ihn los bin.«<br />

»Wir werden ihn in seiner Zelle aufsuchen«, sagte<br />

Darrity.<br />

Sie gingen den engen, von Eisengittern gesäumten<br />

Korridor entlang. Leere, desinteressierte Augen beobachteten<br />

sie, als sie an den Zellen vorbeikamen. Ein<br />

Schauder lief Dr. Grant über den Rücken.<br />

»War er die ganze Zeit hier?«<br />

Darrity antwortete nicht. <strong>Der</strong> Wärter, der ihnen<br />

vorausging, blieb stehen.<br />

»Hier ist die Zelle.«<br />

»Ist das Ralson?« fragte Darrity.<br />

Dr. Grant betrachtete schweigend die Gestalt, die<br />

auf der Pritsche lag. Als der Mann merkte, daß jemand<br />

vor seiner Zelle stand, richtete er sich auf,<br />

stützte sich auf einen Ellbogen und sah so aus, als<br />

würde er am liebsten im Erdboden versinken. Sein<br />

Haar war sandfarben und schütter. Sein Körper war<br />

schmächtig, und seine blanken Augen glänzten wie<br />

blaues Porzellan. Auf seiner rechten Wange war ein<br />

kaulquappenförmiger rosa Fleck.<br />

15


»Das ist Ralson«, sagte Grant.<br />

<strong>Der</strong> Wärter öffnete die Zellentür und trat ein, aber<br />

Inspektor Darrity bedeutete ihm mit einer Handbewegung,<br />

sich zu entfernen. Ralson beobachtete die<br />

Männer stumm. Er zog die Beine an und drückte sich<br />

an die Wand. Sein Adamsapfel zitterte, als er<br />

schluckte.<br />

»Dr. Elwood Ralson?« fragte Darrity ruhig.<br />

»Was wollen Sie?« Die Stimme klang überraschend<br />

baritonal.<br />

»Würden Sie uns bitte folgen? Wir haben Ihnen<br />

einige Fragen zu stellen.«<br />

»Nein. Lassen Sie mich allein.«<br />

»Dr. Ralson«, sagte Grant. »Ich wurde zu Ihnen<br />

geschickt, um Sie zu bitten, Ihre Arbeit wieder aufzunehmen.«<br />

Ralson blickte den Wissenschaftler an, und sekundenlang<br />

blitzte etwas anderes als Furcht in seinen<br />

Augen auf.<br />

»Hallo, Grant«, sagte er und erhob sich von der<br />

Pritsche. »Hören Sie, ich bat die Leute, sie möchten<br />

mich in eine Gummizelle stecken. Sie kennen mich,<br />

Grant. Sie wissen, daß ich nichts verlange, von dem<br />

ich nicht überzeugt bin, daß es notwendig ist. Helfen<br />

Sie mir. Ich kann diese harten Mauern nicht ertragen.<br />

Immerzu will ich mich dagegenwerfen …« Er schlug<br />

mit der flachen Hand gegen den schmutziggrauen<br />

Beton hinter der Pritsche.<br />

Darrity betrachtete ihn nachdenklich. Er zog sein<br />

Taschenmesser aus der Hosentasche und ließ die<br />

16


lanke Klinge herausschnappen. Sorgfältig kratzte er<br />

damit an seinem Daumennagel und fragte: »Wollen<br />

Sie mit einem Arzt sprechen?«<br />

Aber Ralson gab keine Antwort darauf. Seine Augen<br />

folgten dem glänzenden Metall, seine Lippen<br />

öffneten sich und wurden feucht. Sein Atem ging<br />

stoßweise.<br />

»Stecken Sie das weg!« sagte er.<br />

»Was soll ich wegstecken?« fragte Darrity nach<br />

einer kleinen Pause.<br />

»Das Messer. Ich kann den Anblick nicht ertragen.«<br />

»Warum nicht?« Darrity streckte das Messer aus.<br />

»Stimmt etwas nicht damit? Es ist ein gutes Messer.«<br />

Ralson sprang vor. Darrity trat zurück, und seine<br />

linke Hand umspannte Ralsons Handgelenk. Er hob<br />

das Messer hoch.<br />

»Was ist los, Ralson? Was haben Sie?«<br />

Grant protestierte, aber Darrity schnitt ihm mit einer<br />

Handbewegung das Wort ab.<br />

»Was wollen Sie, Ralson?«<br />

Ralson streckte die freie Hand nach dem Messer<br />

aus und krümmte sich unter dem eisernen Griff des<br />

Inspektors.<br />

»Geben Sie mir das Messer«, keuchte er.<br />

»Warum, Ralson? Was wollen Sie damit tun?«<br />

»Bitte. Ich muß …« Seine Stimme klang flehentlich.<br />

»Ich kann nicht mehr leben.«<br />

»Sie wollen sterben?«<br />

»Nein. Aber ich muß.«<br />

17


Darrity versetzte ihm einen Stoß. Ralson taumelte<br />

zurück und sank auf die Pritsche, die einen quietschenden<br />

Laut von sich gab. Langsam klappte Darrity<br />

das Taschenmesser zusammen und steckte es ein.<br />

Ralson vergrub das Gesicht in den Händen. Er saß<br />

reglos da, nur seine Schultern zuckten.<br />

Rufe klangen vom Korridor herein. Die anderen<br />

Häftlinge waren auf den Lärm in Ralsons Zelle aufmerksam<br />

geworden. <strong>Der</strong> Wärter eilte herbei.<br />

»Ruhe!« brüllte er und entfernte sich dann wieder.<br />

»Es ist alles in Ordnung«, sagte der Inspektor zu<br />

ihm. Er wischte seine Hände mit einem großen weißen<br />

Taschentuch ab. »Ich glaube, wir sollten einen<br />

Arzt holen.«<br />

Dr. Gottfried Blaustein war klein und dunkelhäutig<br />

und sprach mit kaum merklichem österreichischem<br />

Akzent. Es fehlte ihm nur noch ein Ziegenbart, und<br />

er hätte für jeden Laien die vollendete Karikatur eines<br />

Psychiaters abgegeben. Aber er war glattrasiert<br />

und sehr sorgfältig gekleidet. Er musterte Grant aufmerksam<br />

und abschätzend, fügte verschiedene kleine<br />

Beobachtungen zu einem Gesamtbild. Das tat er automatisch<br />

bei jedem Menschen, dem er begegnete.<br />

»Sie haben mir den Mann als sehr talentiert beschrieben«,<br />

sagte er. »Vielleicht ist er sogar ein Genie.<br />

Sie sagten, er sei nie gern mit Menschen zusammengewesen.<br />

Er hätte sich auch nie in der Atmosphäre<br />

des Laboratoriums wohlgefühlt, obwohl er<br />

doch dort seine größten Erfolge errungen hat. Hat er<br />

18


sich vielleicht in einer anderen Umwelt wohler gefühlt?«<br />

»Ich verstehe Sie nicht.«<br />

»Kaum ein Mensch hat das Glück, in seinem Beruf<br />

die ideale Umwelt zu finden. <strong>Der</strong> eine kompensiert<br />

das, indem er ein Instrument spielt, der andere<br />

geht spazieren oder wird Mtglied irgendeines Klubs.<br />

Mit anderen Worten, er schaffte sich außerhalb seiner<br />

Arbeit eine eigene Welt, in der er sich mehr zu<br />

Hause fühlt. Und diese eigene Welt muß in gar keinem<br />

Zusammenhang mit dem Beruf eines Menschen<br />

stehen. Sie ist oft eine Flucht vor der Wirklichkeit<br />

und hilft, das Leben leichter zu ertragen.« Er lächelte<br />

und fügte hinzu: »Ich selbst sammle zum Beispiel<br />

Briefmarken. Ich bin aktives Mitglied der Amerikanischen<br />

Philatelistengesellschaft.«<br />

Grant schüttelte den Kopf.<br />

»Ich weiß nicht, was er in seiner Freizeit machte.<br />

Ich bezweifle, daß er irgendeinem Hobby frönte.«<br />

»Hm. Das ist natürlich traurig. Man muß doch irgendwo<br />

Entspannung oder Vergnügen finden.«<br />

»Haben Sie schon mit Dr. Ralson gesprochen?«<br />

»Über seine Probleme? Nein.«<br />

»Werden Sie es tun?«<br />

»Oh, ja. Aber er ist erst seit einer Woche hier. Man<br />

muß ihm Zeit lassen, damit er sich erholen kann. Er<br />

befand sich in einem sehr erregten Zustand, als er hier<br />

eintraf. Man kann es fast als Delirium bezeichnen. Er<br />

muß viel Ruhe haben und sich an die neue Umgebung<br />

gewöhnen, bevor ich mit ihm spreche.«<br />

19


»Werden Sie ihn dazu bringen können, daß er<br />

wieder seine Arbeit aufnimmt?«<br />

Blaustein lächelte.<br />

»Wie kann ich das wissen? Ich weiß ja noch nicht<br />

einmal, an welcher Krankheit er leidet.«<br />

»Könnten Sie ihm nicht erst einmal über das<br />

Schlimmste hinweghelfen? Ich meine, Sie könnten<br />

ihn vorerst einmal von seinem Selbstmordzwang befreien<br />

und die Kur fortsetzen, wenn er wieder an seinen<br />

Arbeitsplatz zurückgekehrt ist.«<br />

»Vielleicht. Ich kann mir keine Meinung bilden,<br />

bevor ich nicht mit ihm gesprochen habe.«<br />

»Wie lange wird es etwa dauern?«<br />

»In solchen Fällen kann man das nie vorhersagen,<br />

Dr. Grant.«<br />

»Dann tun Sie, was Sie für richtig halten.« Grant<br />

beugte sich vor. »Es ist sehr wichtig, daß Ralson bald<br />

gesund wird. Sie wissen gar nicht, wie wichtig.«<br />

»Möglich. Sie können mir vielleicht helfen, Dr.<br />

Grant.«<br />

»Wie?«<br />

»Können Sie mir gewisse Informationen beschaffen,<br />

die als ›Top secret‹ bezeichnet werden?«<br />

»Welche Art von Informationen?«<br />

»Ich würde gern die Selbstmordquote der Nuklearwissenschaftler<br />

seit 1945 kennen. Außerdem möchte<br />

ich wissen, wieviele ihre Arbeit niedergelegt beziehungsweise<br />

sich einem anderen Forschungsgebiet<br />

zugewandt haben.«<br />

»Steht das in Zusammenhang mit Ralson?«<br />

20


»Meinen Sie nicht, daß es sich bei seiner schrecklichen<br />

Depression um eine Berufskrankheit handelt?«<br />

»Sie müssen das verstehen, Dr. Blaustein. Die<br />

Atmosphäre in der modernen Nuklearforschung ist<br />

von starkem Druck und Bürokratismus bestimmt.<br />

Wir arbeiten mit Regierung und Militär zusammen.<br />

Wir dürfen über unsere Arbeit nicht sprechen, und<br />

wir müssen sehr vorsichtig mit unseren Äußerungen<br />

sein. Natürlich, wenn einem von uns eine Stellung an<br />

einer Universität angeboten wird, wo man seine Arbeitszeit<br />

selbst bestimmen, seine eigene Forschung<br />

betreiben kann, wo man nicht jede schriftliche Arbeit<br />

erst einmal der A.E.C. vorlegen muß, bevor man sie<br />

veröffentlichen kann, wo man nicht hinter verschlossenen<br />

Türen arbeiten muß, würde jeder sofort zugreifen.«<br />

»Und Sie würden Ihrem Spezialgebiet für immer<br />

den Rücken kehren?«<br />

»Kann sein. Die Gründe, warum so viele ihre Arbeit<br />

aufgeben, sind selten militärischer Natur. Aber<br />

einmal erzählte mir ein Mann, daß er nachts nicht<br />

schlafen könne. Er sagte, er würde hunderttausend<br />

Schreie aus Hiroshima hören, sobald er das Licht<br />

ausgeschaltet hätte. Er nahm einen Job in einem Herrenmodegeschäft<br />

an.«<br />

»Und Sie selbst hören niemals Schreie?«<br />

»Doch.« Grant nickte schwer. »Es ist kein angenehmes<br />

Gefühl zu wissen, daß ein kleiner Teil der<br />

Verantwortung für eine eventuelle atomare Zerstö-<br />

21


ung auf meinen eigenen Schultern ruht.«<br />

»Und welches Gefühl hat Ralson?«<br />

»Er sprach nie über solche Dinge.«<br />

»Mit anderen Worten, wenn er derartige Gefühle<br />

hatte, so verriet er es seinen Mitarbeitern nicht.«<br />

»Nein.«<br />

»Und trotz alldem ist die atomare Forschung notwendig,<br />

nicht wahr?«<br />

»Ich würde sagen, ja.«<br />

»Was würden Sie machen, Dr. Grant, wenn Sie irgend<br />

etwas tun müßten, wozu Sie sich innerlich nicht<br />

imstande fühlen?«<br />

Grant zuckte mit den Schultern.<br />

»Ich weiß es nicht.«<br />

»Manche Menschen begehen Selbstmord.«<br />

»Sie meinen, das trifft auf Ralson zu?«<br />

»Wie kann ich das wissen? Ich werde heute abend<br />

mit Dr. Ralson sprechen. Ich kann Ihnen natürlich<br />

nichts versprechen, aber ich versichere Ihnen, daß<br />

ich Ihnen meine Beobachtungen sofort mitteilen<br />

werde.«<br />

Grant erhob sich.<br />

»Vielen Dank, Doktor. Ich werde versuchen, die<br />

von Ihnen gewünschten Informationen zu erhalten.«<br />

Elwood Ralsons Aussehen hatte sich in der Woche,<br />

die er bis jetzt in Dr. Blausteins Sanatorium verbracht<br />

hatte, gebessert. Sein Gesicht war voller geworden,<br />

und die Ruhelosigkeit war von ihm gewichen.<br />

Er trug keine Krawatte und keinen Hosengürtel,<br />

und seine Schuhe hatten keine Schnürsenkel.<br />

22


»Wie fühlen Sie sich, Dr. Ralson?« fragte Dr.<br />

Blaustein.<br />

»Erholt.«<br />

»Werden Sie gut behandelt?«<br />

»Ich habe keine Klagen, Doktor.«<br />

Blaustein griff nach dem Brieföffner, mit dem er<br />

gern spielte, wenn er über irgend etwas nachdachte.<br />

Aber der Brieföffner war verschwunden. Natürlich<br />

hatte man ihn entfernt, wie alle anderen Gegenstände<br />

mit scharfen Kanten. Nur Papiere lagen auf dem<br />

Schreibtisch.<br />

»Setzen Sie sich, Dr. Ralson«, sagte Blaustein.<br />

»Wie steht es mit Ihren Krankheitssymptomen?«<br />

»Meinen Sie meinen Selbstmordzwang? Es wird<br />

schlimmer oder besser, das hängt ganz von meinen<br />

Gedanken ab. Ich denke viel nach. Aber mein<br />

Wunsch nach Selbstmord begleitet mich auf Schritt<br />

und Tritt. Da können auch Sie mir nicht helfen.«<br />

»Vielleicht haben Sie recht. Es gibt viele Fälle, in<br />

denen ich nicht helfen kann. Ich würde gern möglichst<br />

viel von Ihnen wissen. Sie sind ein bedeutender<br />

Mann …«<br />

Ralson seufzte.<br />

»Sind Sie anderer Meinung?« fragte Blaustein.<br />

»Allerdings. Es gibt keine bedeutenden Männer,<br />

genauso wie es keine bedeutenden individuellen<br />

Bakterien gibt.«<br />

»Ich verstehe Sie nicht.«<br />

»Das erwarte ich auch nicht von Ihnen.«<br />

»Und doch scheint mir, daß eine Menge Gedanken<br />

23


hinter Ihrer Bemerkung stehen. Es würde für mich<br />

sehr interessant sein, einige dieser Gedanken zu kennen.«<br />

Zum erstenmal lächelte Ralson. Es war kein angenehmes<br />

Lächeln.<br />

»Es ist amüsant, Sie zu beobachten, Doktor«, sagte<br />

er. »Sie üben Ihren Beruf so gewissenhaft aus. Sie<br />

hören mir zu, mit diesem gewissen falschen Interesse<br />

und dieser öligen Sympathie. Ich könnte Ihnen den<br />

größten Blödsinn erzählen, und Sie würden mir<br />

trotzdem aufmerksam zuhören, nicht wahr?«<br />

»Können Sie sich nicht vorstellen, daß mein Interesse<br />

echt ist, obwohl es natürlich in erster Linie beruflich<br />

ist?«<br />

»Nein, das kann ich nicht.«<br />

»Warum nicht?«<br />

»Ich bin nicht in der Stimmung, darüber zu diskutieren.«<br />

»Dann gehen Sie doch bitte in Ihr Zimmer zurück.«<br />

»Das werde ich nicht tun, wenn Sie nichts dagegen<br />

haben.« Seine Stimme klang plötzlich zornig, als er<br />

sich erhob und sich fast augenblicklich wieder niedersetzte.<br />

»Warum sollte ich Sie nicht benützen. Ich<br />

rede nicht gern mit den Menschen. Sie sind dumm.<br />

Sie merken nichts, Sie starren das Offensichtliche<br />

stundenlang an, und es bedeutet nichts für sie. Wenn<br />

ich mit ihnen spreche, verstehen sie mich nicht. Sie<br />

verlieren die Geduld, oder sie lachen. Aber Sie müssen<br />

zuhören. Das ist Ihr Job. Sie können mich nicht<br />

24


unterbrechen und mir sagen, daß ich verrückt bin,<br />

auch wenn Sie das vielleicht denken.«<br />

»Ich bin froh, wenn ich Ihnen zuhören kann. Was<br />

immer Sie mir auch erzählen.«<br />

Ralson holte tief Luft.<br />

»Ich weiß nun schon seit einem Jahr etwas, das<br />

nur sehr wenige Menschen wissen. Vielleicht ist es<br />

sogar etwas, das keine lebende Person weiß. Wissen<br />

Sie, daß der kulturelle Fortschritt der Menschheit<br />

immer in plötzlichen Ballungen auftritt? Im Zeitraum<br />

von zwei Generationen kann in einer Stadt von dreißigtausend<br />

Einwohnern genug literarisches oder sonstiges<br />

künstlerisches Genie entstehen, um das Kulrurbedürfnis<br />

einer Millionennation ein Jahrhundert<br />

lang zu befriedigen. Ich denke an das Athen des perikleischen<br />

Zeitalters.<br />

Es gibt noch andere Beispiele. Das Florenz der<br />

Medicis, das elisabethanische England, das Spanien<br />

der Emire von Cordoba. Dann die Sozialreformen<br />

der Israeliten im achten und siebenten Jahrhundert<br />

vor Christi. Wissen Sie, was ich meine?«<br />

Blaustein nickte.<br />

»Ich sehe, daß Sie sich für Geschichte interessieren.«<br />

»Warum nicht? Es gibt keinen Grund, warum ich<br />

mein Interesse auf die Atomforschung beschränken<br />

sollte.«<br />

»Natürlich nicht. Sprechen Sie bitte weiter.«<br />

»Zuerst dachte ich, ich könnte mehr über das wahre<br />

Wesen der historischen Zyklen erfahren, wenn ich<br />

25


einen Spezialisten zu Rate zöge. Ich hatte einige Unterredungen<br />

mit einem Berufshistoriker. Aber das<br />

war reine Zeitverschwendung.«<br />

»Wie hieß der Historiker?«<br />

»Ist das so wichtig?«<br />

»Sicher nicht, wenn Sie es lieber für sich behalten<br />

wollen. Was sagte er?«<br />

»Er meinte, daß ich unrecht hätte, daß die Geschichte<br />

nur scheinbar in Eruptionen verläuft. Er sagte,<br />

daß er nach eingehenden Studien festgestellt hätte,<br />

die großen Zivilisationen der Ägypter und Sumerer<br />

seien nicht plötzlich aus dem Nichts entstanden,<br />

sondern auf der Basis einer sich über lange Zeit hinweg<br />

entwickelnden Subzivilisation, die sich bereits<br />

in den Künsten ausgedrückt hätte. Er sagt, das perikleische<br />

Athen hätte sich auf einem vorperikleischen<br />

Athen aufgebaut, ohne das es die perikleische<br />

Blütezeit nie gegeben hätte.<br />

Ich fragte ihn, warum uns dann nichts von einem<br />

nachperikleischen Athen bekannt sei, das doch auf<br />

einer noch höheren Stufe hätte stehen müssen. Daraufhin<br />

erzählte er mir, Athen sei durch eine Seuche<br />

und den langen Krieg mit Sparta ruiniert worden. Ich<br />

befragte ihn über andere kulturelle Ballungszeiten,<br />

und jedesmal war es ein Krieg, der sie beendete. Er<br />

war wie all die anderen. Die Wahrheit lag vor ihm.<br />

Er hätte sie nur aufgreifen müssen. Aber er tat es<br />

nicht.«<br />

Ralson starrte zu Boden und sagte mit müder<br />

Stimme: »Sie kommen manchmal zu mir ins Labora-<br />

26


torium, Doktor. Sie sagen: ›Wie, zum Teufel, können<br />

wir den So-und-so-Effekt beseitigen, der all unsere<br />

Berechnungen über den Haufen wirft, Ralson?‹ Sie<br />

zeigen mir ihre Instrumente und ihre Schaltschemata,<br />

und ich sage: »Aber das ist doch sonnenklar. Warum<br />

macht ihr es nicht so und so? Das sieht doch jedes<br />

Kind.‹ Dann gehe ich davon, denn ich kann es nicht<br />

ertragen, die Verwirrung auf ihren stupiden Gesichtern<br />

zu sehen. Später kommen sie dann zu mir und<br />

sagen: ›Es funktioniert, Ralson. Wie haben Sie das<br />

nur herausgefunden?‹ Ich kann es ihnen nicht erklären,<br />

Doktor. Es wäre genauso, wie wenn ich erklären<br />

müßte warum das Wasser naß ist. Ich konnte es auch<br />

nicht dem Historiker erklären. Und ebenso wenig<br />

kann ich es Ihnen erklären. Es ist Zeitverschwendung.«<br />

»Würden Sie jetzt lieber in Ihr Zimmer zurückgehen?«<br />

»Ja.«<br />

Blaustein saß noch lange nachdenklich an seinem<br />

Schreibtisch, nachdem Ralson hinausgeführt worden<br />

war. Automatisch fanden seine Finger ihren Weg in<br />

die obere rechte Schublade. Er holte den Brieföffner<br />

hervor und spielte damit.<br />

Schließlich griff er zum Telefon.<br />

»Hier ist Blaustein. Dr. Ralson hatte vor einiger<br />

Zeit eine Unterredung mit einem Historiker. Wahrscheinlich<br />

vor etwa einem Jahr. Ich kenne den Namen<br />

des Historikers nicht. Ich weiß nicht einmal, ob<br />

er in Verbindung mit einer Universität steht. Wenn<br />

27


Sie ihn ausfindig machen könnten, würde ich gern<br />

mit ihm sprechen.«<br />

Dr. phil. Thaddeus Milton blickte Blaustein gedankenvoll<br />

an und fuhr sich mit der Hand durch das eisengraue<br />

Haar.<br />

»Ich habe tatsächlich mit diesem Mann gesprochen.<br />

Aber ich habe sehr wenig Kontakt mit ihm gehabt.<br />

Eigentlich keinen außer ein paar Gesprächen<br />

über historische Belange.«<br />

»Wie trat er an Sie heran?«<br />

»Er schrieb mir einen Brief. Ich weiß nicht, warum<br />

er sich mich ausgesucht hat und nicht irgendeinen<br />

anderen Historiker. Eine Serie meiner Artikel ist etwa<br />

zu dieser Zeit in einem dieser halbwissenschaftlichen<br />

Journale mit halbpopulärem Anstrich erschienen.<br />

Vielleicht ist er dadurch auf mich aufmerksam geworden.«<br />

»Ich verstehe. Mit welchen Themen beschäftigten<br />

sich Ihre Artikel?«<br />

»Sie behandelten den Wert der Zyklentheorie in<br />

der Geschichte. Das heißt, ich versuchte zu klären,<br />

ob man wirklich behaupten kann, daß eine herausragende<br />

Zivilisation bestimmten Gesetzen des Wachstums<br />

und der Auflösung folgen muß.«<br />

»Ich habe Toynbee gelesen, Dr. Milton.«<br />

»Nun, dann wissen Sie ja, was ich meine.«<br />

»Und in Ihren Gesprächen mit Dr. Ralson ging es<br />

um diesen zyklischen Verlauf der Geschichte?«<br />

»Hm, in gewisser Weise, ja. Natürlich ist der<br />

28


Mann kein Historiker, und einige seiner Bemerkungen<br />

über kulturelle Trends hörten sich richtig dramatisch<br />

an – und – wie soll ich sagen – pseudowissenschaftlich.<br />

Verzeihen Sie, wenn ich eine indiskrete<br />

Frage stelle, Doktor. Ist Dr. Ralson einer von Ihren<br />

Patienten?«<br />

»Es geht Dr. Ralson nicht gut, und er befindet sich<br />

in meiner Obhut. Alles, was ich hier mit Ihnen bespreche,<br />

bitte ich Sie, streng vertraulich zu behandeln.«<br />

»Sicher. Das verstehe ich. Aber wie dem auch sei,<br />

Ihre Auskunft läßt mir einiges verständlich erscheinen.<br />

Manche seiner Ideen grenzten nahezu an das<br />

Irrationale. Er schien sich ständig Sorgen über die<br />

Zusammenhänge zwischen den kulturellen Ballungszeiten,<br />

wie er es nannte, und irgendwelchen Katastrophen<br />

zu machen. Nun wurden solche Zusammenhänge<br />

häufig festgestellt. Die Zeit der größten<br />

Vitalität einer Nation kann mit der Zeit größter nationaler<br />

Unsicherheit zusammenfallen. Die Niederlande<br />

sind hierfür ein gutes Beispiel. Die bedeutendsten<br />

niederländischen Künstler, Staatsmänner und<br />

Forscher lebten im frühen siebzehnten Jahrhundert,<br />

zur selben Zeit, als das Land in den tödlichen Kampf<br />

mit der damals größten europäischen Macht verstrickt<br />

war, mit Spanien. Zur selben Zeit, als das<br />

Mutterland vernichtet wurde, baute es das Kolonialreich<br />

im fernen Osten auf und fand Halt in den Gebieten<br />

an der nördlichen Küste Südamerikas, an der<br />

südlichsten Spitze von Afrika und am Hudson. Die<br />

29


niederländischen Flotten besiegten England. Und<br />

dann, als die politische Sicherheit der Niederlande<br />

wiederhergestellt war, begann die kulturelle Auflösung.<br />

Sicher, das ist nichts Ungewöhnliches. Gruppen<br />

wie Individuen können sich als Antwort auf eine<br />

Herausforderung zu einsamer Höhe erheben und dahinvegetieren,<br />

wenn die Herausforderung fehlt. Jedenfalls,<br />

als Dr. Ralson seinen gesunden Verstand<br />

verlor, trug sicher der Umstand dazu bei, daß in seinem<br />

Standpunkt sich die Begriffe von Ursache und<br />

Wirkung verwirrten. Er behauptete, nicht die Zeiten<br />

von Krieg und Gefahr brächten die kulturellen Eruptionen<br />

hervor, sondern es geschehe umgekehrt. Er<br />

stellte fest, daß zu jeder Zeit, wenn eine bestimmte<br />

Menschengruppe zu viel Vitalität und Fähigkeiten<br />

zeigt, ein Krieg notwendig wird, um die Möglichkeiten<br />

einer weiteren Entwicklung zu vernichten.«<br />

»Ich verstehe«, sagte Blaustein.<br />

»Ich fürchte, ich habe ihn damals ausgelacht. Vielleicht<br />

hat er deshalb unsere letzte Verabredung nicht<br />

eingehalten. Am Ende unserer letzten Unterredung<br />

fragte er mich in höchster Erregung, ob ich es nicht<br />

seltsam finde, daß ausgerechnet eine so fragwürdige<br />

Spezies wie der Mensch die Erde beherrsche, der<br />

doch nichts als seine Intelligenz aufzuweisen hätte.<br />

Da lachte ich laut auf. Das hätte ich vielleicht nicht<br />

tun sollen. <strong>Der</strong> arme Kerl!«<br />

»Das war eine ganz natürliche Reaktion«, erwiderte<br />

Blaustein, »aber jetzt werde ich Ihre Zeit nicht<br />

30


länger in Anspruch nehmen. Sie haben mir sehr geholfen.«<br />

Sie schüttelten sich die Hände, und Thaddeus Milton<br />

verließ Blausteins Arbeitszimmer.<br />

»Hier bringe ich Ihnen die gewünschten Informationen<br />

über die Selbstmordquote der Wissenschaftler«,<br />

sagte Darrity. »Können Sie daraus irgendwelche<br />

Schlüsse ziehen?«<br />

»Das sollte ich eigentlich Sie fragen«, sagte Blaustein<br />

sanft. »Das FBI hat doch sicher sehr sorgfältige<br />

Untersuchungen angestellt.«<br />

»Darauf können Sie sich verlassen. Es handelt sich<br />

jedenfalls um Selbstmorde. Da gibt es gar keinen<br />

Zweifel. Man hat die Selbstmordrate der Wissenschaftler<br />

mit der von anderen Berufsgruppen verglichen.<br />

Die der Wissenschaftler ist etwa viermal so<br />

hoch, wenn man auch das Alter, den sozialen Status<br />

und die wirtschaftliche Situation der Betreffenden in<br />

Betracht zieht.«<br />

»Und wie steht es mit den britischen Wissenschaftlern?«<br />

»Ähnlich.«<br />

»Und mit den sowjetischen?«<br />

»Wer kann das sagen?« <strong>Der</strong> Inspektor beugte sich<br />

vor. »Doktor, Sie glauben doch nicht, daß die Sowjets<br />

irgendwelche Strahlen haben, die die Leute<br />

zum Selbstmord treiben? Es erregt natürlich Verdacht,<br />

daß ausgerechnet die Atomforscher am stärksten<br />

von diesem Selbstmordzwang befallen sind.«<br />

31


»Tatsächlich? Vielleicht auch nicht. Die Atomphysiker<br />

arbeiten möglicherweise in einem besonders<br />

starken Spannungszustand. Das bedarf natürlich<br />

erst einmal genauer Studien, bevor man irgendwelche<br />

Behauptungen aufstellt.«<br />

»Sie meinen, es handelt sich um eine bestimmte<br />

Art von Komplexen?« fragte Darrity vorsichtig.<br />

Blaustein verzog das Gesicht.<br />

»Die Psychiatrie ist schon viel zu populär geworden.<br />

Jeder redet von Komplexen und Neurosen und<br />

Psychosen und Zwangsvorstellungen, und so weiter.<br />

<strong>Der</strong> Schuldkomplex des einen ist die ungestörte<br />

Nachtruhe des anderen. Wenn ich mit jedem, der<br />

Selbstmord begangen hat, sprechen könnte, würde<br />

ich vielleicht mehr wissen.«<br />

»Sie sprechen mit Ralson.«<br />

»Ja, ich spreche mit Ralson.«<br />

»Hat er vielleicht einen Schuldkomplex?«<br />

»Eigentlich nicht. Auf Grund seiner Vergangenheit<br />

würde es mich nicht überraschen, wenn er eine<br />

morbide Beziehung zum Tod hätte. Als er zwölf Jahre<br />

alt war, starb seine Mutter vor seinen Augen unter<br />

den Rädern eines Autos. Sein Vater siechte langsam<br />

an Krebs dahin. Trotzdem ist mir der Zusammenhang<br />

zwischen diesen Erfahrungen und seinen gegenwärtigen<br />

Schwierigkeiten noch nicht recht klar.«<br />

Darrity nahm seinen Hut.<br />

»Nun, ich wünschte, Sie kämen etwas schneller<br />

voran, Doktor. Irgend etwas Gewaltiges kommt auf<br />

uns zu. Etwas viel Gewaltigeres, als es die H-Bombe<br />

32


war. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, daß es etwas<br />

noch Gewaltigeres als die H-Bombe gibt, und doch<br />

ist es so.«<br />

Ralson bestand darauf stehenzubleiben.<br />

»Ich hatte eine schlechte Nacht, Doktor.«<br />

»Ich hoffe, Sie fühlen sich durch unsere Gespräche<br />

nicht gestört«, sagte Blaustein.<br />

»Doch, in gewisser Weise schon. Sie bringen mich<br />

wieder dazu, über dieses Thema nachzudenken. Und<br />

wenn ich nachdenke, verschlechtert sich mein Zustand.<br />

Wie, glauben Sie, fühlt man sich wohl als Teil<br />

einer bakteriellen Kultur, Doktor?«<br />

»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Für eine<br />

Bakterie ist es bestimmt völlig normal.«<br />

Ralson hatte nicht zugehört. Er sagte langsam:<br />

»Eine Kultur, in der man die Intelligenz studiert hat.<br />

Wir studieren alles, was mit den genetischen Beziehungen<br />

zusammenhängt. Wir nehmen Fruchtfliegen<br />

und kreuzen die rotäugigen mit den weißäugigen, um<br />

zu sehen, was dann passiert. Im Grund sind uns sowohl<br />

die rotäugigen als auch die weißäugigen völlig<br />

egal. Wir versuchen nur, durch sie gewisse grundlegende<br />

genetische Prinzipien zu entdecken. Verstehen<br />

Sie, was ich meine?«<br />

»Sicher.«<br />

»Auch bei den Menschen kann man verschiedene<br />

physische Charakteristika feststellen. <strong>Der</strong>lei lernt<br />

man auf der biologischen Fakultät. Aber man kann<br />

Menschen nicht in derselben Weise kreuzen wie<br />

33


Fruchtfliegen. Menschen leben zu lange. Es würde<br />

Jahrhunderte dauern, bis irgendwelche Schlüsse gezogen<br />

werden können. Wirklich schade, daß es nicht<br />

eine bestimmte Menschenrasse gibt, die sich innerhalb<br />

von Wochen reproduziert, nicht wahr?«<br />

Er wartete auf eine Antwort, aber Blaustein lächelte<br />

nur.<br />

»Eine solche Rasse würden wir nämlich für andere<br />

Geschöpfe sein, die über tausend Jahre lang leben«,<br />

fuhr Ralson fort. »Für solche Wesen würden wir uns<br />

schnell genug vermehren. Wir wären kurzlebige Kreaturen,<br />

und sie könnten unsere Genetik studieren,<br />

beispielsweise unsere Musikalität, unsere wissenschaftlichen<br />

Fähigkeiten, und so weiter. Aber ich<br />

glaube nicht, daß diese Dinge sie mehr interessieren<br />

würden als uns die weißen Augen der Fruchtfliegen.«<br />

»Eine sehr interessante Bemerkung«, sagte Blaustein.<br />

»Es ist nicht bloß eine Bemerkung. Es ist die<br />

Wahrheit. Für mich ist das offensichtlich, und es ist<br />

mir egal, was Sie davon halten. Sehen Sie sich doch<br />

um. Sehen Sie sich einmal den Planeten Erde an.<br />

Was für eine lächerliche Tierart sind wir denn, daß<br />

wir uns zu Herrn der Welt aufspielen, nachdem die<br />

Dinosaurier keinen Erfolg hatten? Sicher, wir sind<br />

intelligent, aber was ist Intelligenz? Wir glauben, daß<br />

sie so wichtig ist, weil wir sie besitzen. Wenn der<br />

Tyrannosaurier sich eine Eigenschaft ausgesucht hätte,<br />

von der er glauben konnte, daß sie seine dominierende<br />

Rolle auf der Erde garantiert, wäre seine Wahl<br />

34


sicher auf Größe und Kraft gefallen. Und er hätte etwas<br />

Besseres daraus gemacht als wir aus unserer Intelligenz.<br />

Immerhin hat seine Spezies länger existiert,<br />

als es aller Voraussicht nach beim Menschen der Fall<br />

sein wird.<br />

Die Intelligenz an sich hat keinen großen Wert als<br />

Überlebensfaktor. <strong>Der</strong> Elefant schneidet ziemlich<br />

schlecht ab, wenn man ihn mit dem Sperling vergleicht,<br />

obwohl er viel intelligenter ist. <strong>Der</strong> Hund<br />

steht ganz gut da, solange er vom Menschen beschützt<br />

wird, aber nicht so gut wie die Hausfliege,<br />

gegen die sich jede Menschenhand erhebt. Oder<br />

nehmen wir doch die Säugetiere als Gruppe. Die<br />

Kleineren verstecken sich vor ihren Feinden. Die<br />

Großen haben kaum je etwas anderes zustande gebracht,<br />

als ihre Art zu erhalten. Die Paviane stehen<br />

noch am besten da, und das liegt sicher an ihren hündischen<br />

Eigenschaften, nicht an ihrem Verstand.«<br />

Kleine Schweißperlen bedeckten Ralsons Stirn.<br />

»Es ist doch klar ersichtlich, daß der Mensch als<br />

eine ganz bestimmte Spezies für die geschaffen wurde,<br />

die ihn studieren wollen. Im allgemeinen ist das<br />

Säugetier kurzlebig. Natürlich leben die größeren<br />

meist etwas länger. Und doch wird der Mensch etwa<br />

zweimal so alt wie die Menschenaffen, älter sogar als<br />

der Gorilla. Wir werden später reif. Es ist so, als hätte<br />

man uns sorgfältig ausgebrütet, damit wir etwas<br />

länger leben, so daß unser Lebenszyklus gerade richtig<br />

ist.«<br />

Er schlug sich mit der Faust gegen die Stirn.<br />

35


»Tausend Jahre sind gerade soviel wie der gestrige<br />

Tag …«<br />

Blaustein drückte hastig auf einen Knopf. Einen<br />

Augenblick lang kämpfte Ralson gegen den Wärter<br />

im weißen Mantel, dann ließ er sich willenlos abführen.<br />

Blaustein blickte ihm nach, schüttelte den Kopf<br />

und griff zum Telefon.<br />

»Inspektor«, sagte er, nachdem er sich mit Darrity<br />

hatte verbinden lassen, »ich muß Ihnen sagen, daß es<br />

leider noch sehr lange dauern wird.«<br />

Er lauschte und schüttelte den Kopf.<br />

»Ich weiß, wie dringlich die Angelegenheit ist.«<br />

Die Stimme, die aus dem Hörer klang, war blechern<br />

und rauh.<br />

»Doktor, das wissen Sie nicht. Ich werde Grant zu<br />

Ihnen schicken. Er wird Ihnen die Situation erklären.«<br />

Dr. Grant fragte, wie es Ralson ginge, und dann<br />

fragte er mit leiser Sehnsucht in der Stimme, ob er<br />

ihn sehen könne. Blaustein schüttelte sanft den Kopf.<br />

»Man hat mich zu Ihnen gesandt«, begann Grant,<br />

»damit ich Sie über den gegenwärtigen Zustand der<br />

atomaren Forschung in Kenntnis setze.«<br />

»So, daß ich es verstehen werde?«<br />

»Ich hoffe es. Die Lage ist ziemlich verzweifelt.<br />

Ich muß Sie daran erinnern …«<br />

»Ja, ich weiß. Die ängstliche Unsicherheit von<br />

euch Atomwissenschaftlern ist wirklich unverständlich.<br />

Ihr müßt doch wissen, daß diese Dinge nicht<br />

ewig verborgen bleiben können.«<br />

36


»Man muß mit dem Geheimnis leben. Es ist wie<br />

eine ansteckende Krankheit.«<br />

»Genau. Und um welches Geheimnis handelt es<br />

sich zur Zeit?«<br />

»Wir werden – oder wir könnten vielleicht bald<br />

ein wirksames Verteidigungsmittel gegen die Atombombe<br />

entwickeln.«<br />

»Und da macht ihr ein Geheimnis draus? Es wäre<br />

doch viel besser, wenn man das sofort in alle Welt<br />

hinausschreien würde.«<br />

»Um Himmels willen, nein! Hören Sie mir zu, Dr.<br />

Blaustein. Vorläufig existiert die Verteidigungsmöglichkeit<br />

nur auf dem Papier. Wir befinden uns im E =<br />

mc 2 -Stadium. In der Praxis sind wir noch nicht soweit.<br />

Es wäre falsch, wenn wir Hoffnungen wecken,<br />

die dann zunichte gemacht würden. Auf der anderen<br />

Seite, wenn es bekannt würde, daß wir uns schon<br />

beinahe gegen die Atombombe verteidigen können,<br />

entsteht vielleicht der Wunsch, einen Krieg zu beginnen<br />

und zu gewinnen, bevor die Verteidigungsmöglichkeit<br />

zufriedenstellend entwickelt werden<br />

kann.«<br />

»Das glaube ich nicht. Aber das tut nichts zur Sache.<br />

Welcher Art ist diese Verteidigungsmöglichkeit?<br />

Oder wagen Sie es nicht, mir noch mehr mitzuteilen?«<br />

»Doch. Ich muß Ihnen so viel sagen, wie es nötig<br />

ist, um Sie davon zu überzeugen, daß wir Ralson<br />

brauchen – und zwar möglichst schnell.«<br />

»Nun, dann reden Sie. Endlich erfahre ich auch<br />

37


einmal Geheimnisse. Ich fühle mich schon fast wie<br />

ein Regierungsmitglied.«<br />

»Sie werden mehr als die meisten anderen Regierungsmitglieder<br />

wissen. Sehen Sie, Dr. Blaustein, ich<br />

werde es Ihnen in der Laiensprache erklären. Die militärische<br />

Geschichte zeigt uns, daß stets Angriffsund<br />

Verteidigungswaffen in gleichem Maß entwickelt<br />

wurden. Nur einmal schien sich die Kriegführung<br />

ganz auf den Angriff zu konzentrieren, und das<br />

war nach der Erfindung des Schießpulvers der Fall.<br />

Aber die Verteidigung holte bald auf. <strong>Der</strong> mittelalterliche<br />

Krieger, der in seiner Rüstung auf dem Pferd<br />

saß, wurde zum modernen Panzersoldaten, statt der<br />

steinernen Burgen haben wir nun die Betonbunker.<br />

Im Grund dasselbe, wenn man davon absieht, daß<br />

heute andere Größenordnungen herrschen.«<br />

»Sehr gut. Sie drücken sich recht klar aus. Und die<br />

Atombombe brachte wieder völlig neue Größenordnungen<br />

mit sich, nicht wahr? Um sich vor ihr zu<br />

schützen, helfen weder Beton noch Stahl.«<br />

»Richtig. Aber es nützt nichts, wenn wir immer<br />

dickere Wände konstruieren. Es gibt kein Material,<br />

das widerstandsfähig genug wäre. In einem Atomkrieg<br />

kann uns nur die Atomenergie schützen. Wir<br />

werden ein Kraftfeld bauen.«<br />

»Und was ist ein Kraftfeld?« fragte Blaustein<br />

sanft.<br />

»Ich wollte, ich könnte es Ihnen sagen. Bisher ist<br />

es nur eine Gleichung auf dem Papier. Die Energie<br />

kann so geleitet werden, daß sie eine unerschütterli-<br />

38


che Schutzwand bildet. Theoretisch. Aber wie wir<br />

das in der Praxis zustande bringen sollen, weiß ich<br />

nicht.«<br />

»Das würde also eine Wand sein, die nichts<br />

durchdringen könnte. Auch keine Atombomben,<br />

nicht wahr?«<br />

»Auch keine Atombomben. Die einzige Begrenzung<br />

der Widerstandsfähigkeit wäre an der Energiemenge<br />

zu messen, die wir in diese Wand laden können.<br />

Theoretisch könnte man diese Wand sogar für<br />

Strahlen undurchdringlich machen. Auch Gammastrahlen<br />

würden an ihr abprallen. Wir träumen von<br />

einem Schutzschirm, der permanent über den Städten<br />

schwebt. Im Normalfall wäre er nur mit einem Minimum<br />

an Energie geladen. Aber im Ernstfall könnte<br />

er innerhalb eines Sekundenbruchteils mit einem<br />

Energiemaximum geladen werden und zwar mit Hilfe<br />

von Kurzwellenstrahlen. All das ist theoretisch<br />

bereits möglich.«<br />

»Und warum brauchen Sie Ralson?«<br />

»Weil er der einzige ist, der die Theorie in die<br />

Praxis umsetzen kann. Und er ist der einzige, der dazu<br />

schnell genug imstande ist. Heutzutage zählt jede<br />

Minute. Sie kennen die internationale Lage. Die<br />

atomare Verteidigung muß funktionieren, bevor es zu<br />

einem atomaren Krieg kommt.«<br />

»Sind Sie sicher, daß Ralson Ihnen helfen kann?«<br />

»Ich war noch nie so sehr von den Fähigkeiten eines<br />

Mannes überzeugt wie von den seinen. Er ist erstaunlich,<br />

Doktor. Er hat immer recht. Keiner von<br />

39


seinen Kollegen weiß, wie er das macht.«<br />

»Vielleicht eine Art Intuition?« <strong>Der</strong> Psychiater<br />

blickte seinen Gesprächspartner verwirrt an. »Vielleicht<br />

verfügt er über Denkpotenzen, die über normale<br />

menschliche Fähigkeiten hinausgehen. Kann das<br />

sein?«<br />

»Ich weiß es nicht.«<br />

»Ich werde noch einmal mit ihm sprechen. Ich benachrichtige<br />

Sie, sobald ich etwas herausgefunden<br />

habe.«<br />

»Gut.« Grant erhob sich. Dann fügte er mit einem<br />

kleinen Hintergedanken hinzu: »Ich möchte Sie darauf<br />

aufmerksam machen, Doktor, daß die Kommission<br />

plant, Ralson aus Ihrem Sanatorium zu entfernen,<br />

wenn Sie nicht bald Erfolg haben.«<br />

»Wollen Sie es mit einem anderen Psychiater versuchen?<br />

In diesem Fall will ich Ihnen natürlich nicht<br />

im Weg stehen. Trotzdem bin ich der Meinung, daß<br />

kein verantwortungsbewußter Facharzt Ralson so<br />

schnell gesund machen kann, wie Sie es wünschen.«<br />

»Einer weiteren psychotherapeutischen Behandlung<br />

steht auch nichts entgegen. Er soll nur schon<br />

vorher seine Arbeit wieder aufnehmen.«<br />

»Ich bestreite, daß er vor seiner völligen Heilung<br />

dazu fähig sein wird, Dr. Grant. Sie werden nichts<br />

aus ihm herausbringen. Und es würde seinen Tod<br />

bedeuten.«<br />

»Jetzt kriegen wir auch nichts aus ihm heraus.«<br />

»Aber solange ich ihn behandle, besteht doch wenigstens<br />

eine kleine Chance, nicht wahr?«<br />

40


»Ich hoffe. Übrigens, erwähnen Sie bitte nichts<br />

davon, daß Ralson möglicherweise von hier entfernt<br />

werden könnte.«<br />

»Ich werde nichts davon verlauten lassen. Vielen<br />

Dank für die Warnung. Auf Wiedersehen, Dr.<br />

Grant.«<br />

»Ich habe mich in letzter Zeit zum Narren gemacht,<br />

nicht wahr, Doktor?« fragte Ralson und runzelte die<br />

Stirn.<br />

»Sie meinen, daß Sie an das, was Sie mir bei unserem<br />

letzten Gespräch erzählt haben, gar nicht glauben?«<br />

»Oh, doch!« Ralsons schlanker Körper zitterte vor<br />

innerer Erregung. Er rannte zum Fenster, und Blaustein<br />

drehte sich im Sessel, um ihn im Auge behalten<br />

zu können. Ralson konnte nicht aus dem Fenster<br />

springen. Das Glas war unzerbrechlich.<br />

Das Dämmerlicht verlosch und die ersten Sterne<br />

zeigten sich am Himmel. Ralson starrte sie fasziniert<br />

an, dann wandte er sich Blaustein zu und zeigte mit<br />

einem Finger aus dem Fenster.<br />

»Jeder einzelne von ihnen ist ein Brutapparat. Sie<br />

haben gerade die richtigen Temperaturen. Verschiedene<br />

Experimente, verschiedene Temperaturen. Und<br />

die Planeten, die sie umkreisen, besitzen gewaltige<br />

Kulturen, die verschiedene Nährstoffmixturen und<br />

verschiedene Lebensformen enthalten. Die Experimentatoren<br />

sind natürlich auch Ökonomen, wer immer<br />

und was immer sie auch sein mögen. Sie haben<br />

41


verschiedene Typen von Lebensformen in dieser besonderen<br />

Teströhre kultiviert. Die Dinosaurier in einem<br />

feuchten, tropischen Zeitalter und uns selbst in<br />

einer Art Eiszeit. Sie bewegen die Sonne hin und her,<br />

und wir versuchen die Sonne zu erforschen.« Er verzog<br />

die Lippen zu einem verächtlichen Lächeln.<br />

»Sicher ist es nicht möglich, die Sonne hin- und<br />

herzubewegen, wie man es gerade möchte.«<br />

»Warum nicht? Genauso stellen wir die richtige<br />

Temperatur in einem Brutkasten her. Glauben Sie,<br />

die Bakterien wissen, wie die Hitze entstanden ist,<br />

die sie umgibt? Wer weiß das? Vielleicht entwickeln<br />

sie auch Theorien. Vielleicht haben sie ihre eigene<br />

Kosmogenie über kosmische Katastrophen, die aus<br />

zerbrochenen Glühbirnen bestehen. Vielleicht glauben<br />

Sie an irgendeinen wohltätigen Schöpfer, der sie<br />

mit Futter und Wärme versorgt und zu ihnen spricht:<br />

›Seid fruchtbar und vermehret euch!‹<br />

Wir pflanzen uns wie sie fort, und wir wissen<br />

nicht, warum. Wir beobachten die sogenannten Gesetze<br />

der Natur, die nichts anderes sind als unsere<br />

Interpretationen der unverstandenen Mächte, die uns<br />

beherrschen.<br />

Und jetzt machen sie das größte und bedeutendste<br />

Experiment mit uns. Es dauert schon zweihundert<br />

Jahre. Ich kann mir vorstellen, daß sie im siebzehnten<br />

Jahrhundert beschlossen, Englands Fähigkeit für<br />

Mechanik zu entwickeln. Wir nennen das die industrielle<br />

Revolution. Es begann mit Dampfenergie,<br />

dann folgte die Elektrizität und schließlich die<br />

42


Atomenergie. Es war ein interessantes Experiment,<br />

und sie trieben es bis zum äußersten. Und deshalb<br />

müssen sie es jetzt auf ziemlich drastische Weise beenden.«<br />

»Und wie wollen sie es beenden?« fragte Blaustein.<br />

»Haben Sie eine Idee?«<br />

»Welches Mittel gibt es wohl, ein technisches<br />

Zeitalter zu beenden? Die ganze Welt fürchtet einen<br />

Atomkrieg und unternimmt alles, um ihn zu verhindern.<br />

Aber ebenso herrscht die weltweite Furcht, daß<br />

ein Atomkrieg unvermeidlich sein wird.«<br />

»Mit anderen Worten, die Experimentatoren werden<br />

einen Atomkrieg arrangieren, gleichgültig, ob<br />

wir damit einverstanden sind oder nicht, um die<br />

technische Ära zu beenden und eine neue zu beginnen.<br />

Das meinen Sie doch, nicht wahr?«<br />

»Ja. Das ist doch logisch. Wenn wir ein Instrument<br />

sterilisieren, wissen dann die Bakterien, woher die<br />

tödliche Hitze kommt? Oder wodurch sie verursacht<br />

wird? Und genauso gibt es einen Weg, wie die Experimentatoren<br />

unsere Emotionen erhitzen können, einen<br />

Weg, wie sie unsere Handlungen beeinflussen,<br />

der über unser Verständnis hinausgeht.«<br />

»Und deshalb wollen Sie sterben? Weil Sie glauben,<br />

daß die Zerstörung der Zivilisation bevorsteht<br />

und durch nichts aufgehalten werden kann?«<br />

»Ich will nicht sterben«, sagte Ralson. »Aber ich<br />

muß.« Unsägliche Qual sprach aus seinen Augen.<br />

»Doktor, wenn Sie eine Kultur sehr gefährlicher<br />

Bakterien angelegt haben, die Sie ständig unter Kon-<br />

43


trolle halten müssen, wäre es da nicht notwendig, daß<br />

Sie in einer gewissen Entfernung vom Impfzentrum<br />

einen mit Penizillin imprägnierten Kreis von Agar-<br />

Medien errichten? Alle Bakterien, die sich zu weit<br />

vom Zentrum entfernen, würden sterben. Ganz automatisch.<br />

Und sehen Sie, Doktor, genauso legen die Experimentatoren<br />

einen Penizillinring um unseren Intellekt.<br />

Wenn wir zu weit ausschwärmen, wenn wir die<br />

wahre Bedeutung unserer Existenz durchbrechen,<br />

stoßen wir auf das Penizillin und müssen sterben. Es<br />

funktioniert ganz langsam, aber unaufhaltsam.«<br />

Er lächelte traurig.<br />

»Kann ich jetzt in mein Zimmer zurückgehen,<br />

Doktor?«<br />

Um die Mittagsstunde des nächsten Tages kam Dr.<br />

Blaustein in Ralsons Zimmer. Es war ein kleiner, unpersönlicher<br />

Raum. Die Wände waren mit grauem<br />

Gummi verkleidet. Die kleinen Fenster lagen in unerreichbarer<br />

Höhe. Direkt auf dem Gummiboden lag<br />

eine Matratze. Kein einziger Metallgegenstand befand<br />

sich im Zimmer, kein einziger Gegenstand, mit<br />

dem man hätte Selbstmord begehen können.<br />

Ralson setzte sich auf.<br />

»Hallo!«<br />

»Hallo, Dr. Ralson. Kann ich mit Ihnen sprechen?«<br />

»Hier? Ich kann Ihnen keinen Stuhl anbieten.«<br />

»Das macht nichts. Ich kann stehen. Ich sitze die<br />

44


ganze Zeit, und da tut mir das Stehen manchmal ganz<br />

gut. Dr. Ralson, ich habe die ganze Nacht über unsere<br />

bisherigen Gespräche nachgedacht.«<br />

»Und jetzt wollen Sie eine Behandlung beginnen,<br />

die mich von den Ideen befreien soll, die Sie für<br />

Wahnvorstellungen halten.«<br />

»Nein. Ich will nur ein paar Fragen an Sie richten<br />

und vielleicht einige Konsequenzen Ihrer Theorien<br />

aufdecken, die Sie möglicherweise nicht bedacht haben.«<br />

»Oh?«<br />

»Sehen Sie, Dr. Ralson, seit Sie mir Ihre Gedankengänge<br />

eröffnet haben, weiß ich, was Sie wissen,<br />

und trotzdem fühle ich keinerlei Zwang, mich umzubringen.«<br />

»Glaube ist mehr als Wissen, Doktor. Sie müßten<br />

ganz fest an meine Theorie glauben, und das tun Sie<br />

nicht.«<br />

»Vielleicht bin ich nicht fähig dazu.«<br />

»Wie meinen Sie das?«<br />

»Sie sind kein Biologe, Dr. Ralson. Und wenn Sie<br />

auch ein brillanter Physiker sind, so können Sie doch<br />

nicht wirklich über diese Bakterienkulturen Bescheid<br />

wissen, die Sie als Analogien benutzen. Sie müssen<br />

wissen, daß es möglich ist, Bakterien zu züchten, die<br />

gegen Penizillin oder jedes andere bakterielle Gift<br />

immun sind.«<br />

»Und?«<br />

»Die Experimentatoren, die uns sozusagen züchten,<br />

arbeiten doch schon seit vielen Generationen mit<br />

45


der Menschheit, nicht wahr? Und dieses besondere<br />

Geschlecht, das sie seit zwei Jahrhunderten kultivieren,<br />

scheint keineswegs aussterben zu wollen. Im<br />

Gegenteil, es ist ein kräftiges, lebensfreudiges Geschlecht.<br />

Ältere hochentwickelte Geschlechter waren<br />

auf einzelne Städte oder kleinere Länder beschränkt<br />

und hielten sich nur ein oder zwei Generationen.<br />

Aber dieses jetzige Geschlecht ist über die ganze Erde<br />

verbreitet. Meinen Sie nicht, daß es gegen Penizillin<br />

immun sein könnte. Mit anderen Worten, die Methoden,<br />

die die Experimentatoren anwenden wollen,<br />

um uns zu vernichten, müssen nicht unbedingt wirksam<br />

sein.«<br />

Ralson schüttelte den Kopf.<br />

»Was mich betrifft, so spüre ich ihre Wirkung<br />

recht deutlich.«<br />

»Vielleicht leisten Sie nicht genug Widerstand.<br />

Oder Sie sind in stark konzentriertes Penizillin hineingestolpert.<br />

Denken Sie doch an all die Menschen,<br />

die sich bemühen, die atomare Aufrüstung gesetzlich<br />

zu verbieten und eine Weltregierung zu schaffen, die<br />

einen andauernden Frieden garantiert. Diese Anstrengungen<br />

haben sich in letzter Zeit verstärkt.«<br />

»Sie werden den bevorstehenden Atomkrieg nicht<br />

aufhalten.«<br />

»Vielleicht ist dazu nur ein kleines bißchen mehr<br />

Mühe notwendig. Die Verfechter des Friedens werden<br />

sich nicht umbringen. Immer mehr Menschen<br />

werden gegen die Methoden der Experimentatoren<br />

immun werden. Wissen Sie, was in unseren Atom-<br />

46


Laboratorien geschieht?«<br />

»Ich will es nicht wissen.«<br />

»Sie müssen es wissen. Sie versuchen ein Kraftfeld<br />

zu entwickeln, das die Atombombe stoppen<br />

kann. Nehmen Sie einmal an, ich kultiviere eine giftige<br />

Bakterie. Da kann es bei allen Vorsichtsmaßnahmen<br />

einmal passieren, daß sich eine Seuche ausbreitet.<br />

Wir sind für die Experimentatoren zwar nur<br />

Bakterien, aber wir können ihnen gefährlich werden.<br />

Sonst würden sie uns nicht nach jedem Experiment<br />

so sorgfältig vernichten.<br />

Sie arbeiten nicht sehr schnell, nicht wahr? Für sie<br />

sind tausend Jahre wie ein Tag. Mit der Zeit merken<br />

sie, daß wir die Penizillinsperre durchbrochen haben.<br />

Und dann ist es für sie zu spät, uns aufzuhalten. Sie<br />

haben uns zur Atomphysik geleitet, und wenn es uns<br />

gelingt zu vermeiden, daß wir einander in einem<br />

Atomkrieg vernichten, so sind wir den Experimentatoren<br />

ebenbürtig.«<br />

Ralson stand auf. Obwohl er nicht sehr groß war,<br />

überragte er Blaustein doch um eineinhalb Zoll.<br />

»Arbeiten sie tatsächlich an einem Kraftfeld?«<br />

»Sie versuchen es. Und sie brauchen Sie.«<br />

»Nein. Ich kann nicht.«<br />

»Sie brauchen Sie, damit Sie ihnen sagen, was für<br />

Sie so offensichtlich ist. Für die anderen ist es nicht<br />

offensichtlich. Denken Sie doch, was es heißt, wenn<br />

Sie Ihre Hilfe verweigern. Es bedeutet die Niederlage<br />

der Menschheit gegen die Experimentatoren.«<br />

Ralson ging mit großen Schritten durch den Raum.<br />

47


Er starrte die gummiverkleidete Wand an.<br />

»Aber diese Niederlage wird es geben. Wenn sie<br />

ein Kraftfeld konstruieren, so bedeutet das ihren sicheren<br />

Tod, noch bevor sie ihre Arbeit beendet haben.«<br />

»<strong>Der</strong> Tod droht ihnen so oder so. Aber sie versuchen,<br />

ihn zu verhindern.«<br />

»Ich will ihnen helfen.«<br />

»Wollen Sie sich noch immer umbringen?«<br />

»Ja.«<br />

»Aber Sie werden versuchen, es zu unterlassen?«<br />

»Ich werde es versuchen, Doktor.« Ralsons Lippen<br />

zitterten. »Ich muß ständig unter Aufsicht stehen.«<br />

Blaustein stieg die Stufen empor und zeigte dem<br />

Wächter in der Vorhalle seinen Paß. Er hatte ihn<br />

schon an der Außentür vorweisen müssen, aber jetzt<br />

wurden seine Person, sein Paß und seine Unterschrift<br />

erneut geprüft. Nach einer Weile kehrte der Wächter<br />

in seinen kleinen Amtsraum zurück und telefonierte.<br />

Die Antwort stellte ihn endlich zufrieden. Blaustein<br />

nahm Platz, und nach wenigen Minuten stand er auf<br />

und schüttelte Dr. Grant die Hand.<br />

»Sogar der Präsident der Vereinigten Staaten hätte<br />

Schwierigkeiten, hier hereinzukommen, nicht wahr?«<br />

sagte Blaustein.<br />

<strong>Der</strong> schlanke Physiker lächelte.<br />

»Sicher, wenn er ohne Vorankündigung eintrifft.«<br />

Sie bestiegen einen Lift, der sie zwölf Stockwerke<br />

hochbrachte. Das Büro, in das Grant den Psychiater<br />

48


führte, hatte Fenster nach drei Richtungen. Es war<br />

schalldicht und besaß eine Klimaanlage. Die polierten<br />

Walnußbaummöbel glänzten.<br />

»Das sieht ja aus wie die Office eines Vorsitzenden.<br />

Die Wissenschaft wird langsam zum ganz großen<br />

Geschäft.«<br />

Grant blickte seinen Besucher verwirrt an.<br />

»Ja, sicher. Aber die Gelder der Regierung fließen<br />

reichlich, und es ist schwierig, ein Kongreßmitglied<br />

von der Wichtigkeit Ihrer Arbeit zu überzeugen,<br />

wenn der Mann nicht den äußeren Glanz sehen, riechen<br />

oder fühlen kann, mit dem Sie sich umgeben.«<br />

Blaustein setzte sich und spürte, wie der gepolsterte<br />

Sessel weich nachgab.<br />

»Dr. Elwood Ralson ist bereit, seine Arbeit wieder<br />

aufzunehmen«, sagte er.<br />

»Wunderbar. Ich hoffte, daß Sie mir diese Nachricht<br />

bringen würden, als 5ie sich bei mir anmeldeten.«<br />

Grant bot dem Psychiater eine Zigarre an, die<br />

dieser jedoch ablehnte.<br />

»Aber wie dem auch sei«, sagte Blaustein, »er ist<br />

noch immer ein kranker Mann. Er muß sorgfältig<br />

und mit großer Einfühlungsgabe behandelt werden.«<br />

»Sicher. Natürlich.«<br />

»Es ist nicht so einfach, wie Sie vielleicht denken.<br />

Ich werde Ihnen einiges über Ralsons Probleme erzählen,<br />

damit Sie verstehen, wie heikel die Situation<br />

ist.«<br />

Er begann zu sprechen, und Grant hörte zuerst interessiert<br />

und dann mit wachsender Bestürzung zu.<br />

49


»Er muß den Verstand verloren haben, Dr. Blaustein.<br />

Unter diesen Umständen wird er uns nicht<br />

nützlich sein können. Er ist verrückt.«<br />

Blaustein zuckte mit den Schultern.<br />

»Ich weiß nicht, was Sie unter ›verrückt‹ verstehen.<br />

Das ist ein böses Wort. Gebrauchen Sie es nicht.<br />

Sicher, er leidet unter Wahnvorstellungen. Man kann<br />

nicht wissen, ob sie seine speziellen Talente beeinflußen<br />

oder nicht.«<br />

»Aber ein Wahnsinniger kann doch nicht …«<br />

»Bitte, halten wir uns nicht mit langen EHskussionen<br />

über die psychologische Definition von Wahnsinn<br />

auf. <strong>Der</strong> Mann hat Wahnvorstellungen, und unter<br />

normalen Umständen würde ich ihn zweifellos<br />

beurlauben. Aber die besonderen Fähigkeiten dieses<br />

Mannes werden mithelfen, ein Problem zu lösen, das<br />

absolut außerhalb jeder Norm liegt. So ist es doch,<br />

nicht wahr?«<br />

»Das stimmt.«<br />

»Wie können Sie oder ich dann den Wert seiner<br />

Arbeit beurteilen? Übrigens, hatten Sie in letzter Zeit<br />

Selbstmordgedanken?«<br />

»Nein.«<br />

»Und die anderen Wissenschaftler hier?«<br />

»Sicher nicht.«<br />

»Ich möchte vorschlagen, daß während der Arbeit<br />

an dem Kraftfeld die betroffenen Wissenschaftler<br />

sowohl hier als auch zu Hause beobachtet werden.<br />

Noch besser wäre es, wenn sie gar nicht nach Hause<br />

gehen würden. Büros wie dieses kann man als kleine<br />

50


Schlafzimmer einrichten …«<br />

»Sie wären niemals damit einverstanden.«<br />

»Oh doch, wenn Sie ihnen die wahren Gründe verschweigen<br />

und sagen, es handle sich um eine Sicherheitsmaßnahme,<br />

werden sie zustimmen. Sicherheitsmaßnahmen.<br />

Dieses Wort ist doch heute sehr beliebt.<br />

Ralson muß mehr als alle anderen beaufsichtigt werden.«<br />

»Natürlich.«<br />

»Aber all das ist von geringerer Bedeutung. Es<br />

muß etwas getan werden, um mein Gewissen zu entlasten,<br />

für den Fall, daß Ralsons Theorien richtig<br />

sind. Ich glaube das natürlich nicht. Es handelt sich<br />

sicher um Wahnvorstellungen, aber es ist notwendig,<br />

nach ihrer Ursache zu fragen. Was gab oder gibt es<br />

in Ralsons Leben, das diese Wahnvorstellungen hervorruft?<br />

Die Antwort wird nicht einfach sein. Es<br />

kann jahrelanger konsequenter Psychoanalyse bedürfen,<br />

um eine befriedigende Erklärung zu finden. Und<br />

bevor ich die Antwort nicht weiß, kann ich ihn nicht<br />

heilen.<br />

Aber vorläufig können wir wenigstens einige Gegebenheiten<br />

annehmen. Er hatte eine unglückliche<br />

Kindheit, in der er auf die eine oder andere Art mit<br />

dem Tod konfrontiert wurde, und zwar auf ziemlich<br />

unangenehme Weise. Außerdem war er nie fähig,<br />

Kontakt zu anderen Kindern zu finden, und als er<br />

erwachsen wurde, ging es ihm genauso mit allen anderen<br />

Menschen. Ihre langsame Denkungsart erweckte<br />

stets seine Ungeduld. Was immer auch der<br />

51


Unterschied zwischen seinem Denken und dem anderer<br />

Menschen sein mag, er errichtete eine Mauer zwischen<br />

sich und der Gesellschaft, die etwa so stark ist<br />

wie das Kraftfeld, daß Sie zum Schutz gegen die<br />

Atombombe zu entwickeln versuchen. Aus ähnlichen<br />

Gründen war er immer außerstande, ein normales<br />

Geschlechtsleben zu führen. Er war nie verheiratet,<br />

er hatte nie eine Geliebte.<br />

Um diesen Mangel zu kompensieren und eine Entschuldigung<br />

für sein Außenseitertum zu finden,<br />

flüchtete er sich in die Annahme, daß andere Menschen<br />

ihm unterlegen sind. Das mag vielleicht stimmen,<br />

soweit es seinen Verstand betrifft.<br />

Aber es gibt noch viele andere Facetten der<br />

menschlichen Persönlichkeit, und nicht in allen ist er<br />

überlegen. Kein Mensch wird das jemals sein. Andere<br />

Menschen, wenn sie auch ihre Unterlegenheit in<br />

gewissen Belangen anerkennen, werden seinen Anspruch<br />

auf absoluten Vorrang nicht akzeptieren. Sie<br />

würden denken, daß er etwas seltsam, ja sogar lächerlich<br />

ist. Und das macht es für Ralson nur noch<br />

notwendiger zu beweisen, wie armselig und unterlegen<br />

die Spezies Mensch ist. Und wie kann er das<br />

besser bewerkstelligen, als sich eine Theorie zurechtzuzimmern,<br />

die besagt, daß die Menschen nur<br />

Bakterien sind, mit denen andere, höhere Geschöpfe<br />

experimentieren. Und sein Selbstmordimpuls ist<br />

nichts anderes als eine wilde Sehnsucht, sich von allem,<br />

was menschlich ist, zu lösen, die Identifizierung<br />

mit dieser jämmerlichen Spezies zu beenden. Verste-<br />

52


hen Sie, was ich meine?«<br />

Grant nickte.<br />

»<strong>Der</strong> arme Kerl.«<br />

»Ja, er ist bedauernswert. Wenn seine Kindheit<br />

anders verlaufen wäre … Nun, es wird das Beste für<br />

Dr. Ralson sein, wenn er in keinen Kontakt mit den<br />

anderen Männern hier kommt. Er ist zu krank, als<br />

daß man ihn den anderen Wissenschaftlern anvertrauen<br />

könnte. Sie werden der einzige sein, der ihn<br />

sieht und mit ihm spricht. Dr. Ralson hat sich damit<br />

einverstanden erklärt. Er denkt offensichtlich, daß<br />

Sie nicht ganz so dumm sind wie die anderen.«<br />

Grant lächelte schwach.<br />

»Gut, ich werde tun, was Sie sagen.«<br />

»Sie müssen natürlich sehr vorsichtig sein. Sprechen<br />

Sie mit ihm nur über die Arbeit, über nichts anderes.<br />

Sollte er freiwillig von seinen Theorien erzählen,<br />

was ich bezweifle, so sagen Sie irgend etwas<br />

Unverbindliches und lassen ihn dann allein. Und sorgen<br />

Sie dafür, daß jeder spitze oder scharfe Gegenstand<br />

aus seiner Nähe entfernt wird. Ebenso darf er<br />

an kein Fenster herankommen. Versuchen Sie immer,<br />

seine Hände zu beobachten. Sie müssen mich<br />

verstehen. Ich lasse meinen Patienten in Ihrer Obhut.<br />

Sie sind für ihn verantwortlich, Dr. Grant.«<br />

»Ich werde mein Bestes tun, Dr. Blaustein.«<br />

Zwei Monate lang wohnte Ralson in einer Ecke von<br />

Grants Office, und Grant wohnte bei ihm. Vor den<br />

Fenstern waren Gitter angebracht worden. Alle höl-<br />

53


zernen Einrichtungsgegenstände waren entfernt und<br />

durch weich gepolsterte Sofas ersetzt worden. Wenn<br />

Ralson nachdachte, lag er auf einer Couch und wenn<br />

er rechnete, saß er auf einem Kissen und schrieb an<br />

einem Schreibtisch, der ebenfalls aus weichen Kissen<br />

bestand.<br />

Vor dem Büro war die Aufschrift ›Bitte nicht eintreten‹<br />

angebracht worden. Grant brachte das Essen.<br />

<strong>Der</strong> anschließende Aufenthaltsraum war für jeden<br />

privaten Gebrauch gesperrt worden, und die Tür zwischen<br />

den beiden Räumen hatte man zugemauert.<br />

Grant war dazu übergegangen, sich elektrisch zu rasieren,<br />

damit Ralson nicht durch ein Rasiermesser<br />

auf dumme Gedanken kommen konnte. Er vergewisserte<br />

sich, daß Ralson jeden Abend Schlaftabletten<br />

schluckte, und wartete, bis er eingeschlafen war, bevor<br />

er selbst schlief.<br />

Wenn Ralson die Forschungsberichte las, die ihm<br />

ständig gebracht wurden, so beobachtete Grant ihn<br />

unauffällig. Nach der Lektüre ließ Ralson die Papiere<br />

zu Boden fallen und beschattete die Augen mit der<br />

Hand.<br />

»Ist irgend etwas?« fragte Grant.<br />

Ralson schüttelte den Kopf.<br />

»Während des Schichtwechsels werde ich dafür<br />

sorgen, daß das Gebäude völlig leer ist. Sie müßten<br />

sich einmal die Versuchsanordnungen ansehen, die<br />

wir aufgebaut haben.«<br />

Sie gingen durch die erhellten, leeren Räume,<br />

Hand in Hand. Sie gingen immer Hand in Hand.<br />

54


Grants Griff war fest. Aber danach schüttelte Ralson<br />

noch immer den Kopf.<br />

Ein halbes dutzendmal begann er zu schreiben,<br />

kritzelte ein wenig auf dem Papier herum und warf<br />

dann die Kissen beiseite.<br />

Bis er schließlich wieder einmal zu schreiben begann<br />

und blitzschnell ein halbes Blatt Papier vollschrieb.<br />

Automatisch trat Grant näher. Ralson blickte<br />

auf und bedeckte das Papier mit seiner zitternden<br />

Hand.<br />

»Rufen Sie Blaustein an!« sagte er.<br />

»Was?«<br />

»Ich sagte, Sie sollen Blaustein anrufen. Er soll<br />

hierherkommen! Sofort!«<br />

Grant ging zum Telefon. Ralson schrieb immer rascher.<br />

Er hielt nur ab und zu inne, um sich mit der<br />

Hand über die feuchte Stirn zu wischen. Dann blickte<br />

er auf und fragte mit gebrochener Stimme: »Kommt<br />

er?«<br />

Grant musterte ihn besorgt.<br />

»Er ist nicht in seinem Büro.«<br />

»Rufen Sie bei ihm zu Hause an! Oder sonstwo!<br />

Rasch, verlieren Sie keine Zeit!«<br />

Grant wandte sich wieder dem Telefon zu, und<br />

Ralson nahm ein zweites Blatt Papier. Fünf Minuten<br />

später sagte Grant: »Er kommt. Ist etwas nicht in<br />

Ordnung? Sie sehen krank aus.«<br />

»Keine Zeit – kann nicht reden …«, erwiderte<br />

Ralson dumpf.<br />

Er schrieb, kritzelte, skizzierte. Seine Hand schien<br />

55


seinen Gedankengängen kaum folgen zu können.<br />

»Diktieren Sie!« sagte Grant. »Ich werde schreiben.«<br />

Ralson wehrte ab. Mit der Linken umklammerte er<br />

sein rechtes Handgelenk, schob die Hand über das<br />

Blatt Papier, als wäre sie ein Stück Holz. Dann brach<br />

er über den Papieren zusammen.<br />

Grant zog die Blätter unter Ralsons Brust hervor<br />

und bettete den Bewußtlosen auf die Couch. Besorgt<br />

beugte er sich über ihn, als Blaustein eintraf.<br />

»Was ist passiert?« <strong>Der</strong> Psychiater trat an Grants<br />

Seite.<br />

»Ich glaube, er lebt noch«, erwiderte Grant. Aber<br />

inzwischen hatte das Blaustein bereits selbst festgestellt.<br />

Grant erzählte ihm, was geschehen war. Mit<br />

einer Injektion rief der Psychiater Ralson ins Bewußtsein<br />

zurück. Die Augen des Kranken glänzten<br />

unnatürlich, als er sie aufschlug. Er stöhnte.<br />

»Ralson!« sagte Blaustein eindringlich.<br />

Blindlings griff Ralson nach der Hand des Psychiaters.<br />

»Doktor, nehmen Sie mich wieder mit.«<br />

»Das werde ich tun. Haben Sie herausgefunden,<br />

wie das Kraftfeld funktionieren könnte?«<br />

»Es steht alles in den Papieren.«<br />

Grant überflog skeptisch Ralsons Aufzeichnungen.<br />

»Es ist nicht alles«, sagte Ralson mit schwacher<br />

Stimme. »Ich kann nicht alles aufschreiben. Den<br />

Rest müssen Sie selbst herausfinden. Nehmen Sie<br />

mich mit, Doktor.«<br />

56


»Warten Sie!« sagte Grant. Hüsternd wandte er<br />

sich an Blaustein. »Können Sie ihn nicht hierlassen,<br />

bis wir seine Berechnungen überprüft und genau untersucht<br />

haben? Ich kann im Moment nichts damit<br />

anfangen. Es ist fast unleserlich. Fragen Sie ihn<br />

doch, was er damit meint!«<br />

»Fragen Sie mich«, sagte Ralson. Er hatte von seiner<br />

Couch aus das Gespräch mitangehört. Seine<br />

weitgeöffneten Augen funkelten. Die beiden Männer<br />

drehten sich zu ihm herum.<br />

»Sie wollen kein Kraftfeld«, sagte Ralson. »Sie,<br />

die Experimentatoren! Solange ich den Dingen nicht<br />

wirklich auf der Spur war, passierte nichts. Aber dieser<br />

Gedanke, da auf den Papieren, kaum daß ich ihn<br />

dreißig Sekunden lang verfolgt habe, da spürte ich –<br />

spürte ich – Doktor …«<br />

»Was spürten Sie?« fragte Blaustein.<br />

»Ich bin tiefer in das Penizillin eingedrungen«,<br />

flüsterte Ralson. »Ich fühlte, wie ich hineinglitt, und<br />

je weiter ich den Gedanken verfolgte, um so tiefer<br />

drang ich in das Penizillin ein. Noch nie war ich – so<br />

tief drin gewesen. Und deshalb weiß ich, daß ich auf<br />

der richtigen Spur bin. Nehmen Sie mich mit, Doktor.«<br />

»Ich muß ihn mitnehmen, Grant«, sagte Blaustein<br />

mit fester Stimme. »Ich habe keine andere Wahl.<br />

Wenn Sie aus seinen Aufzeichnungen klug werden,<br />

ist es gut. Wenn nicht, kann ich Ihnen auch nicht helfen.<br />

Dieser Mann kann jetzt nicht weiterarbeiten. Es<br />

würde seinen Tod bedeuten. Verstehen Sie das?«<br />

57


»Aber es ist doch völlig unmöglich und unlogisch,<br />

daß er daran stirbt«, warf Grant ein.<br />

»Mag sein. Aber spielt es eine Rolle, woran er<br />

stirbt?«<br />

Ralson war wieder bewußtlos und hörte nichts<br />

mehr. Grant bückte ihn ernst an.<br />

»Gut, nehmen Sie ihn mit.«<br />

Mürrisch betrachteten zehn der qualifiziertesten Wissenschafler<br />

des Instituts die leuchtende Filmleinwand,<br />

über die ein Dia nach dem anderen glitt. Grant<br />

beobachtete sie stirnrunzelnd.<br />

»Ich denke, die Idee ist einfach genug«, sagte er.<br />

»Sie sind Mathematiker und Ingenieure. Die Aufzeichnungen<br />

mögen unsinnig wirken, aber es steht<br />

eine Bedeutung dahinter. Irgendwo in diesem Gekritzel<br />

muß sie zu finden sein, wenn es auch noch so<br />

wirr aussieht. Die erste Seite ist klar genug und kann<br />

als Anhaltspunkt dienen. Jeder von Ihnen wird sich<br />

die Papiere immer wieder ansehen, jede mögliche<br />

Version untersuchen. Sie werden unabhängig voneinander<br />

arbeiten. Keiner soll die Gedanken des anderen<br />

beeinflussen.«<br />

»Wie können Sie wissen, daß das überhaupt etwas<br />

bedeutet, Grant?« fragte einer der Männer.<br />

»Weil es sich um Ralsons Aufzeichnungen handelt.«<br />

»Ralson! Ich dachte, er sei …«<br />

»Sie dachten, er sei krank.« Grant mußte die<br />

Stimme heben, um das immer lauter werdende Ge-<br />

58


murmel zu übertönen. »Ich weiß. Er ist krank. Dies<br />

sind die Aufzeichnungen eines Mannes, der knapp<br />

dem Tod entronnen ist. Das ist alles, was Ralson uns<br />

noch geben konnte. Wir haben nichts mehr von ihm<br />

zu erwarten. Irgendwo in diesen Aufzeichnungen<br />

liegt die Lösung unseres Problems. Wenn wir sie<br />

nicht finden, werden wir noch zehn Jahre verschwenden<br />

müssen, um sie anderswo zu suchen.«<br />

Sie machten sich an die Arbeit. Die Nacht verstrich.<br />

Zwei Nächte verstrichen. Drei Nächte …<br />

Grant prüfte die Ergebnisse. Er schüttelte den<br />

Kopf.<br />

»Ich kann Ihnen versichern, daß hier irgendwo ein<br />

Zusammenhang besteht. Aber ich kann ihn nicht sehen.«<br />

Lowe, nach Ralson der beste Nuklear-Ingenieur<br />

des Instituts, zuckte mit den Schultern.<br />

»Ich werde nicht ganz schlau daraus. Wenn seine<br />

Theorie wirklich funktionieren soll, dann geht daraus<br />

jedenfalls nicht hervor, auf welche Weise.«<br />

»Er hatte keine Zeit mehr, das zu erklären. Können<br />

Sie den Generator so aufbauen, wie er es angegeben<br />

hat?«<br />

»Ich kann es versuchen.«<br />

»Könnten Sie auch die anderen Versionen auf diesen<br />

Papieren überprüfen?«<br />

»In den anderen sehe ich keinen Zusammenhang.«<br />

»Würden Sie es bitte noch einmal versuchen?«<br />

»Wenn Sie es wünschen.«<br />

»Und könnten Sie auf jeden Fall mit der Konstruk-<br />

59


tion beginnen?«<br />

»Das kann ich tun. Aber ich sage Ihnen ganz offen,<br />

daß ich sehr pessimistisch bin.«<br />

»Ich weiß. Mir geht es nicht anders.«<br />

Die Arbeit machte Fortschritte. Hal Ross, der dienstälteste<br />

Mechaniker, war mit der praktischen Konstruktion<br />

betraut worden. Schon seit Nächten verzichtete<br />

er auf seinen Schlaf. Zu jeder Tages- oder<br />

Nachtstunde beugte er sich über seine Arbeit.<br />

»Was ist das, Dr. Lowe? So etwas habe ich noch<br />

nie gesehen. Was soll das denn bedeuten?«<br />

»Sie wissen doch, daß hier keine Fragen gestellt<br />

werden sollen. Fragen Sie nicht mehr.«<br />

Ross stellte keine Fragen mehr. Die Konstruktion,<br />

die er errichtete, mißfiel ihm absolut. Aber er arbeitete<br />

weiter.<br />

Eines Tages rief Blaustein an.<br />

»Wie geht es Ralson?« fragte Grant.<br />

»Nicht gut. Er will den ersten Test des Projektors<br />

miterleben.«<br />

»Das sollten wir ihm erlauben«, sagte Grant zögernd.<br />

»Immerhin handelt es sich um seine Erfindung.«<br />

»Ich müßte mit ihm kommen.«<br />

»Das ist gefährlich«, sagte Grant unglücklich.<br />

»Immerhin experimentieren wir mit ungeheuren<br />

Energien.«<br />

»Es ist für uns nicht gefährlicher als für Sie.«<br />

»Also gut. Die Liste der Zuschauer wird von der<br />

60


Kommission und vom FBI überprüft, aber ich werde<br />

versuchen, Sie zu nominieren.«<br />

Blaustein betrachtete den Projektor, der in der Mitte<br />

des riesigen Versuchslaboratoriums aufgebaut war.<br />

Alle anderen Maschinen waren entfernt worden. Es<br />

gab keine sichtbare Verbindung mit der Atomkraftanlage,<br />

die als Energiequelle diente, aber den Gesprächsfetzen,<br />

die der Psychiater aufschnappte,<br />

konnte er entnehmen, daß der Projektor von unten<br />

mit Atomenergie versorgt wurde. Ralson hatte er<br />

nicht fragen wollen.<br />

Zuerst waren die Besucher um die Maschine herumgestanden<br />

und hatten sich in einem für Blaustein<br />

unverständlichen Vokabular unterhalten. Jetzt zogen<br />

sie sich zurück, und die Galerie füllte sich. Auf der<br />

gegenüberliegenden Seite saßen drei Generäle und<br />

eine ganze Reihe niederer militärischer Dienstgrade.<br />

Blaustein suchte nach einem abgelegenen Platz. Ralson<br />

zuliebe.<br />

»Wollen Sie wirklich bleiben?« fragte er ihn.<br />

Es war sehr warm im Laboratorium. Trotzdem<br />

trug Ralson einen Mantel und hatte den Kragen<br />

hochgeklappt. Aber Blaustein wußte, daß das unnötig<br />

war. Er bezweifelte, daß irgendeiner von Ralsons<br />

früheren Bekannten den Ingenieur wiedererkannt<br />

hätte.<br />

»Ich will bleiben«, sagte Ralson.<br />

Blaustein war zufrieden. Er wollte selbst den Versuch<br />

sehen. Er drehte sich um, als eine Stimme hinter<br />

61


ihm ertönte.<br />

»Hallo, Dr. Blaustein.«<br />

Sekundenlang wußte Blaustein nicht, wen er vor<br />

sich hatte, doch dann sagte er: »Ah, Inspektor Darrity?<br />

Was machen denn Sie hier?«<br />

»Das können Sie sich doch denken.« <strong>Der</strong> Inspektor<br />

zeigte auf die Zuschauer. »Man kann nie sicher<br />

sein, ob sich nicht doch ein Unbefugter eingeschlichen<br />

hat. Man muß immer mit einem unvorhergesehenen<br />

Zwischenfall rechnen. »Er warf sein Taschenmesser<br />

in die Luft und fing es geschickt wieder<br />

auf.<br />

»Natürlich«, sagte Blaustein. »Wo gibt es schon<br />

vollkommene Sicherheit? Wer kann schon seinem<br />

eigenen Unterbewußtsein trauen? Und jetzt wollen<br />

Sie also mich beobachten?«<br />

»Vielleicht.« Darrity lächelte. »Sie waren doch<br />

ganz versessen darauf, hier hereinzukommen, nicht<br />

wahr?«<br />

»Nicht meinetwegen, Inspektor. Und würden Sie<br />

bitte dieses Messer wegstecken?«<br />

Überrascht folgte Darrity Blausteins Blick. Er<br />

steckte das Messer ein und musterte Blausteins Begleiter<br />

etwas genauer. Dann stieß er einen leisen Pfiff<br />

aus.<br />

»Hallo, Dr. Ralson«, sagte er.<br />

»Hallo«, krächzte Ralson.<br />

Darritys Reaktion überraschte Blaustein nicht.<br />

Ralson hatte zwanzig Pfund abgenommen, nachdem<br />

er wieder ins Sanatorium zurückgekehrt war. Sein<br />

62


Gesicht war gelb und faltig. Es war das Gesicht eines<br />

Mannes, der von heute auf morgen sechzig Jahre alt<br />

geworden war.<br />

»Wird der Versuch bald beginnen?« fragte Blaustein.<br />

»Es sieht so aus, als ob sie jetzt anfangen«, erwiderte<br />

Darrity. Er wandte sich ab und beugte sich über<br />

das Geländer der Galerie. Blaustein nahm Ralsons<br />

Ellbogen und wollte ihn beiseite führen, aber Darrity<br />

sagte leise: »Bleiben Sie hier, Doktor. Ich will nicht,<br />

daß Sie herumspazieren.«<br />

Blaustein ließ seine Blicke über die Zuschauer<br />

schweifen. Die Männer sahen aus, als seien sie halb<br />

zu Stein erstarrt. Er konnte Grant sehen, groß und<br />

hager. Langsam hob er seine Hand, um sich eine Zigarette<br />

anzuzünden, doch dann schien er es sich anders<br />

zu überlegen und steckte Zigarette und Feuerzeug<br />

in die Hosentasche. Die jungen Männer an den<br />

Schalttafeln warteten angespannt.<br />

Dann ertönte ein leises Summen, und der schwache<br />

Geruch von Ozon erfüllte die Luft.<br />

»Sehen Sie!« sagte Ralson barsch. Blaustein und<br />

Darrity folgten mit den Augen dem ausgestreckten<br />

Zeigefinger. <strong>Der</strong> Projektor schien zu flackern. Erhitzte<br />

Luft schien zwischen der Maschine und den Männern<br />

zu zittern. Eine Eisenkugel, die wie ein Pendel<br />

hin- und herschwang, senkte sich durch das Flimmern<br />

herab.<br />

»Es wird langsamer, nicht wahr?« fragte Blaustein<br />

erregt.<br />

63


Ralson nickte.<br />

»Sie messen das Anschwellen der Energie, um den<br />

Verlust der Triebkraft berechnen zu können. Diese<br />

Idioten! Ich sagte ihnen doch, daß es funktionieren<br />

würde.« Das Sprechen bereitete ihm offensichtlich<br />

Schwierigkeiten.<br />

»Sehen Sie nur ganz ruhig zu, Dr. Ralson«, sagte<br />

Blaustein. »Ich würde mich nicht mehr grundlos aufregen.«<br />

Das Pendel hörte auf zu schwingen und wurde<br />

hochgezogen. Das Flackern auf dem Projektor wurde<br />

stärker, und wieder senkte sich die Eisenkugel. <strong>Der</strong><br />

Vorgang wiederholte sich noch mehrmals, und jedesmal<br />

endete das Schwingen des Pendels ruckhafter.<br />

Bald konnte man klar hören, wann es in das Flackern<br />

tauchte, und plötzlich sprang es zurück. Erst<br />

mit dumpfem Laut, als wenn es gegen Kalk geprallt<br />

wäre, dann klirrend, wie wenn Metall gegen Metall<br />

stößt.<br />

Sie zogen das Pendel endgültig zurück. <strong>Der</strong> Projektor<br />

war von einem Schleier umgeben. Man konnte<br />

ihn kaum mehr sehen. Grant gab eine Anordnung,<br />

und plötzlich wurde der Ozongeruch scharf und beißend.<br />

Die Zuschauer schrien auf. Ein Dutzend Finger<br />

wiesen zur Mitte des Raumes.<br />

Blaustein beugte sich über das Geländer. Er war<br />

genauso erregt wie die anderen. An der Stelle, wo<br />

noch vor kurzem der Projektor gestanden hatte, befand<br />

sich nun ein halbkugelförmiger Spiegel von<br />

vollkommener Klarheit und Schönheit. Blaustein<br />

64


konnte sich selbst darin sehen, einen kleinen Mann,<br />

der auf einem kleinen Balkon stand. Das Geländer<br />

des Balkons schwang sich auf jeder Seite kurvenförmig<br />

nach unten. Er konnte die fluoreszierenden<br />

Lichter sehen, die der Spiegel in glühenden Punkten<br />

zurückwarf.<br />

»Sehen Sie, Ralson!« schrie er. »Die Energie wird<br />

reflektiert. <strong>Der</strong> Projektor wirft Lichtwellen zurück<br />

wie ein Spiegel. Ralson …« Er wandte sich um. »Inspektor,<br />

wo ist Ralson?«<br />

»Was?« Darrity fuhr herum. »Ich habe ihn nicht<br />

gesehen.« Aufgeregt blickte er um sich. »Er kann das<br />

Laboratorium nicht verlassen. Niemand kann hier<br />

heraus. Suchen Sie auf der anderen Seite.« Und dann<br />

fuhr seine Hand zum Oberschenkel, kramte in der<br />

Hosentasche. »Mein Messer ist verschwunden!«<br />

Blaustein fand ihn. Er war in Hal Ross’ kleinem<br />

Büro. Man konnte es vom Balkon aus erreichen, und<br />

an diesem Tag war es leer. Ross befand sich nicht<br />

einmal unter den Zuschauern. Für einen erfahrenen<br />

Mechaniker war es nicht nötig zuzusehen. Aber sein<br />

Büro war gerade geeignet, um den langen Kampf<br />

gegen einen Selbstmord zu beenden.<br />

Blaustein blieb eine schreckliche Sekunde lang in<br />

der Tür stehen, dann wandte er sich ab. Er sah Darrity<br />

aus einem der anderen Büros treten, winkte ihm<br />

zu, und der Inspektor lief zu ihm.<br />

Grant zitterte vor Erregung. Aus zwei Zigaretten hatte<br />

er je zwei Züge genommen und sie dann auf dem<br />

65


Fußboden zertreten. Jetzt drehte er die dritte zwischen<br />

den Fingern.<br />

»Das ist besser, als wir zu hoffen wagten«, sagte<br />

er. »Morgen machen wir den Schlußtest. Ich weiß<br />

zwar schon jetzt, wie er ausfallen wird, aber wir haben<br />

ihn geplant und werden ihn auch durchführen.<br />

Wir lassen die kleineren Waffen aus und fangen<br />

gleich mit den Raketenrohren an. Oder vielleicht<br />

auch nicht. Man müßte eine spezielle Testvorrichtung<br />

konstruieren, um die Querschläger abzufangen.«<br />

Er warf seine dritte Zigarette zu Boden.<br />

»Wir müssen die Wirkung der Atombombe testen«,<br />

sagte ein General.<br />

»Natürlich. Wir haben schon Pläne für eine Versuchsstadt<br />

entworfen. Wir stellen mitten drin einen<br />

Generator auf und werfen eine Bombe. In der Stadt<br />

werden Tiere sein.«<br />

»Und Sie glauben wirklich, daß wir mit diesem<br />

Kraftfeld einen wirksamen Schutz gegen die Atombombe<br />

haben?«<br />

»Nicht nur das, General. Bevor die Bombe geworfen<br />

wird, wird nichts von dem Kraftfeld zu sehen sein.<br />

Die Strahlung des Plutoniums versorgt das Feld erst<br />

kurz vor der Explosion mit Energie. So wie hier bei<br />

der letzten Stufe des Tests. Das ist das Wesentliche.«<br />

»Die Sache hat aber auch Nachteile«, sagte ein<br />

Professor aus Princeton. »Wenn das Feld voll geladen<br />

ist, wird alles darunter in totale Finsternis gehüllt,<br />

zumindest, soweit das Licht von der Sonne<br />

ausgeht. Außerdem stört es mich, daß der Feind<br />

66


harmlose Raketengeschosse abfeuern kann, um das<br />

Feld immer wieder in volle Ladung zu versetzen. Es<br />

wäre sehr unangenehm, wenn unsere Atomkraftanlage<br />

auf diese Weise verzehrt würde.«<br />

»Auch diese Schwierigkeiten wird man beseitigen<br />

können, jetzt nachdem das Hauptproblem gelöst ist«,<br />

sagte Grant.<br />

Ein Brite trat auf Grant zu und schüttelte ihm die<br />

Hand.<br />

»Meine Sorge um London ist zwar kleiner geworden,<br />

aber ich wünschte, Ihre Regierung würde uns<br />

die gesamten Pläne zur Verfügung stellen. Was ich<br />

bis jetzt gesehen habe, erscheint mir genial. Sicher,<br />

jetzt kommt uns alles ganz selbstverständlich vor.<br />

Aber wie konnte ein Mensch jemals auf diese Idee<br />

kommen?«<br />

Grant lächelte.<br />

»Dr. Ralsons Entwürfe …«<br />

Er drehte sich um, als eine Hand seine Schulter berührte.<br />

»Dr. Blaustein! Sie habe ich ganz vergessen.<br />

Kommen Sie, ich muß mit Ihnen sprechen.« Er zog<br />

den kleinen Psychiater beiseite und flüsterte: »Hören<br />

Sie, könnten Sie Ralson dazu überreden, daß er sich<br />

diesen Leuten vorstellen läßt? Heute ist doch der Tag<br />

seine Triumphes.«<br />

»Ralson ist tot«, sagte Blaustein.<br />

»Was?«<br />

»Könnten Sie Ihre Gäste für einige Zeit allein lassen?«<br />

67


»Ja – ja … Gentlemen, bitte entschuldigen Sie<br />

mich für ein paar Minuten.«<br />

Er eilte mit Blaustein davon.<br />

Die Polizei hatte sich bereits eingeschaltet. Die<br />

Beamten riegelten Ross’ Büro ab. Vor der Tür diskutierte<br />

die erregte Menge das Wunder der Wissenschaft,<br />

das sie soeben miterlebt hatte. Man wußte<br />

nicht, daß der Schöpfer dieses Wunders tot war. Die<br />

Beamten wichen zur Seite, um Grant und Blaustein<br />

einzulassen. Die Tür schloß sich hinter ihnen.<br />

Grant hob das Leichentuch.<br />

»Er sieht zufrieden aus.«<br />

»Ich würde sagen – glücklich«, sagte Blaustein.<br />

»Die Selbstmordwaffe war mein eigenes Messer«,<br />

sagte der totenbleiche Darrity. »Es war meine Nachlässigkeit.<br />

Ich werde es melden.«<br />

»Nein«, sagte Blaustein. »Das wäre sinnlos. Er<br />

war mein Patient, und ich war für ihn verantwortlich.<br />

Er hätte keinesfalls mehr länger als eine Woche gelebt.<br />

Seit er den Projektor erfunden hat, schritt er unaufhaltsam<br />

dem Tod entgegen.«<br />

»Muß eigentlich die ganze Geschichte in den polizeilichen<br />

Akten auftauchen?« fragte Grant. »Können<br />

wir nicht seinen Wahnsinn in Vergessenheit geraten<br />

lassen?«<br />

»Ich fürchte, das wird nicht möglich sein, Dr.<br />

Grant«, sagte der Inspektor.<br />

»Ich habe ihm alles erzählt«, sagte Blaustein traurig.<br />

Grant blickte von einem zum anderen.<br />

68


»Ich werde mit dem Polizeipräsidenten sprechen.<br />

Ich gehe auch zum Präsidenten der Vereinigten Staaten,<br />

wenn es notwendig ist. Ich verstehe nicht, warum<br />

man den Selbstmord oder den Wahnsinn Ralsons<br />

erwähnen muß. Warum muß ein Schatten auf seinen<br />

Ruhm fallen?«<br />

»Er hat einen Brief hinterlassen«, sagte Blaustein.<br />

»Einen Brief?«<br />

Darrity reichte Grant ein Blatt Papier und sagte:<br />

»Das tun fast alle Selbstmörder. Dieser Brief ist der<br />

Grund, warum der Doktor mir erzählt hat, was Ralson<br />

wirklich getötet hat.«<br />

<strong>Der</strong> Brief war an Blaustein gerichtet und lautete:<br />

<strong>Der</strong> Projektor funktioniert. Ich wußte es. <strong>Der</strong><br />

Handel ist beendet. Sie haben erreicht, was Sie wollten,<br />

und Sie brauchen mich jetzt nicht mehr. Also<br />

werde ich gehen. Sie müssen sich keine Sorgen mehr<br />

um die Menschheit machen, Doktor. Sie haben recht.<br />

Sie haben zu lange mit uns experimentiert, sie haben<br />

uns zu viele Chancen gelassen. Jetzt haben wir das<br />

Penizillin durchbrochen, sie können uns nicht mehr<br />

stoppen. Ich weiß es. Das ist alles, was ich sagen<br />

kann. Ich weiß es.<br />

Dann folgte Ralsons rasch hingeworfener Namenszug,<br />

und darunter befand sich noch eine dick<br />

unterstrichene Zeile.<br />

Vorausgesetzt, daß genug Menschen dem Penizillin<br />

Widerstand leisten können.<br />

Grant wollte schon das Papier zerknüllen, aber<br />

Darrity streckte rasch die Hand aus.<br />

69


»Für die Akten, Doktor.«<br />

Grant gab ihm den Brief.<br />

»<strong>Der</strong> arme Ralson! Er starb im Glauben an diesen<br />

ganzen Unsinn.«<br />

Blaustein nickte.<br />

»Ja. Ralson wird ein großes Begräbnis haben,<br />

nehme ich an, und die Öffentlichkeit wird nichts von<br />

seinem Wahnsinn und seinem Selbstmord erfahren.<br />

Aber die Regierung wird sich für seine verrückten<br />

Theorien interessieren. Vielleicht sind sie gar nicht<br />

so verrückt, nicht wahr, Mr. Darrity?«<br />

»Das ist doch lächerlich, Doktor«, sagte Grant.<br />

»Kein einziger Wissenschaftler hier hat jemals<br />

Selbstmordgedanken gehabt.«<br />

»Erzählen Sie es ihm, Mr. Darrity«, sagte Blaustein.<br />

»Es hat noch einen Selbstmord gegeben«, sagte<br />

der Inspektor. »Nein, nein, es war kein Wissenschaftler.<br />

Jedenfalls kein graduierter. Es passierte diesen<br />

Morgen, und wir nahmen an, daß der Selbstmord mit<br />

dem heutigen Test zusammenhing. Vorerst schien<br />

nichts darauf hinzuweisen, und wir schwiegen, bis<br />

der Test vorüber war. Aber jetzt sind die Zusammenhänge<br />

wohl klar. <strong>Der</strong> Tote war ein Mann mit Frau<br />

und drei Kindern. Er hatte keinen Grund, Selbstmord<br />

zu begehen. Er war nicht geisteskrank. Er hat sich<br />

unter ein Auto geworfen. Es wurde von mehreren<br />

Zeugen bestätigt, daß er es mit Absicht getan haben<br />

muß. Er starb nicht sofort, und man holte einen Arzt.<br />

Er war schrecklich zugerichtet, und seine letzten<br />

70


Worte lauteten: ›Jetzt fühle ich mich viel besser.‹<br />

Und dann starb er.«<br />

»Wer war es?« schrie Grant.<br />

»Hal Ross. <strong>Der</strong> Mechaniker, der den Projektor gebaut<br />

hat. <strong>Der</strong> Mann, in dessen Büro wir hier stehen.«<br />

Blaustein ging zum Fenster. Am dunklen Abendhimmel<br />

zeigten sich die ersten Sterne.<br />

»<strong>Der</strong> Mann wußte nichts von Ralsons Gedanken.<br />

Er hat nie mit Ralson gesprochen. Vielleicht sind die<br />

Wissenschaftler widerstandsfähiger als andere Menschen.<br />

Sie müssen es sein, sonst wären sie gezwungen,<br />

ihren Beruf aufzugeben. Ralson war eine Ausnahme.<br />

Er war zu sensibel, um sich gegen das Penizillin<br />

wehren zu können. Sie wissen, was mit ihm<br />

geschehen ist. Aber was ist mit den anderen? Mit den<br />

Sensiblen, die nur überlebt haben, weil sie bisher<br />

nicht konsequent und konstant vernichtet wurden?<br />

Wieviele Menschen werden dem Penizillin Widerstand<br />

leisten können?«<br />

»Sie glauben an Ralsons verrückte Theorien?«<br />

fragte Grant mit schreckgeweiteten Augen.<br />

»Ich weiß es nicht genau.«<br />

Blaustein blickte zu den Sternen auf.<br />

Wo waren sie, die Experimentatoren?<br />

71


<strong>Der</strong> <strong>Todeskanal</strong><br />

1950 brach der Korea-Krieg aus. Es war eine<br />

schreckliche Zeit, fast so schrecklich wie die heutige.<br />

Ich will Ihnen nicht verheimlichen, daß Othellos<br />

Worte von ›Glanz, Pracht, Pomp und Rüstung des<br />

glorreichen Kriegs‹ mich nicht begeistern kann.<br />

<strong>Der</strong> Zweite Weltkrieg bildet eine Ausnahme. Damals<br />

konnte man sich noch an Ideale klammern. Wir<br />

kämpften gegen das Böse an sich, und das erhob diesen<br />

Krieg über jede Nieder-mit-dem-Feind-Routine.<br />

Und außerdem bewegte uns die begründete Hoffnung,<br />

daß nach dem Krieg eine Weltorganisation ins<br />

Leben gerufen werden könnte, die jeden weiteren<br />

Krieg verhindern würde.<br />

Die Euphorie jener Tage, als der Krieg zu Ende<br />

und die Vereinten Nationen gegründet waren, hielt<br />

nicht lange an. <strong>Der</strong> Korea-Krieg machte alle großen<br />

Hoffnungen zunichte.<br />

Vielleicht glauben Sie, daß wir Science-Fiction-<br />

Autoren besser dran sind als andere Menschen. Wir<br />

können in andere Welten entfliehen, in den Raum vordringen<br />

und alle erdgebundenen Probleme hinter uns<br />

lassen. Aber ganz so einfach ist es nicht. Es ist<br />

schwieriger, als Sie glauben, sich von der Wirklichkeit<br />

zu lösen, und als ich damals, in den Tagen des<br />

Korea-Krieges, in meinem Raumschiff zu den Sternen<br />

floh, was fand ich da? Einen interstellaren Krieg.<br />

Ich konnte der Wirklichkeit nicht entkommen!<br />

72


Noch etwas: Vor den Tagen des Fernsehens gab es<br />

etwas, das sich Radio nannte. Um 1960 konnte man<br />

ziemlich viele Science-Fiction-Sendungen hören. Im<br />

Radio war es nicht so kompliziert und teuer, Science-<br />

Fiction-Sendungen real erscheinen zu lassen wie im<br />

Fernsehen. Mit Geräuscheffekten kann man nahezu<br />

alle Illusionen zaubern, die der Hörer dann vor seinem<br />

geistigen Auge sieht.<br />

Die Programme, Zweitausend plus‹ und ›Dimension<br />

X‹, wurden unglücklicherweise von nur wenigen<br />

reklamewilligen Firmen unterstützt beziehungsweise<br />

finanziert, und so wurden sie bald eingestellt. Trotzdem<br />

war die Angelegenheit für mich recht befriedigend.<br />

Immerhin wurden nicht weniger als drei meiner<br />

Erzählungen gesendet. Eine davon war ›Und<br />

Finsternis wird kommen …‹, und eine andere war<br />

›<strong>Der</strong> <strong>Todeskanal</strong>‹.<br />

In der Radio-Version dieser Story wurde Mullen<br />

von einem Schauspieler mit einer sehr eindrucksvollen<br />

Stimme gesprochen. Sie klang trocken, zurückhaltend,<br />

leidenschaftslos und sanft. Es war genau<br />

Mullens Stimme. Als das Fernsehen aufkam, sah ich<br />

das Gesicht dieser Stimme, und es war genau Mullens<br />

Gesicht.<br />

Es freut mich, daß ich jedesmal, wenn ich ihn sehe,<br />

sagen kann: »Das ist Mullen«, obwohl er ziemlich<br />

groß ist. Mullen ist die einzige meiner Gestalten,<br />

die ich jemals in Fleisch und Blut gesehen habe, und<br />

ich habe nie versucht, den Namen dieses Schauspielers<br />

herauszufinden. Für mich soll er Mullen bleiben.<br />

73


Colonel Anthony Windham konnte sogar in der Kabine,<br />

in die man ihn und die anderen Passagiere geführt<br />

hatte, feststellen, wie der Kampf weiter verlief.<br />

Eine Zeitlang herrschte Stille. Keine Erschütterungen<br />

waren zu spüren. Das bedeutete, daß die Raumschiffe<br />

in astronomischen Entfernungen gegeneinander<br />

kämpften, sich ein Duell von Energieexplosionen<br />

und gewaltiger Kraftfeld-Verteidigung lieferten.<br />

Er wußte, daß es nur einen möglichen Ausgang<br />

des Kampfes gab. Die Erdenbewohner hatten nur ein<br />

bewaffnetes Handelschiff, und der kurze Blick, den<br />

er auf den Feind hatte werfen können, bevor die<br />

Mannschaft ihn vom Deck des Schiffes vertrieben<br />

hatte, war entmutigend gewesen. Kloro hatte einen<br />

Kreuzer entsandt.<br />

Nach einer halben Stunde wurde das Erdenschiff<br />

von den harten kleinen Stößen erschüttert, auf die er<br />

gewartet hatte. Die Passagiere schwankten hin und<br />

her, als das Schiff stampfte und fierte wie ein Ozeandampfer<br />

im Sturm. Aber der Weltraum war ruhig<br />

und still wie zuvor. <strong>Der</strong> Pilot jagte verzweifelte<br />

Energieströme durch die Röhren, die das Schiff taumeln<br />

ließen. Das konnte nur bedeuten, daß das Unvermeidliche<br />

passiert war. Die Abschirmung des Erdenschiffes<br />

war durchbrochen, und es konnte keinem<br />

direkten Treffer widerstehen.<br />

Colonel Windham versuchte mit Hilfe seines<br />

Aluminiumstockes Haltung zu bewahren. Er dachte<br />

daran, daß er ein alter Mann war. Er hatte sein Leben<br />

74


eim Militär verbracht und hatte noch nie eine<br />

Schlacht gesehen. Und jetzt, als um ihn herum der<br />

Kampf tobte, war er alt und fett und lahm, und kein<br />

einziger Soldat stand unter seinem Kommando.<br />

Diese Kloro-Monstren würden bald an Bord<br />

kommen. Das war ihre Kampfmethode. Ihre Raumanzüge<br />

bedeuteten zwar ein Handikap für sie, und sie<br />

mußten mit zahlreichen Verlusten rechnen, aber sie<br />

wollten das Erdenschiff haben. Wenn die Passagiere<br />

bewaffnet wären und ich sie anführen könnte, dachte<br />

er sekundenlang …<br />

Er verdrängte den Gedanken. Porter war offensichtlich<br />

das Herz vor Angst in die Hose gefallen,<br />

und dem jungen Burschen, diesem Leblanc, ging es<br />

kaum besser. Die unzertrennlichen Brüder Polyorketes<br />

drängten sich in eine Ecke und flüsterten miteinander.<br />

Und Mullen? Er saß hochaufgerichtet da, und<br />

sein Gesicht zeigte weder Anzeichen von Furcht<br />

noch sonstige Emotionen. Aber der Mann war nur<br />

etwa fünf Fuß groß, und zweifellos hatte er nie im<br />

Leben eine Waffe in der Hand gehalten. Er konnte<br />

nichts tun.<br />

Und dann war da noch Stuart mit seinem frostigen<br />

Lächeln und seinem schrillen Sarkasmus, von dem<br />

alle seine Äußerungen nur so trieften. Windham musterte<br />

Stuart von der Seite. Die weißen Hände fuhren<br />

durch das sandfarbene Haar. Mit diesen Künstlerhänden<br />

war Stuart natürlich zu nichts zu gebrauchen.<br />

Windham spürte die Vibration, als die beiden<br />

Schiffe zum Nahkampf übergingen. Innerhalb von<br />

75


fünf Minuten dröhnte der Lärm der Schlacht durch<br />

die Korridore. Einer der Brüder Polyorketes schrie<br />

auf und rannte zur Tür.<br />

»Warte, Aristides!« brüllte der andere und lief ihm<br />

nach. Es geschah blitzschnell. Aristides sprang durch<br />

die Tür und rannte in kopfloser Panik den Korridor<br />

entlang. Ein kurzes Aufglühen, dann verstummten die<br />

Schreie. Windham, der in der Tür stand, wandte entsetzt<br />

den Blick von den schwarzverkohlten Überresten<br />

Aristides’. Mit vereinten Kräften schleppten die<br />

Männer den Bruder des Toten in die Kabine zurück.<br />

<strong>Der</strong> Lärm der Schlacht ließ nach.<br />

»Sie werden zwei Mann an Bord schicken und uns<br />

auf einen ihrer Heimatplaneten bringen«, sagte Stuart.<br />

»Wir sind Kriegsgefangene.«<br />

»Nur zwei Kloros werden an Bord bleiben?« fragte<br />

Windham erstaunt.<br />

»Das ist bei ihnen so üblich. Warum fragen Sie,<br />

Colonel? Wollen Sie einen tapferen Stoßtrupp aufstellen,<br />

der das Schiff wieder zurückerobern soll?«<br />

Windham lief rot an.<br />

»Es war nur eine Frage.« Aber seiner Stimme fehlte<br />

die Würde und Autorität, um die er sich bemüht<br />

hatte. Das wußte er. Er war nur ein alter Mann mit<br />

einem lahmen Bein.<br />

Und Stuart hatte wahrscheinlich recht. Er hatte bei<br />

den Kloros gelebt und kannte ihre Methoden.<br />

John Stuart hatte behauptet, die Kloros seien Gentlemen.<br />

Vierundzwanzig Stunden der Gefangenschaft<br />

76


waren bereits verstrichen, und jetzt wiederholte er<br />

seine Feststellung. Er krümmte die Finger und betrachtete<br />

die Falten, die in sanften Wellen über die<br />

Plastikhaut seiner Hände liefen. Die mißmutige Reaktion<br />

der anderen bereitete ihm Vergnügen. Die<br />

Menschen waren seiner Meinung nach dazu erschaffen<br />

worden, um gequält zu werden.<br />

Da war zum Beispiel Anthony Windham. Colonel<br />

Windham nannte er sich, und Stuart war sogar gewillt,<br />

das zu glauben. Ein pensionierter Colonel, der<br />

vielleicht vor vierzig Jahren eine Heimwehrtruppe<br />

auf irgendeiner Dorfwiese gedrillt hatte. Er war so<br />

unbedeutend, daß man seine Dienste nicht einmal im<br />

äußersten Notfall des ersten interstellaren Krieges in<br />

Anspruch genommen hatte.<br />

»Ich kann die Art nicht leiden, wie Sie über einen<br />

Feind sprechen, Stuart.« Windhams gestutzter<br />

Schnurrbart bebte entrüstet. Sein Kopf war nach letzter<br />

militärischer Mode glattrasiert, aber es zeigten<br />

sich bereits graue Stoppeln auf der Glatze. Die<br />

schlaff herabhängenden Wangen und die feinen roten<br />

Linien auf der dicken Nase gaben ihm irgendwie etwas<br />

Verlorenes, so als hätte man ihn zu unsanft und<br />

zu früh am Morgen geweckt.<br />

»Unsinn«, sagte Stuart. »Denken Sie doch nur an<br />

unsere gegenwärtige Situation. Angenommen, ein<br />

Kriegsschiff der Erde hätte ein Linienschiff der Kloros<br />

gekapert. Was, glauben Sie, wäre mit den Zivilisten<br />

an Bord passiert?«<br />

»Ich bin sicher, daß die Erde alle Regeln der inter-<br />

77


stellaren Kriegführung einhalten würde«, sagte<br />

Windham steif.<br />

»Leider gibt es keine solchen Regeln. Wenn wir<br />

eine Mannschaft auf einem ihrer Schiffe postieren<br />

würden, glauben Sie im Ernst, sie würde sich die<br />

Mühe machen, eine Chloratmosphäre zu schaffen,<br />

um den Kloros das Leben zu retten? Ihnen erlauben,<br />

ihr Eigentum zu behalten? Ihnen den bequemsten<br />

Aufenthaltsraum zur Verfügung stellen, et cetera, et<br />

cetera?«<br />

»Halten Sie um Gottes willen den Mund«, sagte<br />

Ben Porter. »Wenn Sie noch einmal et cetera sagen,<br />

werde ich wahnsinnig.«<br />

»Es tut mir leid«, sagte Stuart, was allerdings nicht<br />

stimmte.<br />

Porter schien langsam den Verstand zu verlieren.<br />

Sein mageres Gesicht und seine Hakennase glänzten<br />

vor Schweiß, und er biß so lange auf der Innenseite<br />

seiner Wange herum, bis er plötzlich aufwimmerte.<br />

Er legte seine Zungenspitze an die Wunde, was ihm<br />

ein noch groteskeres Aussehen verlieh.<br />

Stuart wurde es allmählich zu langweilig, seinen<br />

ätzenden Spott an diese Leute zu verschwenden.<br />

Windham war eine zu uninteressante Zielscheibe,<br />

und Porter konnte nichts anderes als sich winden.<br />

<strong>Der</strong> Rest der Versammlung schwieg. Demetrios Polyorketes<br />

vergrub sich in seine Trauer. Er schien die<br />

ganze letzte Nacht kein Auge zugetan zu haben.<br />

Wann immer Stuart sich auf die andere Seite gewälzt<br />

hatte, hatte er das dumpfe Gemurmel auf der Couch<br />

78


neben sich gehört. Demetrios hatte viel gesagt, und<br />

immer wieder waren die klagenden Worte ertönt:<br />

»Oh, mein Bruder!«<br />

Jetzt saß er benommen auf seiner Couch, die roten<br />

Augen in dem dunklen Gesicht rollten von einem<br />

Gefangenen zum anderen. Stuart sah, wie das Gesicht<br />

des Griechen in die schwieligen Hände sank, so<br />

daß nur das krause schwarze Haar zu sehen war. Sein<br />

Körper zuckte, aber jetzt, da alle wach waren, gab er<br />

keinen Laut von sich.<br />

Claude Leblanc versuchte mit mäßigem Erfolg,<br />

einen Brief zu lesen. Er war der jüngste der sechs<br />

Männer. Soeben dem College entronnen, hatte er auf<br />

die Erde zurückkehren wollen, um zu heiraten. Stuart<br />

hatte am Morgen bemerkt, daß der Junge weinte.<br />

Sein blasses Gesicht war gerötet und fleckig gewesen,<br />

wie das eines Kindes, dem man sein Lieblingsspielzeug<br />

weggenommen hatte. Er war sehr hübsch,<br />

beinahe wie ein Mädchen. Er hatte große blaue Augen<br />

und volle Lippen, und Stuart fragte sich, was das<br />

wohl für ein Mädchen war, das diesem Jungen das<br />

Jawort gegeben hatte. Er hatte ihr Bild gesehen. Wer<br />

auf dem Schiff hatte das nicht? Sie war von jener<br />

ausdruckslosen Schönheit, die es so schwierig machte,<br />

die Photos von Bräuten voneinander zu unterscheiden.<br />

Stuart war jedenfalls der Ansicht, daß er<br />

sich einen etwas männlicheren Verlobten ausgesucht<br />

hätte, wenn er ein Mädchen wäre.<br />

Blieb nur noch Randolph Mullen übrig. Stuart<br />

wußte nicht, was er von ihm halten sollte. Er war der<br />

79


einzige der sechs Männer, der längere Zeit auf den<br />

Arkturischen Welten gelebt hatte. Stuart selbst zum<br />

Beispiel hatte sich nur kurz dort aufgehalten, gerade<br />

lang genug, um ein paar Vorlesungen über Astronautik<br />

an einem provinziellen Institut zu halten. Colonel<br />

Windham hatte eine gastronomische Reise zu den<br />

fernen Sternen gemacht. Porter wollte konzentrierte<br />

fremde Gemüsesorten für seine Konservenfabrik auf<br />

die Erde holen, und die Brüder Polyorketes hatten<br />

sich auf den Arkturischen Planeten als Gemüsegärtner<br />

versucht. Nach zwei ertragreichen Ernten hatten<br />

sie es aufgegeben, hatten all ihr Gemüse zu Schleuderpreisen<br />

auf den Markt geworfen und zur Erde zurückkehren<br />

wollen.<br />

Aber Randolph Mullen war siebzehn Jahre lang im<br />

Arkturischen System gewesen. Es war seltsam, daß<br />

Reisende so schnell übereinander Bescheid wußten.<br />

So weit Stuart wußte, hatte der kleine Mann an Bord<br />

dieses Schiffes kaum gesprochen. Er war stets höflich,<br />

trat immer zur Seite, um die anderen vorbeigehen<br />

zu lassen, aber sein gesamtes Vokabular schien<br />

aus ›Vielen Dank‹ und ›Entschuldigen Sie, bitte‹ zu<br />

bestehen. Und trotzdem ging das Gerücht um, daß er<br />

seit sieben Jahren seinen ersten Flug zur Erde hatte<br />

unternehmen wollen.<br />

Er war ein kleiner Mann, und er war so pedantisch,<br />

daß es einen fast irritierte. Jeden Morgen<br />

machte er ordentlich sein Bett, rasierte sich, badete<br />

und kleidete sich an. Die Gewohnheit langer Jahre<br />

schien sich nicht im mindesten von der Tatsache be-<br />

80


eindrucken zu lassen, daß er jetzt ein Gefangener der<br />

Kloros war. Er ließ nicht erkennen, daß er die<br />

Schlamperei der anderen mißbilligte. Er saß ganz<br />

einfach da, in seinen überkonservativen Anzug gepackt,<br />

die Hände im Schoß gefaltet, und schien für<br />

seine Gegenwart um Entschuldigung zu bitten. Dem<br />

dünnen Bart auf seiner Oberlippe gelang es keineswegs,<br />

seinem Gesicht etwas mehr Charakter zu verleihen,<br />

sondern betonte noch seine Affektiertheit.<br />

Er sah aus wie die Karikatur eines Buchhalters.<br />

Und das Merkwürdige war, daß er tatsächlich Buchhalter<br />

war. Stuart hatte es in der Passagierliste gelesen<br />

– Randolph Fluellen Mullen, Beruf: Buchhalter,<br />

beschäftigt bei Prime Paper Box & Co, 27 Tobias<br />

Avenue, New Warsaw, Arkturus II.<br />

»Mr. Stuart?«<br />

Stuart blickte auf. Es war Leblanc. Seine Unterlippe<br />

zitterte leicht. Stuart versuchte, seinem Gesicht<br />

einen milden Ausdruck zu geben.<br />

»Was ist, Leblanc?«<br />

»Wann wird man uns freilassen?«<br />

»Wie soll ich das wissen?«<br />

»Sie haben doch auf einem Kloro-Planeten gelebt,<br />

und vorhin sagten Sie, die Kloros seien Gentlemen.«<br />

»Nun ja. Aber auch Gentlemen wollen Kriege gewinnen.<br />

Wahrscheinlich wird man uns während des<br />

ganzen Krieges gefangenhalten.«<br />

»Aber das kann doch Jahre dauern! Margaret wartet.<br />

Sie wird glauben, ich bin tot.«<br />

81


»Ich nehme an, sie werden uns erlauben, der Erde<br />

eine Nachricht zukommen zu lassen, sobald wir auf<br />

einem ihrer Planeten gelandet sind.«<br />

Porter mischte sich mit heiserer, aufgeregter<br />

Stimme ein.<br />

»Wenn Sie über diese Teufel schon so gut Bescheid<br />

wissen, dann sagen Sie uns wenigstens, was<br />

Sie mit uns während der Gefangenschaft machen<br />

werden? Was werden sie uns zu essen geben? Werden<br />

sie uns genug Sauerstoff geben? Sie werden uns<br />

töten, sage ich Ihnen.« Und nach einer kurzen Pause<br />

fügte er hinzu: »Auch meine Frau wartet auf mich.«<br />

Stuart hatte Porter vor dem Angriff über seine<br />

Frau sprechen hören, und deshalb machte diese letzte<br />

Feststellung keinen sonderlichen Eindruck auf ihn.<br />

Porters abgebissene Fingernägel krallten sich in Stuarts<br />

Hemdkragen. Stuart riß sich angewidert los. Er<br />

konnte die Berührung dieser häßlichen Hände nicht<br />

ertragen. Es erfüllte ihn beinahe mit Verzweiflung,<br />

daß diese Monstren wirklich waren, während seine<br />

eigenen, perfekt geformten Hände täuschend echt<br />

wirkende Imitationen aus Plastik von einem fremden<br />

Planeten waren.<br />

»Sie werden uns nicht töten«, sagte er. Wenn sie<br />

das wirklich im Sinn hätten, wäre es längst geschehen.<br />

Auch wir halten Kloros in Kriegsgefangenschaft.<br />

Und es leuchtet also jedem ein, daß man seine<br />

Gefangenen anständig behandelt, wenn man will, daß<br />

auch die andere Seite dasselbe tut. Es ist also nur zu<br />

ihrem Besten, wenn sie nett zu uns sind. Das Essen<br />

82


wird nicht besonders gut sein, aber sie sind hervorragende<br />

Chemiker. Sie wissen genau, welche Nahrungsbestandteile<br />

wir brauchen und wieviele Kalorien.<br />

Wir werden es überleben. Dafür werden sie sorgen.«<br />

»Sie reden wie ein Sympathisant, Stuart. Mein<br />

Magen dreht sich um, wenn ich Ihnen zuhöre. Wo<br />

bleibt Ihre Loyalität?«<br />

»Meine Loyalität ist untadelig, gleichgültig, in<br />

welcher Form sie auftreten mag.« Er hob seine Hände.<br />

»Schauen Sie her. Das haben Kloros gemacht.<br />

Ich habe sechs Monate auf einem ihrer Planeten verbracht.<br />

Meine Hände wurden in einer Klimamaschine<br />

zerquetscht. Ich glaubte, sie würden mir zu wenig<br />

Sauerstoff geben, was tatsächlich nicht der Fall war,<br />

und experimentierte auf eigene Faust an der Maschine<br />

herum. Das war mein Fehler. Man soll nie an Maschinen<br />

einer fremden Rasse herumbasteln. Bis ein<br />

Kloro einen Atmosphäre-Anzug angezogen und zu<br />

mir gelaufen war, war es bereits zu spät, meine Hände<br />

zu retten.<br />

Sie fertigten für mich diese Kunststoffdinger an.<br />

Wissen Sie, was das heißt? Eine Ausrüstung und<br />

Nährstoffe zu entwickeln, die in einer Sauerstoffatmosphäre<br />

funktionieren? Ihre Chirurgen mußten eine<br />

komplizierte Operation durchführen, angetan mit<br />

Atmosphäre-Anzügen. Und jetzt habe ich meine<br />

Hände wieder.« Er lachte heiser und ballte sie zu<br />

kraftlosen Fäusten. »Hände …«<br />

»Und deshalb vergessen Sie Ihre Loyalität der Er-<br />

83


de gegenüber?« fragte Windham.<br />

»Meine Loyalität vergessen? Sind Sie wahnsinnig?<br />

Jahrelang haßte ich die Kloros wegen des Mißgeschicks,<br />

das mir auf einem ihrer Planeten passiert<br />

war. Ich war Chefpilot der transgalaktischen Raumfahrtlinie,<br />

bevor es geschah. Und jetzt? Schreibtischarbeit.<br />

Oder gelegentliche Vorlesungen. Ich brauchte<br />

lange, bevor ich den Fehler bei mir selbst suchte und<br />

erkannte, daß die Kloros sich sehr anständig verhalten<br />

hatten. Sie haben ihre ethischen Gesetze, und sie<br />

sind so gut wie die unseren. Wenn nicht manche unter<br />

ihnen so dumm wären, und, bei Gott, wenn auch<br />

einige Erdenbewohner klüger wären, würden wir<br />

nicht miteinander Krieg führen. Und wenn es vorbei<br />

ist …«<br />

Polyorketes stand auf. Seine dunklen Augen funkelten.<br />

»Es gefällt mir nicht, was Sie da sagen, Mister!«<br />

»Warum nicht?«<br />

»Weil Sie viel zu freundlich über diese verdammten<br />

grünen Bastarde reden. Die Kloros waren nett zu<br />

Ihnen, eh? Aber zu meinem Bruder waren sie nicht<br />

nett. Sie haben ihn getötet. Und vielleicht töte ich<br />

auch Sie, Sie mieser Spion.«<br />

Er stürzte sich auf Stuart, der kaum Zeit fand, seine<br />

Arme zu heben und sich gegen den wütenden<br />

Gemüsegärtner zu verteidigen.<br />

»Zum Teufel …«, keuchte Stuart, als er endlich<br />

ein Handgelenk seines Gegners zu packen bekam<br />

und mit der Schulter die andere Hand daran hinderte,<br />

84


sich um seinen Hals zu schließen. Seine Kunststoffhand<br />

gab nach. Fast mühelos entwand sich Polyorketes<br />

dem schwachen Griff.<br />

Windham fluchte, und Leblanc schrie mit seiner<br />

dünnen Stimme: »Aufhören! Aufhören!« Aber es<br />

war der kleine Mullen, der dem Gemüsegärtner von<br />

hinten die Arme um den Hals schlang und ihn mit<br />

aller Kraft zurückzureißen versuchte. Es nützte nicht<br />

viel. Polyorketes schien das Gewicht des kleinen<br />

Mannes, der an seinem Hals hing, kaum zu spüren.<br />

Mullens Füße hoben sich vom Boden hoch, so daß er<br />

hilflos hin- und herbaumelte. Aber er ließ nicht los,<br />

und er behinderte Polyorlcetes schließlich doch so<br />

sehr, daß sich Stuart für einen Moment befreien und<br />

nach Windhams Aluminiumstock greifen konnte.<br />

»Bleiben Sie mir vom Leib, Polyorketes!« rief er.<br />

Er schnappte nach Luft und erwartete ängstlich den<br />

nächsten Angriff. <strong>Der</strong> Aluminiumstock war kaum<br />

schwer genug, um als wirksame Waffe zu dienen,<br />

aber er war doch besser als Stuarts schwache Hände.<br />

Polyorketes hatte Mullen abgeschüttelt, der die<br />

beiden Männer nun vorsichtig umkreiste. <strong>Der</strong> Gemüsegärtner<br />

blieb einen Augenblick lang reglos stehen,<br />

den Kopf mit dem zottigen Haar gesenkt.<br />

»Es hat keinen Sinn«, sagte er schließlich. »Ich<br />

muß die Kloros umbringen. Aber hüten Sie Ihre<br />

Zunge, Stuart. Wenn Sie weiterhin so quatschen, sind<br />

Sie selbst daran schuld, wenn ich Ihnen weh tue.«<br />

Stuart fuhr sich mit einem Unterarm über die Stirn<br />

und reichte den Aluminiumstock Windham, der ihn<br />

85


mit der Linken ergriff, während er in der Rechten ein<br />

Taschentuch hielt und damit heftig über seine Glatze<br />

wischte.<br />

»Gentlemen, so etwas müssen wir in Zukunft vermeiden«,<br />

sagte der Colonel. »Es schadet unserem<br />

Prestige. Wir müssen an den gemeinsamen Feind<br />

denken. Wir sind Erdenmenschen, und wir müssen<br />

uns so benehmen, daß wir unserer Rolle als herrschende<br />

Rasse der Galaxis gerecht werden. Wir dürfen<br />

uns nicht vor den Minderwertigen erniedrigen.«<br />

»Ja, Colonel«, sagte Stuart müde. »Verschieben<br />

Sie den Rest Ihrer Ansprache auf morgen.« Er wandte<br />

sich an Mullen. »Ich möchte mich bei Ihnen bedanken.«<br />

Er fühlte sich bei diesen Worten zwar etwas<br />

unbehaglich, aber mußte sie sagen. <strong>Der</strong> kleine<br />

Buchhalter hatte ihn in ziemliches Erstaunen versetzt.<br />

Aber Mullen sagte mit trockener Stimme, die<br />

kaum über ein Flüstern erhob: »Sie haben mir nicht<br />

zu danken, Mr. Stuart. Es war das einzig Logische,<br />

das ich tun konnte. Wenn wir gefangen sind, werden<br />

wir Sie als Unterhändler brauchen, als Mann, der die<br />

Motivationen der Kloros vielleicht verstehen kann.«<br />

Stuart erstarrte. Typisch Buchhalter, dachte er. Viel<br />

zu logisch, viel zu saftlos. Risiko in der Gegenwart,<br />

Gewinn in der Zukunft. Soll und Haben hielten sich<br />

genau die Waage. Er hätte es lieber gesehen, wenn<br />

Mullen ihm aus anderen Beweggründen beigestanden<br />

wäre, aus – ja, was für welchen Beweggründen?<br />

Stuart grinste in sich hinein. Erwartete er von den<br />

86


Menschen etwa Idealismus an Stelle von redlichem,<br />

nützlichem Egoismus?<br />

Polyorketes schwieg. Kummer und Wut ätzten<br />

sein Inneres wie Säuren, aber er fand keine Worte,<br />

um sich seine Erbitterung von der Seele zu reden.<br />

Wenn er wie Stuart wäre, wie der geschwätzige Stuart<br />

mit den weißen Händen, dann könnte er reden<br />

und reden und sich danach vielleicht besser fühlen.<br />

Aber statt dessen saß er da, und sein zweites Ich war<br />

tot. Er hatte keinen Bruder mehr, keinen Aristides.<br />

Es war alles so schnell geschehen. Wenn er nur eine<br />

Sekunde länger Zeit gehabt hätte, Aristedes zurückzuhalten,<br />

ihn zu retten …<br />

Wie er die Kloros haßte! Vor zwei Monaten hatte<br />

er kaum etwas von ihnen gewußt, und jetzt haßte er<br />

sie so sehr, daß er gern sterben würde, wenn er vorher<br />

nur ein paar dieser grünen Biester töten könnte.<br />

Ohne aufzublicken, fragte er: »Warum ist dieser<br />

Krieg eigentlich ausgebrochen, eh?«<br />

Er fürchtete, Stuarts Stimme würde antworten. Er<br />

haßte Stuarts Stimme. Aber Windham, der Glatzkopf,<br />

ergriff das Wort.<br />

»<strong>Der</strong> unmittelbare Anlaß war ein Streit wegen der<br />

Bergbaukonzessionen im Wyandotte-System. Die<br />

Kloros haben die Erde bestohlen.«<br />

»Im Wyandotte-System ist für beide Platz genug,<br />

Colonel.«<br />

Wütend richtete sich Polyorketes auf. Dieser Stuart<br />

konnte einfach nicht den Mund halten. Andauernd<br />

mußte er quatschen, dieser neunmalkluge Klorofreund.<br />

87


»Ist das ein Grund, einen Krieg zu führen, Colonel?«<br />

fragte Stuart. »Wir können mit ihren Planeten<br />

nichts anfangen, und sie ebenso wenig mit den unseren.<br />

Chlor ist für uns tödlich, genau wie unser Sauerstoff<br />

für sie tödlich ist. Es gibt keinerlei Übereinstimmung<br />

zwischen unseren beiden Rassen. Muß<br />

man einen Krieg beginnen, nur weil beide Rassen auf<br />

denselben luftlosen Planetoiden nach Eisen graben<br />

wollen, wenn es Millionen ähnliche Planetoiden in<br />

der Galaxis gibt?«<br />

»Das ist eine Frage der planetarischen Ehre …«<br />

»Wohl eher der planetarischen Habgier. Wie kann<br />

man einen so lächerlichen Krieg auch noch verteidigen?<br />

Es kann nur auf den Vorposten gekämpft werden,<br />

und man muß sich auf eine Reihe von Fesselungsangriffen<br />

beschränken. Vielleicht wird der<br />

Krieg auf dem Verhandlungsweg beendet werden,<br />

den man schon längst hätte beschreiten sollen. Weder<br />

wir noch die Kloros können in diesem Krieg irgend<br />

etwas gewinnen.«<br />

Widerstrebend mußte Polyorketes zugeben, daß er<br />

Stuarts Meinung war. Was interessierte es ihn oder<br />

Aristides, wo die Kloros oder die Erdenbewohner ihr<br />

Eisen herholten? Und deshalb hatte Aristides sterben<br />

müssen.<br />

Die Alarmglocke schrillte.<br />

Polyorketes’ Kopf fuhr hoch. Langsam stand er<br />

auf und preßte die Lippen zusammen. Nur ein Kloro<br />

konnte vor der Tür stehen. Polyorketes wartete mit<br />

geballten Fäusten. Stuart trat auf ihn zu, und Polyor-<br />

88


ketes sah es. Er lachte in sich hinein. Soll der Kloro<br />

nur kommen! Weder Stuart noch einer der anderen<br />

Männer würde Polyorketes aufhalten können.<br />

Warte, Aristides, warte nur noch einen Augenblick,<br />

dann beginnt der große Racheakt.<br />

Die Tür öffnete sich, und eine Gestalt trat ein, die<br />

in einen dicken, unförmigen Raumanzug gehüllt war.<br />

Eine merkwürdige, unnatürliche, aber nicht unangenehm<br />

klingende Stimme begann zu sprechen.<br />

»Meine Herren Erdenbewohner, in großer Besorgnis<br />

haben mein Kamerad und ich festgestellt …«<br />

Er brach abrupt ab, als Polyorketes brüllend vorstürzte.<br />

Den dunklen Kopf gesenkt, die behaarten Finger<br />

zum Würgegriff gekrümmt, sprang er den Kloro an.<br />

Stuart wurde beiseitegeschleudert, bevor er eine<br />

Möglichkeit fand dazwischenzufahren. Taumelnd<br />

landete er auf einer Couch.<br />

<strong>Der</strong> Kloro hätte den Angreifer mühelos mit ausgestrecktem<br />

Arm aufhalten oder ausweichen und Polyorketes<br />

ins Leere laufen lassen können. Er tat weder<br />

das eine noch das andere. Mit einer blitzschnellen<br />

Bewegung hob er eine Handwaffe, und ein zarter rosa<br />

Strahl griff nach dem Erdenbewohner. Polyorketes<br />

stolperte und stürzte krachend zu Boden. Sein Körper<br />

erstarrte in der Haltung, die er zuletzt eingenommen<br />

hatte, ein Bein ragte in die Luft. Er sank zur Seite<br />

und blieb wie gelähmt liegen. Nur seine wütend funkelnden<br />

Augen zeigten, daß er bei Bewußtsein war.<br />

»Dieser Zustand geht wieder vorüber«, sagte der<br />

89


Kloro. Er schien Polyorketes’ Gewalttätigkeit nicht<br />

übelzunehmen und begann noch einmal von vorn.<br />

»Meine Herren Erdenbewohner, in großer Besorgnis<br />

haben mein Kamerad und ich festgestellt, daß in<br />

diesem Raum ein gewisser Aufruhr herrscht. Haben<br />

Sie irgendwelche Bedürfnisse, die wir befriedigen<br />

können?«<br />

Stuart massierte ärgerlich sein Knie, das gegen den<br />

Pfosten der Couch gestoßen war.<br />

»Nein, vielen Dank, Kloro.«<br />

»Hören Sie«, zischte Windham, »wir verlangen<br />

unsere sofortige Freilassung.«<br />

<strong>Der</strong> winzige, insektenähnliche Kopf des Kloros<br />

wandte sich dem fetten alten Mann zu. Das Wesen<br />

war kein erfreulicher Anblick. Es war etwa so groß<br />

wie ein Erdenbewohner. <strong>Der</strong> Kopf, der auf einem<br />

stengelartigen Hals saß, war der kleinste Körperteil.<br />

Er bestand aus einem Rüssel, der die Form eines<br />

stumpfen Dreiecks hatte. Auf jeder Seite quoll ein<br />

Auge hervor. Das war alles. <strong>Der</strong> Kloro besaß weder<br />

eine Hirnschale noch ein Hirn. Sein Verstand saß<br />

etwa dort, wo sich beim Erdenmenschen der Magen<br />

befand. <strong>Der</strong> Kopf war nichts weiter als ein Sinnesorgan.<br />

<strong>Der</strong> Raumanzug des Kloros zeichnete mehr oder<br />

weniger getreu die Umrisse des Kopfes nach. Die<br />

beiden Augen blickten durch zwei Glashalbkugeln,<br />

die das Chlor, das sich innerhalb des Raumanzugs<br />

befand, leicht grünlich tönte.<br />

Eines der Augen richtete sich nun ausdruckslos<br />

auf den Colonel, der dem starren Blick unbehaglich<br />

90


auswich, aber trotzdem tapfer weitersprach.<br />

»Sie haben kein Recht, uns gefangenzuhalten. Wir<br />

sind Zivilisten.«<br />

Die gekünstelt klingende Stimme des Kloros drang<br />

aus einem Netzwerk aus Chrom, das an seiner Brust<br />

angebracht war. <strong>Der</strong> Kehlkopf wurde mittels Druckluft<br />

gehandhabt, die von ein oder zwei der vielen gespaltenen<br />

Ranken kontrolliert wurde, die, in zwei<br />

Kreisen angeordnet, aus dem Oberkörper des Kloros<br />

wuchsen. Gnädigerweise wurden diese Ranken vom<br />

Raumanzug verhüllt.<br />

»Meinen Sie das ernst, Erdenbewohner?« sagte die<br />

Stimme. »Sie haben doch sicher schon von Krieg,<br />

von Kriegsgesetzen und Kriegsgefangenen gehört.«<br />

Er blickte sich um. Mit flinken, ruckartigen Bewegungen<br />

schickte er die beiden Augen durch den<br />

Raum, starrte jede Person und jeden Gegenstand zuerst<br />

mit dem einen, dann mit dem anderen an. Stuart<br />

wußte, daß jedes der beiden Augen dem Magenverstand<br />

eine andere Botschaft übermittelte. <strong>Der</strong><br />

Verstand mußte die beiden Botschaften koordinieren,<br />

um vollwertige Informationen zu erhalten.<br />

Windham wußte nichts mehr zu sagen, und auch<br />

die anderen schwiegen. <strong>Der</strong> Kloro, dessen vier<br />

Hauptgliedmaßen ungefähr wie Arme und Beine aussahen,<br />

wirkte im Raumanzug fast wie eine menschliche<br />

Gestalt, wenn man vom Kopf absah. Aber niemand<br />

konnte ahnen, was er dachte oder fühlte.<br />

Nach zwei letzten Blicken wandte er sich ab und<br />

ging.<br />

91


»O Gott, riechen Sie denn das Chlor nicht?« sagte<br />

Porter mit erstickter Stimme. »Wenn sie nichts dagegen<br />

unternehmen, werden wir mit verfaulten Lungen<br />

elend zugrunde gehen.«<br />

»Halten Sie den Mund«, sagte Stuart. »Das Chlor,<br />

das hier in der Luft liegt, bringt nicht einmal einen<br />

Moskito zum Niesen. Außerdem wird es in zwei Minuten<br />

nach außen gedrungen sein. Übrigens, ein bißchen<br />

Chlor wird Ihnen guttun. Es wird Ihre Bosheit<br />

ein wenig dämpfen.«<br />

Windham stieß einen Fluch aus.<br />

»Hören Sie, Windham, warum haben Sie mit dem<br />

Kloro denn nicht über unsere Freilassung gesprochen?<br />

In seiner Gegenwart waren Sie lange nicht so<br />

frech wie sonst.«<br />

»Sie haben gehört, was er gesagt hat, Colonel. Wir<br />

sind Kriegsgefangene, und über den Austausch von<br />

Kriegsgefangenen verhandeln die Diplomaten. Wir<br />

können nichts anderes tun als warten.«<br />

Leblanc, der beim Eintritt des Kloros kreidebleich<br />

geworden war, stand auf und lief in den Waschraum.<br />

Die anderen hörten, daß er sich erbrach.<br />

Eine unangenehme Stille trat ein. Stuart dachte<br />

angestrengt nach, was er sagen könnte, um die ekelerregenden<br />

Geräusche zu übertönen. Mullen kam<br />

ihm zu Hilfe. Er hatte in einer kleinen Schachtel herumgestöbert,<br />

die er unter seinem Kopfkissen aufbewahrte.<br />

»Vielleicht sollte Mr. Leblanc ein Sedativ ein-<br />

92


nehmen, bevor er sich schlafen legt. Ich habe noch<br />

ein paar Tabletten und gebe ihm gern eine.« Er beeilte<br />

sich, eine Erklärung für seine Großzügigkeit abzugeben.<br />

»Sonst stört er vielleicht unseren Schlaf.«<br />

»Sehr logisch«, sagte Stuart trocken. »Aber Sie<br />

heben besser ein paar Tabletten für unseren Sir<br />

Launcelot auf. Er kann ein halbes Dutzend brauchen.«<br />

Er ging zu Polyorketes, der immer noch starr<br />

auf dem Boden lag, alle viere von sich gestreckt.<br />

»Liegen Sie bequem, mein Freund?«<br />

»Reden Sie nicht so geschmacklos daher, Stuart«,<br />

sagte Windham.<br />

»Nun, wenn Sie sich schon so für ihn einsetzen,<br />

warum heben Sie und Porter ihn dann nicht auf seine<br />

Couch?«<br />

Er half ihnen dabei. Polyorketes’ Arme zuckten<br />

krampfhaft. Da Stuart die Wirkung der Nervenwaffen<br />

der Kloros kannte, wußte er, daß tausend Nadelstiche<br />

durch den Körper des Mannes fuhren.<br />

»Gehen Sie nicht allzu sanft mit ihm um, Gentlemen«,<br />

sagte er. »<strong>Der</strong> verdammte Narr hätte uns alle<br />

beinahe umgebracht. Und wozu?« Er boxte den erstarrten<br />

Polyorketes in die Seite und setzte sich auf<br />

den Rand der Couch. »Können Sie mich hören, Polyorketes?«<br />

Polyorketes’ Augen glitzerten. Mühsam versuchte<br />

er einen Arm zu heben, der aber sofort wieder auf die<br />

Kissen zurücksank.<br />

»Also gut, dann hören Sie mir zu. Machen Sie das<br />

nicht noch einmal. Das nächste Mal könnte es das<br />

93


Ende für uns alle bedeuten. Wenn Sie ein Kloro wären<br />

und er ein Erdenmensch, dann wären wir jetzt<br />

tot. Und vielleicht geht es endlich in Ihren verdammten<br />

Schädel, daß uns der Tod Ihres Bruders zwar sehr<br />

leid tut, daß er aber immerhin selbst daran schuld<br />

war.«<br />

Polyorketes versuchte sich zu erheben, aber Stuart<br />

stieß ihn zurück.<br />

»Hören Sie mich nur weiter an. Vielleicht werde<br />

ich nie mehr die Gelegenheit haben, mit Ihnen sprechen<br />

zu können, und zwar so, daß Sie mir zuhören<br />

müssen. Ihr Bruder hatte kein Recht, die Passagierräume<br />

zu verlassen. Er kann auch unseren eigenen<br />

Leuten in die Quere gekommen sein. Wir wissen<br />

nicht einmal, ob er auch wirklich von einem Kloro<br />

getötet wurde. Es hätte auch einer von unseren Männern<br />

sein können.«<br />

»Hören Sie, Stuart …«, protestierte Windham.<br />

Stuart fuhr zu ihm herum.<br />

»Haben Sie denn Beweise, daß er nicht so gewesen<br />

sein könnte? Haben Sie gesehen, wer geschossen<br />

hat? Können Sie aus den verkohlten Überresten des<br />

Körpers ersehen, ob Polyorketes’ Bruder von einer<br />

Kloro-Waffe oder einer Erden-Waffe getötet wurde?«<br />

Polyorketes fand seine Stimme wieder. Mit schwerer<br />

Zunge lallte er: »Sie verdammter, stinkender Bastard!«<br />

»Ich?« fragte Stuart. »Ich weiß nicht, was in Ihrem<br />

Kopf vorgeht, Polyorketes. Glauben Sie, es wird Ihre<br />

94


Gefühle erleichtern, wenn Sie sich mit mir herumschlagen?<br />

Haben Sie das vor, wenn die Lähmung<br />

abklingt? Nun, wenn das so ist, dann wird das unseren<br />

sichern Tod bedeuten.«<br />

Er stand auf, lehnte sich gegen die Wand und spürte,<br />

daß er jetzt alle gegen sich hatte.<br />

»Niemand von Ihnen kennt die Kloros, wie ich sie<br />

kenne. Die physischen Unterschiede, die Sie gesehen<br />

haben, sind nicht wesentlich. Es kommt auf die Unterschiede<br />

der Temperamente an. Zum Beispiel verstehen<br />

sie nicht unsere Auffassung des Geschlechtslebens.<br />

Für sie ist das nur ein biologischer Reflex wie<br />

das Atmen. Sie messen dem Sex keine weitere Bedeutung<br />

zu. Um so wichtiger nehmen sie die gesellschaftliche<br />

Rangordnung. Denken Sie daran, daß ihre<br />

Ahnen mit unseren Insekten viel gemeinsam hatten.<br />

Sie glauben, daß jede Gruppe von Erdenmenschen,<br />

die ihnen begegnet, eine gesellschaftliche Einheit<br />

bildet.<br />

Das ist das Allerwichtigste in ihren Augen. Ich<br />

kann nicht genau verstehen, was dieses Phänomen<br />

eigentlich bedeutet. Kein Erdenmensch kann das verstehen.<br />

Aber es ist Tatsache, daß sie eine Gruppe<br />

niemals auseinanderreißen, so wie wir niemals eine<br />

Mutter von ihrem Kind trennen würden, wenn wir es<br />

vermeiden können. Und einer der Gründe, warum sie<br />

uns soeben mit Samthandschuhen angefaßt haben, ist<br />

darin zu suchen, daß sie glauben, der Tod unseres<br />

Gruppenmitglieds hätte uns völlig niedergeschmettert.<br />

Sie fühlen sich schuldig.<br />

95


Und daran müssen Sie stets denken. Man wird uns<br />

zusammen internieren, und wir haben eine lange gemeinsame<br />

Zeit vor uns. Freiwillig hätte ich mir keinen<br />

von Ihnen als Wohngenossen ausgesucht, und<br />

Sie hätten mich wahrscheinlich auch nicht als Gefährten<br />

erwählt. Aber es ist nun einmal nicht zu ändern.<br />

Die Kloros würden nie verstehen, daß wir nur<br />

aus purem Zufall auf demselben Schiff sind.<br />

Das bedeutet, daß wir eben irgendwie miteinander<br />

zurechtkommen müssen. Was glauben Sie denn, wäre<br />

passiert, wenn der Kloro etwas früher gekommen<br />

wäre und gesehen hätte, wie Polyorketes und ich einander<br />

zu töten versuchten?<br />

Er hätte dasselbe gedacht wie Sie, wenn Sie miterlebt<br />

hätten, daß eine Mutter ihre Kinder zu töten versucht.<br />

Sie hätten uns alle getötet, denn sie hätten uns für<br />

perverse Monstren gehalten. Haben Sie das jetzt verstanden?<br />

Und wie ist es mit Ihnen, Polyorketes? Haben<br />

auch Sie es verstanden? Wir können uns nach<br />

Herzenslust beschimpfen, aber in Zukunft darf keiner<br />

mehr den anderen anrühren. Und jetzt werde ich,<br />

wenn Sie nichts dagegen haben, meine Hände wieder<br />

in die richtige Form massieren, meine synthetischen<br />

Hände, die ich von den Kloros erhalten habe und die<br />

einer meiner eigenen Artgenossen wieder zu zerquetschen<br />

versuchte.«<br />

Für Claude Leblanc war das Schlimmste vorbei. Er<br />

hatte sich elend gefühlt. Warum hatte er nur die Erde<br />

96


verlassen müssen? Es war natürlich eine großartige<br />

Sache gewesen, auf einem fremden Planeten das College<br />

zu besuchen. Es war ein Abenteuer, und er war<br />

endlich von seiner Mutter losgekommen.<br />

In den Sommerferien war er nicht mehr Claude,<br />

der schüchterne Schüler, sondern Leblanc, der<br />

Raumfahrer. Er hatte es richtig genossen, von Sternen,<br />

Sitten und Lebensformen fremder Welten zu<br />

reden. Endlich hatte er den Mut gehabt, Margaret<br />

einen Antrag zu machen. Sie hatte sich in ihn verliebt,<br />

in den Helden, der so viele Gefahren bestanden<br />

hatte …<br />

Natürlich war das jetzt die erste wirklich gefährliche<br />

Lage, in der er sich je befunden hatte, und bis<br />

jetzt hatte er das Abenteuer nicht sonderlich gut bestanden.<br />

Er wußte das. Er schämte sich und wünschte,<br />

er wäre Stuart.<br />

Beim Essen trat er an ihn heran.<br />

»Mr. Stuart.«<br />

Stuart blickte auf und fragte kurz: »Wie fühlen Sie<br />

sich?«<br />

Leblanc spürte, daß er errötete. Er errötete sehr<br />

leicht, und wenn er sich bemühte, nicht zu erröten,<br />

wurde es nur noch schlimmer. Er sagte: »Viel besser,<br />

danke. Hier, ich bringe Ihnen Ihr Essen.«<br />

Stuart ergriff die dargebotene Dose, die die Standard-Weltraumnahrung<br />

enthielt. Synthetisch, konzentriert,<br />

nahrhaft und irgendwie unbefriedigend.<br />

Das Essen erhitzte sich automatisch, wenn man die<br />

Dose öffnete, konnte aber auch kalt gegessen wer-<br />

97


den. An der Dose hing ein kombiniertes Gabel-<br />

Löffel-Untensil, aber es war fast praktischer, mit den<br />

Fingern zu essen. Man machte sich dabei nicht einmal<br />

besonders schmutzig.<br />

»Haben Sie meine kleine Ansprache gehört?«<br />

fragte Stuart.<br />

»Ja, Sir. Sie können auf mich zählen.«<br />

»Gut. Und jetzt gehen Sie essen.«<br />

»Dürfte ich mich zu Ihnen setzen?«<br />

»Bitte.«<br />

Ein paar Minuten lang aßen sie schweigend, und<br />

dann platzte Leblanc heraus: »Sie sind so selbstsicher,<br />

Mr. Stuart. Es muß wunderbar sein, wenn man<br />

so ist.«<br />

»Selbstsicher? Danke. Aber da ist jemand, der ist<br />

noch viel selbstsicherer.<br />

Verwundert blickte Leblanc in die Richtung, in die<br />

Stuart mit einem leichten Kopfnicken gewiesen hatte.<br />

»Mr. Mullen? Dieser kleine Mann? Oh, nein!«<br />

»Sie glauben nicht, daß er selbstsicher ist?«<br />

Leblanc schüttelte den Kopf. Er musterte Stuart<br />

zweifelnd. Hatte er es vielleicht ironisch gemeint?<br />

»Mr. Mullen ist eiskalt. Er hat überhaupt keine<br />

Gefühle. Er ist wie eine kleine Maschine. Ich finde<br />

ihn abstoßend. Sie sind anders, Mr. Stuart. Sie haben<br />

Gefühle, aber Sie können sie kontrollieren. Ich wäre<br />

so gern wie Sie.«<br />

Als wenn er gespürt hätte, daß über ihn gesprochen<br />

wurde, näherte sich Mullen. Er hatte seine Dose<br />

98


kaum angerührt. Sie dampfte leicht, als er sich zu<br />

den beiden Männern setzte.<br />

Seine Stimme klang wie raschelndes, welkes<br />

Laub.<br />

»Mr. Stuart, wie lange, glauben Sie, wird unser<br />

Flug noch dauern?«<br />

»Das kann ich nicht sagen, Mullen. Unzweifelhaft<br />

vermeiden die Kloros die üblichen Handelsrouten<br />

und weichen immer wieder in den Hyper-Raum aus,<br />

um eventuelle Verfolger abzuschütteln. Es würde<br />

mich nicht überraschen, wenn wir erst in einer Woche<br />

irgendwo landeten. Warum fragen Sie? Ich nehme<br />

an, Sie haben irgendeinen praktischen oder logischen<br />

Grund.«<br />

»Warum? Ja, sicher.« Er schien den Sarkasmus<br />

nicht zu spüren. »Ich denke, es wäre vielleicht angebracht,<br />

unsere Rationen zu rationieren, sozusagen.«<br />

»Wir haben genug Essen und Wasser. Es reicht für<br />

einen Monat. Ich habe die Vorräte überprüft.«<br />

»Ich verstehe. In diesem Fall kann ich meine Dose<br />

ja leer essen.« Er tat es. Geziert hantierte er mit dem<br />

Gabel-Löffel und wischte sich ab und zu mit seinem<br />

Taschentuch über den Mund.<br />

Zwei Stunden später kam Polyorketes wieder auf die<br />

Beine. Er schwankte ein bißchen und blickte Stuart<br />

wütend an.<br />

»Nehmen Sie sich in acht, Sie stinkender Spion!«<br />

»Sie haben gehört, was ich vorhin sagte, Polyorketes.«<br />

99


»Ich habe es gehört. Aber ich habe auch gehört,<br />

was Sie über Aristides gesagt haben. Ich werde mich<br />

mit Ihnen gar nicht mehr abgeben, denn für mich<br />

sind Sie nur ein dreckiges Nichts. Aber warten Sie<br />

nur! Wenn Sie weiter Ihr Gift verspritzen, werden<br />

Sie eines Tages an jemanden geraten, der Sie zu<br />

Kleinholz schlägt.«<br />

»Ich werde warten«, sagte Stuart.<br />

Windham hinkte heran und stützte sich schwer auf<br />

seinen Stock.<br />

»Nun, nun«, sagte er mit erzwungener Heiterkeit,<br />

die seine Furcht eher noch unterstrich, als daß sie sie<br />

verdeckte. »Wir sind nun einmal alle Erdenmenschen.<br />

Denken Sie daran, wir sitzen auf einem Boot.<br />

Vor den verdammten Kloros werden wir uns nicht<br />

beugen. Wir müssen unsere privaten Fehden vergessen.<br />

Nur eines dürfen wir nie vergessen: daß wir Erdenmenschen<br />

sind und gegen die fremden Schufte<br />

zusammenhalten müssen.«<br />

Stuarts Kommentar war nicht druckreif.<br />

Porter trat hinter Windham. Er hatte sich mit dem<br />

Colonel eine Stunde lang im Flüsterton unterhalten,<br />

und nun sagte er indigniert: »Hören Sie endlich auf,<br />

den Neunmalklugen zu spielen, Stuart. Hören Sie<br />

lieber dem Colonel zu. Wir müssen unsere Lage<br />

einmal ernsthaft überdenken.« Er hatte sich das Gesicht<br />

gewaschen, die Haare befeuchtet und zurückgestrichen.<br />

Aber sein rechter Mundwinkel zuckte immer<br />

noch nervös, und seine abgebissenen Fingernägel<br />

machten seine Erscheinung nicht attraktiver.<br />

100


»Also gut, Colonel, was haben Sie vor?«<br />

»Ich möchte, daß alle zuhören«, sagte Windham.<br />

»Okay, rufen Sie sie zusammen.«<br />

Leblanc beeilte sich, die anderen zu holen. Mullen<br />

näherte sich etwas langsamer.<br />

Stuart deutete auf Polyorketes.<br />

»Wollen Sie den Burschen auch dabei haben?«<br />

»Sicher, natürlich«, sagte Windham. »Würden Sie<br />

bitte kommen, Mr. Polyorketes?«<br />

»Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe.«<br />

»Wir brauchen ihn nicht«, sagte Stuart.<br />

»Doch«, sagte der Colonel bestimmt. »Das geht<br />

alle Erdenmenschen an. Mr. Polyorketes, Sie müssen<br />

dabei sein.«<br />

Polyorketes wälzte sich auf seiner Couch herum.<br />

»Ich kann Sie auch von hier aus hören.«<br />

Windham wandte sich an Stuart.<br />

»Glauben Sie, daß die Kloros in diesem Raum ein<br />

Abhörgerät installiert haben?«<br />

»Nein. Warum sollten sie?«<br />

»Sind Sie sicher?«<br />

»Natürlich bin ich sicher. Sie wußten ja auch<br />

nicht, daß Polyorketes mich angegriffen hat, sie spürten<br />

nur die Erschütterungen.«<br />

»Vielleicht wollen sie uns nur glauben machen,<br />

daß hier kein Abhörgerät ist.«<br />

»Hören Sie, Colonel, ich habe noch nie erlebt, daß<br />

ein Kloro lügt …«<br />

»Dieser Schmutzfink liebt die Kloros«, unterbrach<br />

ihn Polyorketes.<br />

101


»Fangen wir nicht wieder damit an«, sagte Windham<br />

hastig. »Stuart, Porter und ich hatten eine lange<br />

Unterredung, und wir sind auf den Gedanken gekommen,<br />

daß Sie die Kloros gut genug kennen, um<br />

irgendeine Möglichkeit zu finden, zur Erde zurückzugelangen.«<br />

»Da haben Sie sich leider geirrt. Ich weiß keine<br />

Möglichkeit.«<br />

»Vielleicht können wir das Schiff zurückerobern.<br />

Irgendwo müssen doch auch diese grünen Kerle eine<br />

schwache Stelle haben. So verstehen Sie mich<br />

doch!«<br />

»Sagen Sie einmal, Colonel, was wollen Sie eigentlich?<br />

Ihre eigene Haut retten? Oder geht es Ihnen<br />

um das Wohl der Erde?«<br />

»Diese Frage muß ich entschieden zurückweisen.<br />

Sicher, ich will mein Leben retten. Das will jeder,<br />

und jeder hat auch das Recht dazu. Aber primär denke<br />

ich natürlich an die Erde. Und ich denke, das trifft<br />

auf uns alle zu.«<br />

»Das stimmt«, beeilte sich Porter zu sagen. Leblanc<br />

blickte ängstlich drein, Polyorketes’ Augen<br />

funkelten wütend, und Mullens Miene war ausdruckslos<br />

wie immer.<br />

»Gut«, sagte Stuart. »Natürlich glaube ich nicht,<br />

daß wir uns des Schiffes bemächtigen können. Im<br />

Gegensatz zu uns sind sie bewaffnet. Aber etwas anderes:<br />

Sie wissen, warum die Kloros dieses Schiff<br />

nicht zerstört haben. Weil sie Schiffe brauchen. Sie<br />

mögen bessere Chemiker als die Erdenbewohner<br />

102


sein, aber auf der Erde gibt es bessere Astronautik-<br />

Ingenieure. Wir haben bessere, größere und zahlreichere<br />

Schiffe. Wenn unsere Crew in erster Linie militärisch<br />

eingestellt gewesen wäre, hätte sie unser<br />

Schiff explodieren lassen, bevor die Kloros an Bord<br />

gekommen wären.«<br />

»Und Sie hätten die Passagiere getötet?« fragte<br />

Leblanc entsetzt.<br />

»Warum nicht? Sie haben gehört, was der Colonel<br />

gesagt hat. Jeder von uns stellt die Interessen der Erde<br />

über sein eigenes lausiges Leben. Was nützt es der<br />

Erde, wenn wir überleben? Gar nichts. Was können<br />

die Kloros anrichten, wenn sie dieses Schiff in der<br />

Hand haben? Eine ganze Menge.«<br />

»Aber warum haben unsere Männer das Schiff<br />

nicht gesprengt?« fragte Mullen. »Sie müssen doch<br />

einen Grund gehabt haben.«<br />

»Sie haben auch einen Grund gehabt. Es ist eine<br />

Tradition des Militärs, daß es kein unvorteilhaftes<br />

Verhältnis der Anzahl von Gefallenen geben darf.<br />

Wenn wir uns selbst ins All gesprengt hätten, wären<br />

zwanzig Soldaten und sieben Zivilisten ums Leben<br />

gekommen, während der Feind keine Verluste erlitten<br />

hätte. Also haben wir die Kloros lieber an Bord<br />

kommen lassen, haben etwa achtundzwanzig getötet<br />

und ihnen das Schiff überlassen.«<br />

»Blödes Gerede«, spottete Polyorketes.<br />

»Das ist eine moralische Angelegenheit«, sagte<br />

Stuart. »Wir können den Kloros das Schiff nicht<br />

wieder abnehmen. Aber wir können sie trotzdem er-<br />

103


ledigen. Wir können sie ablenken und einem von uns<br />

die Gelegenheit verschaffen, die Maschinen abzustellen.«<br />

»Was?« schrie Porter, und Windham zuckte erschrocken<br />

zusammen.<br />

»Die Maschinen abstellen«, wiederholte Stuart.<br />

»Auf diese Weise können wir das Schiff zerstören.<br />

Und das wollen wir doch, nicht wahr?«<br />

Leblancs Lippen waren weiß.<br />

»Ich glaube, das geht nicht.«<br />

»Wir können es wenigstens versuchen. Was haben<br />

wir schon zu verlieren?«<br />

»Unser Leben, verdammt!« schrie Porter. »Sie<br />

sind verrückt!«<br />

»Wenn wir unser Leben verlieren, was mit ziemlicher<br />

Wahrscheinlichkeit der Fall sein wird, dann verlieren<br />

wir jedenfalls nichts, was für die Erde von besonderem<br />

Wert wäre. Aber wenn wir das Schiff zerstören,<br />

erweisen wir der Erde einen großen Dienst.<br />

Welcher Patriot würde zögern, so zu handeln? Wem<br />

von uns wäre sein eigenes Leben wichtiger als das<br />

Wohl der Erde?« Er blickte in die schweigende Runde.<br />

»Sie sind doch sicher meiner Meinung, Colonel<br />

Windham.«<br />

<strong>Der</strong> Colonel hustete verlegen.<br />

»Mein lieber Freund, das steht außer Frage. Aber<br />

es muß doch einen Weg geben das Schiff zurückzugewinnen,<br />

ohne daß wir unser Leben verlieren, eh?«<br />

»Was schlagen Sie also vor?«<br />

»Wir müssen einmal überlegen. Es sind nur zwei<br />

104


Kloros auf dem Schiff. Wenn sich einer von uns an<br />

sie anschleichen könnte …«<br />

»Wie denn? Das ganze übrige Schiff ist mit Chlor<br />

gefüllt. Man müßte einen Raumanzug anziehen. Außerdem<br />

ist die Schwerkraft auf Kloro-Niveau gesunken.<br />

Wer immer sich also für ein so waghalsiges Unternehmen<br />

zur Verfügung stellt, müßte laut klirrend<br />

von Metall zu Metall hüpfen. Er könnte sich anschleichen<br />

wie ein Elefant.«<br />

»Dann müssen wir diesen Plan also fallen lassen.«<br />

Porters Stimme zitterte. »Hören Sie, Stuart, wir können<br />

das Schiff nicht zerstören. Mein Leben bedeutet<br />

mir sehr viel, und wenn einer hier so etwas<br />

Wahnsinniges versuchen würde, dann rufe ich die<br />

Kloros. Ich meine es ernst.«<br />

»Gut«, sagte Stuart. »Hier steht also Held Nummer<br />

eins.«<br />

»Ich will zur Erde zurück«, sagte Leblanc, »aber<br />

ich …«<br />

»Ich glaube nicht«, unterbrach ihn Mullen, »daß es<br />

uns gelingen würde, das Schiff zu vernichten, solange<br />

…«<br />

»Die Helden Nummer zwei und drei. Und was ist<br />

mit Ihnen, Polyorketes? Sie würden die Gelegenheit<br />

haben, zwei Kloros zu töten.«<br />

»Ich möchte sie mit bloßen Händen umbringen«,<br />

knurrte der Gemüsegärtner und hob die Fäuste. »Auf<br />

ihrem Planeten werde ich sie dutzendweise töten.«<br />

»Das hört sich ja schon ganz nett an. Und Sie, Colonel?<br />

Wollen Sie mit mir glorreich untergehen?«<br />

105


»Ihr Zynismus ist widerlich, Stuart. Es ist doch offensichtlich,<br />

daß Ihr Plan mit Stimmenmehrheit abgelehnt<br />

ist.«<br />

»Und wenn ich es selbst tue?«<br />

»Sie werden es nicht tun, verstanden?« sagte Porter<br />

hastig.<br />

»Nein, verdammt«, sagte Stuart. Ich behaupte<br />

nicht, daß ich ein Held bin. Ich bin nur ein Durchschnittspatriot<br />

und lasse mich willig auf jeden beliebigen<br />

Planeten bringen, wenn ich nur nichts vom<br />

Krieg sehe.«<br />

Mullen sagte nachdenklich: »Es gibt einen Weg,<br />

wie wir die Kloros überraschen könnten.«<br />

Die Bemerkung wäre untergegangen, wenn nicht<br />

Polyorketes auf Mullen gedeutet und laut aufgelacht<br />

hätte.<br />

»Mr. Buchhalter ist genauso ein Großmaul wie unser<br />

dreckiger Spion. Los, Mr. Buchhalter, reden Sie,<br />

beglücken Sie uns mit Ihren Weisheiten.«<br />

Mit sanfter Stimme wandte sich Mullen an Stuart.<br />

»Wir können von außen an Sie herankommen. Ich<br />

bin sicher, daß dieser Raum einen T-Kanal hat.«<br />

»Was ist ein T-Kanal?« frage Leblanc.<br />

»Nun …«, begann Mullen und brach gleich wieder<br />

verlegen ab.<br />

»Es handelt sich um einen Euphemismus, mein<br />

Junge«, sagte Stuart spöttisch. »Die volle Bezeichnung<br />

lautet <strong>Todeskanal</strong>. Man redet nicht viel darüber,<br />

aber die Haupträume jedes Schiffes haben solche<br />

Kanäle. Das sind kleine Schleusen, gerade groß<br />

106


genug, daß ein Mensch hindurchschlüpfen kann. Begräbnis<br />

im Weltraum. Viel Gefühl, gesenkte Köpfe<br />

und eine gefühlvolle Rede des Captains.«<br />

»Und auf diesem Weg sollen wir das Schiff verlassen?«<br />

fragte Leblanc entsetzt.<br />

»Warum nicht? Sind Sie abergläubisch? Fahren<br />

Sie fort, Mullen.«<br />

<strong>Der</strong> kleine Mann hatte geduldig gewartet. Nun<br />

sagte er: »Wenn einer von uns einmal draußen wäre,<br />

könnte er das Schiff durch die Energieröhren wieder<br />

betreten. Wenn man Glück hat, könnte das gelingen.<br />

Dann konnte man völlig unerwartet im Kontrollraum<br />

auftauchen.«<br />

Stuart starrte ihn neugierig an.<br />

»Wie stellen Sie sich das denn vor? Was wissen<br />

Sie von den Energieröhren?«<br />

Mullen hustete.<br />

»Sie meinen, weil ich in der Papierbranche tätig<br />

bin? Nun …« Sein Gesicht lief rosa an, er wartete<br />

einen Augenblick und begann wieder mit farbloser,<br />

ausdrucksloser Stimme zu sprechen. »Meine Firma<br />

stellt Spielzeugschachteln her. Vor einigen Jahren<br />

brachten wir auch Bonbonschachteln in der Form<br />

von Raumschiffen auf den Markt. Wenn man an einer<br />

Schnur zog, schoß Druckluft durch die kleinen<br />

Energieröhren, das Schiff segelte durch das Zimmer<br />

und verstreute Bonbons. Wir dachten, es würde den<br />

Kindern Spaß machen, mit dem Schiff zu spielen und<br />

die Bonbons aufzulesen. Leider erwies sich die Idee<br />

als Fehlschlag. Das Schiff zerbrach Teller, und die<br />

107


Bonbons trafen die Kinder in die Augen. Außerdem<br />

begnügten sich die Kleinen nicht damit, die Bonbons<br />

aufzusammeln, sie balgten sich auch noch darum. Es<br />

war beinahe unser schlimmster Fehlschlag. Wir verloren<br />

Tausende.<br />

Aber während die Schiffe entworfen wurden, verfolgte<br />

die ganze Firma die Arbeit mit großem Interesse.<br />

Nach einiger Zeit wuchsen wir alle zu Energieröhren-Experten<br />

heran. Ich habe einige Bücher über<br />

die Konstruktion von Raumschiffen gelesen. Natürlich<br />

in meiner Freizeit.«<br />

Stuart hatte ihm interessiert zugehört.<br />

»Eine großartige Idee. Wenn wir einen Helden in<br />

unserer Mitte hätten, könnte sie funktionieren. Haben<br />

wir einen?«<br />

»Wie steht es denn mit Ihnen?« fragte Porter ärgerlich.<br />

»Uns verfolgen Sie mit Ihrem billigen Spott,<br />

aber Sie selbst stellen sich natürlich nicht zur Verfügung.«<br />

»Weil ich kein Held bin, Porter. Das gebe ich zu.<br />

Ich möchte gern am Leben bleiben, und wenn ich<br />

durch Energieröhren krieche, wird mir das wohl<br />

kaum gelingen. Aber Sie, meine Herren, Sie sind<br />

doch alle ehrenwerte Patrioten. Sie zum Beispiel,<br />

Colonel, sind der älteste Held in unserem kleinen<br />

Kreis.«<br />

»Wenn ich jünger wäre, verdammt, und wenn Sie<br />

noch Ihre eigenen Hände hätten, würde es mir ein<br />

großes Vergnügen sein, Sie zu verprügeln«, sagte<br />

Windham.<br />

108


»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«<br />

»Sie wissen sehr gut, daß ich in meinem Alter und<br />

mit meinem Bein …« Er klopft sich auf sein steifes<br />

Knie »… nicht in der Lage bin, eine solche Tat zu<br />

vollbringen, selbst wenn ich es wollte.«<br />

»Natürlich. Und meine Hände sind verkrüppelt.<br />

Damit sind wir gerettet. Und welche unglücklichen<br />

Deformierungen haben die anderen Herren aufzuweisen?«<br />

»Was soll das eigentlich?« fragte Porter. »Wie<br />

kann irgendeiner von uns durch die Röhren kriechen?<br />

Was ist, wenn die Kloros sie gerade in dem<br />

Augenblick benutzen?«<br />

»Das ist eben das Risiko bei der Sache. Das macht<br />

es nur noch spannender.«<br />

»<strong>Der</strong> Mann wird wie ein Hummer gekocht werden.«<br />

»Eine hübsche Vorstellung, aber nicht ganz richtig.<br />

Die Energie würde höchstens eine oder zwei Sekunden<br />

lang durch die Röhre laufen, und so lange<br />

hält die Isolierung unserer Anzüge dicht. Außerdem<br />

kommt der Energieschuß mit einer Geschwindigkeit<br />

von siebenhundert Meilen in der Minute durch die<br />

Röhre, so daß Sie längst im Weltall sind, bevor Sie<br />

die Hitze überhaupt spüren. Sie schweben meilenweit<br />

entfernt im Raum und sind vor den Kloros endlich<br />

sicher. Natürlich dürfte es Ihnen schwerfallen,<br />

zum Schiff zurückzukehren.«<br />

Porter schwitzte.<br />

»Es wird Ihnen nicht gelingen, mir Angst einzuja-<br />

109


gen, Stuart.«<br />

»Nein? Dann wollen Sie also die Heldentat begehen?<br />

Haben Sie sich auch überlegt, was das bedeutet,<br />

wenn man in den Raum geschleudert wird? Sie sind<br />

allein, ganz allein. <strong>Der</strong> Energiestoß wird Sie blitzschnell<br />

durch das leere All treiben. Sie spüren es<br />

nicht. Sie glauben, daß Sie sich überhaupt nicht bewegen.<br />

Aber die Sterne rasen vorbei, als Lichtstreifen.<br />

Sie bleiben nie mehr stehen. Sie werden nicht<br />

einmal langsamer. Dann geht Ihr Heizkörper aus, der<br />

Sauerstoff wird immer weniger, und Sie sterben ganz<br />

langsam. Sie haben noch eine Menge Zeit, um nachzudenken.<br />

Wenn Sie es eilig haben, können Sie natürlich<br />

Ihren Anzug öffnen. Das ist aber auch nicht<br />

sehr angenehm. Ich habe die Gesichter von Männern<br />

gesehen, deren Anzug durch einen bösen Zufall zerrissen<br />

wurde. Schrecklich! Aber es geht eben schneller.<br />

Und dann …«<br />

Porter wandte sich ab und ging mit weichen Knien<br />

davon.<br />

»Noch ein Fehlschlag«, sagte Stuart lächelnd.<br />

»Nun, wer reißt sich noch darum, ein Held zu sein?«<br />

»Sie reden und reden«, krächzte Polyorketes. »Ich<br />

glaube, wir werden Ihnen ziemlich bald die Zähne<br />

einschlagen, Mr. Großmaul. Nicht wahr, Mr. Porter?«<br />

<strong>Der</strong> Blick, den Porter Stuart zuwarf, zeigte deutlich,<br />

daß er vollauf mit Polyorketes übereinstimmte,<br />

aber er sagte nichts.<br />

»Und wie steht es mit Ihnen, Polyorketes? Sie sind<br />

110


doch mutig. Soll ich Ihnen in den Anzug helfen?«<br />

»Wenn ich Ihre Hilfe brauche, werde ich mich<br />

schon von selbst rühren.«<br />

»Und Sie, Leblanc?«<br />

Ängstlich wich der junge Mann zurück.<br />

»Wollen Sie es nicht einmal Margaret zuliebe wagen?<br />

Sie wollen sie doch wiedersehen.«<br />

Leblanc brachte kein Wort hervor. Er konnte nur<br />

den Kopf schütteln.<br />

»Mullen?«<br />

»Also gut, ich will es versuchen.«<br />

»Sie wollen was?«<br />

»Ich sagte, ich will es versuchen. Immerhin war es<br />

ja meine Idee.«<br />

Stuart starrte ihn erstaunt an.<br />

»Meinen Sie das ernst?«<br />

Mullens Mund verzog sich.<br />

»Nun ja, wenn es keiner der anderen Herren tun<br />

will …«<br />

»Trotzdem, Sie müssen sich nicht opfern.«<br />

Mullen zuckte mit den Schultern. Hinter Stuart fiel<br />

eine Dose klirrend zu Boden. Windham hinkte hastig<br />

auf Mullen zu.<br />

»Wollen Sie es wirklich tun?«<br />

»Ja, Colonel.«<br />

»In diesem Fall erlauben Sie mir, Ihnen die Hand<br />

zu schütteln. Sie sind, bei Gott, ein wahrer Erdenmann.<br />

Wer wagt, gewinnt. Auch wenn Sie in den<br />

Tod gehen, Ihr Ruhm wird sie unsterblich machen.«<br />

Stuart stand nur da. Er befand sich in einem äu-<br />

111


ßerst ungewöhnlichen Zustand. Er wußte nicht, was<br />

er sagen sollte.<br />

Die Niedergeschlagenheit der Gefangenen war einem<br />

erregenden verschwörerischen Gefühl gewichen. Sogar<br />

Polyorketes fingerte an den Raumanzügen herum<br />

und verkündete mit heiserer Stimme, welchen er für<br />

den geeignetsten hielt.<br />

Mullen hatte einige Schwierigkeiten. <strong>Der</strong> Raumanzug<br />

hing schlotternd an ihm, obwohl man die Verschlüsse<br />

möglichst eng zugemacht hatte. Er stand da<br />

und wartete darauf, daß man ihm den Helm aufsetzte.<br />

Sein Hals wackelte hin und her.<br />

Stuart hob mit einiger Anstrengung den schweren<br />

Helm hoch. Seine Kunststoffhände konnten ihn nicht<br />

richtig greifen.<br />

»Putzen Sie sich lieber noch einmal die Nase«,<br />

sagte er. »Das ist für längere Zeit die letzte Gelegenheit.<br />

Vielleicht die allerletzte, dachte er, aber er sagte<br />

es nicht.<br />

»Ich möchte noch einen Reserve-Sauerstoffzylinder<br />

haben«, sagte Mullen tonlos.<br />

»Okay.«<br />

»Mit Reduzierventil.«<br />

Stuart nickte.<br />

»Ich weiß, was Sie denken. Wenn Sie aus dem<br />

Schiff geschleudert werden, könnten Sie den Zylinder<br />

als Reaktionsmotor benutzen.«<br />

Sie befestigten den Reservezylinder um Mullens<br />

Mitte. Polyorketes und Leblanc hoben den kleinen<br />

112


Mann zu der gähnenden Öffnung des T-Kanals hoch.<br />

Die Metallwände des Kanals waren in traurigem<br />

Schwarz bemalt. Stuart glaubte, einen modrigen Geruch<br />

wahrzunehmen, aber das war nur Einbildung.<br />

Er hielt die Männer zurück, als Mullen bereits zur<br />

Hälfte in der Öffnung verschwunden war, und klopfte<br />

auf das Sehfenster des kleinen Mannes.<br />

»Können Sie mich hören?«<br />

Mullen nickte.<br />

»Haben Sie genug Luft? Gibt es sonst noch irgendwelche<br />

Schwierigkeiten?«<br />

Mullen hob seinen gepanzerten Arm zum Zeichen,<br />

daß alles in Ordnung war.<br />

»Benutzen Sie draußen im Raum keinesfalls das<br />

Funkgerät. Die Kloros könnten die Signale bemerken.«<br />

Widerstrebend trat er zurück. Polyorketes’ starke<br />

Hände ließen Mullen hinabgleiten. Sie hörten die<br />

Metallsohlen auf der äußeren Ventilkappe aufschlagen,<br />

und dann schloß sich das innere Ventil mit<br />

schrecklicher Endgültigkeit. <strong>Der</strong> schräge Silikon-<br />

Dichtungsring gab ein leises saugendes Geräusch<br />

von sich.<br />

Stuart stand am Kipphebelschalter, der das äußere<br />

Ventil regelte. Er betätigte ihn, und der Skalenzeiger,<br />

der den Luftdruck im Innern des Kanals angab, fiel<br />

auf Null. Ein kleines rotes Licht zeigte an, daß das<br />

Außenventil offen war. Dann verschwand das Licht,<br />

das Ventil war geschlossen, und der Skalenzeiger<br />

kletterte wieder auf fünfzehn.<br />

113


Sie öffneten das Innenventil wieder, blickten hinein.<br />

<strong>Der</strong> T-Kanal war leer. Polyorketes fand als erster<br />

die Sprache wieder.<br />

»Dieser kleine Teufelskerl! Er ist tatsächlich draußen.<br />

So ein Zwerg und so tapfer.«<br />

»Wir müssen uns darauf vorbereiten, daß die Kloros<br />

auftauchen«, sagte Stuart. »Es kann sein, daß sie<br />

das Öffnen und Schließen der Ventile bemerkt haben.<br />

In diesem Fall werden sie zu uns kommen und<br />

nachsehen, was passiert ist.«<br />

»Was sollen wir dann machen?«<br />

»Sie werden Mullen vermissen. Wir sagen, er ist<br />

im Waschraum. Die Kloros wissen, daß es zu den<br />

seltsamen Eigenschaften der Erdenbewohner gehört,<br />

daß sie auf der Toilette mit sich allein sein wollen.<br />

Sie werden nicht in den Waschraum gehen.«<br />

»Und wenn sie warten oder die Raumanzüge zählen?«<br />

fragte Porter.<br />

Stuart zuckte mit den Schultern.<br />

»Hoffen wir, daß sie das nicht tun. Und Sie, Polyorketes,<br />

machen Sie keine Dummheiten mehr, wenn<br />

die Kloros kommen.«<br />

»Wenn der kleine Kerl da draußen ist?« grunzte<br />

Polyorketes. »Was glauben Sie denn von mir?« Er<br />

blickte Stuart ohne jede Feindseligkeit an, dann fuhr<br />

er sich mit einer heftigen Bewegung durch das krause<br />

Haar. »Sie wissen, ich habe immer über ihn gelacht.<br />

Mir ist er wie ein altes Weib vorgekommen.<br />

Jetzt schäme ich mich dafür.«<br />

Stuart räusperte sich.<br />

114


»Nun, ja … ich habe einige Dinge gesagt, die vielleicht<br />

gar nicht so spaßig waren, wie es mir schien.<br />

Nach einiger Überlegung weiß ich das jetzt. Es tut<br />

mir leid.« Mit ernstem Gesicht wandte er sich ab und<br />

ging zu seiner Couch. Er hörte die Schritte hinter<br />

sich, spürte die Berührung auf seinem Arm. Er drehte<br />

sich um. Es war Leblanc.<br />

»Es geht mir nicht aus dem Kopf, daß Mullen für<br />

so etwas doch schon viel zu alt ist«, sagte der Junge<br />

leise.<br />

»Sicher, er ist kein Jüngling mehr. Etwa fünfundvierzig<br />

oder fünfzig.«<br />

»Glauben Sie nicht, Mr. Stuart, daß ich es hätte<br />

tun müssen? Ich bin der Jüngste. Und der Gedanke,<br />

daß ein alter Mann an meiner Stelle da draußen ist,<br />

gefällt mir gar nicht. Ich fühle mich ziemlich übel.«<br />

»Ich weiß. Wenn er stirbt, wird es für uns alle<br />

schrecklich sein.«<br />

»Aber er tat es doch freiwillig. Wir haben ihn<br />

nicht dazu aufgefordert, nicht wahr?«<br />

»Versuchen Sie nicht, die Verantwortung von sich<br />

abzuwälzen. Dadurch werden Sie sich nicht besser<br />

fühlen. Er hatte nicht weniger Grund, das Risiko zu<br />

scheuen, als wir.« Schweigend und nachdenklich<br />

blieb Stuart auf der Couch sitzen.<br />

Mullen spürte, wie das Hindernis unter seinen Füßen<br />

wegglitt, und die Wände sausten an ihm vorbei, viel<br />

zu schnell. <strong>Der</strong> Stoß der entweichenden Luft trug ihn<br />

mit sich, und wild schlug er mit Armen und Beinen<br />

115


gegen die Wände, um abzubremsen. Die Leichen<br />

konnten natürlich geradewegs aus dem Schiff geschleudert<br />

werden. Aber er war keine Leiche – wenigstens<br />

vorläufig noch nicht.<br />

Er hörte einen seiner Magnetstiefel auf dem<br />

Schiffsrumpf aufschlagen, während sein restlicher<br />

Körper ins Freie flog wie der Korken einer Sektflasche.<br />

Gefährlich schwankend balancierte er am Rand<br />

der Öffnung. Plötzlich hatte sich sein Körper gedreht,<br />

und er bückte auf die Öffnung hinab. Er trat<br />

einen Schritt zurück, als der Deckel sich von selbst<br />

schloß.<br />

Ein Gefühl der Unwirklichkeit überkam ihn. Nein,<br />

das konnte nicht er selbst sein, der da auf der äußeren<br />

Fläche eines Raumschiffs stand. Nicht Randolph F.<br />

Mullen. Es gab wenige Leute, die das jemals erlebt<br />

hatten, auch wenn sie es gewohnt waren, ständig<br />

durch den Raum zu reisen.<br />

Nur allmählich wurde ihm bewußt, daß er<br />

Schmerzen fühlte. Das plötzliche Herausschnellen<br />

aus der Öffnung, während sein einer Fuß am Schiffsrumpf<br />

klebte, hätte ihn beinahe in zwei Teile gerissen.<br />

Vorsichtig versuchte er, sich zu bewegen. Seine<br />

Bewegungen waren unregelmäßig, und es war fast<br />

unmöglich, sie zu kontrollieren. Er glaubte, daß er<br />

sich keine Knochen gebrochen hatte. Aber die Muskeln<br />

an seiner linken Seite schmerzten höllisch.<br />

Und dann kam er wieder zu sich und entdeckte,<br />

daß die Lämpchen an seinen Handgelenken brannten.<br />

In ihrem Licht hatte er in die Schwärze des Kanals<br />

116


starren können. Er erstarrte bei dem nervösen Gedanken,<br />

daß die Kloros die beiden Lichtpunkte bemerkt<br />

haben könnten, die sich da draußen auf dem<br />

Schiffsrumpf bewegten. Er drückte auf die Schalter,<br />

die sich in seiner Nabelgegend befanden, und die<br />

Lämpchen verlöschten.<br />

Mullen hätte nie gedacht, daß er den Schiffsrumpf<br />

nicht würde sehen können, wenn er daraufstand.<br />

Aber es war stockdunkel, sowohl oberhalb als auch<br />

unterhalb. Da waren die Sterne, glänzende, kleine<br />

Punkte, deren Entfernung er nicht abschätzen konnte.<br />

Sonst nichts. Unter seinen Füßen konnte er keine<br />

Sterne sehen, ja, nicht einmal seine Füße.<br />

Er blickte wieder zu den Sternen auf. Sein Kopf<br />

dröhnte. Sie bewegten sich langsam. Aber wahrscheinlich<br />

standen sie, und das Schiff bewegte sich,<br />

aber seine Augen sahen es anders. Die Sterne bewegten<br />

sich. Sein Blick folgte ihnen, am Schiff vorbei.<br />

Neue Sterne tauchten auf, glitten an ihm vorüber. Ein<br />

schwarzer Horizont. Das Schiff war nur eine Zone, in<br />

der keine Sterne existierten.<br />

Keine Sterne? Da war doch einer auf seinen Füßen.<br />

Fast hätte er schon danach gegriffen, aber da sah<br />

er, daß es nur das glänzende Spiegelbild im Metall<br />

war.<br />

Die Sterne legten in einer Stunde Tausende von<br />

Meilen zurück. Auch das Schiff. Auch er. Aber er<br />

spürte nichts, nur Stille und Dunkelheit und das langsame<br />

Gleiten der Sterne. Seine Augen folgten den<br />

Sternen …<br />

117


Sein behelmter Kopf schlug mit leisem, glockenähnlichem<br />

Klang auf dem Schiffsrumpf auf. In panischer<br />

Angst griff er mit seinen dicken Silikonhandschuhen<br />

um sich. Seine Magnetstiefel hafteten noch<br />

immer fest am Schiffsrumpf, aber sein Körper war<br />

zurückgebeugt, die Knie in einem rechten Winkel<br />

gebogen. Außerhalb des Schiffes gab es keine<br />

Schwerkraft. Wenn er sich zurückbeugte, so spürte er<br />

nicht, daß seine Gelenke sich bogen.<br />

Er preßte sich gegen den Schiffsrumpf, und sein<br />

Körper schnellte hoch. Aber er blieb nicht aufrecht<br />

stehen, sondern fiel nach vorn. Jetzt versuchte er es<br />

etwas langsamer, balancierte mit beiden Händen auf<br />

dem Schiffsrumpf, bis er gleichmäßig hockte. Langsam<br />

richtete er sich auf, hielt mit ausgestreckten Armen<br />

das Gleichgewicht.<br />

Jetzt stand er aufrecht da und blickte sich um. Wo<br />

waren die Energieröhren? Er konnte sie nicht sehen.<br />

Alles war Schwarz in Schwarz.<br />

Rasch knipste er die Handgelenklämpchen an. Im<br />

Raum gab es keine Strahlen, nur ellipsenförmige,<br />

scharf abgegrenzte Flecken von blauem Stahl, der<br />

das Licht zurückwarf. Wenn der Schein der Lampe<br />

eine Niete traf, zeigte sich ein Schatten, und plötzlich<br />

endete die Lichtregion. Nurmehr schwarzer Raum.<br />

Er hob die Arme. Sein Körper schwankte leicht in<br />

die entgegengesetzte Richtung. Eine Energieröhre<br />

mit ihren glatten zylindrischen Rändern sprang ihm<br />

in die Augen. Er versuchte, sich darauf zuzubewegen.<br />

Sein Fuß haftete fest am Schiffsrumpf. Er zog<br />

118


daran, und der Fuß rutschte hoch. Noch drei Zoll,<br />

und er war frei. Noch sechs Zoll, und er dachte, er<br />

würde davonfliegen.<br />

Es gelang ihm, sich wieder dem Schiffsrumpf zu<br />

nähern, und die Magnetstiefel schlugen mit hartem<br />

Klirren erneut auf dem Metall auf. Die Vibration<br />

fuhr durch den Raumanzug.<br />

Erschrocken blieb er stehen. Die Dehydratoren,<br />

die die Atmosphäre im Raumanzug trocken hielten,<br />

halfen nicht sofort gegen den plötzlichen Schweißausbruch<br />

auf seiner Stirn und in den Achselhöhlen.<br />

Er wartete, bis der Schweiß trocknete.<br />

Dann versuchte er wieder den Fuß zu heben, nur<br />

einen Zoll, dann bewegte er ihn in horizontaler Richtung<br />

weiter. Die Bewegung verlief lotrecht zur Magnetwirkung.<br />

Er mußte nur darauf achten, daß ihm<br />

der Fuß nicht nach unten gezogen wurde, und ihn<br />

langsam wieder aufsetzen.<br />

Jeder Schritt schmerzte, seine Kniesehnen krachten,<br />

tausend Messer durchfuhren sein Inneres. Er<br />

blieb stehen, um wieder den Schweiß trocknen zu<br />

lassen. Die Innenseite seines Gesichtsfensters durfte<br />

nicht vom Dunst blind werden. Er hob die Handgelenklämpchen,<br />

und der Energiezylinder war direkt<br />

über ihm.<br />

Das Schiff hatte vier Energieröhren, die im Winkel<br />

von neunzig Grad von der Mittelenergiequelle nach<br />

außen liefen. Sie wurden nach dem jeweiligen Kurs<br />

des Schiffes reguliert. Die Kursregulatoren waren die<br />

mächtigen Düsen vorn und hinten, die die Flugge-<br />

119


schwindigkeit mit ihrer Beschleunigungs- und Drosselungskraft<br />

bestimmten, und die Hyperatom-<br />

Batterien, die für die Flüge in den Hyperraum sorgten.<br />

Gelegentlich mußte die Flugrichtung geändert<br />

werden, und dann traten die Energieröhren in Funktion.<br />

Eine allein konnte das Schiff nach oben, hinab,<br />

nach rechts oder links lenken. Zu zweit, bei angemessener<br />

Aufteilung der Energiestöße, konnte das<br />

Schiff in jede gewünschte Richtung gelenkt werden.<br />

Die Erfindung war seit Jahrhunderten nicht mehr<br />

verbessert worden. Das war auch nicht nötig. Die<br />

Atombatterie erhitzte das Wasser in einem geschlossenen<br />

Behälter innerhalb von Sekunden bis zu einer<br />

Temperatur, bei der es sich in eine Mischung von<br />

Wasserstoff und Sauerstoff verwandelt und dann zu<br />

einer Mischung von Elektronen und Ionen.<br />

Wenn der kritische Punkt erreicht war, öffnete sich<br />

ein Ventil, und die Dampfenergie schoß in einem<br />

einzigen kurzen Stoß heraus. Das Schiff bewegte<br />

sich majestätisch in die entgegengesetzte Richtung,<br />

drehte sich um seinen eigenen Schwerkraftmittelpunkt.<br />

Wenn die gewünschte Richtung erreicht war,<br />

fand ein entgegengesetzter Energiestoß statt, und die<br />

Drehung konnte ausgeglichen werden. Das Schiff<br />

bewegte sich in seiner ursprünglichen Geschwindigkeit<br />

weiter, aber in einer neuen Richtung.<br />

Mullen zog sich am Rand der Energieröhre hoch.<br />

Da hing er nun, ein winziger, schwankender Punkt<br />

am äußersten Ende einer gigantischen Energiekon-<br />

120


struktion, die das Schiff durch den Weltraum jagte.<br />

Kein Luftstrom wischte ihn vom Schiffsrumpf, die<br />

Magnetsohlen klebten fester am Metall, als es ihm<br />

lieb war. Er beugte sich vor, im Schein seiner eingeschalteten<br />

Lampen starrte er in die Röhre. Das Schiff<br />

sackte nach unten, als er seine Körperlage änderte. Er<br />

bemühte sich, das Gleichgewicht zu halten, aber er<br />

fiel nicht. Im Weltraum gab es kein Oben oder Unten.<br />

Nur das, was sein verwirrter Sinn als oben oder<br />

unten betrachtete.<br />

<strong>Der</strong> Zylinder war gerade groß genug, um einen<br />

Mann aufzunehmen, so daß man zum Zweck eventueller<br />

Reparaturen in die Röhre eindringen konnte.<br />

Das Licht fiel auf eine Sprosse direkt gegenüber vor<br />

der Zylinderseite, an der Mullen hing. Er stieß einen<br />

erleichterten Seufzer aus. Manche Schiffe hatten keine<br />

Leitern.<br />

Das Schiff schien unter ihm zu taumeln, als er sich<br />

auf die Sprosse zubewegte. Er griff nach ihr, befreite<br />

einen Fuß nach dem anderen und zog sich durch die<br />

Öffnung.<br />

<strong>Der</strong> Druck im Magen, den er von Anfang an verspürt<br />

hatte, hatte sich zu einem krampfartigen<br />

Schmerz verstärkt. Wenn sie jetzt beschlossen, den<br />

Kurs zu ändern, wenn die Energie durch die Röhre<br />

schoß …<br />

Er würde es nicht hören, nicht wissen. Er würde<br />

sich an einer Sprosse festhalten und nach der nächsten<br />

tasten, und im nächsten Augenblick würde er<br />

draußen im All sein, allein, das Schiff für immer<br />

121


zwischen den Sternen verschwunden. Vielleicht der<br />

kurze Schein von Eiskristallen, die ihn umschwirren,<br />

sich ihm langsam nähern, ihn umkreisen würden, angezogen<br />

von seinem Gewicht wie Planeten von einer<br />

Sonne.<br />

Eine Sprosse, noch eine und noch eine. Wie viele<br />

waren es? Seine Hand rutschte aus, und er starrte ungläubig<br />

auf das Glitzern im Schein seiner Lampen.<br />

Eis?<br />

Warum nicht? <strong>Der</strong> Dampf, so heiß er auch war,<br />

streifte immerhin Metall, das die Temperatur von<br />

ungefähr null Grad hatte. In den wenigen Sekundenbruchteilen,<br />

die der Energiestoß andauerte, hatte das<br />

Metall nicht genug Zeit, sich über den Gefrierpunkt<br />

zu erwärmen. Eine dünne Eisschicht würde kondensieren<br />

und dann langsam im Vakuum verschwinden.<br />

Die Geschwindigkeit des ganzen Vorganges verhinderte<br />

die Fusion von den Röhren und dem Wasserbehälter.<br />

Seine tastende Hand erreichte das Ende. Die<br />

Handgelenklampen flammten auf. Mit wachsendem<br />

Schrecken starrte er auf die Energiedüse, die etwa<br />

einen halben Zoll im Durchmesser maß. Sie sah ganz<br />

harmlos aus. Aber innerhalb eines Sekundenbruchteils<br />

…<br />

Daneben befand sich die äußere Energieschleuse.<br />

Sie drehte sich um einen zentralen Angelpunkt, der<br />

in Richtung des Raumes mit Sprungfedern umgeben<br />

und auf das Schiff zu festgeschraubt war. Durch die<br />

Stricke wurde der erste heftige Energiestoß abgefan-<br />

122


gen. Dadurch wurde verhindert, daß der mächtige<br />

Schwungkraftanlasser des Schiffes außer Betrieb gesetzt<br />

werden konnte. Die Energie strömte in die innere<br />

Kammer, die Gewalt des Stoßes wurde gemildert,<br />

ohne daß die Kraft der Energie sich änderte, sondern<br />

sich allmählich verteilte, so daß der Schiffsrumpf der<br />

Gefahr entging, zerstört zu werden.<br />

Mullen klammerte sich fest an eine Sprosse und<br />

preßte sich gegen die Schleuse, die ein wenig nachgab.<br />

Sie mußte nicht sehr nachgeben, nur so viel, daß<br />

er nach der Schraube greifen konnte. Bald konnte er<br />

sie fühlen.<br />

Er drehte sie und fühlte, wie sein Körper sich in<br />

die entgegengesetzte Richtung bewegte. Er hielt fest,<br />

und vorsichtig regulierte er den kleinen Schalter, der<br />

die Sprungfedern lockerte. Er erinnerte sich genau an<br />

alles, was er in den Büchern gelesen hatte.<br />

Jetzt befand er sich im inneren Schleusenraum, der<br />

groß genug war, um einem Mann bequem Platz zu<br />

bieten, denn auch hier waren ab und zu Reparaturen<br />

erforderlich. Jetzt konnte er nicht mehr aus dem<br />

Schiff geschleudert werden. Wenn jetzt der Energiestoß<br />

erfolgte, würde er ihn gegen die innere Schleuse<br />

pressen, fest genug, um ihn zu Brei zu quetschen. Ein<br />

schneller Tod, den er nicht einmal spüren würde.<br />

Langsam hakte er den Reserve-Sauerstoffzylinder<br />

vom Raumanzug los. Jetzt war nur mehr die innere<br />

Schleuse zwischen ihm und dem Kontrollraum. Die<br />

Schleuse ging in Richtung zum Weltraum auf, so daß<br />

der Energiestoß sie nur noch fester schloß, anstatt sie<br />

123


zu öffnen. Sie saß fest und geschmeidig. Es gab absolut<br />

keinen Weg, sie von außen zu öffnen.<br />

Er preßte seinen gebeugten Rücken gegen die<br />

Schleusendeckel. Diese Stellung erschwerte das Atmen.<br />

<strong>Der</strong> Sauerstoffzylinder schlenkerte in einem<br />

sonderbaren Winkel von seinem Körper weg. Er ergriff<br />

den Schlauch aus Metallnetzwerk und richtete<br />

ihn gerade, drückte sich gegen die Schleuse, sein<br />

Kopf dröhnte. Immer wieder, immer wieder …<br />

Die Vibration, die sein Druck gegen die Schleuse<br />

erzeugte, mußte die Aufmerksamkeit der Kloros wecken.<br />

Sie würden nachsehen müssen.<br />

Er konnte nicht wissen, wann sie das tun würden.<br />

Zuerst würden sie Luft in die innere Schleuse lassen,<br />

um die äußere zu schließen. Aber die Außenschleuse<br />

war losgeschraubt. Die Luft würde wirkungslos<br />

durch sie hindurchpuffen, in den Raum entweichen.<br />

Mullen warf sich immer wieder gegen die Innenschleuse.<br />

Würden die Kloros auf den Luftdruckmesser<br />

schauen? Würden sie merken, daß der Zeiger sich<br />

kaum merklich von Null entfernte? Oder nahmen sie<br />

es als selbstverständlich an, daß alles in Ordnung<br />

war?<br />

»Jetzt ist er schon seit eineinhalb Stunden weg«, sagte<br />

Porter.<br />

»Ich weiß«, erwiderte Stuart.<br />

Sie waren rastlos, nervös, aber die privaten Spannungen<br />

zwischen den Männern waren gewichen. Es<br />

war, als richteten sich alle Gedanken und Gefühle<br />

124


auf den Mann draußen auf dem Schiffsrumpf.<br />

Porter war etwas durcheinander. Seine Lebensphilosophie<br />

hatte immer gelautet: Sorge für dich selbst,<br />

denn niemand anderer wird für dich sorgen. Es<br />

brachte ihn aus der Fassung, daß diese Philosophie<br />

jetzt nicht mehr stimmte.<br />

»Glauben Sie, daß sie ihn erwischt haben?« fragte<br />

er.<br />

»Wenn das der Fall wäre, hätten wir es bemerkt«,<br />

sagte Stuart kurz.<br />

Porter fühlte, daß die anderen keine Lust hatten,<br />

mit ihm zu sprechen. Er konnte es verstehen. Er hatte<br />

sich ihre Achtung durch nichts verdient. Aber hatte<br />

er sich denn schuldig gemacht? Ein Mensch hatte das<br />

Recht, Angst zu haben. Die anderen hatten genauso<br />

Angst gehabt. Keiner wollte dem Tod ins Auge sehen.<br />

Immerhin, er hatte nicht die Nerven verloren<br />

wie Aristides Polyorketes, er hatte nicht geweint wie<br />

Leblanc …<br />

Aber da war Mullen, draußen auf dem Schiffsrumpf.<br />

»So hört doch!« schrie er. »Warum hat er es getan?«<br />

Verständnislos starrten sie ihn an, aber Porter<br />

kümmerte sich nicht darum. Er konnte sich nicht<br />

mehr beherrschen. »Ich will wissen, warum Mullen<br />

sein Leben riskiert!«<br />

»<strong>Der</strong> Mann ist ein Patriot«, sagte Windham.<br />

»Nein!« schrie Porter hysterisch. »<strong>Der</strong> kleine Bursche<br />

hat doch keinerlei Gefühle. Er kennt nur verstandesmäßige<br />

Gründe, und ich will wissen, was das<br />

125


für Gründe sind, weil …«<br />

Er beendete den Satz nicht. Wie konnte er wissen,<br />

ob die Gründe, die einen kleinen Buchhalter zu einer<br />

Heldentat bewegten, auf ihn, Porter, dieselbe Wirkung<br />

hätten?<br />

»Er ist ein verdammt tapferer kleiner Kerl«, sagte<br />

Polyorketes.<br />

Porter stand auf.<br />

»Hören Sie, was immer er auch tut, er kann es<br />

nicht allein zu Ende bringen. Ich – ich folge ihm<br />

freiwillig.« Er zitterte bei diesen Worten und wartete<br />

ängstlich auf Stuarts sarkastische Bemerkung. Stuart<br />

starrte ihn an, wahrscheinlich überrascht.<br />

»Geben wir ihm noch eine halbe Stunde«, sagte<br />

Stuart sanft.<br />

Porter bückte verwirrt auf. Kein Spott lag in Stuarts<br />

Augen. Er sah ihn sogar freundlich an. Alle sahen<br />

ihn freundlich an.<br />

»Und dann …?« fragte er.<br />

»Dann wird jeder Freiwillige seine Aufgabe bekommen.<br />

Wer meldet sich noch, außer Porter?«<br />

Sie alle hoben die Hand, auch Stuart. Porter war<br />

glücklich. Er war der erste Freiwillige gewesen. Ungeduldig<br />

erwartet er das Ende der halben Stunde.<br />

Es kam für Mullen ganz überraschend. Die Außenschleuse<br />

flog auf, und der lange, dünne, schlangengleiche,<br />

fast kopflose Hals eines Kloros fuhr durch<br />

die Innenschleuse. <strong>Der</strong> Kloro konnte gegen die starke<br />

126


Saugkraft der entweichenden Luft nicht ankämpfen.<br />

Mullens Sauerstoffzylinder flog davon, riß sich<br />

beinah los. Nach einem schrecklichen Augenblick<br />

voll eiskalter Angst bekam Mullen ihn zu fassen,<br />

stemmte sich gegen den Luftstrom, wartete, bis der<br />

erste wilde Sturm nachließ, die Luft im Kontrollraum<br />

dünner wurde. Dann zog er den Zylinder mit einer<br />

gewaltigen Kraftanstrengung zu sich.<br />

<strong>Der</strong> Zylinder stieß gegen den nervigen Hals des<br />

Kloros. Mullen, der oberhalb der Schleuse kauerte<br />

und gegen den Luftstrom geschützt war, schmetterte<br />

den Zylinder auf den winzigen Kopf unter ihm, immer<br />

wieder, bis die starren Augen brachen. Im fast<br />

luftleeren Raum spritzte grünes Blut aus dem unnatürlich<br />

verkrümmten Hals.<br />

Mullen wagte nicht, sich zu übergeben, obwohl er<br />

es gern getan hätte.<br />

Mit abgewandtem Blick kroch er zurück, griff mit<br />

einer Hand nach der Außenschleuse, die sich wirbelnd<br />

zu drehen begann. <strong>Der</strong> Wirbel dauerte mehrere<br />

Sekunden lang an, dann schnappten die Sprungfedern<br />

am anderen Ende der Schraube ein, und die<br />

Schleuse schloß sich automatisch. Was von der Atmosphäre<br />

übriggeblieben war, verdichtete sich, und<br />

die Pumpen begannen, den Kontrollraum erneut mit<br />

Luft zu füllen.<br />

Mullen kroch über den zerquetschten Kloro hinweg<br />

in den Kontrollraum. Er war leer.<br />

Er fand kaum Zeit, das festzustellen, als er auch<br />

schon auf den Knien lag. Nur mit äußerster Anstren-<br />

127


gung konnte er aufstehen. <strong>Der</strong> Übergang von Schwerelosigkeit<br />

zu Schwerkraft hatte ihn völlig überrumpelt.<br />

Außerdem handelte es sich um Kloro-<br />

Schwerkraft. Das bedeutete, daß er mit seinem<br />

Raumanzug fünfzig Prozent Übergewicht zu tragen<br />

hatte. Immerhin klirrten seine schweren Metallstiefel<br />

nicht mehr so aufreizend laut gegen Metall. Im Innern<br />

des Schiffes waren die Aluminiumwände und -böden<br />

mit Kork legiert.<br />

Er dreht sich langsam um. Vor ihm lag der halslose<br />

Kloro. Nur ein gelegentliches Zucken zeigte noch<br />

an, daß dieser Körper vor kurzem ein lebender Organismus<br />

gewesen war. Angewidert stieg Mullen über<br />

den Kloro und schloß die Schleuse.<br />

Ein deprimierendes, gelbgrünes Licht durchflutete<br />

den Kontrollraum. Das lag natürlich an der Kloro-<br />

Atmosphäre. Mullen stellte überrascht und mit widerwilliger<br />

Bewunderung fest, daß die Kloros offensichtlich<br />

eine Methode entwickelt hatten, sämtliche<br />

Materialien gegen die oxydierende Wirkung des<br />

Chlors widerstandsfähig zu machen. Selbst die Erdkarte<br />

an der Wand, die auf glänzendes Plastikpapier<br />

gedruckt war, wirkte wie neu. Er trat näher, wie magisch<br />

angezogen von den vertrauten Umrissen der<br />

Kontingente …<br />

Da sah er den Schatten einer Bewegung aus dem<br />

Augenwinkel. Er fuhr herum, so schnell er es in seinem<br />

schweren Raumanzug vermochte, und dann<br />

schrie er auf. <strong>Der</strong> Kloro, den er für tot gehalten hatte,<br />

erhob sich.<br />

128


Sein Hals hing schlaff herunter, eine schlammige,<br />

breiige Masse, aber seine Arme griffen blind um<br />

sich, und die Tentakel an seiner Brust vibrierten wie<br />

unzählige Schlangenzungen. Er war natürlich blind.<br />

Die Zerstörung des Halses hatte ihn all seiner Sinnesorgane<br />

beraubt, und die partielle Bewußtlosigkeit<br />

hatte seine Lebensfunktionen durcheinandergebracht.<br />

Aber der Verstand lebte noch immer in der Magengegend,<br />

voll intakt und geschützt.<br />

Mullen trat zurück. Er versuchte auf Zehenspitzen<br />

zu gehen, obwohl er wußte, daß das, was von dem<br />

Kloro übriggeblieben war, nicht hören konnte. <strong>Der</strong><br />

Kloro stolperte nach vorn, stieß gegen eine Wand<br />

und glitt seitlich an ihr entlang.<br />

Mullen blickte sich verzweifelt nach einer Waffe<br />

um und fand nichts. Er sah das Halfter des Kloros,<br />

wagte aber nicht, danach zu greifen. Warum hatte er<br />

die Waffe nicht sofort an sich genommen?<br />

Die Tür des Kontrollraums öffnete sich fast lautlos.<br />

Zitternd wandte Mullen sich um.<br />

<strong>Der</strong> andere Kloro trat ein, unverletzt. Einen Augenblick<br />

lang blieb er in der Tür stehen. Seine Brust-<br />

Tentakel erstarrten. Sein Stengelhals streckte sich<br />

vor, und seine schrecklichen Augen flackerten zuerst<br />

Mullen an, dann seinen beinahe toten Kameraden.<br />

Und dann fuhr seine Hand blitzschnell zur Seite.<br />

In einer raschen Reflexbewegung streckte Mullen<br />

den Schlauch seines Sauerstoffzylinders aus, den er<br />

wieder an seinem Raumanzug befestigt hatte als er<br />

im Kontrollraum angelangt war. Er öffnete das Ven-<br />

129


til, machte sich nicht die Mühe, den Druck zu reduzieren.<br />

Er ließ den Sauerstoff mit aller Gewalt ausströmen<br />

so daß er unter der Erschütterung beinahe<br />

taumelte.<br />

Er konnte den Sauerstoffschwall sehen. Er war eine<br />

blasse Wolke, die durch das grüne Chlor wogte<br />

und den Kloro erwischte.<br />

<strong>Der</strong> Kloro hob die Hände. <strong>Der</strong> kleine Schnabel<br />

öffnete sich erschreckend weit, gab aber keinen Laut<br />

von sich. Er schwankte und fiel zu Boden, krümmte<br />

sich und lag dann still. Mullen trat näher und goß den<br />

Sauerstoffstrom über den Körper, wie wenn er ein<br />

Feuer löschen würde. Und dann hob er seinen schweren<br />

Stiefel und zertrat den dünnen Hals.<br />

Er blickte sich nach dem anderen Kloro um. Reglos<br />

lag der halslose Körper am Boden.<br />

<strong>Der</strong> ganze Raum war nun von weißem Sauerstoff<br />

erfüllt, genug, um ganze Kloro-Legionen zu töten.<br />

Und Mullens Zylinder war leer.<br />

Er stieg über den toten Kloro, verließ den Kontrollraum,<br />

lief, so schnell er konnte, den Hauptkorridor<br />

entlang, auf das Gefangenenquartier zu. Die Reaktion<br />

setzte nun ein. Er wimmerte in blinder, grundloser<br />

Furcht.<br />

Stuart war müde. Trotz seiner Kunststoffhände lenkte<br />

er wieder ein Raumschiff. Zwei Erdenkriegsschiffe<br />

wiesen ihm den Weg. Seit vierundzwanzig Stunden<br />

war er nun auf dem Posten. Er hatte die Kloro-<br />

Ausrüstung entfernt, die frühere Atmosphäre wieder-<br />

130


hergestellt, die Position des Schiffes festgestellt und<br />

es auf den richtigen Kurs zu bringen versucht. Und er<br />

hatte Signale ausgesandt – mit Erfolg.<br />

Leicht verärgert wandte er sich um, als die Tür des<br />

Kontrollraums sich öffnete. Er war zu müde, um<br />

Konversation zu machen. Er wandte sich um. <strong>Der</strong><br />

kleine Mullen trat ein.<br />

»Um Gottes willen, gehen Sie ins Bett zurück,<br />

Mullen!« sagte Stuart.<br />

»Ich bin müde vom Schlafen. Obwohl ich zuerst<br />

glaubte, ich würde tagelang nicht mehr erwachen.«<br />

»Wie fühlen Sie sich?«<br />

»Ein bißchen steif. Besonders auf der Seite.« Er<br />

schnitt eine Grimasse und blickte sich um.<br />

»Sie brauchen nicht nach den Kloros zu suchen«,<br />

sagte Stuart. »Wir haben die armen Teufel hinausgeworfen.«<br />

Er schüttelte den Kopf. »Sie taten mir<br />

richtig leid. Sie hielten sich ja für die wahren Menschen.<br />

Für sie waren wir die Fremden. Damit will ich<br />

natürlich nicht sagen, daß es mir lieber gewesen wäre,<br />

Sie hätten sie nicht getötet, Mullen. Verstehen<br />

Sie?«<br />

»Ich verstehe.«<br />

Stuart warf dem kleinen Mann, der vor der Erdkarte<br />

saß und sie betrachtete, einen kurzen Seitenblick<br />

zu.<br />

»Ich möchte mich ganz persönlich bei Ihnen entschuldigen,<br />

Mullen. Ich habe nicht sehr viel von Ihnen<br />

gehalten.«<br />

»Das war Ihr gutes Recht«, sagte Mullen mit sei-<br />

131


ner trockenen, gefühllosen Stimme.<br />

»Nein, das war es nicht. Niemand hat das Recht,<br />

einen anderen geringzuschätzen. Das kann nur ein<br />

hart erkämpftes Recht nach langer Erfahrung sein.«<br />

»Haben Sie darüber nachgedacht?«<br />

»Ja, den ganzen Tag. Ich kann es Ihnen nicht erklären.<br />

Diese Hände …« Er hielt sie vor sich hin, mit<br />

gespreizten Fingern. »Das Wissen, daß andere Menschen<br />

normale Hände haben, war für mich schwer zu<br />

ertragen. Ich haßte sie dafür. Ich bemühte mich immer,<br />

ihre Gefühle zu erforschen, ihre Schwächen<br />

aufzudecken, ihre Dummheit bloßzustellen. Ich mußte<br />

alles tun, um mir selbst zu beweisen, daß die anderen<br />

Menschen nichts hatten, um das ich sie zu beneiden<br />

hätte.«<br />

»Es ist nicht nötig, daß Sie mir das erklären.«<br />

»Doch!« Er sehnte sich danach, seine Gedanken in<br />

Worte zu fassen. »Vor Jahren schon habe ich die<br />

Hoffnung aufgegeben, nur eine Spur von Anständigkeit<br />

in den Menschen zu finden. Und dann kamen Sie<br />

und kletterten in den T-Kanal.«<br />

»Sie müssen wissen, daß ich von praktischen und<br />

selbstsüchtigen Überlegungen geleitet wurde«, sagte<br />

Mullen. »Ich will nicht, daß Sie mich als Helden hinstellen.«<br />

»Das war auch nicht meine Absicht. Ich weiß, daß<br />

Sie nichts ohne besondere Veranlassung tun würden.<br />

Doch Ihre Tat hat eine merkwürdige Wirkung auf<br />

uns alle gehabt. Sie hat eine Ansammlung Egoisten<br />

und Narren in anständige Leute verwandelt. Und<br />

132


keineswegs durch Zauberei. An sich waren sie alle<br />

anständig. Es bedurfte nur eines Anstoßes, um diese<br />

Anständigkeit wieder zu wecken. Und das war Ihr<br />

Werk. Und – ich bin einer von ihnen. Ich muß Ihnen<br />

dankbar sein, Mullen. Für den ganzen Rest meines<br />

Lebens.«<br />

Mullen wandte sich unbehaglich ab. Seine Hand<br />

strich seinen Jackenärmel glatt, der ohnehin nicht<br />

verdrückt war. Dann fuhr sein Finger über die Erdkarte.<br />

»Ich bin in Richmond geboren, Virginia. Da ist es.<br />

Dorthin werde ich zuerst gehen. Wo sind Sie geboren?«<br />

»In Toronto.«<br />

»Das ist hier. Auf der Landkarte ist das gar keine<br />

Entfernung.«<br />

»Würden Sie mir eine Frage beantworten?«<br />

»Wenn ich kann.«<br />

»Warum haben Sie es getan?«<br />

Mullen verzog die zierlichen Lippen. Er erwiderte<br />

trocken: »Und wenn meine ziemlich prosaischen<br />

Gründe den erhebenden Effekt zunichte machen würden?«<br />

»Nennen Sie es intellektuelle Neugier. Jeder von<br />

uns hatte ganz offensichtliche Motive. Porter erschreckte<br />

die Aussicht auf lange Gefangenschaft zu<br />

Tode. Leblanc wollte seine Braut wiedersehen. Polyorketes<br />

wollte Kloros umbringen. Und Windham war<br />

ein Patriot, so gut er es eben verstand. Was mich betrifft,<br />

so hielt ich mich für einen edlen Idealisten,<br />

133


fürchte ich. Aber in keinem von uns waren die Motive<br />

stark genug, uns hinaus in das All zu treiben. Was<br />

hat ausgerechnet Sie dazu veranlaßt?«<br />

»Warum betonen Sie das so? ausgerechnet ich‹ …«<br />

»Seien Sie nicht beleidigt, aber Sie schienen keinerlei<br />

Gefühle zu besitzen.«<br />

»Tatsächlich?« Mullens Tonfall änderte sich nicht.<br />

Seine Stimme klang trocken und leise wie zuvor, und<br />

doch hatte sie irgendwie an Festigkeit gewonnen.<br />

»Das ist nur Training, Mr. Stuart, Selbstdisziplin.<br />

Nicht meine wahre Natur. Ein kleiner Mann kann<br />

keine respektablen Gefühle haben. Gibt es etwas Lächerlicheres,<br />

als einen kleinen Mann, der sich wütend<br />

aufspielt? Ich bin fünf Fuß und einen halben<br />

Zoll groß und wiege einhundertundzwei Pfund.<br />

Kann ich würdevoll sein? Stolz? Kann ich mich zu<br />

meiner vollen Größe erheben, ohne Gelächter hervorzurufen?<br />

Wo ist die Frau, die mich nicht sofort<br />

kichernd abweisen würde? Natürlich mußte ich lernen,<br />

auf die äußere Zurschaustellung meiner Gefühle<br />

zu verzichten.<br />

Sie sprachen von Deformationen. Kein Mensch<br />

würde Ihre Hände bemerken oder feststellen, daß sie<br />

anders sind als andere Hände, wenn Sie nicht allen<br />

Leuten, denen Sie begegnen, sofort eifrigst alles über<br />

Ihre Hände erzählen würden. Glauben Sie, daß die<br />

acht Zoll, die mir fehlen, verborgen bleiben? Daß das<br />

nicht die erste und in vielen Fällen auch die einzige<br />

Besonderheit ist, die die Leute an meiner Person bemerken?«<br />

134


Stuart schämte sich. Er war in die Intimsphäre dieses<br />

Mannes eingedrungen, und das hätte er nicht tun<br />

dürfen.<br />

»Es tut mir leid«, sagte er.<br />

»Warum?«<br />

»Ich hätte Sie nicht veranlassen dürfen, darüber zu<br />

sprechen. Ich hätte von selbst merken müssen, daß<br />

Sie – daß Sie …«<br />

»Daß ich was? Daß ich meinen Wert beweisen<br />

muß? Daß ich den anderen zeigen will: Seht her, obwohl<br />

ich so klein bin, habe ich den Mut eines Riesen?«<br />

»Ich würde es nicht auf diese spöttische Art ausdrücken.«<br />

»Warum nicht? Es ist Unsinn. Nein, solche Gründe<br />

haben mich nicht zu meiner Tat veranlaßt. Was<br />

würde ich gewinnen, wenn es tatsächlich so wäre?<br />

Sie bringen mich auf die Erde zurück, stellen mich<br />

vor die Fernsehkameras – natürlich nehmen sie nur<br />

mein Gesicht auf oder stellen mich auf einen Stuhl.<br />

Dann hängen sie mir Orden um den Hals …«<br />

»Wahrscheinlich werden sie das alles tun.«<br />

»Und was habe ich davon? ›Dabei ist er so ein<br />

kleiner Kerl‹, würden sie sagen. Und danach? Soll<br />

ich jedem Mann, dem ich begegne, sagen: ›Wissen<br />

Sie, ich bin der Bursche, den Sie im vergangenen<br />

Monat für unglaubliche Tapferkeit dekoriert haben?‹<br />

Wieviele Medaillen, glauben Sie, würde ich denn<br />

brauchen, um die fehlenden acht Zoll und sechzig<br />

Pfund aufzuwiegen?«<br />

135


»Wenn Sie es so ausdrücken, verstehe ich Ihren<br />

Standpunkt.«<br />

Mullen sprach jetzt etwas schneller. Eine kontrollierte<br />

Hitzigkeit war in seine Worte gedrungen.<br />

»Es gab Tage, da dachte ich: Ich werde es ihnen<br />

zeigen. Und dieses mysteriöse ›ihnen‹ umschloß die<br />

ganze Erde. Ich wollte die Erde verlassen und mir<br />

meinen Weg in andere Welten bahnen. Ich wollte ein<br />

neuer und noch kleinerer Napoleon sein. Also ließ<br />

ich die Erde hinter mir und ging in das Arkturische<br />

System. Und was konnte ich auf den Arkturischen<br />

Planeten tun, das ich auf der Erde nicht auch hätte<br />

tun können? Nichts. Ich arbeitete in der Buchhaltung.<br />

Und jetzt habe ich meinen eitlen Drang, mich auf die<br />

Zehenspitzen zu stellen, längst überwunden, Mr.<br />

Stuart.«<br />

»Aber warum haben Sie es dann getan?«<br />

»Ich war achtundzwanzig Jahre alt, als ich die Erde<br />

verließ und in das Arkturische System kam. Seither<br />

bin ich nie mehr auf der Erde gewesen. Dieser Trip<br />

sollte nach langer Zeit mein erster Ausflug auf die<br />

Erde sein. Ich wollte sechs Monate bleiben. Statt<br />

dessen nahmen sie uns gefangen. Sie hätten uns endlos<br />

lang festhalten können. Aber ich konnte – ich<br />

konnte es nicht zulassen, daß sie mich daran hinderten,<br />

zur Erde zu reisen. Welches Risiko das auch<br />

immer für mich bedeuten mochte, ich mußte die Absichten<br />

der Kloros vereiteln. Es war nicht Liebe zu<br />

einer Frau oder Angst oder Haß oder irgendeine Art<br />

von Idealismus. Es war stärker als all das.« Mullen<br />

136


streckte eine Hand aus, als wolle er zärtlich über die<br />

Erdkarte an der Wand streichen. Dann fragte er ruhig:<br />

»Mr. Stuart, hatten Sie schon jemals Heimweh?«<br />

137


Die Geschichte eines Helden<br />

Die Leser fragen sich immer wieder, ob die Meinungen<br />

der Personen in einer Erzählung mit den Meinungen<br />

des Autors übereinstimmen. Die Antwort lautet:<br />

»Nicht notwendigerweise …«, aber man sollte<br />

noch hinzufügen: »Aber meistens …«<br />

Wenn ich eine Erzählung schreibe, in der gegensätzliche<br />

Charaktere gegensätzliche Meinungen vertreten,<br />

so bemühe ich mich nach Kräften, jede Person<br />

ihre Meinung ehrlich ausdrücken zu lassen.<br />

Es gibt wenig Menschen, die mit Richard III. sagen:<br />

»Und darum, weil ich nicht als ein Verliebter<br />

kann kürzen diese fein beredten Tage, bin ich gewillt,<br />

ein Bösewicht zu sein.«<br />

Mag Tom dem Dick auch noch so schurkisch erscheinen,<br />

Tom hat zweifellos Argumente aufzuweisen,<br />

die er ernsthaft vertritt, um sich selbst zu beweisen,<br />

daß er gar nicht schurkisch ist. Deshalb ist es<br />

lächerlich, einen Schurken ostentativ schurkisch<br />

agieren zu lassen. (Außer man besitzt den Genius<br />

Shakespeares und kann sich nahezu alles leisten.<br />

Aber ich fürchte, das trifft auf mich nicht zu.)<br />

Trotzdem, so sehr ich mich auch bemühe, fair zu<br />

sein und den Standpunkt jeder Person ernsthaft zu<br />

präsentieren, auch wenn er mit dem meinen nicht<br />

übereinstimmt, so kann ich Meinungen, die ich nicht<br />

vertrete, nicht mit derselben Überzeugungskraft darstellen<br />

wie solche, die auch die meinen sind. Außer-<br />

138


dem enden meine Erzählungen stets so, wie es mir<br />

persönlich gefällt. Die Person, die mir sympathisch<br />

ist, siegt immer. Auch wenn das Ende traurig ist, ist<br />

die Tendenz der Erzählung (ich hasse das Wort ›Moral‹)<br />

stets so angelegt, daß sie mich befriedigt.<br />

Wenn Sie die feinen Details meiner Erzählungen<br />

übergehen und sie in ihrer Ganzheit betrachten, so<br />

glaube ich, daß das Gefühl, das jede einzelne Erzählung<br />

in Ihnen weckt, identisch mit meinem Gefühl ist,<br />

das ich in diese Erzählung gelegt habe. Das ist keine<br />

Persönlichkeitspropaganda. Ich bin eben einfach ein<br />

Mensch mit ganz bestimmten Gefühlen und kann es<br />

nicht verhindern, daß diese Gefühle in meine Erzählungen<br />

einströmen.<br />

1951 plante der Anthologe Raymond J. Healy eine<br />

Sammlung von Science-Fiction-Erzählungen und bat<br />

mich, eine für ihn zu schreiben. Er stellte mir nur<br />

eine Bedingung. Er wollte eine Geschichte mit ›Happy-End‹.<br />

Also schrieb ich eine Erzählung mit ›Happy-End‹.<br />

Da ich aber stets danach strebe, die Wege der Routine<br />

zu verlassen, versuchte ich, eine Erzählung mit<br />

unerwartetem ›Happy-End‹ zustande zu bringen, eine<br />

Erzählung, in der der Leser erst ganz zum Schluß<br />

herausfindet, worin das ›Happy-End‹ wirklich besteht.<br />

Erst nachdem ich dieses Vorhaben (hoffentlich)<br />

erfolgreich beendet hatte und meine Erzählung veröffentlich<br />

worden war, bemerkte ich, daß meine Bemühungen<br />

um die schriftstellerische Technik mich<br />

139


meine eigenen Intentionen hatten vergessen lassen.<br />

Irgendwie gibt diese Erzählung meine eigenen Gefühle<br />

nicht wieder.<br />

<strong>Der</strong> kompetente Science-Fiction-Kritiker Groff<br />

Conklin meinte, daß ihm diese Erzählung gefiele,<br />

obwohl sie nicht mit seiner eigenen Philosophie<br />

übereinstimme, und zu meiner Verwirrung entdeckte<br />

ich, daß das auch auf meine eigene Philosophie zutrifft.<br />

In dem großen Hof, der wie eine Oase unberührten<br />

Friedens inmitten der über fünfzig Quadratmeilen<br />

verstreuten, hochaufragenden Gebäude der Vereinigten<br />

Welten der Galaxis mit ihrer pulsierenden Geschäftigkeit<br />

lag, steht eine Statue. Sie steht so, daß<br />

sie nachts zu den Sternen aufblicken kann. Noch andere<br />

Statuen stehen rings um den Hof, aber diese eine<br />

steht in der Mitte, allein.<br />

Es ist keine sehr gute Statue. Das Gesicht ist zu<br />

edel und läßt alle Lebendigkeit vermissen. Die Stirn<br />

ist etwas zu hoch, die Nase eine Spur zu symmetrisch,<br />

die Kleidung eine Kleinigkeit zu ordentlich.<br />

Die ganze Gestalt wirkt viel zu überirdisch, um wirklich<br />

zu sein. Man kann annehmen, daß dieser Mann<br />

in seinem realen Leben vielleicht ab und zu die Stirn<br />

gerunzelt oder Schluckauf gehabt hat. Aber die Statue<br />

scheint dem Betrachter suggerieren zu wollen,<br />

daß es solche Unvollkommenheiten im Leben dieses<br />

Mannes nicht gegeben hat.<br />

Es handelt sich hier um eine Art verständlichen,<br />

140


übertriebenen Schadenersatz. Dem Mann waren zeitlebens<br />

keine Denkmäler errichtet worden, und die<br />

erfolgreichen Generationen nach ihm fühlen sich<br />

schuldig, wenn sie in die Vergangenheit blicken.<br />

<strong>Der</strong> Name auf dem Podest lautet ›Richard Sayama<br />

Altmayer‹. Darunter steht ein kurzer Satz und drei<br />

vertikal angeordnete Daten. <strong>Der</strong> Satz heißt: »Eine<br />

gute Absicht kann nicht fehlschlagen.« Bei den drei<br />

Daten handelt es sich um den 17. Juni 2755, den 5.<br />

September 2788 und den 21. Dezember 2800. Die<br />

Jahreszahlen wurden nach der atomaren Zeitrechnung<br />

angegeben, die mit dem Abwurf der ersten<br />

Atombombe im Jahr 1945 der alten Ära einsetzt.<br />

Keines dieser Daten gibt den Geburts- oder Todestag<br />

an, weder den Tag seiner Verehelichung oder den<br />

Tag einer Heldentat, ebenso keinen anderen Tag, an<br />

den die Mitglieder der Vereinigten Welten mit Freude<br />

oder Stolz zurückdenken. Diese drei Daten sind<br />

nichts anderes als Ausdruck von Schuldgefühlen.<br />

Kurz gesagt, diese drei Daten geben die Tage an,<br />

an denen Richard Sayama Altmayer ins Gefängnis<br />

wanderte, weil er eine Meinung vertrat.<br />

17. Juni 2755<br />

Im Alter von zweiundzwanzig Jahren war Dick Altmayer<br />

noch temperamentvoll genug, um richtig wütend<br />

zu werden. Sein Haar war noch dunkelbraun,<br />

und er trug noch nicht den Schnurrbart, der in späteren<br />

Jahren so charakteristisch für ihn werden sollte.<br />

Seine Nase war dünn und lang, aber seine Gesichts-<br />

141


züge wirkten noch sehr jugendlich. Erst später sollte<br />

die Hagerkeit seiner Wangen diese Nase in das berühmte<br />

Wahrzeichen verwandeln, das heute Billionen<br />

von Schulkindern kennen.<br />

Geoffrey Stock stand in der Tür und betrachtete<br />

die Ergebnisse der Wut seines Freundes. Kalte, kluge<br />

Augen blickten aus seinem runden Gesicht. Bald<br />

würde er die erste der Militäruniformen anziehen, in<br />

denen er den Rest seines Lebens verbringen sollte.<br />

»Du große Galaxis!« sagte er.<br />

Altmayer blickte auf.<br />

»Hallo, Jeff.«<br />

»Was ist denn passiert, Dick? Ich dachte, deine<br />

Prinzipien würden dir jede Art von Zerstörung verbieten.<br />

Dieser Leseapparat wirkt aber doch irgendwie<br />

zerstört.« Er hob die einzelnen Teile auf.<br />

»Ich hielt ihn gerade in der Hand, als aus meinem<br />

Wellenempfänger die offizielle Nachricht kam. Du<br />

weißt, welche.«<br />

»Ich weiß. Es ist mir auch passiert. Wo ist er?«<br />

»Da auf dem Boden. Ich habe das Kabel aus der<br />

Wand gerissen, als er losrülpste. Los, wir werfen ihn<br />

in den Atomkanal.«<br />

»Halt, du kannst doch nicht …«<br />

»Warum nicht?«<br />

»Weil es sinnlos ist. Du mußt zur Musterung antreten.«<br />

»Aber warum?«<br />

»Sei nicht so blöd, Dick.«<br />

»Es ist eine Frage der Prinzipien.«<br />

142


»Das ist doch verrückt! Du kannst nicht gegen den<br />

ganzen Planeten kämpfen.«<br />

»Ich will nicht gegen den ganzen Planeten kämpfen,<br />

nur gegen die wenigen, die uns in Kriege verwickeln.«<br />

Stock zuckte mit den Schultern.<br />

»Das bedeutet aber den ganzen Planeten. Deine<br />

verrückte Behauptung, daß nur die wenigen Führer<br />

die armen Leute in den Krieg treiben, sind doch<br />

Hirngespinste. Glaubst du nicht, daß diese Leute für<br />

den Krieg stimmen würden, wenn eine Wahl stattfände?«<br />

»Das besagt gar nichts, Jeff. Die Regierung lenkt<br />

die Organe …«<br />

»Die Organe der Propaganda, ich weiß. Ich habe<br />

dir oft genug zugehört. Aber warum willst du nicht<br />

zur Musterung antreten?«<br />

Altmayer wandte sich ab.<br />

»Vorerst wirst du kaum der ärztlichen Untersuchung<br />

entgehen können.«<br />

»Doch. Ich war im Weltraum.«<br />

»Das hat nichts zu bedeuten. Die Ärzte lassen dich<br />

schon auf ein Raumschiff hopsen, wenn du keinen<br />

Herzfehler hast und nicht nervenschwach bist. Aber<br />

um auf einem Militärschiff Dienst zu tun, ist wesentlich<br />

mehr erforderlich. Wie kannst du denn wissen,<br />

ob du qualifiziert bist oder nicht?«<br />

»Das ist eine beleidigende Frage, Jeff. Ich habe<br />

keine Angst zu kämpfen.«<br />

»Glaubst du, daß du den Krieg auf diese Weise<br />

143


aufhalten kannst?«<br />

»Ich wünschte, ich könnte es.« Altmayers Stimme<br />

zitterte. »Die ganze Menschheit müßte eine Einheit<br />

bilden. Es dürfte keine Kriege mehr geben, keine<br />

Raumflotten, nur geschaffen zum Zweck der Zerstörung.<br />

Die Galaxis ist bereit, sich den vereinten, friedlichen<br />

Bemühungen der menschlichen Rasse zu öffnen.<br />

Statt dessen streiten wir uns seit fast zweitausend<br />

Jahren herum und vernichten die Galaxis.«<br />

Stock lachte.<br />

»Und daran tun wir ganz recht. Es gibt mehr als<br />

achtzig von einander unabhängige Planetensysteme.<br />

»Und wir sind die einzige intelligente Rasse in der<br />

Galaxis?«<br />

»Oh, die Diaboli, deine seltsamen Teufel.« Stock<br />

legte seine Fäuste an die Schläfen, streckte die beiden<br />

Zeigefinger aus und wackelte mit ihnen.<br />

»Sie sind nicht meine Teufel. Sie gehen die ganze<br />

Menschheit etwas an. Sie haben eine einzige Regierung,<br />

die über mehr Planeten herrscht, als in unserer<br />

wunderbaren Galaxis mit ihren achtzig unabhängigen<br />

Systemen zu finden sind.«<br />

»Sicher, und ihr nächstliegender Planet ist nur<br />

fünfzehnhundert Lichtjahre von der Erde entfernt,<br />

und sie können auf Sauerstoffplaneten nicht leben.«<br />

Langsam verlor Stock seine gute Laune. »Dick, ich<br />

bin hierhergekommen, um dir zu sagen, daß ich<br />

nächste Woche zur Musterung gehe. Kommst du mit<br />

mir?«<br />

»Nein.«<br />

144


»Du bist fest entschlossen?«<br />

»Ich bin fest entschlossen.«<br />

»Du wirst nichts dabei gewinnen. Es wird sich<br />

keine begeisternde Flamme auf der Erde entzünden,<br />

die Millionen junge Männer mitreißen wird, deinem<br />

Beispiel zu folgen. Du wirst ganz einfach ins Gefängnis<br />

gesteckt.«<br />

»Nun, dann werde ich eben ins Gefängnis gesteckt.«<br />

Und so kam es auch. Am 17. Juni 2755 des atomaren<br />

Zeitalters, nach einer kurzen Gerichtsverhandlung,<br />

in der Richard Sayama Altmayer es ablehnte,<br />

einen Verteidiger zu präsentieren, wurde er für drei<br />

Jahre oder beziehungsweise für die Dauer des Krieges<br />

ins Gefängnis gesteckt. Es dauerte vier Jahre und<br />

zwei Monate, bis der Krieg definitiv zu Ende war,<br />

obwohl die Verteidigung von Satannia nicht zerstört<br />

worden war. Die Erde hatte die alleinige Herrschaft<br />

über einige Asteroiden gewonnen, viele Handelsvorteile<br />

und einen Teil der satannischen Raumflotte.<br />

Die Menschheit hatte etwa zweitausend Schiffe<br />

verloren, natürlich auch ihre Besatzungen, außerdem<br />

wurden mehrere Millionen Menschen während des<br />

Bombardements getötet. Die Flotten der beiden<br />

kriegführenden Mächte hatten das Bombardement<br />

auf die Außenposten ihrer Planetensysteme beschränkt,<br />

so daß die Erde und Satannia selbst kaum<br />

in Mitleidenschaft gezogen worden waren.<br />

<strong>Der</strong> Krieg hatte wieder einmal bewiesen, daß die<br />

Erde die stärkste menschliche Militärmacht war.<br />

145


Geoffrey Stock hatte während des ganzen Krieges<br />

gekämpft, ohne eine ernsthafte Verwundung davonzutragen.<br />

Zu Ende des Krieges hatte er den Rang eines<br />

Majors erreicht. Er nahm an der ersten diplomatischen<br />

Mission teil, die die Erde zu den Welten der<br />

Diaboli sandte. Dies war der erste Schritt in seiner<br />

bedeutenden militärischen und politischen Karriere.<br />

5. September 2788<br />

Sie waren die ersten Diaboli, die jemals die Erde betreten<br />

hatten. Die Zeitungen, Nachrichtensendungen<br />

in Rundfunk und Fernsehen machten das jedem klar,<br />

der noch daran gezweifelt hatte. Die Föderalistische<br />

Partei zeigte großes Interesse daran, daß diese Tatsache<br />

immer wieder betont wurde.<br />

Zu Beginn des Jahrhunderts waren menschliche<br />

Forscher zum erstenmal auf die Diaboli gestoßen. Sie<br />

waren intelligent und hatten die interstellare Raumfahrt<br />

etwas früher als die Menschen entwickelt. Auch<br />

das galaktische Volumen ihres Herrschaftsgebiets<br />

war größer als das der Menschen.<br />

Zwanzig Jahre später hatten reguläre diplomatische<br />

Beziehungen zwischen den Diaboli und den bedeutendsten<br />

menschlichen Mächten eingesetzt, und<br />

zwar sofort nach dem Krieg zwischen Satannia und<br />

der Erde. Zu dieser Zeit waren die Außenposten des<br />

Herrschaftsbereiches der Diaboli bereits auf zwanzig<br />

Lichtjahre an die äußersten Planeten der Menschen<br />

herangerückt. Sie breiteten sich immer mehr aus,<br />

gründeten Handelsrouten, bemühten sich um die<br />

146


Rechte auf unbesetzte Asteroiden, schickten ihre<br />

Missionen kreuz und quer durch den Raum.<br />

Und jetzt waren sie auf der Erde selbst. Sie wurden<br />

als Gleichberechtigte behandelt, und die Regenten<br />

des dichtbevölkerten Zentrums der Menschenplaneten<br />

sahen in ihnen vielleicht sogar etwas mehr<br />

als gleichberechtigte Geschöpfe. Die beschämendste<br />

Statistik, die die Föderalisten immer wieder laut hinausposaunten,<br />

lautete: Obwohl die Zahl der lebenden<br />

Diaboli etwas kleiner ist als die der lebenden Menschen,<br />

hatten sie doch innerhalb von fünfzig Jahren<br />

fast fünfhundert neue Welten kolonisiert, während<br />

die Erde nur fünf geschafft hatte.<br />

»Hundert ihrer Welten kommen auf eine von uns«,<br />

schrien die Föderalisten. »Und das nur, weil sie eine<br />

einzige politische Organisation haben und wir nahezu<br />

hundert.« Aber relativ wenig Menschen auf der<br />

Erde und noch weniger im Raum der ganzen Galaxis<br />

hörten auf die Föderalisten und ihre Forderung nach<br />

einer galaktischen Union.<br />

Menschenmengen säumten die Straßen, auf denen<br />

die Diabolische Mission von ihrer spezialklimatisierten<br />

Suite im besten Hotel der Stadt zum Verteidigungsministerium<br />

fuhr. Die Menschen betrachteten<br />

die Fremden im großen und ganzen ohne Feindseligkeit.<br />

Man war hauptsächlich neugierig und ziemlich<br />

verwirrt.<br />

Die Diaboli boten keinen angenehmen Anblick.<br />

Sie waren größer und massiver gebaut als Erdenmenschen.<br />

Vier dicke Beine wuchsen dicht nebeneinan-<br />

147


der aus ihrer unteren Körperhälfte. Den Oberkörper<br />

zierten zwei Arme mit flexiblen Fingern. Ihre Haut<br />

war faltig und nackt, sie trugen keine Kleider. Ihre<br />

breiten, schuppigen Gesichter zeigten keinen Ausdruck,<br />

den die Erdenmenschen hätten interpretieren<br />

können. Aus der flachen Stirn über den Augen mit<br />

den großen Pupillen sprangen zwei kurze Hörner.<br />

Diese Eigentümlichkeit hatte den Geschöpfen zu ihrem<br />

Erdennamen verholfen. Zuerst hatte man ›Teufel‹<br />

gesagt, und dann war man zu der etwas freundlicher<br />

klingenden lateinischen Form übergegangen.<br />

Jeder trug zwei zylinderförmige Behälter auf dem<br />

Rücken, aus denen biegsame Röhren zu ihren Nasenlöchern<br />

führten. Die Behälter enthielten eine Mischung<br />

von Soda und Kalk, die das für die Diaboli<br />

giftige Kohlendioxyd in der Erdenluft absorbierte.<br />

Ihr eigener Stoffwechsel beruhte auf der Reduktion<br />

von Schwefel, und manchmal konnten die Vordersten<br />

in der dicht gedrängten Menschenreihe den<br />

Hauch von Schwefelwasserstoff riechen, den die Diaboli<br />

ausatmeten.<br />

<strong>Der</strong> Führer der Föderalisten stand ebenfalls in der<br />

Menge. Er stand etwas weiter hinten, wo er die Aufmerksamkeit<br />

der Polizisten nicht auf sich zog. Die<br />

Beamten hatten die Menschen von den Straßen entfernt<br />

und sorgten nun von ihren kleinen Flugrädern<br />

aus für Ordnung. Mit diesen Fahrzeugen konnte man<br />

auch durch die dichteste Menschenmenge schnell<br />

und gewandt hindurchmanövrieren.<br />

Das Gesicht des Föderalistenführers war hager,<br />

148


seine Nase lang und dünn, und das braune Haar begann<br />

zu ergrauen. Er wandte sich ab.<br />

»Ich kann ihren Anblick nicht ertragen.«<br />

Sein Begleiter war etwas philosophischer eingestellt.<br />

»Aber ihr Geist ist nicht häßlicher als der unserer<br />

gutaussehenden Beamten. Diese Kreaturen sind sich<br />

wenigstens selbst treu.«<br />

»Leider hast du nur zu recht. Sind wir ganz fertig?«<br />

»Ja. Keiner von ihnen wird am Leben bleiben und<br />

zu seiner Welt zurückkehren.«<br />

»Gut! Ich werde hier bleiben und das Zeichen geben.«<br />

Die Diaboli unterhielten sich miteinander. Diese Tatsache<br />

konnte allerdings von keinem menschlichen<br />

Wesen bemerkt werden, wenn es auch noch so lange<br />

an die Fremden herankam. Sie konnten sich natürlich<br />

auch durch gewisse Laute verständigen, aber sie hatten<br />

noch eine andere Methode. Die Haut zwischen<br />

ihren Hörnern konnte durch eine Art der Muskelspannung,<br />

die es bei den Menschen nicht gab, in<br />

schnelles Vibrieren versetzt werden. Die kleinen<br />

Wellen, die auf diese Weise durch die Luft gesendet<br />

wurden, hatten eine zu hohe Schwingung, um vom<br />

menschlichen Ohr gehört werden zu können, und sie<br />

waren so fein, daß auch das sensitivste, von den<br />

Menschen erfundene Instrument sie nicht registrieren<br />

konnte. Zu dieser Zeit war den Menschen diese Art<br />

149


der Kommunikation der Diaboli noch gar nicht bekannt.<br />

»Wußtet ihr, daß dieser Planet die Ursprungswelt<br />

der Zweibeiner ist?« fragte eine Vibration.<br />

Ein Chor von ›Nein‹-Vibrationen ertönte, und<br />

dann sagte eine einzelne Vibration: »Weißt du das<br />

von deinen Studien über die Zweibeiner-Kommunikationen<br />

her, du komischer Kerl?«<br />

»Komisch? Weil ich ihre Kommunikationsformen<br />

studiert habe? Das sollten mehrere von unseren Leuten<br />

tun, anstatt so borniert darauf zu bestehen, daß<br />

die ganze Zweibeiner-Kultur völlig wertlos ist. Wir<br />

könnten von einer viel besseren Position aus mit den<br />

Zweibeinern verhandeln, wenn wir mehr über sie<br />

wüßten. Ihre Geschichte ist auf schreckliche Weise<br />

interessant.«<br />

»Und doch«, sagte eine andere Vibration, »unsere<br />

ersten Kontakte mit den Zweibeinern zeigten doch<br />

fast eindeutig, daß sie vom Ursprung ihrer Rasse auf<br />

diesem Planeten nichts wissen. Auf diesem Planeten<br />

namens Erde gibt es keinen Verehrungskult oder irgendwelche<br />

Gedenkriten. Bist du sicher, daß deine<br />

Information stimmt?«<br />

»Ganz sicher. Das Fehlen von Ritualen und die<br />

Tatsache, daß diese Welt alles andere als ein Reliquienschrein<br />

ist, erscheint im Licht der Zweibeiner-<br />

Geschichte völlig verständlich. Die Zweibeiner auf<br />

den anderen Planeten würden der Erde diese Ehre<br />

nicht gönnen. Es würde die unabhängige Würde ihrer<br />

eigenen Planeten vermindern.«<br />

150


»Das verstehe ich nicht ganz.«<br />

»Ganz verstehe ich es auch nicht, aber nach einigen<br />

Tagen der Lektüre habe ich doch einiges herausgefunden.<br />

Es scheint, als ob die Zweibeiner in einer<br />

einzigen politischen Union gelebt hätten, bevor sie<br />

die interstellare Raumfahrt aufnahmen.«<br />

»Natürlich.«<br />

»Für diese Zweibeiner ist das nicht natürlich. Es<br />

war eine ungewöhnliche Epoche in ihrer Geschichte,<br />

und sie dauerte nicht lange an. Nachdem die Kolonien<br />

auf den verschiedenen Kolonien aufgeblüht waren<br />

und eine gewisse Reife erlangt hatten, war es ihr<br />

dringlichstes Interesse, sich von der Mutterwelt zu<br />

lösen. Damals begann die erste Serie der interstellaren<br />

Kriege der Zweibeiner.«<br />

»Schrecklich! Wie Kannibalen!«<br />

»Ja, nicht wahr? Ich hatte tagelang Verdauungsschwierigkeiten,<br />

als ich das bei meinen Studien entdeckt<br />

hatte. Mein Wiedergekäutes war ganz sauer.<br />

Jedenfalls, die verschiedenen Kolonien gewannen<br />

ihre Unabhängigkeit, so daß wir jetzt eine Situation<br />

vorfinden, die uns wohlbekannt ist. All die Königreiche,<br />

Republiken und Demokratien der Zweibeiner<br />

sind ganz einfach winzige Klümpchen von Welten,<br />

und jedes besteht aus einer Hauptwelt und ein paar<br />

kleinen Nebenwelten, die ihrerseits immer wieder<br />

versuchen, ihre Unabhängigkeit zu erlangen oder von<br />

einer Hauptwelt zur anderen geschoben werden. Die<br />

Erde ist die mächtigste der Hauptwelten und hat etwa<br />

ein Dutzend Nebenwelten unter sich.«<br />

151


Unglaublich, daß diese Kreaturen so blind für ihre<br />

eigenen Interessen sind! Hat denn jene einzige Regierung,<br />

die sie damals beherrschte, als sie noch aus<br />

einer einzigen Welt bestanden, keine Tradition begründet?«<br />

»Ich sagte doch, das war etwas ganz Ungewöhnliches<br />

für sie. Diese eine Regierung bestand nur ein<br />

paar Jahrzehnte. Davor war auch dieser Planet in<br />

mehrere politische Einheiten zersplittert.«<br />

»So etwas habe ich noch nie gehört.« Die überschallgeschwinden<br />

Wellen der Diaboli vibrierten eine<br />

Weile erregt durcheinander.«<br />

»Tatsächlich, sie haben höchstens eine animalische<br />

Intelligenz.«<br />

Sie waren beim Verteidigungsministerium angelangt.<br />

Die fünf Diaboli standen an dem langen Tisch. Sie<br />

standen, weil ihre Anatomie das Sitzen nicht zuließ.<br />

Auf der anderen Seite des Tisches standen fünf Erdenmänner.<br />

Für die Menschen wäre es natürlich bequemer<br />

gewesen zu sitzen, aber verständlicherweise<br />

wollten sie ihr Handikap der kleineren Körpergröße<br />

nicht noch betonen. <strong>Der</strong> Tisch war sehr breit, der<br />

breiteste, der aufzutreiben gewesen war. Das war den<br />

menschlichen Nasen zuliebe geschehen, denn von<br />

den Diaboli ging ein ständiger Geruch von Schwefelwasserstoff<br />

aus, wenn sie atmeten, der sich noch<br />

verstärkte, wenn sie sprachen.<br />

Für gewöhnlich dauerten die Unterredungen nicht<br />

länger als eine halbe Stunde, und am Ende dieser<br />

152


Zeitspanne beendeten die Diaboli die Gespräche ohne<br />

große Formalitäten. Sie drehten sich einfach um<br />

und gingen. Diesmal wurde ihr Abgang jedoch unterbrochen.<br />

Ein Mann trat ein, und die fünf Erdendiplomaten<br />

traten beiseite, um ihm Platz zu machen. Er<br />

war größer als die anderen Erdenmänner und trug<br />

seine Uniform mit der Selbstverständlichkeit langer<br />

Gewohnheit. Sein Gesicht war rund, und er hatte<br />

kluge, kalte Augen. Sein schwarzes Haar war ziemlich<br />

dünn, zeigte aber noch keine Spur von Grau. Eine<br />

Narbe lief von seiner Kinnspitze den Hals hinab<br />

bis in den hohen lederbraunen Kragen. Eine Wunde,<br />

die vielleicht von einer Strahlwaffe stammte, die irgendein<br />

Feind dem Mann in irgendeinem der fünf<br />

Kriege zugefügt hatte, an denen er aktiv teilgenommen<br />

hatte.<br />

»Meine Herren«, sagte der Chef der menschlichen<br />

Diplomatendelegation, »darf ich Ihnen den Verteidigungsminister<br />

vorstellen?«<br />

Die Diaboli waren etwas erschrocken. Obwohl ihr<br />

Gesichtsausdruck undurchdringlich war, vibrierte<br />

ihre Hirnhaut erregt. Ihr strenger Sinn für Hierarchie<br />

war durcheinandergebracht worden. <strong>Der</strong> Minister<br />

war zwar nur ein Zweibeiner, aber vom Standpunkt<br />

der Zweibeiner aus gesehen, war er ranghöher als sie.<br />

Sie konnten keine Geschäfte mit ihm abwickeln.<br />

<strong>Der</strong> Minister war sich ihrer Gefühle bewußt, aber<br />

in diesem Fall hatte er keine andere Wahl. Für wenigstens<br />

zehn Minuten mußten die Diaboli noch aufgehalten<br />

werden, und eine gewöhnliche Unterbre-<br />

153


chung hätte das nicht vermocht.<br />

»Meine Herren«, sagte er, »ich muß Sie um die<br />

Gefälligkeit bitten, diesmal etwas länger zu bleiben.«<br />

<strong>Der</strong> Führer der Diaboli antwortete mit größtmöglicher<br />

Annäherung an die englische Sprache, der ein<br />

Diabolus fähig war. Ein Diabolus hatte zwei Münder.<br />

Einer saß an der äußersten Stelle seiner Kinnbacken<br />

und wurde zum Essen benutzt. Wie dies vor sich<br />

ging, hatte noch kein menschliches Wesen gesehen,<br />

denn die Diaboli zogen es vor, ganz exklusiv in der<br />

Gesellschaft ihrer Artgenossen zu speisen. Eine kleinere<br />

Mundöffnung, etwa zwei Zoll breit, diente zum<br />

Sprechen. Wenn sie sich auseinanderzog, enthüllte<br />

sie ein gummiartiges Loch, denn die Diaboli hatten<br />

keine Zähne. Dieser Mund blieb während des Sprechens<br />

offen, denn die Konsonanten wurden am<br />

Gaumen geformt. Die Worte kamen heiser und verschwommen,<br />

aber man konnte sie verstehen.<br />

»Sie werden uns entschuldigen«, sagte der Diabolus.<br />

»Wir leiden bereits.« Und seine Stirn signalisierte,<br />

unhörbar für die Menschen: »Sollen wir denn in<br />

ihrer schrecklichen Atmosphäre ersticken? Wir müssen<br />

um größere Absorbier-Zylinder bitten.«<br />

<strong>Der</strong> Verteidigungsminister sagte: »Ich kann Ihre<br />

Gefühle verstehen, aber dies ist für mich die einzige<br />

Gelegenheit, mit Ihnen zu sprechen. Vielleicht könnten<br />

Sie uns die Ehre geben, mit uns zu essen.«<br />

<strong>Der</strong> Erdenmann, der neben dem Minister stand,<br />

konnte ein Stirnrunzeln nicht unterdrücken. Hastig<br />

zog er ein Blatt Papier aus der Tasche, kritzelte etwas<br />

154


darauf und reichte es dem Minister.<br />

Dieser las: »Nein! Sie essen geschwefeltes Heu.<br />

Stinkt unerträglich.«<br />

<strong>Der</strong> Minister zerknüllte das Papier und ließ es zu<br />

Boden fallen.<br />

»Die Ehre ist auf unserer Seite«, sagte der Diabolus,<br />

»wenn wir physisch imstande wären, Ihre fremde<br />

Atmosphäre für eine so lange Zeitspanne zu ertragen,<br />

würden wir Ihre Einladung gern annehmen.« Und via<br />

Stirn sagte er verärgert: »Sie können uns doch nicht<br />

zumuten, mit Ihnen zu essen und mitanzusehen, wie<br />

sie die Tierleichen verschlingen. Da wäre mein Wiedergekäutes<br />

ja für alle Zeit sauer.«<br />

»Wir respektieren Ihre Gründe«, sagte der Minister.<br />

»Dann wollen wir unsere Probleme also jetzt<br />

gleich besprechen. In den bisherigen Verhandlungen<br />

ist es uns nicht gelungen, von Ihrer Regierung, die<br />

Sie repräsentieren, irgendeinen klaren Hinweis zu<br />

erhalten, wo und wie sie sich die Grenzen ihrer Einflußsphäre<br />

vorstellt. Wir haben Ihnen in dieser Beziehung<br />

schon mehrere Vorschläge unterbreitet.«<br />

»Was das Erdenterritorium betrifft, so sind wir<br />

doch zu einer Definition gekommen.«<br />

»Aber Sie werden doch einsehen, daß das für uns<br />

unbefriedigend ist. Die Grenzen der Erde und die<br />

Grenzen Ihres Gebietes berühren sich nirgends. Diese<br />

Tatsache haben Sie als einzige festgestellt. Aber<br />

auch das ist unbefriedigend.«<br />

»Wir verstehen nicht ganz. Wollen Sie über die<br />

Grenzen zwischen uns und beispielsweise dem unab-<br />

155


hängigen Königreich Wega diskutieren?«<br />

»Allerdings.«<br />

»Das ist nicht möglich, Sir. Sie werden einsehen,<br />

daß die Beziehungen zwischen uns und der souveränen<br />

politischen Einheit Wega nicht Angelegenheit<br />

der Erde sein können. Darüber können wir nur mit<br />

Wega diskutieren.«<br />

»Dann wollen Sie hundertmal mit hundert<br />

menschlichen Weltsystemen verhandeln?«<br />

»Wenn es notwendig ist, ja. Ich möchte aber betonen,<br />

daß diese Notwendigkeit nicht von uns hervorgerufen<br />

wird, sondern von der Art der menschlichen<br />

politischen Organisation.«<br />

»Das begrenzt unser Diskussionsthema natürlich<br />

drastisch.« <strong>Der</strong> Minister wirkte irgendwie abwesend.<br />

Er lauschte, nicht direkt auf die Worte des Diabolus,<br />

sondern offensichtlich auf irgendwelche entfernte<br />

Geräusche.<br />

Eine leise Bewegung war zu hören, Stimmen,<br />

dann das Krachen von Atomgewehren, das Rattern<br />

von Polizeiflugrädern.<br />

Die Diaboli ließen nicht erkennen, daß sie etwas<br />

gehört hatten. Aber das lag nicht an ihrer Höflichkeit.<br />

Wenn sie auch fähig waren, überschallgeschwinde<br />

Laute wahrzunehmen, so war ihr Gehör gewöhnlichen<br />

Erdengeräuschen gegenüber taub.<br />

»Wir bitten um die Erlaubnis, unsere Überraschung<br />

auszudrücken«, sagte der Diabolus. »Wir waren<br />

der Meinung, dies alles sei Ihnen bekannt.«<br />

Ein Mann in Polizeiuniform erschien in der Tür.<br />

156


<strong>Der</strong> Minister wandte sich ihm zu, und der Polizist<br />

verschwand mit einem kurzen Nicken.<br />

»Sicher«, sagte der Minister, plötzlich kurzangebunden.<br />

»Ich wollte mich nur noch einmal über den<br />

Stand der Dinge persönlich informieren. Glauben<br />

Sie, daß Sie imstande sein werden, morgen die Verhandlungen<br />

wieder aufzunehmen?«<br />

»Sicher, Sir.«<br />

Einer nach dem anderen, langsam und würdevoll,<br />

wie es den Herren des Universums zustand, verließen<br />

die Diaboli den Verhandlungsraum.<br />

Einer der Erdenmänner sagte: »Ich bin froh, daß<br />

sie abgelehnt haben, mit uns zu essen.«<br />

»Ich wußte, daß sie das nicht annehmen würden«,<br />

sagte der Minister nachdenklich. »Sie sind Vegetarier.<br />

Allein der Gedanke, Fleisch zu essen, macht sie<br />

ganz krank. Ich habe sie essen sehen. Sie ähneln darin<br />

unseren Rindern. Sie schlingen ihr Futter hinein,<br />

und dann stehen sie feierlich im Kreis und beginnen<br />

in einer sogenannten Gedankengemeinschaft zu wiederkäuen.<br />

Vielleicht verständigen sie sich dabei auf<br />

irgendeine Weise, die uns unbekannt ist. <strong>Der</strong> große<br />

Unterkiefer rotiert in einem langsamen, mahlenden<br />

Prozeß …«<br />

<strong>Der</strong> Polizist erschien wieder in der Tür.<br />

<strong>Der</strong> Minister brach ab und fragte: »Haben Sie alle?«<br />

»Ja, Sir.«<br />

»Haben Sie Altmayer?«<br />

»Ja, Sir.«<br />

»Gut.«<br />

157


Die Menschenmenge hatte sich wieder versammelt,<br />

als die Diaboli das Ministerium verließen. <strong>Der</strong> Zeitplan<br />

wurde streng eingehalten. Um drei Uhr nachmittags<br />

verließen sie ihre Suite, waren drei Minuten zum<br />

Ministerium unterwegs, um drei Uhr fünfunddreißig<br />

verließen sie das Ministerium wieder und kehrten in<br />

ihre Suite zurück. Die Fahrtroute wurde ständig von<br />

Polizisten bewacht. Mit ausdruckslosen Gesichtern,<br />

fast mechanisch, patrouillierten sie die breite Straße<br />

auf und ab.<br />

In der Mitte ihrer Marschroute klangen plötzlich<br />

Schreie auf. Die meisten der versammelten Leute<br />

hatten die Worte nicht verstanden, denn gleich darauf<br />

krachten Atomgewehre, und blaßblaue Leuchtwolken<br />

stiegen in die Luft. Die Polizistenflugräder<br />

sprangen sieben Fuß hoch in die Luft, die Polizisten<br />

zogen ihre eigenen Atomwaffen, landeten geschickt<br />

mitten in einer Menschengruppe, ohne jemanden zu<br />

verletzen, und sprangen sofort wieder hoch. Das erregte<br />

Stimmengewirr vermischte sich zu einem einzigen<br />

Lautschwall.<br />

Mitten durch das Durcheinander marschierten die<br />

Diaboli ruhig wie immer. Entweder hörten sie nichts,<br />

oder es lag unter ihrer Würde, Reaktionen zu zeigen.<br />

Weit hinten in der Menge, fern vom Zentrum der<br />

Aufregung, strich sich Richard Sayama Altmayer<br />

zufrieden über die Nase. Die strenge Zeiteinteilung<br />

der Diaboli hatte eine minuziös genaue Planung ermöglicht.<br />

Die erste Störung sollte nur die Polizei ab-<br />

158


lenken. Aber jetzt …<br />

Er schoß mit einer harmlosen Knallpistole in die<br />

Luft.<br />

Sofort krachten aus vier Richtungen Gewehrschüsse.<br />

Scharfschützen feuerten von den Dächern<br />

der Gebäude, die die Straße säumten.<br />

Die Diaboli schwankten, ihre Körper wurden von<br />

den Kugeln zerrissen, einer nach dem anderen sank<br />

zu Boden.<br />

Polizisten tauchten an Altmayers Seite auf. Erstaunt<br />

starrte er sie an.<br />

»Sie waren schnell da, aber Sie sind zu spät gekommen«,<br />

sagte er mit sanfter Stimme, denn in<br />

zwanzig Jahren hatte er sich seine Wutausbrüche abgewöhnt,<br />

und zeigte auf die Diaboli.<br />

<strong>Der</strong> Polizist, der Altmayer mit festem Griff am<br />

Arm gepackt hatte, nahm ihm die Knallpistole ab<br />

und untersuchte ihn schnell nach weiteren Waffen.<br />

Er war Captain. Steif sagte er: »Ich glaube, Sie haben<br />

einen Fehler gemacht, Mr. Altmayer. Sie haben kein<br />

Blut vergossen.« Auch er deutete in die Richtung der<br />

Diaboli.<br />

Verwirrt wandte sich Altmayer um. Die Kreaturen<br />

lagen auf der Seite, manche waren in Stücke gerissen,<br />

zerfetzte Haut hing von ihnen, ihre Gestalten<br />

waren verkrümmt, aber der Captain hatte recht. Kein<br />

Blut. Altmayers bleiche Lippen bewegten sich lautlos.<br />

<strong>Der</strong> Captain interpretierte die Lippenbewegung<br />

richtig.<br />

159


»Sie haben recht, Sir, es sind Roboter.«<br />

»Und aus dem großen Tor des Verteidigungsministeriums<br />

traten die echten Diaboli. Die Polizisten<br />

bahnten ihnen einen Weg, aber einen anderen, als sie<br />

sonst benutzten. <strong>Der</strong> Anblick ihrer eigenen Travestien<br />

aus Plastik und Aluminium, die nun zerrissen auf<br />

der Straße lagen, sollte ihnen erspart werden.<br />

»Ich bitte Sie, keine Schwierigkeiten zu machen,<br />

Mr. Altmayer«, sagte der Captain. »Folgen Sie mir.<br />

<strong>Der</strong> Verteidigungsminister will mit Ihnen sprechen.«<br />

»Ich komme, Sir.« Dumpfe Enttäuschung überwältigte<br />

Altmayer.<br />

Geoffrey Stock und Richard Altmayer sahen sich<br />

zum erstenmal nach fast einem Vierteljahrhundert<br />

wieder, hier im Privatbüro im Verteidigungsministerium.<br />

<strong>Der</strong> Raum war einfach eingerichtet. Ein<br />

Schreibtisch, ein Lehnstuhl und zwei weitere Sessel.<br />

Alle waren von stumpfbrauner Farbe. Die Sitzflächen<br />

der Sessel waren mit braunem Schaumgummi<br />

ausgelegt, was mehr der Bequemlichkeit als dem Luxus<br />

dienen sollte. Ein Mikro-Leseapparat stand auf<br />

dem Tisch, und in einem Kasten dahinter wurden<br />

Filmspulen aufbewahrt. An der dem Schreibtisch gegenüberliegenden<br />

Wand hing eine dreidimensionale<br />

Fotographie der alten Dauntless, der ersten Raumkriegsschiffes,<br />

das der Verteidigungsminister befehligt<br />

hatte.<br />

»Ein etwas lächerliches Zusammentreffen nach so<br />

vielen Jahren«, sagte Stock. »Ich bedaure das.«<br />

160


»Warum, Jeff?« Altmayer zwang sich zu einem<br />

Lächeln. »Ich bedaure gar nichts, außer daß ich mich<br />

von dir mit diesen Robotern habe zum Narren halten<br />

lassen.«<br />

»Das war nicht schwierig. Und es war eine glänzende<br />

Gelegenheit, deine Partei zu ruinieren. Ich bin<br />

sicher, nach diesem Vorfall sind sie sehr in Mißkredit<br />

geraten. <strong>Der</strong> Pazifist will einen Krieg heraufbeschwören,<br />

der Apostel der Milde dingt Meuchelmörder.«<br />

»Krieg gegen den wahren Feind«, sagte Altmayer<br />

traurig.<br />

»Aber du hast recht. Es ist ein Zeichen meiner<br />

Verzweiflung, daß ich zu solchen Mitteln griff. Wie<br />

hast du von meinem Plan erfahren?«<br />

»Du überschätzt noch immer die Menschheit,<br />

Dick. In jeder Verschwörung sind die Menschen, die<br />

sich an ihr beteiligen, die schwachen Punkte. Du hattest<br />

fünfundzwanzig Mitverschwörer. Kamst du nie<br />

auf den Gedanken, daß vielleicht ein Verräter unter<br />

ihnen sein könnte – oder einer meiner Leute?«<br />

Eine dunkle Röte brannte auf Altmayers hohen<br />

Backenknochen.<br />

»Wer war es?«<br />

»Das kann ich dir leider nicht sagen. Vielleicht<br />

setzen wir ihn noch einmal ein.«<br />

Altmayer lehnte sich müde zurück.<br />

»Was hast du dabei gewonnen?«<br />

»Was hast du dabei gewonnen?« Du bist heute<br />

noch genau so unzugänglich wie damals, als ich dich<br />

161


das letztemal gesehen habe, an dem Tag, als du dich<br />

entschlossen hast, lieber ins Gefängnis zu wandern<br />

als zur Musterung anzutreten. Du hast dich nicht geändert.«<br />

Altmayer schüttelte den Kopf.<br />

»Die Wahrheit ändert sich nicht.«<br />

»Wenn es die Wahrheit ist, warum erleidest du<br />

dann nur Fehlschläge?« fragte Stock ungeduldig.<br />

»Dein Gefängnisaufenthalt hat dir nichts eingebracht.<br />

<strong>Der</strong> Krieg ging weiter. Und dann hast du eine politische<br />

Partei gegründet. Alles, was sie unternahm,<br />

mißlang. Und jetzt ist auch das Attentat fehlgeschlagen.<br />

Du bist bald fünfzig, Dick. Was hast du gewonnen?<br />

Nichts.«<br />

»Und du bist in den Krieg gezogen, hast ein<br />

Raumschiff befehligt und bist schließlich Regierungsmitglied<br />

geworden. Du hast viel erreicht. Aber<br />

Erfolge und Fehlschläge sind mit zweierlei Maß zu<br />

messen. Worin kann man Erfolg haben? In der Vernichtung<br />

der Menschheit? Und kann man es einen<br />

Mißerfolg nennen, wenn der Versuch, diese Vernichtung<br />

zu verhindern, fehlschlägt? Ich möchte nicht<br />

mir dir tauschen. Jeff, merk dir eines: Eine gute Absicht<br />

kann nicht fehlschlagen. Ihr Erfolg kann nur<br />

verzögert werden.«<br />

»Auch wenn du für deine heutige Tat exekutiert<br />

wirst?«<br />

»Auch dann. Jemand anderer wird in meinem<br />

Geist weiterarbeiten, und sein Erfolg wird auch der<br />

meine sein.«<br />

162


»Und wie sieht dieser Erfolg in deinen Augen aus?<br />

Kannst du dir eine Union der Welten vorstellen, eine<br />

galaktische Föderation? Willst du, daß Satannia unsere<br />

Angelegenheiten regelt? Soll uns ein Weganer<br />

sagen, was wir tun sollen? Soll die Erde selbst über<br />

ihr Schicksal bestimmen oder der Gnade einer Union<br />

von blindlings zusammengewürfelten Mächten ausgeliefert<br />

sein?«<br />

»Wir wären ihrer Gnade nicht weniger ausgeliefert<br />

als sie der unseren.«<br />

Abgesehen davon, daß wir die reichste Macht<br />

sind. Wir würden um des Notstandsgebiets im Sirius-<br />

Sektor willen geplündert werden.«<br />

»Und das zurückzahlen, was die Erde während der<br />

Kriege geplündert hat, die dann nicht mehr stattfinden.«<br />

»Weißt du auf alle Fragen eine Antwort, Dick?«<br />

»In zwanzig Jahren haben wir alle Fragen gefragt,<br />

Jeff.«<br />

»Dann beantworte mir folgende Frage: Wie willst<br />

du der unwilligen Menschheit diese Union aufzwingen?«<br />

»Deshalb wollte ich die Diaboli töten.« Zum erstenmal<br />

zeigte Altmayer eine innere Bewegung. »Es<br />

hätte einen Krieg mit den Diaboli heraufbeschworen,<br />

und zum erstenmal hätte sich die ganze Menschheit<br />

gegen einen gemeinsamen Feind vereint. Unsere politischen<br />

und ideologischen Differenzen hätten sich<br />

angesichts dieser Gefahr in nichts aufgelöst.«<br />

»Glaubst du das wirklich? Die Diaboli sind uns<br />

163


niemals zu nahe getreten. Sie können auf unseren<br />

Welten nicht leben. Sie müssen auf ihren eigenen<br />

Planeten mit der Sulfidatmosphäre und den Ozeanen<br />

bleiben, die aus Natriumsulfat-Lösungen bestehen.«<br />

»Die Menschheit weiß es besser, Jeff. Sie breiten<br />

sich von Welt zu Welt aus wie eine Atomexplosion.<br />

Sie blockieren die Raumfahrt in Regionen, wo es<br />

noch unbesetzte Sauerstoffweiten gibt, die wir gebrauchen<br />

könnten. Sie planen für die Zukunft. Sie<br />

schaffen Raum für ungezählte künftige Diaboli-<br />

Generationen, während wir uns in eine Ecke der Galaxis<br />

zurückziehen und uns zu Tode kämpfen müssen.<br />

In tausend Jahren werden wir ihre Sklaven sein.<br />

In zehntausend Jahren werden wir ausgelöscht sein.<br />

Oh, ja, sie sind ein gemeinsamer Feind, und die<br />

Menschheit wird es wissen. Vielleicht kommst du<br />

eher darauf, als du denkst.«<br />

»Deine Partei redet viel von den alten Griechen<br />

des präatomaren Zeitalters. Sie erzählen, daß die<br />

Griechen wunderbare Leute waren, die die höchste<br />

Kultur ihrer Zeit besaßen, vielleicht aller Zeiten. Sie<br />

wiesen der Menschheit den Weg, den sie nie gänzlich<br />

verlassen hat. Sie hatten nur einen Fehler. Sie<br />

konnten sich nicht einigen. Ihr Land wurde erobert,<br />

und die alten Griechen gingen unter. Und jetzt treten<br />

wir in ihre Fußstapfen, nicht wahr?«<br />

»Du hast deine Lektion gut gelernt, Jeff.«<br />

»Du auch, Dick?«<br />

»Was meinst du?«<br />

»Hatten die Griechen keinen gemeinsamen Feind,<br />

164


gegen den sie sich verbünden konnten?«<br />

Altmayer schwieg.<br />

»Die Griechen kämpften gegen Persien«, sagte<br />

Stock, »ihren großen gemeinsamen Feind. Ist es<br />

nicht Tatsache, daß ein guter Teil der griechischen<br />

Staaten auf der persischen Seite kämpfte?«<br />

»Ja. Weil sie dachten, daß der persische Sieg unvermeidlich<br />

war.«<br />

»Die Menschen haben sich nicht geändert, Dick.<br />

Warum, glaubst du, sind die Diaboli hier? Worüber<br />

verhandeln wir mit ihnen?«<br />

»Ich bin kein Regierungsmitglied.«<br />

»Nein«, sagte Stock wütend. »Aber ich. Wega hat<br />

sich mit den Diaboli verbündet.«<br />

»Das glaube ich nicht. Das kann nicht sein.«<br />

»Es ist so. Die Diaboli haben zugestimmt, sie mit<br />

fünfhundert Kriegsschiffen zu unterstützen, wann<br />

immer sie mit der Erde in Kriegszustand geraten. Als<br />

Gegenleistung gibt Wega alle Ansprüche auf die Nigellia-Sterne<br />

auf. Wenn dir der Meuchelmord an den<br />

Diaboli also wirklich gelungen wäre, hätte es einen<br />

Krieg gegeben. Aber die halbe Menschheit hätte auf<br />

der Seite der Diaboli gekämpft, auf der Seite unseres<br />

sogenannten gemeinsamen Feindes. Und das wollen<br />

wir verhindern.«<br />

Altmayer sagte langsam: »Ich bin bereit für die<br />

Gerichtsverhandlung. Oder soll ich ohne Prozeß exekutiert<br />

werden?«<br />

»Du bist und bleibst ein Narr, Dick. Wenn wir<br />

dich erschießen, machen wir einen Märtyrer aus dir.<br />

165


Wenn wir dich am Leben lassen und nur deine Mittäter<br />

exekutieren, wird man dich verdächtigen, daß du<br />

deine Gefährten verraten hast. Als mutmaßlicher<br />

Verräter wirst du in Zukunft nicht mehr gefährlich<br />

sein.«<br />

Und so wanderte Richard Sayama Altmayer am 5.<br />

September 2788 nach einem außerordentlich kurzen<br />

Prozeß hinter verschlossenen Türen für fünf Jahre ins<br />

Gefängnis. Im Jahr seiner Entlassung wurde Geoffrey<br />

Stock zum Präsidenten der Erde gewählt.<br />

31. Dezember 2800<br />

Simon Devoire fühlte sich etwas unbehaglich. Er war<br />

ein kleiner Mann mit sandfarbenem Haar und einem<br />

sommersprossigen roten Gesicht.<br />

»Ich bereue es, daß ich einer Zusammenkunft mit<br />

Ihnen zugestimmt habe, Mr. Altmayer«, sagte er. »Es<br />

wird Ihnen nicht nützen und mir nur schaden.«<br />

»Ich bin ein alter Mann«, sagte Altmayer. »Was<br />

kann ich Ihnen schon anhaben?«<br />

Und er war wirklich ein alter Mann. Um die Jahrhundertwende<br />

war er über Sechzig, aber er wirkte<br />

noch älter. Sowohl äußerlich als auch in seinem Innern.<br />

Seine Kleider waren ihm zu groß. Er schien in<br />

ihnen einzuschrumpfen. Nur seine Nase war nicht<br />

gealtert. Sie war noch immer die lange, dünne, aristokratische<br />

Altmayer-Nase.<br />

»Vor Ihnen fürchte ich mich auch nicht«, sagte<br />

Devoire.<br />

»Warum nicht? Vielleicht glauben Sie, daß ich die<br />

166


Männer von ‘88 verraten habe.«<br />

»Nein, natürlich nicht. Kein Mann mit Verstand<br />

glaubt das. Aber die Tage der Föderalisten sind vorbei,<br />

Altmayer.«<br />

Altmayer versuchte zu lächeln. Er hatte Hunger.<br />

Er hatte an diesem Tag noch nichts gegessen. Keine<br />

Zeit … War die Zeit der Föderalisten vorbei? Den<br />

anderen mochte es so scheinen. Die föderalistische<br />

Bewegung war in einer Woge der Lächerlichkeit untergegangen.<br />

Eine mißlungene Verschwörung wirkt<br />

oft romantisch. Man erinnert sich noch nach Generationen<br />

an sie, wenn die Umstände des Mißerfolgs<br />

würdig waren. Aber auf lebende Kreaturen zu schießen<br />

und dann zu entdecken, daß es nur Roboter waren,<br />

einem Trick auf den Leim zu gehen, lächerlich<br />

gemacht zu werden, das war tödlich. Tödlicher als<br />

Verrat, Unrecht und Sünde. Nur wenige hatten geglaubt,<br />

daß Altmayer um sein Leben gefleht und als<br />

Gegenleistung seine Mitverschwörer verraten hatte,<br />

aber das universelle Gelächter hatte den Föderalismus<br />

so effektvoll vernichtet, als wenn man den Verrat<br />

wirklich geglaubt hätte.<br />

Aber Altmayer war fest geblieben. Er sagte: »Die<br />

Zeit des Föderalismus wird nie vorbei sein, solange<br />

die menschliche Rasse lebt.«<br />

»Worte«, sagte Devoire ungeduldig. »Als ich jünger<br />

war, haben sie mir mehr bedeutet. Jetzt bin ich<br />

etwas müde.«<br />

»Simon, ich muß Zugang zum Subäther-System<br />

haben.«<br />

167


Devoires Gesicht verschloß sich.<br />

»Und da haben Sie an mich gedacht. Es tut mir<br />

leid, Altmayer. Ich kann meine Rundfunksendungen<br />

nicht für Ihre Zwecke zur Verfügung stellen.«<br />

»Sie waren einmal ein Föderalist.«<br />

»Berufen Sie sich nicht darauf. Das liegt lange zurück.<br />

Jetzt bin ich – gar nichts. Ich bin Devoirist,<br />

nehme ich an. Ich will leben.«<br />

»Auch unter der Knute der Diaboli? Wollen Sie<br />

leben, solange sie damit einverstanden sind, und<br />

sterben, wenn sie es beschließen?«<br />

»Worte!«<br />

»Billigen Sie die Galaktische Konferenz?«<br />

Devoires Gesicht wurde noch röter. Hitzig sagte<br />

er: »Warum nicht? Was spielt es für eine Rolle, wie<br />

wir die Föderation der Menschheit etablieren? Wenn<br />

Sie noch immer Föderalist sind, was haben Sie gegen<br />

eine vereinte Menschheit einzuwenden?«<br />

»Vereint unter der Herrschaft der Diaboli?«<br />

»Was macht das schon aus? Die Menschheit kann<br />

sich nicht von selbst einigen. Ob wir nun dazu getrieben<br />

werden oder nicht, das Resultat allein ist<br />

wichtig. Mich macht das alles krank, Altmayer, unsere<br />

ganze idiotische Geschichte. Ich bin es müde, immer<br />

wieder zu versuchen, ein Idealist zu sein, wenn<br />

es nichts gibt, worüber man in Idealismus ausbrechen<br />

kann. Menschen sind Menschen, das ist ja das Widerliche.<br />

Vielleicht müssen wir auf die richtige Spur<br />

geprügelt werden. Und ich bin durchaus gewillt, den<br />

Diaboli das Prügeln zu überlassen.«<br />

168


»Sie sind ein Narr, Devoire«, sagte Altmayer<br />

sanft. »Es wird keine wirkliche Union sein, das wissen<br />

Sie. Die Diaboli haben diese Konferenz einberufen,<br />

damit sie als Schiedsrichter in allen laufenden<br />

menschlichen Streitereien auftreten können und danach<br />

das oberste Gericht für uns bleiben. Sie haben<br />

nicht die Absicht, eine wirkliche zentrale Menschheitsregierung<br />

einzurichten. Es wird nur eine Art<br />

verbindendes Direktorium geben. Aber jede Menschenregierung<br />

wird wie bisher ihren eigenen Kram<br />

verwalten. Es ist ganz einfach so, daß wir uns langsam<br />

daran gewöhnen sollen, mit jedem kleinen Problem<br />

zu den Diaboli zu rennen.«<br />

»Wie können Sie das wissen?«<br />

»Glauben Sie im Ernst, daß es anders kommen<br />

wird?«<br />

Devoire kaute an seiner Unterlippe.<br />

»Wahrscheinlich haben Sie recht.«<br />

»Ich sehe es deutlich vor mir, Simon. Jede echte<br />

Unabhängigkeit, die wir jetzt noch haben, werden<br />

wir verlieren.«<br />

»Viel Gutes hat uns diese Unabhängigkeit bisher<br />

ja nicht eingebracht. Außerdem, wir können den<br />

Gang der Dinge nicht aufhalten. Präsident Stock ist<br />

wahrscheinlich ebenso wenig wie Sie auf diese Konferenz<br />

versessen, aber das nützt ihm nichts. Wenn die<br />

Erde der Konferenz fernbleibt, wird die Union wahrscheinlich<br />

ohne uns gebildet, und dann haben wir<br />

Krieg mit dem Rest der Menschheit und den Diaboli.<br />

Und das dürfte auch auf jede andere Regierung zu-<br />

169


treffen, die sich ausschließt.«<br />

»Und wenn sich alle Regierungen ausschließen?<br />

Würde die Konferenz dann nicht völlig zusammenbrechen?«<br />

»Haben Sie jemals erlebt, daß alle menschlichen<br />

Regierungen etwas gemeinsam tun? Sie werden es<br />

nie lernen, Altmayer.«<br />

»Jetzt geht es um neue Faktoren.«<br />

»Welche denn? Ich weiß, ich bin ein Narr, überhaupt<br />

danach zu fragen, aber reden Sie schon.«<br />

»Seit zwanzig Jahren ist der größte Teil der Galaxis<br />

für menschliche Schiffe verschlossen. Sie wissen<br />

das. Niemand von uns hat die geringste Ahnung, was<br />

in der diabolischen Einflußsphäre vor sich geht. Und<br />

doch existierten einige menschliche Kolonien in dieser<br />

Sphäre.«<br />

»So?«<br />

»Gelegentlich fliehen einige Menschen in den<br />

kleinen Teil der Galaxis, der noch frei ist und noch<br />

den Menschen gehört. Die Regierung der Erde besitzt<br />

Informationen. Informationen, die sie der Öffentlichkeit<br />

nicht bekanntzugeben wagt. Aber nicht<br />

alle Regierungsbeamten können es ertragen, sich feige<br />

in solche Aktionen verwickeln zu lassen. Einer<br />

von diesen Männern hat mit mir gesprochen. Ich<br />

kann Ihnen natürlich nicht sagen, welcher – aber ich<br />

habe Dokumente, Devoire, offizielle, verläßliche,<br />

wahre Dokumente.«<br />

Devoire zuckte mit den Schultern.<br />

»Worüber?« Ostentativ spielte er mit dem Schreib-<br />

170


tisch-Chronometer. Altmayer konnte die schimmernde<br />

Metallzifferntafel sehen. Die leuchtenden Zahlen<br />

hoben sich scharf ab. 22, 31. Dann machte die 1 einer<br />

2 Platz.<br />

»Es gibt einen Planeten, der von der Kolonialbevölkerung<br />

Chu Hsi genannt wird«, fuhr Altmayer<br />

fort. »Die Bevölkerung ist nicht sehr groß, etwa zwei<br />

Millionen. Vor fünfzehn Jahren besetzten die Diaboli<br />

verschiedene Welten rund um Chu Hsi. Und in all<br />

den fünfzehn Jahren landete kein menschliches<br />

Schiff mehr auf dem Planeten. Letztes Jahr landeten<br />

die Diaboli selbst. Sie brachten riesige Frachtschiffe<br />

mit Natriumsulfat-Lösungen und Bakterienkulturen<br />

von ihren eigenen Welten mit.«<br />

»Was? Das kann ich nicht glauben.«<br />

»Versuchen Sie es wenigstens«, sagte Altmayer<br />

ironisch. »Es ist gar nicht so schwer. Natriumsulfat<br />

kann sich in jedem Ozean jeder beliebigen Welt auflösen.<br />

In einem Sulfat-Ozean können ihre Bakterien<br />

wachsen und sich vermehren. Sie können Hydrogensulfide<br />

in enormen Mengen produzieren, die die<br />

Ozeane und die Atmosphäre füllen werden. Dann<br />

können sie ihre Pflanzen und Tiere bringen, und<br />

eventuell können sie sich auch selbst häuslich einrichten.<br />

Wieder ein Planet, auf dem die Diaboli leben<br />

können – und die Menschen nicht mehr. Es wird natürlich<br />

einige Zeit dauern, sicher, aber die Diaboli<br />

haben Zeit. Sie sind ein vereintes Volk und …«<br />

»Hören Sie doch auf!« Devoire machte eine angewiderte<br />

Geste. »Das ist doch einfach unglaubwür-<br />

171


dig. Die Diaboli haben so viele Welten, daß sie gar<br />

nicht wissen, was sie damit anfangen sollen.«<br />

»Für ihre gegenwärtigen Bedürfnisse haben sie<br />

mehr als genug Welten, ja. Aber die Diaboli denken<br />

an die Zukunft. Sie haben eine sehr hohe Geburtenrate,<br />

und eines Tages werden sie die Galaxis füllen.<br />

Und wie schön wäre es da für sie, wenn sie die einzige<br />

intelligente Rasse im Universum wären!«<br />

»Das ist doch allein aus physischen Gründen ganz<br />

unmöglich. Stellen Sie sich einmal vor, wieviele Millionen<br />

Tonnen Natriumsulfate sie brauchen würden,<br />

um all die Meere so zu füllen, daß ihren Bedürfnissen<br />

Genüge getan wird.«<br />

»Wahrscheinlich würden sie den Vorrat eines ganzen<br />

Planeten brauchen.«<br />

»Eben. Und glauben Sie, die Diaboli würden einen<br />

ihrer eigenen Planeten vernichten, um einen neuen zu<br />

kreieren? Was gewinnen sie denn dabei?«<br />

»Simon, es gibt Millionen Planeten in der Galaxis,<br />

die wegen ihrer atmosphärischen Bedingungen, ihrer<br />

Temperatur oder ihrer Schwerkraft für immer sowohl<br />

für die Menschen als auch für die Diaboli unbewohnbar<br />

sind. Aber viele dieser Planeten sind sehr<br />

reich an Schwefel.«<br />

»Und was ist mit den Menschen auf diesem Planeten?«<br />

fragte Devoire nach einer kleinen Pause.<br />

»Auf Chu Hsi? Euthanasie … Nur ein paar konnten<br />

rechtzeitig entkommen. Wahrscheinlich war es<br />

ganz schmerzlos. Die Diaboli sind nicht unnötig<br />

grausam. Nur zweckbetont.«<br />

172


Altmayer wartete. Devoire preßte seine Fäuste gegeneinander.<br />

»Bringen Sie diese Neuigkeiten an die Öffentlichkeit«,<br />

sagte Altmayer. »Senden Sie sie auf Subätherwellen<br />

in den interstellaren Raum, zu allen<br />

Rundfunkanstalten aller Menschenwelten. Sie haben<br />

die Möglichkeit dazu, und wenn sie es tun, wird sich<br />

die Galaktische Konferenz in Nichts auflösen.«<br />

Devoire stand auf.<br />

»Wo sind Ihre Beweise?«<br />

»Sie wollen es tun?«<br />

»Ich will Ihre Beweise sehen.«<br />

Altmayer lächelte.<br />

»Kommen Sie.«<br />

Sie warteten auf ihn, als er in sein möbliertes Zimmer<br />

zurückkehrte. Er bemerkte sie nicht sofort. Er<br />

sah das kleine Auto nicht, das ihm langsam und in<br />

vorsichtiger Entfernung folgte. Er ging mit gesenktem<br />

Kopf und überlegte, wie lange Devoire wohl<br />

brauchen würde, bis er die Nachrichten an alle Sender<br />

der menschlichen Welten durchgegeben hatte.<br />

Wann die Empfangsstationen auf Wega, Satannia<br />

und Centaurus die Neuigkeiten verbreiten würden.<br />

Wie lange es dauern würde, bis es die ganze Galaxis<br />

wußte. Er ging zwischen den beiden schlichtgekleideten<br />

Männern hindurch, die den Eingang zu seinem<br />

Wohnhaus flankierten, ohne sie wahrzunehmen.<br />

Erst als er die Tür zu seinem Zimmer öffnete,<br />

stutzte er und wandte sich um. Rasch wollte er wie-<br />

173


der zum Hauseingang zurückeilen, aber die beiden<br />

schlichtgekleideten Männer standen bereits dicht hinter<br />

ihm. Er unternahm keinen Fluchtversuch, betrat<br />

sein Zimmer, setzte sich und fühlte sich uralt. Ich<br />

muß sie nur eine Stunde und zehn Minuten hinhalten,<br />

dachte er verzweifelt.<br />

Einer der beiden Männer schaltete die Wandlampen<br />

an. Im sanften Licht traten das runde Gesicht und<br />

das schüttere Haar erschreckend deutlich hervor.<br />

»Es ist eine große Ehre für mich, daß der Präsident<br />

der Erde mich persönlich besucht.«<br />

»Wir sind alte Freunde, du und ich, Dick. Wir treffen<br />

uns immer wieder.«<br />

Altmayer antwortete nicht.<br />

»Du hast gewisse Dokumente der Regierung in der<br />

Hand, Dick«, sagte Stock.<br />

»Wenn du das glaubst, dann mußt du sie erst einmal<br />

finden.«<br />

Stock erhob sich müde.<br />

»Kein Heldentum, Dick. Ich erkläre dir, was diese<br />

Dokumente besagen. Es handelt sich um einen Bericht<br />

über die Sulfonierung von Chu Hsi. Ist das<br />

wahr?«<br />

Altmayer blickte auf seine Armbanduhr.<br />

»Wenn du im Sinn hast, uns hinzuhalten, so wirst<br />

du nicht viel Erfolg haben. Wir wissen, wo du gewesen<br />

bist. Wir wissen, daß Devoire die Papiere hat,<br />

und wir wissen genau, was er mit ihnen vorhat.«<br />

Altmayer erstarrte. Die dünne, pergamentartige<br />

Haut seiner Wangen bebte. Er fragte: »Wie lange<br />

174


weißt du es schon?«<br />

»So lange wie du, Dick. Du bist ein sehr berechenbarer<br />

Mensch. Und deshalb haben wir beschlossen,<br />

uns deiner zu bedienen. Glaubst du wirklich,<br />

dein Berichterstatter ist ohne unser Wissen zu dir gekommen?«<br />

»Ich verstehe nicht.«<br />

»Die Regierung der Erde ist an der Galaktischen<br />

Konferenz nicht sonderlich interessiert. Wir sind<br />

keine Föderalisten. Wir kennen die Menschen. Was,<br />

glaubst du, würde geschehen, wenn der Rest der Galaxis<br />

erführe, daß die Diaboli eine Sauerstoffwelt in<br />

eine Schwefelwelt verwandeln wollen?<br />

Nein, antworte nicht. Du bist Dick Altmayer, und<br />

ich bin sicher, daß du mir mit der Emphase der<br />

Überzeugung erzählen würdest, die Menschen werden<br />

die Konferenz abbrechen, sich zu einer liebenden,<br />

brüderlichen Union verbünden, sich mit vereinten<br />

Kräften auf die Diaboli werfen und sie vernichten.«<br />

Stock schwieg so lange, daß es fast so aussah, als<br />

hätte er nichts mehr zu sagen. Dann fuhr er mit flüsternder<br />

Stimme fort.<br />

»Unsinn. Die anderen Welten würden sagen, die<br />

Erde hätte aus eigennützigen Motiven diese Lüge<br />

verbreitet, hätte die Dokumente gefälscht, um die<br />

Konferenz zum Scheitern zu bringen. Die Diaboli<br />

würden alles ableugnen, und die meisten menschlichen<br />

Welten werden ihnen in ihrem eigenen Interesse<br />

glauben. Ihre ganze Wut würde sich auf die Erde<br />

175


konzentrieren, und die Freveltaten der Diaboli sieht<br />

keiner. Verstehst du nun, warum wir nicht verantworten<br />

können, daß deine Dokumente bekannt werden?«<br />

Altmayer fühlte sich verbraucht, unnütz.<br />

»Dann wirst du also Devoire aufhalten. Du bist<br />

immer schon im vorhinein so sicher, daß alle meine<br />

Unternehmungen nur Fehlschläge sein können. Dem<br />

unbedeutendsten deiner Gefolgsmänner glaubst du<br />

mehr als …«<br />

»So warte doch! Ich habe nicht gesagt, daß ich<br />

Devoire aufhalten werde. Ich habe nur gesagt, daß<br />

die Regierung nicht die Verantwortung für seine Absicht<br />

übernehmen kann. Aber die Dokumente werden<br />

gesendet. Nachher werden wir Devoire einsperren<br />

und dich auch und das Ganze genau so heftig als Lüge<br />

hinstellen wie die Diaboli. Das läßt die ganze Affäre<br />

in anderem Licht erscheinen. Die Erde hat sich<br />

von diesen Radiosendungen distanziert. Die anderen<br />

Welten werden glauben, wir hätten das aus selbstsüchtigen<br />

Gründen getan und wollten den Diaboli<br />

den Rücken decken. Vielleicht glauben sie auch, wir<br />

wären schon längst ein geheimes Bündnis mit den<br />

Diaboli eingegangen. Davor werden sie sich fürchten<br />

und sich gegen uns miteinander verbünden. Und<br />

wenn sie dann gegen uns sind, bedeutet das, daß sie<br />

auch gegen die Diaboli sind. Sie glauben an die<br />

Echtheit der Dokumente, und die Konferenz wird<br />

abgebrochen.«<br />

»Es wird wieder einen Krieg geben«, sagte Alt-<br />

176


mayer mit hoffnungsloser Stimme, »aber nicht gegen<br />

den wirklichen Feind. Wieder werden die Menschen<br />

einander bekämpfen. Und der Sieg der Diaboli wird<br />

um so größer sein, wenn alles vorbei ist.«<br />

»Es wird keinen Krieg geben«, sagte Stock.<br />

»Niemand wird es wagen, die Erde anzugreifen,<br />

wenn man glaubt, daß die Diaboli auf unserer Seite<br />

stehen. Die anderen Regierungen werden sich nur<br />

von uns zurückziehen und sich in konstanter Anti-<br />

Diaboli-Propaganda den Mund wetzen. Später, wenn<br />

es zu einem Krieg zwischen uns und den Diaboli<br />

kommen sollte, werden die anderen Welten neutral<br />

bleiben.«<br />

Er sieht sehr alt aus, dachte Altmayer. Wir sind alle<br />

alte, sterbende Männer. Laut sagte er: »Wie kannst<br />

du erwarten, daß die Diaboli die Erde unterstützen?<br />

Du kannst die übrige Menschheit zum Narren halten,<br />

indem du vorgibst, die Wahrheit über den Planeten<br />

Chu Hsi verschweigen zu wollen, aber nicht die Diaboli.<br />

Sie würden keine Minute lang daran glauben,<br />

daß die Erde es mit ihrer Behauptung, bei den Dokumenten<br />

über die geplante Sulfonierung der Planeten<br />

handle es sich um Fälschungen, ernst meint.«<br />

»Sie werden es glauben. Denn es handelt sich<br />

wirklich um Fälschungen. Die Diaboli mögen zwar<br />

für die Zukunft eine solche Sulfonierung planen, aber<br />

bis jetzt haben sie noch nichts dergleichen versucht.«<br />

Am 21. Dezember 2800 wanderte Richard Sayama<br />

Altmayer zum dritten- und letztenmal ins Gefängnis.<br />

177


Es hatte keine Gerichtsverhandlung gegeben, und es<br />

war auch keine Gefangenschaft im üblichen Sinn des<br />

Wortes. Er wurde beobachtet, und nur wenige Beamte<br />

traten mit ihm in Kontakt, aber er wurde sehr zuvorkommend<br />

behandelt und genoß alle Bequemlichkeiten.<br />

Er durfte weder Zeitungen lesen noch Radio<br />

hören oder fernsehen, und so wußte er nicht, daß im<br />

zweiten Jahr seiner dritten Gefangenschaft der Krieg<br />

zwischen der Erde und den Diaboli mit einem Überraschungsangriff<br />

der Erde in der Nähe des Sirius auf<br />

gewisse Schiffe der Diabolischen Flotte eröffnet<br />

wurde.<br />

2802 besuchte Geoffrey Stock Altmayer in seinem<br />

Arrest. Altmayer erhob sich überrascht, um ihn zu<br />

begrüßen.<br />

»Du siehst gut aus, Dick«, sagte Stock. Von ihm<br />

selbst konnte man das nicht behaupten. Seine Gesichtsfarbe<br />

war grau geworden, und seine Captain-<br />

Uniform schlotterte um seinen hageren Körper. Er<br />

sollte in diesem Jahr sterben, eine Tatsache, der er<br />

sich wohl bewußt war. Es bedeutete nicht viel für<br />

ihn. Ich habe die Jahre gelebt, die ich leben sollte<br />

und mußte, dachte er.<br />

Altmayer, der noch älter als Stock aussah, hatte<br />

noch neun Jahre vor sich.<br />

»Ein unerwartetes Vergnügen, Jeff. Aber diesesmal<br />

kannst du mich nicht wieder einsperren. Ich sitze<br />

bereits im Gefängnis.<br />

»Ich bin gekommen, um dich freizulassen, wenn<br />

178


du es wünschst.<br />

»Wozu, Jeff? Du verfolgst doch sicher einen<br />

Zweck damit. Willst du mich wieder zu irgend etwas<br />

benutzen?«<br />

Stocks Lächeln war nur ein sekundenschnelles Zucken<br />

der Mundwinkel.<br />

»Ja, ich will dich benutzen. Und diesmal wirst du<br />

einer Meinung mit mir sein … Wir haben Krieg.«<br />

»Mit den Diaboli. Seit sechs Monaten.«<br />

»Mit wem?« fragte Altmayer erregt. Altmayer<br />

schlang nervös seine Finger ineinander. »Ich habe<br />

nichts davon gehört.«<br />

»Ich weiß.« Stock verschränkte die Hände hinter<br />

dem Rücken und war etwas überrascht, als er merkte,<br />

daß sie zitterten. »Es war ein langer Weg für uns<br />

beide, Dick. Wir hatten dasselbe Ziel, du und ich …<br />

Nein, laß mich bitte ausreden. Ich habe dir oft meinen<br />

Standpunkt erklären wollen, aber du hättest mich<br />

nicht verstanden. Du bist nicht der Typ, der etwas<br />

versteht, wenn er nicht klare Resultate vor Augen<br />

hat. – Ich war fünfundzwanzig Jahre alt, als ich zum<br />

erstenmal eine Diaboli-Welt besuchte, Dick. Schon<br />

damals wußte ich es. Wir oder sie.«<br />

»Das habe ich von Anfang an gesagt«, flüsterte<br />

Altmayer.<br />

»Es nur zu sagen, genügt dir nicht. Du wolltest die<br />

menschlichen Regierungen zwingen, sich gegen die<br />

Diaboli zu verbünden. Und das war politisch unrealistisch<br />

und völlig unmöglich. Es war nicht einmal<br />

wünschenswert. Menschen sind keine Diaboli. Das<br />

179


individuelle Bewußtsein der Diaboli ist sehr schwach<br />

ausgeprägt, existiert fast nicht. Aber unser Individualitätsbestreben<br />

ist beinahe übermächtig. Die Diaboli<br />

kennen keine Politik. Aber wir können niemals in<br />

allen Dingen übereinstimmen, könnten eine einzige<br />

Regierung nicht ertragen. Wenn wir eine einzige Insel<br />

hätten, auf der wir leben müßten, würden wir sie<br />

in drei Teile spalten.<br />

Aber unsere Unstimmigkeit ist unsere Stärke. Deine<br />

föderalistische Partei sprach viel und oft von den<br />

alten Griechen. Erinnerst du dich? Aber deine Leute<br />

haben immer das Wesentliche übersehen. Sicher,<br />

Griechenland konnte nie eine Einheit bilden und ging<br />

deshalb unter. Aber sogar im Zustand der Uneinigkeit<br />

konnte es das gigantische Persien besiegen. Warum?<br />

Die griechischen Stadtstaaten kämpften jahrhundertelang<br />

miteinander. Sie waren durch lange Erfahrung<br />

den Persern in militärischer Hinsicht weit voraus.<br />

Sogar die Perser selbst erkannten das, denn im<br />

letzten Jahrhundert ihrer Existenz als Großreich bildeten<br />

griechische Söldner die wertvollsten Truppen<br />

ihres Heeres.<br />

Dasselbe kann man von den kleinen Nationalstaaten<br />

des präatomaren Europas sagen, die in langen<br />

Jahrhunderten des Kämpfens ihre Kriegskünste so<br />

ausgebildet hatten, so daß sie zwei Jahrhunderte lang<br />

den gigantischen Reichen Asiens standhalten konnten.<br />

Und so ist es auch mit uns. Die Diaboli, so mäch-<br />

180


tig sie auch sind, so weit sie sich auch in der Galaxis<br />

ausgebreitet haben, haben bisher noch nie Krieg geführt.<br />

Ihr Militärapparat ist massiv, aber unerprobt.<br />

Innerhalb von fünfzig Jahren bestand ihr einziger<br />

Fortschritt darin, daß sie die menschlichen Kriegsschiffe<br />

kopierten. Auf der anderen Seite befand sich<br />

die Menschheit in heftigem Wettstreit, was die Verbesserung<br />

des Kriegsmaterials betraf. Jede Regierung<br />

war ängstlich darauf bedacht, in den Belangen der<br />

Militärwissenschaft mit ihren Nachbarn Schritt zu<br />

halten. Sie mußten es tun! Unsere Unstimmigkeit<br />

machte das schreckliche Wettrennen um das Überleben<br />

notwendig, so daß schließlich jede einzelne<br />

Menschenwelt den Diaboli ebenbürtig war, vorausgesetzt<br />

natürlich, daß keine unserer Welten an der<br />

Seite der Diaboli kämpft.<br />

Dies zu verhindern, war das Ziel der Erdendiplomatie.<br />

Bevor es nicht feststand, daß in einem Krieg<br />

zwischen der Erde und den Diaboli die anderen Menschenwelten<br />

neutral bleiben würden, konnte ein solcher<br />

Krieg nicht entfesselt werden, und keine Union<br />

der Menschenwelten durfte gebildet werden, solange<br />

der Wettstreit der Kriegskünste noch ein Gebot der<br />

Notwendigkeit war, um militärische Perfektion zu<br />

erreichen. Als wir der Neutralität der anderen sicher<br />

waren, damals, als die Konferenz platzte, suchten wir<br />

den Krieg. Und jetzt haben wir ihn.«<br />

Eiseskälte durchströmte Altmayers Körper. Es<br />

dauerte lange, bis er sprechen konnte. Endlich sagte er:<br />

»Und wenn die Diaboli trotzdem siegen?«<br />

181


»Sie siegen nicht. Vor zwei Wochen vereinigten<br />

sich unsere Hauptflotten zu einer gemeinsamen Aktion,<br />

und die Flotten der Diaboli wurden vernichtet<br />

ohne allzugroße Verluste auf unserer Seite, obwohl<br />

wir schon ziemlich geschwächt sind. Es war fast so,<br />

als hätten wir unbewaffnete Schiffe bekämpft. Wir<br />

hatten die wirkungsvolleren Waffen mit der größeren<br />

Reichweite und den besseren Zielvorrichtungen. Wie<br />

fliegen dreimal so schnell wie sie. Seit dieser<br />

Schlacht entschlossen sich ein Dutzend andere<br />

menschliche Regierungen, sich auf die Siegerseite zu<br />

schlagen und erklärten den Diaboli den Krieg. Gestern<br />

schlugen die Diaboli vor, man möge über einen<br />

Waffenstillstand verhandeln. <strong>Der</strong> Krieg ist praktisch<br />

zu Ende. Und in Zukunft werden sich die Diaboli auf<br />

ihre Planeten beschränken und nur mit unserer Zustimmung<br />

weiter expandieren.«<br />

Altmayer murmelte unzusammenhängende Worte<br />

vor sich hin.<br />

»Und jetzt wird die Union notwendig«, fuhr Stock<br />

fort. »Nach dem Sieg über Persien ruinierten die<br />

griechischen Stadtstaaten sich selbst, weil sie weiterhin<br />

gegeneinander kämpften, so daß sie zuerst von<br />

Mazedonien und dann von Rom erobert werden<br />

konnten. Und als Europa zuerst Amerika kolonisiert,<br />

Afrika aufgeteilt und Asien erobert hatte, führten eine<br />

Reihe europäischer Kriege diesen Kontinent in<br />

den Untergang.<br />

Uneinigkeit vor dem Sieg, Einigkeit danach. Jetzt<br />

ist die Union sehr einfach. Wenn eine Regierung Er-<br />

182


folg hat, werden die anderen eifrig bestrebt sein, an<br />

diesem Erfolg teilzuhaben. <strong>Der</strong> präatomare Schriftsteller<br />

Toynbee betonte als erster den Unterschied<br />

zwischen einer ›dominaten Minorität‹ und einer ›kreativen<br />

Minorität‹.<br />

Und wir sind jetzt die ›kreative Minorität‹. Geradezu<br />

spontan haben viele Menschenwelten die Gründung<br />

einer Organisation der Vereinten Welten angeregt.<br />

Über siebzig Regierungen sind gewillt, an den<br />

ersten Sitzungen teilzunehmen, in denen über eine<br />

Charta der Föderation verhandelt werden soll. Die<br />

anderen werden später ebenfalls beitreten, da bin ich<br />

ganz sicher. Wir wollen, daß du einer der Abgeordneten<br />

der Erde bist, Dick.«<br />

Tränen traten in Altmayers Augen.<br />

»Ich – ich verstehe nicht … Ist das alles wirklich<br />

wahr?«<br />

»Es ist alles genau so, wie ich sagte. Du warst die<br />

erste Stimme im Chaos, Dick, die zur Union aufrief.<br />

Dick. Dein Wort wird viel Gewicht haben. Wie sagtest<br />

du doch einmal? ›Eine gute Absicht kann nicht<br />

fehlschlagen!‹«<br />

»Nein«, sagte Altmayer mit plötzlicher Energie.<br />

»Es scheint ganz so, als wäre deine Absicht die richtige<br />

gewesen.«<br />

Stocks Gesicht zeigte keinerlei Ausdruck.<br />

»Du hast die menschliche Natur nie verstanden,<br />

Dick. Wenn die Vereinigten Welten eine Realität<br />

sein werden, wenn Generationen von Männern und<br />

Frauen über viele friedliche Jahrhunderte hinweg auf<br />

183


diese Tage des Kriegs zurückblicken werden, dann<br />

werden sie den Zweck meiner Methoden vergessen<br />

haben. Für sie wird mein Tun Krieg und Tod bedeuten.<br />

Du hast zur Einigkeit aufgerufen, dein Idealismus<br />

wird für immer in der Erinnerung weiterleben.«<br />

Er wandte sich ab, und Altmayer verstand seine<br />

letzten Worte kaum noch.<br />

»Und wenn sie ihre Denkmäler bauen, werden sie<br />

mir keines errichten.«<br />

184


Was, wenn …<br />

Die häufigste Frage, die an einen Science-Fiction-<br />

Autor gestellt wird, lautet: »Wo nehmen Sie Ihre<br />

Ideen her?« Ich stelle mir vor, daß die Leute, die das<br />

fragen, an eine Art mysteriöse Inspiration denken<br />

oder daß der Autor sogar einen Pakt mit dem Teufel<br />

schließt.<br />

Aber die Antwort ist ganz einfach. Man hat genug<br />

Ideen, wenn man nur lange genug und ernsthaft<br />

nachdenkt. Das dürfte manche Leser etwas desillusionieren.<br />

Ihre Bewunderung läßt meist schlagartig<br />

nach, und der Autor hat das Gefühl, er hätte sich<br />

seihst als Betrüger entlarvt. Denn wenn langes,<br />

ernsthaftes Nachdenken alles ist, was man dazu<br />

braucht, dann kann das ja jeder.<br />

Seltsam, daß es so wenige tun.<br />

Jedenfalls, auch meine Frau wurde einmal<br />

schwach und stellte mir diese Frage, obwohl sie<br />

weiß, daß ich das nicht mag. Wir wohnten damals,<br />

1949, in Boston, und ich hatte gerade meine Stellung<br />

an der Boston University School of Mediane angetreten.<br />

Ab und zu besuchten wir unsere Familien in New<br />

York.<br />

Auf einer dieser Fahrten fragte sie also, vielleicht<br />

aus purer Langeweile. Ich erwiderte: »Von überall.<br />

Ich könnte auch auf dieser Bahnfahrt eine Idee aufschnappen,<br />

wenn ich es versuchte.«<br />

»Dann tu es«, sagte sie.<br />

185


So dachte ich lange und ernsthaft nach und erzählte<br />

ihr die Geschichte einer Eisenbahnfahrt, die ich<br />

dann daheim unter dem Titel ›Was, wenn …‹ niederschrieb.<br />

Die Erzählung ist auch aus einem anderen Grund<br />

ungewöhnlich für mich. Ich bin in meinen Geschichten<br />

nicht sehr romantisch. Warum das so ist, das soll<br />

wohl besser ein Psychiater klären. Ich will hier nur<br />

diese Tatsache feststellen.<br />

Manchmal kommen Frauen in meinen Erzählungen<br />

vor, beispielsweise in ›Die Wirtin‹. Aber dort ist<br />

die Romantik nur ein sehr untergeordneter Faktor,<br />

wenn sie überhaupt auftritt. In ›Was, wenn …‹ besteht<br />

die ganze Geschichte aus Romantik. Ich glaube<br />

sogar, dies ist meine einzige Erzählung, die ernstlich<br />

romantisch ist.<br />

Norman und Livvy waren zu spät dran, natürlich,<br />

denn wenn man einen Zug erreichen will, geht es<br />

immer um Sekunden. Sie ergatterten noch die letzten<br />

zwei freien Plätze in Fahrtrichtung. Die gegenüberliegenden<br />

Sitze waren noch unbesetzt. Während<br />

Norman die Koffer in das Gepäcknetz hob, fühlte<br />

sich Livvy leicht unbehaglich.<br />

Wenn sich ein Ehepaar ihnen gegenübersetzte,<br />

würde man sich während der ganzen langen Fahrt<br />

nach New York ins Gesicht starren oder sich hinter<br />

Zeitungsbarrieren verschanzen.<br />

Norman schien das nichts auszumachen, und das<br />

enttäuschte Livvy ein wenig. Meist hegten sie diesel-<br />

186


en Gefühle. Norman hatte stets behauptet, deshalb<br />

sei er auch so sicher, das richtige Mädchen geheiratet<br />

zu haben.<br />

»Wir passen zueinander, Livvy«, pflegte er zu sagen,<br />

»und das ist die Hauptsache. Wenn man die Teile<br />

eines Puzzle-Spiels zusammenlegt, dann gibt es<br />

immer nur eine einzige Möglichkeit. Darauf kommt<br />

es an. Es gibt keine anderen Möglichkeiten, und für<br />

mich gibt es kein anderes Mädchen.«<br />

Dann lachte sie meist und sagte: »Wenn du an diesem<br />

Tag nicht in der Straßenbahn gewesen wärst,<br />

hättest du mich wahrscheinlich nie getroffen. Was<br />

hättest du dann getan?«<br />

»Ich wäre Junggeselle geblieben, Livvy. Außerdem<br />

hätte ich dich durch Georgette an irgendeinem<br />

anderen Tag kennengelernt.«<br />

»Das wäre nicht dasselbe gewesen.«<br />

»Doch.«<br />

»Nein. Georgette hätte mich dir nie vorgestellt. Sie<br />

war selbst an dir interessiert. Und sie ist nicht der<br />

Typ, der sich absichtlich eine Rivalin schafft.«<br />

»Was für ein Unsinn!«<br />

Und dann stellte Livvy ihre Lieblingsfrage: »Norman,<br />

wenn du eine Minute später an der Straßenbahnhaltestelle<br />

gewesen wärst und die nächste Bahn<br />

genommen hättest, was wäre dann geschehen?«<br />

»Was wäre, wenn Fische Flügel hätten und in die<br />

Berge flögen? Was würden wir dann am Freitag essen?«<br />

Aber sie waren einander in der Straßenbahn be-<br />

187


gegnet, und sie aßen Fisch am Freitag.<br />

Und weil sie jetzt schon fünf Jahre lang verheiratet<br />

waren, wollten sie das feiern und eine Woche in New<br />

York verbringen.<br />

Und dann mußte Livvy wieder an ihr derzeitiges<br />

Problem denken.<br />

»Ich wollte, wir könnten einen anderen Platz finden.«<br />

»Bis jetzt ist ja noch niemand zugestiegen, und so<br />

werden wir zumindest bis Providence allein sein.«<br />

Livvy fühlte sich dadurch keineswegs getröstet,<br />

und sie schien recht zu behalten, als ein untersetzter<br />

kleiner Mann den Gang hinabkam. Woher kam er?<br />

<strong>Der</strong> Zug befand sich etwa auf halber Strecke zwischen<br />

Boston und Providence, und wenn er einen<br />

Platz hatte, warum blieb er dann nicht sitzen? Sie<br />

bildete sich ein, der kleine Mann würde vorbeigehen,<br />

wenn sie ihn nicht beachtete. Also zog sie ihren<br />

Handspiegel aus der Tasche und ordnete ihre hellbraunen<br />

Haare, die in der Hast, den Zug noch zu erreichen,<br />

etwas zerzaust worden waren. Sie betrachtete<br />

ihre blauen Augen und den kleinen Mund mit den<br />

vollen Lippen, von dem Norman behauptete, er sehe<br />

so aus, als wolle er immer küssen.<br />

Nicht schlecht, dachte sie.<br />

Sie blickte auf, und der kleine Mann saß ihr gegenüber.<br />

Er grinste breit, als sie ihn ansah. Sein Gesicht<br />

zog sich in Falten. Hastig nahm er den Hut ab<br />

und legte ihn neben sich auf eine kleine schwarze<br />

Schachtel. Ein weißer Haarkranz umgab eine spie-<br />

188


gelnde Glatze.<br />

Sie konnte nicht anders, sie mußte zurücklächeln,<br />

aber dann blickte sie noch einmal auf die kleine<br />

schwarze Schachtel, und ihr Lächeln erlosch. Sie<br />

stieß Norman an. Er blickte von seiner Zeitung auf.<br />

Er hatte auffallend schwarze Augenbrauen, die über<br />

der Nasenwurzel fast zusammenwuchsen. Das gab<br />

ihm ein etwas strenges Aussehen. Aber als er sie jetzt<br />

mit seinen dunklen Augen anblickte, war sein Gesicht<br />

freundlich wie immer, wenn er sie ansah.<br />

»Was ist denn?« fragte er. Er sah den kleinen untersetzten<br />

Mann gegenüber nicht an. Livvy wollte<br />

durch möglichst unauffällige Gesten Norman auf ihre<br />

Beobachtungen aufmerksam machen. Aber der kleine<br />

Mann betrachtete sie interessiert, und sie kam sich<br />

wie eine Idiotin vor, besonders, weil Norman sie<br />

noch immer verständnislos anstarrte. Schließlich zog<br />

sie ihn näher zu sich heran und flüsterte: »Sieh doch,<br />

was auf seiner Schachtel steht!« Sie sah noch einmal<br />

hin. Nein, sie hatte sich nicht geirrt. Ein glänzender<br />

Schriftzug auf dem schwarzen Grund: WAS WENN.<br />

<strong>Der</strong> kleine Mann lächelte wieder. Er nickte, zeigte<br />

auf die Schrift und dann auf sich.<br />

»Muß sein Name sein«, sagte Norman.<br />

»Wie kann denn jemand so heißen?« entgegnete<br />

Livvy.<br />

Norman legte die Zeitung beiseite.<br />

»Ich werde es dir beweisen.« Er beugte sich vor<br />

und sagte: »Mr. Wenn?«<br />

<strong>Der</strong> kleine Mann sah ihn eifrig an.<br />

189


»Können Sie mir bitte sagen, wie spät es ist, Mr.<br />

Wenn?«<br />

<strong>Der</strong> kleine Mann zog eine große Uhr aus seiner<br />

Westentasche und zeigte Norman das Zifferblatt.<br />

»Danke, Mr. Wenn«, sagte Norman. Und dann<br />

flüsterte er: »Siehst du, Livvy?«<br />

Er hätte sich wieder seiner Zeitung zugewandt,<br />

aber der kleine Mann öffnete seine Schachtel und<br />

hob Aufmerksamkeit heischend den Zeigefinger. Er<br />

nahm eine mattschimmernde Glastafel aus der<br />

Schachtel, etwa sechsmal neun Zoll breit und lang<br />

und vielleicht einen Zoll dick. Die Tafel hatte schräg<br />

abgekantete Ränder und abgerundete Ecken. Sonst<br />

war nichts Besonderes an ihr zu sehen. <strong>Der</strong> Mann<br />

holte einen kleinen Drahtständer hervor, in den die<br />

Tafel genau hineinpaßte. Er plazierte das Gestell auf<br />

seinen Knien und blickte Livvy und Norman stolz<br />

an.<br />

Livvy sagte aufgeregt: »Ich glaube, das soll eine<br />

Art Bild sein.«<br />

Norman beugte sich vor.<br />

»Soll das eine neue Form des Fernsehens darstellen?«<br />

<strong>Der</strong> kleine Mann schüttelte den Kopf, und Livvy<br />

sagte: »Nein, Norman, das sind wir.«<br />

»Was?«<br />

»Siehst du es denn nicht? Da ist die Straßenbahn,<br />

in der wir uns begegnet sind, da bist du auf dem<br />

Rücksitz, mit dem alten Filzhut, den ich vor drei Jahren<br />

weggeworfen habe. Und da sind Georgette und<br />

190


ich. Da ist die dicke Dame. Siehst du es jetzt?«<br />

»Das ist doch eine Illusion«, murmelte Norman.<br />

»Aber du siehst es auch, nicht wahr? Darum heißt<br />

das Ding ›Was, wenn‹. Es zeigt uns, was geschehen<br />

wäre, wenn die Straßenbahn nicht so schnell in die<br />

Kurve gegangen wäre …«<br />

Sie war sehr aufgeregt. Während sie auf das Glasbild<br />

starrte, schien die späte Nachmittagssonne immer<br />

schwächer, und das leise Murmeln der Fahrgäste,<br />

das aus den Nebenabteilen herüberdrang, verstummte.<br />

Wie gut sie sich an diesen Tag erinnern konnte!<br />

Norman kannte Georgette und wollte ihr gerade seinen<br />

Platz anbieten, als die Straßenbahn plötzlich<br />

stark schwankte und Livvy in seinen Schoß fiel. Sie<br />

war schrecklich verwirrt, und er tröstete sie galant.<br />

Es war gar nicht mehr nötig, daß Georgette die beiden<br />

einander vorstellte. Als sie die Straßenbahn verließen,<br />

wußte er bereits, wo Livvy arbeitete.<br />

Sie konnte sich noch gut erinnern, wie Georgette<br />

sie angestarrte und mit gezwungenem Lächeln gesagt<br />

hatte: »Norman scheint dich zu mögen.«<br />

»Sei nicht dumm!« hatte Livvy geantwortet. »Er<br />

war nur höflich. Aber er sieht gut aus, nicht wahr?«<br />

Sechs Monate später waren sie verheiratet.<br />

Und jetzt war hier wieder dieselbe Straßenbahn.<br />

Mit Norman, Georgette und Livvy. Die Eisenbahngeräusche,<br />

das schnelle Rattern der Räder verschwanden<br />

völlig aus ihrem Bewußtsein. Statt dessen war<br />

sie in der engen schwankenden Straßenbahn. Soeben<br />

191


war sie mit Georgette eingestiegen.<br />

Mühsam versuchte Livvy, ihr Gleichgewicht zu<br />

halten, genau wie die vierzig anderen Fahrgäste, die<br />

saßen oder standen und sich alle im gleichen, monotonen<br />

Rhythmus hin und her wiegten.<br />

»Da winkt dir jemand, Georgette. Kennst du ihn?«<br />

»Mir?« Georgette warf einen absichtlich beiläufigen<br />

Blick über die Schulter. Ihre langen künstlichen<br />

Wimpern zitterten. »Ich kenne ihn flüchtig. Was mag<br />

er nur von mir wollen?«<br />

»Das werden wir gleich wissen«, sagte Livvy ein<br />

wenig boshaft. Georgette war bekannt dafür, daß sie<br />

ihre männlichen Bekanntschaften sorgsam vor ihren<br />

Freundinnen versteckte, und es machte Livvy Spaß,<br />

Georgette zu ärgern. Und außerdem – dieser Mann<br />

sah wirklich interessant aus.<br />

Sie zwängte sich zwischen den Fahrgästen hindurch,<br />

und Georgette folgte ihr widerstrebend. Gerade<br />

als Livvy den jungen Mann erreichte, schwankte<br />

die Straßenbahn besonders heftig. Verzweifelt langte<br />

Livvy nach den Haltegriffen. Ihre Fingerspitzen berührten<br />

das Leder, und eine Sekunde lang verspürte<br />

sie das zwingende Gefühl, sich fallen zu lassen. Aber<br />

sie klammerte sich fest.<br />

<strong>Der</strong> junge Mann blickte sie nicht an. Er lächelte zu<br />

Georgette auf und erhob sich. Er hatte auffallende<br />

dunkle Augenbrauen, die ihm ein sehr selbstsicheres<br />

Aussehen verliehen. Livvy stellte fest, daß er ihr<br />

ausnehmend gut gefiel.<br />

»Bleiben Sie ruhig sitzen«, sagte Georgette. »Wir<br />

192


steigen ohnehin nach zwei Stationen aus.«<br />

Und das taten sie auch.<br />

»Ich dachte, wir wollten zu Sach’s gehen«, sagte<br />

Livvy.<br />

»Das tun wir auch. Ich muß nur rasch hier etwas<br />

erledigen. Es dauert nur eine Minute.«<br />

»Nächste Station Providence!« brüllte der Lautsprecher.<br />

<strong>Der</strong> Zug verlangsamte sich, und die Welt<br />

der Vergangenheit schrumpfte auf der Glastafel zusammen.<br />

<strong>Der</strong> kleine Mann lächelte Livvy und Norman<br />

noch immer an.<br />

Livvy wandte sich Norman zu. Sie hatte ein wenig<br />

Angst.<br />

»Hast du das auch alles gesehen?«<br />

»Wir können doch noch gar nicht in Providence<br />

sein!« Normanblickte auf seine Armbanduhr. »Aber<br />

es stimmt.« Dann sagte er zu Livvy: »Diesmal bist<br />

du nicht gefallen.«<br />

»Du hast es also gesehen?« Sie runzelte die Stirn.<br />

»Das sah Georgette ähnlich. Sie hatte keinen anderen<br />

Grund auszusteigen, als mich davon abzuhalten, deine<br />

Bekanntschaft zu machen. Wie lange hast du<br />

Georgette schon gekannt, Norman?«<br />

»Nicht sehr lange. Gerade lange genug, um sie zu<br />

erkennen und ihr den Platz anzubieten.«<br />

Livvy verzog die Lippen.<br />

»Du bist doch nicht eifersüchtig auf das, was hätte<br />

geschehen können? Außerdem, ich war so an dir interessiert,<br />

daß ich schon einen Weg gefunden hätte,<br />

dich kennenzulernen.«<br />

193


»Du hast mich ja gar nicht angesehen.«<br />

»Ich hatte ja kaum Gelegenheit dazu.«<br />

»Und wie hättest du es angestellt, mich zu treffen?«<br />

»Irgendwie. Ich weiß nicht. Aber du gibst doch zu,<br />

daß das ein ziemlich idiotischer Streit ist.«<br />

Sie verließen den Bahnhof von Providence. Livvy<br />

war besorgt. <strong>Der</strong> kleine Mann hatte ihrem geflüsterten<br />

Gespräch gelauscht, und sein erlöschendes Lächeln<br />

hatte ihr gezeigt, daß er alles verstanden hatte.<br />

Sie bat ihn: »Könnten Sie es uns noch einmal zeigen?«<br />

»Warte doch, Livvy«, unterbrach Norman sie.<br />

»Wozu denn?«<br />

»Ich will unseren Hochzeitstag sehen. Wie er gewesen<br />

wäre, wenn ich nicht gefallen wäre.«<br />

»Das ist unfair«, sagte Norman verärgert. »Wir<br />

hätten dann an einem anderen Tag geheiratet, das<br />

kannst du dir doch denken.«<br />

»Könnten Sie es mir zeigen, Mr. Wenn?« fragte<br />

Livvy, und der kleine Mann nickte.<br />

Die Glastafel erwachte wieder zu neuem Leben.<br />

Das Licht, das sich in ihr spiegelte, verdichtete sich<br />

zu Gestalten. Ein schwacher Klang von Orgelmusik<br />

war in Livvys Ohren.<br />

Norman sagte erleichtert: »Na, da bin ich ja. Unsere<br />

Hochzeit. Bist du nun zufrieden?«<br />

Die Klänge verstummten, und das letzte, was Livvy<br />

hörte, war ihre eigene Stimme.<br />

»Ja, da bist du. Aber wo bin ich7«<br />

194


Livvy saß auf einer der hinteren Kirchenbänke. Sie<br />

hatte eigentlich vorgehabt, die Trauung gar nicht zu<br />

besuchen. In den letzten Monaten hatte sie Georgette<br />

immer seltener gesehen, ohne zu wissen, warum. Sie<br />

hatte durch eine gemeinsame Freundin von ihrer<br />

Verlobung gehört, natürlich mit Norman. Sie konnte<br />

sich noch genau an den Tag erinnern, vor sechs Monaten,<br />

als sie ihn zum erstenmal in der Straßenbahn<br />

gesehen, als Georgette sie so schnell aus seinem Gesichtsfeld<br />

entfernt hatte. Seither war sie ihm bei verschiedenen<br />

Gelegenheiten begegnet, aber jedesmal<br />

hatte Georgette neben ihm gestanden, zwischen ihnen<br />

gestanden.<br />

Nun, es lag kein Grund zu Ressentiments vor. <strong>Der</strong><br />

Mann gehörte eben einer anderen. Georgette sah<br />

schöner aus, als sie eigentlich war. Und er sah geradezu<br />

wundervoll aus.<br />

Sie fühlte sich traurig und leer, so, als sei irgend<br />

etwas schiefgegangen, irgend etwas, das sie nicht<br />

genau zu umreißen wußte. Georgette, die langsam<br />

zwischen den Bänken hindurchschritt, schien sie<br />

nicht zu sehen, aber ihr Blick begegnete dem seinen,<br />

und sie lächelte ihn an. Livvy schien es, als würde er<br />

zurücklächeln.<br />

Sie hörte die Worte ganz deutlich.<br />

»So frage ich dich denn, Norman …«<br />

Das Rattern des Zuges kehrte zurück. Eine Frau ging<br />

schwankend den Gang entlang und trieb einen klei-<br />

195


nen Jungen vor sich her. Teenagergelächter klang<br />

schwach herüber. Ein Schaffner hastete vorbei.<br />

Livvy nahm alles ganz genau in sich auf. Sie saß<br />

da, mit hoch erhobenem Kopf. Die Bäume, die draußen<br />

vorbeiflogen, verschwammen zu einer einzigen<br />

grünen Masse, und die Telegraphendrähte tanzten<br />

bizarr.<br />

»Du hast sie geheiratet«, sagte sie.<br />

Er starrte sie sekundenlang an, und dann begann<br />

sein rechter Mundwinkel leicht zu zittern.<br />

»Aber doch nicht wirklich, Olivia«, sagte er vergnügt.<br />

»Du bist noch immer meine Frau, das weißt<br />

du doch.«<br />

Sie fuhr zu ihm herum.<br />

»Ja … du hast mich geheiratet, weil ich in deinen<br />

Schoß gefallen bin. Wenn ich das nicht getan hätte,<br />

dann wärst du jetzt mit Georgette verheiratet. Und<br />

wenn sie dich nicht gewollt hätte, hättest du irgendeine<br />

andere geheiratet. Irgendwer Du und dein Puzzle-Spiel!«<br />

»Verdammter Blödsinn!« sagte Norman sehr langsam.<br />

Er strich sich mit beiden Händen über den Kopf<br />

und glättete die Haare hinter seinen Ohren, die dort<br />

die fatale Tendenz hatten, immer leicht abzustehen.<br />

Er sah so aus, als wolle er seinen Kopf zusammenhalten.<br />

»Sieh mal, Livvy«, sagte er, »warum regst du<br />

dich über einen blöden Zaubertrick so auf? Du<br />

kannst mich doch nicht für irgend etwas verantwortlich<br />

machen, das ich gar nicht getan habe.«<br />

»Aber du hättest es getan.«<br />

196


»Wie kannst du das wissen?«<br />

»Du hast es doch gesehen.«<br />

»Ich habe eine lächerliche Spielerei von – sagen<br />

wir Hypnose gesehen.« Seine Stimme wurde immer<br />

lauter vor Zorn. Er fuhr zu dem kleinen Mann herum.<br />

»Hinaus mit Ihnen, Mr. Wenn, oder wie immer Sie<br />

auch heißen mögen. Verschwinden Sie, bevor ich Sie<br />

mitsamt Ihrer Trickkiste aus dem Fenster werfe.«<br />

Livvy hielt ihn am Ellbogen zurück.<br />

»Hör auf! Du bist doch in einem vollbesetzten<br />

Zug.«<br />

<strong>Der</strong> kleine Mann wich in die äußerste Ecke seines<br />

Sitzes zurück und versteckte seine schwarze Schachtel<br />

samt der Glastafel hinter dem Rücken. Norman<br />

sah ihn an, dann Livvy, dann die ältliche Dame, die<br />

auf der anderen Seite des Ganges saß und ihn mißbilligend<br />

musterte.<br />

Er lief rot an und unterdrückte eine vulgäre Bemerkung.<br />

In frostigem Schweigen fuhren sie durch<br />

New London. Fünf Minuten nach der Station sagte<br />

Norman: Livvy!«<br />

Sie sagte nichts, blickte aus dem Fenster, starrte<br />

das Glas an.<br />

Wieder drängte er: »Livvy, Livvy! So antworte<br />

doch!«<br />

»Was willst du?« fragte sie dumpf.<br />

»Sieh mal, Livvy, das ist doch alles Blödsinn. Ich<br />

weiß nicht, wie der Kerl das macht. Aber selbst,<br />

wenn es gesetzlich erlaubt ist, was er da treibt, so bist<br />

du unfair. Warum hast du dir das ›Was, wenn‹ denn<br />

197


nicht weiter ausgemalt? Angenommen, ich hätte<br />

Georgette geheiratet, so wärst du doch auch nicht<br />

allein geblieben. Vielleicht wärst du bei meiner<br />

Hochzeit schon verheiratet gewesen. Vielleicht habe<br />

ich deshalb Georgette genommen.«<br />

»Ich war nicht verheiratet.«<br />

»Wie kannst du das wissen?«<br />

»Ich hätte es genau wissen müssen. Ich wußte<br />

doch, was ich bei deiner Hochzeit dachte.«<br />

»Dann wärst du eben ein Jahr später verheiratet<br />

gewesen.«<br />

Livvy wurde zornig. <strong>Der</strong> Gedanke irgendwo im<br />

Hintergrund ihres Gehirns, daß ihre Wut ganz irrational<br />

war, beruhigte sie nicht, sondern stachelte ihren<br />

Zorn noch mehr an.<br />

»Und wenn ich geheiratet hätte! Das wäre ganz sicher<br />

nicht deine Angelegenheit gewesen«, zischte sie.<br />

»Oh, doch! Aber das Wesentliche ist doch, daß wir<br />

in der realen Welt nicht für das verantwortlich gemacht<br />

werden können, was wir getan hätten, wenn …«<br />

Livvys Nasenflügel bebten. Sie sagte nichts.<br />

»Sieh mal«, begann Norman wieder. »Kannst du<br />

dich an die Neujahrsparty bei Winnie letztes Jahr erinnern?«<br />

»Sicher. Du hast Wein über mein Kleid geschüttet.«<br />

»Darauf kommt es jetzt nicht an, abgesehen davon,<br />

daß es ein Cocktail war. Aber was ich sagen<br />

will – Winnie war doch schon jahrelang mit dir befreundet,<br />

schon lange bevor du mich geheiratet hast.«<br />

198


»Und?«<br />

»Auch Georgette ist eine gute Freundin von ihr,<br />

nicht wahr?«<br />

»Ja.«<br />

»Also gut. Du und Georgette, ihr wärt zu der Party<br />

gegangen, egal, welche von euch beiden ich geheiratet<br />

hätte. Ich hätte gar nichts damit zu tun gehabt. Er<br />

soll uns einmal die Party zeigen, wie sie verlaufen<br />

wäre, wenn ich Georgette geheiratet hätte, und ich<br />

wette, du bist mit deinem Mann oder Verlobten da.«<br />

Livvy zögerte. Sie war sich nicht mehr so sicher.<br />

»Hast du etwa Angst vor der Wahrheit?« fragte er.<br />

Das gab den Ausschlag. Wütend funkelte sie ihn an.<br />

»Keineswegs! Ich hoffe, daß ich verheiratet bin.<br />

Warum hätte ich mich denn ausgerechnet auf dich<br />

festlegen sollen? Und außerdem möchte ich gern sehen,<br />

wie du den Cocktail über Georgettes Kleid<br />

schüttest. Sie wird dir beide Ohren ausreißen, ich<br />

kenne sie. Vielleicht siehst du dann dein berühmtes<br />

Puzzle-Spiel etwas anders.« Sie blickte zornbebend<br />

vor sich hin und verschränkte die Arme vor der<br />

Brust.<br />

Norman sah zu dem kleinen Mann hinüber, aber es<br />

war nicht nötig, irgend etwas zu sagen. Die Glasplatte<br />

stand bereits wieder im Schoß des Mannes, die<br />

Sonne traf sie von Westen, und der weiße Haarkranz,<br />

der seinen Kopf umfloß, war in zartes Rosa getaucht.<br />

»Fertig?« fragte Norman angespannt. Livvy nickte,<br />

und die Geräusche des Zuges glitten davon.<br />

199


Livvy stand in der Tür. Ihr Gesicht war noch von der<br />

Kälte gerötet. Sie hatte gerade ihren Mantel mit den<br />

schmelzenden Schneeflocken abgelegt, und ihre bloßen<br />

Arme zitterten.<br />

Sie erwiderte die ›Frohes Neujahr‹-Rufe und erhob<br />

ihre Stimme, um die laute Musik zu übertönen. Das<br />

erste, was sie bei ihrem Eintritt vernommen hatte,<br />

war Georgettes schrilles Lachen gewesen, und jetzt<br />

stand sie ihr gegenüber. Sie hatte Georgette und<br />

Norman seit Wochen nicht mehr gesehen.<br />

Georgette hob eine Braue, eine Manier, die sie in<br />

letzter Zeit kultiviert hatte, und fragte: »Hast du niemanden<br />

mitgebracht, Olivia?« Ihre Blicke schweiften<br />

in der näheren Umgebung umher, um sich dann wieder<br />

auf Livvy zu heften.<br />

»Ich glaube, Dick wird etwas später nachkommen«,<br />

sagte Livvy. »Er muß noch etwas erledigen.«<br />

Sie spürte selbst, wie fadenscheinig das klang.<br />

Georgette lächelte süffisant.<br />

»Nun, Norman ist ja hier. Du wirst dich also nicht<br />

einsam fühlen, meine Liebe.«<br />

Norman schlenderte aus der Küche. Er hielt einen<br />

Cocktail-Shaker in der Hand, in dem Eiswürfel klirrten.<br />

»So, ihr fröhlichen Nachtschwärmer«, rief er, »jetzt<br />

werde ich euch etwas ganz Besonderes mixen … Ah,<br />

Livvy!«<br />

Grinsend ging er auf sie zu.<br />

»Wo versteckst du dich denn in letzter Zeit? Es<br />

scheint mir, als hätte ich dich schon seit zwanzig Jah-<br />

200


en nicht mehr gesehen. Was ist denn los? Will Dick<br />

dich vor der Männerwelt verbergen?«<br />

»Füll bitte mein Glas, Norman«, sagte Georgette<br />

spitz.<br />

»Sicher«, sagte er, ohne den Blick von Livvy zu<br />

wenden. »Willst du auch mittrinken, Livvy? Warte,<br />

ich hol dir ein Glas.« Er wandte sich ab, und da passierte<br />

es.<br />

»Paß auf!« schrie Livvy. Sie sah es kommen, hatte<br />

ein vages Gefühl, als sei das alles schon einmal passiert<br />

… Sein Schuhabsatz verfing sich im Teppichrand,<br />

er stolperte, suchte sein Gleichgewicht wiederzufinden,<br />

und der Cocktail-Shaker fiel ihm aus der<br />

Hand, und ein halber Liter eiskalter Alkohol tränkte<br />

Livvys Kleid von der Schulter bis zum Saum.<br />

Sie stand mit aufgerissenem Mund da. Die Partygeräusche<br />

verstummten. Hilflos sah Livvy an sich<br />

herunter, während Norman »Verdammt!« schrie.<br />

»Zu dumm, Livvy«, sagte Georgette kühl. »Aber<br />

das Kleid war sicher nicht besonders teuer.«<br />

Livvy drehte sich um und rannte davon, ins<br />

Schlafzimmer, das leer und verhältnismäßig ruhig<br />

war. Im Schein der fransenbehangenen Schirmlampe<br />

auf dem Frisiertisch suchte sie nach ihrem Mantel,<br />

der zwischen vielen anderen auf dem Bett lag.<br />

Norman war ihr gefolgt.<br />

»Hör doch nicht auf sie, Livvy. Es tut mir wirklich<br />

schrecklich leid. Ich werde es bezahlen …«<br />

»Ist schon gut. Du hast es ja nicht absichtlich getan.«<br />

Sie sah ihn nicht an. »Ich fahre nach Hause und<br />

201


ziehe mich um.«<br />

»Kommst du wieder zurück?«<br />

»Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht.«<br />

»Livvy …« Seine warmen Hände lagen auf ihrer<br />

Schulter. Ein seltsames, heißes Gefühl durchflutete<br />

Livvy, und …<br />

… und das Rattern des Zuges drang wieder in ihr<br />

Ohr.<br />

Irgend etwas mit der Zeit schien nicht zu stimmen.<br />

War sie so lange da drin in der Glastafel gewesen?<br />

Dämmerung lag vor dem Zugfenster. Die Lampen<br />

brannten. Aber das war ihr alles gleichgültig. Langsam<br />

erholte sie sich von dem brennenden Gefühl in<br />

ihrem Innern.<br />

Norman rieb sich die Augen.<br />

»Was ist denn passiert?«<br />

»Es ist soeben zu Ende gegangen, ganz plötzlich«,<br />

sage Livvy.<br />

»Wir werden bald in New Haven sein«, sage<br />

Norman unbehaglich. Er blickte auf seine Armbanduhr<br />

und schüttelte den Kopf.<br />

»Du hast den Cocktail über mein Kleid geschüttet«,<br />

sagte Livvy verwundert.<br />

»Wie im wirklichen Leben.«<br />

»Aber im wirklichen Leben war ich deine Frau.<br />

Diesmal hättest du den Cocktail auf Georgettes Kleid<br />

gießen müssen. Ist das nicht merkwürdig?« Sie dachte<br />

daran, wie Norman ihr gefolgt war. Seine Hände<br />

auf ihren Schultern …<br />

202


Sie blickte zu ihm auf und sagte mit zufriedenem<br />

Lächeln: »Ich war nicht verheiratet.«<br />

»Nein. Aber war das Dick Reinhardt, mit dem du<br />

befreundet warst?«<br />

»Ja.«<br />

»Hattest du vor, ihn zu heiraten, Livvy?«<br />

»Bist du eifersüchtig, Norman?«<br />

Norman blinzelte verwirrt.<br />

»Darauf? Auf eine Glastafel? Natürlich nicht.«<br />

»Ich glaube nicht, daß ich ihn geheiratet hätte.«<br />

»Weißt du, ich habe nicht gewollt, daß es schon<br />

aufhört. Ich glaube, da hätte noch irgend etwas geschehen<br />

müssen.« Er machte eine Pause, dann fügte<br />

er langsam hinzu: »Es war so, als hätte ich alles um<br />

mich vergessen …«<br />

»Auch Georgette?«<br />

»Ich habe keinen einzigen Gedanken an Georgette<br />

verschwendet. Aber das glaubst du mir vielleicht<br />

nicht.«<br />

»Vielleicht doch.« Sie sah ihm in die Augen. »Ich<br />

war sehr dumm, Norman. Wir wollen – unser wirkliches<br />

Leben leben. Spielen wir nicht mit Ereignissen<br />

herum, die hätten geschehen können, wenn …«<br />

Aber er griff nach ihrer Hand.<br />

»Nur noch ein einziges Mal, Livvy. Wir wollen<br />

sehen, was wir in diesem Augenblick getan hätten. In<br />

dieser Minute! Wenn ich Georgette geheiratet hätte.«<br />

Livvy erschrak ein bißchen.<br />

»Lieber nicht, Norman.« Sie dachte an seine Augen,<br />

die sie so verlangend angesehen hatten, als er<br />

203


neben ihr gestanden hatte, den Cocktail in der Hand.<br />

Georgette hatte er gar nicht beachtet. Sie wollte nicht<br />

wissen, was danach geschah. Sie wollte nichts anderes<br />

kennen als ihr wirkliches, wunderschönes Leben.<br />

New Haven zog vorbei.<br />

»Ich will es versuchen, Livvy«, sagte Norman.<br />

»Wenn du willst, Norman.« Sie entschied mit wilder<br />

Entschlossenheit, daß es keine Rolle spielen<br />

würde. Ihre Hand umklammerte seinen Arm, und sie<br />

dachte: »Kein ›Was, wenn‹ auf der ganzen Welt<br />

kann mich von ihm trennen.«<br />

»Könnten wir es noch einmal sehen?« fragte Norman<br />

den kleinen Mann.<br />

Im Schein des gelben Lichtes dauerte es etwas<br />

länger. Sanft klärte sich die milchige Glasscheibe,<br />

wie wenn ein milder Wind Wolken zerteilte.<br />

»Da stimmt irgend etwas nicht«, sagte Norman.<br />

»Das sind ja wir beide, wie wir hier sitzen.«<br />

Er hatte recht. Zwei kleine Gestalten saßen in einem<br />

Zug in Fahrtrichtung. Das Feld wurde größer –<br />

sie tauchten hinein. Normans Stimme verhallte.<br />

»Es ist derselbe Zug«, sagte er. »Das Fenster da<br />

hat genau denselben Sprung …«<br />

Livvy war irrsinnig glücklich.<br />

»Ich wollte, wir wären schon in New York«, sagte<br />

sie.<br />

»Es dauert nur mehr eine knappe Stunde, Liebling«,<br />

sagte er. »Gib mir einen Kuß.« Er beugte sich<br />

über sie.<br />

204


»Nicht hier, Norman! Die Leute--«<br />

Norman lehnte sich zurück. Er sagte: »Wir hätten<br />

uns ein Taxi nehmen sollen.«<br />

»Von Boston nach New York?«<br />

»Sicher. Das wäre mir das Alleinsein mit dir wert<br />

gewesen.«<br />

Sie lachte.<br />

»Du bist wirklich komisch, wenn du versuchst,<br />

den glühenden Liebhaber zu spielen.«<br />

»Ich spiele nicht.« Seine Stimme klang plötzlich<br />

ernst.<br />

»Immerhin habe ich fünf Jahre auf diesen Augenblick<br />

gewartet.«<br />

»Ich auch.«<br />

»Warum nur habe ich dich nicht zuerst getroffen,<br />

vor Georgette? So eine Zeitverschwendung!«<br />

»Die arme Georgette«, seufzte Livvy.<br />

Norman machte eine ungeduldige Handbewegung.<br />

»Mach dir keine Sorgen um sie, Livvy. Wir sind<br />

nie sonderlich gut miteinander ausgekommen. Sie ist<br />

froh, mich los zu sein.«<br />

»Ich weiß. Deshalb sage ich ja ›arme Georgettes<br />

Sie tut mir leid, weil sie nicht imstande war, ihr<br />

Glück zu würdigen.«<br />

»Nun, ich hoffe, du kannst es wenigstens halb so<br />

würdigen, wie ich es tue.«<br />

»Würdest du dich sonst auch von ihr scheiden lassen?«<br />

»Nur über meine Leiche«, sagte Norman.<br />

»Es ist alles so sonderbar. Ich muß immer denken,<br />

205


was wäre wohl geschehen, wenn du damals auf der<br />

Party nicht den Cocktail über mein Kleid gegossen<br />

hättest. Du wärst mir nicht nachgegangen, du hättest<br />

es mir nicht gesagt, ich hätte es nicht gewußt. Alles<br />

wäre ganz anders gekommen – alles.«<br />

»Unsinn. Es wäre alles ganz genauso gekommen.<br />

Es wäre eben ein anderes Mal passiert.«<br />

»Ich weiß nicht«, sagte Livvy sanft.<br />

Das Rattern des Zuges drang wieder in ihr Bewußtsein.<br />

Die Lichter der Großstadt flackerten vor den Fenstern.<br />

Auf dem Gang drängten sich die Fahrgäste und schoben<br />

ihr Gepäck vor sich her. Livvy saß starr wie ein<br />

Fels in der Brandung, bis Norman sie schüttelte.<br />

Sie sah ihn an und sagte: »Die Puzzle-Spiel-<br />

Teilchen passen doch zusammen.«<br />

»Ja.«<br />

Sie legte ihre Hand auf die seine.<br />

»Ich habe einen großen Fehler gemacht. Ich dachte,<br />

weil wir einander gehören, müßten auch alle<br />

›Was, wenns‹, die der eine vom anderen nur denken<br />

kann, genauso dazu gehören.<br />

Aber diese Möglichkeiten gehen uns nichts an. Die<br />

Wirklichkeit genügt vollkommen. Verstehst du, was<br />

ich meine?«<br />

Er nickte.<br />

»Es gibt Millionen von ›Was, wenns‹ auf der<br />

Welt. Ich will nie mehr wissen, was passiert wäre,<br />

wenn … Ich werde nie mehr sagen: »Was wäre,<br />

wenn‹ …«<br />

206


»Beruhige dich jetzt, mein Liebes«, sagte Norman.<br />

»Da ist dein Mantel.« Er griff nach den Koffern.<br />

»Wo ist Mr. Wenn?« fragte Livvy plötzlich.<br />

Langsam wandte sich Norman dem leeren Sitz zu.<br />

Beide blickten sich im Wagen um.<br />

»Vielleicht ist er in den nächsten Wagen gegangen.«<br />

»Aber warum? Da hätte er doch seinen Hut nicht<br />

liegen lassen.« Sie bückte sich und griff nach dem<br />

Hut.<br />

»Welchen Hut?« fragte Norman.<br />

Livvys Finger griffen ins Leere.<br />

»Er war hier – beinahe hätte ich ihn berührt.« Sie<br />

richtete sich auf. »Oh, Norman, was wäre denn,<br />

wenn …«<br />

Norman legte einen Finger auf ihren Mund.<br />

»Liebling …«<br />

»Es tut mir leid«, sagte sie. »Komm, ich helfe dir<br />

mit dem Gepäck.«<br />

<strong>Der</strong> Zug tauchte in den Tunnel unterhalb der Park<br />

Avenue, und das Rattern der Räder wuchs zu einem<br />

Dröhnen an.<br />

207


<strong>Der</strong> Außenseiter<br />

Im Frühjahr 1967 trat man mit einer interessanten<br />

Bitte an mich heran.<br />

Es gibt eine Zeitschrift namens ›Abbottempo‹, die<br />

von den Abbott-Laboratorien, einer angesehenen<br />

pharmazeutischen Firma unterstützt wird. Die sehr<br />

sorgfältig gemachte, auf Kunstdruckpapier gedruckte<br />

Zeitschrift enthält exzellente Artikel über die verschiedensten<br />

medizinischen oder beinahe medizinischen<br />

Themen. Sie wird in den Niederlanden gedruckt<br />

und wird kostenlos an alle Ärzte des europäischen<br />

Kontinents verschickt. In den Vereinigten<br />

Staaten erscheint sie nicht.<br />

<strong>Der</strong> Herausgeber von ›Abbottempo‹ ersuchte<br />

mich, eine Science-Fiction-Erzählung über ein medizinisches<br />

Thema zu schreiben, das Mediziner interessieren,<br />

amüsieren und zum Nachdenken anregen<br />

würde. Die Geschichte sollte etwa 2 000 Wörter enthalten.<br />

Ich war wie stets mit Arbeit überhäuft. Also seufzte<br />

ich, spannte ein Blatt Papier in meine Schreibmaschine<br />

ein und wollte das Angebot höflich ablehnen.<br />

Unglücklicherweise oder glücklicherweise kostete<br />

es sehr viel Zeit, das Briefpapier mit Durchschlag<br />

und Kohlepapier dazwischen einzuspannen, die Blätter<br />

gerade zu rücken, das Datum, die Adresse und<br />

die Anrede zu tippen.<br />

In all der Zeit fiel mir eine Geschichte ein, und ich<br />

208


konnte einfach nicht mehr widerstehen. Nachdem ich<br />

also das ›sehr geehrter Herr‹ getippt hatte, ertappte<br />

ich mich dabei, wie ich höflich und hocherfreut zustimmte,<br />

die gewünschte Erzählung zu schreiben.<br />

Ich schrieb den ›Außenseiter‹ im April 1967. Das<br />

Thema ist ein echtes Science-Fiction-Thema. Die Erzählung<br />

erschien im Dezember 1967. Das netteste<br />

Resultat der Veröffentlichung von dieser Erzählung<br />

war eine Kassette, die mir ›Abbottempo‹ schickte. Sie<br />

enthält alle acht Ausgaben, in denen die Erzählung<br />

erschienen war, und zwar in englisch, französisch,<br />

spanisch, deutsch, italienisch, japanisch, griechisch<br />

und türkisch. Noch nie zuvor war eine meiner Erzählungen<br />

ins Griechische und Türkische übersetzt worden,<br />

und so bildet diese Kassette eine Kuriosität in<br />

meiner <strong>Asimov</strong>-Bibliothek.<br />

<strong>Der</strong> Chirurg blickte ausdruckslos auf.<br />

»Ist er bereit?«<br />

»Wie man's nimmt«, erwiderte der medizinischtechnische<br />

Assistent. »Wir sind bereit. Er ist sehr<br />

nervös.«<br />

»Das sind sie immer … Nun, es ist eine sehr<br />

schwierige Operation.«<br />

»Schwierig oder nicht, er sollte dankbar sein. Er<br />

ist aus einer großen Zahl von möglichen Anwärtern<br />

ausgewählt worden, und, offen gesagt, ich glaube<br />

nicht …«<br />

»Sagen Sie nichts«, unterbrach ihn der Chirurg.<br />

»Die Entscheidung liegt nicht bei uns.«<br />

<strong>209</strong>


»Wir haben sie akzeptiert. Aber müssen wir auch<br />

zustimmen?«<br />

»Ja«, sagte der Chirurg lebhaft. »Wir müssen zustimmen,<br />

und zwar aus ganzem Herzen. Die Operation<br />

ist wirklich zu kompliziert, als daß wir mit irgendwelchen<br />

Vorbehalten an sie herangehen. Dieser<br />

Mann hat seine Eignung auf vielerlei Arten bewiesen,<br />

und er ist für die Sterblichkeitsbehörde genau<br />

der richtige.«<br />

»Also gut«, sagte der Assistent ohne Überzeugung.<br />

»Ich werde ihn gleich hier sehen«, sagte der Chirurg.<br />

»Hier ist es sehr persönlich und behaglich.«<br />

»Das wird nichts nützen. Er hat bereits einen Entschluß<br />

gefaßt.«<br />

»Tatsächlich?«<br />

»Ja. Er will Metall. Das wollen sie immer.«<br />

Das Gesicht des Chirurgen war nach wie vor ausdruckslos.<br />

Er blickte auf seine Hände.<br />

»Manchmal kann man es ihnen ausreden.«<br />

»Warum?«, fragte der medizinisch-technische Assistent<br />

gleichgültig. »Wenn er Metall will, soll er<br />

Metall haben.«<br />

»Das macht Ihnen gar nichts aus?«<br />

»Warum sollte es mir etwas ausmachen?« erwiderte<br />

der Assistent fast brutal. »Es handelt sich um ein<br />

medizinisch-technisches Problem, und ich bin medizinisch-technischer<br />

Assistent. Ich werde schon damit<br />

fertig werden. Warum soll ich mir darüber hinaus<br />

noch Sorgen machen?«<br />

210


»Für mich geht es um die Wahl der richtigen Mittel«,<br />

beharrte der Chirurg.<br />

»Die richtigen Mittel! So können Sie nicht argumentieren.<br />

Glauben Sie, daß der Patient sich über die Wahl<br />

der richtigen Mittel Gedanken macht?«<br />

»Aber ich mache mir Gedanken darüber.«<br />

»Damit stehen Sie ziemlich allein auf weiter Hur.<br />

<strong>Der</strong> Trend ist gegen Sie. Sie haben keine Chance.«<br />

»Ich muß es versuchen.« Mit einer raschen Handbewegung<br />

brachte der Chirurg den Assistenten zum<br />

Schweigen. Es lag keine Ungeduld in dieser Bewegung,<br />

nur Eile. Er hatte die Schwester schon informiert<br />

und wußte, daß sie bereit war. Er drückte auf<br />

einen kleinen Knopf, und die Doppeltür wich zur<br />

Seite. <strong>Der</strong> Patient fuhr in seinem Rollstuhl herein.<br />

Mit lebhaften Schritten folgte ihm die Schwester.<br />

»Sie können gehen, Schwester«, sagte der Chirurg.<br />

»Aber warten Sie draußen. Ich werde Sie rufen,<br />

wenn ich Sie brauche.« Er nickte dem medizinischtechnischen<br />

Assistenten zu, der mit der Schwester<br />

den Raum verließ. Die Tür schloß sich hinter ihnen.<br />

<strong>Der</strong> Mann in dem Rollstuhl bückte über seine<br />

Schulter und sah zu, wie die beiden hinausgingen. Er<br />

hatte einen dünnen, schlaffen Hals, und ein Netz von<br />

Falten zog sich um seine Augen. Er war frisch rasiert,<br />

und seine Finger, die sich fest um die Armlehnen<br />

des Rollstuhls klammerten, zeigte frisch manikürte<br />

Nägel. Er war Patient erster Klasse, und man<br />

behandelte ihn sehr zuvorkommend … Aber sein<br />

211


Gesichtsausdruck war mürrisch.<br />

»Fangen wir heute an?« fragte er.<br />

<strong>Der</strong> Chirurg nickte.<br />

»Heute nachmittag, Senator.«<br />

»Es soll doch einige Wochen dauern, nicht wahr?«<br />

»Nicht die Operation selbst, Senator. Aber wir<br />

müssen uns auch noch um einige Begleiterscheinungen<br />

kümmern. <strong>Der</strong> Kreislauf muß erneuert werden,<br />

ebenso muß der hormonelle Haushalt neu angepaßt<br />

werden. Das ist alles ziemlich kompliziert.«<br />

»Ist es gefährlich?« Dann schien er die Notwendigkeit<br />

zu spüren, eine freundliche Atmosphäre zu<br />

schaffen, und setzte, allerdings offensichtlich gegen<br />

seinen Willen, hinzu: »Doktor?«<br />

<strong>Der</strong> Chirurg schenkte den Bemühungen seines Patienten<br />

keine Aufmerksamkeit und sagte schlicht:<br />

»Alles ist gefährlich. Wir versuchen, die Gefahr<br />

möglichst auszuschalten. Die Zeit, die das kostet, das<br />

Zusammenwirken so vieler verschiedener Kräfte, die<br />

Instrumente, all das bewirkt, daß diese Operation nur<br />

an sehr wenigen Patienten durchzuführen ist …«<br />

»Ich weiß das«, sagte der Senator nervös. »Aber<br />

ich lehne es ab, mich deswegen schuldig zu fühlen.<br />

Oder wollen Sie mich unter Druck setzen?«<br />

»Keineswegs, Senator. Die Entscheidungen der<br />

Behörde sind nie in Frage gestellt worden. Ich erwähne<br />

die Schwierigkeit der Operation nur, um meinen<br />

Wunsch zum Ausdruck zu bringen, daß sie unter<br />

den bestmöglichen Bedingungen abläuft.«<br />

»Das ist auch mein Wunsch.«<br />

212


»Dann muß ich Sie bitten, eine Entscheidung zu<br />

treffen. Wir können Ihnen zwei Arten von Kyber-<br />

Herzen einpflanzen. Metall oder …«<br />

»Plastik!« sagte der Patient gereizt. »Diese Alternative<br />

wollen Sie mir doch anbieten, Doktor? Billiges<br />

Plastik. Das will ich nicht. Ich habe meine Wahl<br />

bereits getroffen. Ich will Metall.«<br />

»Aber …«<br />

»Hören Sie, es wurde mir doch gesagt, daß die<br />

Entscheidung bei mir liegt, nicht wahr?«<br />

<strong>Der</strong> Chirurg nickte.<br />

»Wenn es zwei Möglichkeiten gibt, die vom medizinischen<br />

Standpunkt gleichwertig sind, so liegt die<br />

Entscheidung beim Patienten. In der Praxis liegt die<br />

Entscheidung sogar dann beim Patienten, wenn die<br />

beiden Möglichkeiten nicht gleichwertig sind wie in<br />

diesem Fall.«<br />

Die Augen des Patienten verengten sich.<br />

»Wollen Sie mir etwa weismachen, daß ein Plastikherz<br />

besser ist?«<br />

»Das hängt vom Patienten ab. Meiner Meinung<br />

nach ist in Ihrem individuellen Fall ein Plastikherz<br />

tatsächlich besser. Es ist ein faseriges Kyber-Herz.«<br />

»Soweit ich orientiert bin, ist es ein Plastikherz.«<br />

»Senator«, sagte der Chirurg geduldig, »das Material<br />

ist nicht Plastik im üblichen Sinn des Wortes.<br />

Sicher, es handelt sich um ein polymeres Material,<br />

aber es ist viel komplexer als gewöhnliches Plastik.<br />

Es ist eine komplexe proteinähnliche Faser, die so<br />

entwickelt wurde, daß sie die natürliche Struktur des<br />

213


menschlichen Herzens, das in Ihrer Brust schlägt,<br />

möglichst genau imitiert.«<br />

»Genau. Und das menschliche Herz in meiner<br />

Brust ist alt und abgenutzt, obwohl ich noch nicht<br />

einmal sechzig Jahre alt bin. Ein solches Herz will<br />

ich nicht mehr. Ich will etwas Besseres.«<br />

»Wir alle wollen das Beste für Sie, Senator. Das<br />

faserige Kyber-Herz ist besser als das Metallherz. Es<br />

hat eine potentielle Lebensdauer von Jahrhunderten.<br />

Es ist absolut unallergisch …«<br />

»Und das Metallherz nicht?«<br />

»Doch«, erwiderte der Chirurg. »Das Metallherz<br />

ist aus einer Titan-Legierung, die …«<br />

»Und es nützt sich nicht ab? Es ist stärker als Plastik<br />

oder jede andere beliebige Faser?«<br />

»Das Metall ist physikalisch stärker, ja. Aber mechanische<br />

Stärke ist nicht das Wesentliche. Die mechanische<br />

Stärke bringt Ihnen keinen besonderen<br />

Vorteil, da das Herz gut geschützt ist. Wenn irgend<br />

etwas an das Herz herankommt, so wird es Sie aus<br />

andern Gründen töten, auch wenn das Herz selbst der<br />

Berührung standhält.«<br />

<strong>Der</strong> Patient zuckte mit den Schultern.<br />

»Wenn ich mir jemals eine Rippe brechen sollte,<br />

so werde ich sie auch durch eine Titan-Rippe ersetzen<br />

lassen. Neue Knochen einzupflanzen, ist leicht.<br />

Das kann man bei jedem Menschen zu jeder Zeit<br />

machen. Ich will aus so viel Metall bestehen, wie es<br />

mir gefällt, Doktor.«<br />

»Das ist ihr gutes Recht. Aber wie dem auch sei,<br />

214


es ist meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen,<br />

daß ein Metallherz zwar noch nie aus mechanischen<br />

Gründen zerstört wurde, aber aus elektronischen.«<br />

»Was bedeutet das?«<br />

»Es bedeutet, daß jedes Kyber-Herz einen Schrittmacher<br />

als Teil seiner Struktur enthält. Beim Metallherzen<br />

ist dies eine Vorrichtung, die das Metall im<br />

Rhythmus hält. Es handelt sich um eine Batterie, die<br />

die Herzschläge je nach den Gefühlen des betreffenden<br />

Menschen und nach seinem physischen Zustand<br />

verändert. Gelegentlich ist in dieser Beziehung schon<br />

einiges schiefgegangen, und die Patienten starben,<br />

bevor der Fehler korrigiert werden konnte.«<br />

»Davon habe ich noch nie gehört.«<br />

»Ich versichere Ihnen, daß es passiert ist.«<br />

»Wollen Sie mir erzählen, daß es schon oft passiert<br />

ist?«<br />

»Das nicht. Es kommt sehr selten vor.«<br />

»Nun, dann werde ich meine Chancen wahren.<br />

Wie ist es beim Plastikherz? Hat das keinen Schrittmacher?«<br />

»Natürlich hat es einen, Senator. Aber die chemische<br />

Struktur eines faserigen Kyber-Herzens nähert<br />

sich sehr stark der Struktur des menschlichen Herzens.<br />

Es kann mit den ionisierenden und hormonellen<br />

Vorgängen im Körper korrespondieren. <strong>Der</strong> gesamte<br />

Komplex, der eingesetzt werden muß, funktioniert<br />

viel einfacher, als das beim Metallherzen der Fall ist.«<br />

»Aber entzieht sich das Plastikherz nicht manch-<br />

215


mal der hormonellen Kontrolle?«<br />

»Bis jetzt ist das noch nie vorgekommen.«<br />

»Weil Sie noch nicht lange genug damit gearbeitet<br />

haben. Ist es nicht so?«<br />

<strong>Der</strong> Chirurg zögerte.<br />

»Es stimmt, daß die faserigen Kyber-Herzen noch<br />

nicht so lange verwendet werden wie die Metallherzen.«<br />

»Eben. Was wollen Sie also, Doktor? Haben Sie<br />

Angst, daß ich mich in einen Roboter verwandle – in<br />

einen Metallo, wie man sie nennt, seit sie die Bürgerrechte<br />

erhalten haben?«<br />

»Es ist nichts Schlimmes, ein Metallo zu sein. Wie<br />

gesagt, sie haben die Bürgerrechte. Aber Sie sind ein<br />

Mensch. Warum wollen Sie nicht ein Mensch bleiben?«<br />

»Weil ich das Beste haben will, und das Beste ist<br />

ein Metallherz. Also handeln Sie danach.«<br />

<strong>Der</strong> Chirurg nickte.<br />

»Wie Sie wünschen. Sie werden jetzt bitte die nötigen<br />

Formulare unterzeichnen, und dann werden Sie<br />

Ihr Metallherz bekommen.«<br />

»Werden Sie der verantwortliche Chirurg sein?<br />

Man hat mir gesagt, Sie seien der beste.«<br />

»Ich will tun, was ich kann.«<br />

Die Tür öffnete sich, und der Stuhl mit dem Patienten<br />

rollte hinaus zu der wartenden Schwester.<br />

<strong>Der</strong> medizinisch-technische Assistent trat ein und<br />

blickte dem Patienten nach, bis sich die Tür hinter ihm<br />

216


geschlossen hatte. Er wandte sich dem Chirurgen zu.<br />

»Wie hat er sich entschieden?«<br />

<strong>Der</strong> Chirurg beugte sich über seinen Schreibtisch,<br />

fügt in die Akten des Patienten einige Notizen ein.<br />

»Wie Sie es vorausgesagt haben. Er will ein Metallherz.«<br />

»Letzten Endes sind die Metallherzen ja auch besser.«<br />

»Nicht unbedingt. Sie sind nur länger in Gebrauch.<br />

Es ist eine Plage für die Menschheit, daß diese Metallos<br />

jemals das Bürgerrecht erhalten haben. Die<br />

Menschen hegen den merkwürdigen Wunsch, sich in<br />

Metallos zu verwandeln, nur um der physischen<br />

Stärke und Dauerhaftigkeit willen.«<br />

»Man darf es nicht so einseitig betrachten, Doktor.<br />

Sie haben noch nicht mit Metallos gearbeitet, aber<br />

ich. Die letzten zwei, die zur Reparatur zu uns kamen,<br />

fragten nach Fasermaterialien.«<br />

»Haben sie sie bekommen?«<br />

»In einem Fall ging es nur um die Erneuerung von<br />

Sehnen. Da macht es keinen großen Unterschied, ob<br />

man Metall oder eine Faser verwendet. <strong>Der</strong> andere<br />

wollte ein Blutsystem oder ein Äquivalent dazu. Ich<br />

sagte ihm, daß das nicht möglich sei. Nicht, ohne daß<br />

sein ganzer Körper in eine Faserstruktur umgewandelt<br />

würde. Ich nehme an, eines Tages wird es dazu<br />

kommen. Metallos, die keine wirklichen Metallos<br />

mehr sind, sondern eine Art von Fleisch und Blut.«<br />

»Stört Sie dieser Gedanke nicht?«<br />

»Warum? Wir haben zwei Arten von Intelligenz-<br />

217


wesen auf der Erde. Wenn sie sich immer mehr einander<br />

angleichen, werden wir bald keinen Unterschied<br />

mehr sehen. Warum sollten wir auch? Wir werden<br />

alle Vorteile genießen, die eine Menschenwelt, kombiniert<br />

mit einer Roboterwelt für uns bedeutet.«<br />

»Sie sind hybrid«, sagte der Chirurg, und er schien<br />

beinahe Zorn zu empfinden. »Es wird weder eine<br />

Menschenwelt noch eine Roboterwelt mehr geben.<br />

Glauben Sie nicht, daß ein Individuum zu stolz auf<br />

seine Struktur und seine Identität ist, um sie mit etwas<br />

Fremden zu verdünnen? Wird es sich selbst zum<br />

Bastard machen wollen?«<br />

»Sie reden wie ein Außenseiter.«<br />

»Meinetwegen«, erwiderte der Chirurg mit gedämpfter<br />

Emphase. »Ich glaube an die Besonderheit<br />

des einzelnen. Nichts könnte mich veranlassen, ein<br />

Stück von mir gegen ein fremdes auszutauschen. Und<br />

wenn es doch irgendwann einmal nötig sein sollte,<br />

einen Teil von mir zu ersetzen, so werde ich ein Material<br />

wählen, das meiner Körperstruktur möglichst<br />

gleicht. Ich bin ich selbst, und ich bin sehr zufrieden<br />

mit mir. Ich will niemand anderer sein als ich selbst.«<br />

Er mußte sich auf die Operation vorbereiten. Er<br />

steckte seine starken Hände in den erhitzten Ofen,<br />

berührte die Glut, um sie zu sterilisieren. Trotz seiner<br />

leidenschaftlichen Rede hatte sich seine Stimme nie<br />

erhoben, und auf seinem leuchtenden Metallgesicht<br />

zeigt sich (wie immer) keinerlei Ausdruck.<br />

ENDE<br />

218


Als nächstes TERRA-Taschenbuch erscheint:<br />

Die Rebellen von Terra<br />

von Andre Norton<br />

Menschen der Erde im Kampf auf fernen Welten<br />

Terranische Soldaten auf fremden Welten<br />

Schon bei ihrem ersten Kontakt mit anderen Sternenvölkern<br />

erweisen sich die Terraner, die Bewohner<br />

eines kleinen, unbedeutenden Sonnensystems am<br />

Rande der Milchstraße, als äußerst kühn, wagemutig<br />

und ehrgeizig.<br />

Die zentrale Kontrollbehörde der Galaktischen<br />

Föderation entscheidet daher, daß die Terraner eine<br />

potentielle Gefahr für die Föderation der Sternenvölker<br />

darstellen. Und so wird ein Langzeitplan entwickelt,<br />

der die Terraner zum Militärdienst auf fremden<br />

Welten verpflichtet, um sie zu schwächen und zu dezimieren.<br />

Aber auch die Menschen der Erde haben ihren<br />

Langzeitplan entwickelt – er hat die Freiheit der<br />

Sternenwege zum Ziel.<br />

Ein Roman aus dem 40. Jahrhundert.<br />

Terra-Taschenbuch Nr. 210 in Kürze überall im Zeitschriften-<br />

und Bahnhofsbuchhandel erhältlich. Preis<br />

DM 2,80.<br />

219

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