Leitfaden Ethikberatung - Robert Bosch Stiftung
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Bayern<br />
Zurechtkommen<br />
Ethikkultur in der Altenhilfe<br />
Stefan Dinges<br />
Frank Kittelberger<br />
www.diakonie-bayern.de
Zurechtkommen<br />
Ethikkultur in der Altenhilfe<br />
<strong>Leitfaden</strong> zur Orientierung und Organisation<br />
einer ethischen Entscheidungskultur in Einrichtungen der stationären Altenhilfe<br />
Stefan Dinges, Frank Kittelberger
Sich Menschen am Lebensende zuzuwenden und sie zu begleiten<br />
– diese diakonische Aufgabe unterstützte die Initiative Hospizarbeit<br />
und Palliativ Care, die das Diakonische Werk Bayern<br />
vor einigen Jahren startete. In zahlreichen Fortbildungen für Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter der stationären und ambulanten Altenpfl<br />
ege, aber auch in gezielten Implementierungsmaßnahmen<br />
für Träger und ihre Einrichtungen wurde die Sorge um Menschen<br />
am Lebensende in den Mittelpunkt gerückt. Diese Sorge, die unter<br />
dem Stichwort „end-of-life-care“ verschiedene Disziplinen und<br />
Handlungsfelder zusammenfasst, hat an Breite und Tiefe gewonnen.<br />
In diesem Zusammenhang rückte eine Reihe ethisch schwieriger<br />
Situationen und moralischer Fragestellungen im Bereich der Pfl ege und Begleitung von<br />
Menschen am Lebensende ins Blickfeld. Achtsamkeit stellte sich als ein Kennzeichen diakonischer<br />
Zuwendung heraus. Deutlich sehen wir, wie wichtig es ist, die verschiedenen Sichtweisen<br />
der Beteiligten, von Ärzten und Pfl egepersonal, der Angehörigen und vor allem der<br />
zu Pfl egenden, miteinander ins Gespräch zu bringen. Es kann also nicht um schnelle und<br />
eindeutige Lösungen gehen. Es geht um die Fähigkeit, miteinander im Gespräch zu sein.<br />
Eigene Wertvorstellungen und Erwartungen geraten nicht selten in den Widerspruch zu den<br />
Wertvorstellungen, Erwartungen und Bedürfnissen anderer. Ethische Orientierung bedeutet<br />
hier, das Gespräch und den gemeinsamen Blick auf eine Situation zu fördern. Anders als in<br />
manchen klinischen Ethikkomitees, denen ein schwieriger Fall zur Entscheidung vorgelegt<br />
wird, versuchen wir in den Einrichtungen vor Ort die Betrachtung derselben Situation von<br />
verschiedenen, zum Teil ganz unterschiedlichen Sichtweisen her einzuüben. <strong>Ethikberatung</strong><br />
in der bayerischen Diakonie stellt sich der Frage: Wie kommen in dieser Lebenssituation<br />
Betroffene und Beteiligte miteinander zurecht, dass sie gemeinsam einen guten, gangbaren<br />
Weg fi nden. Es geht um Handlungsfähigkeit und Kommunikation.<br />
Der vorliegende <strong>Leitfaden</strong> bietet einen Einblick in Methoden und Arbeitsmaterialien zur<br />
<strong>Ethikberatung</strong>, die auf den jahrelangen Praxiserfahrungen der beiden Autoren beruhen. Er<br />
nimmt die Fähigkeiten und Kompetenzen der einzelnen Mitarbeitenden, aber auch die Organisationen<br />
und Einrichtungen selbst in den Blick. Denn: Die Qualifi kation der einzelnen<br />
kommen nur dann zur Geltung, wenn die Einrichtung als ganze <strong>Ethikberatung</strong> als Aufgabe<br />
auch der Organisationsentwicklung ernst nimmt.<br />
Wir danken den beiden Autoren, Frank Kittelberger und Stefan Dinges, für die Erstellung<br />
des vorliegenden <strong>Leitfaden</strong>s und für das damit verbundene Engagement, <strong>Ethikberatung</strong> in<br />
der Altenpfl ege fachlich zu fundieren und zu begleiten. Wir sind gewiss, dass mit diesem<br />
<strong>Leitfaden</strong> den Herausforderungen moderner Altenpfl ege in einem wichtigen und kommunikativ<br />
bedeutsamen Feld Rechnung getragen werden kann.<br />
Dr. Ludwig Markert<br />
Präsident des Diakonischen Werks Bayern
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Einführung<br />
2. Themen, Inhalte und Strukturen von <strong>Ethikberatung</strong>en<br />
3. Grundlagen der <strong>Ethikberatung</strong><br />
4. Modelle der <strong>Ethikberatung</strong> und ihre Einsatzmöglichkeiten<br />
5. Fortbildung / Training für unterschiedliche Formen der <strong>Ethikberatung</strong><br />
6. Wie kommt die <strong>Ethikberatung</strong> in die Einrichtungen?<br />
7. Literaturverzeichnis / Links<br />
S. 4<br />
S. 7<br />
S. 19<br />
S. 32<br />
S. 43<br />
S. 47<br />
S. 66
1. Einführung<br />
Ethische Entscheidungskultur(en) am Lebensende<br />
Die demographische Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte hat in Einrichtungen der<br />
stationären Altenhilfe bundesweit zu zahlreichen Modellprojekten der Implementierung von<br />
Palliative Care geführt. Inzwischen ist auf diesem Feld einiges an innovativem Wissen,<br />
Routinen und Strukturen entstanden. In den letzten Jahren sind neue Themen im Umfeld<br />
der Fragen nach der Palliativversorgung im Pflegeheim in den Blick gekommen. Dazu<br />
gehören die speziellen Anforderungen in der Begleitung von Demenzkranken am<br />
Lebensende, aber auch Fragen der Ethik und <strong>Ethikberatung</strong>.<br />
Die Hilfe im Alter der Inneren Mission München hatte im Laufe ihres Projektes zur<br />
Implementierung von Palliativversorgung frühzeitig die Notwendigkeit erkannt, Fragen der<br />
Ethikkultur, ethischer Entscheidungsprozesse und ethischer Strukturen gesondert in den<br />
Blick zu nehmen. Daher hat sie sich entschlossen, im Jahr 2008 mit einem eigenen<br />
Projekt zur Implementierung von <strong>Ethikberatung</strong> zu beginnen. Die hier vorliegende<br />
Handreichung möchte die Projekterfahrungen, insbesondere aber die bewährten<br />
Arbeitsmaterialien und Designs, Anderen zur Verfügung stellen: Das Projekt „Ethische<br />
Entscheidungskultur am Lebensende“ wurde von der <strong>Robert</strong>-<strong>Bosch</strong>-<strong>Stiftung</strong> großzügig<br />
gefördert; eine wesentliche Bedingung war, das Wissen zur Verfügung zu stellen – was wir<br />
hiermit gerne tun 1 .<br />
Ethische Kompetenz in diakonisch (karitativen) Einrichtungen der Altenhilfe<br />
Nicht nur die interne Organisations- und Projektkultur der Hilfe im Alter, auch das kirchlichgesellschaftliche<br />
Umfeld begünstigten das geplante Ethikprojekt: Für das bei der <strong>Robert</strong>-<br />
<strong>Bosch</strong>-<strong>Stiftung</strong> beantragte und mit den Führungskräften der Hilfe im Alter vereinbarte<br />
Projekt ergab sich in der Auftaktphase ein Kairos, der für die exemplarische Wirkung und<br />
Weiterarbeit eine wichtige Bedeutung hatte: Im Zusammenhang diakonischer Initiativen in<br />
Bayern hatte das Diakonische Werk mit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche einen<br />
Aufruf zugunsten strukturierter <strong>Ethikberatung</strong> in den Einrichtungen der Altenhilfe gestartet.<br />
Dieser Aufruf war und ist in seinen Inhalten eine Bestätigung und Unterstützung für die<br />
Zielvorgaben des Ethikprojekts der Hilfe im Alter. Zitat aus dem Aufruf vom Januar 2009 2 :<br />
Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Bayern und das Diakonische Werk<br />
Bayern rufen hiermit dazu auf, <strong>Ethikberatung</strong> bzw. ausgewiesene ethische Kompetenz<br />
in Zukunft in allen diakonischen und kirchlichen Einrichtungen der Altenpflege zu<br />
einem integralen Bestandteil des Gesamtkonzeptes werden zu lassen. (…).<br />
Schon jetzt und in Zukunft immer mehr müssen auch in Einrichtungen der Altenpflege<br />
schwierige Situationen bewältigt und schwierige Entscheidungen getroffen werden.<br />
Dazu braucht es besondere ethische Wachsamkeit und Sensibilität für die Bedürfnisse<br />
der Bewohnerinnen und Bewohner und für die Notwendigkeiten der konkreten<br />
Situation. Dreh- und Angelpunkt, an der die ethischen Entscheidungen auszurichten<br />
sind, sind die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner. In stationären<br />
Pflegeeinrichtungen sind auch bereits heute Leitungen, Pflegeverantwortliche und<br />
Mitarbeitende in diesem Sinn wachsam und sensibel. Dies verdient hohe Anerkennung<br />
und Unterstützung – sowohl in fachlicher als auch in struktureller Hinsicht. Gerade<br />
1 Weitere Informationen zum Projekt und zum Projektbericht, auf den wir uns hier häufig beziehen, bei:<br />
fkittelberger@im-muenchen.de<br />
2 http://www.diakonie-bayern.de/positionen-der-diakonie/zur-ethischen-kompetenz-in-der-altenhilfe.html<br />
4
deshalb besteht eine besondere Herausforderung immer wieder darin, die Anweisungen<br />
von Hausärztinnen und Hausärzten mit teilweise widersprechenden<br />
Erwartungen von Angehörigen und den eigenen Wünschen der pflegebedürftigen<br />
Bewohnerinnen und Bewohnern zu vereinbaren. Willensbekundungen in Patientenverfügungen<br />
bedürfen der Interpretation. Werden Menschen im Pflegeheim krank,<br />
rückt der Tod heran, setzt häufig ein vor allem für die Bewohnerinnen und Bewohner<br />
belastender „Drehtüreffekt“ ein. Sie werden ins Krankenhaus überwiesen, kommen<br />
wieder von dort zurück, werden wieder überwiesen, auch deshalb, weil in der Pflegeeinrichtung<br />
Unsicherheit über das angemessene Verhalten oder Zweifel an der verordneten<br />
Behandlung bestehen. Dieser „Drehtüreffekt“ widerspricht einer Auffassung,<br />
gerade das Ende des Lebens -und was damit verbunden ist - als entscheidende<br />
Lebensaufgabe anzunehmen und bewusst zu gestalten. Engagierte Hausleitunge<br />
und Pflegende, die mit solchen Situationen zurechtkommen und offene Fragen<br />
ansprechen, verdienen hohe Anerkennung. Sie brauchen aber auch professionelle<br />
Begleitung und kontinuierliche Fortentwicklung ihrer ethischen Kompetenz.(…)<br />
Die kirchlich Verantwortlichen skizzieren ein integriertes Modell in der Begleitung und<br />
Versorgung hochaltriger Menschen. Sie betonen, dass es hier zusätzlicher Kompetenzen<br />
bedarf – aber auch Strukturen, damit wirklich bedürfnisorientiert gearbeitet werden kann.<br />
In dieser Empfehlung wird ein besonderes Augenmerk auf die MitarbeiterInnen gelegt; hier<br />
werden die Notwendigkeit von Entlastung und indirekt von Supervision, aber auch<br />
Handlungssicherheit hervorgehoben. Es wird auf den Ausbildungsbedarf hingewiesen, der<br />
eben auch der Qualität der ganzen Einrichtung zugute kommen sollte. Grundtenor ist<br />
jedenfalls das kommunikative Engagement, das für die Umsetzung der ethischen Frage<br />
grundlegend ist.<br />
Deswegen freuen wir uns, dass dieser <strong>Leitfaden</strong> vom Diakonischen Werk Bayern<br />
herausgegeben wird. Er schließt an die Handreichung „Ethisch handeln in der Pflege“ der<br />
Hessischen Diakonie 3 an, die er ergänzen und weiterführen will. Damit steht der<br />
deutschen Diakonie insgesamt eine beachtliche Breite an direkt nutzbarer Literatur in<br />
einem noch jungen Themenfeld zur Verfügung.<br />
Zum Gebrauch dieser Handreichung<br />
Unsere Handreichung ist nicht primär für NeueinsteigerInnen ins Thema gedacht: Die<br />
NutzerInnen sollten eine gewisse Vorerfahrung und ein Überblickswissen im Bereich der<br />
<strong>Ethikberatung</strong>, Organisationsentwicklung und im Projektmanagement haben. Entsprechende<br />
Hinweise für Grundausbildungen haben wir im Anhang dokumentiert. Unsere<br />
Handreichung richtet sich an PraktikerInnen, die in (ihren) Einrichtung Projekt-Praxis<br />
voranbringen möchten bzw. eine schon begonnene <strong>Ethikberatung</strong> optimieren und<br />
wirksamer gestalten möchten. Für diese Zielgruppe haben wir kurze Einführungen,<br />
beispielhafte Designs und Arbeitsblätter zusammengestellt – wir laden herzlich dazu ein,<br />
diese zu verwenden und ggf. zu adaptieren.<br />
Im Sinne eines <strong>Leitfaden</strong>s wird hier Interessierten ein Einblick in unser Modellprojekt<br />
gegeben und dabei werden gleichzeitig Ideen vermittelt, welche Schritte sinnvoll und<br />
welche Voraussetzungen nötig wurden, um selbst einen ähnlichen Weg einzuschlagen. Dabei<br />
liegt die Betonung auf „ähnlich“. Kein Projekt gleicht dem anderen. Kein Modell kann<br />
einfach „nachgebaut“ werden. Im Palliative Care, in der Hospizarbeit und auch in einer auf<br />
die Betroffenen zentrierten Ethik steht die Situation der Betroffenen und Beteiligten im<br />
Vordergrund.<br />
3 http://www.diakonie-hessen-nassau.de/DWHN/presse/2009/Artikel/1809.html<br />
5
Alles Wissen ist letztlich verdankt oder es wurde gemeinsam erarbeitet; wir danken allen<br />
verantwortlichen Frauen und Männern in der Hilfe im Alter für die vertrauensvolle<br />
Zusammenarbeit, namentlich sei die Geschäftsführung, Dr. Günter Bauer und Gerhard<br />
Prölß (pars pro toto!) herausgegriffen. Zusammenarbeit, kollegiale Inspiration und auch<br />
das ein oder andere Textfragment schulden wir insbesondere Svenja Uhrig, Brigitte Huber<br />
und Martin Alsheimer.<br />
Wolf Hirche und Siegfried Wanner im Diakonischen Werk Bayern ist für die Unterstützung<br />
im ganzen Themenzusammenhang und insbesondere an der Ermöglichung dieses<br />
<strong>Leitfaden</strong>s zu danken.<br />
6
2. Themen, Inhalte und Strukturen von <strong>Ethikberatung</strong>en<br />
Klinische Ethikkomitees, <strong>Ethikberatung</strong> und Ethikbeiräte in der Altenhilfe<br />
Woher kommt das Wissen, auf welches das Projekt „Ethische Entscheidungskultur am<br />
4<br />
Lebensende“ zurückgreifen konnte? Klinische <strong>Ethikberatung</strong> in Form von „Health Care<br />
Ethics Committees“ 5 war in den 80er Jahren eine Antwort auf organisationale Krisen im<br />
Krankenhausbereich (Schadensfälle, Euthanasievorwürfe, Fragen nach Qualität und<br />
Standards etc.). Krankenhäuser waren gezwungen, Ethikkomitees zu gründen, um die<br />
eigene Existenz nicht zu gefährden und den ärztlichen MitarbeiterInnen eine rechtliche<br />
Rückendeckung zu gewähren. Bald darauf wurde die Existenz eines Ethikkomitees zum<br />
Gegenstand von Zertifizierungen und damit zu einem unerlässlichen Standard in<br />
amerikanischen Krankenhäusern.<br />
Über KollegInnen 6 , die in der USA Medizinethik lernten und lehrten und über die klinischen<br />
Zertifizierungen, die durch Zertifizierungsgesellschaften nach Europa kamen, gelangte die<br />
Idee der Klinischen Ethikkomitees bzw. der klinischen <strong>Ethikberatung</strong> auch nach<br />
Deutschland 7 . Sie etablierten sich insbesondere an Universitätskliniken, wo sie eine<br />
ergänzende Rolle zu den klinischen Ethikkommissionen einnahmen und auch von den<br />
LehrstuhlinhaberInnen für Medizinethik betrieben wurden. Dabei hat insbesondere ein<br />
Modell der KollegInnen aus Nimwegen 8 Eindruck hinterlassen: In Ergänzung zu einem<br />
Komitee waren die MitarbeiterInnen des Lehrstuhls für Medizinische Ethik über einen<br />
Piepser für MitarbeiterInnen des gegenüberliegenden Krankenhauses für ethische<br />
Fallkonsultationen auf Station erreichbar.<br />
Andere Modelle wurden von Hans Martin Sass (Bochumer Patientenbogen), Stella Reiter-<br />
Theil (Zürich) 9 beschrieben. Einen wichtigen Schritt leisteten die beiden konfessionellen<br />
Krankenhausverbände 10 in Deutschland, die ihren Mitgliedern die Einrichtung von<br />
Klinischen Ethikkomitees empfohlen haben – um hier einen zusätzlichen strukturellen<br />
Mehrwert als konfessionelle Einrichtung zu haben und zur eigenen Profilbildung<br />
beizutragen. Die bestehenden Ethikkomitees wurden in einer ersten Studie von Alfred<br />
4 La Puma, John, Stocking, Carol B., Silverstein, Marc D., DiMartini, Andrea, Siegler, Mark (1988): An Ethics<br />
Consultation Service in a Teaching Hospital. Utilization and Evaluation, in: JAMA 260, S. 808 – 811<br />
5 Fletcher, John C., Hoffmann, Diane E.: Ethics Committees (1994): Time to Experiment with Standards, in:<br />
Annals of Internal Medicine 120, S. 335 – 338<br />
6 Z. B. Gerd Richter, vgl. Richter, Gerd (o.J.): Fälle klinischer Ethik – Theorie und Praxis. Erschienen in:<br />
Reihe Gerontologie 39. Marburg; Richter, Gerd (2001): Ethics Consultation at the University Medical Center<br />
– Marburg. In: HEC Forum 13 (3). Dordrecht: Kluwer Academic Publishers. S. 294 – 305<br />
7 Z. B. Schmidt, Kurt W. (2001): Models of Ethics Consultation: The „Frankfurter Model“. In: HEC Forum 13<br />
(3). Dordrecht: Kluwer Academic Publishers. S. 281 – 293; Simon, Alfred (2000): Klinische <strong>Ethikberatung</strong> in<br />
Deutschland. Erfahrungen aus dem Krankenhaus Neu-Mariahilf in Göttingen. Ersch. in: Berliner<br />
Medizinethische Schriften. Heft 36. Dortmund: Humanitas Verlag.<br />
8 Gordijn, Bert (2000), Ethische Diskussionen im Team. Nijmweger Modell der multi-disziplinären ethischen<br />
Fallbesprechung, in: Die Schwester/Der Pfleger 39 2 (2000), S. 114 – 117; Gordijn, Bert, Steinkamp, Norbert<br />
(2000): Entwicklung und Aufbau Klinischer Ethikkomitees in den Krankenhäusern der Malteser Trägerschaft.<br />
Ein Werkstattbericht, in: ZME 46, S. 305 – 310; Steinkamp Norbert, Gordijn Bert (2003) Ethik in der Klinik –<br />
ein Arbeitsbuch. Luchterhand, Neuwied.<br />
9 Reiter-Theil, Stella (2000): Ethics Consultation on Demand. Concepts, Practical Experience and a Case<br />
Study, in: JME 26, S.198 – 203<br />
10 Katholischer Krankenhausverband Deutschlands e. V., Deutscher Evangelischer Krankenhausverband<br />
e.V.: Ethik-Komitee im Krankenhaus, Eigenverlag, Freiburg 1997.<br />
7
Simon und Erny Gillen evaluiert 11 . Dabei wurde deutlich, dass viele Ethikkomitees ohne<br />
ausreichende Ausbildung in die Arbeit gestartet waren. Dementsprechend zwiespältig<br />
waren auch die ersten Erfahrungen, die mit Ethikkomitees und <strong>Ethikberatung</strong> gemacht<br />
wurden; manche Komitees wurden eingerichtet und kamen nie in die Arbeit, andere trafen<br />
sich zwar, hatten aber keine Anfragen.<br />
Gemeinsam mit Simon/Gillen und einigen KollegInnen aus der IFF-Abteilung „Palliative<br />
Care und Organisationales Lernen“ wurde 2002 ein Pilotprojekt zur Schulung und<br />
Implementierung von <strong>Ethikberatung</strong> in der Kaiserswerther Diakonie/Florence Nightingale<br />
Krankenhaus 12 durchgeführt, 2003 dann auch in der stationären Altenhilfe 13 . Dahinter<br />
stand die Idee, dass wechselseitig MitarbeiterInnen aus der Altenhilfe bzw. aus dem<br />
Krankenhaus auf der Basis des Nimwegener Modells ethische Fallbesprechungen<br />
moderieren können. Im Training zeigte sich ein unterschiedliches Vorgehen und Adaptieren<br />
der Konzepte: Während im Krankenhaus sehr eng an den Nimwegener Vorgaben<br />
festgehalten wurde, entwickelte sich in der Altenhilfe ein sehr differenziertes Vorgehen,<br />
das sich auch an anderen Modellen aus dem Bereich der Sozialpädagogik orientierte. Hier<br />
konnte schon auf interdisziplinäre und multiprofessionelle Fallbesprechung zurückgegriffen<br />
werden. Ein weiteres Modell der kollegialen Beratung ergänzte das Methodenportfolio.<br />
Interessant war zudem der Rahmen, in dem <strong>Ethikberatung</strong> eingerichtet wurde: Im Vorfeld<br />
waren bereits durch das IFF-Team Strukturen von Palliative Care bzw. die Einrichtung<br />
eines Hospizes im Krankenhaus begleitet worden; nachfolgend sollte auch auf<br />
übergreifenden Ethikstrukturen auf Trägerebene hingearbeitet werden. Aus dem<br />
Pilotprojekt wurde ein erweitertes Trainingsprogramm IFF/AEM aufgesetzt, das dreimal<br />
durchgeführt wurde: Mainz 2002/2003, Freising 2003 und Düsseldorf 2004.<br />
Die Fachgesellschaft Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) an der Universität<br />
Göttingen richtete 2004/2005 einen Arbeitskreis ein, der ein gemeinsames<br />
Ausbildungscurriculum für klinische <strong>Ethikberatung</strong> 14 erarbeitet. Hier konnte neben den<br />
medizinethischen Themen und den Moderationserfahrungen aus der IFF-Perspektive<br />
insbesondere ein Organisationsschwerpunkt eingefügt werden. In nicht wenigen Projekten<br />
der ersten Stunde war eine ‚Organisationsvergessenheit‘ zu bemerken; d. h. es gab<br />
keinen klaren Auftrag der Führung, Rollenkonflikte (z. B. durch die Beteiligung von<br />
SeelsorgerInnen oder unreflektierten Leitungsrollen im Komitee), mangelnden<br />
Informationsfluss, keine oder nicht ausreichende Dokumentation etc. Es wurde anhand<br />
des Curriculums annähernd deutlich, dass die Ausbildung allein noch nicht zu einer<br />
gelingenden <strong>Ethikberatung</strong> (auf Station oder im Komitee) führen würde. Für den<br />
Erfahrungsaustausch wurde eine Internet-Plattform 15 gegründet, auf der neben dem<br />
Curriculum weitere Unterlagen zur Verfügung gestellt werden. Seit 2008 erarbeitet die<br />
11 Simon, Alfred, Gillen, Erny (2000): Erhebung über Klinische Ethik-Komitees. In: Krankendienst 8-9. S. 245<br />
– 248; Simon, Alfred, Gillen, Erny (2000): Klinische Ethik-Komitees in Deutschland / Feigenblatt oder<br />
praktische Hilfestellung in Konfliktsituationen? In: Simon et al. (Hrsg.): Die Heilberufe auf der Suche nach<br />
ihrer Identität. Frankfurt: LIT. S. 151 – 157.<br />
12 Heller Andreas, Dinges Stefan (2003): <strong>Ethikberatung</strong> im Krankenhaus. In: Heller, Andreas, Krobath,<br />
Thomas (Hrsg.): OrganisationsEthik. Organisationsentwicklung in Kirchen, Caritas und Diakonie. Freiburg im<br />
Breisgau: Lambertus, S. 419 – 428.<br />
13 Heller Andreas, Dinges Stefan (2003): <strong>Ethikberatung</strong> in der Altenhilfe. In: ProCare 6, S. 30 – 32; weitere<br />
Erfahrungen: vgl. Hans Bartosch, Cornelia Coenen-Marx, Joachim F. Erckenbrecht, Andreas Heller (Hrsg.)<br />
(2005): Leben ist kostbar. Der Palliative Care- und Ethikprozess in der Kaiserswerther Diakonie, Lambertus:<br />
Freiburg<br />
14 Simon Alfred, May Arnd T., Neitzke Gerald (2005), Curriculum „<strong>Ethikberatung</strong> im Krankenhaus“ in<br />
EthikMed 17, S. 322 – 326.<br />
15 www.ethikkomitee.de<br />
8
Arbeitsgruppe Standards für die Einrichtung von <strong>Ethikberatung</strong> und Empfehlungen für die<br />
Dokumentation; diese wurden nach der Approbation durch den Vorstand der AEM auf der<br />
oben genannten Interseite veröffentlicht.<br />
Auf der Basis des Curriculums wurden etliche Trainingsprogramme eingerichtet; ein<br />
Programm, an dem sich die Autoren des Curriculums beteiligen, findet am Zentrum für<br />
Gesundheitsethik (ZfG) an der Ev. Akademie Loccum jetzt schon im 12. Durchgang statt.<br />
Ebenfalls am AEM/IFF-Basiscurriculum orientiert sich ein Ausbildungskurs für <strong>Ethikberatung</strong><br />
in der Altenhilfe, den die beiden Projektverantwortlichen im Ethikprojekt der Hilfe<br />
im Alter ab 2006 nun bereits zum fünften Mal anbieten werden (2006 und 2007 in Kloster<br />
Irsee, 2008, 2009 und 2010 in Steinerskirchen, gemeinsam mit der Gemeinnützigen<br />
Gesellschaft für soziale Dienste, Nürnberg).<br />
Inhalte und Ziele der Fortbildung „<strong>Ethikberatung</strong> in der Altenhilfe“:<br />
Grundlagen zu Ethik, Beratung und Organisation<br />
Identifikation und Moderation ethischer Fragen im Alltag<br />
Ethik als Prozess verstehen und gestalten<br />
Brückenfunktion der Ethik (Person – Organisation – Kultur)<br />
Entscheidungsspielräume gestalten<br />
Ethische Entscheidungsfindung als Versorgungsqualität verstehen<br />
Kontext zu end-of-life-care sehen<br />
Grundparadigmen (gewaltfreier) Kommunikation zuordnen<br />
Grundlagen zu <strong>Ethikberatung</strong> und Organisationsethik<br />
Modelle interdisziplinärer Fallbesprechungen kennenlernen und einüben<br />
Interprofessionelle Ethik und <strong>Ethikberatung</strong> in der Altenhilfe<br />
Ethische Themen in der Altenhilfe<br />
Fallbeispiele nach den Ansätzen von Loewy und Rabe moderieren<br />
Entwicklung und Entscheidung für mögliche Modelle und Strukturen von<br />
<strong>Ethikberatung</strong><br />
Beratung zur Implementierung und zu Routinen von <strong>Ethikberatung</strong><br />
Seit 2005 wurden von den ProjektbegleiterInnen (einzeln und gemeinsam) vielfache<br />
Erfahrungen im Bereich <strong>Ethikberatung</strong> erworben, in Beratung und in der Implementierung.<br />
Auch im Bereich der Altenhilfe wurden bereits mehrere Projekte in Training, Beratung und<br />
Implementierung umgesetzt (z. B. Ethikbeirat des Geriatriezentrums am Wienerwald,<br />
Wien, Kath. Pflegehilfe, Essen und in einem Projekt des österreichischen<br />
Bildungsministeriums für Transdisziplinäre Forschung, Teilprojekt Ethische Arrangements<br />
in Pflegeheimen 16 ).<br />
Inzwischen gibt es im deutschsprachigen Raum eine Vielzahl von Modellen von<br />
<strong>Ethikberatung</strong>, auch in der Altenhilfe, die sich im Wesentlichen auf die skizzierten<br />
Konzeptionen und Modelle zurückführen lassen.<br />
16 Pleschberger Sabine, Dinges Stefan (2007): “Ethische Fallbesprechung“. Planung, Ablauf und Reflexion<br />
der Workshops im Projekt, in: Reitinger Elisabeth, Heimerl Katharina, Heller Andreas (Hg.): Ethische<br />
Entscheidungen in der Altenbetreuung. Mit Betroffenen Wissen schaffen, kursbuch palliative care 11/2007;<br />
Dinges Stefan (2008): Hürden auf transdisziplinären (Forschungs)Wegen, in: Reitinger Elisabeth (Hg.):<br />
Transdisziplinäre Praxis. Forschen im Sozial- und Gesundheitswesen, Wien, Carl-Auer-Verlag, S. 109 – 119;<br />
Reitinger Elisabeth (Hg.) (2008): Transdisziplinäre Praxis. Forschen im Sozial- und Gesundheitswesen.<br />
Heidelberg: Verlag für Systemische Forschung – Carl Auer.<br />
9
Baustein: Die Themenlandschaft einer Einrichtung in der Altenhilfe wahrnehmen<br />
Die (ethischen) Themen, die in einer Einrichtung aufgeworfen und angesprochen werden,<br />
sind aufschlussreich für die ethische Entscheidungskultur einerseits (die vorhandene und<br />
die erwünschte) und für den Bedarf an ethischer Entscheidungskompetenz andererseits.<br />
Die daraus entstehende Themenlandkarte kann ein wichtiges Instrument für die Arbeit und<br />
die Weiterentwicklung in den Einrichtungen gesehen werden. Es sind jene Geschichten<br />
und Themen, die vor allem MitarbeiterInnen 17 aufwerfen, wenn sie nach guter Arbeit und<br />
Versorgungen gefragt werden, nach Geschichten, die ihnen nachgegangen sind und von<br />
denen sie glauben, dass ‚man‘ auch hätte anders entscheiden können. Diese Themen<br />
führen wieder zur Grundannahme, dass <strong>Ethikberatung</strong> jene Themen besprechbar macht,<br />
die in einer Organisation besprochen werden müssen, um weiterhin den Organisationszweck<br />
(in der Altenhilfe z. B. menschenwürdige Versorgung im Alter) zu gewährleisten und<br />
selbst zukunftsfähig zu bleiben.<br />
Die zweite Grundannahme ist, dass dazu die Widersprüche einer Organisation sichtbar<br />
gemacht und dass das Nichtentscheidbare entschieden werden sollte. Einer der<br />
Widersprüche, auf die wir immer wieder stoßen, ist die Anforderung, menschenwürdige<br />
Versorgung im Alter zu garantieren und als Widerspruch dazu die gesellschaftliche<br />
Abwertung des Alters. Dies ist weniger daraus abzuleiten, dass das jugendliche Aussehen<br />
ein Schönheitsmaßstab ist etc., sondern vielmehr an der permanenten Ressourcenknappheit,<br />
die für die Versorgung alter Menschen gesellschaftlich zur Verfügung gestellt<br />
werden. Simone de Beauvoir hat bereits 1970 in ihrem Buch „Das Alter“ darauf hingewiesen,<br />
dass sich die Humanität einer Gesellschaft daran ablesen lässt, welchen<br />
Aufwand und welchen Verzicht sie zu leisten bereit ist, um ihre Alten zu versorgen. 18<br />
Ein Beispiel für die Figur des Nichtentscheidbaren, das es zu entscheiden gilt, ergibt sich z. B. bei<br />
der Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Behandlung oder Behandlung bei demenziell erkrankten<br />
BewohnerInnen oder nicht mehr auskunftsfähigen PatientInnen: Ob etwas Sinn macht, ist letztlich<br />
dem Individuum und seiner/ihrer Entscheidung anheim gestellt. Viele Entscheidungssituationen in<br />
der Altenhilfe sind jedoch dadurch charakterisiert, dass es trotz einer Willensäußerung, einer<br />
Stellvertretung oder einer Patientenverfügung nicht mehr zweifelsfrei möglich ist zu entscheiden,<br />
was in dieser oder jener Situation sinnvoll im Sinne der BewohnerIn oder PatientIn wäre. Hier hilft<br />
<strong>Ethikberatung</strong>, indem sie die Entscheidung nicht auf einer singulären Perspektive begründet,<br />
sondern auf einer strukturierten Bearbeitung in einem interdisziplinären, multiprofessionellen<br />
Setting.<br />
Methoden: Um die Themenlandschaft (= die aktuellen ethischen Herausforderungen)<br />
einer Einrichtung zu erheben, eignen sich zwei Instrumente: (a) eine exemplarische<br />
Bearbeitung einer Fallgeschichte oder (b) eine ausführliche, gemeinsame<br />
Stärken-Schwächen-Analyse. Die erwähnten Arbeitsblätter und Materialien finden Sie<br />
gleich im Anschluss an das jeweilige Kapitel.<br />
Diese Instrumente haben einen unterschiedlichen Fokus und eine unterschiedliche<br />
Durchdringungstiefe.<br />
- Die ethische Bearbeitung einer Fallgeschichte geht bei einer Person und dem<br />
betreuenden Team in die Tiefe. In einer vorausschauenden (prospektiven)<br />
Bearbeitung, wenn alle relevant Betroffenen beteiligt werden konnten, kommt es in<br />
17 Für den weiteren Verlauf der Implementierung ist die verstärkte Integration der Perspektiven von<br />
BewohnerInnen und ihrer Angehörigen zu beachten; in der ethischen Bearbeitung der Bewohnergeschichten<br />
war diese Perspektive ja schon vorhanden.<br />
18 De Beauvoir, Simone, (1972) Das Alter (La Vieillesse 1970), Rowohlt Verlag: Reinbeck.<br />
10
der Regel zu einer unmittelbaren Entscheidung oder zu einer Empfehlung, die dann<br />
zeitnah umgesetzt wird. Hier wird insbesondere eine Verhaltensänderung auf<br />
Teamebene oder bei einzelnen Personen möglich. Ob sich auch etwas an den<br />
Arbeitszusammenhängen und an den organisationalen Rahmenbedingungen<br />
ändert bzw. diese Kontexte gesehen werden, ist nicht immer garantiert.<br />
- In einer nachschauenden (retrospektiven) Aufarbeitung einer Fall-Geschichte<br />
können diese Kontexte und das organisationale Lernen in den Mittelpunkt gestellt<br />
werden. Sich als Team oder Einrichtung zu verbessern, obwohl zuvor gute Arbeit<br />
geleistet wurde, ist eine starke Motivation, sich den auftauchenden Themen zu<br />
stellen. Die Befürchtung, an einen Pranger gestellt zu werden, verhindert jedwede<br />
Motivation. Deswegen ist dafür Sorge zu tragen, dass die strukturierte Bearbeitung<br />
von retrospektiven Fallbesprechungen keinesfalls in eine ‚Schuldigensuche‘ oder in<br />
ein Tribunal ausarten. Verantwortungsübernahme und gemeinsames Fokussieren<br />
auf notwendige Veränderungen ist dagegen ein anzustrebendes Ziel.<br />
- Bei der Stärken-Schwächen-Analyse liegt der Fokus der Themen viel näher an den<br />
Team- und Organisationsaufgaben; die individuelle Bewohnergeschichte bzw. die<br />
aktuelle Versorgungssituation sind eher der Katalysator für eine Problemstellung<br />
bzw. für eine notwendige Lösung oder einen Entwicklungsschritt.<br />
Beispiel: Entwicklung/Bearbeitung einer Themenlandkarte aus exemplarischen Fallgeschichten<br />
• Scham von BewohnerInnen, zur Last zu fallen und pflegebedürftig zu sein<br />
• (Über-) fordernde BewohnerInnen (mit Einfluss, Macht)<br />
• Mobilisierung, Gedächtnistraining wider Willen<br />
• Unruhige, aggressive BewohnerInnen, mit Tendenz zu Zerstörungen, Ekel auslösenden<br />
Handlungen, täglichem depressivem Sterbewunsch<br />
• Sexuelle Übergriffe gegenüber MitarbeiterInnen (z. B. in der Demenz)<br />
• Unterschiedliche Positionen im Team bei klarem PatientInnen/BewohnerInnen-Willen<br />
• Aufträge von Angehörigen, die das Team auszuführen haben<br />
• Konsequentes, kontinuierliches Einbeziehen des Hausarztes/der Hausärztin<br />
• Schwierige und belastende Sterbesituation, z. B. Atemnot, Ersticken, trotz Einstellen der<br />
Ernährung längeres Sterben, Sterben im Doppelzimmer, starke Blutungen, Schmerzen<br />
• Ausreichende seelsorgliche und spirituelle Begleitung am Lebensende<br />
• Entscheidung/Abwehr eines/einer (dementen gerontopsychiatrisch veränderten)<br />
Bewohners/Bewohnerin gegen Krankenhaus, Reanimation, lebensverlängernde Maßnahmen,<br />
Ernährung, Verweigerung von Pflegemaßnahmen, Medikamentengabe<br />
• Krankenhauseinweisung wider Willen, Notarzt-Modus, Nicht-Beachtung von<br />
Patientenverfügungen<br />
• Ausreichende Versorgung, Ausreichende Schmerztherapie und Symptomkontrolle im<br />
Sterbeprozess<br />
• Entscheidung über Ernährung (PEG) bei Dementen/am Lebensende<br />
• Entscheidungen von Führungskräften, die nicht begründet werden<br />
• Ansprechen von Pflegefehlern (Dekubitus, Sauberkeit) bzw. unangemessenes Verhalten von<br />
KollegInnen (Verstoß gegen Vereinbarungen, Regeln, Standards)<br />
• Anordnungen von BetreuerInnen, AmtsärztInnen – gegen das Team/Haus<br />
Im Vergleich zu ähnlichen Projekten im Krankenhaus fallen einige Beobachtungen auf: Es<br />
gibt eine erhöhte Sensibilität auf Alltagsthemen, die als ethisch bedenklich gesehen<br />
werden: Die Entscheidungen auf Leben und Tod, die im medizin-dominierten Krankenhaus<br />
an der Tagesordnung sind, treten in den Hintergrund. Eine verstärkte Aufmerksamkeit liegt<br />
11
auf guter und angemessener Pflege. Damit wird auch der Dominanz der Pflegeberufe im<br />
Alten- und Pflegeheim Genüge getan. Die Schwachstelle einer angemessenen und<br />
ausreichenden medizinischen Versorgung wird gesehen. Aus diesen Perspektiven lässt<br />
sich vermuten, dass in den Altenhilfe weniger ein ‚Zuviel‘ am Lebensende, sondern eher<br />
ein ‚Zuwenig‘ an (medizinischer) Versorgung zum Thema wird und in den Einrichtungen<br />
bedacht werden muss. Ähnlich wie im Krankenhaus werden Themen und Fragestellungen<br />
markiert, die von außen in die Einrichtung getragen werden: Die Wünsche von<br />
Angehörigen und anderen Bezugspersonen, Anordnungen von BetreuerInnen,<br />
AmtsärztInnen und den medizinischen Diensten der Krankenkassen werden oft als<br />
Störung und mit zu wenig Verständnis für die Alltagsarbeit markiert. Ähnlich wie im<br />
Krankenhaus fällt es aus vielerlei Gründen schwer, Außenperspektiven als Unterstützung<br />
zu nutzen bzw. als nützlich zu integrieren.<br />
Erfahrungsaustausch: Vertiefende Analysen und Einsichten<br />
In Workshops machen wir die Erfahrung, dass über kurz oder lang organisationsrelevante<br />
Themen ‚auf den Tisch kommen‘ und einen sensibel-kompetenten Umgang fordern.<br />
Beobachtung 1: Es fällt im Rahmen der Beschreibung von Fallgeschichten auf, dass die<br />
Berichtenden schwer „auf den Punkt kommen“; die Geschichten werden ausschweifend erzählt<br />
und starten oft mit unwesentlichen Details, andere TeilnehmerInnen werden unruhig …<br />
Interpretation: Gerade in der knappen Zeit der Alltagsroutinen werden Auszeiten genutzt, um sich<br />
belastende Dinge von der Seele zu reden; manchmal weist es auch auf hinderliche Muster im<br />
Alltagsverhalten hin. Die ‚GeschichtenerzählerInnen‘ haben relevantes Wissen über eine<br />
Betreuungssituation; dadurch dass sie nicht auf den Punkt kommen (eigentlich: das relevante<br />
Thema nicht in den Vordergrund stellen!) wird ihnen nicht zugehört, die problematische Situation<br />
bleibt offen. Mitunter verstummen diese MitarbeiterInnen frustriert.<br />
Intervention: Es bedarf einer Anleitung zur gezielten Informationsweitergabe (Worum geht es –<br />
Fragestellung: fachlich – palliativ – ethisch? Was ist die Vorgeschichte? Was sind relevante Fakten<br />
(physisch, psychisch, sozial, spirituell)? Wie sind diese zu gewichten und zu bewerten? Was gibt<br />
es an Handlungsmöglichkeiten, Alternativen, Konsequenzen?! Was könnte der nächste Schritt<br />
sein? (Klären: Verantwortlichkeiten – EntscheiderInnen – zu Beteiligende). Die<br />
Leitungsverantwortlichen sind zu befähigen, relevantes Wissen zeitgerecht von den<br />
Mitarbeitenden zu generieren; moderierte Besprechungsroutinen sollen dabei unterstützen, damit<br />
das Wesentliche an Informationen allen verständlich zur Verfügung steht.<br />
Beobachtung 2: Im Rahmen der Fallbesprechung entsteht die Tendenz, dass Leitungsverantwortliche<br />
beginnen, Beteiligte zu belehren.<br />
Interpretation: Führungskräfte erkennen in der Fallbearbeitung einerseits ihre Verantwortung<br />
gegenüber bestimmten Themen; anderseits zeigen sich unterschiedliche Wissensbestände und<br />
Nachholbedarf im Bereich von Fachkompetenz und persönlichen Fähigkeiten.<br />
Intervention in der Moderation: Die/der ModeratorIn leitet dazu an, nur das, was zur unmittelbaren<br />
Fallgeschichte gehört, kurz anzuführen; Führungskräfte sollen anderen Orts bei nächster<br />
Gelegenheit geeignete Maßnahmen ergreifen, z. B. eine interne Weiterbildung abhalten etc.<br />
Im Rückblick auf die Bearbeitung der Fallgeschichten stellt sich die Frage nach der Prävention<br />
(und damit konkretisiert sich eine Aufgabe für die Moderation): Was sollte in den Teams<br />
vorausschauend gelernt und organisiert werden? Wie schauen die Prozeduren aus bei:<br />
- unterschiedlichen Positionen bzw. Konflikten zwischen Angehörigen (BewohnerInnen) und<br />
dem Team?<br />
-<br />
unterschiedlichen Positionen bzw. Konflikten zwischen Team und HausärtztInnen?<br />
- Konflikten im Team, zwischen Leitung und Team?<br />
12
Beispiel: Themenlandschaft aus einer Stärken-Schwächen-Analyse<br />
Bei der Arbeit mit der Stärken-Schwächen-Analyse greifen wir insbesondere jene Themen auf, die als<br />
Schwächen bzw. als Herausforderungen genannt werden – hier zeigt sich der Entwicklungsbedarf der<br />
Personen, der Teams und der Einrichtungen. Im Moderationsprozess ist es ebenso wichtig, mit den Stärken<br />
und Chancen zu arbeiten (eine detaillierte Anleitung findet sich in der Materialbox). Die Themen aus der<br />
Stärken-Schwächen-Analyse wurden nach den Stichworten ‚Pflegekultur‘, ‚Kommunikationskultur‘,<br />
‚Teamkultur‘ und ‚Hauskultur‘ aufgegliedert.<br />
Ethische Herausforderungen in der Pflegekultur<br />
• zu wenig Biographie der BewohnerInnen<br />
• viele demente BewohnerInnen => hoher Stressfaktor<br />
• Oftmals fehlt die Zeit, mit Angehörigen und BewohnerInnen in Ruhe zu sprechen<br />
• andere BewohnerInnen, die drängen<br />
• Patientenverfügungen oftmals nicht vorhanden/nicht aktuell/werden nicht anerkannt<br />
• zerstrittene Angehörige, die gegensteuern oder ihre Meinung ändern<br />
Kommunikationskultur<br />
• getroffene Absprachen werden nicht eingehalten<br />
• Ängste, über Gefühle zu reden<br />
• zu wenig Austausch unter den MitarbeiterInnen<br />
Teamkultur<br />
• Überlastung der Teams durch Personalwechsel, Aushilfskräfte, Zeitarbeit<br />
• oft unterschiedliches Verständnis und Empfinden von Situationen<br />
• zeitlicher Rahmen durch Rahmenbedingungen von außen sehr eng<br />
• Arbeit wird durch „Unorganisiertheit, Unordnung“ im normalen Ablauf gestört<br />
• Teams/Bereiche überlastet (durch hohe Krankenstände)<br />
• alte, eingefahrene Abläufe, resistente MitarbeiterInnen<br />
• negatives Gerede<br />
• Widerstände gegen fachlich begründete Veränderungen<br />
• Kommunikation mit und bis zu den PflegehelferInnen funktioniert nicht immer<br />
• Uneinigkeit im Team<br />
Hauskultur<br />
• zu viel verwaltende Aufgaben in der Pflege (bessere Organisation der Aufgaben?)<br />
• zeitweise geringe Wertschätzung der Hauswirtschaft (Selbsteinschätzung: die HW macht da<br />
schon… – wird hier Verantwortung abgeschoben?!)<br />
• Engpässe lösen zu viel Stress aus<br />
• Oft immer wieder neue ZeitarbeiterInnen und Krankheitsausfälle - deswegen keine gute<br />
Arbeitsplanung möglich<br />
• zu viel egoistisches Verhalten (mein Team, unsere Station, etc.)<br />
• Cliquenwirtschaft – Teams klinken sich aus<br />
• Mobbinggefahr<br />
• Leitungen haben den Drang, Teammitglied sein zu wollen<br />
• zu wenig Abgrenzung zum Team<br />
• der sehr hohe Qualitätsanspruch lässt zu wenig Zeit übrig, um sich z. B. mit persönlichen<br />
Gesprächen zu befassen.<br />
13
• Vor lauter „Qualitätsverbesserung“ und ständig sich ändernden Vorgaben geht der Blick für<br />
das Wesentliche verloren.<br />
• Mitarbeitstruktur (nicht alle MitarbeiterInnen können/wollen sich mit dem Ethik-Thema<br />
beschäftigen)<br />
• wichtige pflegerische Informationen (z.B. MRSA) müssen geordnet die Bereiche Küche und<br />
Hauswirtschaft erreichen<br />
• nur Pflichten – wenig Anerkennung<br />
• Argumentation gegenüber Medizinischem Dienst der Krankenkassen nicht immer einfach<br />
• zu schnelle Zimmerräumung (bei Sozialamt sofort) -> der nächste Bewohner wartet schon -><br />
Geldfrage lösen durch „Freihaltegebühr“.<br />
Erfahrungsaustausch:<br />
Die herausfordernden Alltagsentscheidungen<br />
In der Altenhilfe sind jeden Tag herausfordernde Entscheidungen zu treffen: Ist es<br />
gerechtfertigt, physische oder psychische Gewalt anzuwenden, um einen Bewohner/eine<br />
Bewohnerin zu waschen, der/die sich dagegen wehrt? Ist es legitim, die Freiheit eines<br />
Bewohners/einer Bewohnerin einzuschränken, die unruhig ist und versucht aus dem Heim<br />
in die alte Wohnung zu laufen? Sollen verwirrte PatientInnen über eine Magensonde<br />
ernährt werden, aus Gründen eines allgemeinen Lebensschutzes – auch gegen ihren<br />
erklärten oder geäußerten Willen? Dürfen medizinische Behandlungen ohne Zustimmung<br />
an bettlägerigen PatientInnen durchgeführt oder unterlassen werden? Und: Wer hat<br />
eigentlich zu entscheiden? Die besorgten Angehörigen, die kompetente Pflegeperson, die<br />
erfahrene Heimleitung – oder der/die Betroffene selbst? Die Entscheidungssituationen in<br />
der Altenhilfe sind komplex und Entscheidungen lassen sich nicht leicht treffen. Die Folge:<br />
Wichtige Entscheidungen werden wegdelegiert oder gar nicht entschieden. Es entsteht der<br />
Eindruck, am Ende des Lebens gehe es eigentlich um Nicht-Entscheidbares.<br />
Der zweite Eindruck: Die ethischen Herausforderungen sind in den Einrichtungen der<br />
Altenhilfe anders gelagert als in den Krankenhäusern. Sabine Wadenpohl hat in einem der<br />
ersten Workshops für <strong>Ethikberatung</strong> (2002) in den Altenhilfeeinrichtungen der<br />
Kaiserswerther Diakonie postuliert: Ethik(-beratung) in der Altenhilfe ist weit weniger von<br />
der Dynamik „auf Leben und Tod“ geprägt, sondern eigentlich eine Ethik eines<br />
(maßvollen) Lebens angesichts des Todes. Deswegen liegt die Vermutung nahe, dass es<br />
auch andere Instrumente und Routinen der <strong>Ethikberatung</strong> braucht, als sie in der klinischen<br />
<strong>Ethikberatung</strong> entwickelt wurden. 1<br />
Was Entscheidungen so schwierig macht<br />
Das Schwierige an diesen (Alltags-)Entscheidungen ist: Sie lassen sich nicht ein für alle<br />
Mal entscheiden. Sie müssen zwischen dem Einzelnen mit seiner/ihrer individuellen<br />
Geschichte und einer verantwortlich gerechten Betreuung aller BewohnerInnen und den<br />
vorhandenen Ressourcen ausbalanciert werden. Der Medizinethiker Erich Loewy hat das<br />
Schwierige auf den Punkt gebracht: Am Lebensende haben wir beim Entscheiden selten<br />
die Wahl zwischen gut oder besser. Es gilt zu entscheiden zwischen miserabel und<br />
hundsmiserabel – zumindest auf den ersten Blick, vor allem aus dem Blickwinkel der<br />
MitarbeiterInnen und der Angehörigen. Diese machen Druck: Das ist ja nicht mehr zum<br />
1 Die entsprechenden Publikationen von Steinkamp/Gordijn (Ethik in Klinik und Pflegeeinrichtungen. Ein<br />
Arbeitsbuch, Neuwied-Köln-München: Luchterhand, 2005) bzw. Dörries et al. (Klinische <strong>Ethikberatung</strong>. Ein<br />
Praxisbuch, Stuttgart: Kohlhammer 2008) erscheinen jeweils in der 2. Auflage mit dem erweiterten Blick für<br />
die Altenhilfe.<br />
14
Aushalten, nicht mehr christlich, unwürdig … Und: Da muss man doch etwas machen!<br />
Vielleicht hätte jedoch der Bewohner/die Bewohnerin gewollt, dass jetzt nichts mehr<br />
gemacht wird. Auch wenn das Angehörige und MitarbeiterInnen schlecht aushalten …<br />
Dazu verändern sich die Rahmenbedingungen dramatisch: Das Eintrittsalter in<br />
Altenhilfeeinrichtungen hat sich in den vergangenen Jahren von durchschnittlich 75 Jahren<br />
auf weit über 82 Jahre gesteigert, mit bis zu zehn Erkrankungen, einem hohen Anteil<br />
demenziell veränderter Menschen und damit verbunden mit einem hohen Pflegebedarf 2 .<br />
Bessere Entscheidungen organisieren<br />
Angesichts dieser Entwicklung stellt sich in vielen Einrichtungen die Frage, wie sich hier<br />
eine kontinuierliche Reflexion auf Bedürfnisse der BewohnerInnen, auf angemessene<br />
Versorgung und auf die stattfindenden Wertekonflikte bzw. das diakonische Profil<br />
organisieren lässt. Und: Was kann eine eigene Konzeption von <strong>Ethikberatung</strong> in der<br />
Altenhilfe dazu beitragen? Es braucht Verfahrensregeln, Routinen und Strukturen zu<br />
entwickeln, einzuüben und zu pflegen, damit die herausfordernden Entscheidungen<br />
möglichst gut und zeitnah getroffen werden.<br />
• Eine gute Entscheidung beteiligt alle Betroffenen: BewohnerIn, Angehörige, die<br />
Teammitglieder und die Hausleitungen sowie (Haus-)ÄrztInnen;<br />
• Eine gute Entscheidung dient in erster Linie dem Bewohner/der Bewohnerin und<br />
würdigt sie/ihn als Einzelperson;<br />
• Eine gute Entscheidung ist eine, die getroffen wird!<br />
Belastend für alle Beteiligten ist, wenn nichts entschieden wird, Entscheidungen<br />
aufgeschoben, verweigert, verhindert oder solange wegdelegiert werden, bis es nichts<br />
mehr zu entscheiden gibt. Und so einfach es klingt: Bessere Entscheidungen beginnen mit<br />
der Erlaubnis zu fragen. Entscheidend ist die Frage: Ist es gut (für den Bewohner/die<br />
Bewohnerin), wie wir hier arbeiten? Was heißt für die „Hilfe im Alter“ gute Arbeit, gute<br />
Pflege, gutes Sterben? Erzielt werden soll eine Entscheidungskultur, die von allen<br />
MitarbeiterInnen und Führungskräften mitgetragen und mitgestaltet wird und die allen<br />
BewohnerInnen und ihren Angehörigen zugute kommt. Als ein Teil einer diakonischen<br />
Entscheidungskultur ist zu fragen, welchen Unterschied es denn macht, ob jemand in<br />
einer Einrichtung der Diakonie gepflegt wird? Gute Pflegequalität wird ja in allen anderen<br />
Einrichtungen auch erwartet – was also ist der konfessionelle, christliche, diakonische<br />
Mehrwert? Der christliche Weg, die protestantische Haltung, die diakonische<br />
Verantwortung – das sind Wertepräferenzen im Wettbewerb mit anderen.<br />
2 Vgl. z. B. Schulz, Andrea: Traditionelle und alternative Wohnformen für Seniorinnen und Senioren,<br />
Hamburg: Diplomica Verlag, 2004; Them, Christa, Deufert, Daniela, Fritz, Elfriede: Die »Haller Altersstudie«,<br />
Vortrag im Rahmen der Tagung »Pflegebedürftig« in der »Gesundheitsgesellschaft«, (26. – 28. März 2009),<br />
Halle/Saale, in: Hallesche Beiträge zu den Pflegewissenschaften, Gesundheits- und Pflegewissenschaften<br />
44 (2009), S. 3 – 15.<br />
15
Arbeitsblätter/Materialien zu Kapitel 2<br />
Erhebung, Analyse und Dokumentation von Fallgeschichten in der<br />
<strong>Ethikberatung</strong><br />
Datum der Anfrage EinbringerIn (intern/extern)<br />
weitergeleitet an: <strong>Ethikberatung</strong> Ethikbeirat andere<br />
<br />
A) Situations- und Problem BESCHREIBUNG<br />
Worum geht es in der Anfrage (Thema, Konflikt, Beteiligte …)<br />
<br />
Bitte schildern Sie kurz die BewohnerIn/KlientIn und ihre Lebenssituation<br />
(medizinisch-pflegerische Aspekte, sozial-spirituelle Anamnese …)<br />
<br />
Welche ethischen Fragestellungen wurden genannt?<br />
<br />
Mit welcher Frage wurde zur <strong>Ethikberatung</strong> eingeladen?<br />
<br />
Wer wurde eingeladen?<br />
B) Moderations- und Beratungsprozess<br />
<br />
Verlauf der <strong>Ethikberatung</strong>:<br />
Welche Aspekte/Positionen/Werte wurden in die Beratung eingebracht?<br />
Neue Informationen und Aspekte?<br />
Betroffene und Beteiligte, die noch nicht einbezogen wurden?<br />
Wer hat was zu entscheiden? Wer ist für was verantwortlich?<br />
16
C) Situations- und Problem-ANALYSE und Beratungs-ERGEBNISSE<br />
<br />
Ethische Beurteilung der Situation:<br />
Hat sich die Fragestellung verändert?<br />
Gibt es unterschiedliche Beurteilungen/Positionen?<br />
Welche Handlungsoptionen und deren Folgen wurden erwogen?<br />
<br />
Zu welchem Ergebnis ist die <strong>Ethikberatung</strong> gekommen?<br />
(begründete Situationseinschätzung, Empfehlung, Teamentscheidung,<br />
Konsens/Dissens)<br />
<br />
Welche Vereinbarungen wurden getroffen?<br />
(Informationen, Einbeziehen, weitere Treffen)<br />
D) Umsetzung und Weiterarbeit/Evaluation<br />
Wurden die getroffen Vereinbarungen umgesetzt?<br />
gibt es weitere Auswirkungen durch die <strong>Ethikberatung</strong>?<br />
Unterschrift der Verantwortlichen:<br />
17
SOFT-Analyse zur systematischen Erhebung des Ist-Zustandes<br />
Fragestellung:<br />
Wie sieht aus Ihrer Perspektive (z. B. einer Führungskraft) konkret die ethische Entscheidungskultur<br />
(Fragen der Menschenwürde, Autonomiewahrung, Balance der Fürsorge,<br />
Entscheidungen am Lebensende) aus?<br />
Ziel:<br />
Die gemeinsame Erarbeitung von verschiedenen Aspekten.<br />
Diese soll als Basis dienen, um anschliessend erste Lösungsansätze gemeinsam zu<br />
identifizieren und zu erarbeiten.<br />
SOFT-Analyse: (Offene Methoden Stärken-Schwächen-Analyse – BMUK: Wien 1999)<br />
Eine SOFT-Analyse ist eine Stärken-Schwächen-Analyse.<br />
Die erste Möglichkeit zur Analyse der Ausgangssituation und des Blicks in die Zukunft bildet eine so<br />
genannte Ist-Analyse, welche die gegenwärtigen Stärken und Probleme, aber auch die Chancen und<br />
Gefahren in der künftigen Entwicklung auslotet. Auf dieser Grundlage lassen sich erste Strategien<br />
für die mittel- und langfristige Zielsetzung in der jeweiligen Einrichtung oder Abteilung/ identifizieren,<br />
planen und umsetzen.<br />
Die hier vorgestellte Untersuchungsmethode eignet sich zur Analyse eines aktuellen Problemfeldes<br />
bzw. einer aktuellen Situation.<br />
Satisfaction (Zufriedenheit/Stärken)<br />
Was erscheint derzeit zufriedenstellend?<br />
Was läuft bis jetzt gut? Was gilt es jetzt zu<br />
bewahren? Das sind unsere Stärken.<br />
Darauf können wir bauen. Daran müssen<br />
wir festhalten. Das läuft rund. Darauf<br />
können wir stolz sein.<br />
Faults<br />
(Schwächen/Hindernisse/Fehler)<br />
Das fehlt; dies ist jetzt nicht gut. Hier sind Schwierigkeiten,<br />
Hindernisse, Probleme in Bezug auf ...<br />
Daran müssen wir arbeiten. Hier gibt es<br />
Probleme. Das erschwert die/das …<br />
Hier läuft es nicht rund. Das läuft<br />
unbefriedigend. Das stört uns/mich. Dies<br />
sollten wir abstellen, weil …<br />
Opportunities<br />
(Ressourcen/Möglichkeiten/Chancen)<br />
Das sind unsere Möglichkeiten. Dies sind<br />
unsere (vielleicht noch ungenutzten oder nicht<br />
ausgeschöpften) Ressourcen. Das erreicht zu<br />
haben wird gut sein. Dies sollten wir (noch<br />
mehr) nutzen. Hier sind bereits gute Ansätze<br />
vorhanden. Dies sollten wir mehr ausbauen,<br />
entwickeln, die Chancen nutzen. Hier sind<br />
Möglichkeiten vorhanden und auszubauende<br />
Ansätze für …<br />
Threats (Befürchtungen, Gefahren,<br />
Bedrohungen, Risiken)<br />
„Was passiert, wenn nichts passiert“<br />
Was passiert, wenn alles beim Alten bleibt?<br />
Hier lauern Gefahren. Da müssen wir<br />
vorsorgen. Wenn sich nichts verändert, ist zu<br />
befürchten dass ...<br />
Hier sind absehbare bedrohliche<br />
Entwicklungen, drohende Probleme in Sicht.<br />
Das droht uns, wenn wir im Bereich … nichts<br />
tun.<br />
18
3. Grundlagen der <strong>Ethikberatung</strong><br />
Ethik als Dienstleistung an Grundhaltungen, Wertvorstellungen und Handlungsprinzipien<br />
von Personen und Organisationen<br />
Baustein: Die Einstiegsfrage im Training lautet für uns: Was ist der Unterschied zwischen<br />
Moral und Ethik? (Die Ergebnisse werden auf einem Flipchart festgehalten …)<br />
Hier die Begriffe auseinanderzuhalten (bzw.<br />
die Unterschiede, um die unterschiedlichen<br />
Perspektiven und Wirklichkeiten im<br />
(beruflichen) Alltag besser nutzen zu<br />
können) ist eine Herausforderung. Unser<br />
Eindruck: ‚Ethik‘ boomt – als Begriff und in<br />
den Fortbildungsangeboten. Und: Ethik wird<br />
auch als Synonym für Moral verwendet. Hier<br />
entstehen viele Missverständnisse.<br />
Wie lässt sich das Verhältnis zwischen Moral<br />
und Ethik beschreiben?<br />
Ethik ist die (wissenschaftliche, theologischphilosophische<br />
oder einfach alltags-praktische)<br />
Reflexion auf Moral bzw. Moralen. Das<br />
heißt, es braucht eine vorfindbare Moral<br />
(Werthaltungen, Prinzipien, Normen, Leitbilder<br />
etc.), um darüber nachdenken zu<br />
können, ob es so gut ist, wie es ist. Wollen<br />
wir es so haben, wie es ist? Oder ist eine<br />
andere Wirkung, ein anderes Ergebnis<br />
wünschens- oder erstrebenswert? Ethik ist<br />
also eine Dienstleistung an der Moral bzw.<br />
zugunsten ihrer Wirksamkeit.<br />
Abb. 1: Flipchart Moral – Ethik<br />
Erny Gillen hat formuliert: Die Ethik befördert die Moral. Im Umkehrschluss bedeutet das:<br />
Ethik ersetzt nicht eine Moral und kann demnach auch nicht als Ersatz für Moral herhalten:<br />
Es braucht und geht nicht ohne explizite moralische Äußerungen und Positionierungen –<br />
die diakonisch-karitativen Einrichtungen beziehen in vielen Bereichen unseres Sozial- und<br />
Gesundheitswesens mutig Position, im Sinne eines expliziten Profils.<br />
Eine zweite Beobachtung zum aktuellen Ethikboom und zur Scheu, den Begriff der Moral<br />
zu verwenden: Viele Menschen sind der Überzeugung, ihre persönlichen Werte und<br />
Überzeugungen gingen niemanden etwas an; sie verbitten sich vehement eine<br />
Einmischung in ihre privaten Dinge. Hand in Hand mit dieser Individualisierungstendenz<br />
geht der Trend, dass es zusehens schwerer wird, gesellschaftlich Normen und Werte<br />
eindeutig zu positionieren und durchzusetzen, z. B. in der aktuellen Debatte um<br />
Sterbehilfe oder künstliche Ernährung. Als eine Konsequenz dieser Entwicklung bedauern<br />
Leitungsverantwortliche in den unterschiedlichsten Einrichtungen, dass sie nicht mehr von<br />
einer eindeutigen Wertehaltung bei den MitarbeiterInnen ausgehen können. Deshalb<br />
investieren auch die konfessionellen Einrichtungen Zeit und Geld, um durch Leitbilder und<br />
Leitlinien ihren MitarbeiterInnen, aber auch den Kunden eine gute Orientierung über<br />
Wertvorstellungen und Handlungsprinzipien, über Möglichkeiten und Grenzen zu geben. In<br />
der Regel gelingt das dann, wenn gleichzeitig auch aufgezeigt wird, wie und wo diese<br />
19
Werte und Moralen eingefordert und hinterfragt werden können oder aber wie man sich an<br />
diesen Werten auch beteiligen kann. Weil hier den Organisationen und Einrichtungen, in<br />
denen Menschen einen wesentlichen Teil ihrer Arbeits- und Lebenszeit verbringen, ein<br />
wichtiger Beitrag zur Wertebildung zukommt, haben sich hier neue ethische<br />
Reflexionsinstrumente etabliert, damit diese beabsichtigte Wirkung auch gelingt. Mit der<br />
Perspektive der Organisationsethik ist so auch eine Brücke bzw. Verbindung möglich<br />
zwischen dem Nachdenken und Reflektieren auf der Ebene des Individuums und der<br />
Gesellschaft.<br />
Baustein/Methode: Im Team der <strong>Ethikberatung</strong>, aus Anlass eines Workshops mit<br />
Leitungskräften, im Ethikbeirat (oder Ethikkomitee) eine Analyse der (gewünschten und<br />
erwarteten) Werte, Haltungen und Handlungsprinzipien für die Organisation/die<br />
Einrichtung oder das Team durchführen (erst eine Einzelarbeit, dann der gemeinsame<br />
Blick, die gemeinsame Sammlung; auf einem Flipchart zusammenschreiben: Was gilt für<br />
Individuen, was gilt in einzelnen Teams, was gilt einrichtungsweit? Eine kritische Kontrolle:<br />
Gibt es Ausnahmen, mit welcher Begründung? )<br />
In einem zweiten Schritt lassen Sie bitte zusammenstellen: Wenn es zu Unklarheiten oder<br />
einem Konflikt kommt, wie werden diese bearbeitet?<br />
- z. B. bei einem Mobbing unter MitarbeiterInnen => Betriebsrat;<br />
- z. B. bei der Beschwerde eines Bewohners/einer Bewohnerin => Beschwerdemanagement;<br />
- z. B. neue Herausforderungen => Leitbild-Konferenz.<br />
Aufgabe: Wo und wie werden in Ihrer Einrichtung derzeit Wertekonflikte zwischen<br />
BewohnerInnen, Angehörigen und dem Betreuungsteam bearbeitet bzw. gelöst?<br />
Erfahrungsaustausch: Im Alltag begegnen uns viele Fragen nach der Moral auf<br />
unterschiedlichen Ebenen:<br />
Auf der gesellschaftlichen Ebene (Sozialethik/Makroebene 2):<br />
- Was sind die Grundwerte unseres Gesundheitssystems?<br />
- In welchem Maß ist unsere Gesellschaft bereit, in die Versorgung kranker,<br />
behinderter, alter und sterbender Menschen zu investieren?<br />
- Welche christlichen Werte tragen dazu bei, die Humanität der Gesellschaft zu<br />
befördern oder zu erhalten?<br />
Auf der mittleren Ebene der Organisationen und Einrichtungen (Organisationsethik/Makroebene<br />
1)<br />
- Welche Werte und Handlungsprinzipien machen uns als christliche, diakonische<br />
Einrichtung unverwechselbar? Wie unterscheiden wir uns von anderen<br />
MitbewerberInnen auf dem Gesundheitsmarkt?<br />
- Wofür stehen wir als Pflegeeinrichtung der Diakonie? Was kann von uns erwartet<br />
werden, z. B. in der Versorgung hochaltriger, demenziell veränderter Menschen?<br />
- Welches Verhalten der Führungskräfte, der MitarbeiterInnen entspricht der Marke<br />
Diakonie, dem Profil einer diakonischen Einrichtung? Was kann unternommen<br />
werden, um diese Marke zu schützen und weiter zu befördern?<br />
Auf der Ebene der Teams und Wohnbereiche (Berufsethiken/Mesoebene)<br />
- Wie können unterschiedliche Zugänge/Berufsrollen bzw. Berufethiken zu einem<br />
gemeinsamen Teamhandeln und Entscheiden integriert werden?<br />
- Was wird im Team als gute Versorgung/Pflege/Betreuung verstanden und was ist<br />
gefährliche Pflege? Wie und wann wird das Erwünschte (bzw. das Gegenteil davon)<br />
kommuniziert?<br />
20
Auf der Basisebene (Mikroebene) spielen die persönlichen Erfahrungen, Werthaltungen<br />
und Einstellungen eine wichtige Rolle (Individualethik/Mikroebene) – auch wenn wir heute<br />
nicht mehr davon ausgehen können, dass unsere MitarbeiterInnen kirchlich oder<br />
gemeindlich sozialisiert worden sind.<br />
Bei Konflikten und in Entscheidungssituationen, in der <strong>Ethikberatung</strong> vor Ort haben wir die<br />
Erfahrung gemacht, dass es gut ist, sich auf eine Ebene zu beschränken, auf der jetzt die<br />
relevant Betroffenen entweder zusammen sind oder eingeladen werden. In der<br />
<strong>Ethikberatung</strong> vor Ort macht es wenig Sinn, sich in Themen der Gesundheitspolitik zu<br />
verlieren – da hier die EntscheidungsträgerInnen nicht erreichbar sind für eine Beteiligung.<br />
Ganz anders kann hier ein Beirat oder ein Komitee agieren: Wenn Fragestellungen in den<br />
Teams anhaltend nicht gelöst werden können werden, ist es hier möglich,<br />
Trägervertreter/Innen mit KostenträgerInnen, VertreterInnen des MDK etc. zusammen an<br />
einen Tisch zu bringen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.<br />
Abb. 2: Ziel- und Handlungsebenen in der <strong>Ethikberatung</strong> © dinges 2010<br />
Hilfreiche ethische Entscheidungsprinzipien<br />
Wie kommen wir zu praxisrelevanten Entscheidungsprinzipien? In den Alltagssituationen<br />
des Gesundheitswesens hat es sich bewährt, nicht auf so genannte Letztbegründungen<br />
zurückzugreifen, sondern die von Beauchamp und Childress vorgeschlagenen mittleren<br />
Prinzipien der Bio- bzw. Medizinethik zu verwenden. D. h. es wird im Alltag darauf<br />
verzichtet, mit moralischen Urteilen wie der Geschöpflichkeit oder Gottesebenbildlichkeit<br />
zu argumentieren, sondern es ist nach Autonomie, Nutzen, Schaden und Gerechtigkeit zu<br />
fragen.<br />
• Autonomie: Inwieweit gibt es autonome Willensäußerungen eines/einer Patient/in oder<br />
eines/einer Bewohner/in, von denen sich ein Behandlungs- oder Betreuungsauftrag<br />
ergibt oder abgeleitet werden kann?<br />
• Nutzen: Welcher Nutzen, welches Ziel soll mit einer Behandlung oder Betreuung<br />
erreicht werden?<br />
21
• Schaden: Welcher Schaden kann von einem Menschen abgewendet werden? Oder:<br />
Mit welchem geringeren Schaden wird gerechnet, um ein größeres Ziel/Nutzen zu<br />
erreichen? (z.B. Opiateinsatz zur Schmerzkontrolle ...)<br />
• Gerechtigkeit: Ist die Wahl der Mittel, der Einsatz der Ressourcen gerecht(fertigt) bzw.<br />
wird ein Vorgehen den PatientInnen, den BewohnerInnen – aber auch den Teams<br />
gerecht?<br />
Beauchamp und Childress griffen nicht irgendwelche ethische Prinzipien heraus, sondern<br />
sie zitieren drei Leitsätze, die das ärztliche Handeln und deren Berufsethik seit<br />
Jahrhunderten prägten und gestaltet haben:<br />
- primum utilis esse (Beneficence- bzw. Nutzensprinzip)<br />
- primum non nocere (Nonmaleficence- bzw. Schadensprinzip)<br />
- voluntas aegroti suprema lex (Autonomy- bzw. Autonomieprinzip)<br />
Wie sehr die alte Auswahl (aber auch die heutige!) einem bestimmten Kontext und einer<br />
zeitgeschichtlichen Verfasstheit geschuldet war und ist, zeigen zwei wesentliche<br />
Unterschiede: Das alte Prinzipienset berücksichtigte die Gerechtigkeit noch nicht als ein<br />
Entscheidungskriterium; dafür wurde auf das Heil (= Religiöses Leitmotiv) der PatientInnen<br />
verwiesen: salus aegroti suprema lex.<br />
Wir werden im Folgenden vorschlagen, in der Altenhilfe bzw. in den Begleitungen am<br />
Lebensende weitere Prinzipien wie z. B. die Fürsorge, Subsidiarität oder die Achtung<br />
der Würde stärker zu berücksichtigen (vgl. die Ausführungen/Fragestellungen auf den<br />
Arbeitsblättern). Darüber hinaus verweisen wir auf die Vielzahl der ethischen Einführungen<br />
im Bereich der Medizin- und Pflegeethik.<br />
Wo liegt der<br />
Konflikt?<br />
Welche<br />
Frage<br />
stellt sich?<br />
Abb. 3: Ethische Prinzipien in der <strong>Ethikberatung</strong> © dinges 2010<br />
Erfahrungsaustausch: Die ethischen Prinzipien dienen im Pflegealltag dazu, von einem<br />
Unbehagen (ethisch/moralisch) in einer Konflikt- bzw. Entscheidungssituation zu einer<br />
Reflexion, einer begründeten Einschätzung und in der Folge auch zu einer<br />
entsprechenden Argumentation zu kommen. Die mittleren Prinzipien begründen und<br />
22
argumentieren alltags- und entscheidungsnah, weshalb wir etwas tun oder lassen. Dabei<br />
beobachten und beachten wir, dass es hier nicht um (endgültige) moralische Urteile,<br />
Weltanschauungen oder Sinnzuschreibungen geht; die ethischen Einschätzungen und<br />
Empfehlungen in der <strong>Ethikberatung</strong> begründen keine endgültigen Wahrheiten, sondern<br />
eine Entschiedenheit in einer bestimmten Situation und Konstellation – dies aber möglichst<br />
im Dialog oder gar Konsens, wenigstens jedoch in wertschätzender und gewaltfreier<br />
Kommunikation.<br />
Im Training, aber auch in der einzelnen <strong>Ethikberatung</strong> haben wir gute Erfahrungen damit<br />
gemacht, die mittleren ethischen Prinzipien bzw. ihre aktuelle, konflikthafte Verwobenheit<br />
sichtbar zu machen. Eine Erfahrung ist dabei, dass vielleicht im Konfliktpaar Autonomie<br />
versus Fürsorge, das auch die Anfrage ausgelöst hatte, aktuell weder ein Konsens noch<br />
eine Lösung zu finden ist. Blicken wir dann auf mögliche Ziele, Handlungsmöglichkeiten<br />
und deren Folgen und legen wir darüber die Folie eines möglichen Nutzens oder<br />
Schadens, werden wir entscheidungs- und in der Folge handlungsfähig (vgl. Arbeitsblatt<br />
2: Ethische Prinzipien).<br />
Organisationsethische Prinzipien und Aufmerksamkeiten<br />
<strong>Ethikberatung</strong> ist Intervention: <strong>Ethikberatung</strong> auf der Ebene eines Ethikbeirats nimmt ja<br />
über der Perspektive einer individuellen, einzelnen Geschichte auch Zusammenhänge<br />
und Rahmenbedingungen in einem Team oder einer Einrichtung wahr und reflektiert<br />
diese, um mit Richtlinien und/oder Empfehlungen Orientierung über den Einzelfall hinaus<br />
zu schaffen. In diesen Reflexionen wird deutlich, wie sehr <strong>Ethikberatung</strong> Beratung der<br />
Leitungen und ihrer Verantwortlichkeiten ist. Und weil jede Beratung auch eine Intervention<br />
ist, sind diese einerseits behutsam und bewusst zu gestalten; zum anderen<br />
möchte die Beratung die Entscheidungskompetenz Einzelner, von Teams und<br />
Führungsverantwortlichen stärken.<br />
Erfahrungsaustausch: Der Leitsatz für uns lautet: Wir intervenieren nicht in die<br />
Zusammensetzung eines Teams, noch wissen wir besser, wie eine Praxis oder eine<br />
Lösung aussehen soll. <strong>Ethikberatung</strong> interveniert idealerweise in das Verhältnis eines<br />
Teams bzw. einer bestimmten Gruppe, die um eine Entscheidung ringt, zu einer<br />
erwünschten, angestrebten oder unerwünschten Praxis.<br />
Abb. 4: Intervention im <strong>Ethikberatung</strong>sprozess © dinges 2010<br />
23
Aus der Beratungspraxis möchten wir dazu das Modell der Interventionsebenen 21 zur<br />
Verfügung stellen, verbunden mit dem Leitsatz: Interveniere/verändere nur so tief wie<br />
notwendig – nicht so tief wie möglich. Dahinter steht die Erfahrung, auch aus den<br />
unterschiedlichen Therapieansätzen, dass Änderungen in der Arbeitsorganisation, in der<br />
Aufgabenstellung und in der Rollenbeschreibung ein Problem nachhaltiger lösen helfen als<br />
der Versuch, auf der Ebene der Werte und Normen oder gar der Persönlichkeit direkt eine<br />
Veränderung zu erzielen. Können Menschen jedoch in der klar strukturierten und<br />
orientierten Umgebung arbeiten und entscheiden, sind sie viel eher geneigt, auch die<br />
expliziten Organisationswerte z. B. einer konfessionellen Einrichtung zu übernehmen.<br />
Abb. 5: Modell der Interventionsebenen nach Berg/Schmidt © dinges 2010<br />
Durch <strong>Ethikberatung</strong> werden auch die Organisationswerte bzw. die Organisationskultur<br />
der Einrichtungen sichtbar. Der Haltung der Führungskräfte kommt hierbei eine wichtige<br />
Funktion der Vorbildwirkung zu: Gerade wenn von der MitarbeiterInnen eine bestimmte<br />
Haltung und ein entsprechendes Verhalten gefordert wird, hängt an der gelebten<br />
Spiritualität ein großes Maß an Glaubwürdigkeit. Normen und Regeln gelten für Alle;<br />
Vorgeben und Vorleben entscheiden über die Wirksamkeit. <strong>Ethikberatung</strong> reflektiert nicht<br />
nur diese Vertikale; wir werden in der <strong>Ethikberatung</strong> immer wieder damit konfrontiert, dass<br />
die Vertikale zwischen Halt und Haltung (vgl. Abb. 6) instabil wird: MitarbeiterInnen, die<br />
andere halten sollen, in der Pflege, in der Begleitung brauchen selbst auch Halt: Gerade in<br />
der Altenhilfe braucht es Aufmerksamkeit für die MitarbeiterInnen-Gesundheit und deren<br />
Förderung. Förderliche Rahmenbedingungen erleichtern die Arbeit in der Altenhilfe und<br />
sind zugleich Ausdruck von Wertschätzung und Anerkennung.<br />
21 Weitere Hinweise: Dinges Stefan (2008), Ethik in der Organisation Krankenhaus – Intervention und<br />
Innovation.<br />
24
Abb. 6: Mehrdimensionale Organisations- und Führungskultur © dinges 2010<br />
Im Hinblick auf die Mitarbeitergesundheit der MitarbeiterInnen kommen auch für die<br />
<strong>Ethikberatung</strong> zwei wichtige Themen in den Fokus, die für eine umfassende Begleitung<br />
am Lebensende wichtig sind: Gesundheitsförderung und Lebensqualität – zwei<br />
Themenbereiche, die regelmäßig auftauchen. Als Projektidee haben wir dies an anderem<br />
Ort neu zusammengestellt und in einem Trainingsprojekt 22 umgesetzt.<br />
Abb. 4: Projektidee Lebensförderung in der Altenhilfe © dinges&straub 2010<br />
22 Projekt Viriditas gemeinsam mit der Martin Luther-<strong>Stiftung</strong>, Hanau, eingereicht zur Förderung bei ESF<br />
Rückenwind.<br />
25
Arbeitsblätter/Materialien zu Kapitel 3<br />
Arbeitsblatt: Ethische Prinzipien und die sich daraus ableitenden Spannungsfelder und<br />
Konflikte<br />
Arbeitsschritte:<br />
1. Bitte ordnen Sie die Themen und Anliegen, die in einer Anfrage enthalten sind, den<br />
folgenden Prinzipien zu und ergänzen Sie diese ggf.<br />
2. Welche Prinzipien sind aktuell für die Bearbeitung der Anfrage förderlich oder<br />
hinderlich?<br />
3. Welche Prinzipien sind in der Anfrage konflikthaft miteinander verknüpft?<br />
4. Welche Prinzipien können für eine Lösung gestärkt/betont werden?<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
26
Arbeitsblatt 2: Prinzipien und prozess-eröffnende Fragen zur Bearbeitung ethischer<br />
Dilemmata am Ende des Lebens<br />
I. (Mittlere) Prinzipien der Medizinethik (Beauchamp/Childress, 1979)<br />
1. Respekt vor der Autonomie Welche Anliegen/Wünsche sind Ausdruck<br />
von wessen Autonomie?<br />
2. Nicht-Schaden Was wäre aus Sicht des/der Betroffenen<br />
ein Schaden?<br />
3. Gutes tun, Fürsorge Was sind relevante Werte/Güter für<br />
den/die Betroffene/n?<br />
4. Gerechtigkeit Wem gilt es gerecht zu werden, welche<br />
Rechte sind zu berücksichtigen?<br />
Prinzipien der Pflegeethik (nach M. Rabe)<br />
1. Würde des Menschen Wie können Beteiligte gewürdigt werden?<br />
2. Fürsorge für den pflegebedürftigen Menschen Inwiefern unterstützt unsere Sorge<br />
Teilhabe/Autonomie?<br />
3. Autonomie (Selbstbestimmung) des<br />
pflegebedürftigen Menschen<br />
Was könnte es legitimieren, diese Autonomie<br />
einzuschränken?<br />
4. Gerechtigkeit Balance unterschiedlicher Rechte, miteinander<br />
zurecht kommen ...<br />
5. Verantwortung gegenüber dem pflegebedürftigen Menschen und<br />
gegenüber der Gesellschaft<br />
6. Dialog mit dem pflegebedürftigen Menschen, dem Team,<br />
den Angehörigen, mit Betreuer/innen und anderen<br />
Bezugspersonen<br />
Ethisch relevante Palliative Care – Prinzipien<br />
1. Sind alle relevanten Aspekte eines mehrdimensionalen Menschenbildes (physio-psycho-sozialspirituell-kulturell)<br />
berücksichtigt bzw. im Blick?<br />
2. Ist dies durch eine eingeübte und routinierte interprofessionelle und interdisziplinäre<br />
Zusammenarbeit innerhalb des Versorgungskontextes und über seine Grenzen hinaus gedeckt?<br />
3. Ist eine ausreichende Schmerztherapie/Symptomkontrolle gewährleistet? Ist dabei ein erweiterter<br />
Bilck auf den Schmerzbegriff („total pain“-Konzept) eingeübt?<br />
4. Ist gesichert: Keine unnötige Verlängerung oder Verkürzung des Lebens?<br />
5. Sind die medizinisch/pflegerischen Indikationen für weitere Diagnosen und Behandlungen im Blick?<br />
6. Ist die relevante Unterstützung im multiprofessionellen Team (incl. Frage nach dem Einsatz von<br />
Ehrenamtlichen) vorhanden bzw. organisiert?<br />
7. Mit welchem Nutzen können andere Einrichtungen und/oder Kompetenzen in die Versorgung<br />
einbezogen werden?<br />
8. Kann „ambulant vor stationär“ in dieser Situation als generelles Versorgungsprinzip zum Tragen<br />
kommen?<br />
27
Standards für <strong>Ethikberatung</strong> in Einrichtungen des Gesundheitswesens<br />
Herausgegeben vom Vorstand der Akademie für Ethik in der Medizin e. V.<br />
Kontaktadresse:<br />
Akademie für Ethik in der Medizin e. V.<br />
Humboldtallee 36<br />
37073 Göttingen<br />
Tel.: 0551 / 39-9680<br />
E-Mail: vorstand@aem-online.de<br />
<strong>Ethikberatung</strong> ist ein in Deutschland relativ neuer Ansatz zur Verbesserung der Qualität der<br />
Versorgung von kranken und pflegebedürftigen Menschen. Entsprechende Strukturen wie z. B.<br />
Ethik-Komitees, Ethik-Konzile oder Ethik-Foren werden von immer mehr Krankenhäusern sowie<br />
Alten- und Pflegeeinrichtungen eingerichtet. Auch bei der Zertifizierung von<br />
Gesundheitseinrichtungen wird <strong>Ethikberatung</strong> zunehmend als ein wichtiges Qualitätskriterium<br />
nachgefragt.<br />
Vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung von <strong>Ethikberatung</strong> hat die Arbeitsgruppe<br />
„<strong>Ethikberatung</strong> im Krankenhaus“ in der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) die<br />
nachfolgenden Standards für <strong>Ethikberatung</strong> in Einrichtungen des Gesundheitswesens entwickelt.<br />
Sie beschreiben die Qualitätskriterien und Basisanforderungen, denen jede Form der<br />
<strong>Ethikberatung</strong> genügen sollte. Die Standards wurden vom Vorstand der AEM am 24. Februar 2010<br />
verabschiedet.<br />
1. Ziele und Aufgaben<br />
<strong>Ethikberatung</strong> dient der Information, Orientierung und Beratung der verschiedenen an der<br />
Versorgung beteiligten bzw. davon betroffenen Personen (z. B. Mitarbeitende und Leitung der<br />
Einrichtung, PatientInnen/BewohnerInnen, deren Angehörige und StellvertreterInnen). Zum<br />
Gelingen dieses Beratungsangebots sind klare Ziele und Aufgaben erforderlich.<br />
Allgemeine Ziele von Ethik in Einrichtungen des Gesundheitswesens sind:<br />
• die Sensibilisierung für ethische Fragestellungen,<br />
• die Vermittlung von medizin- und pflegeethischem Wissen,<br />
• die Erhöhung der Kompetenz im Umgang mit ethischen Problemen und Konflikten.<br />
Spezifische Ziele von <strong>Ethikberatung</strong> in Einrichtungen des Gesundheitswesens sind:<br />
• die Unterstützung eines strukturierten Vorgehens bei ethischen Konflikten,<br />
• die Verbesserung der Sprachfähigkeit und kommunikativen Kompetenz bei ethischen Konflikten,<br />
• die systematische Reflexion über ethische Fragestellungen und Konflikte,<br />
• die Umsetzung allgemeiner moralischer Werte (z. B. Menschenwürde, Autonomie,<br />
Verantwortung, Fürsorge, Vertrauen) und spezifischer Werte der jeweiligen Einrichtung, die u. a. in<br />
Leitbildern und professionsspezifischen Traditionen verkörpert sind, in reflektiertes Handeln,<br />
• Lösungswege bei Konflikten zwischen unterschiedlichen individuellen und/oder institutionell<br />
gefassten Werten und Moralvorstellungen zu suchen und durch gemeinsame Reflexion zu<br />
tragfähigen Entscheidungen zu gelangen und diese umzusetzen.<br />
Ziel ist es letztlich, Entscheidungsprozesse hinsichtlich ihrer ethischen Anteile transparent zu<br />
gestalten und an moralisch akzeptablen Kriterien auszurichten, d. h. „gute Entscheidungen“ in<br />
„guten Entscheidungsprozessen“ zu treffen. Dabei zielt <strong>Ethikberatung</strong> auf die Stärkung der<br />
ethischen Kompetenz vor Ort. Sie trägt zur Qualitätssicherung in der Versorgung von<br />
PatientInnen/BewohnerInnen bei.<br />
Die Aufgaben der <strong>Ethikberatung</strong> in Einrichtungen des Gesundheitswesens, deren Umsetzung in<br />
Abschnitt 3 beschrieben wird, umfassen u. a.:<br />
28
• die Durchführung individueller ethischer Fallbesprechungen (Ethik-Fallberatung),<br />
• die Erstellung von internen Leitlinien bzw. Empfehlungen (Ethik-Leitlinien) sowie<br />
• die Organisation von internen und öffentlichen Veranstaltungen zu medizin- und pflegeethischen<br />
Themen (Ethik-Fortbildung).<br />
2. Implementierung und Organisation<br />
a) Verhältnis zu Leitungsebene und Institution<br />
Voraussetzungen für eine erfolgreiche <strong>Ethikberatung</strong> sind die Verankerung in der Mitarbeiterschaft<br />
und die Unterstützung durch die Leitungsebene (Top-down- und Bottom-up-Prinzip). So erfolgt<br />
eine Berufung der Mitglieder eines Gremiums zur <strong>Ethikberatung</strong>, wie z.B. eines Ethik-Komitees,<br />
durch die Leitungsebene. In diesem Zusammenhang sind Dienstzeitregelungen, Ausstattung und<br />
Budget zu klären. Einrichtungsinterne Leitlinien, die von der <strong>Ethikberatung</strong> erarbeitet wurden,<br />
müssen durch die Leitungsebene bestätigt und umgesetzt werden.<br />
<strong>Ethikberatung</strong> ist in ihren Inhalten und in der Gestaltung des vereinbarten Vorgehens nicht<br />
weisungsgebunden. <strong>Ethikberatung</strong> ist aber Teil der Organisation und handelt folglich in einem<br />
strukturellen Kontext. <strong>Ethikberatung</strong> berücksichtigt den strukturellen Rahmen und gestaltet diesen<br />
durch ihre spezifische Dienstleistung mit. Deshalb arbeitet <strong>Ethikberatung</strong> – nach einer<br />
differenzierenden Analyse – auf eine Integration in die Abläufe und Entscheidungsstrukturen in der<br />
Einrichtung hin. Zugleich bleibt sie (qua Auftrag und Geschäftsordnung) ein kritisches Gegenüber<br />
und steuert zu konfliktbeladenen, individuellen Verläufen eine relevante Außenperspektive bei. Es<br />
ist eine besondere Herausforderung der <strong>Ethikberatung</strong>, eine angemessene Balance zwischen<br />
institutioneller Einbindung und Unabhängigkeit herzustellen.<br />
Leitung und Mitarbeiter der Einrichtung werden regelmäßig über die Aktivitäten der <strong>Ethikberatung</strong><br />
informiert.<br />
b) Strukturelle und personelle Voraussetzungen<br />
Für ein Gremium zur <strong>Ethikberatung</strong> ist eine Satzung und/oder Geschäftsordnung erforderlich. Die<br />
Satzung regelt die Bezeichnung des Gremiums, seine inhaltliche Unabhängigkeit, die Ziele und<br />
Aufgaben (s. o.), seine Zusammensetzung, den Modus der Berufung, Berichts- und<br />
Dokumentationspflichten (s. u.) und die Struktur des Gremiums.<br />
Die Zusammensetzung des Gremiums ist geeignet, die Zielsetzung zu erreichen und die Aufgaben<br />
angemessen zu erfüllen. Das Gremium ist multiprofessionell besetzt und besteht – je nach Größe<br />
der Einrichtung – aus fünf bis 20 Mitgliedern aus verschiedenen Bereichen und Hierarchieebenen.<br />
Erforderlich sind Mitglieder mit ärztlicher, pflegerischer und medizin- bzw. pflegeethischer<br />
Ausbildung. Anzustreben ist darüber hinaus die Mitgliedschaft von Menschen mit einem<br />
juristischen, seelsorgerlichen/religiösen, psycho-sozialen und administrativen beruflichen<br />
Hintergrund. Wünschenswert ist zusätzlich eine PatientInnen- bzw. BewohnerInnenperspektive,<br />
die durch PatientInnen- oder HeimfürsprecherInnen, Mitglieder von Selbsthilfegruppen, die<br />
Krankenhaushilfe oder durch engagierte BürgerInnen eingenommen wird.<br />
Erforderliche Qualifikationen für Mitglieder eines Gremiums zur <strong>Ethikberatung</strong> sind kommunikative<br />
und diskursive Kompetenzen, zeitliche Verfügbarkeit und eine entsprechende Weiterbildung. Die<br />
Berufung der Mitglieder erfolgt durch die Leitung der Einrichtung für eine Amtsperiode von<br />
mindestens zwei Jahren. Da personelle Kontinuität, Vertrauen und praktische Erfahrung wichtig für<br />
den Erfolg von <strong>Ethikberatung</strong> sind, sollte eine erneute Berufung möglich sein.<br />
Das Gremium wählt einen Vorsitz/Vorstand, der Sitzungstermine festlegt, zu Sitzungen einlädt,<br />
eine Tagesordnung erstellt, die Sitzungen leitet, das Budget verwaltet und das Gremium nach<br />
außen vertritt.<br />
29
3. Umsetzung und Ausgestaltung der Aufgaben<br />
<strong>Ethikberatung</strong> identifiziert Probleme und Konflikte in einer Einrichtung und trägt dazu bei, diese<br />
Probleme und Konflikte möglichst einvernehmlich zu lösen und die erarbeitete Lösung praktisch<br />
umzusetzen. Dies gilt für alle im Folgenden näher spezifizierten Aufgaben.<br />
a) Durchführung individueller ethischer Fallbesprechungen (Ethik-Fallberatung): Ethik-<br />
Fallberatungen dienen der Unterstützung in schwierigen Entscheidungs- bzw.<br />
Behandlungssituationen. Sie können von allen an der Entscheidung bzw. Behandlung Beteiligten<br />
beantragt werden (z.B. Mitarbeitende aus den verschiedenen Berufsgruppen,<br />
PatientInnen/BewohnerInnen, deren Angehörige und StellvertreterInnen). Grundsätzlich ist<br />
zwischen Einzelberatungen (z.B. bei individueller Gewissensnot) und gemeinsamen<br />
Fallbesprechungen auf der Station bzw. im Wohnbereich zu unterscheiden. Bei gemeinsamen<br />
Fallbesprechungen ist zu klären, wer an der Beratung teilnehmen soll und wer über diese zu<br />
informieren ist. Eine Einbeziehung des/der Patient/in bzw. des/der Bewohner/in ist anzustreben.<br />
Darüber hinaus sollte geregelt sein, in welchen Fällen eine Zustimmung des/der Patient/in bzw.<br />
des/der Bewohner/in zur Ethik-Fallberatung einzuholen ist.<br />
Die Ethik-Fallberatung findet in einem geschützten, störungsfreien Rahmen statt. Die gesetzlichen<br />
Bestimmungen zum Datenschutz und zur Einhaltung der Schweigepflicht sind zu beachten. Das<br />
Beratungsgespräch wird von einem Mitglied des Gremiums zur <strong>Ethikberatung</strong> moderiert; die<br />
Orientierung an einem Moderationsleitfaden ist sinnvoll. Da die Ethik-Fallberatung ein Prozess ist,<br />
sind Folgeberatungen möglich. Bei der organisatorischen Planung ist die Zeit für die Durchführung<br />
sowie für die Vor- und Nachbereitung der Ethik-Fallberatung zu berücksichtigen.<br />
Bei einer Ethik-Fallberatung verbindet sich Moderationskompetenz mit ethischer Expertise.<br />
Aufgabe der Berater ist es einerseits, alle für die Bewertung des Falles erforderlichen Details<br />
sichtbar zu machen und allen Anwesenden Raum zur Beteiligung zu geben, andererseits die<br />
ethischen Fragen herauszuarbeiten und die Möglichkeiten des weiteren Vorgehens nach ethischen<br />
Kriterien zu gewichten. Für das weitere Vorgehen sind die theoretischen Aspekte und die realen<br />
Gegebenheiten abzuwägen, so dass die Verantwortlichen das weitere Vorgehen festlegen und in<br />
Handlung umsetzen können. Ein Konsens ist anzustreben; dieser ist erreicht, wenn alle an der<br />
Fallberatung Beteiligten die vorgeschlagene Lösung mittragen und gemeinsam verantworten<br />
können.<br />
Das Ergebnis einer Fallberatung wird dokumentiert.<br />
b) Erstellung von internen Leitlinien bzw. Empfehlungen (Ethik-Leitlinien)<br />
Ethik-Leitlinien sind Handlungsempfehlungen, die sich aus immer wiederkehrenden Situationen<br />
z. B. Umgang mit Patientenverfügungen, Legen einer PEG-Sonde, Wiederbelebung,<br />
Therapiezieländerung, Umgang mit Zeugen Jehovas) ableiten und die als Orientierungshilfe für<br />
Einzelfallentscheidungen dienen. Ihre Erarbeitung richtet sich thematisch nach dem in der<br />
Einrichtung bestehenden Bedarf.<br />
Ethik-Leitlinien werden durch Mitglieder des Gremiums zur <strong>Ethikberatung</strong> themenbezogen unter<br />
Einbeziehung von sachkundigen Personen aus der Einrichtung oder von außerhalb erarbeitet. Sie<br />
müssen den gesetzlichen Vorschriften sowie dem wissenschaftlichen Standard entsprechen und<br />
daher regelmäßig aktualisiert werden. Ethik-Leitlinien werden von der Leitung der Einrichtung<br />
verabschiedet.<br />
c) Organisation von Veranstaltungen zu medizin- und pflegeethischen Themen (Ethik-Fortbildung)<br />
Ethik-Fortbildungen dienen der Sensibilisierung für ethische Fragestellungen, der Vermittlung von<br />
ethischem Wissen und der Erhöhung der Kompetenz im Umgang mit ethischen Problemen und<br />
Konflikten. Zielgruppen sind u. a. die Mitarbeitenden der Einrichtung, die<br />
PatientInnen/BewohnerInnen und deren Angehörige sowie die interessierte Öffentlichkeit.<br />
30
Das Gremium zur <strong>Ethikberatung</strong> klärt in Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen für die<br />
Innerbetriebliche Fortbildung oder einer ggf. vorhandenen Bildungseinrichtung den Bedarf an<br />
Ethik-Fortbildungen hinsichtlich der erforderlichen Inhalte und Methoden und regelt bzw.<br />
koordiniert deren Organisation. Die Durchführung kann durch Mitglieder der <strong>Ethikberatung</strong> oder<br />
durch andere geeignete Personen (z. B. andere Mitarbeitende der Einrichtung, externe<br />
ExpertInnen) erfolgen.<br />
Das Spektrum von Ethik-Fortbildungen kann von themenbezogenen Teambesprechungen bis hin<br />
zu öffentlichen Veranstaltungen (z. B. Ethik-Tag, Patientenforum) reichen.<br />
4. Dokumentation und Evaluation<br />
Die verschiedenen Aktivitäten der <strong>Ethikberatung</strong> werden in geeigneter Weise dokumentiert und<br />
zum Zweck der Qualitätssicherung fortlaufend evaluiert. Ein regelmäßiger (z. B. jährlicher)<br />
Tätigkeitsbericht wird erstellt, der Leitung und den MitarbeiterInnen bekannt gemacht und mit<br />
diesen diskutiert.<br />
Die Ergebnisse einer Ethik-Fallberatung, die konkrete Auswirkungen auf die weitere Behandlung<br />
oder Betreuung des/der Patient/in bzw. des/der Bewohner/in haben, sind schriftlich in den<br />
Krankenunterlagen zu dokumentieren. Eine Kopie der Dokumentation wird unter Berücksichtigung<br />
datenschutzrechtlicher Vorgaben vom Gremium zur <strong>Ethikberatung</strong> zur Absicherung der an der<br />
Besprechung Beteiligten sowie für die Evaluation aufbewahrt.<br />
Die Dokumentation der Ethik-Fallberatung sollte sich weitgehend auf einen Ergebnisbericht<br />
beschränken, wobei der Schwerpunkt auf der ethischen Begründung für die gewählte<br />
Handlungsoption bzw. Vorgehensweise liegt.<br />
Im Sinne der Qualitätssicherung von <strong>Ethikberatung</strong> empfiehlt es sich, das Ergebnis einer Ethik-<br />
Fallberatung – z. B. in der nächsten Sitzung des Gremiums zur <strong>Ethikberatung</strong> –<br />
nachzubesprechen.<br />
31
4. Modelle der <strong>Ethikberatung</strong> und ihre Einsatzmöglichkeiten<br />
Im ersten Kapitel haben wir bereits einen Überblick über die Modelle in der <strong>Ethikberatung</strong><br />
gegeben; das Geheimnis des Erfolges besteht unserer Meinung nach bei jedem Modell<br />
• in der klaren und bekannten Strukturierung eines Gesprächs- und Auseinandersetzungsprozesses;<br />
• in einer wie auch immer gearteten inneren Logik und Abfolge: erst die Frage, dann die<br />
Antwort, Problembeschreibung, mögliche Lösungswege erkennen, Entscheidung für<br />
eine plausiblen, gewünschten Lösungsweg;<br />
• durch eine überparteiliche Moderation, die VielrednerInnen bremst (und z. B. deren<br />
Position am Flipchart festhält) und SchweigerInnen ermutigt und in den Prozess<br />
einbezieht (mehr zur Moderationskompetenz in Kapitel 4).<br />
Je nach Moderationserfahrung und Übung werden sich in Teams und Einrichtungen<br />
Lieblingsmodelle bzw. Mischungen daraus herauskristallisieren. Einer Modellgläubigkeit<br />
(d. h. bei uns wird nur nach diesem oder jenem Modell vorgegangen/moderiert!), der wir<br />
mancherorts begegnet sind, können wir wenig abgewinnen.<br />
Ein Urmodell 23 :<br />
Kurzfassung des Schemas zur ethischen Urteilsfindung nach Tödt<br />
Problemanalyse<br />
erste Gefühle nennen / die Befindlichkeit wahrnehmen<br />
eigene Vorurteile erkennen und benennen<br />
erste, spontane Fragen sammeln<br />
das Problem genau definieren und benennen<br />
Situationsanalyse<br />
Informationen zur Sache einholen / Wissen erweitern<br />
Beispiele und Fälle sammeln und vergleichen<br />
Weitere Informationen sammeln – offene Fragen benennen<br />
Entscheidungsanalyse<br />
Entscheidungen und Lösungen zum Problem kennenlernen<br />
vergleichbare Fälle diskutieren<br />
mögliche Werte und Normen zum Fall sammeln und diskutieren<br />
Anwendung<br />
Werte und Normen (Kriterien) ordnen – ein Urteil anbahnen<br />
Diskussion dieser Kriterien<br />
ein Urteil wagen<br />
das Urteil auf die Ausgangsfrage anwenden<br />
die Lösung an der Berufswirklichkeit überprüfen<br />
23 Tödt, Heinz Eduard (1977): Schritte der ethischen Urteilsfindung; in: Zeitschrift für evangelische Ethik<br />
21.Jhg. (1977) S.81 – 93<br />
32
Moderation nach Loewy und Raabe<br />
Auf der Grundlage dieses Urmodells haben wir in der Trainingspraxis zwei Favoriten, eine<br />
Moderation nach Loewy und Rabe.<br />
Der Medizinethiker Erich Loewy weist darauf hin, dass in der ethischen Beratung ‚nur‘<br />
einige Fragen zu stellen sind:<br />
• Wo stehen wir? (Die Frage nach dem Standort ...)<br />
• Wo wollen wir hin? (Die Frage nach den Zielen ...)<br />
• Wie kommen wir von A nach B? (Die Frage nach den Methoden und Schritten ...)<br />
Mit diesen drei Fragen ist ein einfacher Beratungsprozess gewährleistet, der von jedem<br />
und jeder zu leisten ist; als hilfreiche zusätzliche Fragen empfiehlt Loewy unbedingt zu<br />
klären, welche (ethische) Fragestellung eigentlich vorliegt und wer was zu entscheiden<br />
hat.<br />
Marianne Rabe, Pflegeethikerin und Fachfrau aus der Pflege, hat zum ersten Mal 1998 im<br />
Artikel ‚Dumm gelaufen‘ ein Modell der ethischen Situationseinschätzung vorgestellt, das<br />
in der Folge auch mehrfach überarbeitet wurde. Ihr Modell zeichnet aus, dass hier Gefühle<br />
und Verantwortung gleichermaßen angesprochen und als entscheidungsrelevant in der<br />
ethischen Beratung aufgenommen werden. Beide Modelle haben wir mit Hinweisen und<br />
der Beschreibung der einzelnen Schritte in einem Arbeitsblatt zusammengefasst.<br />
Methodenmix:<br />
Aus dem sozialpädagogischen Bereich haben die unterschiedlichsten Modelle, Strukturierungen<br />
und Vorgehensweisen in der Analyse von PatientInnen- bzw. BewohnerInnengeschichten<br />
längst in der Pflege und in der Medizin Einzug gehalten. Damit ist eine<br />
strukturierte Besprechung oftmals vertraut und eingeübt. Einen Unterschied macht dabei,<br />
dass es in der <strong>Ethikberatung</strong> eben nicht primär um eine fachliche Frage geht, wie z. B. in<br />
der Diagnosestellung oder einer Pflegeanamnese, sondern eben um eine ethische<br />
Fragestellung, die es zu erfragen und herauszuarbeiten gilt.<br />
Bekannte Typen im Überblick<br />
Typus Wann? Ziele? Form/Aufwand<br />
kollegiale Intervision sofort, bei Bedarf Einholen einer zweiten<br />
Sichtweise<br />
Hilfebedarfsplan für<br />
eine/n Bewohner/in<br />
Supervision mit Senior<br />
Professional<br />
Fallbesprechung im<br />
Team<br />
interdisziplinäre oder<br />
interprofessionelle<br />
Fallbesprechung<br />
Helferkonferenz<br />
halbjährlich, bei<br />
großen<br />
Herausforderungen<br />
anlassbezogen, bei<br />
Bedarf<br />
regelmäßig,<br />
anlassbezogen<br />
wenn eine<br />
Fachlichkeit an ihre<br />
Grenzen gerät<br />
Überprüfung und<br />
Einschätzung durch<br />
Fachkräfte<br />
Beseitigung von<br />
Unsicherheiten; Abstimmung<br />
in der Einrichtung<br />
Überprüfen und Sichern von<br />
Gemeinsamkeiten und<br />
Unterschieden im Team in<br />
Bezug auf die Alltagsarbeit<br />
Einholen von zusätzlicher<br />
Expertise<br />
Erstellen eines<br />
Gesamtkonzeptes<br />
gering, an keine<br />
Form gebunden<br />
2 Stunden<br />
15‘ – 30‘<br />
20‘ – 60‘<br />
klare<br />
Strukturierung<br />
10‘ – 20‘; in Form<br />
eines Konzils oder<br />
einer Beratung<br />
großer<br />
administrativer<br />
Aufwand<br />
33
Beispiel: Mit den Methoden lässt sich kreativ umgehen. Elemente davon können in vielen<br />
Settings eingesetzt werden. So hat der Ethikbeirat der Hilfe im Alter eine Situation<br />
retrospektiv besprochen, nachdem sie in der Einrichtung als bereinigt galt. Die Geschichte<br />
wurde von der betroffenen PDL vorgestellt (Bericht) und vom Moderator gegliedert und<br />
visualisiert. Sodann wurden alle Mitglieder des Beirats um ihre Rückmeldungen und<br />
Einfälle gebeten, wobei erneut auf die Gliederung – Modell Rabe im Hintergrund –<br />
geachtet wurde (Kommentar). In der Diskussion wurden die betroffenen Werte und<br />
Normen, die Handlungsoptionen und der tatsächliche Ausgang diskutiert (Besprechung).<br />
Schließlich wurde die PDL um ein Schlussvotum gebeten, welches Bezug auf die reale<br />
Situation, den „Lerneffekt“ dieser Runde sowie möglicher Konsequenzen nahm<br />
(Resonanz).<br />
Das Nimwegener Modell der ethischen Fall-Besprechung<br />
Den KollegInnen aus Nimwegen (Nijmegen, nl.) verdanken wir ein sehr elementarisiertes<br />
Modell, das unter einem Vierer-Schritt bekannt geworden ist:<br />
1. (Formulierung eines) Problem(s)<br />
2. Fakten<br />
3. Bewertung<br />
4. Beschlussfassung<br />
(Berücksichtigung besonderer Situationen)<br />
Bei der Formulierung des Problems sollen das Problem und die Themen möglichst konkret<br />
beschrieben werden, um dann eine Ausgangsfrage für die Moderation bzw. die<br />
Teambesprechung zu erhalten. Inhaltlich soll ein Weg von der Intuition zur Argumentation<br />
gefunden werden.<br />
Für die Faktensammlung werden vier Dimensionen vorgegeben: Medizinisch – pflegerisch<br />
– weltanschaulich – organisatorisch. Damit weitete das Nimwegener Modell das Spektrum<br />
möglicher Fakten erheblich und bezog eben schon wesentliche Inhalte und Perspektiven<br />
aus Palliative Care und Organisationsethik mit ein. Hier haben wir sprachliche<br />
Adaptierungen vorgenommen, weil z. B. ein rein organisatorischer Aspekt zu kurz greift<br />
… (vgl. Fragebogen in der Materialsammlung).<br />
Die Bewertung der Fakten orientiert sich im wesentlichen an den Perspektiven<br />
Patientenwohl – Patientenautonomie – Verantwortlichkeiten im Team.<br />
Für die Beschlussfassung ist wichtig, das moralische Problem bzw. die ethischen Fragen<br />
nochmals zu wiederholen und zu überprüfen, ob sich (welche) Veränderung im<br />
Diskussionsverlauf gefunden haben; ebenso soll auf unbekannte Aspekte bzw. offene<br />
Fragen hingewiesen werden. Die wichtigsten Argumente sind hervorzuheben, um dann<br />
Vereinbarungen zu treffen bzw. einen (erweiterten) Behandlungsplan zu erstellen.<br />
Erfahrungsaustausch: Wenn die Sprache frag-würdig wird: Menschen oder Fälle<br />
In der alltäglichen Routine stehen wir vor einem Zwiespalt, der uns in allen<br />
Versorgungskontexten begegnet: Wir wollen die Individualität von Menschen und ihren<br />
Lebensgeschichten respektieren und würdigen, reden aber dennoch täglich – und ohne<br />
groß darüber nachzudenken – von „Fällen“, von „Fallbesprechungen“ oder<br />
„Fallgeschichten“. Die Herausforderung bestünde darin, dass wir eigentlich von Fall-<br />
Geschichten sprechen sollten und damit von dem Individuum und einem allgemeinen<br />
Thema; dies lässt sich aber sprachlich und im Alltag nicht ausreichend durchhalten. So<br />
werden im täglichen Sprachgebrauch aus Menschen Fälle, das Individuelle geht verloren.<br />
34
Die darin sich niederschlagende Missachtung von individuellen Erlebnissen und<br />
Schicksalen entspricht einer routinierten Versachlichung, an die wir uns im Gesundheitsbetrieb<br />
gewöhnt haben. Sie fällt uns kaum noch auf. Überspitzt wird manchmal auf<br />
eine mögliche menschenverachtende Reduktion durch diese Sichtweise hingewiesen,<br />
manchmal wurde auf einen NS-Vergleich von Alexander Mitscherlich verwiesen 24 .<br />
Keinesfalls dürfen hierbei Verantwortliche im Gesundheitssystem einem Generalverdacht<br />
ausgesetzt werden – die Frage, die uns beschäftigt, ist, welche Reflexionsschleifen<br />
verhindern können, dass die individuellen Bedürfnisse und damit die Individualität von<br />
PatientInnen oder BewohnerInnen vergessen oder gar gekränkt werden können. Wir<br />
wollen diese Menschen ernst nehmen und sie nicht „über einen Kamm scheren“ mit<br />
anderen. Wir haben im Palliative Care gelernt, dass die radikale Patientenzentrierung uns<br />
genau vor dieser Standardisierung und Vereinheitlichung bewahrt. Wir haben in Kontexten<br />
der palliativ und ethisch orientierten Altenpflege gelernt, diese radikale Zentrierung auf<br />
individuelle Geschichten und Bedürfnisse zum Paradigma unserer Haltung und unseres<br />
Handelns zu machen. Wir betrachten und behandeln Menschen individuell und beziehen<br />
sie und ihre Wünsche in die Begleitung ein.<br />
Gleichzeitig soll aber auch auf der Ebene der Teams und der Organisationen von solchen<br />
Erlebnissen und Situationen gelernt werden. Im Sinne einer „lernenden Organisation“ ist<br />
ein Grad der Verallgemeinerung zu erreichen, der uns genau diese Individualität im<br />
Einzelfall erst ermöglicht – weil wir durch das Verallgemeinerbare vorbereitet sind. In<br />
dieser paradoxen Aufgabe der „Standardisierung von Individualität“ sind das Denken in<br />
Mustersituationen und das Lernen aus dem Gemeinsamen solcher Situationen<br />
notwendiger Alltag. Jede Situation, die wir in einer ethischen Besprechung bearbeiten, hat<br />
daher sowohl die Dimension des Einzelfalls als auch eine Strukturqualität für das gesamte<br />
Procedere.<br />
Wollen wir die organisationale Seite also nicht außer Acht lassen, müssen wir davon<br />
ausgehen, dass jede Einzelsituation auch etwas für das Ganze austrägt. In der Tat handelt<br />
es sich bei der Besprechung und Bearbeitung von individuellen Geschichten immer auch<br />
um Fall-Geschichten. Der zuvor beschriebene Zwiespalt ist ein Spannungsfeld, auf das<br />
nicht verzichtet werden kann. Wir schlagen vor, dass es für alle MitarbeiterInnen wichtig<br />
wird, sich der eigenen Sprache und Terminologie kritisch bewusst zu sein und zumindest<br />
den Begriff der Fallbesprechung wenn nicht zu vermeiden, so doch des öfteren durch<br />
andere, das Individuum und seine Geschichte und Bedürfnisse betonende Begrifflichkeiten<br />
zu ersetzen. Da kann zu einer „ethischen Situationsbesprechung“ oder zu einem Runden<br />
Tisch eingeladen werden; wir können eine Bewohner/in-Situation in einer Teambesprechung<br />
in den Fokus nehmen; ich kann eine Situationsanalyse dokumentieren oder<br />
eine Ethikrunde protokollieren. All dies wird im Bewusstsein der Beteiligten immer die<br />
Funktion der vertrauten „Fallbesprechung“ haben, aber sie muss nicht ständig so genannt<br />
werden! Wir schlagen vor, mit der Wortwahl zu spielen und sie bewusst wechselnd<br />
einzusetzen.<br />
24 „Es ist fast dasselbe, ob man den Menschen als „Fall“ siehe, oder als Nummer, die man ihm auf den Arm<br />
tätowiert – doppelte Antlitzlosigkeit einer unbarmherzigen Epoche. Nur die geheime Übereinstimmung der<br />
Praxis von Wissenschaft und Politik kann erklären, wieso in diesem Prozess unablässig die Namen von<br />
Männern hohen wissenschaftlichen Ranges fallen, die vielleicht unmittelbar keine Straftat begingen, aber<br />
doch objektives Interesse genug an all dem nahmen, was wehrlosen Menschen als grausames Geschick<br />
zustieß“. Alexander Mitscherlich, Fred Mielke: Das Diktat der Menschenverachtung. Der Nürnberger<br />
Ärzteprozeß und seine Quellen; Lambert Schneider, Heidelberg 1947; S. 12<br />
35
Arbeitsblätter/Materialien zu Kapitel 4<br />
Folienvorlage: Modell der ethischen Beratung nach E. Loewy<br />
Vorklärung<br />
„Wer ist wie betroffen?“<br />
„Wer hat was zu entscheiden?“<br />
„Wer ist wofür verantwortlich?“<br />
Feststellung<br />
Was ist die ethische Fragestellung hier und heute?<br />
Moderation entlang von:<br />
drei zentralen Fragen:<br />
„Wo stehen wir?“<br />
Standort / Ausgangspunkt<br />
„Wo wollen wir hin?“<br />
Ziel(e)<br />
„Wie kommen wir am besten von A nach B?“<br />
Methoden<br />
Umsetzung:<br />
Wie sind die Antworten auf die ethische Fragen ...<br />
... und wie gehen wir damit um?<br />
t: Kluwer Academic Publishers. S. 255 – 264<br />
36
Arbeitsblatt 2: Kurzfassung Moderationsmodelle<br />
I. <strong>Ethikberatung</strong> nach Erich Loewy:<br />
A. Wo stehen wir? (Was ist passiert? Was sind die Fakten?) Standortbestimmung<br />
B. Wo wollen wir hin? Zielfindung<br />
C. Wie kommen wir von A nach B? Methodenwahl & Verantwortung<br />
II. Modell der ethischen Situationseinschätzung nach Marianne Rabe<br />
berücksichtigt besonders die Emotionen/Belastungen von Pflegesituationen: Gefühle<br />
werden besprechbar, ohne den Anspruch, sie zu bearbeiten (=> Supervision/Therapie), es<br />
kommt zur Verantwortungsübernahme innerhalb von Zuständigkeiten/Berufsrollen.<br />
Reflexion in 3 Schritten:<br />
1. Betrachtung der Situation<br />
2. Betrachtung der Handlungsmöglichkeiten und Handlungsfolgen<br />
3. Begründete Situationseinschätzung unter Einbeziehung ethischer Prinzipien<br />
1. Betrachtung der Situation (1/3 der Zeit!)<br />
Ausdrücken der eigenen Betroffenheit (Gefühle, Unbehagen, Unsicherheit, Unzufriedenheit),<br />
zugleich können Verantwortlichkeiten aus unterschiedlichen Rollen eingebracht<br />
werden: Die Moderation leitet eine Runde ein, in der alle Anwesenden ihre Gefühle<br />
aussprechen können, mit der Phrase: „Es macht mich betroffen, dass ... Womit bin ich<br />
unzufrieden? Warum? Bin ich verletzt worden? Durch wen oder was?“ Die Artikulation der<br />
Emotionen kann die dahinterliegenden Bedürfnisse sichtbar machen, die bei der<br />
Konfliktlösung zu berücksichtigen sind. Mit einer anderen Phrase („Es (be)trifft mich, ...“)<br />
können unterschiedliche Verantwortlichkeiten/Zuständigkeiten/Beteiligungen artikuliert<br />
werden: „Es betrifft mich als Stationsleitung/als Mutter/Tochter etc. …“<br />
Andere, nicht anwesende Betroffene und ihre Sichtweisen bzw. Beteiligungen: Wer<br />
noch zu informieren/involvieren ist … Was sind deren Bedürfnisse/Interessen/Positionen?<br />
Diese Perspektiven gilt es, in der Folge zu verifizieren …<br />
Versuchen, „in den Schuhen der anderen zu stehen“, keine vorschnellen Urteile und<br />
Schuldzuweisungen. Es bringt mich nicht weiter, wenn ich den anderen von vornherein<br />
unlautere Motive unterstelle!<br />
„Sich in eine andere Person hineinversetzen zu können, ist Voraussetzung für moralisches<br />
Handeln“ (J. Nida-Rümelin).<br />
2. Betrachtung der Handlungsmöglichkeiten und ihrer Folgen (1/3 der Zeit!)<br />
Welche alternativen Handlungsmöglichkeiten hätte es gegeben? (gibt es – auch<br />
„unmögliche“?) Jeweilige Folgen durchspielen! Jede Handlungsoption kann mehrere<br />
verschiedene Folgen haben.<br />
3. Begründete Situationseinschätzung unter Einbeziehung ethischer Prinzipien (1/3<br />
der Zeit!)<br />
• Abgleich der Überlegungen mit den ethischen Prinzipien<br />
• Was ist das wesentliche Problem?<br />
• Schlussfolgerungen<br />
37
Folienvorlage: Entscheidungsperspektiven bei der ethischen Situationseinschätzung<br />
nach M. Rabe<br />
Folienvorlage: Ethische Situationseinschätzung als mehrdimensionaler<br />
Reflexionsprozess 25<br />
25 Bickhardt, Jürgen (2010): Der Patientenwille, Verlag C. H. Beck, München, S. 33<br />
38
Arbeitsblatt 3: Aufgaben und Herausforderungen in der Moderation<br />
Moderierte ethische Fallbesprechung<br />
Phase Arbeitsschritt Aufgabe Herausforderung<br />
1.Vorbereitung<br />
2. Fallbesprechung<br />
2. Nachbereitung<br />
Interview der<br />
FallbringerIn<br />
Auswahl und Einladung<br />
der TeilnehmerInnen<br />
Sicherung des<br />
Hauptthemas/der<br />
ethischen Fragestellung für<br />
die Fallbesprechung – was<br />
können wir hier<br />
besprechen?<br />
Schilderung des Falls:<br />
Worum geht es? Passt die<br />
gewählte Fragestellung?<br />
Wahrnehmen der<br />
Betroffenheiten: Was<br />
macht betroffen? Wie<br />
unterschiedlich betrifft es<br />
mich/andere?<br />
Situations- und<br />
Wertanalyse: Wo sind<br />
wichtige Unterschiede?<br />
Was ist gemeinsame<br />
Basis?<br />
Ethische Reflexion: Wie<br />
können wir die<br />
Unterschiede/Anliegen<br />
verstehen/verknüpfen/<br />
nutzen?<br />
Ergebnissicherung<br />
Was haben wir jetzt<br />
erreicht?<br />
Abschluss<br />
Kommunikation und<br />
Umsetzung der Ergebnisse<br />
Überprüfung der<br />
Umsetzung<br />
repräsentativ und<br />
relevant: Die es<br />
angeht, können es<br />
angehen!<br />
Ausweichen auf<br />
persönliche<br />
und/oder<br />
gesellschaftliche<br />
Ebenen bewusst<br />
machen und ‚zurück<br />
in den Raum‘<br />
moderieren<br />
knapp, ohne eine<br />
vorschnelle<br />
Diskussion zu<br />
provozieren<br />
Stellungnahme der<br />
Beteiligten;<br />
Sicherung von<br />
Emotionen und<br />
Verantwortlichkeiten<br />
Kernfrage: Wo<br />
stehen wir? Was<br />
begründet unsere<br />
Positionen?<br />
Kernfrage: Wo<br />
wollen wir hin? Wer<br />
hat was zu<br />
entscheiden?<br />
Klärung der<br />
weiteren<br />
Vorgangsweise/<br />
Zuständigkeiten<br />
in Alltagsroutinen<br />
mit ‚alten’ Mustern<br />
das ‚neue’ Wissen<br />
wirksam etablieren<br />
möglichst deskriptivmultiperspektivisch<br />
Entweder-Oder-<br />
Formulierungen;<br />
Bewertungen<br />
Perspektiven werden<br />
nicht einbezogen; aufoder<br />
abgewertet<br />
Mehrere<br />
Fragestellungen =><br />
Reihenfolge der<br />
Bearbeitung festlegen<br />
Angriffe oder<br />
Schuldzuweisungen,<br />
Wechseln der Ebenen<br />
zu viel/zu wenig<br />
Distanz zu Emotionen<br />
Ablehnen von<br />
Verantwortung<br />
Monopole in den<br />
Bewertungen;<br />
Abwertung von<br />
Positionen<br />
Absolutsetzung von<br />
Positionen;<br />
paternalistische<br />
Entscheidungsmuster<br />
Wiederaufnahme der<br />
Diskussion,<br />
Killerphrasen<br />
Verweigerung der<br />
Rollenverantwortung,<br />
Desorientierung im<br />
Team/Organisation<br />
(adaptiert; vgl. Dinges Stefan (2008): Hürden auf transdisziplinären (Forschungs)Wegen)<br />
39
Arbeitsblatt: Mögliche Moderationsfragen (nach dem Nimwegener Modell, adaptiert von<br />
der Ethikbeauftragten Diözesanbeauftragte für Ethik im Gesundheitswesen, Erzbistum<br />
Köln für Altenheime 26 , überarbeitete Version Dinges/Kittelberger)<br />
PROBLEM- und FRAGESTELLUNG(EN)<br />
Welches Problem ist wo aufgetaucht?<br />
Wie ist es zutage getreten/Wer hat es bemerkt, angemeldet?<br />
Welche ethische(n) Frage(n) ist/sind aufgetaucht?<br />
Mit welcher ethischen Frage wurde zur Besprechung eingeladen?<br />
Was ist die ethische Frage?<br />
FAKTEN<br />
Einschätzung der pflegerischen Situation<br />
Wie ist die pflegerische Situation des Bewohners/der Bewohnerin?<br />
Inwieweit ist der/die Bewohner/in in der Lage, sich selbst zu versorgen?<br />
Bei welchen ATL/ AEDL braucht er/sie Unterstützung?<br />
Welche Fakten aus der BewohnerInnenbeobachtung und Pflegeplanung stehen aktuell im<br />
Vordergrund?<br />
Gibt es besondere Pflegeprobleme bzw. sind sie zu erwarten?<br />
Welche pflegerischen Maßnahmen können vorgeschlagen werden?<br />
Inwieweit haben diese Maßnahmen eine günstige Auswirkung auf den Verlauf?<br />
Einschätzung der medizinischen Situation<br />
(Wer ist der/die behandelnde Hausarzt/-ärztin?)<br />
Welche Diagnosen sind bekannt?<br />
Welche Diagnose steht zurzeit im Vordergrund?<br />
Wie sieht die aktuelle Behandlung aus?<br />
Welche alternativen Behandlungen sind möglich?<br />
Wie sieht die medizinische Prognose aus?<br />
Inwieweit haben die aktuelle und die alternativen Behandlungen einen positiven Effekt auf<br />
die Prognose?<br />
Wie sieht die Prognose aus, wenn von einer Behandlung abgesehen wird?<br />
Einschätzung der sozialen, weltanschaulichen, spirituellen und pflegerischen<br />
Situation<br />
In welches soziale Netzwerk ist der Bewohner/die Bewohnerin eingebunden? Wie<br />
gestaltet er/sie das soziale Leben?<br />
Welche wichtigen Lebensereignisse sind zu bedenken?<br />
Welche kulturellen Hintergründe sind bekannt?<br />
Was ist über die Lebensanschauung/Spiritualität/Religion des Bewohners/der Bewohnerin<br />
bekannt?<br />
Welche Aussagen des Bewohners/der Bewohernin gibt es zu Alter, Pflegebedürftigkeit,<br />
Krankheit, Sterben und Tod?<br />
Gibt es Hinweise darauf, dass die Situation und die Maßnahmen die Kräfte des Bewohners/der<br />
Bewohnerin übersteigen?<br />
Gehört der Bewohner/die Bewohnerin einer Glaubensgemeinschaft an? Hat er/sie ein<br />
Bedürfnis nach seelsorglicher Begleitung?<br />
Welche Auswirkungen haben die benannten Maßnahmen auf sein/ihr soziales Leben?<br />
Welche Reaktionen aus seinem/ihren sozialen Umfeld sind dazu bekannt?<br />
26 http://www.erzbistum-koeln.de/export/sites/erzbistum/seelsorge/krankenhaus/ethik-medizinpflege/_galerien/download/Ethische_Fallbesprechung/2009-10-09-EFB_Altenheim_Instrumentarium.pdf<br />
40
Inwieweit haben die benannten Maßnahmen eine günstige Auswirkung auf die persönliche<br />
Entfaltung und das soziale Leben des Bewohners/der Bewohnerin?<br />
Organisatorische, ökonomische und juristische Dimension<br />
Kann dem Bedarf an Behandlung und Pflege des Bewohners/der Bewohnerin organisatorisch<br />
nachgekommen werden?<br />
Sind dafür genügend Ressourcen vorhanden: Personal, Ausstattung, Heilmittel, Pflegematerial,<br />
Räumlichkeiten?<br />
Sind bei der Behandlung oder dem Behandlungsverzicht konkret rechtliche Konsequenzen<br />
zu erwarten?<br />
Liegt eine Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung vor?<br />
Ist eine gesetzliche Betreuung eingerichtet?<br />
BEWERTUNG<br />
Wohltun/Schaden vermeiden<br />
aus der Sicht der Pflegenden und Betreuenden<br />
Inwieweit dienen die Maßnahmen dem Wohl des Bewohners/der Bewohnerin:<br />
· Lebenserhalt,<br />
· körperliches Wohlbefinden (z. B. Bewegungsfreiheit, Schmerzfreiheit),<br />
· geistiges Wohlbefinden (z. B. Wachheit, geistige Anregung, Orientiertheit),<br />
· seelisches Wohlbefinden (z. B. Angstminderung, Lebensfreude),<br />
· spirituelles Wohlbefinden (z. B. Sinn erleben),<br />
· soziale Integration,<br />
· persönliche Entfaltung?<br />
Inwiefern können die Maßnahmen dem Bewohner/der Bewohnerin schaden?<br />
Wie verhalten sich die positiven und negativen Effekte zueinander?<br />
Autonomie des Bewohners/der Bewohnerin<br />
Ist der Bewohner/die Bewohnerin einwilligungsfähig?<br />
(Wenn nein, bitte weiter mit den Fragen zur Einwilligungsunfähigkeit)<br />
Wie urteilt er/sie über die Belastungen und den Nutzen der Situation bzw. der Maßnahmen?<br />
Ist der/die Bewohner/in über seine/ihre Situation der Wahrheit entsprechend in Kenntnis<br />
gesetzt?<br />
Wahrhaftigkeit<br />
Wurde der/die Bewohner/in bis dato ausreichend in die Beschlussfassung miteinbezogen?<br />
Was ist der (geäußerte) Wille des/der Bewohner/in bzw. gibt es eine Patientenverfügung?<br />
Welche Werte und Auffassungen des Bewohners/der Bewohnerin sind relevant?<br />
Welche Haltung vertritt der/die Bewohner/in gegenüber lebensverlängernder Intensivtherapie?<br />
Ist der/die Bewohner/in einwilligungsunfähig?<br />
Wie und durch wen wird festgestellt, dass der/die Bewohner/in einwilligungsunfähig ist?<br />
In welcher Hinsicht ist er/sie einwilligungsunfähig?<br />
Ist die Einwilligungsunfähigkeit durchgängig, oder gibt es Phasen, in denen der Bewohner/die<br />
Bewohnerin die Situation klar erfassen kann?<br />
Gibt es verbale oder nonverbale, aktuelle oder frühere Äußerungen des Bewohners/der<br />
Bewohnerin, die seinen/ihren Willen erkennen lassen?<br />
Ist eine Betreuung eingerichtet oder muss sie eingerichtet werden? Gibt es einen Vorsorgebevollmächtigen?<br />
Gibt es eine Patientenverfügung? Welche Relevanz hat sie für die zu planenden Maßnahmen?<br />
Gerechtigkeit<br />
Ist das vorgeschlagene Vorgehen im Hinblick auf andere (MitbewohnerInnen, Pflegende,<br />
Angehörige) zu verantworten?<br />
41
Ist der personelle, räumliche, wirtschaftliche Aufwand gerechtfertigt?<br />
Blick auf das Team/die Beteiligten/die Institution<br />
Welche Werte und Einstellungen werden jetzt vertreten?<br />
Gibt es Einstellungen und Werte, die bisher nicht berücksichtigt wurden?<br />
Welches sind die relevanten Richtlinien der Einrichtung zu den vorgeschlagenen Maßnahmen?<br />
Welche Wertekonflikte werden deutlich?<br />
Wie wird mit vertraulichen Informationen umgegangen (innerhalb des Teams und nach<br />
außen)?<br />
VOTUM<br />
Wie lautet nun die ethische Frage?<br />
Sind wichtige Fakten unbekannt? Welche?<br />
Kann dennoch ein verantwortliches Votum abgegeben werden?<br />
In welchen Situationen muss die Entscheidung aufs Neue überdacht werden?<br />
Wie wird das Votum (einschließlich evtl. Minderheitenvotum) formuliert?<br />
Welche konkreten Verpflichtungen gehen die TeilnehmerInnen der Fallbesprechung ein?<br />
42
5. Fortbildung/Training für unterschiedliche Formen der <strong>Ethikberatung</strong><br />
Eine wesentliche Aufgabe, die in allen Empfehlungen für <strong>Ethikberatung</strong> genannt wird, ist<br />
die angemessene Aus- und Weiterbildung für klinische <strong>Ethikberatung</strong> bzw. <strong>Ethikberatung</strong><br />
im Gesundheitswesen. Wir haben schon anklingen lassen, dass wir das Modell der<br />
lernenden Organisation favorisieren – das individuelle Lernen von Einzelnen hinterlässt in<br />
der Regel zu wenig Spuren in der Praxis der Teams und der Einrichtungen;<br />
dementsprechend ist die Wirkungstiefe und Nachhaltigkeit eines solchen singulär erworbenen<br />
Wissens. Im Folgenden möchten wir einige Überlegungen zur organisationalen<br />
Verankerung vorstellen und einige Kompetenzen, die wir für <strong>Ethikberatung</strong> in der Altenhilfe<br />
für unerlässlich halten.<br />
Ein Dreieck mit den Eckpunkten Haltung, Fähigkeit und organisationale Unterstützung<br />
dient uns im Training und in der Erläuterung von Implementierungsprozessen:<br />
Es markiert für uns die Notwendigkeit eines Gleichklangs, der häufig nicht ausreichend<br />
balanciert scheint. Es genügt nicht, auf die Haltung allein zu fokussieren. Zwar ist eine<br />
bestimmte (kommunikative) Haltung dem Palliative Care und der Ethik zueigen, ohne die<br />
ein Versorgungsansatz hohl und schal wirken würde. Es geht um mehr als Techniken und<br />
Methoden. Es geht um Herzensbildung und eine achtsame Haltung gegenüber den<br />
Betroffenen, die vom Leitwert der Würde und Bewohnerzentrierung durchdrungen ist.<br />
Gleichzeitig aber geht es eben nicht ohne Fachkenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten.<br />
Sie gehören dazu, denn die Haltung allein tut es nicht („gut gemeint ist nicht gut gemacht“).<br />
Haltung plus Fähigkeit reichen vielleicht dem Individuum, genügen aber nicht im<br />
Arbeitsalltag. Sie können sogar kontraproduktiv – weil frustrierend – sein, wenn die<br />
Organisation nicht den Rahmen vorhält, der dieser Haltung und diesen Fähigkeiten Raum<br />
und Ressourcen zur Verfügung zu stellt.<br />
43
Bei der Bearbeitung von ethisch relevanten Situationen ist es hilfreich, die geforderten<br />
Fachkompetenzen zu unterscheiden, um die Ebene der Bearbeitung im Konsens<br />
festzulegen und damit erst eine angemessene Besprechung zu ermöglichen. Wir gehen<br />
davon aus, dass der Grundmodus der Kommunikation in und unter all diesen Themen<br />
liegt. Dieses Kommunikation, die mit Stichworten wie „wertschätzend“, „gewaltfrei,“<br />
„partizipativ“ oder „allparteilich“ beschreiben werden kann, entspricht einer pastoralpsychologisch<br />
ausgerichteten Haltung im menschlichen Miteinander.<br />
Bedürfnisse<br />
und Bedarf<br />
von<br />
Bewohnern<br />
44
Für die zentrale Moderationskompetenz greifen wir auf eigene Erkenntnisse und Beiträge<br />
einer Kollegin zurück 27 .<br />
Daraus einige wichtige Aspekte (weiteres Material im Folgekapitel):<br />
Moderationsarbeit in der <strong>Ethikberatung</strong> als Anleitung zur Kommunikation – Stichworte<br />
und Merksätze<br />
Gruppendynamische Phänomene und Überlegungen können weitgehend außen vor<br />
bleiben: Eine sporadisch zusammentretende Gruppe hat zwar auch eine Dynamik, aber<br />
diese Phänomene sind hier zu vernachlässigen bzw. mit „normalem Leitungsverhalten“ zu<br />
bewältigen. Ausnahme: Die Leitung einer regelmäßigen Fallbesprechungsgruppe mit<br />
fester Zusammensetzung oder die Leitung eines Ethikbeirates verlangt etwas mehr<br />
gruppendynamisches Verständnis.<br />
Als Leitung einer Sitzung zur ethischen Situationseinschätzung oder Entscheidung hat<br />
man eine begrenzte Rolle – nicht mehr und nicht weniger!<br />
Die Moderationsrolle ist mit Aufgaben und Erwartungen verbunden. Diese sind zu<br />
benennen und zu verstehen, um die TeilnehmerInnen zu entlasten. Zentral an die Rolle<br />
der Moderatorin bzw. des Moderators sind sicher die Erwartungen<br />
moderieren – leiten – befördern – zusammenfassen<br />
Es geht darum, Rahmen, Halt und Sicherheit geben.<br />
Für die Leitung braucht es etwas Mut und Übung – aber man kann es lernen.<br />
Zentral ist eine gute Vorbereitung:<br />
Was will und kann ich? Was ist meine Rolle? Ist das allen klar?<br />
Wer kommt? Wer ist besonders betroffen?<br />
Worum wird es gehen? Was kann passieren? Wie kann ich damit umgehen? Notausstieg?<br />
Es geht um Kommunikation und um Anleitung zur Kommunikation!<br />
27 Skript, Tipps und weitere Informationen dazu direkt bei unserer Kollegin:<br />
Svenja Uhrig, Supervision•Coaching•Training; mail: Svenja.Uhrig@t-online.de<br />
45
Arbeitsblätter/Materialien zu Kapitel 5<br />
Arbeitsblatt 1: Moderation in der ethischen Beratung<br />
Zehn Leitfragen zur Vorbereitung auf die Leitung einer <strong>Ethikberatung</strong>ssituation<br />
1 Was ist meine Rolle in dieser Situation? Sonst in der Einrichtung?<br />
Welche Rollen haben die anderen?<br />
Wie passen diese Rollen zur Hierarchie der Einrichtung?<br />
2 Wer arbeitet nicht (ganz) freiwillig mit? Was bedeutet dies?<br />
3 Sind die Ziele heute klar? Kollidieren sie mit anderen Zielen der Einrichtung?<br />
4 Wie wünsche ich mir unsere Kommunikationskultur?<br />
Passt sie zur Kommunikationskultur der Einrichtung?<br />
5 Sind Normen und Entscheidungswege klar – heute und sonst?<br />
Wie handeln wir diese aus? Wer „schafft an“?<br />
6 Stimmt die Balance von Transparenz und Vertraulichkeit?<br />
„So offen wie möglich – so intern wie nötig“<br />
7 Wie werde ich mit Widerständen umgehen?<br />
8 Wo tauchen vielleicht Konflikte auf:<br />
Sachebene oder Beziehungsebene?<br />
Wie gehe ich damit um?<br />
9 Hat jeder etwas davon, dass er/sie mitarbeitet?<br />
10 Was brauchen wir vielleicht an Hilfe?<br />
Zwei wichtige Grundsätze – mit fast universaler Gültigkeit<br />
•Wir sind nicht miteinander verheiratet und müssen uns nicht lieben – aber wir arbeiten<br />
zusammen.<br />
Wenn ich leite, dann gelten zwei Sätze:<br />
•„Begründen statt Befehlen“ & „Betroffene zu Beteiligten machen“<br />
46
6. Wie kommt die <strong>Ethikberatung</strong> in die Einrichtungen?<br />
Implementierungsprojekt ‚<strong>Ethikberatung</strong>‘<br />
Die Einrichtung von <strong>Ethikberatung</strong> in einer Organisation, in einem Dienst läuft nicht linear<br />
ab, sondern ereignet sich in mehreren Schleifen (Phasen), in denen sowohl die<br />
Führungskräfte als auch die MitarbeiterInnen einbezogen werden sollen. Aus der<br />
Erfahrung unseres Projektes können wir einen solchen Verlauf mit mehreren Phasen<br />
exemplarisch beschreiben und die erarbeiteten Bausteine zur Verfügung stellen.<br />
Für die hier vorgeschlagene Weise der Implementierung ist das Verständnis einer<br />
interventionsorientierten Projekt- und Organisationsentwicklung hilfreich. In vergleichbaren<br />
Modellprojekten zur Implementierung von Palliativversorgung in Pflegeheimen ist dies<br />
schon publiziert worden 28 . Viele der dort beschriebenen Prinzipien, Haltungen und Paradigmen<br />
können auch beim Thema Ethik/<strong>Ethikberatung</strong> eingebracht bzw. vorausgesetzt<br />
werden.<br />
Wir haben unser Projekt in die folgenden Phasen eingeteilt:<br />
Konzeptionsphase<br />
- Entwicklung der Idee (incl. Thesen zum Anlass und Bedarf)<br />
- Skizzierung des handlungsleitenden Paradigmas (warum soll was geschehen?)<br />
- Vorstellen des Projekts in allen Unternehmensbereichen<br />
- Identifikation förderlicher und hinderlicher Rahmenbedingungen<br />
- Erstellen eines Konzeptes mit Zielen und Aufgaben, einschließlich Finanzplan<br />
- Ressourcen für das Projekt abklären<br />
- Verbündete und KooperationspartnerInnen finden und einbinden<br />
- Entscheidung für interne/externe Projektbegleitung treffen<br />
=>1. Evaluation: Hat die Einrichtung von <strong>Ethikberatung</strong> eine realistische Chance? Muss ein<br />
wichtiger Schritt wiederholt bzw. ergänzt werden?<br />
Projektphase<br />
- Das von der Führung beauftragte Projekt braucht eine nachhaltige Verankerung bei den<br />
MitarbeiterInnen<br />
- Sollen die BewohnerInnen/Angehörige/externe DienstleisterInnen miteinbezogen werden?<br />
- lokale Adaptierungen in den einzelnen Einrichtungen<br />
- Vorbereitung und Durchführung erster Workshops<br />
=> 2. Evaluation und Nachbereitung in den einzelnen Einrichtungen<br />
- Auswertung auf der Ebene der Führungskräfte<br />
=> 3. Evaluation<br />
Implementierungsphase<br />
- Welche Strukturen sollen aus der Projektphase in die Routinen der Einrichtung bzw. des Trägers<br />
übernommen werden?<br />
- Errichten der lokalen Strukturen und Routinen, z. B. regelmäßige Fallberichte und/oder<br />
Softanalyse<br />
- Errichten der übergreifenden Strukturen und Routinen, z. B. HausleiterInnenkonferenz zur<br />
ethischen Entscheidungskultur; Errichtung eines Ethikbeirats<br />
28<br />
Siehe Anmerkung 1 und 2<br />
47
Evaluations- und Adaptionsphase<br />
- Wie wurden die Ethikaktivitäten auf den unterschiedlichen Ebenen dokumentiert und<br />
ausgewertet?<br />
- Welches relevante Wissen konnte wie genutzt werden/nicht genutzt werden?<br />
- Welche KooperationspartnerInnen sollen verstärkt eingebunden werden?<br />
- Welcher Fortbildungsbedarf zeigt sich und wie kann dieser organisiert werden?<br />
-Wie gestaltet sich das Verhältnis/der Informationsfluss/die Entscheidungen zu und mit den<br />
verschiedenen Leitungsebenen?<br />
-Wie wurden BewohnerInnen und ihre Angehörigen informiert/eingebunden/beteiligt/in Auswertungen<br />
einbezogen?<br />
- Mit welchen anderen Projekten/Strukturen bedarf es einer Vernetzung?<br />
=> 4. Evaluation im Sinne einer Bilanz<br />
=> Weiter (z. B. jährliche) Bilanzen in die Routine des Trägers einbauen<br />
Erfahrungsaustausch zur Konzept- und Projektphase<br />
Ein möglicher Designvorschlag ging davon aus, einrichtungsübergreifend in einer<br />
Trainings- und Projektgruppe zu arbeiten. Die Trainingsgruppe sollte aus mindestens zwei<br />
bis drei Personen aus jeder Einrichtung plus VertreterInnen aus den Stabsstellen und der<br />
Geschäftsführung gebildet werden. In dieser Konzeption wurde von einer bestimmten<br />
Anzahl von Trainingstagen ausgegangen. Ziel wäre hier gewesen, (a) die Teilnehmenden<br />
im Training mit den Grundkenntnissen der <strong>Ethikberatung</strong> auszustatten, (b) sie als<br />
Keimzelle einer je einrichtungsinternen Projektgruppe zu befähigen, das Wissen und die<br />
Methoden ins eigene Haus zu übertragen und dort (c) ein eigenes kleines Ethikprojekt<br />
durchzuführen. Hier war auch vorgesehen, dass für die Arbeit in den hauseigenen<br />
Projektgruppen externe Unterstützung abrufbar wäre. Hintergrund eines solchen Ansatzes<br />
ist das Verknüpfen von Lernprozessen auf der Ebene der Personen und der Organisation:<br />
Die Fortbildung bleibt nicht ein Wissensgewinn für die Einzelnen, sondern wird mit dem<br />
Lernen ihrer Teams und Einrichtungen verknüpft.<br />
Dieser Konzeptansatz fand aus vielerlei Gründen keine Zustimmung der Leitungen. Mit<br />
Einbeziehung von deren Wünschen und Bedenken wurde das Projektdesign schlanker<br />
und an bisherige Projekterfahrungen angepasst. Zudem wurden drei wesentliche Ziele<br />
erreicht:<br />
- Die Führungskräfte machten sich das Projekt zueigen; damit wurde die ethische<br />
Reflexionskompetenz nicht über die Fortbildungsschiene eingeführt – sie wurde<br />
direkte Reflexionskategorie auf Ebene der Teams und der Einrichtungsleitung.<br />
- Die Führungskräfte engagierten sich im Projekt und identifizierten sich mit den<br />
Projektanliegen. Die Analyse-Ergebnisse aus den folgenden Workshops konnten<br />
schneller umgesetzt werden, indem gleich nach Zuständigkeiten, Rollen und<br />
Kompetenzen gefragt wurde. (Das Gegenbeispiel sind ethische Reflexionen, an<br />
denen sich Führungskräfte nicht beteiligen; diese bekommen dann zwar einen<br />
supervisorischen, psychohygienischen Charakter – die Umsetzung ist ungleich<br />
aufwendiger!)<br />
- Für die Führungskräfte war die Perspektive für ein einrichtungsübergreifendes<br />
Ethikgremium ein wichtiges Ziel; damit wurde der Blick auf ein größeres Ganzes,<br />
aber auch auf hinderliche und förderliche Rahmenbedingungen gelenkt. So wurde<br />
das Ethikthema gleich auf drei relevanten Ebenen angegangen und als<br />
‚kommunizierende Röhren‘ verstanden und gestaltet.<br />
48
Zur Projektarchitektur im Detail<br />
Nachdem die Führungskräfte sich das Projekt zueigen gemacht hatten, konnte das Projekt<br />
strategisch von drei Personen gesteuert werden: dem Geschäftsführer als Auftraggeber,<br />
dem internen Projektleiter und dem externen Projektbegleiter. Die inhaltliche Steuerung<br />
ebenso wie die Auswertungen und Umsetzungen wurden bislang gemeinsam mit<br />
den Führungskräften geleistet; mit der Einrichtung des Ethikbeirates wird diese Aufgabe<br />
zukünftig von diesem übernommen.<br />
Abb. 7: Projektarchitektur Hilfe im Alter © o&e 2009<br />
49
Implementierungsphase 1: Konzeption und Einrichtung eines Ethikbeirates<br />
Erfahrungsaustausch: Angemessene Sprache und Strukturen – Ethikbeirat statt<br />
Ethikkomittee<br />
Damit das Projekt kein Strohfeuer wird und damit die inspirierenden Projekterfahrungen<br />
weiterwirken, hat sich die „Hilfe im Alter“ als Träger entschieden, einen Ethikbeirat für alle<br />
Einrichtungen gemeinsam zu etablieren. Dies ist der erste Ethikbeirat in diakonischen<br />
Einrichtungen der bayerischen Landeskirche. Vergleichbar mit den klinischen<br />
Ethikkomitees werden die Mitglieder des Ethikbeirates die Geschäftsführung und die<br />
Heimleitungen bei grundsätzlichen ethischen Fragestellungen beraten. Dazu wurden in<br />
der Geschäftsordnung 29 zwei Prinzipien grundgelegt:<br />
1. <strong>Ethikberatung</strong> als Entscheidungshilfe<br />
<strong>Ethikberatung</strong> bietet durch eine vereinbarte Struktur, in einem begrenzten Zeitrahmen und<br />
durch eine wertschätzende, allparteiliche Moderation in ethisch schwierigen oder<br />
konflikthaften Situationen die Möglichkeit einer grundlegenden Standortbestimmung und in<br />
der Folge eine gemeinschaftliche Entscheidungsgrundlage. Dadurch wird dem Willen<br />
eines Bewohners/einer Bewohnerin vorrangig Rechnung getragen wie auch Anliegen und<br />
Bedürfnisse von Angehörigen und MitarbeiterInnen berücksichtigt.<br />
2. Beteiligung der Betroffenen<br />
Ein wesentliches Grundprinzip der <strong>Ethikberatung</strong> ist die Beteilung derer, die betroffen sind.<br />
In der Hilfe im Alter gibt es in den einzelnen Häusern durch das intensive Palliativprojekt<br />
bzw. durch die dadurch entwickelten Strukturen und Kompetenzen unterschiedliche<br />
Bausteine, die bereits eine ethische Entscheidungskultur befördern. (…) Um dieses<br />
Grundprinzip umzusetzen, wurde in jedem Haus ein Ethikflyer aufgelegt, der zum<br />
Hinschauen, ins Gespräch kommen und zu gemeinsamer Verantwortung ermutigte. (vgl.<br />
angefügte Bausteine)<br />
Für die erste Funktionsperiode konnten neben engagierten MitarbeiterInnen aus allen<br />
Berufsgruppen und Einrichtungsbereichen, aus allen Hierachieebenen und Funktionen<br />
und aus allen Einrichtungen auch namhafte Persönlichkeiten aus der evangelischen<br />
Kirche, aus Sozial- und Gesundheitseinrichtungen sowie aus der Hospizbewegung<br />
gewonnen werden.<br />
Für die gemeinsame Arbeit wurden in der Geschäftsordnung vier Aufgaben formuliert:<br />
a) die exemplarische Bearbeitung von individuellen, aber auch paradigmatischen<br />
Fallgeschichten (prospektiv und retrospektiv) aus den Altenhilfe-Einrichtungen der „Hilfe<br />
im Alter“,<br />
(b) die Erarbeitung von gemeinsamen Ethischen Empfehlungen und Leitlinien für die „Hilfe<br />
im Alter“,<br />
(c) die Unterstützung von moderierten ethischen Fallbesprechungen/<strong>Ethikberatung</strong> in den<br />
einzelnen Einrichtungen der „Hilfe im Alter“ und<br />
(d) die Ermöglichung von Fort- und Weiterbildung des Ethikbeirates sowie aller<br />
MitarbeiterInnen der Hilfe im Alter, um die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen und<br />
die ethische Bewusstseinsbildung in allen Bereichen der „Hilfe im Alter“ zu fördern.<br />
Für die erste Funktionsperiode wurde aus den internen Mitgliedern eine Geschäftsführerin<br />
des Ethikbeirates gewählt, die von dem internen Projektkoordinator und dem externen<br />
Projektbegleiter unterstützt werden wird.<br />
Die Arbeit des Ethikbeirates steht unter einem dreifachen Auftrag: Der Beirat wird aus der<br />
Perspektive der MitarbeiterInnen und den Leitungskräften als Unterstützung ihrer<br />
29 Die ganze Geschäftsordnung ist als Arbeitsblatt angefügt.<br />
50
Alltagsarbeit gewünscht. Die Geschäftsführung der „Hilfe im Alter“ beauftragte bei der<br />
Etablierung des Beirates explizit alle Mitglieder.<br />
"Für die Altenhilfe in Bayern ist die Konstitution des Ethikbeirates ein Novum, für Diakonie<br />
und Kirche ein wegweisender Schritt – einer, der längst überfällig war", so die Regionalbischöfin<br />
Breit-Keßler in ihrer Ansprache. Als "Qualitätsmerkmal" bezeichnete sie die<br />
Ethik-Beratung: "Ethische Wachsamkeit und Sensibilität für die Bedürfnisse" der Bewohnerinnen<br />
und Bewohner seien unerlässliche Voraussetzung, um die schwierigen Situationen<br />
und Entscheidungen in den Einrichtungen der Altenpflege bewältigen zu<br />
können. Zugleich gelte es, "in einer Gesellschaft, die ein Menschenbild mit den Attributen<br />
,jung, schön, vital, leistungsfähig, effizient und erfolgreich‘ favorisiert, die Würde alter<br />
Menschen ganz besonders zu achten".<br />
Hier schärft sich deutlich das diakonische Profil: Die Hilfe im Alter braucht AgentInnen des<br />
Diakonischen; HüterInnen einer voraussetzungsfreien Gastfreundschaft und Würde,<br />
Seismographen für die Verletzlichkeit des Menschen. Die „Hilfe im Alter“ erwartet, dass<br />
sich ihre MitarbeiterInnen für eine diakonische Ausrichtung engagieren; sie erwarten und<br />
fordern das von ihren Führungskräften. Gleichzeitig ist sich die Geschäftsführung bewusst,<br />
dass der Träger hier Unterstützung und Vorgaben leisten muss, in permanenten<br />
Prozessen der Selbstbeobachtung und Weiterentwicklung, des Ausbalancierens von<br />
Unterschieden und Widersprüchen. In den Unterschieden entscheidungs- und handlungsfähig<br />
zu bleiben, ist ein wichtiges Ziel für die MitarbeiterInnen, die Führungskräfte und<br />
letztlich für den Träger Diakonie.<br />
Statt Recht haben rechtzeitig miteinander zurechtkommen<br />
Gerhard Prölß, Geschäftsführer der Hilfe im Alter, konkretisierte sowohl in Richtung der<br />
MitarbeiterInnen wie auch des Beirates den Auftrag der Geschäftsführung:<br />
„Wegschauen ist nicht erlaubt“, mahnte er bei der Konstituierung des Ethikbeirats<br />
am 29. Oktober 2009 in München und ermuterte die Mitglieder des Ethikbeirates: „In<br />
diesem Projekt haben Sie die Erlaubnis, über wirklich jede Kritik und jedes Unbehagen<br />
nachzudenken. “ Mit dem Projekt etabliere sich „eine neue Kultur der Kritik- und Entwicklungsfähigkeit!<br />
“<br />
Mit der Erlaubnis, kritische ethische Fragen stellen zu dürfen, wird in der Hilfe im Alter der<br />
wachsenden Zahl ethischer Herausforderungen im Sinne einer gemeinsamen Vorsorge<br />
begegnet. Im Vordergrund steht nicht, wer am Ende Recht hat, sondern wie Teams und<br />
HausärztInnen, BewohnerInnen und Angehörige miteinander zurechtkommen, damit die<br />
BewohnerInnen rechtzeitig zu dem Recht kommen, das eigene Leben bis zuletzt<br />
verantwortlich mitzugestalten.<br />
Mit dem Ethikbeirat, aber auch mit der Möglichkeit zur <strong>Ethikberatung</strong> in den einzelnen<br />
Einrichtungen ist ein wesentlicher Schritt getan, dass gute Entscheidungen nicht nur von<br />
den motivierten MitarbeiterInnen getroffen werden; zur Entscheidungskultur gehört, dass<br />
alle aufmerksam sind und alle sich strukturiert und mit Unterstützung den ethischen<br />
Herausforderungen stellen können. Damit ist eine Vision ungesetzt und konkretisiert, die<br />
der Philosoph Hans Jons als Verständigungssystem und Plattform für den Erfolg der<br />
eigenen Sache bezeichnet hatte: „Letzten Endes liegt jede Hoffnung, die wir haben, darin,<br />
dass es Verständigungssysteme gibt, (…) dass man Gremien und Plattformen bildet, in<br />
denen sich Menschen mit verschiedenem Wissen und verschiedenen Interessen begegnen<br />
und auch über solche Dinge sprechen, die nicht gerade in der Linie des größtmöglichen<br />
Erfolges ihrer jeweils eigenen Sache liegen.“<br />
51
Implementierungsphase 2: Entwicklung und Einsatz des <strong>Ethikberatung</strong>sflyers<br />
Die Entwicklung und Implementierung unseres Flyers Ethikbeirat und <strong>Ethikberatung</strong> in der<br />
Hilfe im Alter war ein zentraler Schritt. Stellte er doch den Übergang der zunächst intern<br />
orientierten Arbeit in die Öffentlichkeit dar: going public als Ziel. Um auch hier das<br />
Commitment der Leitungsebene gestärkt zu halten, wurde aufwändig an diesem<br />
30<br />
Projektschritt gearbeitet .<br />
Der Text des Flyers wurde in mehreren Schritten redigiert. Wir hatten einen Entwurf<br />
vorgelegt, den wir sowohl im Ethikbeirat als auch in der Leitungskonferenz der Hilfe im<br />
Alter zur Kommentierung vorlegten. Alle Rückmeldungen, Anregungen und Bedenken<br />
wurden eingearbeitet. Eine zweite Fassung wurde dem Ethikbeirat erneut zur Diskussion<br />
vorgelegt. Die daraus resultierende Version wurde dann erneut in der Leitungskonferenz<br />
besprochen und abgesegnet. Dieser halbjährige Prozess führte zu einer Endfassung,<br />
deren Implementierung wir den Häusern völlig freigestellt haben. Vorgegeben war nur ein<br />
Zeitrahmen (Jahresende 2010). Die Häuser erhielten Briefe zur Information der<br />
Mitarbeitenden, der BewohnerInnen und der Angehörigen. Im Herbst 2010 wurde der Flyer<br />
in großer Auflage gedruckt. Die Häuser konnten in diesem Zeitraum selbst entscheiden,<br />
welche Schritte in der Vorbereitung der Mitarbeitenden und der Veröffentlichung des<br />
Flyers sie gehen wollten. Damit wurde den Einrichtungen größtmögliche Freiheit und<br />
Verantwortung in diesem relevanten Projektschritt gegeben.<br />
30<br />
Die entsprechenden Vorlagen und Musterbriefe sowie die Endfassung des Flyers sind im Materialteil zu<br />
Kapitel 5 abgedruckt.<br />
52
Evaluationsphase – Die Organisation von Wirksamkeit und Nachhaltigkeit<br />
Erfahrungsaustausch: Es gibt ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Evaluation: Für<br />
viele bedeutet ‚Evaluation’ eine Überprüfung der Befindlichkeit oder Wirksamkeit nach<br />
einer Veranstaltung oder einem Projekt; in der Regel wird dazu ein standardisierter<br />
Fragebogen verwendet, in dem einige Items mit einer 5er-Skala abgefragt werden –<br />
bestenfalls enthält ein solcher Fragebogen noch ein Feld ‚was Sie noch anmerken wollen .<br />
Außer dem offensichtlichen Ziel der Überprüfung, dessen Auftraggeber und Nutzer<br />
weitgehend in Unklaren bleiben, gibt es keinen Einfluss auf die Fragestellung bzw. auf die<br />
Kriterien oder Zielsetzungen, die dahinter vermutet werden. Oft bleibt auch noch die<br />
Auswertung im Dunkeln, ganz zu schweigen von den Konsequenzen, die gezogen<br />
werden.<br />
Gegen diese letztlich unbefriedigende Verwendung des Evaluationsbegriffs soll hier ein<br />
weiteres Verständnis, im Sinne einer Kybernetik – einer umfassenden Führungskunst<br />
entwickelt werden. Drei grundlegende Prinzipien kommen zur Anwendung:<br />
1. Evaluation wird als ein fortlaufender Prozess in einem ‚Regelkreis von Planung –<br />
Steuerung – Überprüfung verstanden.<br />
2. In der systemischen Sichtweise werden in unterschiedlichen Rollen Auftraggeber,<br />
Akteure und Kunden in der jeweiligen Phase der Evaluation beteiligt.<br />
Dementsprechend verändern sich auch die Planungs-, Steuerungs- und<br />
Überprüfungsinstrumente bei der erneuten Durchführung.<br />
3. Evaluation zielt auf rasche Veränderung – gerne auch ad experimentum – hin.<br />
Dadurch werden Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit einer Maßnahme oder eines<br />
Projektes (wie z. B. ‚<strong>Ethikberatung</strong> in der Altenhilfe’) gewährleistet.<br />
‚<br />
Einige grundsätzliche Aspekte für eine Evaluation von <strong>Ethikberatung</strong> in der Altenhilfe:<br />
<strong>Ethikberatung</strong> stellt in vielfältiger Weise eine Innovation und einer Intervention im System<br />
Altenhilfe dar. Deswegen greift es m. E. zu kurz als Evaluation nur die Wirksamkeit der<br />
einzelnen Beratung bzw. den einzelnen Implementierungsmaßnahmen zu überprüfen.<br />
Unser Evaluationskonzept balanciert hier zwischen der individuellen Beratungssituation,<br />
den Verknüpfungen, die auf der Ebene des Beirats getroffen werden (z. B. durch<br />
Empfehlungen und Leitlinien) und wesentlichen Umwelten (Auftrag und Ressourcen,<br />
Strategie und Kultur des Trägers, einzeln und gesamt).<br />
Mögliche Ziele einer Evaluation von <strong>Ethikberatung</strong> in der Altenhilfe<br />
- Überprüfung des Auftrags durch die Leitung – Adaptierung der Geschäftsordnung<br />
- Überprüfung und Optimierung des Beratungsprozesses<br />
- Kontrolle der eigenen Wirksamkeit/Nachhaltigkeit<br />
- Überprüfung der eigenen Fach- und Beratungskompetenzen im Bezug auf<br />
<strong>Ethikberatung</strong><br />
- Leistungsbilanz des Ethikberates/der Fallberatungen<br />
- Organisationsentwicklung des Ethikbeirates bzw. des Trägers und seiner<br />
Einrichtungen<br />
- Prozessberatung der Weiterentwicklung<br />
31<br />
‚<br />
31<br />
Vgl. Dinges, Simon (2010), Grundlagen und Bausteine für eine systemische Evaluation von <strong>Ethikberatung</strong>.<br />
Im Rahmen der Akademie für Ethik in der Medizin werden aktuell Indikatoren und unterschiedliche Modelle<br />
von Evaluation zusammengestellt.<br />
53
Planung der konkreten Durchführung einer Evaluation<br />
1. Zunächst ist die Geschäftsführung des Ethikbeirates als Auftraggeber für die<br />
Evaluation zu sehen; damit fällt in der ersten Phase Auftraggeberschaft und<br />
Evaluationsgruppe zusammen. Dahinter steht der Gedanke, dass zunächst der<br />
innerste Kreis des Ethikbeirates und des Beratungsteams sich der Evaluation im<br />
Sinne einer Selbstüberprüfung stellt und erprobt.<br />
2. Diese Ergebnisse, kombiniert mit der Außenperspektive des Evaluators, die an den<br />
Ethikbeirat zurückgespielt werden, gestalten dann die nächsten Phasen, nämlich<br />
die beiden eigentlichen Auftraggeber von Ethikbeirat und <strong>Ethikberatung</strong>, die<br />
Geschäftführung der HiA und die anfragenden Häuser mit ihren Leitungen und<br />
MitarbeiterInnen, letztlich auch die BewohnerInnen und ihre Angehörigen – als<br />
Nutznießer der Dienstleitung <strong>Ethikberatung</strong>.<br />
3. Auch diese Ergebnisse werden von Evaluator kommentiert zurückgespielt. Parallel<br />
zu den Evaluationsschritten werden von Evaluator die vorliegenden Formulare<br />
(Anfrage, Protokoll, Dokumentation), Geschäftsordnungen, Informationsbroschüren,<br />
Internetauftritt sowie Fallauswertungen und wenn vorhanden Leitlinien als Daten<br />
herangezogen.<br />
4. Idealerweise werden Ergebnisse und Empfehlungen der Evaluation nach der<br />
Präsentation gemeinsam diskutiert und umgesetzt.<br />
54
Materialien zum Kapitel 5<br />
Beispiel: Beauftragung zum Ethikbeirat<br />
Sehr geehrte/r Herr/Frau …………………..<br />
Herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft, im Ethikbeirat der ‚Hilfe im Alter’ mitzuarbeiten und<br />
zu einer vielseitigen ethischen Reflexion von Bewohnergeschichten, Arbeitssituationen in<br />
den Einrichtungen und einrichtungsübergreifenden Themen beizutragen.<br />
Hiermit beauftrage ich Sie für diese uns sehr wichtige Dienstleitung<br />
für den Zeitraum von ……………………..<br />
als internes/externes Mitglied des Ethikbeirates der ‚Hilfe im Alter‘.<br />
Die Aufgaben des Ethikbeirates lt. Geschäftsordnung:<br />
(a) die exemplarische Bearbeitung von BewohnerInnengeschichten und Arbeitssituationen<br />
aus den Einrichtungen der Hilfe im Alter,<br />
(b) die Erarbeitung von gemeinsamen ethischen Empfehlungen und Leitlinien für die Hilfe<br />
im Alter,<br />
(c) die Unterstützung von moderierter <strong>Ethikberatung</strong> in den Einrichtungen der Hilfe im<br />
Alter,<br />
(d) die Sorge um Fort- und Weiterbildung, um die Auseinandersetzung mit ethischen<br />
Fragen und die ethische Bewusstseinsbildung in allen Bereichen der Hilfe im Alter zu<br />
fördern.<br />
Im Gegenzug verpflichtet sich die Geschäftsführung,<br />
die Beratungen und Empfehlungen des Ethikbeirats zum Gegenstand intensiver und<br />
gewissenhafter Auseinandersetzung zu machen und sie nach Möglichkeit in wirksame<br />
Praxis umzusetzen bzw. zu autorisieren;<br />
zu einem gemeinsamen jährlichen Treffen, um die gemeinsamen Anliegen zu reflektieren<br />
und die Rahmenbedingung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit weiterzuentwickeln.<br />
Gottes Segen für Ihr und unser Tun!<br />
55
Beispiel: Information und Geschäftsordnung für <strong>Ethikberatung</strong> und Ethikbeirat der<br />
Altenhilfeeinrichtungen der Hilfe im Alter (Hilfe im Alter)<br />
0. Vorwort und Orientierung<br />
Plurale Wertvorstellungen und Lebensentwürfe<br />
Jeder Mensch hat individuelle Wertvorstellungen, einen persönlichen Lebensentwurf als<br />
Grundlage für das eigene Entscheiden. Damit treffen, auch im Alltag unserer Einrichtungen,<br />
unterschiedliche Wert- und Lebenseinstellung aufeinander. Insbesondere im Alter<br />
und am Lebensende kann es hier zu Differenzen oder gar Konflikten kommen, die eine<br />
gute oder bestmögliche Entscheidung und damit Versorgung be- oder verhindern.<br />
<strong>Ethikberatung</strong> als Entscheidungshilfe<br />
<strong>Ethikberatung</strong> bietet durch eine vereinbarte Struktur, in einem begrenzten Zeitrahmen und<br />
durch eine wertschätzende, allparteiliche Moderation in ethisch schwierigen oder konflikthaften<br />
Situationen die Möglichkeit einer grundlegenden Standortbestimmung und in der<br />
Folge eine gemeinschaftliche Entscheidungsgrundlage. Dadurch werden dem Willen eines<br />
Bewohners/einer Bewohnerin vorrangig Rechnung getragen wie auch Anliegen und<br />
Bedürfnissen von Angehörigen und MitarbeiterInnen berücksichtigt.<br />
Beteiligung der Betroffenen<br />
Ein wesentliches Grundprinzip der <strong>Ethikberatung</strong> ist die Beteiligung derer, die betroffen<br />
sind. In der Hilfe im Alter gibt es in den einzelnen Häusern durch das intensive Palliativprojekt<br />
bzw. durch die dadurch entwickelten Strukturen und Kompetenzen unterschiedliche<br />
Bausteine, die bereits eine ethische Entscheidungskultur befördern. Um diese<br />
Bemühungen zu bündeln und zu unterstützen, hat die Geschäftsführung der Hilfe im Alter<br />
(mit Unterstützung und Förderung der <strong>Robert</strong>-<strong>Bosch</strong>-<strong>Stiftung</strong>) ein Ethikprojekt in Ab-<br />
stimmung mit der Heimleiterkonferenz gestartet. In einer ersten Phase wurden in den<br />
einzelnen Häusern ein gemeinsames Verständnis von <strong>Ethikberatung</strong> und der notwendige<br />
Entwicklungsbedarf erarbeitet. Um das bisher in unterschiedlichen Projekten Erreichte zu<br />
sichern wird jetzt in der zweiten Phase ein Ethikbeirat der/für die Hilfe im Alter<br />
eingerichtet.<br />
Der Ethikbeirat – Garant für Entscheidungskompetenz und Versorgungsqualität<br />
Der Ethikbeirat der Hilfe im Alter wird (einrichtungsübergreifend) von der Geschäftsführung<br />
eingesetzt und für die Dauer von drei Jahren berufen. Die folgende Geschäftsordnung<br />
gibt Auskunft über die Ziele und Aufgaben, die unterschiedlichen Arbeitsweisen<br />
sowie die Zusammensetzung des Ethikbeirates. Der Ethikbeirat ist aus den verschiedenen<br />
fachlichen, palliativen und ethischen Projektperspektiven wünschenswert und notwendig<br />
geworden; er soll den zahlreichen Aktivitäten in den einzelnen Einrichtungen wie auch im<br />
Gesamtunternehmen unterstützend und fokussierend zur Seite stehen.<br />
Durch eine interprofessionelle und interdisziplinäre Ausrichtung und durch das skizzierte<br />
Aufgabenprofil zielt der Ethikbeirat durch seine Arbeit auf eine verbreiterte Entscheidungskompetenz<br />
und dadurch auf eine bestmögliche Versorgungsqualität. Im Sinne der<br />
Dienstleistungsfunktion von <strong>Ethikberatung</strong> hat er ein grundsätzlich subsidiäres Verständnis<br />
seiner Arbeit, die der strategisch-diakonischen Ausrichtung der Hilfe im Alter Rechnung<br />
tragen wird.<br />
56
Mit der Einrichtung des Ethikbeirates in der Hilfe im Alter wird auch einer Empfehlung von<br />
Landesbischof Dr. Johannes Friedrich (München) und Diakoniepräsident Dr. Ludwig<br />
Markert (Nürnberg) gefolgt. Sie haben dazu aufgerufen, „<strong>Ethikberatung</strong> bzw. ausgewiesene<br />
ethische Kompetenz in Zukunft in allen diakonischen und kirchlichen Einrichtungen<br />
der Altenpflege zu einem integralen Bestandteil des Gesamtkonzeptes werden zu<br />
lassen.“ (Januar 2009)<br />
1. Aufgaben und Ziele des Ethikbeirates<br />
Die wesentlichen Aufgaben des Ethikbeirates sind<br />
(a) die exemplarische Bearbeitung von individuellen, aber auch paradigmatischen<br />
Fallgeschichten (prospektiv und retrospektiv) aus den Altenhilfe-Einrichtungen der Hilfe im<br />
Alter,<br />
(b) die Erarbeitung von gemeinsamen ethischen Empfehlungen und Leitlinien für die Hilfe<br />
im Alter,<br />
(c) die Unterstützung von moderierten ethischen Fallbesprechungen/<strong>Ethikberatung</strong> in den<br />
einzelnen Einrichtungen der Hilfe im Alter und<br />
(d) die Ermöglichung von Fort- und Weiterbildung des Ethikbeirates sowie aller MitarbeiterInnen<br />
der Hilfe im Alter, um die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen und die<br />
ethische Bewusstseinsbildung in allen Bereichen der Hilfe im Alter zu fördern.<br />
a) Exemplarische Bearbeitung von Fallgeschichten aus den einzelnen Einrichtungen<br />
Grundsätzlich sollte jeder/jeder, der/die im Kontext der Hilfe im Alter auf eine ethische<br />
Herausforderung, Fragestellung oder einen akuten Konflikt stößt, sich an den Ethikbeirat<br />
wenden können. Dessen KoordinatorIn bzw. Leitung wird in enger Absprache mit dem<br />
Einbringer/der Einbringerin entscheiden, welche Auseinandersetzungsform dem Anliegen<br />
angemessen und zielführend ist.<br />
In seinen routinemäßigen Treffen wird der Ethikbeirat geeignete Themen und Situationen<br />
exemplarisch bearbeiten und allfällige Ergebnisse dokumentieren und entsprechend<br />
kommunizieren. Damit wird die angestrebte ethische Entscheidungskultur in der Hilfe im<br />
Alter vorangetrieben und gefördert. Natürlich kann der Ethikbeirat auch aus eigenem<br />
Antrieb Themen aufgreifen und bearbeiten, die seinen Zielsetzungen entsprechen.<br />
b) Ethische Empfehlungen und Leitlinien<br />
Aufgrund von exemplarischen Fallgeschichten/Anfragen aus allen Bereichen der Hilfe im<br />
Alter, sowie bei sich wiederholenden ethischen Fragestellungen im Rahmen der<br />
fachlichen, palliativen und ethischen Fallbesprechungen vor Ort in den einzelnen<br />
Einrichtungen, kann der Ethikbeirat Stellungnahmen, Empfehlungen und Leitlinien<br />
ausarbeiten und Entscheidungsmöglichkeiten vorschlagen. Bestehende, ethisch relevante<br />
Leitlinien werden dabei im Sinne des Leitbildes berücksichtigt und in Abstimmung mit der<br />
Geschäftsführung weiterentwickelt.<br />
Grundsätzlich setzt die Geschäftsführung der Hilfe im Alter die vom Ethikbeirat<br />
vorbereitete Empfehlung im Sinne einer Leitlinie in Kraft. Die ethischen Leitlinien sollen<br />
allen Mitarbeitenden der Hilfe im Alter eine orientierende Hilfestellung und Rahmung<br />
geben. Den BewohnerInnen und ihren Angehörigen dienen sie als Anhaltspunkte für<br />
Werte, denen die Hilfe im Alter als Institution besondere Bedeutung beimisst.<br />
57
c) Förderung und Unterstützung moderierter, ethische und palliativer Fallbesprechungen/<strong>Ethikberatung</strong><br />
in den einzelnen Einrichtungen<br />
Fallbesprechungen (mit fachlichen, palliativen oder ethischen Schwerpunkten) sind als<br />
Unterstützung in schwierigen Entscheidungssituationen alltagsnah in den einzelnen<br />
Einrichtungen etabliert. Sie berücksichtigen die unterschiedlichen Zuständigkeiten und<br />
Entscheidungskompetenzen der unterschiedlichen Berufe. Sie orientieren sich an der<br />
Autonomie und den individuellen Bedürfnissen der MitarbeiterInnen und der BewohnerInnen<br />
in Balance zu verantwortlichen Behandlungs- und Betreuungsangeboten und<br />
einer gerechten Verteilung der Ressourcen.<br />
Ziel ist eine verstärkte Beteiligung der Betroffenen (BewohnerInnen, Angehörige, Mitdie<br />
ethische Diskussion durch eine multiprofessionelle und interdisziplinäre Entschei-<br />
arbeitende) bei relevanten Entscheidungsprozessen. Damit sollen die Kommunikation und<br />
dungs- und Beteiligungskultur gestärkt und verbessert werden. Idealerweise steht der<br />
Ethikbeirat in Kontakt mit den ModeratorInnen und den Leitungsverantwortlichen der<br />
Häuser bzw. wird von diesen informiert oder direkt angefragt.<br />
Die Unterstützung kann einerseits dadurch erfolgen, dass eine aktuelle Situation konziliarisch<br />
oder retrospektiv kommentierend an den Ethikbeirat delegiert wird (vgl. a); oder<br />
indem von Seiten des Ethikbeirates geeignete Moderation zur Verfügung gestellt wird.<br />
d) Kontinuierliche Fort- und Weiterbildung<br />
In Zusammenarbeit mit der o. g. Fachstelle werden sowohl für die Mitglieder des<br />
Ethikbeirats als auch für alle MitarbeiterInnen und Führungskräfte Fort- und Weiterbildung<br />
angeboten. Neben fachlichen und ethischen Themen in Vorträgen und Informationen<br />
werden hier insbesondere Kompetenzen im Bereich der interdisziplinären Kommunikation<br />
und Moderation weiterentwickelt.<br />
2. Mitglieder<br />
Die Zusammensetzung des Ethikbeirates zielt darauf ab,<br />
• dass möglichst alle Einrichtungen, Ebenen und relevanten Berufsgruppen vertreten sind;<br />
• dass hier auch jene KooperationspartnerInnen abgebildet werden, mit denen im Alltag<br />
zusammengearbeitet wird: ambulante Dienste und Hospizgruppen, Krankenhäuser sowie<br />
auch niedergelassene ÄrztInnen;<br />
• um nicht in einer Binnen- oder Alltagsperspektive zu verharren, sollen Personen und<br />
Expertisen aus den Bereichen Diakonie/Kirche, Medizinethik/Palliative Care, Recht,<br />
Geriatrie/Gerontologie und Pflegewissenschaften angesprochen und beteiligt werden.<br />
Der Ethikbeirat wird aus 15-18 Mitgliedern bestehen, um arbeitsfähig zu bleiben.<br />
Die Geschäftsführung der Hilfe im Alter kann nach Rücksprache mit dem bereits eingerichteten<br />
Ethikbeirat entscheiden, welche Rollen dauernd, kooptiert oder fallweise<br />
besetzt werden. In Einzelfällen können auch VertreterInnen von BewohnerInnen oder<br />
Angehörigen eingeladen und beteiligt werden.<br />
Koordination und Leitung: Von den Beiratsmitgliedern wird für die Dauer einer<br />
Funktionsperiode ein/e LeiterIn und zwei StellvertreterInnen (= Vorstand) mit einfacher<br />
Mehrheit gewählt. Ihnen obliegt die ordnungsgemäße Durchführung der Sitzungen; sie<br />
sind AnsprechpartnerInnen für ethische Anfragen und stehen in regelmäßiger<br />
Kommunikation mit der Geschäftsführung der Hilfe im Alter.<br />
Idealerweise koordiniert der/die LeiterIn auch die Anfragen bezüglich ethischer Fragestellungen/Fallbesprechung<br />
in den einzelnen Einrichtungen; wenn der Bedarf nach<br />
externer Moderation besteht, in enger Absprache mit den Führungskräften vor Ort.<br />
58
Auswahl und Beauftragung: Zur Besetzung vakanter Stellen erfolgt nach Ausschreibung<br />
eine Auswahl durch den Vorstand des Ethikbeirats, der dann der Geschäftsführung der<br />
Hilfe im Alter einen Vorschlag unterbreitet. Die Beauftragung des neuen Mitglieds erfolgt<br />
durch die Geschäftsführung.<br />
3. Regelmäßige Treffen<br />
Der Ethikbeirat trifft sich als Gesamtgremium mindestens zwei Mal im Jahr. Um<br />
arbeitsfähig zu sein, besteht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht. Die Termine sind in<br />
der jeweiligen Dienstplangestaltung zu berücksichtigen und für ein Arbeitsjahr zu planen.<br />
In einem zusätzlich jährlichen Treffen mit der Geschäftsführung der Hilfe im Alter erfolgt<br />
wechselseitige Information, Bericht und statistische Auswertung der dokumentierten<br />
Fallbesprechungen.<br />
Sollten weitere Treffen notwendig sein, sollte eine Einladung mit Anlass bzw. kurzer<br />
Skizze der Fallgeschichte mindestens zehn bis 14 Tage im Voraus erfolgen.<br />
Sollte eine rechtzeitige Einladung nicht möglich sein bzw. weniger als die Hälfte der<br />
Mitglieder des Ethikbeirates erreichbar sein, liegt es im Ermessensspielraum des<br />
Vorstandes, in Abstimmung mit der Geschäftsführung eine Ad-hoc-<strong>Ethikberatung</strong><br />
einzuberufen. Diese Beratungsarbeit, wie auch andere stattfindende <strong>Ethikberatung</strong>en,<br />
sollten in irgendeiner Form an reguläre Treffen des Ethikbeirates rückgebunden werden.<br />
4. Verschwiegenheit<br />
Die Mitglieder sind zur Verschwiegenheit über die Beratungen und die vertraulichen<br />
Unterlagen verpflichtet. Dies gilt für alle Personen, die an Sitzungen teilnehmen oder als<br />
ExpertInnen hinzugezogen werden. Die Verschwiegenheitspflicht bleibt auch nach dem<br />
Ausscheiden aus dem Ethikbeirat bestehen.<br />
5. Auflösung<br />
Der Ethikbeirat ist eine ständige Einrichtung der Hilfe im Alter und kann ohne schwerwiegenden<br />
Grund nicht aufgelöst werden. Er wird aufgelöst, wenn nach gemeinschaftlicher<br />
Auffassung aller ordentlichen Mitglieder und/oder der Geschäftsführung der<br />
Hilfe im Alter die Grundlagen einer erfolgreichen Arbeit nicht mehr bestehen.<br />
6. Durchführung von ethischer Fallbesprechung auf Einrichtungsebene<br />
<strong>Ethikberatung</strong> im Ethikbeirat<br />
A. Grundstruktur<br />
<strong>Ethikberatung</strong> in der Hilfe im Alter soll in ethischen Entscheidungssituationen und/oder in<br />
Konflikten auf der Ebene von Stationen, Funktionsbereichen und Abteilungen unterstützen<br />
und möglichst zeitnah alle relevanten Mitarbeitenden zusammenführen. Das Ergebnis der<br />
Beratung wird von den Verantwortlichen in ihren Kompetenzbereichen umgesetzt.<br />
Für <strong>Ethikberatung</strong> auf Einrichtungsebene stehen ausgewählte Mitglieder des Ethikbeirates<br />
bzw. der Fachstelle und ggf. Mitarbeitenden der Hilfe im Alter mit entsprechender Moderationskompetenz<br />
zur Verfügung. Die Nominierung zur Moderationsgruppe erfolgt auf Basis<br />
freiwilliger Meldung und/oder Beauftragung. Die ModeratorInnen werden in einer Liste im<br />
Anhang zur Geschäftsordnung veröffentlicht.<br />
59
Die ModeratorInnen arbeiten in einem Zweier-Team und teilen sich Moderation und<br />
Dokumentation.<br />
Die ModeratorInnen werden von der Leitung des Ethikbeirats und nach Rücksprache mit<br />
ihrer direkten Dienststellenleitung eingesetzt. Die Moderationstätigkeit zählt als Dienstzeit.<br />
B. Anmeldung und Ansetzen der <strong>Ethikberatung</strong><br />
Jede/r Mitarbeitende hat das Recht, eine <strong>Ethikberatung</strong> anzumelden. Auch BewohnerInnen<br />
bzw. deren gesetzliche VertreterInnen sowie Angehörige können eine <strong>Ethikberatung</strong><br />
beantragen.<br />
Die Anmeldung erfolgt entweder über die Hausleitung (HL/PDL) oder über die Leitung<br />
bzw. Koordination des Ethikbeirats. Nach Erarbeiten einer relevanten ethischen Fragestellung<br />
und Feststellen der Sinnhaftigkeit einer konsiliaren ethischen Fallbesprechung/<strong>Ethikberatung</strong><br />
werden ModeratorInnen vor Ort oder externe ModeratorInnen<br />
benannt, und die beteiligten Leitungen vor Ort über die Anmeldung informiert.<br />
Die <strong>Ethikberatung</strong> soll zeitnah in Absprache mit dem/der Anmeldenden sowie der pflegerischen<br />
Leitung der entsprechenden Einrichtung erfolgen.<br />
Der/die KoordinatorIn entscheidet, welche Mitglieder als ModeratorInnen nominiert<br />
werden. Diese kommen nach Möglichkeit und je nach Dringlichkeit/Eskalation nicht aus<br />
der entsprechenden Einrichtung.<br />
Tritt jedoch der begründete Fall ein, dass eine <strong>Ethikberatung</strong> nicht vertretbar erscheint, so<br />
ist dies zwischen AnmelderIn, Leitung bzw. Koordination des Ethikbeirates und<br />
Geschäftsführung der Hilfe im Alter zu kommunizieren. In diesem seltenen Fall sollte dann<br />
ein alternatives Bearbeitungssetting (Supervision, Coaching etc.) empfohlen werden.<br />
C. Teilnehmende der <strong>Ethikberatung</strong><br />
Bei der Beratung sollen alle direkt mit der Situation befassten MitarbeiterInnen und<br />
Professionen beteiligt werden. In jedem Fall ist zu überprüfen, in welcher Weise die<br />
betroffenen BewohnerInnen, deren Angehörige bzw. die Bevollmächtigten sinnvoll beteiligt<br />
werden.<br />
D. Zeitrahmen der ethischen Fallbesprechung/<strong>Ethikberatung</strong><br />
Eine <strong>Ethikberatung</strong> sollte nicht länger als 45 Minuten dauern. Alle Teilnehmenden sollten<br />
während der vollen Beratungszeit präsent sein und ihre Vertretung in anderen Funktionen<br />
vorab geklärt haben. Die Teilnahme an und die Moderation von <strong>Ethikberatung</strong> ist<br />
Dienstzeit.<br />
E. Mögliche Ergebnisse der konsiliaren ethischen Fallbesprechung/<strong>Ethikberatung</strong> im<br />
Ethikbeirat<br />
Jede <strong>Ethikberatung</strong> schließt mit einem Beratungsergebnis in Form einer begründeten Neudas<br />
Entsprechende im Rahmen der jeweiligen<br />
einschätzung der Situation oder einer (Team-)Entscheidung für ein weiteres Vorgehen.<br />
Kein Beratungsergebnis kann den Arzt und die Ärztin von ihrer Berufspflicht entbinden –<br />
d. h. diese bleiben frei in ihrer situationsbezogenen, und ihre am Bewohnerwillen auszu-<br />
richtenden, ärztlichen Entscheidung. Für Pflegende und Mitarbeitende anderer Dienste gilt<br />
Berufspflichten.<br />
60
F. Dokumentation der ethischen Fallbesprechung/ <strong>Ethikberatung</strong> im Ethikbeirat<br />
Das Moderatorenteam protokolliert die Fragestellung und das Beratungsergebnis, gegebenenfalls<br />
einige Beobachtungen über den Moderationsverlauf oder offene Fragestellungen.<br />
Diese Protokolle stehen dem Ethikbeirat in den Räumen der Leitung des Ethikbeirates<br />
intern zur Verfügung; für die an der Beratung Beteiligten ist ein Ergebnisprotokoll zu<br />
verfassen. In der Patientendokumentation ist zu vermerken, dass eine konsiliare ethische<br />
Fallbesprechung/<strong>Ethikberatung</strong> stattgefunden hat und das Ergebnis dort entsprechend zu<br />
sichern.<br />
G. Auswertung der ethischen Fallbesprechung auf Einrichtungsebene/<strong>Ethikberatung</strong> im<br />
Ethikbeirat<br />
Die <strong>Ethikberatung</strong>en werden intern im Ethikbeirat ausgewertet. Auf entsprechende<br />
Fortbildung und Qualitätsentwicklung wird geachtet.<br />
Die Geschäftsführung der Hilfe im Alter wird in regelmäßigen Abständen informiert.<br />
7. AuftraggeberInnen und Öffentlichkeitsarbeit<br />
Der Auftrag zur Einrichtung eines Ethikbeirates in der Hilfe im Alter erfolgte durch die<br />
Geschäftsführung der Hilfe im Alter im Frühjahr 2009. Die Geschäftsordnung wurde von<br />
der Leitungskonferenz und der Geschäftsführung in Zusammenarbeit mit der o. g.<br />
Fachstelle erarbeitet bzw. beschlossen.<br />
Die Konstituierung des Ethikbeirates erfolgte am 29. Oktober 2009 in München.<br />
Die Geschäftsordnung wird im QM-Rahmenhandbuch der Hilfe im Alter veröffentlicht.<br />
61
Baustein: Info-Folder <strong>Ethikberatung</strong><br />
62
Beispiel: Info-Brief an Heimleitungen der „Hilfe im Alter“<br />
Betr:<br />
Brief an die Leitungen unserer Alten- und Pflegeheime zur Implementierung des<br />
Flyers „<strong>Ethikberatung</strong> und Ethikbeirat“<br />
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!<br />
Unser Flyer zur <strong>Ethikberatung</strong> und zum Ethikbeirat ist gedruckt. Er steht Ihnen in ausreichender<br />
Anzahl zur Verfügung. Ein Muster liegt diesem Brief bei.<br />
Wir hatten in der Heimleiterklausur und im Ethikbeirat vereinbart, dass die Implementierung<br />
des Flyers in den einzelnen Einrichtungen individuell unter Ihrer Leitung<br />
durchgeführt wird. Dafür sollen Zuständigkeiten und Abläufe in Ihrer Einrichtung im<br />
Umgang mit Rückmeldungen geklärt werden, die MitarbeiterInnen über den Flyer, die<br />
dahinter stehenden Anliegen und den vereinbarten Umgang informieren. (Ein Briefentwurf<br />
an alle MitarbeiterInnen liegt diesem Schreiben bei).<br />
Wie besprochen, soll dann Ende November der Flyer in den Einrichtungen ausliegen. Wir<br />
empfehlen, zeitgleich alle BewohnerInnen und deren Angehörige mit einem Exemplar des<br />
Flyers zu versorgen. Auch für diese Information haben wir ein Musterschreiben vorbereitet,<br />
das Sie gerne noch kommentieren und adaptieren können (Anlage).<br />
Das Schreiben an die MitarbeiterInnen hat einen allgemeinen Teil, der vom Ethikbeirat<br />
konzipiert wurde; in einem zweiten Teil mögen Sie bitte den in der Hausleitung<br />
vereinbarten Ablauf und die Zuständigkeiten als individuellen Text, mit der Handschrift<br />
Ihrer Einrichtung, einfügen. Alle MitarbeiterInnen sollen gut informiert und vorbereitet sein<br />
und die Anliegen und Ziele des Ethikprojektes mittragen können.<br />
Wir bieten Ihnen hier eine kurze Checkliste mit möglichen Schritten und Fragen an, die in<br />
dieser (ja recht kurzen) Implementierungsphase hilfreich sein können:<br />
• Wie und wo informieren Sie die MitarbeiterInnen vom Flyer? (Evtl. kann das<br />
Begleitschreiben mit einem Muster an einem schwarzen Brett zusätzlich veröffentlicht<br />
werden …)<br />
• Wie können die MitarbeiterInnen vorbereitet werden, alle Rückmeldungen, auch<br />
unfreundliche und unangemessene, professionell und engagiert entgegenzunehmen?<br />
• Von der Perspektive des Ethikprojekts aus ist es uns wichtig, dass möglichst alle<br />
Anfragen und Rückmeldungen kurz dokumentiert werden – auch wenn diese auf Station,<br />
im Wohnbereich oder in anderen Routinen bearbeitet und gelöst werden.<br />
• Bedarf es noch einer Information oder Unterstützung von Seiten des Ethikbeirates<br />
und/oder seiner Geschäftsführung?<br />
In der Geschäftsführung des Ethikbeirats beschäftigen wir uns derzeit intensiv mit der<br />
Frage und Standardisierung der Dokumentation und der Anmeldung von ethischen Anfragen<br />
beziehungsweise Fallbesprechungen. Hier werden die entsprechenden Formulare<br />
im Qualitätshandbuch und im Qualitätsmanagement zur Verfügung stehen. Geplant ist ein<br />
Formular für die Anmeldung und Durchführung und eines für die Protokollierung und<br />
Dokumentierung einer Fallbesprechung.<br />
Mit Rückfragen wenden Sie sich bitte an uns.<br />
63
Beispiel: Infobrief an die MitarbeiterInnen<br />
Kopf des Hauses<br />
Absender: Hausleitung<br />
Datum: Herbst 2010<br />
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!<br />
Liebe Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen!<br />
Wir möchten Sie heute an den Fortgang unseres gemeinsamen Ethikprojektes anschließen.<br />
Seit nunmehr einem Jahr arbeitet der Ethikbeirat erfolgreich. In fast allen<br />
Einrichtungen haben schon moderierte Fallbesprechungen stattgefunden und einige<br />
MitarbeiterInnen haben an unseren Workshops für Ethikmoderation teilgenommen. Die<br />
Idee einer ethischen Aufmerksamkeit als Baustein unserer gemeinsamen diakonischen<br />
Kultur in den Einrichtungen ist von Ihnen gut angenommen worden.<br />
Ein weiterer Schritt in diesem Projekt ist die Veröffentlichung unseres neuen Flyers zur<br />
<strong>Ethikberatung</strong> in unseren Einrichtungen: Wir wollen mit diesem Flyer alle, die in unseren<br />
Einrichtungen ein- und ausgehen, in diese ethische Aufmerksamkeit einbinden. Uns ist<br />
dabei wichtig, dass Sie über dieses Vorgehen ausreichend informiert sind.<br />
Wenn der Flyer einmal in ihrer Einrichtung ausliegt, wird es passieren, dass Sie von<br />
BewohnerInnen, Angehörigen oder BesucherInnen angesprochen werden. Dann sollten<br />
Sie wissen, wie Sie reagieren können. Auch Sie selbst sollen nicht in Ihrer ethischen<br />
Aufmerksamkeit nachlassen. Daher ist es wichtig, dass Sie sich im Haus vor der<br />
Veröffentlichung des Flyers Gedanken über angemessene Reaktionen auf Anfragen und<br />
die nötigen Zuständigkeiten machen.<br />
Jede Einrichtung wird ihren eigenen Weg bei der Implementierung des Flyers gehen. Der<br />
Ethikbeirat rechnet damit, dass bis Ende November in allen Einrichtungen der Flyer<br />
bekannt ist und von den Mitarbeitenden erkannt und verstanden wird. Erst dann wird er<br />
ausgelegt. Gleichzeitig werden wir Ende November die BewohnerInnen und Angehörigen<br />
in einen eigenen Schreiben über diesem Flyer informieren. Die bis dahin nötigen Schritte<br />
sind in ihrem Haus wie folgt vereinbart:<br />
Hier bitte Text einfügen, der das Vorgehen und die Zuständigkeiten in der jeweiligen<br />
Einrichtung klärt;<br />
• Vorstellung und Einführung des Flyers<br />
• Veröffentlichungstermin im Haus<br />
• Verhaltensvorschlag beim Entgegennehmen einer Anfrage<br />
• Wissen um die zuständigen Personen (Stationsleitung; PDL, HL, hausinternes Mitglied<br />
des Ethikbeirates, Koordinator/in <strong>Ethikberatung</strong> der Hilfe im Alter)<br />
• Mögliche Formen der Weiterbearbeitung oder Weiterleitung<br />
Wir laden Sie hiermit ein, <strong>Ethikberatung</strong> als Dienstleistung an unseren BewohnerInnen<br />
und ihren Angehörigen, aber auch an der Einrichtung selbst und am Träger zu verstehen.<br />
Ihr Beitrag dazu ist zentral. <strong>Ethikberatung</strong> kann und wird uns in schwierigen Situationen<br />
entlasten und unterstützen. Deswegen wollen wir uns gut und gemeinsam auf diese<br />
Schritte vorbereiten.<br />
64
Beispiel: Beispielbrief an Angehörige<br />
Liebe Bewohnerinnen und Bewohner!<br />
Liebe Angehörige!<br />
Sehr geehrte Damen und Herren in diesem Haus!<br />
Wie Sie sicher wissen, bemühen wir uns als diakonische Einrichtung, die Qualität der<br />
Versorgung zu sichern und zu fördern. Dazu führen wir immer wieder gemeinsam mit<br />
unseren MitarbeiterInnen Projekte durch, z. B. wie wir Ihre Wünsche und Anliegen besser<br />
berücksichtigen und umsetzen können. Zuletzt haben wir ein Projekt zur ethischen<br />
Entscheidungskompetenz durchgeführt und einen zentralen Ethikbeirat für alle Einrichtungen<br />
eingerichtet.<br />
Dieses Projekt wurde auch durch eine Erklärung des evangelischen Landesbischofs Dr.<br />
Johannes Friedrich und des bayrischen Diakoniepräsidenten Dr. Ludwig Markert inspiriert:<br />
“Eine … ethische Kompetenz in Alten- und Pflegeeinrichtungen, sowie der Aufbau von<br />
ausreichend Fortbildungsmöglichkeiten haben aus unserer Sicht hohe Priorität. Dabei ist<br />
zu berücksichtigen, dass eine erhöhte ethische Kompetenz in stationären Pflegeeinrichtungen<br />
nicht unabhängig von den gesamten Pflegeprozessen gesehen werden darf,<br />
sondern integraler Bestandteil des Pflege- und Einrichtungskonzepts sein muss. Bewohnerinnen<br />
und Bewohner brauchen die Gewissheit, dass ihre Bedürfnisse wahrgenommen<br />
werden und ihre Würde bis zum Lebensende geachtet wird. Die Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter gewinnen Handlungssicherheit und erfahren Entlastung. Vor Ort können<br />
Einrichtungen der Altenpflege mit Kirchengemeinden, diakonische Einrichtungen, mit der<br />
Altenheimseelsorge, ambulanten Pflegediensten und Kliniken zusammenarbeiten und<br />
gegenseitig beratend tätig werden.“<br />
Weitere Informationen über die Umsetzung von <strong>Ethikberatung</strong> auch in dieser Einrichtung<br />
können Sie dem beigefügten Flyer entnehmen. Wir werden diesen Flyer auch für Alle in<br />
dieser Einrichtung veröffentlichen und auslegen. Natürlich stehen wir Ihnen für alle Fragen<br />
und Anliegen zur Verfügung.<br />
Bitte sprechen Sie uns an, wenn Sie das Gefühl haben, dass im Umgang mit Ihnen, mit<br />
Ihren Angehörigen oder sonst jemandem in diesem Haus nicht richtig verfahren wird. Wir<br />
sind auf Sie angewiesen, damit wir uns verbessern können.<br />
Jetzt schon herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, Ihre Rückmeldung und Ihre<br />
Unterstützung!<br />
Unterschrift Heimleitung<br />
65
Literatur, Links<br />
Arndt, Marianne (1996), Spannungsfeld Arbeitsauftrag und medizinische Ethik. Die Pflegeberufe<br />
in der invasiven operativen Krankenhausroutine, in: Die Schwester/Der Pfleger 35. Jg. S. 9 – 16<br />
De Beauvoir, Simone, (1972) Das Alter (La Vieillesse 1970) , Rowohlt Verlag: Reinbeck<br />
Bickhardt, Jürgen (2010): Der Patientenwille, Verlag C. H. Beck, München<br />
Dinges, Stefan; Heimerl, Katharina; Heller, Andreas (2005): OrganisationsEthik in unterschiedlichen<br />
Beratungssettings, in: Forum Supervision 26/2005, S. 25 – 41<br />
Dinges, Stefan (2006): Ethische Entscheidungskulturen – Hindernis oder Unterstützung am<br />
Lebensende. in: Knipping, Cornelia (2006) (Hg.): Lehrbuch Palliative Care. Hans Huber, Bern, S.<br />
536 – 545<br />
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Dinges Stefan (2008): Ethik in der Organisation Krankenhaus – Intervention und Innovation, in:<br />
Dörries Andrea, Neitzke Gerhard, Simon Alfred, Vollmann Jochen (Hg.): Klinische <strong>Ethikberatung</strong><br />
Ein Praxisbuch, Stuttgart: Kohlhammer<br />
Dinges Stefan (2008): Hürden auf transdisziplinären (Forschungs-)Wegen, in: Reitinger Elisabeth<br />
(Hg.): Transdisziplinäre Praxis. Forschen im Sozial- und Gesundheitswesen, Wien, Carl-Auer-<br />
Verlag, S. 109 – 119<br />
Dinges Stefan; Simon Alfred (2010): Grundlagen und Bausteine für eine systemische Evaluation<br />
von <strong>Ethikberatung</strong>, in: Krobath Thomas; Heller Andreas (Hg.) Ethik organisieren. Handbuch der<br />
Organisationsethik, Freiburg: Lambertus, S, 919 – 936<br />
Fletcher, John C., Hoffmann, Diane E.: Ethics Committees (1994): Time to Experiment with<br />
Standards, in: Annals of Internal Medicine 120, S. 335 – 338<br />
Gordijn, Bert (2000), Ethische Diskussionen im Team. Nijmweger Modell der multi-disziplinären<br />
ethischen Fallbesprechung, in: Die Schwester/Der Pfleger 39/2, S. 114 – 117<br />
Gordijn, Bert; Steinkamp, Norbert (2000): Entwicklung und Aufbau Klinischer Ethikkomitees in<br />
den Krankenhäusern der Malteser Trägerschaft. Ein Werkstattbericht, in: ZME 46, S. 305 – 310<br />
Bartosch, Hans; Coenen-Marx, Cornelia; Erckenbrecht, Joachim F.; Heller, Andreas (Hg.)<br />
(2005): Leben ist kostbar. Der Palliative Care- und Ethikprozess in der Kaiserswerther Diakonie,<br />
Lambertus; Freiburg<br />
Heller Andreas; Dinges Stefan (2003): <strong>Ethikberatung</strong> in der Altenhilfe. In: ProCare Nr. 6, S. 30 –<br />
32<br />
Heller Andreas, Dinges Stefan (2003): <strong>Ethikberatung</strong> im Krankenhaus. In: Heller, Andreas,<br />
Krobath, Thomas (Hg.): OrganisationsEthik. Organisationsentwicklung in Kirchen, Caritas und<br />
Diakonie. Freiburg; Lambertus, S. 419 – 428<br />
Jonas, Hans (2005) Fatalismus wäre Todsünde. Gespräche über Ethik und Mitverantwortung im<br />
dritten Jahrtausend, hg. von Böhler, Dietrich, Münster: LiT, S. 58<br />
Katholischer Krankenhausverband Deutschlands e.V., Deutscher Evangelischer<br />
Krankenhausverband e.V.: Ethik-Komitee im Krankenhaus, Eigenverlag, Freiburg 1997<br />
Kittelberger, Frank (2007): Gut gelaufen; in: A. Heller, K. Heimerl, S. Husebö (Hg.): Wenn nichts<br />
mehr zu machen ist, ist noch viel zu tun; Lambertus, Freiburg 2007<br />
3<br />
Krobath, Thomas; Heller, Andreas (Hg.)(2010): Ethik organisieren. Handbuch der<br />
Organisationsethik. Lambertus; Freiburg<br />
66
La Puma, John, Stocking, Carol B., Silverstein, Marc D., DiMartini, Andrea, Siegler, Mark<br />
(1988): An Ethics Consultation Service in: A Teaching Hospital. Utilization and Evaluation, in:<br />
JAMA 260, S. 808 – 811<br />
Pleschberger Sabine, Dinges Stefan (2007): “Ethische Fallbesprechung“. Planung, Ablauf und<br />
Reflexion der Workshops im Projekt, in: Reitinger Elisabeth, Heimerl Katharina, Heller Andreas<br />
(Hg.) Ethische Entscheidungen in der Altenbetreuung. Mit Betroffenen Wissen schaffen, kursbuch<br />
palliative care 11/2007<br />
Rabe, Marianne (2005): Strukturierte Falldiskussion anhand eines Reflexionsmodells. in: Arbeitsgruppe<br />
„Pflege und Ethik“ der Akademie für Ethik in der Medizin e.v. (Hg.): „Für alle Fälle…“ Kunz,<br />
Hannover, S. 131 – 144<br />
Raischl, Sepp et. al. (Hg.) (2008).: Für ein würdevolles Leben bis zuletzt, München; Bezugsinfo<br />
über www.chv.org<br />
Reiter-Theil, Stella (2000): Ethics Consultation on Demand. Concepts, Practical Experience and a<br />
Case Study, in: JME 26, S. 198 – 203<br />
Reitinger, Elisabeth (Hg..) (2008): Transdisziplinäre Praxis. Forschen im Sozial- und<br />
Gesundheitswesen. Heidelberg: Verlag für Systemische Forschung – Carl Auer<br />
Richter, Gerd (2001): Ethics Consultation at the University Medical Center – Marburg. In: HEC<br />
Forum 13 (3). Dordrecht: Kluwer Academic Publishers. S. 294 – 305<br />
Richter, Gerd (oJ): Fälle klinischer Ethik – Theorie und Praxis. Erschienen in: Reihe Gerontologie<br />
39. Marburg<br />
Schwerdt, Ruth (2002): Ethisch-moralische Kompetenzentwicklung als Indikator für<br />
Professionalisierung. Das Modellprojekt „Implementierung ethischen Denkens in den beruflichen<br />
Alltag Pflegender“, Regensburg: Eigenverlag<br />
Schmidt, Kurt W. (2001): Models of Ethics Consultation: The „Frankfurter Model“. in: HEC Forum<br />
13 (3). Dordrecht: Kluwer Academic Publishers. S. 281 – 293<br />
Schulz, Andrea: Traditionelle und alternative Wohnformen für Seniorinnen und Senioren,<br />
Hamburg: Diplomica Verlag, 2004<br />
Simon, Alfred (2000): Klinische <strong>Ethikberatung</strong> in Deutschland. Erfahrungen aus dem Krankenhaus<br />
Neu-Mariahilf in Göttingen. Ersch. in: Berliner Medizinethische Schriften. Heft 36. Dortmund:<br />
Humanitas Verlag<br />
Simon, Alfred; Gillen, Erny (2000): Klinische Ethik-Komitees in Deutschland/Feigenblatt oder<br />
praktische Hilfestellung in Konfliktsituationen? In: Simon et al. (Hrsg.): Die Heilberufe auf der<br />
Suche nach ihrer Identität. Frankfurt: LIT. S. 151 – 157<br />
Simon, Alfred; Gillen, Erny (2000): Erhebung über Klinische Ethik-Komitees. In: Krankendienst 8-<br />
9. S. 245 – 248<br />
Steinkamp, Norbert; Gordijn, Bert (2003) Ethik in der Klinik – ein Arbeitsbuch. Luchterhand,<br />
Neuwied.<br />
Them, Christa; Deufert, Daniela; Fritz, Elfriede: Die »Haller Altersstudie«, Vortrag im Rahmen der<br />
Tagung »Pflegebedürftig« in der »Gesundheitsgesellschaft«, (26. – 28. März 2009), Halle/Saale,<br />
in: Hallesche Beiträge zu den Pflegewissenschaften, Gesundheits- und Pflegewissenschaften 44<br />
(2009). S. 3 – 15<br />
Tödt, Heinz Eduard (1977): Schritte der ethischen Urteilsfindung; in: Tödt, H.E.:Versuch zu einer<br />
Theorie ethischer Urteilsfindung. in: Zeitschrift für evangelische Ethik 21.Jhg. (1977) S.81 – 93<br />
Vollmann, Jochen (2001): Healthcare Ethics Committees in Germany: The Path Ahead. In: HEC<br />
Forum 13 (3). Dordrecht: Kluwer Academic Publishers. S. 255 – 264<br />
67
Frank Kittelberger<br />
Evangelischer Pfarrer und Pastoralpsychologe<br />
Lehrsupervisor (DGfP; DGSv)<br />
Gruppenanalytiker (GAG; DAGG)<br />
Berufliche Position:<br />
Pastoralpsychologische Pfarrstelle<br />
SPES<br />
Spiritualität•PalliativeCare•Ethik•Seelsorge<br />
Konsulent der IFF<br />
Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung<br />
Abteilung Palliative Care und OrganisationsEthik<br />
der Universität Klagenfurt (Wien)<br />
Beirat im Gyökössy Institut<br />
Institut für Seelsorge und Pastoralpsychologie der<br />
Karoly Universität in Kesckemet, Ungarn<br />
Stellvertretender Vorsitzender des BHPV (Bayerischer Hospiz- und Palliativverband)<br />
Mitglied des DHPV (Deutscher Hospiz- und Palliativverband)<br />
Mitglied der DGP (Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin)<br />
Mitglied der Steuerungsgruppe einer Taskforce „Palliative Care in long term facilities“<br />
der EAPC (European Association for Palliative Care).<br />
Langjährige Praxis in:<br />
Seelsorge, Supervision und Beratung;<br />
Fortbildung, Training, Vernetzung;<br />
Hospiz- und Palliativarbeit; Implementierung;<br />
Projektmanagement, Organisationsentwicklung.<br />
Schwerpunkt dabei:<br />
Implementierung von Hospizkultur, Palliativversorgung, <strong>Ethikberatung</strong> in Einrichtungen der<br />
stationären Altenhilfe auf bayerischer, deutscher und europäischer Ebene.<br />
Zahlreiche Veröffentlichungen<br />
Dr. Stefan Dinges<br />
Dr. Stefan Dinges ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
und Universitätslektor am Institut für Ethik und Recht in<br />
der Medizin tätig, einer Forschungsplattform der Universität<br />
Wien und der Medizinuniversität Wien. Er arbeitet als selbstständiger<br />
Trainer, Berater und Organisationsentwickler (organisationðik) sowie<br />
als Mediator i. A. Er ist Vorstandsmitglied und Mitinitiator der österreichischen<br />
Plattform für Patientensicherheit.<br />
Dr. Stefan Dinges hat langjährige Berufserfahrung in der Leitung und<br />
Begleitung verschiedener Ausbildungsprogramme wie z. B. des Masterstudienganges<br />
Palliative Care und aktuell dem Universitätslehrgang für<br />
Patientensicherheit und Qualität im Gesundheitswesen. Zahlreiche<br />
Zusatzqualifikationen im Bereich Erwachsenenbildung, Sterbe- und<br />
Trauerbegleitung, Gemeindeberatung und Organisationsentwicklung<br />
sowie (klinischer) <strong>Ethikberatung</strong> in Einrichtungen des Gesundheitswesens.<br />
stefan.dinges@organisationsethik.at<br />
68
Herausgeber:<br />
Diakonisches Werk Bayern e. V.<br />
Landesverband der Inneren Mission<br />
Fachgruppe Kommunikation<br />
Pirckheimerstraße 6<br />
90408 Nürnberg<br />
Telefon 0911 / 9354-204<br />
Telefax 0911 / 9354-215<br />
info@diakonie-bayern.de<br />
www.diakonie-bayern.de ISBN 978-3-00-033725-3