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Leitfaden Ethikberatung - Robert Bosch Stiftung

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Bayern<br />

Zurechtkommen<br />

Ethikkultur in der Altenhilfe<br />

Stefan Dinges<br />

Frank Kittelberger<br />

www.diakonie-bayern.de


Zurechtkommen<br />

Ethikkultur in der Altenhilfe<br />

<strong>Leitfaden</strong> zur Orientierung und Organisation<br />

einer ethischen Entscheidungskultur in Einrichtungen der stationären Altenhilfe<br />

Stefan Dinges, Frank Kittelberger


Sich Menschen am Lebensende zuzuwenden und sie zu begleiten<br />

– diese diakonische Aufgabe unterstützte die Initiative Hospizarbeit<br />

und Palliativ Care, die das Diakonische Werk Bayern<br />

vor einigen Jahren startete. In zahlreichen Fortbildungen für Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter der stationären und ambulanten Altenpfl<br />

ege, aber auch in gezielten Implementierungsmaßnahmen<br />

für Träger und ihre Einrichtungen wurde die Sorge um Menschen<br />

am Lebensende in den Mittelpunkt gerückt. Diese Sorge, die unter<br />

dem Stichwort „end-of-life-care“ verschiedene Disziplinen und<br />

Handlungsfelder zusammenfasst, hat an Breite und Tiefe gewonnen.<br />

In diesem Zusammenhang rückte eine Reihe ethisch schwieriger<br />

Situationen und moralischer Fragestellungen im Bereich der Pfl ege und Begleitung von<br />

Menschen am Lebensende ins Blickfeld. Achtsamkeit stellte sich als ein Kennzeichen diakonischer<br />

Zuwendung heraus. Deutlich sehen wir, wie wichtig es ist, die verschiedenen Sichtweisen<br />

der Beteiligten, von Ärzten und Pfl egepersonal, der Angehörigen und vor allem der<br />

zu Pfl egenden, miteinander ins Gespräch zu bringen. Es kann also nicht um schnelle und<br />

eindeutige Lösungen gehen. Es geht um die Fähigkeit, miteinander im Gespräch zu sein.<br />

Eigene Wertvorstellungen und Erwartungen geraten nicht selten in den Widerspruch zu den<br />

Wertvorstellungen, Erwartungen und Bedürfnissen anderer. Ethische Orientierung bedeutet<br />

hier, das Gespräch und den gemeinsamen Blick auf eine Situation zu fördern. Anders als in<br />

manchen klinischen Ethikkomitees, denen ein schwieriger Fall zur Entscheidung vorgelegt<br />

wird, versuchen wir in den Einrichtungen vor Ort die Betrachtung derselben Situation von<br />

verschiedenen, zum Teil ganz unterschiedlichen Sichtweisen her einzuüben. <strong>Ethikberatung</strong><br />

in der bayerischen Diakonie stellt sich der Frage: Wie kommen in dieser Lebenssituation<br />

Betroffene und Beteiligte miteinander zurecht, dass sie gemeinsam einen guten, gangbaren<br />

Weg fi nden. Es geht um Handlungsfähigkeit und Kommunikation.<br />

Der vorliegende <strong>Leitfaden</strong> bietet einen Einblick in Methoden und Arbeitsmaterialien zur<br />

<strong>Ethikberatung</strong>, die auf den jahrelangen Praxiserfahrungen der beiden Autoren beruhen. Er<br />

nimmt die Fähigkeiten und Kompetenzen der einzelnen Mitarbeitenden, aber auch die Organisationen<br />

und Einrichtungen selbst in den Blick. Denn: Die Qualifi kation der einzelnen<br />

kommen nur dann zur Geltung, wenn die Einrichtung als ganze <strong>Ethikberatung</strong> als Aufgabe<br />

auch der Organisationsentwicklung ernst nimmt.<br />

Wir danken den beiden Autoren, Frank Kittelberger und Stefan Dinges, für die Erstellung<br />

des vorliegenden <strong>Leitfaden</strong>s und für das damit verbundene Engagement, <strong>Ethikberatung</strong> in<br />

der Altenpfl ege fachlich zu fundieren und zu begleiten. Wir sind gewiss, dass mit diesem<br />

<strong>Leitfaden</strong> den Herausforderungen moderner Altenpfl ege in einem wichtigen und kommunikativ<br />

bedeutsamen Feld Rechnung getragen werden kann.<br />

Dr. Ludwig Markert<br />

Präsident des Diakonischen Werks Bayern


Inhaltsverzeichnis<br />

1. Einführung<br />

2. Themen, Inhalte und Strukturen von <strong>Ethikberatung</strong>en<br />

3. Grundlagen der <strong>Ethikberatung</strong><br />

4. Modelle der <strong>Ethikberatung</strong> und ihre Einsatzmöglichkeiten<br />

5. Fortbildung / Training für unterschiedliche Formen der <strong>Ethikberatung</strong><br />

6. Wie kommt die <strong>Ethikberatung</strong> in die Einrichtungen?<br />

7. Literaturverzeichnis / Links<br />

S. 4<br />

S. 7<br />

S. 19<br />

S. 32<br />

S. 43<br />

S. 47<br />

S. 66


1. Einführung<br />

Ethische Entscheidungskultur(en) am Lebensende<br />

Die demographische Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte hat in Einrichtungen der<br />

stationären Altenhilfe bundesweit zu zahlreichen Modellprojekten der Implementierung von<br />

Palliative Care geführt. Inzwischen ist auf diesem Feld einiges an innovativem Wissen,<br />

Routinen und Strukturen entstanden. In den letzten Jahren sind neue Themen im Umfeld<br />

der Fragen nach der Palliativversorgung im Pflegeheim in den Blick gekommen. Dazu<br />

gehören die speziellen Anforderungen in der Begleitung von Demenzkranken am<br />

Lebensende, aber auch Fragen der Ethik und <strong>Ethikberatung</strong>.<br />

Die Hilfe im Alter der Inneren Mission München hatte im Laufe ihres Projektes zur<br />

Implementierung von Palliativversorgung frühzeitig die Notwendigkeit erkannt, Fragen der<br />

Ethikkultur, ethischer Entscheidungsprozesse und ethischer Strukturen gesondert in den<br />

Blick zu nehmen. Daher hat sie sich entschlossen, im Jahr 2008 mit einem eigenen<br />

Projekt zur Implementierung von <strong>Ethikberatung</strong> zu beginnen. Die hier vorliegende<br />

Handreichung möchte die Projekterfahrungen, insbesondere aber die bewährten<br />

Arbeitsmaterialien und Designs, Anderen zur Verfügung stellen: Das Projekt „Ethische<br />

Entscheidungskultur am Lebensende“ wurde von der <strong>Robert</strong>-<strong>Bosch</strong>-<strong>Stiftung</strong> großzügig<br />

gefördert; eine wesentliche Bedingung war, das Wissen zur Verfügung zu stellen – was wir<br />

hiermit gerne tun 1 .<br />

Ethische Kompetenz in diakonisch (karitativen) Einrichtungen der Altenhilfe<br />

Nicht nur die interne Organisations- und Projektkultur der Hilfe im Alter, auch das kirchlichgesellschaftliche<br />

Umfeld begünstigten das geplante Ethikprojekt: Für das bei der <strong>Robert</strong>-<br />

<strong>Bosch</strong>-<strong>Stiftung</strong> beantragte und mit den Führungskräften der Hilfe im Alter vereinbarte<br />

Projekt ergab sich in der Auftaktphase ein Kairos, der für die exemplarische Wirkung und<br />

Weiterarbeit eine wichtige Bedeutung hatte: Im Zusammenhang diakonischer Initiativen in<br />

Bayern hatte das Diakonische Werk mit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche einen<br />

Aufruf zugunsten strukturierter <strong>Ethikberatung</strong> in den Einrichtungen der Altenhilfe gestartet.<br />

Dieser Aufruf war und ist in seinen Inhalten eine Bestätigung und Unterstützung für die<br />

Zielvorgaben des Ethikprojekts der Hilfe im Alter. Zitat aus dem Aufruf vom Januar 2009 2 :<br />

Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Bayern und das Diakonische Werk<br />

Bayern rufen hiermit dazu auf, <strong>Ethikberatung</strong> bzw. ausgewiesene ethische Kompetenz<br />

in Zukunft in allen diakonischen und kirchlichen Einrichtungen der Altenpflege zu<br />

einem integralen Bestandteil des Gesamtkonzeptes werden zu lassen. (…).<br />

Schon jetzt und in Zukunft immer mehr müssen auch in Einrichtungen der Altenpflege<br />

schwierige Situationen bewältigt und schwierige Entscheidungen getroffen werden.<br />

Dazu braucht es besondere ethische Wachsamkeit und Sensibilität für die Bedürfnisse<br />

der Bewohnerinnen und Bewohner und für die Notwendigkeiten der konkreten<br />

Situation. Dreh- und Angelpunkt, an der die ethischen Entscheidungen auszurichten<br />

sind, sind die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner. In stationären<br />

Pflegeeinrichtungen sind auch bereits heute Leitungen, Pflegeverantwortliche und<br />

Mitarbeitende in diesem Sinn wachsam und sensibel. Dies verdient hohe Anerkennung<br />

und Unterstützung – sowohl in fachlicher als auch in struktureller Hinsicht. Gerade<br />

1 Weitere Informationen zum Projekt und zum Projektbericht, auf den wir uns hier häufig beziehen, bei:<br />

fkittelberger@im-muenchen.de<br />

2 http://www.diakonie-bayern.de/positionen-der-diakonie/zur-ethischen-kompetenz-in-der-altenhilfe.html<br />

4


deshalb besteht eine besondere Herausforderung immer wieder darin, die Anweisungen<br />

von Hausärztinnen und Hausärzten mit teilweise widersprechenden<br />

Erwartungen von Angehörigen und den eigenen Wünschen der pflegebedürftigen<br />

Bewohnerinnen und Bewohnern zu vereinbaren. Willensbekundungen in Patientenverfügungen<br />

bedürfen der Interpretation. Werden Menschen im Pflegeheim krank,<br />

rückt der Tod heran, setzt häufig ein vor allem für die Bewohnerinnen und Bewohner<br />

belastender „Drehtüreffekt“ ein. Sie werden ins Krankenhaus überwiesen, kommen<br />

wieder von dort zurück, werden wieder überwiesen, auch deshalb, weil in der Pflegeeinrichtung<br />

Unsicherheit über das angemessene Verhalten oder Zweifel an der verordneten<br />

Behandlung bestehen. Dieser „Drehtüreffekt“ widerspricht einer Auffassung,<br />

gerade das Ende des Lebens -und was damit verbunden ist - als entscheidende<br />

Lebensaufgabe anzunehmen und bewusst zu gestalten. Engagierte Hausleitunge<br />

und Pflegende, die mit solchen Situationen zurechtkommen und offene Fragen<br />

ansprechen, verdienen hohe Anerkennung. Sie brauchen aber auch professionelle<br />

Begleitung und kontinuierliche Fortentwicklung ihrer ethischen Kompetenz.(…)<br />

Die kirchlich Verantwortlichen skizzieren ein integriertes Modell in der Begleitung und<br />

Versorgung hochaltriger Menschen. Sie betonen, dass es hier zusätzlicher Kompetenzen<br />

bedarf – aber auch Strukturen, damit wirklich bedürfnisorientiert gearbeitet werden kann.<br />

In dieser Empfehlung wird ein besonderes Augenmerk auf die MitarbeiterInnen gelegt; hier<br />

werden die Notwendigkeit von Entlastung und indirekt von Supervision, aber auch<br />

Handlungssicherheit hervorgehoben. Es wird auf den Ausbildungsbedarf hingewiesen, der<br />

eben auch der Qualität der ganzen Einrichtung zugute kommen sollte. Grundtenor ist<br />

jedenfalls das kommunikative Engagement, das für die Umsetzung der ethischen Frage<br />

grundlegend ist.<br />

Deswegen freuen wir uns, dass dieser <strong>Leitfaden</strong> vom Diakonischen Werk Bayern<br />

herausgegeben wird. Er schließt an die Handreichung „Ethisch handeln in der Pflege“ der<br />

Hessischen Diakonie 3 an, die er ergänzen und weiterführen will. Damit steht der<br />

deutschen Diakonie insgesamt eine beachtliche Breite an direkt nutzbarer Literatur in<br />

einem noch jungen Themenfeld zur Verfügung.<br />

Zum Gebrauch dieser Handreichung<br />

Unsere Handreichung ist nicht primär für NeueinsteigerInnen ins Thema gedacht: Die<br />

NutzerInnen sollten eine gewisse Vorerfahrung und ein Überblickswissen im Bereich der<br />

<strong>Ethikberatung</strong>, Organisationsentwicklung und im Projektmanagement haben. Entsprechende<br />

Hinweise für Grundausbildungen haben wir im Anhang dokumentiert. Unsere<br />

Handreichung richtet sich an PraktikerInnen, die in (ihren) Einrichtung Projekt-Praxis<br />

voranbringen möchten bzw. eine schon begonnene <strong>Ethikberatung</strong> optimieren und<br />

wirksamer gestalten möchten. Für diese Zielgruppe haben wir kurze Einführungen,<br />

beispielhafte Designs und Arbeitsblätter zusammengestellt – wir laden herzlich dazu ein,<br />

diese zu verwenden und ggf. zu adaptieren.<br />

Im Sinne eines <strong>Leitfaden</strong>s wird hier Interessierten ein Einblick in unser Modellprojekt<br />

gegeben und dabei werden gleichzeitig Ideen vermittelt, welche Schritte sinnvoll und<br />

welche Voraussetzungen nötig wurden, um selbst einen ähnlichen Weg einzuschlagen. Dabei<br />

liegt die Betonung auf „ähnlich“. Kein Projekt gleicht dem anderen. Kein Modell kann<br />

einfach „nachgebaut“ werden. Im Palliative Care, in der Hospizarbeit und auch in einer auf<br />

die Betroffenen zentrierten Ethik steht die Situation der Betroffenen und Beteiligten im<br />

Vordergrund.<br />

3 http://www.diakonie-hessen-nassau.de/DWHN/presse/2009/Artikel/1809.html<br />

5


Alles Wissen ist letztlich verdankt oder es wurde gemeinsam erarbeitet; wir danken allen<br />

verantwortlichen Frauen und Männern in der Hilfe im Alter für die vertrauensvolle<br />

Zusammenarbeit, namentlich sei die Geschäftsführung, Dr. Günter Bauer und Gerhard<br />

Prölß (pars pro toto!) herausgegriffen. Zusammenarbeit, kollegiale Inspiration und auch<br />

das ein oder andere Textfragment schulden wir insbesondere Svenja Uhrig, Brigitte Huber<br />

und Martin Alsheimer.<br />

Wolf Hirche und Siegfried Wanner im Diakonischen Werk Bayern ist für die Unterstützung<br />

im ganzen Themenzusammenhang und insbesondere an der Ermöglichung dieses<br />

<strong>Leitfaden</strong>s zu danken.<br />

6


2. Themen, Inhalte und Strukturen von <strong>Ethikberatung</strong>en<br />

Klinische Ethikkomitees, <strong>Ethikberatung</strong> und Ethikbeiräte in der Altenhilfe<br />

Woher kommt das Wissen, auf welches das Projekt „Ethische Entscheidungskultur am<br />

4<br />

Lebensende“ zurückgreifen konnte? Klinische <strong>Ethikberatung</strong> in Form von „Health Care<br />

Ethics Committees“ 5 war in den 80er Jahren eine Antwort auf organisationale Krisen im<br />

Krankenhausbereich (Schadensfälle, Euthanasievorwürfe, Fragen nach Qualität und<br />

Standards etc.). Krankenhäuser waren gezwungen, Ethikkomitees zu gründen, um die<br />

eigene Existenz nicht zu gefährden und den ärztlichen MitarbeiterInnen eine rechtliche<br />

Rückendeckung zu gewähren. Bald darauf wurde die Existenz eines Ethikkomitees zum<br />

Gegenstand von Zertifizierungen und damit zu einem unerlässlichen Standard in<br />

amerikanischen Krankenhäusern.<br />

Über KollegInnen 6 , die in der USA Medizinethik lernten und lehrten und über die klinischen<br />

Zertifizierungen, die durch Zertifizierungsgesellschaften nach Europa kamen, gelangte die<br />

Idee der Klinischen Ethikkomitees bzw. der klinischen <strong>Ethikberatung</strong> auch nach<br />

Deutschland 7 . Sie etablierten sich insbesondere an Universitätskliniken, wo sie eine<br />

ergänzende Rolle zu den klinischen Ethikkommissionen einnahmen und auch von den<br />

LehrstuhlinhaberInnen für Medizinethik betrieben wurden. Dabei hat insbesondere ein<br />

Modell der KollegInnen aus Nimwegen 8 Eindruck hinterlassen: In Ergänzung zu einem<br />

Komitee waren die MitarbeiterInnen des Lehrstuhls für Medizinische Ethik über einen<br />

Piepser für MitarbeiterInnen des gegenüberliegenden Krankenhauses für ethische<br />

Fallkonsultationen auf Station erreichbar.<br />

Andere Modelle wurden von Hans Martin Sass (Bochumer Patientenbogen), Stella Reiter-<br />

Theil (Zürich) 9 beschrieben. Einen wichtigen Schritt leisteten die beiden konfessionellen<br />

Krankenhausverbände 10 in Deutschland, die ihren Mitgliedern die Einrichtung von<br />

Klinischen Ethikkomitees empfohlen haben – um hier einen zusätzlichen strukturellen<br />

Mehrwert als konfessionelle Einrichtung zu haben und zur eigenen Profilbildung<br />

beizutragen. Die bestehenden Ethikkomitees wurden in einer ersten Studie von Alfred<br />

4 La Puma, John, Stocking, Carol B., Silverstein, Marc D., DiMartini, Andrea, Siegler, Mark (1988): An Ethics<br />

Consultation Service in a Teaching Hospital. Utilization and Evaluation, in: JAMA 260, S. 808 – 811<br />

5 Fletcher, John C., Hoffmann, Diane E.: Ethics Committees (1994): Time to Experiment with Standards, in:<br />

Annals of Internal Medicine 120, S. 335 – 338<br />

6 Z. B. Gerd Richter, vgl. Richter, Gerd (o.J.): Fälle klinischer Ethik – Theorie und Praxis. Erschienen in:<br />

Reihe Gerontologie 39. Marburg; Richter, Gerd (2001): Ethics Consultation at the University Medical Center<br />

– Marburg. In: HEC Forum 13 (3). Dordrecht: Kluwer Academic Publishers. S. 294 – 305<br />

7 Z. B. Schmidt, Kurt W. (2001): Models of Ethics Consultation: The „Frankfurter Model“. In: HEC Forum 13<br />

(3). Dordrecht: Kluwer Academic Publishers. S. 281 – 293; Simon, Alfred (2000): Klinische <strong>Ethikberatung</strong> in<br />

Deutschland. Erfahrungen aus dem Krankenhaus Neu-Mariahilf in Göttingen. Ersch. in: Berliner<br />

Medizinethische Schriften. Heft 36. Dortmund: Humanitas Verlag.<br />

8 Gordijn, Bert (2000), Ethische Diskussionen im Team. Nijmweger Modell der multi-disziplinären ethischen<br />

Fallbesprechung, in: Die Schwester/Der Pfleger 39 2 (2000), S. 114 – 117; Gordijn, Bert, Steinkamp, Norbert<br />

(2000): Entwicklung und Aufbau Klinischer Ethikkomitees in den Krankenhäusern der Malteser Trägerschaft.<br />

Ein Werkstattbericht, in: ZME 46, S. 305 – 310; Steinkamp Norbert, Gordijn Bert (2003) Ethik in der Klinik –<br />

ein Arbeitsbuch. Luchterhand, Neuwied.<br />

9 Reiter-Theil, Stella (2000): Ethics Consultation on Demand. Concepts, Practical Experience and a Case<br />

Study, in: JME 26, S.198 – 203<br />

10 Katholischer Krankenhausverband Deutschlands e. V., Deutscher Evangelischer Krankenhausverband<br />

e.V.: Ethik-Komitee im Krankenhaus, Eigenverlag, Freiburg 1997.<br />

7


Simon und Erny Gillen evaluiert 11 . Dabei wurde deutlich, dass viele Ethikkomitees ohne<br />

ausreichende Ausbildung in die Arbeit gestartet waren. Dementsprechend zwiespältig<br />

waren auch die ersten Erfahrungen, die mit Ethikkomitees und <strong>Ethikberatung</strong> gemacht<br />

wurden; manche Komitees wurden eingerichtet und kamen nie in die Arbeit, andere trafen<br />

sich zwar, hatten aber keine Anfragen.<br />

Gemeinsam mit Simon/Gillen und einigen KollegInnen aus der IFF-Abteilung „Palliative<br />

Care und Organisationales Lernen“ wurde 2002 ein Pilotprojekt zur Schulung und<br />

Implementierung von <strong>Ethikberatung</strong> in der Kaiserswerther Diakonie/Florence Nightingale<br />

Krankenhaus 12 durchgeführt, 2003 dann auch in der stationären Altenhilfe 13 . Dahinter<br />

stand die Idee, dass wechselseitig MitarbeiterInnen aus der Altenhilfe bzw. aus dem<br />

Krankenhaus auf der Basis des Nimwegener Modells ethische Fallbesprechungen<br />

moderieren können. Im Training zeigte sich ein unterschiedliches Vorgehen und Adaptieren<br />

der Konzepte: Während im Krankenhaus sehr eng an den Nimwegener Vorgaben<br />

festgehalten wurde, entwickelte sich in der Altenhilfe ein sehr differenziertes Vorgehen,<br />

das sich auch an anderen Modellen aus dem Bereich der Sozialpädagogik orientierte. Hier<br />

konnte schon auf interdisziplinäre und multiprofessionelle Fallbesprechung zurückgegriffen<br />

werden. Ein weiteres Modell der kollegialen Beratung ergänzte das Methodenportfolio.<br />

Interessant war zudem der Rahmen, in dem <strong>Ethikberatung</strong> eingerichtet wurde: Im Vorfeld<br />

waren bereits durch das IFF-Team Strukturen von Palliative Care bzw. die Einrichtung<br />

eines Hospizes im Krankenhaus begleitet worden; nachfolgend sollte auch auf<br />

übergreifenden Ethikstrukturen auf Trägerebene hingearbeitet werden. Aus dem<br />

Pilotprojekt wurde ein erweitertes Trainingsprogramm IFF/AEM aufgesetzt, das dreimal<br />

durchgeführt wurde: Mainz 2002/2003, Freising 2003 und Düsseldorf 2004.<br />

Die Fachgesellschaft Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) an der Universität<br />

Göttingen richtete 2004/2005 einen Arbeitskreis ein, der ein gemeinsames<br />

Ausbildungscurriculum für klinische <strong>Ethikberatung</strong> 14 erarbeitet. Hier konnte neben den<br />

medizinethischen Themen und den Moderationserfahrungen aus der IFF-Perspektive<br />

insbesondere ein Organisationsschwerpunkt eingefügt werden. In nicht wenigen Projekten<br />

der ersten Stunde war eine ‚Organisationsvergessenheit‘ zu bemerken; d. h. es gab<br />

keinen klaren Auftrag der Führung, Rollenkonflikte (z. B. durch die Beteiligung von<br />

SeelsorgerInnen oder unreflektierten Leitungsrollen im Komitee), mangelnden<br />

Informationsfluss, keine oder nicht ausreichende Dokumentation etc. Es wurde anhand<br />

des Curriculums annähernd deutlich, dass die Ausbildung allein noch nicht zu einer<br />

gelingenden <strong>Ethikberatung</strong> (auf Station oder im Komitee) führen würde. Für den<br />

Erfahrungsaustausch wurde eine Internet-Plattform 15 gegründet, auf der neben dem<br />

Curriculum weitere Unterlagen zur Verfügung gestellt werden. Seit 2008 erarbeitet die<br />

11 Simon, Alfred, Gillen, Erny (2000): Erhebung über Klinische Ethik-Komitees. In: Krankendienst 8-9. S. 245<br />

– 248; Simon, Alfred, Gillen, Erny (2000): Klinische Ethik-Komitees in Deutschland / Feigenblatt oder<br />

praktische Hilfestellung in Konfliktsituationen? In: Simon et al. (Hrsg.): Die Heilberufe auf der Suche nach<br />

ihrer Identität. Frankfurt: LIT. S. 151 – 157.<br />

12 Heller Andreas, Dinges Stefan (2003): <strong>Ethikberatung</strong> im Krankenhaus. In: Heller, Andreas, Krobath,<br />

Thomas (Hrsg.): OrganisationsEthik. Organisationsentwicklung in Kirchen, Caritas und Diakonie. Freiburg im<br />

Breisgau: Lambertus, S. 419 – 428.<br />

13 Heller Andreas, Dinges Stefan (2003): <strong>Ethikberatung</strong> in der Altenhilfe. In: ProCare 6, S. 30 – 32; weitere<br />

Erfahrungen: vgl. Hans Bartosch, Cornelia Coenen-Marx, Joachim F. Erckenbrecht, Andreas Heller (Hrsg.)<br />

(2005): Leben ist kostbar. Der Palliative Care- und Ethikprozess in der Kaiserswerther Diakonie, Lambertus:<br />

Freiburg<br />

14 Simon Alfred, May Arnd T., Neitzke Gerald (2005), Curriculum „<strong>Ethikberatung</strong> im Krankenhaus“ in<br />

EthikMed 17, S. 322 – 326.<br />

15 www.ethikkomitee.de<br />

8


Arbeitsgruppe Standards für die Einrichtung von <strong>Ethikberatung</strong> und Empfehlungen für die<br />

Dokumentation; diese wurden nach der Approbation durch den Vorstand der AEM auf der<br />

oben genannten Interseite veröffentlicht.<br />

Auf der Basis des Curriculums wurden etliche Trainingsprogramme eingerichtet; ein<br />

Programm, an dem sich die Autoren des Curriculums beteiligen, findet am Zentrum für<br />

Gesundheitsethik (ZfG) an der Ev. Akademie Loccum jetzt schon im 12. Durchgang statt.<br />

Ebenfalls am AEM/IFF-Basiscurriculum orientiert sich ein Ausbildungskurs für <strong>Ethikberatung</strong><br />

in der Altenhilfe, den die beiden Projektverantwortlichen im Ethikprojekt der Hilfe<br />

im Alter ab 2006 nun bereits zum fünften Mal anbieten werden (2006 und 2007 in Kloster<br />

Irsee, 2008, 2009 und 2010 in Steinerskirchen, gemeinsam mit der Gemeinnützigen<br />

Gesellschaft für soziale Dienste, Nürnberg).<br />

Inhalte und Ziele der Fortbildung „<strong>Ethikberatung</strong> in der Altenhilfe“:<br />

Grundlagen zu Ethik, Beratung und Organisation<br />

Identifikation und Moderation ethischer Fragen im Alltag<br />

Ethik als Prozess verstehen und gestalten<br />

Brückenfunktion der Ethik (Person – Organisation – Kultur)<br />

Entscheidungsspielräume gestalten<br />

Ethische Entscheidungsfindung als Versorgungsqualität verstehen<br />

Kontext zu end-of-life-care sehen<br />

Grundparadigmen (gewaltfreier) Kommunikation zuordnen<br />

Grundlagen zu <strong>Ethikberatung</strong> und Organisationsethik<br />

Modelle interdisziplinärer Fallbesprechungen kennenlernen und einüben<br />

Interprofessionelle Ethik und <strong>Ethikberatung</strong> in der Altenhilfe<br />

Ethische Themen in der Altenhilfe<br />

Fallbeispiele nach den Ansätzen von Loewy und Rabe moderieren<br />

Entwicklung und Entscheidung für mögliche Modelle und Strukturen von<br />

<strong>Ethikberatung</strong><br />

Beratung zur Implementierung und zu Routinen von <strong>Ethikberatung</strong><br />

Seit 2005 wurden von den ProjektbegleiterInnen (einzeln und gemeinsam) vielfache<br />

Erfahrungen im Bereich <strong>Ethikberatung</strong> erworben, in Beratung und in der Implementierung.<br />

Auch im Bereich der Altenhilfe wurden bereits mehrere Projekte in Training, Beratung und<br />

Implementierung umgesetzt (z. B. Ethikbeirat des Geriatriezentrums am Wienerwald,<br />

Wien, Kath. Pflegehilfe, Essen und in einem Projekt des österreichischen<br />

Bildungsministeriums für Transdisziplinäre Forschung, Teilprojekt Ethische Arrangements<br />

in Pflegeheimen 16 ).<br />

Inzwischen gibt es im deutschsprachigen Raum eine Vielzahl von Modellen von<br />

<strong>Ethikberatung</strong>, auch in der Altenhilfe, die sich im Wesentlichen auf die skizzierten<br />

Konzeptionen und Modelle zurückführen lassen.<br />

16 Pleschberger Sabine, Dinges Stefan (2007): “Ethische Fallbesprechung“. Planung, Ablauf und Reflexion<br />

der Workshops im Projekt, in: Reitinger Elisabeth, Heimerl Katharina, Heller Andreas (Hg.): Ethische<br />

Entscheidungen in der Altenbetreuung. Mit Betroffenen Wissen schaffen, kursbuch palliative care 11/2007;<br />

Dinges Stefan (2008): Hürden auf transdisziplinären (Forschungs)Wegen, in: Reitinger Elisabeth (Hg.):<br />

Transdisziplinäre Praxis. Forschen im Sozial- und Gesundheitswesen, Wien, Carl-Auer-Verlag, S. 109 – 119;<br />

Reitinger Elisabeth (Hg.) (2008): Transdisziplinäre Praxis. Forschen im Sozial- und Gesundheitswesen.<br />

Heidelberg: Verlag für Systemische Forschung – Carl Auer.<br />

9


Baustein: Die Themenlandschaft einer Einrichtung in der Altenhilfe wahrnehmen<br />

Die (ethischen) Themen, die in einer Einrichtung aufgeworfen und angesprochen werden,<br />

sind aufschlussreich für die ethische Entscheidungskultur einerseits (die vorhandene und<br />

die erwünschte) und für den Bedarf an ethischer Entscheidungskompetenz andererseits.<br />

Die daraus entstehende Themenlandkarte kann ein wichtiges Instrument für die Arbeit und<br />

die Weiterentwicklung in den Einrichtungen gesehen werden. Es sind jene Geschichten<br />

und Themen, die vor allem MitarbeiterInnen 17 aufwerfen, wenn sie nach guter Arbeit und<br />

Versorgungen gefragt werden, nach Geschichten, die ihnen nachgegangen sind und von<br />

denen sie glauben, dass ‚man‘ auch hätte anders entscheiden können. Diese Themen<br />

führen wieder zur Grundannahme, dass <strong>Ethikberatung</strong> jene Themen besprechbar macht,<br />

die in einer Organisation besprochen werden müssen, um weiterhin den Organisationszweck<br />

(in der Altenhilfe z. B. menschenwürdige Versorgung im Alter) zu gewährleisten und<br />

selbst zukunftsfähig zu bleiben.<br />

Die zweite Grundannahme ist, dass dazu die Widersprüche einer Organisation sichtbar<br />

gemacht und dass das Nichtentscheidbare entschieden werden sollte. Einer der<br />

Widersprüche, auf die wir immer wieder stoßen, ist die Anforderung, menschenwürdige<br />

Versorgung im Alter zu garantieren und als Widerspruch dazu die gesellschaftliche<br />

Abwertung des Alters. Dies ist weniger daraus abzuleiten, dass das jugendliche Aussehen<br />

ein Schönheitsmaßstab ist etc., sondern vielmehr an der permanenten Ressourcenknappheit,<br />

die für die Versorgung alter Menschen gesellschaftlich zur Verfügung gestellt<br />

werden. Simone de Beauvoir hat bereits 1970 in ihrem Buch „Das Alter“ darauf hingewiesen,<br />

dass sich die Humanität einer Gesellschaft daran ablesen lässt, welchen<br />

Aufwand und welchen Verzicht sie zu leisten bereit ist, um ihre Alten zu versorgen. 18<br />

Ein Beispiel für die Figur des Nichtentscheidbaren, das es zu entscheiden gilt, ergibt sich z. B. bei<br />

der Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Behandlung oder Behandlung bei demenziell erkrankten<br />

BewohnerInnen oder nicht mehr auskunftsfähigen PatientInnen: Ob etwas Sinn macht, ist letztlich<br />

dem Individuum und seiner/ihrer Entscheidung anheim gestellt. Viele Entscheidungssituationen in<br />

der Altenhilfe sind jedoch dadurch charakterisiert, dass es trotz einer Willensäußerung, einer<br />

Stellvertretung oder einer Patientenverfügung nicht mehr zweifelsfrei möglich ist zu entscheiden,<br />

was in dieser oder jener Situation sinnvoll im Sinne der BewohnerIn oder PatientIn wäre. Hier hilft<br />

<strong>Ethikberatung</strong>, indem sie die Entscheidung nicht auf einer singulären Perspektive begründet,<br />

sondern auf einer strukturierten Bearbeitung in einem interdisziplinären, multiprofessionellen<br />

Setting.<br />

Methoden: Um die Themenlandschaft (= die aktuellen ethischen Herausforderungen)<br />

einer Einrichtung zu erheben, eignen sich zwei Instrumente: (a) eine exemplarische<br />

Bearbeitung einer Fallgeschichte oder (b) eine ausführliche, gemeinsame<br />

Stärken-Schwächen-Analyse. Die erwähnten Arbeitsblätter und Materialien finden Sie<br />

gleich im Anschluss an das jeweilige Kapitel.<br />

Diese Instrumente haben einen unterschiedlichen Fokus und eine unterschiedliche<br />

Durchdringungstiefe.<br />

- Die ethische Bearbeitung einer Fallgeschichte geht bei einer Person und dem<br />

betreuenden Team in die Tiefe. In einer vorausschauenden (prospektiven)<br />

Bearbeitung, wenn alle relevant Betroffenen beteiligt werden konnten, kommt es in<br />

17 Für den weiteren Verlauf der Implementierung ist die verstärkte Integration der Perspektiven von<br />

BewohnerInnen und ihrer Angehörigen zu beachten; in der ethischen Bearbeitung der Bewohnergeschichten<br />

war diese Perspektive ja schon vorhanden.<br />

18 De Beauvoir, Simone, (1972) Das Alter (La Vieillesse 1970), Rowohlt Verlag: Reinbeck.<br />

10


der Regel zu einer unmittelbaren Entscheidung oder zu einer Empfehlung, die dann<br />

zeitnah umgesetzt wird. Hier wird insbesondere eine Verhaltensänderung auf<br />

Teamebene oder bei einzelnen Personen möglich. Ob sich auch etwas an den<br />

Arbeitszusammenhängen und an den organisationalen Rahmenbedingungen<br />

ändert bzw. diese Kontexte gesehen werden, ist nicht immer garantiert.<br />

- In einer nachschauenden (retrospektiven) Aufarbeitung einer Fall-Geschichte<br />

können diese Kontexte und das organisationale Lernen in den Mittelpunkt gestellt<br />

werden. Sich als Team oder Einrichtung zu verbessern, obwohl zuvor gute Arbeit<br />

geleistet wurde, ist eine starke Motivation, sich den auftauchenden Themen zu<br />

stellen. Die Befürchtung, an einen Pranger gestellt zu werden, verhindert jedwede<br />

Motivation. Deswegen ist dafür Sorge zu tragen, dass die strukturierte Bearbeitung<br />

von retrospektiven Fallbesprechungen keinesfalls in eine ‚Schuldigensuche‘ oder in<br />

ein Tribunal ausarten. Verantwortungsübernahme und gemeinsames Fokussieren<br />

auf notwendige Veränderungen ist dagegen ein anzustrebendes Ziel.<br />

- Bei der Stärken-Schwächen-Analyse liegt der Fokus der Themen viel näher an den<br />

Team- und Organisationsaufgaben; die individuelle Bewohnergeschichte bzw. die<br />

aktuelle Versorgungssituation sind eher der Katalysator für eine Problemstellung<br />

bzw. für eine notwendige Lösung oder einen Entwicklungsschritt.<br />

Beispiel: Entwicklung/Bearbeitung einer Themenlandkarte aus exemplarischen Fallgeschichten<br />

• Scham von BewohnerInnen, zur Last zu fallen und pflegebedürftig zu sein<br />

• (Über-) fordernde BewohnerInnen (mit Einfluss, Macht)<br />

• Mobilisierung, Gedächtnistraining wider Willen<br />

• Unruhige, aggressive BewohnerInnen, mit Tendenz zu Zerstörungen, Ekel auslösenden<br />

Handlungen, täglichem depressivem Sterbewunsch<br />

• Sexuelle Übergriffe gegenüber MitarbeiterInnen (z. B. in der Demenz)<br />

• Unterschiedliche Positionen im Team bei klarem PatientInnen/BewohnerInnen-Willen<br />

• Aufträge von Angehörigen, die das Team auszuführen haben<br />

• Konsequentes, kontinuierliches Einbeziehen des Hausarztes/der Hausärztin<br />

• Schwierige und belastende Sterbesituation, z. B. Atemnot, Ersticken, trotz Einstellen der<br />

Ernährung längeres Sterben, Sterben im Doppelzimmer, starke Blutungen, Schmerzen<br />

• Ausreichende seelsorgliche und spirituelle Begleitung am Lebensende<br />

• Entscheidung/Abwehr eines/einer (dementen gerontopsychiatrisch veränderten)<br />

Bewohners/Bewohnerin gegen Krankenhaus, Reanimation, lebensverlängernde Maßnahmen,<br />

Ernährung, Verweigerung von Pflegemaßnahmen, Medikamentengabe<br />

• Krankenhauseinweisung wider Willen, Notarzt-Modus, Nicht-Beachtung von<br />

Patientenverfügungen<br />

• Ausreichende Versorgung, Ausreichende Schmerztherapie und Symptomkontrolle im<br />

Sterbeprozess<br />

• Entscheidung über Ernährung (PEG) bei Dementen/am Lebensende<br />

• Entscheidungen von Führungskräften, die nicht begründet werden<br />

• Ansprechen von Pflegefehlern (Dekubitus, Sauberkeit) bzw. unangemessenes Verhalten von<br />

KollegInnen (Verstoß gegen Vereinbarungen, Regeln, Standards)<br />

• Anordnungen von BetreuerInnen, AmtsärztInnen – gegen das Team/Haus<br />

Im Vergleich zu ähnlichen Projekten im Krankenhaus fallen einige Beobachtungen auf: Es<br />

gibt eine erhöhte Sensibilität auf Alltagsthemen, die als ethisch bedenklich gesehen<br />

werden: Die Entscheidungen auf Leben und Tod, die im medizin-dominierten Krankenhaus<br />

an der Tagesordnung sind, treten in den Hintergrund. Eine verstärkte Aufmerksamkeit liegt<br />

11


auf guter und angemessener Pflege. Damit wird auch der Dominanz der Pflegeberufe im<br />

Alten- und Pflegeheim Genüge getan. Die Schwachstelle einer angemessenen und<br />

ausreichenden medizinischen Versorgung wird gesehen. Aus diesen Perspektiven lässt<br />

sich vermuten, dass in den Altenhilfe weniger ein ‚Zuviel‘ am Lebensende, sondern eher<br />

ein ‚Zuwenig‘ an (medizinischer) Versorgung zum Thema wird und in den Einrichtungen<br />

bedacht werden muss. Ähnlich wie im Krankenhaus werden Themen und Fragestellungen<br />

markiert, die von außen in die Einrichtung getragen werden: Die Wünsche von<br />

Angehörigen und anderen Bezugspersonen, Anordnungen von BetreuerInnen,<br />

AmtsärztInnen und den medizinischen Diensten der Krankenkassen werden oft als<br />

Störung und mit zu wenig Verständnis für die Alltagsarbeit markiert. Ähnlich wie im<br />

Krankenhaus fällt es aus vielerlei Gründen schwer, Außenperspektiven als Unterstützung<br />

zu nutzen bzw. als nützlich zu integrieren.<br />

Erfahrungsaustausch: Vertiefende Analysen und Einsichten<br />

In Workshops machen wir die Erfahrung, dass über kurz oder lang organisationsrelevante<br />

Themen ‚auf den Tisch kommen‘ und einen sensibel-kompetenten Umgang fordern.<br />

Beobachtung 1: Es fällt im Rahmen der Beschreibung von Fallgeschichten auf, dass die<br />

Berichtenden schwer „auf den Punkt kommen“; die Geschichten werden ausschweifend erzählt<br />

und starten oft mit unwesentlichen Details, andere TeilnehmerInnen werden unruhig …<br />

Interpretation: Gerade in der knappen Zeit der Alltagsroutinen werden Auszeiten genutzt, um sich<br />

belastende Dinge von der Seele zu reden; manchmal weist es auch auf hinderliche Muster im<br />

Alltagsverhalten hin. Die ‚GeschichtenerzählerInnen‘ haben relevantes Wissen über eine<br />

Betreuungssituation; dadurch dass sie nicht auf den Punkt kommen (eigentlich: das relevante<br />

Thema nicht in den Vordergrund stellen!) wird ihnen nicht zugehört, die problematische Situation<br />

bleibt offen. Mitunter verstummen diese MitarbeiterInnen frustriert.<br />

Intervention: Es bedarf einer Anleitung zur gezielten Informationsweitergabe (Worum geht es –<br />

Fragestellung: fachlich – palliativ – ethisch? Was ist die Vorgeschichte? Was sind relevante Fakten<br />

(physisch, psychisch, sozial, spirituell)? Wie sind diese zu gewichten und zu bewerten? Was gibt<br />

es an Handlungsmöglichkeiten, Alternativen, Konsequenzen?! Was könnte der nächste Schritt<br />

sein? (Klären: Verantwortlichkeiten – EntscheiderInnen – zu Beteiligende). Die<br />

Leitungsverantwortlichen sind zu befähigen, relevantes Wissen zeitgerecht von den<br />

Mitarbeitenden zu generieren; moderierte Besprechungsroutinen sollen dabei unterstützen, damit<br />

das Wesentliche an Informationen allen verständlich zur Verfügung steht.<br />

Beobachtung 2: Im Rahmen der Fallbesprechung entsteht die Tendenz, dass Leitungsverantwortliche<br />

beginnen, Beteiligte zu belehren.<br />

Interpretation: Führungskräfte erkennen in der Fallbearbeitung einerseits ihre Verantwortung<br />

gegenüber bestimmten Themen; anderseits zeigen sich unterschiedliche Wissensbestände und<br />

Nachholbedarf im Bereich von Fachkompetenz und persönlichen Fähigkeiten.<br />

Intervention in der Moderation: Die/der ModeratorIn leitet dazu an, nur das, was zur unmittelbaren<br />

Fallgeschichte gehört, kurz anzuführen; Führungskräfte sollen anderen Orts bei nächster<br />

Gelegenheit geeignete Maßnahmen ergreifen, z. B. eine interne Weiterbildung abhalten etc.<br />

Im Rückblick auf die Bearbeitung der Fallgeschichten stellt sich die Frage nach der Prävention<br />

(und damit konkretisiert sich eine Aufgabe für die Moderation): Was sollte in den Teams<br />

vorausschauend gelernt und organisiert werden? Wie schauen die Prozeduren aus bei:<br />

- unterschiedlichen Positionen bzw. Konflikten zwischen Angehörigen (BewohnerInnen) und<br />

dem Team?<br />

-<br />

unterschiedlichen Positionen bzw. Konflikten zwischen Team und HausärtztInnen?<br />

- Konflikten im Team, zwischen Leitung und Team?<br />

12


Beispiel: Themenlandschaft aus einer Stärken-Schwächen-Analyse<br />

Bei der Arbeit mit der Stärken-Schwächen-Analyse greifen wir insbesondere jene Themen auf, die als<br />

Schwächen bzw. als Herausforderungen genannt werden – hier zeigt sich der Entwicklungsbedarf der<br />

Personen, der Teams und der Einrichtungen. Im Moderationsprozess ist es ebenso wichtig, mit den Stärken<br />

und Chancen zu arbeiten (eine detaillierte Anleitung findet sich in der Materialbox). Die Themen aus der<br />

Stärken-Schwächen-Analyse wurden nach den Stichworten ‚Pflegekultur‘, ‚Kommunikationskultur‘,<br />

‚Teamkultur‘ und ‚Hauskultur‘ aufgegliedert.<br />

Ethische Herausforderungen in der Pflegekultur<br />

• zu wenig Biographie der BewohnerInnen<br />

• viele demente BewohnerInnen => hoher Stressfaktor<br />

• Oftmals fehlt die Zeit, mit Angehörigen und BewohnerInnen in Ruhe zu sprechen<br />

• andere BewohnerInnen, die drängen<br />

• Patientenverfügungen oftmals nicht vorhanden/nicht aktuell/werden nicht anerkannt<br />

• zerstrittene Angehörige, die gegensteuern oder ihre Meinung ändern<br />

Kommunikationskultur<br />

• getroffene Absprachen werden nicht eingehalten<br />

• Ängste, über Gefühle zu reden<br />

• zu wenig Austausch unter den MitarbeiterInnen<br />

Teamkultur<br />

• Überlastung der Teams durch Personalwechsel, Aushilfskräfte, Zeitarbeit<br />

• oft unterschiedliches Verständnis und Empfinden von Situationen<br />

• zeitlicher Rahmen durch Rahmenbedingungen von außen sehr eng<br />

• Arbeit wird durch „Unorganisiertheit, Unordnung“ im normalen Ablauf gestört<br />

• Teams/Bereiche überlastet (durch hohe Krankenstände)<br />

• alte, eingefahrene Abläufe, resistente MitarbeiterInnen<br />

• negatives Gerede<br />

• Widerstände gegen fachlich begründete Veränderungen<br />

• Kommunikation mit und bis zu den PflegehelferInnen funktioniert nicht immer<br />

• Uneinigkeit im Team<br />

Hauskultur<br />

• zu viel verwaltende Aufgaben in der Pflege (bessere Organisation der Aufgaben?)<br />

• zeitweise geringe Wertschätzung der Hauswirtschaft (Selbsteinschätzung: die HW macht da<br />

schon… – wird hier Verantwortung abgeschoben?!)<br />

• Engpässe lösen zu viel Stress aus<br />

• Oft immer wieder neue ZeitarbeiterInnen und Krankheitsausfälle - deswegen keine gute<br />

Arbeitsplanung möglich<br />

• zu viel egoistisches Verhalten (mein Team, unsere Station, etc.)<br />

• Cliquenwirtschaft – Teams klinken sich aus<br />

• Mobbinggefahr<br />

• Leitungen haben den Drang, Teammitglied sein zu wollen<br />

• zu wenig Abgrenzung zum Team<br />

• der sehr hohe Qualitätsanspruch lässt zu wenig Zeit übrig, um sich z. B. mit persönlichen<br />

Gesprächen zu befassen.<br />

13


• Vor lauter „Qualitätsverbesserung“ und ständig sich ändernden Vorgaben geht der Blick für<br />

das Wesentliche verloren.<br />

• Mitarbeitstruktur (nicht alle MitarbeiterInnen können/wollen sich mit dem Ethik-Thema<br />

beschäftigen)<br />

• wichtige pflegerische Informationen (z.B. MRSA) müssen geordnet die Bereiche Küche und<br />

Hauswirtschaft erreichen<br />

• nur Pflichten – wenig Anerkennung<br />

• Argumentation gegenüber Medizinischem Dienst der Krankenkassen nicht immer einfach<br />

• zu schnelle Zimmerräumung (bei Sozialamt sofort) -> der nächste Bewohner wartet schon -><br />

Geldfrage lösen durch „Freihaltegebühr“.<br />

Erfahrungsaustausch:<br />

Die herausfordernden Alltagsentscheidungen<br />

In der Altenhilfe sind jeden Tag herausfordernde Entscheidungen zu treffen: Ist es<br />

gerechtfertigt, physische oder psychische Gewalt anzuwenden, um einen Bewohner/eine<br />

Bewohnerin zu waschen, der/die sich dagegen wehrt? Ist es legitim, die Freiheit eines<br />

Bewohners/einer Bewohnerin einzuschränken, die unruhig ist und versucht aus dem Heim<br />

in die alte Wohnung zu laufen? Sollen verwirrte PatientInnen über eine Magensonde<br />

ernährt werden, aus Gründen eines allgemeinen Lebensschutzes – auch gegen ihren<br />

erklärten oder geäußerten Willen? Dürfen medizinische Behandlungen ohne Zustimmung<br />

an bettlägerigen PatientInnen durchgeführt oder unterlassen werden? Und: Wer hat<br />

eigentlich zu entscheiden? Die besorgten Angehörigen, die kompetente Pflegeperson, die<br />

erfahrene Heimleitung – oder der/die Betroffene selbst? Die Entscheidungssituationen in<br />

der Altenhilfe sind komplex und Entscheidungen lassen sich nicht leicht treffen. Die Folge:<br />

Wichtige Entscheidungen werden wegdelegiert oder gar nicht entschieden. Es entsteht der<br />

Eindruck, am Ende des Lebens gehe es eigentlich um Nicht-Entscheidbares.<br />

Der zweite Eindruck: Die ethischen Herausforderungen sind in den Einrichtungen der<br />

Altenhilfe anders gelagert als in den Krankenhäusern. Sabine Wadenpohl hat in einem der<br />

ersten Workshops für <strong>Ethikberatung</strong> (2002) in den Altenhilfeeinrichtungen der<br />

Kaiserswerther Diakonie postuliert: Ethik(-beratung) in der Altenhilfe ist weit weniger von<br />

der Dynamik „auf Leben und Tod“ geprägt, sondern eigentlich eine Ethik eines<br />

(maßvollen) Lebens angesichts des Todes. Deswegen liegt die Vermutung nahe, dass es<br />

auch andere Instrumente und Routinen der <strong>Ethikberatung</strong> braucht, als sie in der klinischen<br />

<strong>Ethikberatung</strong> entwickelt wurden. 1<br />

Was Entscheidungen so schwierig macht<br />

Das Schwierige an diesen (Alltags-)Entscheidungen ist: Sie lassen sich nicht ein für alle<br />

Mal entscheiden. Sie müssen zwischen dem Einzelnen mit seiner/ihrer individuellen<br />

Geschichte und einer verantwortlich gerechten Betreuung aller BewohnerInnen und den<br />

vorhandenen Ressourcen ausbalanciert werden. Der Medizinethiker Erich Loewy hat das<br />

Schwierige auf den Punkt gebracht: Am Lebensende haben wir beim Entscheiden selten<br />

die Wahl zwischen gut oder besser. Es gilt zu entscheiden zwischen miserabel und<br />

hundsmiserabel – zumindest auf den ersten Blick, vor allem aus dem Blickwinkel der<br />

MitarbeiterInnen und der Angehörigen. Diese machen Druck: Das ist ja nicht mehr zum<br />

1 Die entsprechenden Publikationen von Steinkamp/Gordijn (Ethik in Klinik und Pflegeeinrichtungen. Ein<br />

Arbeitsbuch, Neuwied-Köln-München: Luchterhand, 2005) bzw. Dörries et al. (Klinische <strong>Ethikberatung</strong>. Ein<br />

Praxisbuch, Stuttgart: Kohlhammer 2008) erscheinen jeweils in der 2. Auflage mit dem erweiterten Blick für<br />

die Altenhilfe.<br />

14


Aushalten, nicht mehr christlich, unwürdig … Und: Da muss man doch etwas machen!<br />

Vielleicht hätte jedoch der Bewohner/die Bewohnerin gewollt, dass jetzt nichts mehr<br />

gemacht wird. Auch wenn das Angehörige und MitarbeiterInnen schlecht aushalten …<br />

Dazu verändern sich die Rahmenbedingungen dramatisch: Das Eintrittsalter in<br />

Altenhilfeeinrichtungen hat sich in den vergangenen Jahren von durchschnittlich 75 Jahren<br />

auf weit über 82 Jahre gesteigert, mit bis zu zehn Erkrankungen, einem hohen Anteil<br />

demenziell veränderter Menschen und damit verbunden mit einem hohen Pflegebedarf 2 .<br />

Bessere Entscheidungen organisieren<br />

Angesichts dieser Entwicklung stellt sich in vielen Einrichtungen die Frage, wie sich hier<br />

eine kontinuierliche Reflexion auf Bedürfnisse der BewohnerInnen, auf angemessene<br />

Versorgung und auf die stattfindenden Wertekonflikte bzw. das diakonische Profil<br />

organisieren lässt. Und: Was kann eine eigene Konzeption von <strong>Ethikberatung</strong> in der<br />

Altenhilfe dazu beitragen? Es braucht Verfahrensregeln, Routinen und Strukturen zu<br />

entwickeln, einzuüben und zu pflegen, damit die herausfordernden Entscheidungen<br />

möglichst gut und zeitnah getroffen werden.<br />

• Eine gute Entscheidung beteiligt alle Betroffenen: BewohnerIn, Angehörige, die<br />

Teammitglieder und die Hausleitungen sowie (Haus-)ÄrztInnen;<br />

• Eine gute Entscheidung dient in erster Linie dem Bewohner/der Bewohnerin und<br />

würdigt sie/ihn als Einzelperson;<br />

• Eine gute Entscheidung ist eine, die getroffen wird!<br />

Belastend für alle Beteiligten ist, wenn nichts entschieden wird, Entscheidungen<br />

aufgeschoben, verweigert, verhindert oder solange wegdelegiert werden, bis es nichts<br />

mehr zu entscheiden gibt. Und so einfach es klingt: Bessere Entscheidungen beginnen mit<br />

der Erlaubnis zu fragen. Entscheidend ist die Frage: Ist es gut (für den Bewohner/die<br />

Bewohnerin), wie wir hier arbeiten? Was heißt für die „Hilfe im Alter“ gute Arbeit, gute<br />

Pflege, gutes Sterben? Erzielt werden soll eine Entscheidungskultur, die von allen<br />

MitarbeiterInnen und Führungskräften mitgetragen und mitgestaltet wird und die allen<br />

BewohnerInnen und ihren Angehörigen zugute kommt. Als ein Teil einer diakonischen<br />

Entscheidungskultur ist zu fragen, welchen Unterschied es denn macht, ob jemand in<br />

einer Einrichtung der Diakonie gepflegt wird? Gute Pflegequalität wird ja in allen anderen<br />

Einrichtungen auch erwartet – was also ist der konfessionelle, christliche, diakonische<br />

Mehrwert? Der christliche Weg, die protestantische Haltung, die diakonische<br />

Verantwortung – das sind Wertepräferenzen im Wettbewerb mit anderen.<br />

2 Vgl. z. B. Schulz, Andrea: Traditionelle und alternative Wohnformen für Seniorinnen und Senioren,<br />

Hamburg: Diplomica Verlag, 2004; Them, Christa, Deufert, Daniela, Fritz, Elfriede: Die »Haller Altersstudie«,<br />

Vortrag im Rahmen der Tagung »Pflegebedürftig« in der »Gesundheitsgesellschaft«, (26. – 28. März 2009),<br />

Halle/Saale, in: Hallesche Beiträge zu den Pflegewissenschaften, Gesundheits- und Pflegewissenschaften<br />

44 (2009), S. 3 – 15.<br />

15


Arbeitsblätter/Materialien zu Kapitel 2<br />

Erhebung, Analyse und Dokumentation von Fallgeschichten in der<br />

<strong>Ethikberatung</strong><br />

Datum der Anfrage EinbringerIn (intern/extern)<br />

weitergeleitet an: <strong>Ethikberatung</strong> Ethikbeirat andere<br />

<br />

A) Situations- und Problem BESCHREIBUNG<br />

Worum geht es in der Anfrage (Thema, Konflikt, Beteiligte …)<br />

<br />

Bitte schildern Sie kurz die BewohnerIn/KlientIn und ihre Lebenssituation<br />

(medizinisch-pflegerische Aspekte, sozial-spirituelle Anamnese …)<br />

<br />

Welche ethischen Fragestellungen wurden genannt?<br />

<br />

Mit welcher Frage wurde zur <strong>Ethikberatung</strong> eingeladen?<br />

<br />

Wer wurde eingeladen?<br />

B) Moderations- und Beratungsprozess<br />

<br />

Verlauf der <strong>Ethikberatung</strong>:<br />

Welche Aspekte/Positionen/Werte wurden in die Beratung eingebracht?<br />

Neue Informationen und Aspekte?<br />

Betroffene und Beteiligte, die noch nicht einbezogen wurden?<br />

Wer hat was zu entscheiden? Wer ist für was verantwortlich?<br />

16


C) Situations- und Problem-ANALYSE und Beratungs-ERGEBNISSE<br />

<br />

Ethische Beurteilung der Situation:<br />

Hat sich die Fragestellung verändert?<br />

Gibt es unterschiedliche Beurteilungen/Positionen?<br />

Welche Handlungsoptionen und deren Folgen wurden erwogen?<br />

<br />

Zu welchem Ergebnis ist die <strong>Ethikberatung</strong> gekommen?<br />

(begründete Situationseinschätzung, Empfehlung, Teamentscheidung,<br />

Konsens/Dissens)<br />

<br />

Welche Vereinbarungen wurden getroffen?<br />

(Informationen, Einbeziehen, weitere Treffen)<br />

D) Umsetzung und Weiterarbeit/Evaluation<br />

Wurden die getroffen Vereinbarungen umgesetzt?<br />

gibt es weitere Auswirkungen durch die <strong>Ethikberatung</strong>?<br />

Unterschrift der Verantwortlichen:<br />

17


SOFT-Analyse zur systematischen Erhebung des Ist-Zustandes<br />

Fragestellung:<br />

Wie sieht aus Ihrer Perspektive (z. B. einer Führungskraft) konkret die ethische Entscheidungskultur<br />

(Fragen der Menschenwürde, Autonomiewahrung, Balance der Fürsorge,<br />

Entscheidungen am Lebensende) aus?<br />

Ziel:<br />

Die gemeinsame Erarbeitung von verschiedenen Aspekten.<br />

Diese soll als Basis dienen, um anschliessend erste Lösungsansätze gemeinsam zu<br />

identifizieren und zu erarbeiten.<br />

SOFT-Analyse: (Offene Methoden Stärken-Schwächen-Analyse – BMUK: Wien 1999)<br />

Eine SOFT-Analyse ist eine Stärken-Schwächen-Analyse.<br />

Die erste Möglichkeit zur Analyse der Ausgangssituation und des Blicks in die Zukunft bildet eine so<br />

genannte Ist-Analyse, welche die gegenwärtigen Stärken und Probleme, aber auch die Chancen und<br />

Gefahren in der künftigen Entwicklung auslotet. Auf dieser Grundlage lassen sich erste Strategien<br />

für die mittel- und langfristige Zielsetzung in der jeweiligen Einrichtung oder Abteilung/ identifizieren,<br />

planen und umsetzen.<br />

Die hier vorgestellte Untersuchungsmethode eignet sich zur Analyse eines aktuellen Problemfeldes<br />

bzw. einer aktuellen Situation.<br />

Satisfaction (Zufriedenheit/Stärken)<br />

Was erscheint derzeit zufriedenstellend?<br />

Was läuft bis jetzt gut? Was gilt es jetzt zu<br />

bewahren? Das sind unsere Stärken.<br />

Darauf können wir bauen. Daran müssen<br />

wir festhalten. Das läuft rund. Darauf<br />

können wir stolz sein.<br />

Faults<br />

(Schwächen/Hindernisse/Fehler)<br />

Das fehlt; dies ist jetzt nicht gut. Hier sind Schwierigkeiten,<br />

Hindernisse, Probleme in Bezug auf ...<br />

Daran müssen wir arbeiten. Hier gibt es<br />

Probleme. Das erschwert die/das …<br />

Hier läuft es nicht rund. Das läuft<br />

unbefriedigend. Das stört uns/mich. Dies<br />

sollten wir abstellen, weil …<br />

Opportunities<br />

(Ressourcen/Möglichkeiten/Chancen)<br />

Das sind unsere Möglichkeiten. Dies sind<br />

unsere (vielleicht noch ungenutzten oder nicht<br />

ausgeschöpften) Ressourcen. Das erreicht zu<br />

haben wird gut sein. Dies sollten wir (noch<br />

mehr) nutzen. Hier sind bereits gute Ansätze<br />

vorhanden. Dies sollten wir mehr ausbauen,<br />

entwickeln, die Chancen nutzen. Hier sind<br />

Möglichkeiten vorhanden und auszubauende<br />

Ansätze für …<br />

Threats (Befürchtungen, Gefahren,<br />

Bedrohungen, Risiken)<br />

„Was passiert, wenn nichts passiert“<br />

Was passiert, wenn alles beim Alten bleibt?<br />

Hier lauern Gefahren. Da müssen wir<br />

vorsorgen. Wenn sich nichts verändert, ist zu<br />

befürchten dass ...<br />

Hier sind absehbare bedrohliche<br />

Entwicklungen, drohende Probleme in Sicht.<br />

Das droht uns, wenn wir im Bereich … nichts<br />

tun.<br />

18


3. Grundlagen der <strong>Ethikberatung</strong><br />

Ethik als Dienstleistung an Grundhaltungen, Wertvorstellungen und Handlungsprinzipien<br />

von Personen und Organisationen<br />

Baustein: Die Einstiegsfrage im Training lautet für uns: Was ist der Unterschied zwischen<br />

Moral und Ethik? (Die Ergebnisse werden auf einem Flipchart festgehalten …)<br />

Hier die Begriffe auseinanderzuhalten (bzw.<br />

die Unterschiede, um die unterschiedlichen<br />

Perspektiven und Wirklichkeiten im<br />

(beruflichen) Alltag besser nutzen zu<br />

können) ist eine Herausforderung. Unser<br />

Eindruck: ‚Ethik‘ boomt – als Begriff und in<br />

den Fortbildungsangeboten. Und: Ethik wird<br />

auch als Synonym für Moral verwendet. Hier<br />

entstehen viele Missverständnisse.<br />

Wie lässt sich das Verhältnis zwischen Moral<br />

und Ethik beschreiben?<br />

Ethik ist die (wissenschaftliche, theologischphilosophische<br />

oder einfach alltags-praktische)<br />

Reflexion auf Moral bzw. Moralen. Das<br />

heißt, es braucht eine vorfindbare Moral<br />

(Werthaltungen, Prinzipien, Normen, Leitbilder<br />

etc.), um darüber nachdenken zu<br />

können, ob es so gut ist, wie es ist. Wollen<br />

wir es so haben, wie es ist? Oder ist eine<br />

andere Wirkung, ein anderes Ergebnis<br />

wünschens- oder erstrebenswert? Ethik ist<br />

also eine Dienstleistung an der Moral bzw.<br />

zugunsten ihrer Wirksamkeit.<br />

Abb. 1: Flipchart Moral – Ethik<br />

Erny Gillen hat formuliert: Die Ethik befördert die Moral. Im Umkehrschluss bedeutet das:<br />

Ethik ersetzt nicht eine Moral und kann demnach auch nicht als Ersatz für Moral herhalten:<br />

Es braucht und geht nicht ohne explizite moralische Äußerungen und Positionierungen –<br />

die diakonisch-karitativen Einrichtungen beziehen in vielen Bereichen unseres Sozial- und<br />

Gesundheitswesens mutig Position, im Sinne eines expliziten Profils.<br />

Eine zweite Beobachtung zum aktuellen Ethikboom und zur Scheu, den Begriff der Moral<br />

zu verwenden: Viele Menschen sind der Überzeugung, ihre persönlichen Werte und<br />

Überzeugungen gingen niemanden etwas an; sie verbitten sich vehement eine<br />

Einmischung in ihre privaten Dinge. Hand in Hand mit dieser Individualisierungstendenz<br />

geht der Trend, dass es zusehens schwerer wird, gesellschaftlich Normen und Werte<br />

eindeutig zu positionieren und durchzusetzen, z. B. in der aktuellen Debatte um<br />

Sterbehilfe oder künstliche Ernährung. Als eine Konsequenz dieser Entwicklung bedauern<br />

Leitungsverantwortliche in den unterschiedlichsten Einrichtungen, dass sie nicht mehr von<br />

einer eindeutigen Wertehaltung bei den MitarbeiterInnen ausgehen können. Deshalb<br />

investieren auch die konfessionellen Einrichtungen Zeit und Geld, um durch Leitbilder und<br />

Leitlinien ihren MitarbeiterInnen, aber auch den Kunden eine gute Orientierung über<br />

Wertvorstellungen und Handlungsprinzipien, über Möglichkeiten und Grenzen zu geben. In<br />

der Regel gelingt das dann, wenn gleichzeitig auch aufgezeigt wird, wie und wo diese<br />

19


Werte und Moralen eingefordert und hinterfragt werden können oder aber wie man sich an<br />

diesen Werten auch beteiligen kann. Weil hier den Organisationen und Einrichtungen, in<br />

denen Menschen einen wesentlichen Teil ihrer Arbeits- und Lebenszeit verbringen, ein<br />

wichtiger Beitrag zur Wertebildung zukommt, haben sich hier neue ethische<br />

Reflexionsinstrumente etabliert, damit diese beabsichtigte Wirkung auch gelingt. Mit der<br />

Perspektive der Organisationsethik ist so auch eine Brücke bzw. Verbindung möglich<br />

zwischen dem Nachdenken und Reflektieren auf der Ebene des Individuums und der<br />

Gesellschaft.<br />

Baustein/Methode: Im Team der <strong>Ethikberatung</strong>, aus Anlass eines Workshops mit<br />

Leitungskräften, im Ethikbeirat (oder Ethikkomitee) eine Analyse der (gewünschten und<br />

erwarteten) Werte, Haltungen und Handlungsprinzipien für die Organisation/die<br />

Einrichtung oder das Team durchführen (erst eine Einzelarbeit, dann der gemeinsame<br />

Blick, die gemeinsame Sammlung; auf einem Flipchart zusammenschreiben: Was gilt für<br />

Individuen, was gilt in einzelnen Teams, was gilt einrichtungsweit? Eine kritische Kontrolle:<br />

Gibt es Ausnahmen, mit welcher Begründung? )<br />

In einem zweiten Schritt lassen Sie bitte zusammenstellen: Wenn es zu Unklarheiten oder<br />

einem Konflikt kommt, wie werden diese bearbeitet?<br />

- z. B. bei einem Mobbing unter MitarbeiterInnen => Betriebsrat;<br />

- z. B. bei der Beschwerde eines Bewohners/einer Bewohnerin => Beschwerdemanagement;<br />

- z. B. neue Herausforderungen => Leitbild-Konferenz.<br />

Aufgabe: Wo und wie werden in Ihrer Einrichtung derzeit Wertekonflikte zwischen<br />

BewohnerInnen, Angehörigen und dem Betreuungsteam bearbeitet bzw. gelöst?<br />

Erfahrungsaustausch: Im Alltag begegnen uns viele Fragen nach der Moral auf<br />

unterschiedlichen Ebenen:<br />

Auf der gesellschaftlichen Ebene (Sozialethik/Makroebene 2):<br />

- Was sind die Grundwerte unseres Gesundheitssystems?<br />

- In welchem Maß ist unsere Gesellschaft bereit, in die Versorgung kranker,<br />

behinderter, alter und sterbender Menschen zu investieren?<br />

- Welche christlichen Werte tragen dazu bei, die Humanität der Gesellschaft zu<br />

befördern oder zu erhalten?<br />

Auf der mittleren Ebene der Organisationen und Einrichtungen (Organisationsethik/Makroebene<br />

1)<br />

- Welche Werte und Handlungsprinzipien machen uns als christliche, diakonische<br />

Einrichtung unverwechselbar? Wie unterscheiden wir uns von anderen<br />

MitbewerberInnen auf dem Gesundheitsmarkt?<br />

- Wofür stehen wir als Pflegeeinrichtung der Diakonie? Was kann von uns erwartet<br />

werden, z. B. in der Versorgung hochaltriger, demenziell veränderter Menschen?<br />

- Welches Verhalten der Führungskräfte, der MitarbeiterInnen entspricht der Marke<br />

Diakonie, dem Profil einer diakonischen Einrichtung? Was kann unternommen<br />

werden, um diese Marke zu schützen und weiter zu befördern?<br />

Auf der Ebene der Teams und Wohnbereiche (Berufsethiken/Mesoebene)<br />

- Wie können unterschiedliche Zugänge/Berufsrollen bzw. Berufethiken zu einem<br />

gemeinsamen Teamhandeln und Entscheiden integriert werden?<br />

- Was wird im Team als gute Versorgung/Pflege/Betreuung verstanden und was ist<br />

gefährliche Pflege? Wie und wann wird das Erwünschte (bzw. das Gegenteil davon)<br />

kommuniziert?<br />

20


Auf der Basisebene (Mikroebene) spielen die persönlichen Erfahrungen, Werthaltungen<br />

und Einstellungen eine wichtige Rolle (Individualethik/Mikroebene) – auch wenn wir heute<br />

nicht mehr davon ausgehen können, dass unsere MitarbeiterInnen kirchlich oder<br />

gemeindlich sozialisiert worden sind.<br />

Bei Konflikten und in Entscheidungssituationen, in der <strong>Ethikberatung</strong> vor Ort haben wir die<br />

Erfahrung gemacht, dass es gut ist, sich auf eine Ebene zu beschränken, auf der jetzt die<br />

relevant Betroffenen entweder zusammen sind oder eingeladen werden. In der<br />

<strong>Ethikberatung</strong> vor Ort macht es wenig Sinn, sich in Themen der Gesundheitspolitik zu<br />

verlieren – da hier die EntscheidungsträgerInnen nicht erreichbar sind für eine Beteiligung.<br />

Ganz anders kann hier ein Beirat oder ein Komitee agieren: Wenn Fragestellungen in den<br />

Teams anhaltend nicht gelöst werden können werden, ist es hier möglich,<br />

Trägervertreter/Innen mit KostenträgerInnen, VertreterInnen des MDK etc. zusammen an<br />

einen Tisch zu bringen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.<br />

Abb. 2: Ziel- und Handlungsebenen in der <strong>Ethikberatung</strong> © dinges 2010<br />

Hilfreiche ethische Entscheidungsprinzipien<br />

Wie kommen wir zu praxisrelevanten Entscheidungsprinzipien? In den Alltagssituationen<br />

des Gesundheitswesens hat es sich bewährt, nicht auf so genannte Letztbegründungen<br />

zurückzugreifen, sondern die von Beauchamp und Childress vorgeschlagenen mittleren<br />

Prinzipien der Bio- bzw. Medizinethik zu verwenden. D. h. es wird im Alltag darauf<br />

verzichtet, mit moralischen Urteilen wie der Geschöpflichkeit oder Gottesebenbildlichkeit<br />

zu argumentieren, sondern es ist nach Autonomie, Nutzen, Schaden und Gerechtigkeit zu<br />

fragen.<br />

• Autonomie: Inwieweit gibt es autonome Willensäußerungen eines/einer Patient/in oder<br />

eines/einer Bewohner/in, von denen sich ein Behandlungs- oder Betreuungsauftrag<br />

ergibt oder abgeleitet werden kann?<br />

• Nutzen: Welcher Nutzen, welches Ziel soll mit einer Behandlung oder Betreuung<br />

erreicht werden?<br />

21


• Schaden: Welcher Schaden kann von einem Menschen abgewendet werden? Oder:<br />

Mit welchem geringeren Schaden wird gerechnet, um ein größeres Ziel/Nutzen zu<br />

erreichen? (z.B. Opiateinsatz zur Schmerzkontrolle ...)<br />

• Gerechtigkeit: Ist die Wahl der Mittel, der Einsatz der Ressourcen gerecht(fertigt) bzw.<br />

wird ein Vorgehen den PatientInnen, den BewohnerInnen – aber auch den Teams<br />

gerecht?<br />

Beauchamp und Childress griffen nicht irgendwelche ethische Prinzipien heraus, sondern<br />

sie zitieren drei Leitsätze, die das ärztliche Handeln und deren Berufsethik seit<br />

Jahrhunderten prägten und gestaltet haben:<br />

- primum utilis esse (Beneficence- bzw. Nutzensprinzip)<br />

- primum non nocere (Nonmaleficence- bzw. Schadensprinzip)<br />

- voluntas aegroti suprema lex (Autonomy- bzw. Autonomieprinzip)<br />

Wie sehr die alte Auswahl (aber auch die heutige!) einem bestimmten Kontext und einer<br />

zeitgeschichtlichen Verfasstheit geschuldet war und ist, zeigen zwei wesentliche<br />

Unterschiede: Das alte Prinzipienset berücksichtigte die Gerechtigkeit noch nicht als ein<br />

Entscheidungskriterium; dafür wurde auf das Heil (= Religiöses Leitmotiv) der PatientInnen<br />

verwiesen: salus aegroti suprema lex.<br />

Wir werden im Folgenden vorschlagen, in der Altenhilfe bzw. in den Begleitungen am<br />

Lebensende weitere Prinzipien wie z. B. die Fürsorge, Subsidiarität oder die Achtung<br />

der Würde stärker zu berücksichtigen (vgl. die Ausführungen/Fragestellungen auf den<br />

Arbeitsblättern). Darüber hinaus verweisen wir auf die Vielzahl der ethischen Einführungen<br />

im Bereich der Medizin- und Pflegeethik.<br />

Wo liegt der<br />

Konflikt?<br />

Welche<br />

Frage<br />

stellt sich?<br />

Abb. 3: Ethische Prinzipien in der <strong>Ethikberatung</strong> © dinges 2010<br />

Erfahrungsaustausch: Die ethischen Prinzipien dienen im Pflegealltag dazu, von einem<br />

Unbehagen (ethisch/moralisch) in einer Konflikt- bzw. Entscheidungssituation zu einer<br />

Reflexion, einer begründeten Einschätzung und in der Folge auch zu einer<br />

entsprechenden Argumentation zu kommen. Die mittleren Prinzipien begründen und<br />

22


argumentieren alltags- und entscheidungsnah, weshalb wir etwas tun oder lassen. Dabei<br />

beobachten und beachten wir, dass es hier nicht um (endgültige) moralische Urteile,<br />

Weltanschauungen oder Sinnzuschreibungen geht; die ethischen Einschätzungen und<br />

Empfehlungen in der <strong>Ethikberatung</strong> begründen keine endgültigen Wahrheiten, sondern<br />

eine Entschiedenheit in einer bestimmten Situation und Konstellation – dies aber möglichst<br />

im Dialog oder gar Konsens, wenigstens jedoch in wertschätzender und gewaltfreier<br />

Kommunikation.<br />

Im Training, aber auch in der einzelnen <strong>Ethikberatung</strong> haben wir gute Erfahrungen damit<br />

gemacht, die mittleren ethischen Prinzipien bzw. ihre aktuelle, konflikthafte Verwobenheit<br />

sichtbar zu machen. Eine Erfahrung ist dabei, dass vielleicht im Konfliktpaar Autonomie<br />

versus Fürsorge, das auch die Anfrage ausgelöst hatte, aktuell weder ein Konsens noch<br />

eine Lösung zu finden ist. Blicken wir dann auf mögliche Ziele, Handlungsmöglichkeiten<br />

und deren Folgen und legen wir darüber die Folie eines möglichen Nutzens oder<br />

Schadens, werden wir entscheidungs- und in der Folge handlungsfähig (vgl. Arbeitsblatt<br />

2: Ethische Prinzipien).<br />

Organisationsethische Prinzipien und Aufmerksamkeiten<br />

<strong>Ethikberatung</strong> ist Intervention: <strong>Ethikberatung</strong> auf der Ebene eines Ethikbeirats nimmt ja<br />

über der Perspektive einer individuellen, einzelnen Geschichte auch Zusammenhänge<br />

und Rahmenbedingungen in einem Team oder einer Einrichtung wahr und reflektiert<br />

diese, um mit Richtlinien und/oder Empfehlungen Orientierung über den Einzelfall hinaus<br />

zu schaffen. In diesen Reflexionen wird deutlich, wie sehr <strong>Ethikberatung</strong> Beratung der<br />

Leitungen und ihrer Verantwortlichkeiten ist. Und weil jede Beratung auch eine Intervention<br />

ist, sind diese einerseits behutsam und bewusst zu gestalten; zum anderen<br />

möchte die Beratung die Entscheidungskompetenz Einzelner, von Teams und<br />

Führungsverantwortlichen stärken.<br />

Erfahrungsaustausch: Der Leitsatz für uns lautet: Wir intervenieren nicht in die<br />

Zusammensetzung eines Teams, noch wissen wir besser, wie eine Praxis oder eine<br />

Lösung aussehen soll. <strong>Ethikberatung</strong> interveniert idealerweise in das Verhältnis eines<br />

Teams bzw. einer bestimmten Gruppe, die um eine Entscheidung ringt, zu einer<br />

erwünschten, angestrebten oder unerwünschten Praxis.<br />

Abb. 4: Intervention im <strong>Ethikberatung</strong>sprozess © dinges 2010<br />

23


Aus der Beratungspraxis möchten wir dazu das Modell der Interventionsebenen 21 zur<br />

Verfügung stellen, verbunden mit dem Leitsatz: Interveniere/verändere nur so tief wie<br />

notwendig – nicht so tief wie möglich. Dahinter steht die Erfahrung, auch aus den<br />

unterschiedlichen Therapieansätzen, dass Änderungen in der Arbeitsorganisation, in der<br />

Aufgabenstellung und in der Rollenbeschreibung ein Problem nachhaltiger lösen helfen als<br />

der Versuch, auf der Ebene der Werte und Normen oder gar der Persönlichkeit direkt eine<br />

Veränderung zu erzielen. Können Menschen jedoch in der klar strukturierten und<br />

orientierten Umgebung arbeiten und entscheiden, sind sie viel eher geneigt, auch die<br />

expliziten Organisationswerte z. B. einer konfessionellen Einrichtung zu übernehmen.<br />

Abb. 5: Modell der Interventionsebenen nach Berg/Schmidt © dinges 2010<br />

Durch <strong>Ethikberatung</strong> werden auch die Organisationswerte bzw. die Organisationskultur<br />

der Einrichtungen sichtbar. Der Haltung der Führungskräfte kommt hierbei eine wichtige<br />

Funktion der Vorbildwirkung zu: Gerade wenn von der MitarbeiterInnen eine bestimmte<br />

Haltung und ein entsprechendes Verhalten gefordert wird, hängt an der gelebten<br />

Spiritualität ein großes Maß an Glaubwürdigkeit. Normen und Regeln gelten für Alle;<br />

Vorgeben und Vorleben entscheiden über die Wirksamkeit. <strong>Ethikberatung</strong> reflektiert nicht<br />

nur diese Vertikale; wir werden in der <strong>Ethikberatung</strong> immer wieder damit konfrontiert, dass<br />

die Vertikale zwischen Halt und Haltung (vgl. Abb. 6) instabil wird: MitarbeiterInnen, die<br />

andere halten sollen, in der Pflege, in der Begleitung brauchen selbst auch Halt: Gerade in<br />

der Altenhilfe braucht es Aufmerksamkeit für die MitarbeiterInnen-Gesundheit und deren<br />

Förderung. Förderliche Rahmenbedingungen erleichtern die Arbeit in der Altenhilfe und<br />

sind zugleich Ausdruck von Wertschätzung und Anerkennung.<br />

21 Weitere Hinweise: Dinges Stefan (2008), Ethik in der Organisation Krankenhaus – Intervention und<br />

Innovation.<br />

24


Abb. 6: Mehrdimensionale Organisations- und Führungskultur © dinges 2010<br />

Im Hinblick auf die Mitarbeitergesundheit der MitarbeiterInnen kommen auch für die<br />

<strong>Ethikberatung</strong> zwei wichtige Themen in den Fokus, die für eine umfassende Begleitung<br />

am Lebensende wichtig sind: Gesundheitsförderung und Lebensqualität – zwei<br />

Themenbereiche, die regelmäßig auftauchen. Als Projektidee haben wir dies an anderem<br />

Ort neu zusammengestellt und in einem Trainingsprojekt 22 umgesetzt.<br />

Abb. 4: Projektidee Lebensförderung in der Altenhilfe © dinges&straub 2010<br />

22 Projekt Viriditas gemeinsam mit der Martin Luther-<strong>Stiftung</strong>, Hanau, eingereicht zur Förderung bei ESF<br />

Rückenwind.<br />

25


Arbeitsblätter/Materialien zu Kapitel 3<br />

Arbeitsblatt: Ethische Prinzipien und die sich daraus ableitenden Spannungsfelder und<br />

Konflikte<br />

Arbeitsschritte:<br />

1. Bitte ordnen Sie die Themen und Anliegen, die in einer Anfrage enthalten sind, den<br />

folgenden Prinzipien zu und ergänzen Sie diese ggf.<br />

2. Welche Prinzipien sind aktuell für die Bearbeitung der Anfrage förderlich oder<br />

hinderlich?<br />

3. Welche Prinzipien sind in der Anfrage konflikthaft miteinander verknüpft?<br />

4. Welche Prinzipien können für eine Lösung gestärkt/betont werden?<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

26


Arbeitsblatt 2: Prinzipien und prozess-eröffnende Fragen zur Bearbeitung ethischer<br />

Dilemmata am Ende des Lebens<br />

I. (Mittlere) Prinzipien der Medizinethik (Beauchamp/Childress, 1979)<br />

1. Respekt vor der Autonomie Welche Anliegen/Wünsche sind Ausdruck<br />

von wessen Autonomie?<br />

2. Nicht-Schaden Was wäre aus Sicht des/der Betroffenen<br />

ein Schaden?<br />

3. Gutes tun, Fürsorge Was sind relevante Werte/Güter für<br />

den/die Betroffene/n?<br />

4. Gerechtigkeit Wem gilt es gerecht zu werden, welche<br />

Rechte sind zu berücksichtigen?<br />

Prinzipien der Pflegeethik (nach M. Rabe)<br />

1. Würde des Menschen Wie können Beteiligte gewürdigt werden?<br />

2. Fürsorge für den pflegebedürftigen Menschen Inwiefern unterstützt unsere Sorge<br />

Teilhabe/Autonomie?<br />

3. Autonomie (Selbstbestimmung) des<br />

pflegebedürftigen Menschen<br />

Was könnte es legitimieren, diese Autonomie<br />

einzuschränken?<br />

4. Gerechtigkeit Balance unterschiedlicher Rechte, miteinander<br />

zurecht kommen ...<br />

5. Verantwortung gegenüber dem pflegebedürftigen Menschen und<br />

gegenüber der Gesellschaft<br />

6. Dialog mit dem pflegebedürftigen Menschen, dem Team,<br />

den Angehörigen, mit Betreuer/innen und anderen<br />

Bezugspersonen<br />

Ethisch relevante Palliative Care – Prinzipien<br />

1. Sind alle relevanten Aspekte eines mehrdimensionalen Menschenbildes (physio-psycho-sozialspirituell-kulturell)<br />

berücksichtigt bzw. im Blick?<br />

2. Ist dies durch eine eingeübte und routinierte interprofessionelle und interdisziplinäre<br />

Zusammenarbeit innerhalb des Versorgungskontextes und über seine Grenzen hinaus gedeckt?<br />

3. Ist eine ausreichende Schmerztherapie/Symptomkontrolle gewährleistet? Ist dabei ein erweiterter<br />

Bilck auf den Schmerzbegriff („total pain“-Konzept) eingeübt?<br />

4. Ist gesichert: Keine unnötige Verlängerung oder Verkürzung des Lebens?<br />

5. Sind die medizinisch/pflegerischen Indikationen für weitere Diagnosen und Behandlungen im Blick?<br />

6. Ist die relevante Unterstützung im multiprofessionellen Team (incl. Frage nach dem Einsatz von<br />

Ehrenamtlichen) vorhanden bzw. organisiert?<br />

7. Mit welchem Nutzen können andere Einrichtungen und/oder Kompetenzen in die Versorgung<br />

einbezogen werden?<br />

8. Kann „ambulant vor stationär“ in dieser Situation als generelles Versorgungsprinzip zum Tragen<br />

kommen?<br />

27


Standards für <strong>Ethikberatung</strong> in Einrichtungen des Gesundheitswesens<br />

Herausgegeben vom Vorstand der Akademie für Ethik in der Medizin e. V.<br />

Kontaktadresse:<br />

Akademie für Ethik in der Medizin e. V.<br />

Humboldtallee 36<br />

37073 Göttingen<br />

Tel.: 0551 / 39-9680<br />

E-Mail: vorstand@aem-online.de<br />

<strong>Ethikberatung</strong> ist ein in Deutschland relativ neuer Ansatz zur Verbesserung der Qualität der<br />

Versorgung von kranken und pflegebedürftigen Menschen. Entsprechende Strukturen wie z. B.<br />

Ethik-Komitees, Ethik-Konzile oder Ethik-Foren werden von immer mehr Krankenhäusern sowie<br />

Alten- und Pflegeeinrichtungen eingerichtet. Auch bei der Zertifizierung von<br />

Gesundheitseinrichtungen wird <strong>Ethikberatung</strong> zunehmend als ein wichtiges Qualitätskriterium<br />

nachgefragt.<br />

Vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung von <strong>Ethikberatung</strong> hat die Arbeitsgruppe<br />

„<strong>Ethikberatung</strong> im Krankenhaus“ in der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) die<br />

nachfolgenden Standards für <strong>Ethikberatung</strong> in Einrichtungen des Gesundheitswesens entwickelt.<br />

Sie beschreiben die Qualitätskriterien und Basisanforderungen, denen jede Form der<br />

<strong>Ethikberatung</strong> genügen sollte. Die Standards wurden vom Vorstand der AEM am 24. Februar 2010<br />

verabschiedet.<br />

1. Ziele und Aufgaben<br />

<strong>Ethikberatung</strong> dient der Information, Orientierung und Beratung der verschiedenen an der<br />

Versorgung beteiligten bzw. davon betroffenen Personen (z. B. Mitarbeitende und Leitung der<br />

Einrichtung, PatientInnen/BewohnerInnen, deren Angehörige und StellvertreterInnen). Zum<br />

Gelingen dieses Beratungsangebots sind klare Ziele und Aufgaben erforderlich.<br />

Allgemeine Ziele von Ethik in Einrichtungen des Gesundheitswesens sind:<br />

• die Sensibilisierung für ethische Fragestellungen,<br />

• die Vermittlung von medizin- und pflegeethischem Wissen,<br />

• die Erhöhung der Kompetenz im Umgang mit ethischen Problemen und Konflikten.<br />

Spezifische Ziele von <strong>Ethikberatung</strong> in Einrichtungen des Gesundheitswesens sind:<br />

• die Unterstützung eines strukturierten Vorgehens bei ethischen Konflikten,<br />

• die Verbesserung der Sprachfähigkeit und kommunikativen Kompetenz bei ethischen Konflikten,<br />

• die systematische Reflexion über ethische Fragestellungen und Konflikte,<br />

• die Umsetzung allgemeiner moralischer Werte (z. B. Menschenwürde, Autonomie,<br />

Verantwortung, Fürsorge, Vertrauen) und spezifischer Werte der jeweiligen Einrichtung, die u. a. in<br />

Leitbildern und professionsspezifischen Traditionen verkörpert sind, in reflektiertes Handeln,<br />

• Lösungswege bei Konflikten zwischen unterschiedlichen individuellen und/oder institutionell<br />

gefassten Werten und Moralvorstellungen zu suchen und durch gemeinsame Reflexion zu<br />

tragfähigen Entscheidungen zu gelangen und diese umzusetzen.<br />

Ziel ist es letztlich, Entscheidungsprozesse hinsichtlich ihrer ethischen Anteile transparent zu<br />

gestalten und an moralisch akzeptablen Kriterien auszurichten, d. h. „gute Entscheidungen“ in<br />

„guten Entscheidungsprozessen“ zu treffen. Dabei zielt <strong>Ethikberatung</strong> auf die Stärkung der<br />

ethischen Kompetenz vor Ort. Sie trägt zur Qualitätssicherung in der Versorgung von<br />

PatientInnen/BewohnerInnen bei.<br />

Die Aufgaben der <strong>Ethikberatung</strong> in Einrichtungen des Gesundheitswesens, deren Umsetzung in<br />

Abschnitt 3 beschrieben wird, umfassen u. a.:<br />

28


• die Durchführung individueller ethischer Fallbesprechungen (Ethik-Fallberatung),<br />

• die Erstellung von internen Leitlinien bzw. Empfehlungen (Ethik-Leitlinien) sowie<br />

• die Organisation von internen und öffentlichen Veranstaltungen zu medizin- und pflegeethischen<br />

Themen (Ethik-Fortbildung).<br />

2. Implementierung und Organisation<br />

a) Verhältnis zu Leitungsebene und Institution<br />

Voraussetzungen für eine erfolgreiche <strong>Ethikberatung</strong> sind die Verankerung in der Mitarbeiterschaft<br />

und die Unterstützung durch die Leitungsebene (Top-down- und Bottom-up-Prinzip). So erfolgt<br />

eine Berufung der Mitglieder eines Gremiums zur <strong>Ethikberatung</strong>, wie z.B. eines Ethik-Komitees,<br />

durch die Leitungsebene. In diesem Zusammenhang sind Dienstzeitregelungen, Ausstattung und<br />

Budget zu klären. Einrichtungsinterne Leitlinien, die von der <strong>Ethikberatung</strong> erarbeitet wurden,<br />

müssen durch die Leitungsebene bestätigt und umgesetzt werden.<br />

<strong>Ethikberatung</strong> ist in ihren Inhalten und in der Gestaltung des vereinbarten Vorgehens nicht<br />

weisungsgebunden. <strong>Ethikberatung</strong> ist aber Teil der Organisation und handelt folglich in einem<br />

strukturellen Kontext. <strong>Ethikberatung</strong> berücksichtigt den strukturellen Rahmen und gestaltet diesen<br />

durch ihre spezifische Dienstleistung mit. Deshalb arbeitet <strong>Ethikberatung</strong> – nach einer<br />

differenzierenden Analyse – auf eine Integration in die Abläufe und Entscheidungsstrukturen in der<br />

Einrichtung hin. Zugleich bleibt sie (qua Auftrag und Geschäftsordnung) ein kritisches Gegenüber<br />

und steuert zu konfliktbeladenen, individuellen Verläufen eine relevante Außenperspektive bei. Es<br />

ist eine besondere Herausforderung der <strong>Ethikberatung</strong>, eine angemessene Balance zwischen<br />

institutioneller Einbindung und Unabhängigkeit herzustellen.<br />

Leitung und Mitarbeiter der Einrichtung werden regelmäßig über die Aktivitäten der <strong>Ethikberatung</strong><br />

informiert.<br />

b) Strukturelle und personelle Voraussetzungen<br />

Für ein Gremium zur <strong>Ethikberatung</strong> ist eine Satzung und/oder Geschäftsordnung erforderlich. Die<br />

Satzung regelt die Bezeichnung des Gremiums, seine inhaltliche Unabhängigkeit, die Ziele und<br />

Aufgaben (s. o.), seine Zusammensetzung, den Modus der Berufung, Berichts- und<br />

Dokumentationspflichten (s. u.) und die Struktur des Gremiums.<br />

Die Zusammensetzung des Gremiums ist geeignet, die Zielsetzung zu erreichen und die Aufgaben<br />

angemessen zu erfüllen. Das Gremium ist multiprofessionell besetzt und besteht – je nach Größe<br />

der Einrichtung – aus fünf bis 20 Mitgliedern aus verschiedenen Bereichen und Hierarchieebenen.<br />

Erforderlich sind Mitglieder mit ärztlicher, pflegerischer und medizin- bzw. pflegeethischer<br />

Ausbildung. Anzustreben ist darüber hinaus die Mitgliedschaft von Menschen mit einem<br />

juristischen, seelsorgerlichen/religiösen, psycho-sozialen und administrativen beruflichen<br />

Hintergrund. Wünschenswert ist zusätzlich eine PatientInnen- bzw. BewohnerInnenperspektive,<br />

die durch PatientInnen- oder HeimfürsprecherInnen, Mitglieder von Selbsthilfegruppen, die<br />

Krankenhaushilfe oder durch engagierte BürgerInnen eingenommen wird.<br />

Erforderliche Qualifikationen für Mitglieder eines Gremiums zur <strong>Ethikberatung</strong> sind kommunikative<br />

und diskursive Kompetenzen, zeitliche Verfügbarkeit und eine entsprechende Weiterbildung. Die<br />

Berufung der Mitglieder erfolgt durch die Leitung der Einrichtung für eine Amtsperiode von<br />

mindestens zwei Jahren. Da personelle Kontinuität, Vertrauen und praktische Erfahrung wichtig für<br />

den Erfolg von <strong>Ethikberatung</strong> sind, sollte eine erneute Berufung möglich sein.<br />

Das Gremium wählt einen Vorsitz/Vorstand, der Sitzungstermine festlegt, zu Sitzungen einlädt,<br />

eine Tagesordnung erstellt, die Sitzungen leitet, das Budget verwaltet und das Gremium nach<br />

außen vertritt.<br />

29


3. Umsetzung und Ausgestaltung der Aufgaben<br />

<strong>Ethikberatung</strong> identifiziert Probleme und Konflikte in einer Einrichtung und trägt dazu bei, diese<br />

Probleme und Konflikte möglichst einvernehmlich zu lösen und die erarbeitete Lösung praktisch<br />

umzusetzen. Dies gilt für alle im Folgenden näher spezifizierten Aufgaben.<br />

a) Durchführung individueller ethischer Fallbesprechungen (Ethik-Fallberatung): Ethik-<br />

Fallberatungen dienen der Unterstützung in schwierigen Entscheidungs- bzw.<br />

Behandlungssituationen. Sie können von allen an der Entscheidung bzw. Behandlung Beteiligten<br />

beantragt werden (z.B. Mitarbeitende aus den verschiedenen Berufsgruppen,<br />

PatientInnen/BewohnerInnen, deren Angehörige und StellvertreterInnen). Grundsätzlich ist<br />

zwischen Einzelberatungen (z.B. bei individueller Gewissensnot) und gemeinsamen<br />

Fallbesprechungen auf der Station bzw. im Wohnbereich zu unterscheiden. Bei gemeinsamen<br />

Fallbesprechungen ist zu klären, wer an der Beratung teilnehmen soll und wer über diese zu<br />

informieren ist. Eine Einbeziehung des/der Patient/in bzw. des/der Bewohner/in ist anzustreben.<br />

Darüber hinaus sollte geregelt sein, in welchen Fällen eine Zustimmung des/der Patient/in bzw.<br />

des/der Bewohner/in zur Ethik-Fallberatung einzuholen ist.<br />

Die Ethik-Fallberatung findet in einem geschützten, störungsfreien Rahmen statt. Die gesetzlichen<br />

Bestimmungen zum Datenschutz und zur Einhaltung der Schweigepflicht sind zu beachten. Das<br />

Beratungsgespräch wird von einem Mitglied des Gremiums zur <strong>Ethikberatung</strong> moderiert; die<br />

Orientierung an einem Moderationsleitfaden ist sinnvoll. Da die Ethik-Fallberatung ein Prozess ist,<br />

sind Folgeberatungen möglich. Bei der organisatorischen Planung ist die Zeit für die Durchführung<br />

sowie für die Vor- und Nachbereitung der Ethik-Fallberatung zu berücksichtigen.<br />

Bei einer Ethik-Fallberatung verbindet sich Moderationskompetenz mit ethischer Expertise.<br />

Aufgabe der Berater ist es einerseits, alle für die Bewertung des Falles erforderlichen Details<br />

sichtbar zu machen und allen Anwesenden Raum zur Beteiligung zu geben, andererseits die<br />

ethischen Fragen herauszuarbeiten und die Möglichkeiten des weiteren Vorgehens nach ethischen<br />

Kriterien zu gewichten. Für das weitere Vorgehen sind die theoretischen Aspekte und die realen<br />

Gegebenheiten abzuwägen, so dass die Verantwortlichen das weitere Vorgehen festlegen und in<br />

Handlung umsetzen können. Ein Konsens ist anzustreben; dieser ist erreicht, wenn alle an der<br />

Fallberatung Beteiligten die vorgeschlagene Lösung mittragen und gemeinsam verantworten<br />

können.<br />

Das Ergebnis einer Fallberatung wird dokumentiert.<br />

b) Erstellung von internen Leitlinien bzw. Empfehlungen (Ethik-Leitlinien)<br />

Ethik-Leitlinien sind Handlungsempfehlungen, die sich aus immer wiederkehrenden Situationen<br />

z. B. Umgang mit Patientenverfügungen, Legen einer PEG-Sonde, Wiederbelebung,<br />

Therapiezieländerung, Umgang mit Zeugen Jehovas) ableiten und die als Orientierungshilfe für<br />

Einzelfallentscheidungen dienen. Ihre Erarbeitung richtet sich thematisch nach dem in der<br />

Einrichtung bestehenden Bedarf.<br />

Ethik-Leitlinien werden durch Mitglieder des Gremiums zur <strong>Ethikberatung</strong> themenbezogen unter<br />

Einbeziehung von sachkundigen Personen aus der Einrichtung oder von außerhalb erarbeitet. Sie<br />

müssen den gesetzlichen Vorschriften sowie dem wissenschaftlichen Standard entsprechen und<br />

daher regelmäßig aktualisiert werden. Ethik-Leitlinien werden von der Leitung der Einrichtung<br />

verabschiedet.<br />

c) Organisation von Veranstaltungen zu medizin- und pflegeethischen Themen (Ethik-Fortbildung)<br />

Ethik-Fortbildungen dienen der Sensibilisierung für ethische Fragestellungen, der Vermittlung von<br />

ethischem Wissen und der Erhöhung der Kompetenz im Umgang mit ethischen Problemen und<br />

Konflikten. Zielgruppen sind u. a. die Mitarbeitenden der Einrichtung, die<br />

PatientInnen/BewohnerInnen und deren Angehörige sowie die interessierte Öffentlichkeit.<br />

30


Das Gremium zur <strong>Ethikberatung</strong> klärt in Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen für die<br />

Innerbetriebliche Fortbildung oder einer ggf. vorhandenen Bildungseinrichtung den Bedarf an<br />

Ethik-Fortbildungen hinsichtlich der erforderlichen Inhalte und Methoden und regelt bzw.<br />

koordiniert deren Organisation. Die Durchführung kann durch Mitglieder der <strong>Ethikberatung</strong> oder<br />

durch andere geeignete Personen (z. B. andere Mitarbeitende der Einrichtung, externe<br />

ExpertInnen) erfolgen.<br />

Das Spektrum von Ethik-Fortbildungen kann von themenbezogenen Teambesprechungen bis hin<br />

zu öffentlichen Veranstaltungen (z. B. Ethik-Tag, Patientenforum) reichen.<br />

4. Dokumentation und Evaluation<br />

Die verschiedenen Aktivitäten der <strong>Ethikberatung</strong> werden in geeigneter Weise dokumentiert und<br />

zum Zweck der Qualitätssicherung fortlaufend evaluiert. Ein regelmäßiger (z. B. jährlicher)<br />

Tätigkeitsbericht wird erstellt, der Leitung und den MitarbeiterInnen bekannt gemacht und mit<br />

diesen diskutiert.<br />

Die Ergebnisse einer Ethik-Fallberatung, die konkrete Auswirkungen auf die weitere Behandlung<br />

oder Betreuung des/der Patient/in bzw. des/der Bewohner/in haben, sind schriftlich in den<br />

Krankenunterlagen zu dokumentieren. Eine Kopie der Dokumentation wird unter Berücksichtigung<br />

datenschutzrechtlicher Vorgaben vom Gremium zur <strong>Ethikberatung</strong> zur Absicherung der an der<br />

Besprechung Beteiligten sowie für die Evaluation aufbewahrt.<br />

Die Dokumentation der Ethik-Fallberatung sollte sich weitgehend auf einen Ergebnisbericht<br />

beschränken, wobei der Schwerpunkt auf der ethischen Begründung für die gewählte<br />

Handlungsoption bzw. Vorgehensweise liegt.<br />

Im Sinne der Qualitätssicherung von <strong>Ethikberatung</strong> empfiehlt es sich, das Ergebnis einer Ethik-<br />

Fallberatung – z. B. in der nächsten Sitzung des Gremiums zur <strong>Ethikberatung</strong> –<br />

nachzubesprechen.<br />

31


4. Modelle der <strong>Ethikberatung</strong> und ihre Einsatzmöglichkeiten<br />

Im ersten Kapitel haben wir bereits einen Überblick über die Modelle in der <strong>Ethikberatung</strong><br />

gegeben; das Geheimnis des Erfolges besteht unserer Meinung nach bei jedem Modell<br />

• in der klaren und bekannten Strukturierung eines Gesprächs- und Auseinandersetzungsprozesses;<br />

• in einer wie auch immer gearteten inneren Logik und Abfolge: erst die Frage, dann die<br />

Antwort, Problembeschreibung, mögliche Lösungswege erkennen, Entscheidung für<br />

eine plausiblen, gewünschten Lösungsweg;<br />

• durch eine überparteiliche Moderation, die VielrednerInnen bremst (und z. B. deren<br />

Position am Flipchart festhält) und SchweigerInnen ermutigt und in den Prozess<br />

einbezieht (mehr zur Moderationskompetenz in Kapitel 4).<br />

Je nach Moderationserfahrung und Übung werden sich in Teams und Einrichtungen<br />

Lieblingsmodelle bzw. Mischungen daraus herauskristallisieren. Einer Modellgläubigkeit<br />

(d. h. bei uns wird nur nach diesem oder jenem Modell vorgegangen/moderiert!), der wir<br />

mancherorts begegnet sind, können wir wenig abgewinnen.<br />

Ein Urmodell 23 :<br />

Kurzfassung des Schemas zur ethischen Urteilsfindung nach Tödt<br />

Problemanalyse<br />

erste Gefühle nennen / die Befindlichkeit wahrnehmen<br />

eigene Vorurteile erkennen und benennen<br />

erste, spontane Fragen sammeln<br />

das Problem genau definieren und benennen<br />

Situationsanalyse<br />

Informationen zur Sache einholen / Wissen erweitern<br />

Beispiele und Fälle sammeln und vergleichen<br />

Weitere Informationen sammeln – offene Fragen benennen<br />

Entscheidungsanalyse<br />

Entscheidungen und Lösungen zum Problem kennenlernen<br />

vergleichbare Fälle diskutieren<br />

mögliche Werte und Normen zum Fall sammeln und diskutieren<br />

Anwendung<br />

Werte und Normen (Kriterien) ordnen – ein Urteil anbahnen<br />

Diskussion dieser Kriterien<br />

ein Urteil wagen<br />

das Urteil auf die Ausgangsfrage anwenden<br />

die Lösung an der Berufswirklichkeit überprüfen<br />

23 Tödt, Heinz Eduard (1977): Schritte der ethischen Urteilsfindung; in: Zeitschrift für evangelische Ethik<br />

21.Jhg. (1977) S.81 – 93<br />

32


Moderation nach Loewy und Raabe<br />

Auf der Grundlage dieses Urmodells haben wir in der Trainingspraxis zwei Favoriten, eine<br />

Moderation nach Loewy und Rabe.<br />

Der Medizinethiker Erich Loewy weist darauf hin, dass in der ethischen Beratung ‚nur‘<br />

einige Fragen zu stellen sind:<br />

• Wo stehen wir? (Die Frage nach dem Standort ...)<br />

• Wo wollen wir hin? (Die Frage nach den Zielen ...)<br />

• Wie kommen wir von A nach B? (Die Frage nach den Methoden und Schritten ...)<br />

Mit diesen drei Fragen ist ein einfacher Beratungsprozess gewährleistet, der von jedem<br />

und jeder zu leisten ist; als hilfreiche zusätzliche Fragen empfiehlt Loewy unbedingt zu<br />

klären, welche (ethische) Fragestellung eigentlich vorliegt und wer was zu entscheiden<br />

hat.<br />

Marianne Rabe, Pflegeethikerin und Fachfrau aus der Pflege, hat zum ersten Mal 1998 im<br />

Artikel ‚Dumm gelaufen‘ ein Modell der ethischen Situationseinschätzung vorgestellt, das<br />

in der Folge auch mehrfach überarbeitet wurde. Ihr Modell zeichnet aus, dass hier Gefühle<br />

und Verantwortung gleichermaßen angesprochen und als entscheidungsrelevant in der<br />

ethischen Beratung aufgenommen werden. Beide Modelle haben wir mit Hinweisen und<br />

der Beschreibung der einzelnen Schritte in einem Arbeitsblatt zusammengefasst.<br />

Methodenmix:<br />

Aus dem sozialpädagogischen Bereich haben die unterschiedlichsten Modelle, Strukturierungen<br />

und Vorgehensweisen in der Analyse von PatientInnen- bzw. BewohnerInnengeschichten<br />

längst in der Pflege und in der Medizin Einzug gehalten. Damit ist eine<br />

strukturierte Besprechung oftmals vertraut und eingeübt. Einen Unterschied macht dabei,<br />

dass es in der <strong>Ethikberatung</strong> eben nicht primär um eine fachliche Frage geht, wie z. B. in<br />

der Diagnosestellung oder einer Pflegeanamnese, sondern eben um eine ethische<br />

Fragestellung, die es zu erfragen und herauszuarbeiten gilt.<br />

Bekannte Typen im Überblick<br />

Typus Wann? Ziele? Form/Aufwand<br />

kollegiale Intervision sofort, bei Bedarf Einholen einer zweiten<br />

Sichtweise<br />

Hilfebedarfsplan für<br />

eine/n Bewohner/in<br />

Supervision mit Senior<br />

Professional<br />

Fallbesprechung im<br />

Team<br />

interdisziplinäre oder<br />

interprofessionelle<br />

Fallbesprechung<br />

Helferkonferenz<br />

halbjährlich, bei<br />

großen<br />

Herausforderungen<br />

anlassbezogen, bei<br />

Bedarf<br />

regelmäßig,<br />

anlassbezogen<br />

wenn eine<br />

Fachlichkeit an ihre<br />

Grenzen gerät<br />

Überprüfung und<br />

Einschätzung durch<br />

Fachkräfte<br />

Beseitigung von<br />

Unsicherheiten; Abstimmung<br />

in der Einrichtung<br />

Überprüfen und Sichern von<br />

Gemeinsamkeiten und<br />

Unterschieden im Team in<br />

Bezug auf die Alltagsarbeit<br />

Einholen von zusätzlicher<br />

Expertise<br />

Erstellen eines<br />

Gesamtkonzeptes<br />

gering, an keine<br />

Form gebunden<br />

2 Stunden<br />

15‘ – 30‘<br />

20‘ – 60‘<br />

klare<br />

Strukturierung<br />

10‘ – 20‘; in Form<br />

eines Konzils oder<br />

einer Beratung<br />

großer<br />

administrativer<br />

Aufwand<br />

33


Beispiel: Mit den Methoden lässt sich kreativ umgehen. Elemente davon können in vielen<br />

Settings eingesetzt werden. So hat der Ethikbeirat der Hilfe im Alter eine Situation<br />

retrospektiv besprochen, nachdem sie in der Einrichtung als bereinigt galt. Die Geschichte<br />

wurde von der betroffenen PDL vorgestellt (Bericht) und vom Moderator gegliedert und<br />

visualisiert. Sodann wurden alle Mitglieder des Beirats um ihre Rückmeldungen und<br />

Einfälle gebeten, wobei erneut auf die Gliederung – Modell Rabe im Hintergrund –<br />

geachtet wurde (Kommentar). In der Diskussion wurden die betroffenen Werte und<br />

Normen, die Handlungsoptionen und der tatsächliche Ausgang diskutiert (Besprechung).<br />

Schließlich wurde die PDL um ein Schlussvotum gebeten, welches Bezug auf die reale<br />

Situation, den „Lerneffekt“ dieser Runde sowie möglicher Konsequenzen nahm<br />

(Resonanz).<br />

Das Nimwegener Modell der ethischen Fall-Besprechung<br />

Den KollegInnen aus Nimwegen (Nijmegen, nl.) verdanken wir ein sehr elementarisiertes<br />

Modell, das unter einem Vierer-Schritt bekannt geworden ist:<br />

1. (Formulierung eines) Problem(s)<br />

2. Fakten<br />

3. Bewertung<br />

4. Beschlussfassung<br />

(Berücksichtigung besonderer Situationen)<br />

Bei der Formulierung des Problems sollen das Problem und die Themen möglichst konkret<br />

beschrieben werden, um dann eine Ausgangsfrage für die Moderation bzw. die<br />

Teambesprechung zu erhalten. Inhaltlich soll ein Weg von der Intuition zur Argumentation<br />

gefunden werden.<br />

Für die Faktensammlung werden vier Dimensionen vorgegeben: Medizinisch – pflegerisch<br />

– weltanschaulich – organisatorisch. Damit weitete das Nimwegener Modell das Spektrum<br />

möglicher Fakten erheblich und bezog eben schon wesentliche Inhalte und Perspektiven<br />

aus Palliative Care und Organisationsethik mit ein. Hier haben wir sprachliche<br />

Adaptierungen vorgenommen, weil z. B. ein rein organisatorischer Aspekt zu kurz greift<br />

… (vgl. Fragebogen in der Materialsammlung).<br />

Die Bewertung der Fakten orientiert sich im wesentlichen an den Perspektiven<br />

Patientenwohl – Patientenautonomie – Verantwortlichkeiten im Team.<br />

Für die Beschlussfassung ist wichtig, das moralische Problem bzw. die ethischen Fragen<br />

nochmals zu wiederholen und zu überprüfen, ob sich (welche) Veränderung im<br />

Diskussionsverlauf gefunden haben; ebenso soll auf unbekannte Aspekte bzw. offene<br />

Fragen hingewiesen werden. Die wichtigsten Argumente sind hervorzuheben, um dann<br />

Vereinbarungen zu treffen bzw. einen (erweiterten) Behandlungsplan zu erstellen.<br />

Erfahrungsaustausch: Wenn die Sprache frag-würdig wird: Menschen oder Fälle<br />

In der alltäglichen Routine stehen wir vor einem Zwiespalt, der uns in allen<br />

Versorgungskontexten begegnet: Wir wollen die Individualität von Menschen und ihren<br />

Lebensgeschichten respektieren und würdigen, reden aber dennoch täglich – und ohne<br />

groß darüber nachzudenken – von „Fällen“, von „Fallbesprechungen“ oder<br />

„Fallgeschichten“. Die Herausforderung bestünde darin, dass wir eigentlich von Fall-<br />

Geschichten sprechen sollten und damit von dem Individuum und einem allgemeinen<br />

Thema; dies lässt sich aber sprachlich und im Alltag nicht ausreichend durchhalten. So<br />

werden im täglichen Sprachgebrauch aus Menschen Fälle, das Individuelle geht verloren.<br />

34


Die darin sich niederschlagende Missachtung von individuellen Erlebnissen und<br />

Schicksalen entspricht einer routinierten Versachlichung, an die wir uns im Gesundheitsbetrieb<br />

gewöhnt haben. Sie fällt uns kaum noch auf. Überspitzt wird manchmal auf<br />

eine mögliche menschenverachtende Reduktion durch diese Sichtweise hingewiesen,<br />

manchmal wurde auf einen NS-Vergleich von Alexander Mitscherlich verwiesen 24 .<br />

Keinesfalls dürfen hierbei Verantwortliche im Gesundheitssystem einem Generalverdacht<br />

ausgesetzt werden – die Frage, die uns beschäftigt, ist, welche Reflexionsschleifen<br />

verhindern können, dass die individuellen Bedürfnisse und damit die Individualität von<br />

PatientInnen oder BewohnerInnen vergessen oder gar gekränkt werden können. Wir<br />

wollen diese Menschen ernst nehmen und sie nicht „über einen Kamm scheren“ mit<br />

anderen. Wir haben im Palliative Care gelernt, dass die radikale Patientenzentrierung uns<br />

genau vor dieser Standardisierung und Vereinheitlichung bewahrt. Wir haben in Kontexten<br />

der palliativ und ethisch orientierten Altenpflege gelernt, diese radikale Zentrierung auf<br />

individuelle Geschichten und Bedürfnisse zum Paradigma unserer Haltung und unseres<br />

Handelns zu machen. Wir betrachten und behandeln Menschen individuell und beziehen<br />

sie und ihre Wünsche in die Begleitung ein.<br />

Gleichzeitig soll aber auch auf der Ebene der Teams und der Organisationen von solchen<br />

Erlebnissen und Situationen gelernt werden. Im Sinne einer „lernenden Organisation“ ist<br />

ein Grad der Verallgemeinerung zu erreichen, der uns genau diese Individualität im<br />

Einzelfall erst ermöglicht – weil wir durch das Verallgemeinerbare vorbereitet sind. In<br />

dieser paradoxen Aufgabe der „Standardisierung von Individualität“ sind das Denken in<br />

Mustersituationen und das Lernen aus dem Gemeinsamen solcher Situationen<br />

notwendiger Alltag. Jede Situation, die wir in einer ethischen Besprechung bearbeiten, hat<br />

daher sowohl die Dimension des Einzelfalls als auch eine Strukturqualität für das gesamte<br />

Procedere.<br />

Wollen wir die organisationale Seite also nicht außer Acht lassen, müssen wir davon<br />

ausgehen, dass jede Einzelsituation auch etwas für das Ganze austrägt. In der Tat handelt<br />

es sich bei der Besprechung und Bearbeitung von individuellen Geschichten immer auch<br />

um Fall-Geschichten. Der zuvor beschriebene Zwiespalt ist ein Spannungsfeld, auf das<br />

nicht verzichtet werden kann. Wir schlagen vor, dass es für alle MitarbeiterInnen wichtig<br />

wird, sich der eigenen Sprache und Terminologie kritisch bewusst zu sein und zumindest<br />

den Begriff der Fallbesprechung wenn nicht zu vermeiden, so doch des öfteren durch<br />

andere, das Individuum und seine Geschichte und Bedürfnisse betonende Begrifflichkeiten<br />

zu ersetzen. Da kann zu einer „ethischen Situationsbesprechung“ oder zu einem Runden<br />

Tisch eingeladen werden; wir können eine Bewohner/in-Situation in einer Teambesprechung<br />

in den Fokus nehmen; ich kann eine Situationsanalyse dokumentieren oder<br />

eine Ethikrunde protokollieren. All dies wird im Bewusstsein der Beteiligten immer die<br />

Funktion der vertrauten „Fallbesprechung“ haben, aber sie muss nicht ständig so genannt<br />

werden! Wir schlagen vor, mit der Wortwahl zu spielen und sie bewusst wechselnd<br />

einzusetzen.<br />

24 „Es ist fast dasselbe, ob man den Menschen als „Fall“ siehe, oder als Nummer, die man ihm auf den Arm<br />

tätowiert – doppelte Antlitzlosigkeit einer unbarmherzigen Epoche. Nur die geheime Übereinstimmung der<br />

Praxis von Wissenschaft und Politik kann erklären, wieso in diesem Prozess unablässig die Namen von<br />

Männern hohen wissenschaftlichen Ranges fallen, die vielleicht unmittelbar keine Straftat begingen, aber<br />

doch objektives Interesse genug an all dem nahmen, was wehrlosen Menschen als grausames Geschick<br />

zustieß“. Alexander Mitscherlich, Fred Mielke: Das Diktat der Menschenverachtung. Der Nürnberger<br />

Ärzteprozeß und seine Quellen; Lambert Schneider, Heidelberg 1947; S. 12<br />

35


Arbeitsblätter/Materialien zu Kapitel 4<br />

Folienvorlage: Modell der ethischen Beratung nach E. Loewy<br />

Vorklärung<br />

„Wer ist wie betroffen?“<br />

„Wer hat was zu entscheiden?“<br />

„Wer ist wofür verantwortlich?“<br />

Feststellung<br />

Was ist die ethische Fragestellung hier und heute?<br />

Moderation entlang von:<br />

drei zentralen Fragen:<br />

„Wo stehen wir?“<br />

Standort / Ausgangspunkt<br />

„Wo wollen wir hin?“<br />

Ziel(e)<br />

„Wie kommen wir am besten von A nach B?“<br />

Methoden<br />

Umsetzung:<br />

Wie sind die Antworten auf die ethische Fragen ...<br />

... und wie gehen wir damit um?<br />

t: Kluwer Academic Publishers. S. 255 – 264<br />

36


Arbeitsblatt 2: Kurzfassung Moderationsmodelle<br />

I. <strong>Ethikberatung</strong> nach Erich Loewy:<br />

A. Wo stehen wir? (Was ist passiert? Was sind die Fakten?) Standortbestimmung<br />

B. Wo wollen wir hin? Zielfindung<br />

C. Wie kommen wir von A nach B? Methodenwahl & Verantwortung<br />

II. Modell der ethischen Situationseinschätzung nach Marianne Rabe<br />

berücksichtigt besonders die Emotionen/Belastungen von Pflegesituationen: Gefühle<br />

werden besprechbar, ohne den Anspruch, sie zu bearbeiten (=> Supervision/Therapie), es<br />

kommt zur Verantwortungsübernahme innerhalb von Zuständigkeiten/Berufsrollen.<br />

Reflexion in 3 Schritten:<br />

1. Betrachtung der Situation<br />

2. Betrachtung der Handlungsmöglichkeiten und Handlungsfolgen<br />

3. Begründete Situationseinschätzung unter Einbeziehung ethischer Prinzipien<br />

1. Betrachtung der Situation (1/3 der Zeit!)<br />

Ausdrücken der eigenen Betroffenheit (Gefühle, Unbehagen, Unsicherheit, Unzufriedenheit),<br />

zugleich können Verantwortlichkeiten aus unterschiedlichen Rollen eingebracht<br />

werden: Die Moderation leitet eine Runde ein, in der alle Anwesenden ihre Gefühle<br />

aussprechen können, mit der Phrase: „Es macht mich betroffen, dass ... Womit bin ich<br />

unzufrieden? Warum? Bin ich verletzt worden? Durch wen oder was?“ Die Artikulation der<br />

Emotionen kann die dahinterliegenden Bedürfnisse sichtbar machen, die bei der<br />

Konfliktlösung zu berücksichtigen sind. Mit einer anderen Phrase („Es (be)trifft mich, ...“)<br />

können unterschiedliche Verantwortlichkeiten/Zuständigkeiten/Beteiligungen artikuliert<br />

werden: „Es betrifft mich als Stationsleitung/als Mutter/Tochter etc. …“<br />

Andere, nicht anwesende Betroffene und ihre Sichtweisen bzw. Beteiligungen: Wer<br />

noch zu informieren/involvieren ist … Was sind deren Bedürfnisse/Interessen/Positionen?<br />

Diese Perspektiven gilt es, in der Folge zu verifizieren …<br />

Versuchen, „in den Schuhen der anderen zu stehen“, keine vorschnellen Urteile und<br />

Schuldzuweisungen. Es bringt mich nicht weiter, wenn ich den anderen von vornherein<br />

unlautere Motive unterstelle!<br />

„Sich in eine andere Person hineinversetzen zu können, ist Voraussetzung für moralisches<br />

Handeln“ (J. Nida-Rümelin).<br />

2. Betrachtung der Handlungsmöglichkeiten und ihrer Folgen (1/3 der Zeit!)<br />

Welche alternativen Handlungsmöglichkeiten hätte es gegeben? (gibt es – auch<br />

„unmögliche“?) Jeweilige Folgen durchspielen! Jede Handlungsoption kann mehrere<br />

verschiedene Folgen haben.<br />

3. Begründete Situationseinschätzung unter Einbeziehung ethischer Prinzipien (1/3<br />

der Zeit!)<br />

• Abgleich der Überlegungen mit den ethischen Prinzipien<br />

• Was ist das wesentliche Problem?<br />

• Schlussfolgerungen<br />

37


Folienvorlage: Entscheidungsperspektiven bei der ethischen Situationseinschätzung<br />

nach M. Rabe<br />

Folienvorlage: Ethische Situationseinschätzung als mehrdimensionaler<br />

Reflexionsprozess 25<br />

25 Bickhardt, Jürgen (2010): Der Patientenwille, Verlag C. H. Beck, München, S. 33<br />

38


Arbeitsblatt 3: Aufgaben und Herausforderungen in der Moderation<br />

Moderierte ethische Fallbesprechung<br />

Phase Arbeitsschritt Aufgabe Herausforderung<br />

1.Vorbereitung<br />

2. Fallbesprechung<br />

2. Nachbereitung<br />

Interview der<br />

FallbringerIn<br />

Auswahl und Einladung<br />

der TeilnehmerInnen<br />

Sicherung des<br />

Hauptthemas/der<br />

ethischen Fragestellung für<br />

die Fallbesprechung – was<br />

können wir hier<br />

besprechen?<br />

Schilderung des Falls:<br />

Worum geht es? Passt die<br />

gewählte Fragestellung?<br />

Wahrnehmen der<br />

Betroffenheiten: Was<br />

macht betroffen? Wie<br />

unterschiedlich betrifft es<br />

mich/andere?<br />

Situations- und<br />

Wertanalyse: Wo sind<br />

wichtige Unterschiede?<br />

Was ist gemeinsame<br />

Basis?<br />

Ethische Reflexion: Wie<br />

können wir die<br />

Unterschiede/Anliegen<br />

verstehen/verknüpfen/<br />

nutzen?<br />

Ergebnissicherung<br />

Was haben wir jetzt<br />

erreicht?<br />

Abschluss<br />

Kommunikation und<br />

Umsetzung der Ergebnisse<br />

Überprüfung der<br />

Umsetzung<br />

repräsentativ und<br />

relevant: Die es<br />

angeht, können es<br />

angehen!<br />

Ausweichen auf<br />

persönliche<br />

und/oder<br />

gesellschaftliche<br />

Ebenen bewusst<br />

machen und ‚zurück<br />

in den Raum‘<br />

moderieren<br />

knapp, ohne eine<br />

vorschnelle<br />

Diskussion zu<br />

provozieren<br />

Stellungnahme der<br />

Beteiligten;<br />

Sicherung von<br />

Emotionen und<br />

Verantwortlichkeiten<br />

Kernfrage: Wo<br />

stehen wir? Was<br />

begründet unsere<br />

Positionen?<br />

Kernfrage: Wo<br />

wollen wir hin? Wer<br />

hat was zu<br />

entscheiden?<br />

Klärung der<br />

weiteren<br />

Vorgangsweise/<br />

Zuständigkeiten<br />

in Alltagsroutinen<br />

mit ‚alten’ Mustern<br />

das ‚neue’ Wissen<br />

wirksam etablieren<br />

möglichst deskriptivmultiperspektivisch<br />

Entweder-Oder-<br />

Formulierungen;<br />

Bewertungen<br />

Perspektiven werden<br />

nicht einbezogen; aufoder<br />

abgewertet<br />

Mehrere<br />

Fragestellungen =><br />

Reihenfolge der<br />

Bearbeitung festlegen<br />

Angriffe oder<br />

Schuldzuweisungen,<br />

Wechseln der Ebenen<br />

zu viel/zu wenig<br />

Distanz zu Emotionen<br />

Ablehnen von<br />

Verantwortung<br />

Monopole in den<br />

Bewertungen;<br />

Abwertung von<br />

Positionen<br />

Absolutsetzung von<br />

Positionen;<br />

paternalistische<br />

Entscheidungsmuster<br />

Wiederaufnahme der<br />

Diskussion,<br />

Killerphrasen<br />

Verweigerung der<br />

Rollenverantwortung,<br />

Desorientierung im<br />

Team/Organisation<br />

(adaptiert; vgl. Dinges Stefan (2008): Hürden auf transdisziplinären (Forschungs)Wegen)<br />

39


Arbeitsblatt: Mögliche Moderationsfragen (nach dem Nimwegener Modell, adaptiert von<br />

der Ethikbeauftragten Diözesanbeauftragte für Ethik im Gesundheitswesen, Erzbistum<br />

Köln für Altenheime 26 , überarbeitete Version Dinges/Kittelberger)<br />

PROBLEM- und FRAGESTELLUNG(EN)<br />

Welches Problem ist wo aufgetaucht?<br />

Wie ist es zutage getreten/Wer hat es bemerkt, angemeldet?<br />

Welche ethische(n) Frage(n) ist/sind aufgetaucht?<br />

Mit welcher ethischen Frage wurde zur Besprechung eingeladen?<br />

Was ist die ethische Frage?<br />

FAKTEN<br />

Einschätzung der pflegerischen Situation<br />

Wie ist die pflegerische Situation des Bewohners/der Bewohnerin?<br />

Inwieweit ist der/die Bewohner/in in der Lage, sich selbst zu versorgen?<br />

Bei welchen ATL/ AEDL braucht er/sie Unterstützung?<br />

Welche Fakten aus der BewohnerInnenbeobachtung und Pflegeplanung stehen aktuell im<br />

Vordergrund?<br />

Gibt es besondere Pflegeprobleme bzw. sind sie zu erwarten?<br />

Welche pflegerischen Maßnahmen können vorgeschlagen werden?<br />

Inwieweit haben diese Maßnahmen eine günstige Auswirkung auf den Verlauf?<br />

Einschätzung der medizinischen Situation<br />

(Wer ist der/die behandelnde Hausarzt/-ärztin?)<br />

Welche Diagnosen sind bekannt?<br />

Welche Diagnose steht zurzeit im Vordergrund?<br />

Wie sieht die aktuelle Behandlung aus?<br />

Welche alternativen Behandlungen sind möglich?<br />

Wie sieht die medizinische Prognose aus?<br />

Inwieweit haben die aktuelle und die alternativen Behandlungen einen positiven Effekt auf<br />

die Prognose?<br />

Wie sieht die Prognose aus, wenn von einer Behandlung abgesehen wird?<br />

Einschätzung der sozialen, weltanschaulichen, spirituellen und pflegerischen<br />

Situation<br />

In welches soziale Netzwerk ist der Bewohner/die Bewohnerin eingebunden? Wie<br />

gestaltet er/sie das soziale Leben?<br />

Welche wichtigen Lebensereignisse sind zu bedenken?<br />

Welche kulturellen Hintergründe sind bekannt?<br />

Was ist über die Lebensanschauung/Spiritualität/Religion des Bewohners/der Bewohnerin<br />

bekannt?<br />

Welche Aussagen des Bewohners/der Bewohernin gibt es zu Alter, Pflegebedürftigkeit,<br />

Krankheit, Sterben und Tod?<br />

Gibt es Hinweise darauf, dass die Situation und die Maßnahmen die Kräfte des Bewohners/der<br />

Bewohnerin übersteigen?<br />

Gehört der Bewohner/die Bewohnerin einer Glaubensgemeinschaft an? Hat er/sie ein<br />

Bedürfnis nach seelsorglicher Begleitung?<br />

Welche Auswirkungen haben die benannten Maßnahmen auf sein/ihr soziales Leben?<br />

Welche Reaktionen aus seinem/ihren sozialen Umfeld sind dazu bekannt?<br />

26 http://www.erzbistum-koeln.de/export/sites/erzbistum/seelsorge/krankenhaus/ethik-medizinpflege/_galerien/download/Ethische_Fallbesprechung/2009-10-09-EFB_Altenheim_Instrumentarium.pdf<br />

40


Inwieweit haben die benannten Maßnahmen eine günstige Auswirkung auf die persönliche<br />

Entfaltung und das soziale Leben des Bewohners/der Bewohnerin?<br />

Organisatorische, ökonomische und juristische Dimension<br />

Kann dem Bedarf an Behandlung und Pflege des Bewohners/der Bewohnerin organisatorisch<br />

nachgekommen werden?<br />

Sind dafür genügend Ressourcen vorhanden: Personal, Ausstattung, Heilmittel, Pflegematerial,<br />

Räumlichkeiten?<br />

Sind bei der Behandlung oder dem Behandlungsverzicht konkret rechtliche Konsequenzen<br />

zu erwarten?<br />

Liegt eine Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung vor?<br />

Ist eine gesetzliche Betreuung eingerichtet?<br />

BEWERTUNG<br />

Wohltun/Schaden vermeiden<br />

aus der Sicht der Pflegenden und Betreuenden<br />

Inwieweit dienen die Maßnahmen dem Wohl des Bewohners/der Bewohnerin:<br />

· Lebenserhalt,<br />

· körperliches Wohlbefinden (z. B. Bewegungsfreiheit, Schmerzfreiheit),<br />

· geistiges Wohlbefinden (z. B. Wachheit, geistige Anregung, Orientiertheit),<br />

· seelisches Wohlbefinden (z. B. Angstminderung, Lebensfreude),<br />

· spirituelles Wohlbefinden (z. B. Sinn erleben),<br />

· soziale Integration,<br />

· persönliche Entfaltung?<br />

Inwiefern können die Maßnahmen dem Bewohner/der Bewohnerin schaden?<br />

Wie verhalten sich die positiven und negativen Effekte zueinander?<br />

Autonomie des Bewohners/der Bewohnerin<br />

Ist der Bewohner/die Bewohnerin einwilligungsfähig?<br />

(Wenn nein, bitte weiter mit den Fragen zur Einwilligungsunfähigkeit)<br />

Wie urteilt er/sie über die Belastungen und den Nutzen der Situation bzw. der Maßnahmen?<br />

Ist der/die Bewohner/in über seine/ihre Situation der Wahrheit entsprechend in Kenntnis<br />

gesetzt?<br />

Wahrhaftigkeit<br />

Wurde der/die Bewohner/in bis dato ausreichend in die Beschlussfassung miteinbezogen?<br />

Was ist der (geäußerte) Wille des/der Bewohner/in bzw. gibt es eine Patientenverfügung?<br />

Welche Werte und Auffassungen des Bewohners/der Bewohnerin sind relevant?<br />

Welche Haltung vertritt der/die Bewohner/in gegenüber lebensverlängernder Intensivtherapie?<br />

Ist der/die Bewohner/in einwilligungsunfähig?<br />

Wie und durch wen wird festgestellt, dass der/die Bewohner/in einwilligungsunfähig ist?<br />

In welcher Hinsicht ist er/sie einwilligungsunfähig?<br />

Ist die Einwilligungsunfähigkeit durchgängig, oder gibt es Phasen, in denen der Bewohner/die<br />

Bewohnerin die Situation klar erfassen kann?<br />

Gibt es verbale oder nonverbale, aktuelle oder frühere Äußerungen des Bewohners/der<br />

Bewohnerin, die seinen/ihren Willen erkennen lassen?<br />

Ist eine Betreuung eingerichtet oder muss sie eingerichtet werden? Gibt es einen Vorsorgebevollmächtigen?<br />

Gibt es eine Patientenverfügung? Welche Relevanz hat sie für die zu planenden Maßnahmen?<br />

Gerechtigkeit<br />

Ist das vorgeschlagene Vorgehen im Hinblick auf andere (MitbewohnerInnen, Pflegende,<br />

Angehörige) zu verantworten?<br />

41


Ist der personelle, räumliche, wirtschaftliche Aufwand gerechtfertigt?<br />

Blick auf das Team/die Beteiligten/die Institution<br />

Welche Werte und Einstellungen werden jetzt vertreten?<br />

Gibt es Einstellungen und Werte, die bisher nicht berücksichtigt wurden?<br />

Welches sind die relevanten Richtlinien der Einrichtung zu den vorgeschlagenen Maßnahmen?<br />

Welche Wertekonflikte werden deutlich?<br />

Wie wird mit vertraulichen Informationen umgegangen (innerhalb des Teams und nach<br />

außen)?<br />

VOTUM<br />

Wie lautet nun die ethische Frage?<br />

Sind wichtige Fakten unbekannt? Welche?<br />

Kann dennoch ein verantwortliches Votum abgegeben werden?<br />

In welchen Situationen muss die Entscheidung aufs Neue überdacht werden?<br />

Wie wird das Votum (einschließlich evtl. Minderheitenvotum) formuliert?<br />

Welche konkreten Verpflichtungen gehen die TeilnehmerInnen der Fallbesprechung ein?<br />

42


5. Fortbildung/Training für unterschiedliche Formen der <strong>Ethikberatung</strong><br />

Eine wesentliche Aufgabe, die in allen Empfehlungen für <strong>Ethikberatung</strong> genannt wird, ist<br />

die angemessene Aus- und Weiterbildung für klinische <strong>Ethikberatung</strong> bzw. <strong>Ethikberatung</strong><br />

im Gesundheitswesen. Wir haben schon anklingen lassen, dass wir das Modell der<br />

lernenden Organisation favorisieren – das individuelle Lernen von Einzelnen hinterlässt in<br />

der Regel zu wenig Spuren in der Praxis der Teams und der Einrichtungen;<br />

dementsprechend ist die Wirkungstiefe und Nachhaltigkeit eines solchen singulär erworbenen<br />

Wissens. Im Folgenden möchten wir einige Überlegungen zur organisationalen<br />

Verankerung vorstellen und einige Kompetenzen, die wir für <strong>Ethikberatung</strong> in der Altenhilfe<br />

für unerlässlich halten.<br />

Ein Dreieck mit den Eckpunkten Haltung, Fähigkeit und organisationale Unterstützung<br />

dient uns im Training und in der Erläuterung von Implementierungsprozessen:<br />

Es markiert für uns die Notwendigkeit eines Gleichklangs, der häufig nicht ausreichend<br />

balanciert scheint. Es genügt nicht, auf die Haltung allein zu fokussieren. Zwar ist eine<br />

bestimmte (kommunikative) Haltung dem Palliative Care und der Ethik zueigen, ohne die<br />

ein Versorgungsansatz hohl und schal wirken würde. Es geht um mehr als Techniken und<br />

Methoden. Es geht um Herzensbildung und eine achtsame Haltung gegenüber den<br />

Betroffenen, die vom Leitwert der Würde und Bewohnerzentrierung durchdrungen ist.<br />

Gleichzeitig aber geht es eben nicht ohne Fachkenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten.<br />

Sie gehören dazu, denn die Haltung allein tut es nicht („gut gemeint ist nicht gut gemacht“).<br />

Haltung plus Fähigkeit reichen vielleicht dem Individuum, genügen aber nicht im<br />

Arbeitsalltag. Sie können sogar kontraproduktiv – weil frustrierend – sein, wenn die<br />

Organisation nicht den Rahmen vorhält, der dieser Haltung und diesen Fähigkeiten Raum<br />

und Ressourcen zur Verfügung zu stellt.<br />

43


Bei der Bearbeitung von ethisch relevanten Situationen ist es hilfreich, die geforderten<br />

Fachkompetenzen zu unterscheiden, um die Ebene der Bearbeitung im Konsens<br />

festzulegen und damit erst eine angemessene Besprechung zu ermöglichen. Wir gehen<br />

davon aus, dass der Grundmodus der Kommunikation in und unter all diesen Themen<br />

liegt. Dieses Kommunikation, die mit Stichworten wie „wertschätzend“, „gewaltfrei,“<br />

„partizipativ“ oder „allparteilich“ beschreiben werden kann, entspricht einer pastoralpsychologisch<br />

ausgerichteten Haltung im menschlichen Miteinander.<br />

Bedürfnisse<br />

und Bedarf<br />

von<br />

Bewohnern<br />

44


Für die zentrale Moderationskompetenz greifen wir auf eigene Erkenntnisse und Beiträge<br />

einer Kollegin zurück 27 .<br />

Daraus einige wichtige Aspekte (weiteres Material im Folgekapitel):<br />

Moderationsarbeit in der <strong>Ethikberatung</strong> als Anleitung zur Kommunikation – Stichworte<br />

und Merksätze<br />

Gruppendynamische Phänomene und Überlegungen können weitgehend außen vor<br />

bleiben: Eine sporadisch zusammentretende Gruppe hat zwar auch eine Dynamik, aber<br />

diese Phänomene sind hier zu vernachlässigen bzw. mit „normalem Leitungsverhalten“ zu<br />

bewältigen. Ausnahme: Die Leitung einer regelmäßigen Fallbesprechungsgruppe mit<br />

fester Zusammensetzung oder die Leitung eines Ethikbeirates verlangt etwas mehr<br />

gruppendynamisches Verständnis.<br />

Als Leitung einer Sitzung zur ethischen Situationseinschätzung oder Entscheidung hat<br />

man eine begrenzte Rolle – nicht mehr und nicht weniger!<br />

Die Moderationsrolle ist mit Aufgaben und Erwartungen verbunden. Diese sind zu<br />

benennen und zu verstehen, um die TeilnehmerInnen zu entlasten. Zentral an die Rolle<br />

der Moderatorin bzw. des Moderators sind sicher die Erwartungen<br />

moderieren – leiten – befördern – zusammenfassen<br />

Es geht darum, Rahmen, Halt und Sicherheit geben.<br />

Für die Leitung braucht es etwas Mut und Übung – aber man kann es lernen.<br />

Zentral ist eine gute Vorbereitung:<br />

Was will und kann ich? Was ist meine Rolle? Ist das allen klar?<br />

Wer kommt? Wer ist besonders betroffen?<br />

Worum wird es gehen? Was kann passieren? Wie kann ich damit umgehen? Notausstieg?<br />

Es geht um Kommunikation und um Anleitung zur Kommunikation!<br />

27 Skript, Tipps und weitere Informationen dazu direkt bei unserer Kollegin:<br />

Svenja Uhrig, Supervision•Coaching•Training; mail: Svenja.Uhrig@t-online.de<br />

45


Arbeitsblätter/Materialien zu Kapitel 5<br />

Arbeitsblatt 1: Moderation in der ethischen Beratung<br />

Zehn Leitfragen zur Vorbereitung auf die Leitung einer <strong>Ethikberatung</strong>ssituation<br />

1 Was ist meine Rolle in dieser Situation? Sonst in der Einrichtung?<br />

Welche Rollen haben die anderen?<br />

Wie passen diese Rollen zur Hierarchie der Einrichtung?<br />

2 Wer arbeitet nicht (ganz) freiwillig mit? Was bedeutet dies?<br />

3 Sind die Ziele heute klar? Kollidieren sie mit anderen Zielen der Einrichtung?<br />

4 Wie wünsche ich mir unsere Kommunikationskultur?<br />

Passt sie zur Kommunikationskultur der Einrichtung?<br />

5 Sind Normen und Entscheidungswege klar – heute und sonst?<br />

Wie handeln wir diese aus? Wer „schafft an“?<br />

6 Stimmt die Balance von Transparenz und Vertraulichkeit?<br />

„So offen wie möglich – so intern wie nötig“<br />

7 Wie werde ich mit Widerständen umgehen?<br />

8 Wo tauchen vielleicht Konflikte auf:<br />

Sachebene oder Beziehungsebene?<br />

Wie gehe ich damit um?<br />

9 Hat jeder etwas davon, dass er/sie mitarbeitet?<br />

10 Was brauchen wir vielleicht an Hilfe?<br />

Zwei wichtige Grundsätze – mit fast universaler Gültigkeit<br />

•Wir sind nicht miteinander verheiratet und müssen uns nicht lieben – aber wir arbeiten<br />

zusammen.<br />

Wenn ich leite, dann gelten zwei Sätze:<br />

•„Begründen statt Befehlen“ & „Betroffene zu Beteiligten machen“<br />

46


6. Wie kommt die <strong>Ethikberatung</strong> in die Einrichtungen?<br />

Implementierungsprojekt ‚<strong>Ethikberatung</strong>‘<br />

Die Einrichtung von <strong>Ethikberatung</strong> in einer Organisation, in einem Dienst läuft nicht linear<br />

ab, sondern ereignet sich in mehreren Schleifen (Phasen), in denen sowohl die<br />

Führungskräfte als auch die MitarbeiterInnen einbezogen werden sollen. Aus der<br />

Erfahrung unseres Projektes können wir einen solchen Verlauf mit mehreren Phasen<br />

exemplarisch beschreiben und die erarbeiteten Bausteine zur Verfügung stellen.<br />

Für die hier vorgeschlagene Weise der Implementierung ist das Verständnis einer<br />

interventionsorientierten Projekt- und Organisationsentwicklung hilfreich. In vergleichbaren<br />

Modellprojekten zur Implementierung von Palliativversorgung in Pflegeheimen ist dies<br />

schon publiziert worden 28 . Viele der dort beschriebenen Prinzipien, Haltungen und Paradigmen<br />

können auch beim Thema Ethik/<strong>Ethikberatung</strong> eingebracht bzw. vorausgesetzt<br />

werden.<br />

Wir haben unser Projekt in die folgenden Phasen eingeteilt:<br />

Konzeptionsphase<br />

- Entwicklung der Idee (incl. Thesen zum Anlass und Bedarf)<br />

- Skizzierung des handlungsleitenden Paradigmas (warum soll was geschehen?)<br />

- Vorstellen des Projekts in allen Unternehmensbereichen<br />

- Identifikation förderlicher und hinderlicher Rahmenbedingungen<br />

- Erstellen eines Konzeptes mit Zielen und Aufgaben, einschließlich Finanzplan<br />

- Ressourcen für das Projekt abklären<br />

- Verbündete und KooperationspartnerInnen finden und einbinden<br />

- Entscheidung für interne/externe Projektbegleitung treffen<br />

=>1. Evaluation: Hat die Einrichtung von <strong>Ethikberatung</strong> eine realistische Chance? Muss ein<br />

wichtiger Schritt wiederholt bzw. ergänzt werden?<br />

Projektphase<br />

- Das von der Führung beauftragte Projekt braucht eine nachhaltige Verankerung bei den<br />

MitarbeiterInnen<br />

- Sollen die BewohnerInnen/Angehörige/externe DienstleisterInnen miteinbezogen werden?<br />

- lokale Adaptierungen in den einzelnen Einrichtungen<br />

- Vorbereitung und Durchführung erster Workshops<br />

=> 2. Evaluation und Nachbereitung in den einzelnen Einrichtungen<br />

- Auswertung auf der Ebene der Führungskräfte<br />

=> 3. Evaluation<br />

Implementierungsphase<br />

- Welche Strukturen sollen aus der Projektphase in die Routinen der Einrichtung bzw. des Trägers<br />

übernommen werden?<br />

- Errichten der lokalen Strukturen und Routinen, z. B. regelmäßige Fallberichte und/oder<br />

Softanalyse<br />

- Errichten der übergreifenden Strukturen und Routinen, z. B. HausleiterInnenkonferenz zur<br />

ethischen Entscheidungskultur; Errichtung eines Ethikbeirats<br />

28<br />

Siehe Anmerkung 1 und 2<br />

47


Evaluations- und Adaptionsphase<br />

- Wie wurden die Ethikaktivitäten auf den unterschiedlichen Ebenen dokumentiert und<br />

ausgewertet?<br />

- Welches relevante Wissen konnte wie genutzt werden/nicht genutzt werden?<br />

- Welche KooperationspartnerInnen sollen verstärkt eingebunden werden?<br />

- Welcher Fortbildungsbedarf zeigt sich und wie kann dieser organisiert werden?<br />

-Wie gestaltet sich das Verhältnis/der Informationsfluss/die Entscheidungen zu und mit den<br />

verschiedenen Leitungsebenen?<br />

-Wie wurden BewohnerInnen und ihre Angehörigen informiert/eingebunden/beteiligt/in Auswertungen<br />

einbezogen?<br />

- Mit welchen anderen Projekten/Strukturen bedarf es einer Vernetzung?<br />

=> 4. Evaluation im Sinne einer Bilanz<br />

=> Weiter (z. B. jährliche) Bilanzen in die Routine des Trägers einbauen<br />

Erfahrungsaustausch zur Konzept- und Projektphase<br />

Ein möglicher Designvorschlag ging davon aus, einrichtungsübergreifend in einer<br />

Trainings- und Projektgruppe zu arbeiten. Die Trainingsgruppe sollte aus mindestens zwei<br />

bis drei Personen aus jeder Einrichtung plus VertreterInnen aus den Stabsstellen und der<br />

Geschäftsführung gebildet werden. In dieser Konzeption wurde von einer bestimmten<br />

Anzahl von Trainingstagen ausgegangen. Ziel wäre hier gewesen, (a) die Teilnehmenden<br />

im Training mit den Grundkenntnissen der <strong>Ethikberatung</strong> auszustatten, (b) sie als<br />

Keimzelle einer je einrichtungsinternen Projektgruppe zu befähigen, das Wissen und die<br />

Methoden ins eigene Haus zu übertragen und dort (c) ein eigenes kleines Ethikprojekt<br />

durchzuführen. Hier war auch vorgesehen, dass für die Arbeit in den hauseigenen<br />

Projektgruppen externe Unterstützung abrufbar wäre. Hintergrund eines solchen Ansatzes<br />

ist das Verknüpfen von Lernprozessen auf der Ebene der Personen und der Organisation:<br />

Die Fortbildung bleibt nicht ein Wissensgewinn für die Einzelnen, sondern wird mit dem<br />

Lernen ihrer Teams und Einrichtungen verknüpft.<br />

Dieser Konzeptansatz fand aus vielerlei Gründen keine Zustimmung der Leitungen. Mit<br />

Einbeziehung von deren Wünschen und Bedenken wurde das Projektdesign schlanker<br />

und an bisherige Projekterfahrungen angepasst. Zudem wurden drei wesentliche Ziele<br />

erreicht:<br />

- Die Führungskräfte machten sich das Projekt zueigen; damit wurde die ethische<br />

Reflexionskompetenz nicht über die Fortbildungsschiene eingeführt – sie wurde<br />

direkte Reflexionskategorie auf Ebene der Teams und der Einrichtungsleitung.<br />

- Die Führungskräfte engagierten sich im Projekt und identifizierten sich mit den<br />

Projektanliegen. Die Analyse-Ergebnisse aus den folgenden Workshops konnten<br />

schneller umgesetzt werden, indem gleich nach Zuständigkeiten, Rollen und<br />

Kompetenzen gefragt wurde. (Das Gegenbeispiel sind ethische Reflexionen, an<br />

denen sich Führungskräfte nicht beteiligen; diese bekommen dann zwar einen<br />

supervisorischen, psychohygienischen Charakter – die Umsetzung ist ungleich<br />

aufwendiger!)<br />

- Für die Führungskräfte war die Perspektive für ein einrichtungsübergreifendes<br />

Ethikgremium ein wichtiges Ziel; damit wurde der Blick auf ein größeres Ganzes,<br />

aber auch auf hinderliche und förderliche Rahmenbedingungen gelenkt. So wurde<br />

das Ethikthema gleich auf drei relevanten Ebenen angegangen und als<br />

‚kommunizierende Röhren‘ verstanden und gestaltet.<br />

48


Zur Projektarchitektur im Detail<br />

Nachdem die Führungskräfte sich das Projekt zueigen gemacht hatten, konnte das Projekt<br />

strategisch von drei Personen gesteuert werden: dem Geschäftsführer als Auftraggeber,<br />

dem internen Projektleiter und dem externen Projektbegleiter. Die inhaltliche Steuerung<br />

ebenso wie die Auswertungen und Umsetzungen wurden bislang gemeinsam mit<br />

den Führungskräften geleistet; mit der Einrichtung des Ethikbeirates wird diese Aufgabe<br />

zukünftig von diesem übernommen.<br />

Abb. 7: Projektarchitektur Hilfe im Alter © o&e 2009<br />

49


Implementierungsphase 1: Konzeption und Einrichtung eines Ethikbeirates<br />

Erfahrungsaustausch: Angemessene Sprache und Strukturen – Ethikbeirat statt<br />

Ethikkomittee<br />

Damit das Projekt kein Strohfeuer wird und damit die inspirierenden Projekterfahrungen<br />

weiterwirken, hat sich die „Hilfe im Alter“ als Träger entschieden, einen Ethikbeirat für alle<br />

Einrichtungen gemeinsam zu etablieren. Dies ist der erste Ethikbeirat in diakonischen<br />

Einrichtungen der bayerischen Landeskirche. Vergleichbar mit den klinischen<br />

Ethikkomitees werden die Mitglieder des Ethikbeirates die Geschäftsführung und die<br />

Heimleitungen bei grundsätzlichen ethischen Fragestellungen beraten. Dazu wurden in<br />

der Geschäftsordnung 29 zwei Prinzipien grundgelegt:<br />

1. <strong>Ethikberatung</strong> als Entscheidungshilfe<br />

<strong>Ethikberatung</strong> bietet durch eine vereinbarte Struktur, in einem begrenzten Zeitrahmen und<br />

durch eine wertschätzende, allparteiliche Moderation in ethisch schwierigen oder<br />

konflikthaften Situationen die Möglichkeit einer grundlegenden Standortbestimmung und in<br />

der Folge eine gemeinschaftliche Entscheidungsgrundlage. Dadurch wird dem Willen<br />

eines Bewohners/einer Bewohnerin vorrangig Rechnung getragen wie auch Anliegen und<br />

Bedürfnisse von Angehörigen und MitarbeiterInnen berücksichtigt.<br />

2. Beteiligung der Betroffenen<br />

Ein wesentliches Grundprinzip der <strong>Ethikberatung</strong> ist die Beteilung derer, die betroffen sind.<br />

In der Hilfe im Alter gibt es in den einzelnen Häusern durch das intensive Palliativprojekt<br />

bzw. durch die dadurch entwickelten Strukturen und Kompetenzen unterschiedliche<br />

Bausteine, die bereits eine ethische Entscheidungskultur befördern. (…) Um dieses<br />

Grundprinzip umzusetzen, wurde in jedem Haus ein Ethikflyer aufgelegt, der zum<br />

Hinschauen, ins Gespräch kommen und zu gemeinsamer Verantwortung ermutigte. (vgl.<br />

angefügte Bausteine)<br />

Für die erste Funktionsperiode konnten neben engagierten MitarbeiterInnen aus allen<br />

Berufsgruppen und Einrichtungsbereichen, aus allen Hierachieebenen und Funktionen<br />

und aus allen Einrichtungen auch namhafte Persönlichkeiten aus der evangelischen<br />

Kirche, aus Sozial- und Gesundheitseinrichtungen sowie aus der Hospizbewegung<br />

gewonnen werden.<br />

Für die gemeinsame Arbeit wurden in der Geschäftsordnung vier Aufgaben formuliert:<br />

a) die exemplarische Bearbeitung von individuellen, aber auch paradigmatischen<br />

Fallgeschichten (prospektiv und retrospektiv) aus den Altenhilfe-Einrichtungen der „Hilfe<br />

im Alter“,<br />

(b) die Erarbeitung von gemeinsamen Ethischen Empfehlungen und Leitlinien für die „Hilfe<br />

im Alter“,<br />

(c) die Unterstützung von moderierten ethischen Fallbesprechungen/<strong>Ethikberatung</strong> in den<br />

einzelnen Einrichtungen der „Hilfe im Alter“ und<br />

(d) die Ermöglichung von Fort- und Weiterbildung des Ethikbeirates sowie aller<br />

MitarbeiterInnen der Hilfe im Alter, um die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen und<br />

die ethische Bewusstseinsbildung in allen Bereichen der „Hilfe im Alter“ zu fördern.<br />

Für die erste Funktionsperiode wurde aus den internen Mitgliedern eine Geschäftsführerin<br />

des Ethikbeirates gewählt, die von dem internen Projektkoordinator und dem externen<br />

Projektbegleiter unterstützt werden wird.<br />

Die Arbeit des Ethikbeirates steht unter einem dreifachen Auftrag: Der Beirat wird aus der<br />

Perspektive der MitarbeiterInnen und den Leitungskräften als Unterstützung ihrer<br />

29 Die ganze Geschäftsordnung ist als Arbeitsblatt angefügt.<br />

50


Alltagsarbeit gewünscht. Die Geschäftsführung der „Hilfe im Alter“ beauftragte bei der<br />

Etablierung des Beirates explizit alle Mitglieder.<br />

"Für die Altenhilfe in Bayern ist die Konstitution des Ethikbeirates ein Novum, für Diakonie<br />

und Kirche ein wegweisender Schritt – einer, der längst überfällig war", so die Regionalbischöfin<br />

Breit-Keßler in ihrer Ansprache. Als "Qualitätsmerkmal" bezeichnete sie die<br />

Ethik-Beratung: "Ethische Wachsamkeit und Sensibilität für die Bedürfnisse" der Bewohnerinnen<br />

und Bewohner seien unerlässliche Voraussetzung, um die schwierigen Situationen<br />

und Entscheidungen in den Einrichtungen der Altenpflege bewältigen zu<br />

können. Zugleich gelte es, "in einer Gesellschaft, die ein Menschenbild mit den Attributen<br />

,jung, schön, vital, leistungsfähig, effizient und erfolgreich‘ favorisiert, die Würde alter<br />

Menschen ganz besonders zu achten".<br />

Hier schärft sich deutlich das diakonische Profil: Die Hilfe im Alter braucht AgentInnen des<br />

Diakonischen; HüterInnen einer voraussetzungsfreien Gastfreundschaft und Würde,<br />

Seismographen für die Verletzlichkeit des Menschen. Die „Hilfe im Alter“ erwartet, dass<br />

sich ihre MitarbeiterInnen für eine diakonische Ausrichtung engagieren; sie erwarten und<br />

fordern das von ihren Führungskräften. Gleichzeitig ist sich die Geschäftsführung bewusst,<br />

dass der Träger hier Unterstützung und Vorgaben leisten muss, in permanenten<br />

Prozessen der Selbstbeobachtung und Weiterentwicklung, des Ausbalancierens von<br />

Unterschieden und Widersprüchen. In den Unterschieden entscheidungs- und handlungsfähig<br />

zu bleiben, ist ein wichtiges Ziel für die MitarbeiterInnen, die Führungskräfte und<br />

letztlich für den Träger Diakonie.<br />

Statt Recht haben rechtzeitig miteinander zurechtkommen<br />

Gerhard Prölß, Geschäftsführer der Hilfe im Alter, konkretisierte sowohl in Richtung der<br />

MitarbeiterInnen wie auch des Beirates den Auftrag der Geschäftsführung:<br />

„Wegschauen ist nicht erlaubt“, mahnte er bei der Konstituierung des Ethikbeirats<br />

am 29. Oktober 2009 in München und ermuterte die Mitglieder des Ethikbeirates: „In<br />

diesem Projekt haben Sie die Erlaubnis, über wirklich jede Kritik und jedes Unbehagen<br />

nachzudenken. “ Mit dem Projekt etabliere sich „eine neue Kultur der Kritik- und Entwicklungsfähigkeit!<br />

“<br />

Mit der Erlaubnis, kritische ethische Fragen stellen zu dürfen, wird in der Hilfe im Alter der<br />

wachsenden Zahl ethischer Herausforderungen im Sinne einer gemeinsamen Vorsorge<br />

begegnet. Im Vordergrund steht nicht, wer am Ende Recht hat, sondern wie Teams und<br />

HausärztInnen, BewohnerInnen und Angehörige miteinander zurechtkommen, damit die<br />

BewohnerInnen rechtzeitig zu dem Recht kommen, das eigene Leben bis zuletzt<br />

verantwortlich mitzugestalten.<br />

Mit dem Ethikbeirat, aber auch mit der Möglichkeit zur <strong>Ethikberatung</strong> in den einzelnen<br />

Einrichtungen ist ein wesentlicher Schritt getan, dass gute Entscheidungen nicht nur von<br />

den motivierten MitarbeiterInnen getroffen werden; zur Entscheidungskultur gehört, dass<br />

alle aufmerksam sind und alle sich strukturiert und mit Unterstützung den ethischen<br />

Herausforderungen stellen können. Damit ist eine Vision ungesetzt und konkretisiert, die<br />

der Philosoph Hans Jons als Verständigungssystem und Plattform für den Erfolg der<br />

eigenen Sache bezeichnet hatte: „Letzten Endes liegt jede Hoffnung, die wir haben, darin,<br />

dass es Verständigungssysteme gibt, (…) dass man Gremien und Plattformen bildet, in<br />

denen sich Menschen mit verschiedenem Wissen und verschiedenen Interessen begegnen<br />

und auch über solche Dinge sprechen, die nicht gerade in der Linie des größtmöglichen<br />

Erfolges ihrer jeweils eigenen Sache liegen.“<br />

51


Implementierungsphase 2: Entwicklung und Einsatz des <strong>Ethikberatung</strong>sflyers<br />

Die Entwicklung und Implementierung unseres Flyers Ethikbeirat und <strong>Ethikberatung</strong> in der<br />

Hilfe im Alter war ein zentraler Schritt. Stellte er doch den Übergang der zunächst intern<br />

orientierten Arbeit in die Öffentlichkeit dar: going public als Ziel. Um auch hier das<br />

Commitment der Leitungsebene gestärkt zu halten, wurde aufwändig an diesem<br />

30<br />

Projektschritt gearbeitet .<br />

Der Text des Flyers wurde in mehreren Schritten redigiert. Wir hatten einen Entwurf<br />

vorgelegt, den wir sowohl im Ethikbeirat als auch in der Leitungskonferenz der Hilfe im<br />

Alter zur Kommentierung vorlegten. Alle Rückmeldungen, Anregungen und Bedenken<br />

wurden eingearbeitet. Eine zweite Fassung wurde dem Ethikbeirat erneut zur Diskussion<br />

vorgelegt. Die daraus resultierende Version wurde dann erneut in der Leitungskonferenz<br />

besprochen und abgesegnet. Dieser halbjährige Prozess führte zu einer Endfassung,<br />

deren Implementierung wir den Häusern völlig freigestellt haben. Vorgegeben war nur ein<br />

Zeitrahmen (Jahresende 2010). Die Häuser erhielten Briefe zur Information der<br />

Mitarbeitenden, der BewohnerInnen und der Angehörigen. Im Herbst 2010 wurde der Flyer<br />

in großer Auflage gedruckt. Die Häuser konnten in diesem Zeitraum selbst entscheiden,<br />

welche Schritte in der Vorbereitung der Mitarbeitenden und der Veröffentlichung des<br />

Flyers sie gehen wollten. Damit wurde den Einrichtungen größtmögliche Freiheit und<br />

Verantwortung in diesem relevanten Projektschritt gegeben.<br />

30<br />

Die entsprechenden Vorlagen und Musterbriefe sowie die Endfassung des Flyers sind im Materialteil zu<br />

Kapitel 5 abgedruckt.<br />

52


Evaluationsphase – Die Organisation von Wirksamkeit und Nachhaltigkeit<br />

Erfahrungsaustausch: Es gibt ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Evaluation: Für<br />

viele bedeutet ‚Evaluation’ eine Überprüfung der Befindlichkeit oder Wirksamkeit nach<br />

einer Veranstaltung oder einem Projekt; in der Regel wird dazu ein standardisierter<br />

Fragebogen verwendet, in dem einige Items mit einer 5er-Skala abgefragt werden –<br />

bestenfalls enthält ein solcher Fragebogen noch ein Feld ‚was Sie noch anmerken wollen .<br />

Außer dem offensichtlichen Ziel der Überprüfung, dessen Auftraggeber und Nutzer<br />

weitgehend in Unklaren bleiben, gibt es keinen Einfluss auf die Fragestellung bzw. auf die<br />

Kriterien oder Zielsetzungen, die dahinter vermutet werden. Oft bleibt auch noch die<br />

Auswertung im Dunkeln, ganz zu schweigen von den Konsequenzen, die gezogen<br />

werden.<br />

Gegen diese letztlich unbefriedigende Verwendung des Evaluationsbegriffs soll hier ein<br />

weiteres Verständnis, im Sinne einer Kybernetik – einer umfassenden Führungskunst<br />

entwickelt werden. Drei grundlegende Prinzipien kommen zur Anwendung:<br />

1. Evaluation wird als ein fortlaufender Prozess in einem ‚Regelkreis von Planung –<br />

Steuerung – Überprüfung verstanden.<br />

2. In der systemischen Sichtweise werden in unterschiedlichen Rollen Auftraggeber,<br />

Akteure und Kunden in der jeweiligen Phase der Evaluation beteiligt.<br />

Dementsprechend verändern sich auch die Planungs-, Steuerungs- und<br />

Überprüfungsinstrumente bei der erneuten Durchführung.<br />

3. Evaluation zielt auf rasche Veränderung – gerne auch ad experimentum – hin.<br />

Dadurch werden Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit einer Maßnahme oder eines<br />

Projektes (wie z. B. ‚<strong>Ethikberatung</strong> in der Altenhilfe’) gewährleistet.<br />

‚<br />

Einige grundsätzliche Aspekte für eine Evaluation von <strong>Ethikberatung</strong> in der Altenhilfe:<br />

<strong>Ethikberatung</strong> stellt in vielfältiger Weise eine Innovation und einer Intervention im System<br />

Altenhilfe dar. Deswegen greift es m. E. zu kurz als Evaluation nur die Wirksamkeit der<br />

einzelnen Beratung bzw. den einzelnen Implementierungsmaßnahmen zu überprüfen.<br />

Unser Evaluationskonzept balanciert hier zwischen der individuellen Beratungssituation,<br />

den Verknüpfungen, die auf der Ebene des Beirats getroffen werden (z. B. durch<br />

Empfehlungen und Leitlinien) und wesentlichen Umwelten (Auftrag und Ressourcen,<br />

Strategie und Kultur des Trägers, einzeln und gesamt).<br />

Mögliche Ziele einer Evaluation von <strong>Ethikberatung</strong> in der Altenhilfe<br />

- Überprüfung des Auftrags durch die Leitung – Adaptierung der Geschäftsordnung<br />

- Überprüfung und Optimierung des Beratungsprozesses<br />

- Kontrolle der eigenen Wirksamkeit/Nachhaltigkeit<br />

- Überprüfung der eigenen Fach- und Beratungskompetenzen im Bezug auf<br />

<strong>Ethikberatung</strong><br />

- Leistungsbilanz des Ethikberates/der Fallberatungen<br />

- Organisationsentwicklung des Ethikbeirates bzw. des Trägers und seiner<br />

Einrichtungen<br />

- Prozessberatung der Weiterentwicklung<br />

31<br />

‚<br />

31<br />

Vgl. Dinges, Simon (2010), Grundlagen und Bausteine für eine systemische Evaluation von <strong>Ethikberatung</strong>.<br />

Im Rahmen der Akademie für Ethik in der Medizin werden aktuell Indikatoren und unterschiedliche Modelle<br />

von Evaluation zusammengestellt.<br />

53


Planung der konkreten Durchführung einer Evaluation<br />

1. Zunächst ist die Geschäftsführung des Ethikbeirates als Auftraggeber für die<br />

Evaluation zu sehen; damit fällt in der ersten Phase Auftraggeberschaft und<br />

Evaluationsgruppe zusammen. Dahinter steht der Gedanke, dass zunächst der<br />

innerste Kreis des Ethikbeirates und des Beratungsteams sich der Evaluation im<br />

Sinne einer Selbstüberprüfung stellt und erprobt.<br />

2. Diese Ergebnisse, kombiniert mit der Außenperspektive des Evaluators, die an den<br />

Ethikbeirat zurückgespielt werden, gestalten dann die nächsten Phasen, nämlich<br />

die beiden eigentlichen Auftraggeber von Ethikbeirat und <strong>Ethikberatung</strong>, die<br />

Geschäftführung der HiA und die anfragenden Häuser mit ihren Leitungen und<br />

MitarbeiterInnen, letztlich auch die BewohnerInnen und ihre Angehörigen – als<br />

Nutznießer der Dienstleitung <strong>Ethikberatung</strong>.<br />

3. Auch diese Ergebnisse werden von Evaluator kommentiert zurückgespielt. Parallel<br />

zu den Evaluationsschritten werden von Evaluator die vorliegenden Formulare<br />

(Anfrage, Protokoll, Dokumentation), Geschäftsordnungen, Informationsbroschüren,<br />

Internetauftritt sowie Fallauswertungen und wenn vorhanden Leitlinien als Daten<br />

herangezogen.<br />

4. Idealerweise werden Ergebnisse und Empfehlungen der Evaluation nach der<br />

Präsentation gemeinsam diskutiert und umgesetzt.<br />

54


Materialien zum Kapitel 5<br />

Beispiel: Beauftragung zum Ethikbeirat<br />

Sehr geehrte/r Herr/Frau …………………..<br />

Herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft, im Ethikbeirat der ‚Hilfe im Alter’ mitzuarbeiten und<br />

zu einer vielseitigen ethischen Reflexion von Bewohnergeschichten, Arbeitssituationen in<br />

den Einrichtungen und einrichtungsübergreifenden Themen beizutragen.<br />

Hiermit beauftrage ich Sie für diese uns sehr wichtige Dienstleitung<br />

für den Zeitraum von ……………………..<br />

als internes/externes Mitglied des Ethikbeirates der ‚Hilfe im Alter‘.<br />

Die Aufgaben des Ethikbeirates lt. Geschäftsordnung:<br />

(a) die exemplarische Bearbeitung von BewohnerInnengeschichten und Arbeitssituationen<br />

aus den Einrichtungen der Hilfe im Alter,<br />

(b) die Erarbeitung von gemeinsamen ethischen Empfehlungen und Leitlinien für die Hilfe<br />

im Alter,<br />

(c) die Unterstützung von moderierter <strong>Ethikberatung</strong> in den Einrichtungen der Hilfe im<br />

Alter,<br />

(d) die Sorge um Fort- und Weiterbildung, um die Auseinandersetzung mit ethischen<br />

Fragen und die ethische Bewusstseinsbildung in allen Bereichen der Hilfe im Alter zu<br />

fördern.<br />

Im Gegenzug verpflichtet sich die Geschäftsführung,<br />

die Beratungen und Empfehlungen des Ethikbeirats zum Gegenstand intensiver und<br />

gewissenhafter Auseinandersetzung zu machen und sie nach Möglichkeit in wirksame<br />

Praxis umzusetzen bzw. zu autorisieren;<br />

zu einem gemeinsamen jährlichen Treffen, um die gemeinsamen Anliegen zu reflektieren<br />

und die Rahmenbedingung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit weiterzuentwickeln.<br />

Gottes Segen für Ihr und unser Tun!<br />

55


Beispiel: Information und Geschäftsordnung für <strong>Ethikberatung</strong> und Ethikbeirat der<br />

Altenhilfeeinrichtungen der Hilfe im Alter (Hilfe im Alter)<br />

0. Vorwort und Orientierung<br />

Plurale Wertvorstellungen und Lebensentwürfe<br />

Jeder Mensch hat individuelle Wertvorstellungen, einen persönlichen Lebensentwurf als<br />

Grundlage für das eigene Entscheiden. Damit treffen, auch im Alltag unserer Einrichtungen,<br />

unterschiedliche Wert- und Lebenseinstellung aufeinander. Insbesondere im Alter<br />

und am Lebensende kann es hier zu Differenzen oder gar Konflikten kommen, die eine<br />

gute oder bestmögliche Entscheidung und damit Versorgung be- oder verhindern.<br />

<strong>Ethikberatung</strong> als Entscheidungshilfe<br />

<strong>Ethikberatung</strong> bietet durch eine vereinbarte Struktur, in einem begrenzten Zeitrahmen und<br />

durch eine wertschätzende, allparteiliche Moderation in ethisch schwierigen oder konflikthaften<br />

Situationen die Möglichkeit einer grundlegenden Standortbestimmung und in der<br />

Folge eine gemeinschaftliche Entscheidungsgrundlage. Dadurch werden dem Willen eines<br />

Bewohners/einer Bewohnerin vorrangig Rechnung getragen wie auch Anliegen und<br />

Bedürfnissen von Angehörigen und MitarbeiterInnen berücksichtigt.<br />

Beteiligung der Betroffenen<br />

Ein wesentliches Grundprinzip der <strong>Ethikberatung</strong> ist die Beteiligung derer, die betroffen<br />

sind. In der Hilfe im Alter gibt es in den einzelnen Häusern durch das intensive Palliativprojekt<br />

bzw. durch die dadurch entwickelten Strukturen und Kompetenzen unterschiedliche<br />

Bausteine, die bereits eine ethische Entscheidungskultur befördern. Um diese<br />

Bemühungen zu bündeln und zu unterstützen, hat die Geschäftsführung der Hilfe im Alter<br />

(mit Unterstützung und Förderung der <strong>Robert</strong>-<strong>Bosch</strong>-<strong>Stiftung</strong>) ein Ethikprojekt in Ab-<br />

stimmung mit der Heimleiterkonferenz gestartet. In einer ersten Phase wurden in den<br />

einzelnen Häusern ein gemeinsames Verständnis von <strong>Ethikberatung</strong> und der notwendige<br />

Entwicklungsbedarf erarbeitet. Um das bisher in unterschiedlichen Projekten Erreichte zu<br />

sichern wird jetzt in der zweiten Phase ein Ethikbeirat der/für die Hilfe im Alter<br />

eingerichtet.<br />

Der Ethikbeirat – Garant für Entscheidungskompetenz und Versorgungsqualität<br />

Der Ethikbeirat der Hilfe im Alter wird (einrichtungsübergreifend) von der Geschäftsführung<br />

eingesetzt und für die Dauer von drei Jahren berufen. Die folgende Geschäftsordnung<br />

gibt Auskunft über die Ziele und Aufgaben, die unterschiedlichen Arbeitsweisen<br />

sowie die Zusammensetzung des Ethikbeirates. Der Ethikbeirat ist aus den verschiedenen<br />

fachlichen, palliativen und ethischen Projektperspektiven wünschenswert und notwendig<br />

geworden; er soll den zahlreichen Aktivitäten in den einzelnen Einrichtungen wie auch im<br />

Gesamtunternehmen unterstützend und fokussierend zur Seite stehen.<br />

Durch eine interprofessionelle und interdisziplinäre Ausrichtung und durch das skizzierte<br />

Aufgabenprofil zielt der Ethikbeirat durch seine Arbeit auf eine verbreiterte Entscheidungskompetenz<br />

und dadurch auf eine bestmögliche Versorgungsqualität. Im Sinne der<br />

Dienstleistungsfunktion von <strong>Ethikberatung</strong> hat er ein grundsätzlich subsidiäres Verständnis<br />

seiner Arbeit, die der strategisch-diakonischen Ausrichtung der Hilfe im Alter Rechnung<br />

tragen wird.<br />

56


Mit der Einrichtung des Ethikbeirates in der Hilfe im Alter wird auch einer Empfehlung von<br />

Landesbischof Dr. Johannes Friedrich (München) und Diakoniepräsident Dr. Ludwig<br />

Markert (Nürnberg) gefolgt. Sie haben dazu aufgerufen, „<strong>Ethikberatung</strong> bzw. ausgewiesene<br />

ethische Kompetenz in Zukunft in allen diakonischen und kirchlichen Einrichtungen<br />

der Altenpflege zu einem integralen Bestandteil des Gesamtkonzeptes werden zu<br />

lassen.“ (Januar 2009)<br />

1. Aufgaben und Ziele des Ethikbeirates<br />

Die wesentlichen Aufgaben des Ethikbeirates sind<br />

(a) die exemplarische Bearbeitung von individuellen, aber auch paradigmatischen<br />

Fallgeschichten (prospektiv und retrospektiv) aus den Altenhilfe-Einrichtungen der Hilfe im<br />

Alter,<br />

(b) die Erarbeitung von gemeinsamen ethischen Empfehlungen und Leitlinien für die Hilfe<br />

im Alter,<br />

(c) die Unterstützung von moderierten ethischen Fallbesprechungen/<strong>Ethikberatung</strong> in den<br />

einzelnen Einrichtungen der Hilfe im Alter und<br />

(d) die Ermöglichung von Fort- und Weiterbildung des Ethikbeirates sowie aller MitarbeiterInnen<br />

der Hilfe im Alter, um die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen und die<br />

ethische Bewusstseinsbildung in allen Bereichen der Hilfe im Alter zu fördern.<br />

a) Exemplarische Bearbeitung von Fallgeschichten aus den einzelnen Einrichtungen<br />

Grundsätzlich sollte jeder/jeder, der/die im Kontext der Hilfe im Alter auf eine ethische<br />

Herausforderung, Fragestellung oder einen akuten Konflikt stößt, sich an den Ethikbeirat<br />

wenden können. Dessen KoordinatorIn bzw. Leitung wird in enger Absprache mit dem<br />

Einbringer/der Einbringerin entscheiden, welche Auseinandersetzungsform dem Anliegen<br />

angemessen und zielführend ist.<br />

In seinen routinemäßigen Treffen wird der Ethikbeirat geeignete Themen und Situationen<br />

exemplarisch bearbeiten und allfällige Ergebnisse dokumentieren und entsprechend<br />

kommunizieren. Damit wird die angestrebte ethische Entscheidungskultur in der Hilfe im<br />

Alter vorangetrieben und gefördert. Natürlich kann der Ethikbeirat auch aus eigenem<br />

Antrieb Themen aufgreifen und bearbeiten, die seinen Zielsetzungen entsprechen.<br />

b) Ethische Empfehlungen und Leitlinien<br />

Aufgrund von exemplarischen Fallgeschichten/Anfragen aus allen Bereichen der Hilfe im<br />

Alter, sowie bei sich wiederholenden ethischen Fragestellungen im Rahmen der<br />

fachlichen, palliativen und ethischen Fallbesprechungen vor Ort in den einzelnen<br />

Einrichtungen, kann der Ethikbeirat Stellungnahmen, Empfehlungen und Leitlinien<br />

ausarbeiten und Entscheidungsmöglichkeiten vorschlagen. Bestehende, ethisch relevante<br />

Leitlinien werden dabei im Sinne des Leitbildes berücksichtigt und in Abstimmung mit der<br />

Geschäftsführung weiterentwickelt.<br />

Grundsätzlich setzt die Geschäftsführung der Hilfe im Alter die vom Ethikbeirat<br />

vorbereitete Empfehlung im Sinne einer Leitlinie in Kraft. Die ethischen Leitlinien sollen<br />

allen Mitarbeitenden der Hilfe im Alter eine orientierende Hilfestellung und Rahmung<br />

geben. Den BewohnerInnen und ihren Angehörigen dienen sie als Anhaltspunkte für<br />

Werte, denen die Hilfe im Alter als Institution besondere Bedeutung beimisst.<br />

57


c) Förderung und Unterstützung moderierter, ethische und palliativer Fallbesprechungen/<strong>Ethikberatung</strong><br />

in den einzelnen Einrichtungen<br />

Fallbesprechungen (mit fachlichen, palliativen oder ethischen Schwerpunkten) sind als<br />

Unterstützung in schwierigen Entscheidungssituationen alltagsnah in den einzelnen<br />

Einrichtungen etabliert. Sie berücksichtigen die unterschiedlichen Zuständigkeiten und<br />

Entscheidungskompetenzen der unterschiedlichen Berufe. Sie orientieren sich an der<br />

Autonomie und den individuellen Bedürfnissen der MitarbeiterInnen und der BewohnerInnen<br />

in Balance zu verantwortlichen Behandlungs- und Betreuungsangeboten und<br />

einer gerechten Verteilung der Ressourcen.<br />

Ziel ist eine verstärkte Beteiligung der Betroffenen (BewohnerInnen, Angehörige, Mitdie<br />

ethische Diskussion durch eine multiprofessionelle und interdisziplinäre Entschei-<br />

arbeitende) bei relevanten Entscheidungsprozessen. Damit sollen die Kommunikation und<br />

dungs- und Beteiligungskultur gestärkt und verbessert werden. Idealerweise steht der<br />

Ethikbeirat in Kontakt mit den ModeratorInnen und den Leitungsverantwortlichen der<br />

Häuser bzw. wird von diesen informiert oder direkt angefragt.<br />

Die Unterstützung kann einerseits dadurch erfolgen, dass eine aktuelle Situation konziliarisch<br />

oder retrospektiv kommentierend an den Ethikbeirat delegiert wird (vgl. a); oder<br />

indem von Seiten des Ethikbeirates geeignete Moderation zur Verfügung gestellt wird.<br />

d) Kontinuierliche Fort- und Weiterbildung<br />

In Zusammenarbeit mit der o. g. Fachstelle werden sowohl für die Mitglieder des<br />

Ethikbeirats als auch für alle MitarbeiterInnen und Führungskräfte Fort- und Weiterbildung<br />

angeboten. Neben fachlichen und ethischen Themen in Vorträgen und Informationen<br />

werden hier insbesondere Kompetenzen im Bereich der interdisziplinären Kommunikation<br />

und Moderation weiterentwickelt.<br />

2. Mitglieder<br />

Die Zusammensetzung des Ethikbeirates zielt darauf ab,<br />

• dass möglichst alle Einrichtungen, Ebenen und relevanten Berufsgruppen vertreten sind;<br />

• dass hier auch jene KooperationspartnerInnen abgebildet werden, mit denen im Alltag<br />

zusammengearbeitet wird: ambulante Dienste und Hospizgruppen, Krankenhäuser sowie<br />

auch niedergelassene ÄrztInnen;<br />

• um nicht in einer Binnen- oder Alltagsperspektive zu verharren, sollen Personen und<br />

Expertisen aus den Bereichen Diakonie/Kirche, Medizinethik/Palliative Care, Recht,<br />

Geriatrie/Gerontologie und Pflegewissenschaften angesprochen und beteiligt werden.<br />

Der Ethikbeirat wird aus 15-18 Mitgliedern bestehen, um arbeitsfähig zu bleiben.<br />

Die Geschäftsführung der Hilfe im Alter kann nach Rücksprache mit dem bereits eingerichteten<br />

Ethikbeirat entscheiden, welche Rollen dauernd, kooptiert oder fallweise<br />

besetzt werden. In Einzelfällen können auch VertreterInnen von BewohnerInnen oder<br />

Angehörigen eingeladen und beteiligt werden.<br />

Koordination und Leitung: Von den Beiratsmitgliedern wird für die Dauer einer<br />

Funktionsperiode ein/e LeiterIn und zwei StellvertreterInnen (= Vorstand) mit einfacher<br />

Mehrheit gewählt. Ihnen obliegt die ordnungsgemäße Durchführung der Sitzungen; sie<br />

sind AnsprechpartnerInnen für ethische Anfragen und stehen in regelmäßiger<br />

Kommunikation mit der Geschäftsführung der Hilfe im Alter.<br />

Idealerweise koordiniert der/die LeiterIn auch die Anfragen bezüglich ethischer Fragestellungen/Fallbesprechung<br />

in den einzelnen Einrichtungen; wenn der Bedarf nach<br />

externer Moderation besteht, in enger Absprache mit den Führungskräften vor Ort.<br />

58


Auswahl und Beauftragung: Zur Besetzung vakanter Stellen erfolgt nach Ausschreibung<br />

eine Auswahl durch den Vorstand des Ethikbeirats, der dann der Geschäftsführung der<br />

Hilfe im Alter einen Vorschlag unterbreitet. Die Beauftragung des neuen Mitglieds erfolgt<br />

durch die Geschäftsführung.<br />

3. Regelmäßige Treffen<br />

Der Ethikbeirat trifft sich als Gesamtgremium mindestens zwei Mal im Jahr. Um<br />

arbeitsfähig zu sein, besteht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht. Die Termine sind in<br />

der jeweiligen Dienstplangestaltung zu berücksichtigen und für ein Arbeitsjahr zu planen.<br />

In einem zusätzlich jährlichen Treffen mit der Geschäftsführung der Hilfe im Alter erfolgt<br />

wechselseitige Information, Bericht und statistische Auswertung der dokumentierten<br />

Fallbesprechungen.<br />

Sollten weitere Treffen notwendig sein, sollte eine Einladung mit Anlass bzw. kurzer<br />

Skizze der Fallgeschichte mindestens zehn bis 14 Tage im Voraus erfolgen.<br />

Sollte eine rechtzeitige Einladung nicht möglich sein bzw. weniger als die Hälfte der<br />

Mitglieder des Ethikbeirates erreichbar sein, liegt es im Ermessensspielraum des<br />

Vorstandes, in Abstimmung mit der Geschäftsführung eine Ad-hoc-<strong>Ethikberatung</strong><br />

einzuberufen. Diese Beratungsarbeit, wie auch andere stattfindende <strong>Ethikberatung</strong>en,<br />

sollten in irgendeiner Form an reguläre Treffen des Ethikbeirates rückgebunden werden.<br />

4. Verschwiegenheit<br />

Die Mitglieder sind zur Verschwiegenheit über die Beratungen und die vertraulichen<br />

Unterlagen verpflichtet. Dies gilt für alle Personen, die an Sitzungen teilnehmen oder als<br />

ExpertInnen hinzugezogen werden. Die Verschwiegenheitspflicht bleibt auch nach dem<br />

Ausscheiden aus dem Ethikbeirat bestehen.<br />

5. Auflösung<br />

Der Ethikbeirat ist eine ständige Einrichtung der Hilfe im Alter und kann ohne schwerwiegenden<br />

Grund nicht aufgelöst werden. Er wird aufgelöst, wenn nach gemeinschaftlicher<br />

Auffassung aller ordentlichen Mitglieder und/oder der Geschäftsführung der<br />

Hilfe im Alter die Grundlagen einer erfolgreichen Arbeit nicht mehr bestehen.<br />

6. Durchführung von ethischer Fallbesprechung auf Einrichtungsebene<br />

<strong>Ethikberatung</strong> im Ethikbeirat<br />

A. Grundstruktur<br />

<strong>Ethikberatung</strong> in der Hilfe im Alter soll in ethischen Entscheidungssituationen und/oder in<br />

Konflikten auf der Ebene von Stationen, Funktionsbereichen und Abteilungen unterstützen<br />

und möglichst zeitnah alle relevanten Mitarbeitenden zusammenführen. Das Ergebnis der<br />

Beratung wird von den Verantwortlichen in ihren Kompetenzbereichen umgesetzt.<br />

Für <strong>Ethikberatung</strong> auf Einrichtungsebene stehen ausgewählte Mitglieder des Ethikbeirates<br />

bzw. der Fachstelle und ggf. Mitarbeitenden der Hilfe im Alter mit entsprechender Moderationskompetenz<br />

zur Verfügung. Die Nominierung zur Moderationsgruppe erfolgt auf Basis<br />

freiwilliger Meldung und/oder Beauftragung. Die ModeratorInnen werden in einer Liste im<br />

Anhang zur Geschäftsordnung veröffentlicht.<br />

59


Die ModeratorInnen arbeiten in einem Zweier-Team und teilen sich Moderation und<br />

Dokumentation.<br />

Die ModeratorInnen werden von der Leitung des Ethikbeirats und nach Rücksprache mit<br />

ihrer direkten Dienststellenleitung eingesetzt. Die Moderationstätigkeit zählt als Dienstzeit.<br />

B. Anmeldung und Ansetzen der <strong>Ethikberatung</strong><br />

Jede/r Mitarbeitende hat das Recht, eine <strong>Ethikberatung</strong> anzumelden. Auch BewohnerInnen<br />

bzw. deren gesetzliche VertreterInnen sowie Angehörige können eine <strong>Ethikberatung</strong><br />

beantragen.<br />

Die Anmeldung erfolgt entweder über die Hausleitung (HL/PDL) oder über die Leitung<br />

bzw. Koordination des Ethikbeirats. Nach Erarbeiten einer relevanten ethischen Fragestellung<br />

und Feststellen der Sinnhaftigkeit einer konsiliaren ethischen Fallbesprechung/<strong>Ethikberatung</strong><br />

werden ModeratorInnen vor Ort oder externe ModeratorInnen<br />

benannt, und die beteiligten Leitungen vor Ort über die Anmeldung informiert.<br />

Die <strong>Ethikberatung</strong> soll zeitnah in Absprache mit dem/der Anmeldenden sowie der pflegerischen<br />

Leitung der entsprechenden Einrichtung erfolgen.<br />

Der/die KoordinatorIn entscheidet, welche Mitglieder als ModeratorInnen nominiert<br />

werden. Diese kommen nach Möglichkeit und je nach Dringlichkeit/Eskalation nicht aus<br />

der entsprechenden Einrichtung.<br />

Tritt jedoch der begründete Fall ein, dass eine <strong>Ethikberatung</strong> nicht vertretbar erscheint, so<br />

ist dies zwischen AnmelderIn, Leitung bzw. Koordination des Ethikbeirates und<br />

Geschäftsführung der Hilfe im Alter zu kommunizieren. In diesem seltenen Fall sollte dann<br />

ein alternatives Bearbeitungssetting (Supervision, Coaching etc.) empfohlen werden.<br />

C. Teilnehmende der <strong>Ethikberatung</strong><br />

Bei der Beratung sollen alle direkt mit der Situation befassten MitarbeiterInnen und<br />

Professionen beteiligt werden. In jedem Fall ist zu überprüfen, in welcher Weise die<br />

betroffenen BewohnerInnen, deren Angehörige bzw. die Bevollmächtigten sinnvoll beteiligt<br />

werden.<br />

D. Zeitrahmen der ethischen Fallbesprechung/<strong>Ethikberatung</strong><br />

Eine <strong>Ethikberatung</strong> sollte nicht länger als 45 Minuten dauern. Alle Teilnehmenden sollten<br />

während der vollen Beratungszeit präsent sein und ihre Vertretung in anderen Funktionen<br />

vorab geklärt haben. Die Teilnahme an und die Moderation von <strong>Ethikberatung</strong> ist<br />

Dienstzeit.<br />

E. Mögliche Ergebnisse der konsiliaren ethischen Fallbesprechung/<strong>Ethikberatung</strong> im<br />

Ethikbeirat<br />

Jede <strong>Ethikberatung</strong> schließt mit einem Beratungsergebnis in Form einer begründeten Neudas<br />

Entsprechende im Rahmen der jeweiligen<br />

einschätzung der Situation oder einer (Team-)Entscheidung für ein weiteres Vorgehen.<br />

Kein Beratungsergebnis kann den Arzt und die Ärztin von ihrer Berufspflicht entbinden –<br />

d. h. diese bleiben frei in ihrer situationsbezogenen, und ihre am Bewohnerwillen auszu-<br />

richtenden, ärztlichen Entscheidung. Für Pflegende und Mitarbeitende anderer Dienste gilt<br />

Berufspflichten.<br />

60


F. Dokumentation der ethischen Fallbesprechung/ <strong>Ethikberatung</strong> im Ethikbeirat<br />

Das Moderatorenteam protokolliert die Fragestellung und das Beratungsergebnis, gegebenenfalls<br />

einige Beobachtungen über den Moderationsverlauf oder offene Fragestellungen.<br />

Diese Protokolle stehen dem Ethikbeirat in den Räumen der Leitung des Ethikbeirates<br />

intern zur Verfügung; für die an der Beratung Beteiligten ist ein Ergebnisprotokoll zu<br />

verfassen. In der Patientendokumentation ist zu vermerken, dass eine konsiliare ethische<br />

Fallbesprechung/<strong>Ethikberatung</strong> stattgefunden hat und das Ergebnis dort entsprechend zu<br />

sichern.<br />

G. Auswertung der ethischen Fallbesprechung auf Einrichtungsebene/<strong>Ethikberatung</strong> im<br />

Ethikbeirat<br />

Die <strong>Ethikberatung</strong>en werden intern im Ethikbeirat ausgewertet. Auf entsprechende<br />

Fortbildung und Qualitätsentwicklung wird geachtet.<br />

Die Geschäftsführung der Hilfe im Alter wird in regelmäßigen Abständen informiert.<br />

7. AuftraggeberInnen und Öffentlichkeitsarbeit<br />

Der Auftrag zur Einrichtung eines Ethikbeirates in der Hilfe im Alter erfolgte durch die<br />

Geschäftsführung der Hilfe im Alter im Frühjahr 2009. Die Geschäftsordnung wurde von<br />

der Leitungskonferenz und der Geschäftsführung in Zusammenarbeit mit der o. g.<br />

Fachstelle erarbeitet bzw. beschlossen.<br />

Die Konstituierung des Ethikbeirates erfolgte am 29. Oktober 2009 in München.<br />

Die Geschäftsordnung wird im QM-Rahmenhandbuch der Hilfe im Alter veröffentlicht.<br />

61


Baustein: Info-Folder <strong>Ethikberatung</strong><br />

62


Beispiel: Info-Brief an Heimleitungen der „Hilfe im Alter“<br />

Betr:<br />

Brief an die Leitungen unserer Alten- und Pflegeheime zur Implementierung des<br />

Flyers „<strong>Ethikberatung</strong> und Ethikbeirat“<br />

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!<br />

Unser Flyer zur <strong>Ethikberatung</strong> und zum Ethikbeirat ist gedruckt. Er steht Ihnen in ausreichender<br />

Anzahl zur Verfügung. Ein Muster liegt diesem Brief bei.<br />

Wir hatten in der Heimleiterklausur und im Ethikbeirat vereinbart, dass die Implementierung<br />

des Flyers in den einzelnen Einrichtungen individuell unter Ihrer Leitung<br />

durchgeführt wird. Dafür sollen Zuständigkeiten und Abläufe in Ihrer Einrichtung im<br />

Umgang mit Rückmeldungen geklärt werden, die MitarbeiterInnen über den Flyer, die<br />

dahinter stehenden Anliegen und den vereinbarten Umgang informieren. (Ein Briefentwurf<br />

an alle MitarbeiterInnen liegt diesem Schreiben bei).<br />

Wie besprochen, soll dann Ende November der Flyer in den Einrichtungen ausliegen. Wir<br />

empfehlen, zeitgleich alle BewohnerInnen und deren Angehörige mit einem Exemplar des<br />

Flyers zu versorgen. Auch für diese Information haben wir ein Musterschreiben vorbereitet,<br />

das Sie gerne noch kommentieren und adaptieren können (Anlage).<br />

Das Schreiben an die MitarbeiterInnen hat einen allgemeinen Teil, der vom Ethikbeirat<br />

konzipiert wurde; in einem zweiten Teil mögen Sie bitte den in der Hausleitung<br />

vereinbarten Ablauf und die Zuständigkeiten als individuellen Text, mit der Handschrift<br />

Ihrer Einrichtung, einfügen. Alle MitarbeiterInnen sollen gut informiert und vorbereitet sein<br />

und die Anliegen und Ziele des Ethikprojektes mittragen können.<br />

Wir bieten Ihnen hier eine kurze Checkliste mit möglichen Schritten und Fragen an, die in<br />

dieser (ja recht kurzen) Implementierungsphase hilfreich sein können:<br />

• Wie und wo informieren Sie die MitarbeiterInnen vom Flyer? (Evtl. kann das<br />

Begleitschreiben mit einem Muster an einem schwarzen Brett zusätzlich veröffentlicht<br />

werden …)<br />

• Wie können die MitarbeiterInnen vorbereitet werden, alle Rückmeldungen, auch<br />

unfreundliche und unangemessene, professionell und engagiert entgegenzunehmen?<br />

• Von der Perspektive des Ethikprojekts aus ist es uns wichtig, dass möglichst alle<br />

Anfragen und Rückmeldungen kurz dokumentiert werden – auch wenn diese auf Station,<br />

im Wohnbereich oder in anderen Routinen bearbeitet und gelöst werden.<br />

• Bedarf es noch einer Information oder Unterstützung von Seiten des Ethikbeirates<br />

und/oder seiner Geschäftsführung?<br />

In der Geschäftsführung des Ethikbeirats beschäftigen wir uns derzeit intensiv mit der<br />

Frage und Standardisierung der Dokumentation und der Anmeldung von ethischen Anfragen<br />

beziehungsweise Fallbesprechungen. Hier werden die entsprechenden Formulare<br />

im Qualitätshandbuch und im Qualitätsmanagement zur Verfügung stehen. Geplant ist ein<br />

Formular für die Anmeldung und Durchführung und eines für die Protokollierung und<br />

Dokumentierung einer Fallbesprechung.<br />

Mit Rückfragen wenden Sie sich bitte an uns.<br />

63


Beispiel: Infobrief an die MitarbeiterInnen<br />

Kopf des Hauses<br />

Absender: Hausleitung<br />

Datum: Herbst 2010<br />

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!<br />

Liebe Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen!<br />

Wir möchten Sie heute an den Fortgang unseres gemeinsamen Ethikprojektes anschließen.<br />

Seit nunmehr einem Jahr arbeitet der Ethikbeirat erfolgreich. In fast allen<br />

Einrichtungen haben schon moderierte Fallbesprechungen stattgefunden und einige<br />

MitarbeiterInnen haben an unseren Workshops für Ethikmoderation teilgenommen. Die<br />

Idee einer ethischen Aufmerksamkeit als Baustein unserer gemeinsamen diakonischen<br />

Kultur in den Einrichtungen ist von Ihnen gut angenommen worden.<br />

Ein weiterer Schritt in diesem Projekt ist die Veröffentlichung unseres neuen Flyers zur<br />

<strong>Ethikberatung</strong> in unseren Einrichtungen: Wir wollen mit diesem Flyer alle, die in unseren<br />

Einrichtungen ein- und ausgehen, in diese ethische Aufmerksamkeit einbinden. Uns ist<br />

dabei wichtig, dass Sie über dieses Vorgehen ausreichend informiert sind.<br />

Wenn der Flyer einmal in ihrer Einrichtung ausliegt, wird es passieren, dass Sie von<br />

BewohnerInnen, Angehörigen oder BesucherInnen angesprochen werden. Dann sollten<br />

Sie wissen, wie Sie reagieren können. Auch Sie selbst sollen nicht in Ihrer ethischen<br />

Aufmerksamkeit nachlassen. Daher ist es wichtig, dass Sie sich im Haus vor der<br />

Veröffentlichung des Flyers Gedanken über angemessene Reaktionen auf Anfragen und<br />

die nötigen Zuständigkeiten machen.<br />

Jede Einrichtung wird ihren eigenen Weg bei der Implementierung des Flyers gehen. Der<br />

Ethikbeirat rechnet damit, dass bis Ende November in allen Einrichtungen der Flyer<br />

bekannt ist und von den Mitarbeitenden erkannt und verstanden wird. Erst dann wird er<br />

ausgelegt. Gleichzeitig werden wir Ende November die BewohnerInnen und Angehörigen<br />

in einen eigenen Schreiben über diesem Flyer informieren. Die bis dahin nötigen Schritte<br />

sind in ihrem Haus wie folgt vereinbart:<br />

Hier bitte Text einfügen, der das Vorgehen und die Zuständigkeiten in der jeweiligen<br />

Einrichtung klärt;<br />

• Vorstellung und Einführung des Flyers<br />

• Veröffentlichungstermin im Haus<br />

• Verhaltensvorschlag beim Entgegennehmen einer Anfrage<br />

• Wissen um die zuständigen Personen (Stationsleitung; PDL, HL, hausinternes Mitglied<br />

des Ethikbeirates, Koordinator/in <strong>Ethikberatung</strong> der Hilfe im Alter)<br />

• Mögliche Formen der Weiterbearbeitung oder Weiterleitung<br />

Wir laden Sie hiermit ein, <strong>Ethikberatung</strong> als Dienstleistung an unseren BewohnerInnen<br />

und ihren Angehörigen, aber auch an der Einrichtung selbst und am Träger zu verstehen.<br />

Ihr Beitrag dazu ist zentral. <strong>Ethikberatung</strong> kann und wird uns in schwierigen Situationen<br />

entlasten und unterstützen. Deswegen wollen wir uns gut und gemeinsam auf diese<br />

Schritte vorbereiten.<br />

64


Beispiel: Beispielbrief an Angehörige<br />

Liebe Bewohnerinnen und Bewohner!<br />

Liebe Angehörige!<br />

Sehr geehrte Damen und Herren in diesem Haus!<br />

Wie Sie sicher wissen, bemühen wir uns als diakonische Einrichtung, die Qualität der<br />

Versorgung zu sichern und zu fördern. Dazu führen wir immer wieder gemeinsam mit<br />

unseren MitarbeiterInnen Projekte durch, z. B. wie wir Ihre Wünsche und Anliegen besser<br />

berücksichtigen und umsetzen können. Zuletzt haben wir ein Projekt zur ethischen<br />

Entscheidungskompetenz durchgeführt und einen zentralen Ethikbeirat für alle Einrichtungen<br />

eingerichtet.<br />

Dieses Projekt wurde auch durch eine Erklärung des evangelischen Landesbischofs Dr.<br />

Johannes Friedrich und des bayrischen Diakoniepräsidenten Dr. Ludwig Markert inspiriert:<br />

“Eine … ethische Kompetenz in Alten- und Pflegeeinrichtungen, sowie der Aufbau von<br />

ausreichend Fortbildungsmöglichkeiten haben aus unserer Sicht hohe Priorität. Dabei ist<br />

zu berücksichtigen, dass eine erhöhte ethische Kompetenz in stationären Pflegeeinrichtungen<br />

nicht unabhängig von den gesamten Pflegeprozessen gesehen werden darf,<br />

sondern integraler Bestandteil des Pflege- und Einrichtungskonzepts sein muss. Bewohnerinnen<br />

und Bewohner brauchen die Gewissheit, dass ihre Bedürfnisse wahrgenommen<br />

werden und ihre Würde bis zum Lebensende geachtet wird. Die Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter gewinnen Handlungssicherheit und erfahren Entlastung. Vor Ort können<br />

Einrichtungen der Altenpflege mit Kirchengemeinden, diakonische Einrichtungen, mit der<br />

Altenheimseelsorge, ambulanten Pflegediensten und Kliniken zusammenarbeiten und<br />

gegenseitig beratend tätig werden.“<br />

Weitere Informationen über die Umsetzung von <strong>Ethikberatung</strong> auch in dieser Einrichtung<br />

können Sie dem beigefügten Flyer entnehmen. Wir werden diesen Flyer auch für Alle in<br />

dieser Einrichtung veröffentlichen und auslegen. Natürlich stehen wir Ihnen für alle Fragen<br />

und Anliegen zur Verfügung.<br />

Bitte sprechen Sie uns an, wenn Sie das Gefühl haben, dass im Umgang mit Ihnen, mit<br />

Ihren Angehörigen oder sonst jemandem in diesem Haus nicht richtig verfahren wird. Wir<br />

sind auf Sie angewiesen, damit wir uns verbessern können.<br />

Jetzt schon herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, Ihre Rückmeldung und Ihre<br />

Unterstützung!<br />

Unterschrift Heimleitung<br />

65


Literatur, Links<br />

Arndt, Marianne (1996), Spannungsfeld Arbeitsauftrag und medizinische Ethik. Die Pflegeberufe<br />

in der invasiven operativen Krankenhausroutine, in: Die Schwester/Der Pfleger 35. Jg. S. 9 – 16<br />

De Beauvoir, Simone, (1972) Das Alter (La Vieillesse 1970) , Rowohlt Verlag: Reinbeck<br />

Bickhardt, Jürgen (2010): Der Patientenwille, Verlag C. H. Beck, München<br />

Dinges, Stefan; Heimerl, Katharina; Heller, Andreas (2005): OrganisationsEthik in unterschiedlichen<br />

Beratungssettings, in: Forum Supervision 26/2005, S. 25 – 41<br />

Dinges, Stefan (2006): Ethische Entscheidungskulturen – Hindernis oder Unterstützung am<br />

Lebensende. in: Knipping, Cornelia (2006) (Hg.): Lehrbuch Palliative Care. Hans Huber, Bern, S.<br />

536 – 545<br />

Dinges, Stefan (2007): Für eine andere Kultur im Umgang mit Beinahe-Fehler und Risiken im<br />

Krankenhaus, in: Wagner, Roman (Hg.), Near-Miss. Systematischer Umgang mit Beinahe-<br />

Unfällen, Wien: Wagner<br />

Dinges Stefan (2008): Ethik in der Organisation Krankenhaus – Intervention und Innovation, in:<br />

Dörries Andrea, Neitzke Gerhard, Simon Alfred, Vollmann Jochen (Hg.): Klinische <strong>Ethikberatung</strong><br />

Ein Praxisbuch, Stuttgart: Kohlhammer<br />

Dinges Stefan (2008): Hürden auf transdisziplinären (Forschungs-)Wegen, in: Reitinger Elisabeth<br />

(Hg.): Transdisziplinäre Praxis. Forschen im Sozial- und Gesundheitswesen, Wien, Carl-Auer-<br />

Verlag, S. 109 – 119<br />

Dinges Stefan; Simon Alfred (2010): Grundlagen und Bausteine für eine systemische Evaluation<br />

von <strong>Ethikberatung</strong>, in: Krobath Thomas; Heller Andreas (Hg.) Ethik organisieren. Handbuch der<br />

Organisationsethik, Freiburg: Lambertus, S, 919 – 936<br />

Fletcher, John C., Hoffmann, Diane E.: Ethics Committees (1994): Time to Experiment with<br />

Standards, in: Annals of Internal Medicine 120, S. 335 – 338<br />

Gordijn, Bert (2000), Ethische Diskussionen im Team. Nijmweger Modell der multi-disziplinären<br />

ethischen Fallbesprechung, in: Die Schwester/Der Pfleger 39/2, S. 114 – 117<br />

Gordijn, Bert; Steinkamp, Norbert (2000): Entwicklung und Aufbau Klinischer Ethikkomitees in<br />

den Krankenhäusern der Malteser Trägerschaft. Ein Werkstattbericht, in: ZME 46, S. 305 – 310<br />

Bartosch, Hans; Coenen-Marx, Cornelia; Erckenbrecht, Joachim F.; Heller, Andreas (Hg.)<br />

(2005): Leben ist kostbar. Der Palliative Care- und Ethikprozess in der Kaiserswerther Diakonie,<br />

Lambertus; Freiburg<br />

Heller Andreas; Dinges Stefan (2003): <strong>Ethikberatung</strong> in der Altenhilfe. In: ProCare Nr. 6, S. 30 –<br />

32<br />

Heller Andreas, Dinges Stefan (2003): <strong>Ethikberatung</strong> im Krankenhaus. In: Heller, Andreas,<br />

Krobath, Thomas (Hg.): OrganisationsEthik. Organisationsentwicklung in Kirchen, Caritas und<br />

Diakonie. Freiburg; Lambertus, S. 419 – 428<br />

Jonas, Hans (2005) Fatalismus wäre Todsünde. Gespräche über Ethik und Mitverantwortung im<br />

dritten Jahrtausend, hg. von Böhler, Dietrich, Münster: LiT, S. 58<br />

Katholischer Krankenhausverband Deutschlands e.V., Deutscher Evangelischer<br />

Krankenhausverband e.V.: Ethik-Komitee im Krankenhaus, Eigenverlag, Freiburg 1997<br />

Kittelberger, Frank (2007): Gut gelaufen; in: A. Heller, K. Heimerl, S. Husebö (Hg.): Wenn nichts<br />

mehr zu machen ist, ist noch viel zu tun; Lambertus, Freiburg 2007<br />

3<br />

Krobath, Thomas; Heller, Andreas (Hg.)(2010): Ethik organisieren. Handbuch der<br />

Organisationsethik. Lambertus; Freiburg<br />

66


La Puma, John, Stocking, Carol B., Silverstein, Marc D., DiMartini, Andrea, Siegler, Mark<br />

(1988): An Ethics Consultation Service in: A Teaching Hospital. Utilization and Evaluation, in:<br />

JAMA 260, S. 808 – 811<br />

Pleschberger Sabine, Dinges Stefan (2007): “Ethische Fallbesprechung“. Planung, Ablauf und<br />

Reflexion der Workshops im Projekt, in: Reitinger Elisabeth, Heimerl Katharina, Heller Andreas<br />

(Hg.) Ethische Entscheidungen in der Altenbetreuung. Mit Betroffenen Wissen schaffen, kursbuch<br />

palliative care 11/2007<br />

Rabe, Marianne (2005): Strukturierte Falldiskussion anhand eines Reflexionsmodells. in: Arbeitsgruppe<br />

„Pflege und Ethik“ der Akademie für Ethik in der Medizin e.v. (Hg.): „Für alle Fälle…“ Kunz,<br />

Hannover, S. 131 – 144<br />

Raischl, Sepp et. al. (Hg.) (2008).: Für ein würdevolles Leben bis zuletzt, München; Bezugsinfo<br />

über www.chv.org<br />

Reiter-Theil, Stella (2000): Ethics Consultation on Demand. Concepts, Practical Experience and a<br />

Case Study, in: JME 26, S. 198 – 203<br />

Reitinger, Elisabeth (Hg..) (2008): Transdisziplinäre Praxis. Forschen im Sozial- und<br />

Gesundheitswesen. Heidelberg: Verlag für Systemische Forschung – Carl Auer<br />

Richter, Gerd (2001): Ethics Consultation at the University Medical Center – Marburg. In: HEC<br />

Forum 13 (3). Dordrecht: Kluwer Academic Publishers. S. 294 – 305<br />

Richter, Gerd (oJ): Fälle klinischer Ethik – Theorie und Praxis. Erschienen in: Reihe Gerontologie<br />

39. Marburg<br />

Schwerdt, Ruth (2002): Ethisch-moralische Kompetenzentwicklung als Indikator für<br />

Professionalisierung. Das Modellprojekt „Implementierung ethischen Denkens in den beruflichen<br />

Alltag Pflegender“, Regensburg: Eigenverlag<br />

Schmidt, Kurt W. (2001): Models of Ethics Consultation: The „Frankfurter Model“. in: HEC Forum<br />

13 (3). Dordrecht: Kluwer Academic Publishers. S. 281 – 293<br />

Schulz, Andrea: Traditionelle und alternative Wohnformen für Seniorinnen und Senioren,<br />

Hamburg: Diplomica Verlag, 2004<br />

Simon, Alfred (2000): Klinische <strong>Ethikberatung</strong> in Deutschland. Erfahrungen aus dem Krankenhaus<br />

Neu-Mariahilf in Göttingen. Ersch. in: Berliner Medizinethische Schriften. Heft 36. Dortmund:<br />

Humanitas Verlag<br />

Simon, Alfred; Gillen, Erny (2000): Klinische Ethik-Komitees in Deutschland/Feigenblatt oder<br />

praktische Hilfestellung in Konfliktsituationen? In: Simon et al. (Hrsg.): Die Heilberufe auf der<br />

Suche nach ihrer Identität. Frankfurt: LIT. S. 151 – 157<br />

Simon, Alfred; Gillen, Erny (2000): Erhebung über Klinische Ethik-Komitees. In: Krankendienst 8-<br />

9. S. 245 – 248<br />

Steinkamp, Norbert; Gordijn, Bert (2003) Ethik in der Klinik – ein Arbeitsbuch. Luchterhand,<br />

Neuwied.<br />

Them, Christa; Deufert, Daniela; Fritz, Elfriede: Die »Haller Altersstudie«, Vortrag im Rahmen der<br />

Tagung »Pflegebedürftig« in der »Gesundheitsgesellschaft«, (26. – 28. März 2009), Halle/Saale,<br />

in: Hallesche Beiträge zu den Pflegewissenschaften, Gesundheits- und Pflegewissenschaften 44<br />

(2009). S. 3 – 15<br />

Tödt, Heinz Eduard (1977): Schritte der ethischen Urteilsfindung; in: Tödt, H.E.:Versuch zu einer<br />

Theorie ethischer Urteilsfindung. in: Zeitschrift für evangelische Ethik 21.Jhg. (1977) S.81 – 93<br />

Vollmann, Jochen (2001): Healthcare Ethics Committees in Germany: The Path Ahead. In: HEC<br />

Forum 13 (3). Dordrecht: Kluwer Academic Publishers. S. 255 – 264<br />

67


Frank Kittelberger<br />

Evangelischer Pfarrer und Pastoralpsychologe<br />

Lehrsupervisor (DGfP; DGSv)<br />

Gruppenanalytiker (GAG; DAGG)<br />

Berufliche Position:<br />

Pastoralpsychologische Pfarrstelle<br />

SPES<br />

Spiritualität•PalliativeCare•Ethik•Seelsorge<br />

Konsulent der IFF<br />

Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung<br />

Abteilung Palliative Care und OrganisationsEthik<br />

der Universität Klagenfurt (Wien)<br />

Beirat im Gyökössy Institut<br />

Institut für Seelsorge und Pastoralpsychologie der<br />

Karoly Universität in Kesckemet, Ungarn<br />

Stellvertretender Vorsitzender des BHPV (Bayerischer Hospiz- und Palliativverband)<br />

Mitglied des DHPV (Deutscher Hospiz- und Palliativverband)<br />

Mitglied der DGP (Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin)<br />

Mitglied der Steuerungsgruppe einer Taskforce „Palliative Care in long term facilities“<br />

der EAPC (European Association for Palliative Care).<br />

Langjährige Praxis in:<br />

Seelsorge, Supervision und Beratung;<br />

Fortbildung, Training, Vernetzung;<br />

Hospiz- und Palliativarbeit; Implementierung;<br />

Projektmanagement, Organisationsentwicklung.<br />

Schwerpunkt dabei:<br />

Implementierung von Hospizkultur, Palliativversorgung, <strong>Ethikberatung</strong> in Einrichtungen der<br />

stationären Altenhilfe auf bayerischer, deutscher und europäischer Ebene.<br />

Zahlreiche Veröffentlichungen<br />

Dr. Stefan Dinges<br />

Dr. Stefan Dinges ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

und Universitätslektor am Institut für Ethik und Recht in<br />

der Medizin tätig, einer Forschungsplattform der Universität<br />

Wien und der Medizinuniversität Wien. Er arbeitet als selbstständiger<br />

Trainer, Berater und Organisationsentwickler (organisation&ethik) sowie<br />

als Mediator i. A. Er ist Vorstandsmitglied und Mitinitiator der österreichischen<br />

Plattform für Patientensicherheit.<br />

Dr. Stefan Dinges hat langjährige Berufserfahrung in der Leitung und<br />

Begleitung verschiedener Ausbildungsprogramme wie z. B. des Masterstudienganges<br />

Palliative Care und aktuell dem Universitätslehrgang für<br />

Patientensicherheit und Qualität im Gesundheitswesen. Zahlreiche<br />

Zusatzqualifikationen im Bereich Erwachsenenbildung, Sterbe- und<br />

Trauerbegleitung, Gemeindeberatung und Organisationsentwicklung<br />

sowie (klinischer) <strong>Ethikberatung</strong> in Einrichtungen des Gesundheitswesens.<br />

stefan.dinges@organisationsethik.at<br />

68


Herausgeber:<br />

Diakonisches Werk Bayern e. V.<br />

Landesverband der Inneren Mission<br />

Fachgruppe Kommunikation<br />

Pirckheimerstraße 6<br />

90408 Nürnberg<br />

Telefon 0911 / 9354-204<br />

Telefax 0911 / 9354-215<br />

info@diakonie-bayern.de<br />

www.diakonie-bayern.de ISBN 978-3-00-033725-3

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