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Dokumentation der Fachtagung vom 4.6.2013 in Berlin - Perspektive ...

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<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss<br />

<strong>Dokumentation</strong> <strong>der</strong> <strong>Fachtagung</strong> <strong>vom</strong> 4. Juni 2013 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

BILDUNG


<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss<br />

<strong>Dokumentation</strong> <strong>der</strong> <strong>Fachtagung</strong> <strong>vom</strong> 4. Juni 2013 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

BILDUNG


E<strong>in</strong>führung<br />

E<strong>in</strong>führung<br />

Im Programm „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“, geför<strong>der</strong>t<br />

durch das Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und<br />

Forschung und dem Europäischen Sozialfonds, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

über fünf Jahren Projektarbeit vielfältige Ergebnisse <strong>in</strong><br />

den För<strong>der</strong>schwerpunkten „Regionales Übergangsmanagement“<br />

und „Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung“<br />

erzielt worden. Auf <strong>der</strong> <strong>Fachtagung</strong> am<br />

4. Juni 2013 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> konnten e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> erfolgreichen Ergebnisse<br />

e<strong>in</strong>em breiten Fachpublikum vorgestellt werden.<br />

In <strong>in</strong>sgesamt 55 Projektregionen wurde durch Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Kooperation und <strong>der</strong> Abstimmungsprozesse<br />

<strong>der</strong> verantwortlichen Akteure dazu beigetragen,<br />

die regionalen För<strong>der</strong>strukturen für Jugendliche mit<br />

beson<strong>der</strong>em För<strong>der</strong>bedarf am Übergang Schule – Beruf<br />

zu optimieren und diese nicht nur effizienter, son<strong>der</strong>n<br />

auch transparenter zu gestalten. Die Voraussetzungen<br />

für e<strong>in</strong>e Nachqualifizierung von arbeitslosen und<br />

erwerbstätigen jungen An- und Ungelernten mit dem<br />

Ziel e<strong>in</strong>es Berufsabschlusses wurden <strong>in</strong> <strong>in</strong>sgesamt<br />

42 Projektregionen verbessert.<br />

Projektverantwortliche und ihre regionalen Netzwerkpartner<br />

bekamen die Gelegenheit, über ihre Arbeit<br />

zu sprechen und darzustellen, was zum Erfolg geführt<br />

hat und welche Schwierigkeiten gemeistert werden<br />

mussten. Teilnehmende an Nachqualifizierungen<br />

haben über ihre motivierenden Erfahrungen und von<br />

<strong>der</strong> Nutzung ihrer zweiten Chance im Berufsleben<br />

berichtet. Abgerundet wurde die Veranstaltung durch<br />

die Vorstellung von „Schlaglichtern“ auf be<strong>in</strong>druckende<br />

Beispiele erfolgreicher Projektarbeit.<br />

Weiterführende Informationen zum Programm<br />

und diese Tagungsdokumentation f<strong>in</strong>den Sie unter<br />

www.perspektive-berufsabschluss.de


Inhalt<br />

1<br />

Inhalt<br />

Tagungsprogramm 2<br />

Das Strukturprogramm „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“ – E<strong>in</strong>e Erfolgsgeschichte<br />

Ergebnisse, Good Practice, Verfahrensstandards<br />

M<strong>in</strong>Dirig Thomas Son<strong>der</strong>mann, Leiter <strong>der</strong> Unterabteilung „Berufliche Bildung“<br />

im Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung 5<br />

Potenziale nutzen und <strong>Perspektive</strong>n schaffen – Fachkräftesicherung<br />

als bildungspolitischer Auftrag<br />

Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik<br />

<strong>der</strong> Hochschule Koblenz (ibus) 10<br />

„Regionales Übergangsmanagement“ (RÜM) als bildungspolitische Koord<strong>in</strong>ierungsstrategie<br />

Podiumsdiskussion I 21<br />

„Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung“ als Erfolgsstrategie<br />

zur Fachkräftesicherung<br />

Podiumsdiskussion II 25<br />

Schlaglichter erfolgreicher Projektarbeit<br />

M<strong>in</strong>R’<strong>in</strong> Viola-Anto<strong>in</strong>ette Klanten, Leiter<strong>in</strong> des Referats „Berufsorientierung,<br />

Chancengerechtigkeit für Jugendliche“ im Bundesm<strong>in</strong>isterium<br />

für Bildung und Forschung, und Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, Bildungsjournalist<strong>in</strong> 31<br />

Impressionen 41


2<br />

Tagungsprogramm<br />

Tagungsprogramm<br />

Gesamtmo<strong>der</strong>ation: Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, Bildungsjournalist<strong>in</strong><br />

09:30 Uhr Anmeldung<br />

10:30 Uhr Begrüßung und E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> die Tagung<br />

10:40 Uhr Das Strukturprogramm „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“ – E<strong>in</strong>e Erfolgsgeschichte<br />

Ergebnisse, Good Practice, Verfahrensstandards<br />

M<strong>in</strong>Dirig Thomas Son<strong>der</strong>mann,<br />

Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung<br />

11:00 Uhr Potenziale nutzen und <strong>Perspektive</strong>n schaffen – Fachkräftesicherung<br />

als bildungspolitischer Auftrag<br />

Prof. Dr. Stefan Sell,<br />

Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik <strong>der</strong> Hochschule Koblenz (ibus)<br />

11:45 Uhr Kurzfilm: Von <strong>der</strong> Schule <strong>in</strong> den Beruf – Übergänge für Jugendliche gestalten,<br />

Jugendliche an berufliche Ausbildung heranführen<br />

11:50 Uhr Regionales Übergangsmanagement als bildungspolitische<br />

Koord<strong>in</strong>ierungsstrategie<br />

Projektverantwortliche und <strong>der</strong>en regionale Netzwerkpartner diskutieren<br />

Kriterien und Bed<strong>in</strong>gungen, die zum Gel<strong>in</strong>gen regionalen Bildungsmanagements beitragen:<br />

re<strong>in</strong>hard Goldbach,<br />

stellv. Leiter des Fachbereichs „Jugend und Soziales“ <strong>der</strong> Stadt Hagen<br />

Dörte He<strong>in</strong>rich,<br />

fachgebietsleiter<strong>in</strong> „Jugend“ beim Landkreis Vorpommern-Rügen<br />

Siegfried Lieske,<br />

Stadtrat und Leiter des Dezernats „Jugend, Schule und Ordnung“ <strong>der</strong> Stadt Gött<strong>in</strong>gen<br />

Dietmar L<strong>in</strong>ne,<br />

Vorstand <strong>der</strong> Beschäftigungsför<strong>der</strong>ung Gött<strong>in</strong>gen kAöR<br />

Dr. Matthias Schulze-Bö<strong>in</strong>g,<br />

leiter des Amts für Arbeitsför<strong>der</strong>ung, Statistik und Integration <strong>der</strong> Stadt Offenbach am Ma<strong>in</strong><br />

12:45 Uhr Mittagspause mit Lunch<br />

13:45 Uhr Kurzfilm: Chancen nutzen – Erwachsene auf dem Weg zum Berufsabschluss


Tagungsprogramm<br />

3<br />

13:50 Uhr Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung als Erfolgsstrategie<br />

zur Fachkräftesicherung<br />

Teilnehmende an Nachqualifizierungen und Projektverantwortliche<br />

kommentieren Beispiele guter Praxis und die (strukturellen) Voraussetzungen ihres Erfolgs:<br />

Susanne Neumann,<br />

leiter<strong>in</strong> des Projektes „leap“, zukunft im zentrum GmbH, Berl<strong>in</strong><br />

Kar<strong>in</strong> Mauz,<br />

geschäftsführer<strong>in</strong> „hotel johann“, Berl<strong>in</strong><br />

Achim Dudde,<br />

nachzuqualifizieren<strong>der</strong> „Hotelkaufmann“<br />

Yves Wulff,<br />

nachzuqualifizieren<strong>der</strong> „Elektroanlagenmonteur“<br />

T<strong>in</strong>a Bickel,<br />

leitungsteam <strong>der</strong> „Servicestelle Nachqualifizierung Altenpflege für Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz“,<br />

<strong>in</strong>BAS GmbH, Offenbach<br />

Carla Mattern,<br />

nachzuqualifizierende „Altenpfleger<strong>in</strong>“<br />

14.45 Uhr Kaffeepause<br />

15:15 Uhr Schlaglichter erfolgreicher Projektarbeit<br />

präsentiert von M<strong>in</strong>R’<strong>in</strong> Viola-Anto<strong>in</strong>ette Klanten, Bundesm<strong>in</strong>isterium<br />

für Bildung und Forschung, und Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, Bildungsjournalist<strong>in</strong><br />

Bereich: Netzwerkarbeit<br />

für das programmweite Begleitprojekt „Mit MigrantInnen für MigrantInnen“:<br />

Cemalett<strong>in</strong> Özer, Geschäftsführer <strong>der</strong> MOZAIK geme<strong>in</strong>nützigen Gesellschaft für<br />

<strong>in</strong>terkulturelle Bildungs- und Beratungsangebote mbH, Bielefeld<br />

Em<strong>in</strong>e Isgören, Bildungsbeauftragte, Saarbrücken<br />

Bereich: Elternarbeit<br />

für das Projekt „RÜM Landkreis Marburg-Biedenkopf“:<br />

Evelyne Rößer, Leiter<strong>in</strong> des RÜM im Landkreis Marburg-Biedenkopf und<br />

OloV-Regionalkoord<strong>in</strong>ator<strong>in</strong><br />

für das Projekt „RÜM Stadt Laatzen“:<br />

Bernhard Korte, Geschäftsführer des Landesverbandes Nie<strong>der</strong>sachsen e. V.<br />

„Deutsche Jugend <strong>in</strong> Europa (DJO)“, Hannover<br />

Thomas Schra<strong>der</strong>, Leiter des Teams „K<strong>in</strong><strong>der</strong>, Jugend, Familie, Senioren und<br />

Soziale Sicherung“, Stadt Laatzen


4<br />

Tagungsprogramm<br />

Bereich: Schule – Wirtschaft<br />

für das Projekt „Zukunft Görlitz“, Landkreis Görlitz:<br />

Sab<strong>in</strong>e Schaffer, Leiter<strong>in</strong> des RÜM-Projektes im Landkreis Görlitz<br />

für das Projekt „Mehr Aus-Bildung“, Landkreis Coburg:<br />

Michael Busch, Landrat des Landkreises Coburg<br />

Bereich: Beratung und Servicestrukturen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachqualifizierung<br />

für das Projekt „amoN – abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung Schwer<strong>in</strong>“:<br />

Michaela Hanke, Koord<strong>in</strong>ator<strong>in</strong> des Nachqualifizierungsnetzes <strong>in</strong><br />

Mecklenburg-Vorpommern, Schwer<strong>in</strong>er Ausbildungszentrum e. V.<br />

für das Projekt „F<strong>in</strong>ish IT Karlsruhe“:<br />

günter Breun<strong>in</strong>ger, Leiter des NQ-Projektes Karlsruhe,<br />

CyberForum e. V., Karlsruhe<br />

Bereich: Nachqualifizierungsangebote<br />

für das Projekt „Netzwerk Nachqualifizierung Gießen – Lahn-Dill“:<br />

nicole Br<strong>in</strong>kmann, Leiter<strong>in</strong> des NQ-Projektes Gießen,<br />

ZAUG gGmbH, Gießen<br />

Steffen Dornbusch, Leiter <strong>der</strong> betrieblichen Ausbildung bei Bu<strong>der</strong>us Edelstahl, Wetzlar<br />

Susanne Söhngen, Teamleiter<strong>in</strong> Personalentwicklung, Bu<strong>der</strong>us Edelstahl, Wetzlar<br />

Bereich: Öffentlichkeitsarbeit<br />

für das Projekt „RÜM Stuttgart“:<br />

Angelika Münz, Mitarbeiter<strong>in</strong> <strong>der</strong> RÜM-Koord<strong>in</strong>ierungsstelle,<br />

Jugendhilfeplanung <strong>der</strong> Landeshauptstadt Stuttgart<br />

für das Projekt „Kieler Netzwerk zur Nachqualifizierung“:<br />

Thies Schulz-Holland, Projektmitarbeiter des NQ-Projektes Kiel,<br />

Berufsfortbildungswerk Geme<strong>in</strong>nützige Bildungse<strong>in</strong>richtung<br />

des DGB GmbH (bfw), Kiel<br />

16:30 Uhr Tagungsende


Thomas Son<strong>der</strong>mann<br />

5<br />

Das Strukturprogramm „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“<br />

– E<strong>in</strong>e Erfolgsgeschichte<br />

Ergebnisse, Good Practice, Verfahrensstandards<br />

M<strong>in</strong>Dirig Thomas Son<strong>der</strong>mann, Leiter <strong>der</strong> Unterabteilung „Berufliche Bildung“<br />

im Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung<br />

Me<strong>in</strong>e sehr verehrten Damen und Herren, liebe Frau<br />

Br<strong>in</strong>kmann, jetzt fällt mir e<strong>in</strong>, wie das bei mir damals<br />

war. Ich wusste nämlich auch nicht, was ich werden<br />

soll und dann hat me<strong>in</strong> Vater gesagt: Wer nicht weiß,<br />

was er werden will, <strong>der</strong> studiert Jura. Das habe ich dann<br />

auch brav gemacht und me<strong>in</strong>e Referendarzeit auch<br />

noch absolviert, danach wusste ich, Richter willst du<br />

nicht werden, Staatsanwalt willst du nicht werden,<br />

Rechtsanwalt erst recht nicht – und so kommt man<br />

dann <strong>in</strong>s M<strong>in</strong>isterium. Als Vertreter dieses M<strong>in</strong>isteriums<br />

heiße ich Sie herzlich willkommen zu <strong>der</strong> <strong>Fachtagung</strong><br />

„<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“. <strong>Fachtagung</strong>, man könnte<br />

auch sagen Abschlusstagung, weil sich das Programm<br />

ja nach fünfjähriger Laufzeit se<strong>in</strong>em Ende zuneigt. Ich<br />

glaube aber, <strong>Fachtagung</strong> ist <strong>der</strong> bessere Begriff, weil:<br />

Wir machen ja ke<strong>in</strong> Strohfeuer, son<strong>der</strong>n wollen Impulse<br />

setzen, Ideen verbreitern, und <strong>in</strong>sofern ist es, glaube<br />

ich, auch ganz wichtig, dass Sie sich heute hier treffen,<br />

um das, was Sie <strong>in</strong> den letzten fünf Jahren erfahren und<br />

erlebt haben, auszutauschen, zu berichten, vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

zu lernen und dann weiterzutragen <strong>in</strong> möglichst viele<br />

weiter bestehende Strukturen.<br />

Wir alle hier im Raum wissen, Bildung ist wichtig.<br />

Ich b<strong>in</strong> jetzt 24 Jahre <strong>in</strong> diesem M<strong>in</strong>isterium, und was<br />

mich beson<strong>der</strong>s freut: Dass Bildung wichtig ist, das war<br />

schon <strong>in</strong> den Reden vor 24 Jahren e<strong>in</strong> Standardbauste<strong>in</strong>,<br />

mittlerweile folgen diesen Sonntagsreden aber<br />

auch Taten, und das ist für mich, <strong>der</strong> ich mit diesem<br />

Thema gerne arbeite, e<strong>in</strong>e schöne Sache. Bund, Län<strong>der</strong><br />

und Kommunen haben die öffentlichen Bildungs<strong>in</strong>vestitionen<br />

im Jahr 2012 auf mehr als 110 Milliarden<br />

Euro gesteigert. Der Haushalt des M<strong>in</strong>isteriums, <strong>in</strong> dem<br />

wir arbeiten, ist noch im letzten Jahr um 6,2 Prozent<br />

gestiegen. Wenn Sie sich das anschauen vor dem H<strong>in</strong>tergrund<br />

von Schulden- und F<strong>in</strong>anzkrisen, wenn Sie<br />

sehen, dass die öffentliche Diskussion dah<strong>in</strong> geht, Geld<br />

zu sparen, dann ist es e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er Erfolg, wenn wir<br />

<strong>in</strong> solchen Zeiten für Bildung und Forschung wirklich<br />

auf <strong>der</strong> Gew<strong>in</strong>nerseite stehen, was das Geld angeht.<br />

Losgelöst von dieser persönlichen Freude, wissen wir<br />

alle, dass das Wissen und Können <strong>der</strong> Menschen <strong>in</strong><br />

Deutschland das größte, das wichtigste, ja, man kann<br />

fast sagen, das e<strong>in</strong>zige Kapital ist. Es ist auf jeden Fall<br />

das mit Abstand systemrelevanteste Kapital. Die gute


6<br />

Thomas Son<strong>der</strong>mann<br />

Bildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> beruflichen Bildung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> akademischen<br />

Bildung tragen dabei nicht nur zum Wohlstand<br />

des Landes bei, unterstützen die Wirtschaft <strong>in</strong> ihrer hohen<br />

Innovationsfähigkeit und <strong>in</strong> ihrer Leistungskraft,<br />

son<strong>der</strong>n sie sichern auch die gesellschaftliche Teilhabe<br />

des E<strong>in</strong>zelnen und sorgen damit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ganz<br />

beson<strong>der</strong>en Maße für gesellschaftliche Stabilität. Wenn<br />

Sie sich Jugendarbeitslosigkeitsquoten <strong>in</strong> Europa anschauen,<br />

dann sehen Sie, dass gerade die Län<strong>der</strong> – und<br />

Deutschland gehört dazu –, die das duale Ausbildungssystem<br />

leben, mit Quoten bei 8 Prozent – wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong><br />

bisschen drunter – die besten Zahlen <strong>in</strong> Europa liefern<br />

und dass <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n – gerade <strong>in</strong> Südeuropa –<br />

wir über die 50 Prozent gehen, bis zu 60 Prozent, und<br />

wenn Sie sich dann anschauen, was <strong>in</strong> Banlieues von<br />

Paris und <strong>in</strong> Vororten <strong>in</strong> Athen und <strong>in</strong> Madrid passiert,<br />

dann verstehen Sie, was das mit gesellschaftlichem<br />

Zusammenhalt und mit sozialer Integration zu tun hat,<br />

wenn Menschen e<strong>in</strong>e Bildungschance haben. Richtig<br />

ist aber auch: 7 o<strong>der</strong> 8 Prozent Jugendarbeitslosigkeit<br />

s<strong>in</strong>d 7 o<strong>der</strong> 8 Prozent Jugendarbeitslosigkeit zu viel. Das<br />

heißt, wir müssen natürlich weiterh<strong>in</strong> – und da ist noch<br />

viel zu tun – dafür sorgen, dass je<strong>der</strong> anhand se<strong>in</strong>er<br />

Möglichkeiten die Chance hat, <strong>in</strong> unserem Bildungssystem<br />

zum Gew<strong>in</strong>ner zu werden. Chancengerechtigkeit<br />

ist das Stichwort. Wir s<strong>in</strong>d auf gutem Weg, wenn<br />

man Zahlen nimmt: Wir steigern die Zahlen <strong>der</strong> Personen,<br />

die die Hochschulreife erwerben, auch die Studierendenquote<br />

nimmt zu, <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Schulabgänger<br />

ohne Schulabschluss ist <strong>in</strong> den letzten 6 Jahren von<br />

8 Prozent auf unter 6 Prozent gefallen, gute Zahlen,<br />

genauso wie das, was man Übergangsbereich nennt.<br />

Übergangssystem f<strong>in</strong>de ich e<strong>in</strong> fürchterliches Wort,<br />

Übergangsbereich geht. Von über 400.000 seit 2005 gefallen<br />

auf unter 270.000, und wenn man es sich genauer<br />

anguckt, s<strong>in</strong>d nicht alle 270.000 dann Sorgenfälle. Also,<br />

es gibt viele gut qualifizierte Menschen <strong>in</strong> Deutschland,<br />

duale Berufsausbildung trägt dazu bei, nachdem sie<br />

lange Jahre – man hatte so den E<strong>in</strong>druck – etwas <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

„Schmuddelecke“ lag. Die OECD schrieb uns jedes Jahr<br />

auf, ihr habt zu wenig Studierende. Ke<strong>in</strong>er nahm wahr,<br />

dass bei uns manches im dualen System ausgebildet<br />

wird, wofür an an<strong>der</strong>en Orten dieser Welt Hochschulen<br />

gegründet wurden. Nachdem das lange so war, erleben<br />

wir jetzt fast das Umgekehrte, fast so e<strong>in</strong>en Hype. Alle<br />

fragen, wie macht ihr das <strong>in</strong> Deutschland und versuchen,<br />

diese dualen Elemente zu verstehen und teilweise<br />

zu importieren. Das wird nicht von jetzt auf gleich<br />

gehen. Es geht auch nicht darum, dass „am deutschen<br />

Wesen die Welt genesen“ soll, aber ich glaube, diese<br />

Gleichberechtigung zwischen akademischer und beruflicher<br />

Bildung ist <strong>in</strong> Deutschland nicht nur gelungen,<br />

son<strong>der</strong>n sie kommt so langsam auch <strong>in</strong> den Köpfen<br />

gerade <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Community an. Übrigens<br />

auch bei <strong>der</strong> Wirtschaft, die unter <strong>der</strong> Überschrift<br />

„Fachkräftemangel“ immer mehr auch auf den Bereich<br />

<strong>der</strong> dualen Berufsausbildung schaut, denn wenn man<br />

sich genauer anguckt, wo die Fachkräfte <strong>der</strong> Zukunft<br />

fehlen werden, dann s<strong>in</strong>d das zum e<strong>in</strong>en gewisse Branchen<br />

– <strong>der</strong> Pflegebereich, <strong>der</strong> Gesundheitsbereich usw.<br />

– und es ist <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Fachkräfteanteil <strong>der</strong>er, die<br />

vorher e<strong>in</strong>e duale Berufsausbildung gemacht haben.<br />

Chancengerechtigkeit war das Stichwort. Wahr ist,<br />

dass wir uns auch um die kümmern müssen – auch<br />

als staatliche Aufgabe –, die nicht von sich aus zu den<br />

Gew<strong>in</strong>nern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bildungskarriere gehören. Das machen<br />

wir, das haben wir gemacht mit dem Programm<br />

„<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“, das machen wir mit <strong>der</strong><br />

Initiative, die wir „Bildungsketten“ nennen, zu <strong>der</strong> das<br />

Berufsorientierungsprogramm beiträgt, das machen<br />

wir mit „Jobstarter“, „Jobstarter Connect“ und mit „Lernen<br />

vor Ort“.<br />

Die Rolle des Bundesm<strong>in</strong>isteriums für Bildung<br />

und Forschung ist dabei nach me<strong>in</strong>em Verständnis<br />

nie, selbst D<strong>in</strong>ge zu <strong>in</strong>itiieren und zu för<strong>der</strong>n bis <strong>in</strong> die<br />

Flächendeckung, son<strong>der</strong>n unsere Rolle ist, D<strong>in</strong>ge zu<br />

probieren, anzustoßen und sie so gut zu machen, dass<br />

die, die dafür zuständig s<strong>in</strong>d, den Ball aufnehmen und<br />

dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fläche verbreiten. Die vorliegenden Programm-<br />

und Projektergebnisse von „Regionales Übergangsmanagement“<br />

(RÜM) belegen, dass die Strukturen<br />

zur Erhöhung <strong>der</strong> Qualifizierungschancen für e<strong>in</strong>e<br />

anerkannte Berufsausbildung verbessert wurden.<br />

Jugendlichen und jungen Erwachsenen gel<strong>in</strong>gt nun <strong>der</strong><br />

Weg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Ausbildung o<strong>der</strong> auch zum Abschluss per<br />

Nachqualifizierung besser. E<strong>in</strong>es <strong>der</strong> Verdienste <strong>der</strong> 55<br />

Projekte <strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative „Regionales Übergangsmanagement“<br />

und <strong>der</strong> 42 Projekte <strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative<br />

„Abschlussorientierte modulare Nachqualifi zierung“.<br />

Am Rande: Wir müssen uns noch gängigere Begriffe<br />

für solche Programme e<strong>in</strong>fallen lassen. Sie s<strong>in</strong>d schon<br />

etwas sperrig. Sie, die hier im Saal s<strong>in</strong>d, kennen aber<br />

diese Wörter. Ganz herzlichen Dank an <strong>der</strong> Stelle schon<br />

mal dafür, dass Sie so dr<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d im Thema.


Thomas Son<strong>der</strong>mann<br />

7<br />

M<strong>in</strong>Dirig Thomas Son<strong>der</strong>mann, Leiter <strong>der</strong> Unterabteilung „Berufliche<br />

Bildung“ im Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung<br />

Was s<strong>in</strong>d nun die konkreten Erfolgsrezepte unserer<br />

Programme? Wenn Sie es selbst mal versucht haben –<br />

Frau Br<strong>in</strong>kmann hat davon berichtet –, sich über e<strong>in</strong>e<br />

Ausbildung o<strong>der</strong> alternative Unterstützungsleistungen<br />

zu <strong>in</strong>formieren, wissen Sie, wovon ich spreche. Und das<br />

hat sich seit Ihrer Zeit und erst recht nicht seit me<strong>in</strong>er<br />

Zeit geän<strong>der</strong>t, das ist immer noch e<strong>in</strong> Dschungel. Das<br />

gilt für den akademischen Bereich im Übrigen genauso.<br />

Diese Hilflosigkeit angesichts <strong>der</strong> vielen Angebote<br />

und verwirrenden Zuständigkeiten ist an und für sich<br />

schon e<strong>in</strong> Problem. Und es ist nicht e<strong>in</strong> Problem im<br />

Übergangsbereich, dass wir e<strong>in</strong>en Mangel an För<strong>der</strong>konzepten<br />

hätten, son<strong>der</strong>n es ist <strong>der</strong> Dschungel von<br />

Zuständigkeiten, Akteuren und Angeboten, und RÜM<br />

hat dazu beigetragen, <strong>in</strong> diesem Dschungel e<strong>in</strong> bisschen<br />

Licht zu schaffen. Das ist e<strong>in</strong>e Art Machete, mit <strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />

paar Wege freigehauen werden.<br />

Bei <strong>der</strong> „Abschlussorientierten modularen Nachqualifizierung“<br />

sah die Situation demgegenüber ganz<br />

an<strong>der</strong>s aus. Die För<strong>der</strong>landschaft bestand eher aus zu<br />

wenig Nachqualifizierungsangeboten, die zu e<strong>in</strong>em Abschluss<br />

führten und auf die <strong>in</strong>dividuelle Situation <strong>der</strong><br />

betroffenen Menschen passten. Die Projekte haben daher<br />

die Konzentration <strong>der</strong> Bildungsakteure verbessert,<br />

haben Transparenz <strong>der</strong> Angebote geschaffen, haben die<br />

För<strong>der</strong>strategien auf den Bedarf <strong>der</strong> jungen Menschen<br />

ausgerichtet und koord<strong>in</strong>ieren die regionale Steuerung<br />

<strong>der</strong> För<strong>der</strong>prozesse.<br />

Noch mal zum „Regionalen Übergangsmanagement“.<br />

Die Initiative unterstützt Kommunen – also<br />

Städte o<strong>der</strong> Kreise – dar<strong>in</strong>, zentrale Koord<strong>in</strong>ierungsaufgaben<br />

eigenverantwortlich zu übernehmen. Hierdurch<br />

ist die Voraussetzung dafür geschaffen, dass lokale und<br />

regionale Angebote gebündelt, aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> abgestimmt<br />

und vermittelt werden. Die Praxis hat gezeigt,<br />

dass bei Anb<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>er Koord<strong>in</strong>ierungsstelle an<br />

die Kommune, möglichst unter Verantwortung <strong>der</strong><br />

Verwaltungsspitze, die Gestaltung <strong>der</strong> Übergangsprozesse<br />

am effektivsten und nachhaltigsten gel<strong>in</strong>gt. Kurz:<br />

Da, wo RÜM Chefsache ist, da läuft es auch besser. Und<br />

wenn wir <strong>in</strong> diesem Bereich auf die Politik schauen,<br />

dort, wo parteiübergreifend das Thema im Konsens<br />

bearbeitet wird, das ist <strong>in</strong> Hamburg <strong>der</strong> Fall gewesen<br />

– unter <strong>der</strong> CDU-Regierung begonnen, unter <strong>der</strong> SPD-<br />

Regierung fortgesetzt –, Ähnliches beobachten wir <strong>in</strong><br />

Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen, da s<strong>in</strong>d dann solche D<strong>in</strong>ge auch<br />

auf e<strong>in</strong>em guten Weg. Also, zu dieser Chefsache vor Ort<br />

dann noch <strong>der</strong> parteiübergreifende Konsens, und damit<br />

s<strong>in</strong>d schon zwei wichtige Voraussetzungen gegeben.<br />

Die Koord<strong>in</strong>ierung <strong>der</strong> zentralen Akteure des Übergangsbereichs<br />

konnte deutlich verbessert werden. Ich<br />

denke an die Schulaufsicht, das Jugendamt, die Agentur<br />

für Arbeit, die Träger <strong>der</strong> Grundsicherung, die Kammern<br />

und viele mehr, die verb<strong>in</strong>dliche zuständigkeitsübergreifende<br />

geme<strong>in</strong>same Vere<strong>in</strong>barungskulturen etabliert<br />

haben. So konnten tragfähige Entscheidungen zur<br />

Verbesserung <strong>der</strong> För<strong>der</strong>struktur getroffen werden.<br />

Die Kommunikation und die Zusammenarbeit erfolgen<br />

heute <strong>in</strong> den För<strong>der</strong>regionen regelmäßig und <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em festen Rahmen. Es gibt weitere Verbesserungen<br />

durch RÜM. Die Projekte führten Bestandsaufnahmen<br />

durch, die bereits existierende För<strong>der</strong>angebote <strong>in</strong> den<br />

Regionen transparent machten. Über Schüler-, Lehrerund<br />

Absolventenbefragungen, Längsschnittuntersuchungen<br />

und elektronische <strong>Dokumentation</strong>ssysteme<br />

wurden aktuelle und exakte Daten zum regionalen<br />

Übergangsgeschehen ermittelt. Dies ermöglicht<br />

Bedarfsanalysen und die bedarfsorientierte Ausrichtung<br />

<strong>der</strong> För<strong>der</strong>angebote. Die RÜM-Projekte haben<br />

<strong>in</strong> Kooperation mit ihren Netzwerkpartnern Prozesse<br />

angestoßen. Sie unterstützen die Schulen dabei, zu<br />

e<strong>in</strong>em konsistenten För<strong>der</strong>konzept zu kommen, sich zu<br />

vernetzen und neue Maßnahmen zu erproben. RÜM-<br />

Projekte bezogen die Eltern <strong>in</strong> die Berufsorientierung<br />

e<strong>in</strong>. Sie sensibilisierten und <strong>in</strong>formierten Migranten-


8<br />

Thomas Son<strong>der</strong>mann<br />

M<strong>in</strong>Dirig Thomas Son<strong>der</strong>mann, Leiter <strong>der</strong> Unterabteilung „Berufliche<br />

Bildung“ im Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung<br />

organisationen <strong>in</strong> Fragen <strong>der</strong> Berufswahl und <strong>der</strong> beruflichen<br />

Integration und machten diese zu Netzwerkpartnern.<br />

Und sie unterstützen die regionale Wirtschaft bei<br />

ihrem mittel- und langfristigen Bedarf nach Fachkräftesicherung,<br />

<strong>in</strong>dem sie beispielsweise die Kooperation<br />

zwischen Schule und Betrieb verbesserten. Der Erfolg<br />

von RÜM zeigt sich beson<strong>der</strong>s dar<strong>in</strong>, dass aufgebaute<br />

Strukturen erhalten bleiben. So wurden bereits jetzt<br />

e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> von den Projekten <strong>der</strong> ersten För<strong>der</strong>runde<br />

aufgebauten Stellen zur Koord<strong>in</strong>ierung des regionalen<br />

Übergangssystems verstetigt. Und es gibt Signale für<br />

ähnlich positive Entwicklungen bei den Projekten <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> Kürze auslaufenden zweiten För<strong>der</strong>runde. Da werden<br />

wir wahrsche<strong>in</strong>lich im Laufe <strong>der</strong> heutigen Tagung auch<br />

noch mehr erfahren, wie es da weitergeht. In <strong>der</strong> regionalen<br />

Verstetigung haben unsere RÜM-Projekte auch<br />

überregionale Wirkung gezeigt. Sie haben die Strategiebildung,<br />

Initiativen und Programme auf Landesebene<br />

<strong>in</strong>spiriert wie <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen, Schleswig-<br />

Holste<strong>in</strong>, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen.<br />

Bildungsgerechtigkeit heißt Chancengerechtigkeit,<br />

habe ich gesagt, und wenn die erste Chance, die wir<br />

auch im Übergangssystem organisieren wollen, nicht<br />

genutzt wurde, aus was für Gründen auch immer, dann<br />

muss man auch über e<strong>in</strong>e zweite Chance nachdenken.<br />

Mit <strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative „Abschlussorientierte modulare<br />

Nachqualifizierung“ zielen wir genau auf diese<br />

Gruppe, auf die jungen Erwachsenen ohne beruflichen<br />

Abschluss und den Versuch, ihnen Möglichkeiten zu<br />

schaffen, zu e<strong>in</strong>em anerkannten Berufsabschluss zu<br />

kommen, ihn nachträglich zu erwerben. Wir fangen bei<br />

dieser För<strong>der</strong>ung nicht bei null an, son<strong>der</strong>n nutzen das,<br />

was wir schon haben. Im Berufsbildungsgesetz und <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Handwerksordnung ist <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Externenprüfung<br />

verankert. Bei <strong>der</strong> Nachqualifizierung müssen<br />

die externen Prüfl<strong>in</strong>ge ke<strong>in</strong>e klassische Ausbildung im<br />

dualen System durchlaufen, son<strong>der</strong>n haben ihre berufliche<br />

Handlungsfähigkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel auf an<strong>der</strong>e Art<br />

und Weise erworben, zum Beispiel durch e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>schlägige<br />

und langjährige Berufstätigkeit und damit auch<br />

Erfahrung. Wenn man dann so e<strong>in</strong>e externe Prüfung<br />

macht, dann spart das nicht nur Zeit, son<strong>der</strong>n erkennt<br />

auch an, dass diese Menschen bereits etwas geleistet<br />

haben, und das ist auch e<strong>in</strong>e ganz wichtige Sache. E<strong>in</strong><br />

zentrales Ziel unseres Programms war es, Nachqualifizierung<br />

als erwachsenengerechte Form <strong>der</strong> abschlussbezogenen<br />

Weiterbildung bekannt zu machen und den<br />

Aufbau von Angebots-, Beratungs- sowie Servicestrukturen<br />

zu unterstützen und zu forcieren. Wir wollen,<br />

dass die Nachqualifizierung regional als Regelangebot<br />

etabliert wird. Transparenz über die Angebote bildet<br />

hierbei die Basis. In die Netzwerke wurden alle <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Projektregion relevanten Bildungs- und Arbeitsmarktakteure<br />

als Partner e<strong>in</strong>bezogen, Kammern,<br />

Unternehmen, Unternehmensverbände, Träger <strong>der</strong><br />

Arbeitsför<strong>der</strong>ung, <strong>der</strong> Grundsicherung, kommunale<br />

und regionale Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung, Gewerkschaften,<br />

Bildungsträger, letztendlich die Leute, die heute auch<br />

hier sitzen. Nicht zuletzt die Migrantenorganisationen,<br />

weil dort, glaube ich, e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er Beratungsbedarf<br />

besteht und bestand. E<strong>in</strong>en nachhaltigen Erfolg haben<br />

wir auch beim Begleitprojekt an <strong>der</strong> Zentralstelle für<br />

die Weiterbildung im Handwerk erreicht. Die Entwicklung<br />

von Verfahrensstandards, die hier erstellten<br />

H<strong>in</strong>weise und Anregungen, waren bundesweit wegweisend.<br />

Schon im Jahr 2010 hat das Begleitprojekt<br />

konkrete Anregungen für den Deutschen Handwerkskammertag<br />

erarbeitet und dieses Gremium hat dann<br />

darauf aufbauend bundesweite Empfehlungen für die<br />

Zulassung zur Externenprüfung verabschiedet. Diese<br />

Leistungen des Begleitprojekts veranlassten dann auch<br />

den Handelsbereich, den <strong>der</strong> Deutsche Industrie- und<br />

Handelstag repräsentiert, e<strong>in</strong>e ähnliche Empfehlung<br />

im Jahr 2012 an die IHK-Mitgliedskammern weiterzugeben.


Thomas Son<strong>der</strong>mann<br />

9<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, <strong>der</strong> demografische<br />

Wandel, <strong>der</strong> ja <strong>in</strong> aller Munde ist und <strong>der</strong> damit postulierte<br />

hohe Fachkräftebedarf erfor<strong>der</strong>t aber nicht nur<br />

staatliches Handeln, son<strong>der</strong>n auch gesamtgesellschaftliches<br />

Engagement. Heute Nachmittag werden Sie im<br />

Rahmen <strong>der</strong> „Schlaglichter“ Näheres über die sehr<br />

erfolgreiche Kooperation unserer Nachqualifizierungsprojekte<br />

mit Betrieben erfahren. Die Projekte haben<br />

viele Betriebe dafür gew<strong>in</strong>nen können, die Nachqualifizierung<br />

als eigenes Instrument <strong>der</strong> Personalentwicklung<br />

und für die Rekrutierung ihres Nachwuchses und<br />

Fachkräftenachwuchses zu nutzen. Das Spannende<br />

ist, dass sich zeigt, dass es sich für Unternehmen auch<br />

lohnt, Ungelernte zu Fachkräften nachzuqualifizieren.<br />

E<strong>in</strong> Punkt noch mal: Fünf Jahre läuft das Programm<br />

jetzt und neigt sich dem Ende zu. Wir geben damit die<br />

Themen nicht auf. Zum Beispiel wird die Nachqualifizierung<br />

im Bereich „Jobstarter“ weiter betrieben. Aber ich<br />

habe das anfangs schon gesagt, die Rolle des BMBF kann<br />

nicht se<strong>in</strong>, aus e<strong>in</strong>er Projektför<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Anschlussprojektför<strong>der</strong>ung<br />

und noch mal <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Anschlussprojektför<strong>der</strong>ung<br />

zu gehen. Irgendwann ist <strong>der</strong> Punkt gekommen,<br />

da müssen wir die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die wir hier geme<strong>in</strong>sam<br />

groß ziehen, auch laufen lassen, und entwe<strong>der</strong> wir haben<br />

es gut gemacht, dann werden sie laufen, o<strong>der</strong> nicht.<br />

E<strong>in</strong> Punkt, wo wir unsere Arbeit auch noch mal<br />

fokussiert e<strong>in</strong>setzen werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folgezeit, ist die<br />

Integration <strong>der</strong> Mitbürger<strong>in</strong>nen und Mitbürger mit<br />

dem sogenannten „Migrationsh<strong>in</strong>tergrund“. Sie werden<br />

mitbekommen haben, dass das e<strong>in</strong>e Personengruppe<br />

ist, <strong>der</strong> wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> letzten Legislaturperiode beson<strong>der</strong>e<br />

Aufmerksamkeit gewidmet haben. E<strong>in</strong> Stichwort zum<br />

Beispiel das Anerkennungsgesetz, das darauf abzielt,<br />

diesen Menschen, die e<strong>in</strong>e berufliche Qualifikation<br />

erworben haben, aber dummerweise nicht <strong>in</strong> Deutschland,<br />

e<strong>in</strong>en Rechtsanspruch zu vermitteln und zu<br />

geben, mit dem ihre Qualifikationen formal anerkannt<br />

werden, wenn sie denn gleichwertig s<strong>in</strong>d und die dann<br />

eben auch wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Anerkennung <strong>der</strong> bis dah<strong>in</strong><br />

erbrachten Lebensleistung enthalten. Der Bund hat<br />

da se<strong>in</strong>e Hausaufgaben gemacht. Sie wissen, es gibt<br />

Berufsgesetze, die gehören auf die Landesebene. Da gibt<br />

es Län<strong>der</strong>, die s<strong>in</strong>d so weit, dann gibt es Län<strong>der</strong>, die s<strong>in</strong>d<br />

lei<strong>der</strong> noch nicht so weit, und ich glaube, es ist im Interesse<br />

gerade auch <strong>der</strong> Betroffenen, dass diese Län<strong>der</strong><br />

möglichst schnell nachziehen.<br />

Für die Zielgruppe <strong>der</strong> Migrant<strong>in</strong>nen und Migranten<br />

haben wir im BMBF im Rahmen des „Regionalen<br />

Übergangsmanagements“ und <strong>der</strong> „Abschlussorientierten<br />

modularen Nachqualifizierung“ zwei Begleitprojekte<br />

umgesetzt. Das BMBF beauftragte das „Zentrum<br />

für Türkeistudien und Integrationsforschung“ mithilfe<br />

des Netzwerks „BIZ – Bildung ist Zukunft“, <strong>in</strong>tensiv<br />

mit türkischsprachigen Medien zu kooperieren. Ziel<br />

war es, die türkischstämmige Geme<strong>in</strong>schaft mit Presse,<br />

Rundfunk, Fernsehen und Internet über das deutsche<br />

Ausbildungssystem und die Nachqualifizierungsmöglichkeiten<br />

gezielt zu <strong>in</strong>formieren, und das Netzwerk<br />

BIZ wirkt auch nach dem Ende <strong>der</strong> Projektför<strong>der</strong>ung<br />

bundesweit weiter. Das zweite Begleitprojekt „Mit<br />

MigrantInnen für MigrantInnen“ – <strong>in</strong>terkulturelle<br />

Kooperation zur Verbesserung <strong>der</strong> Bildungs<strong>in</strong>tegration“<br />

– wird durchgeführt von <strong>der</strong> MoZaik gGmbH,<br />

Bielefeld. Es bezog im Projekt geschulte ehrenamtliche<br />

Bildungsbeauftragte aus Migrantenorganisationen als<br />

Netzwerkpartner eng e<strong>in</strong>. Das BMBF wird die För<strong>der</strong>ung<br />

und Weiterentwicklung des <strong>in</strong>tegrativen Konzeptansatzes<br />

von MoZaik über dieses Vorhaben weiter<br />

för<strong>der</strong>n mit e<strong>in</strong>er vierjährigen Laufzeit. Dazu haben<br />

wir Anfang April den Startschuss gegeben. Das Projekt<br />

heißt „Interkulturelle Netzwerke – Bildungsbeauftragte<br />

für junge Menschen!“, und es wird auf den erfolgreich<br />

erprobten Konzepten <strong>der</strong> ehrenamtlichen Bildungsbeauftragten<br />

aufbauen und diese Konzepte weiter transferieren.<br />

Sie werden heute Nachmittag im Rahmen <strong>der</strong><br />

„Schlaglichter“ auch hierzu noch Genaueres erfahren.<br />

An den Schluss e<strong>in</strong>er jeden Rede gehören Appell<br />

und Dank. Ich fange mit dem Appell an: Nutzen Sie den<br />

heutigen Tag, lassen Sie sich von Ihren Kolleg<strong>in</strong>nen und<br />

Kollegen berichten, erkennen Sie, was kann ich davon<br />

nutzen, was kann man transferieren. Dank Ihnen allen,<br />

die Sie sich <strong>in</strong> diesen fünf Jahren engagiert haben. Dank<br />

aber auch – und das darf man am Ende e<strong>in</strong>es Programms,<br />

glaube ich, durchaus mal sagen – an das Team<br />

beim PT-DLR, was uns über die Jahre hier begleitet hat.<br />

Und Dank auch an me<strong>in</strong>e Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeiter,<br />

<strong>der</strong>en hohes Engagement ich tagtäglich gerade<br />

bei diesem Thema erlebe.<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, ich wünsche Ihnen jetzt<br />

e<strong>in</strong>e erfolgreiche Tagung.<br />

Vielen Dank!


10<br />

Stefan Sell<br />

Potenziale nutzen und <strong>Perspektive</strong>n schaffen –<br />

Fachkräftesicherung als bildungspolitischer Auftrag<br />

Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik<br />

<strong>der</strong> Hochschule Koblenz (ibus)<br />

Me<strong>in</strong>e sehr verehrten Damen und Herren,<br />

ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geladen worden, zu dem Thema „Potenziale<br />

nutzen und <strong>Perspektive</strong>n schaffen – Fachkräftesicherung<br />

als bildungspolitischer Auftrag“ zu sprechen. Ich<br />

möchte e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Tour d’Horizon machen und werde<br />

auch etwas zu dem Programm sagen, so wie ich es<br />

wahrnehme, wie ich es <strong>in</strong> die allgeme<strong>in</strong>en Diskussionsl<strong>in</strong>ien<br />

e<strong>in</strong>bette.<br />

Lassen Sie mich kritisch an den Titel des Vortrags<br />

herangehen: „Fachkräftesicherung“, das ist heute<br />

mo<strong>der</strong>n. Die Wirtschaft will das hören, man kann sich<br />

an e<strong>in</strong>e „Modewelle Fachkräftemangel“ hängen. Aber<br />

lassen Sie uns kurz reflektieren: Wie fragwürdig ist <strong>der</strong><br />

Begriff „Fachkräftesicherung“ eigentlich aus e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong><br />

arbeitsmarktlichen <strong>Perspektive</strong>?<br />

Ich habe versucht, vier Fragen zu formulieren, die<br />

man beantworten können müsste, wenn man über<br />

Fachkräftesicherung vernünftig reden will:<br />

Welche Fachkräfte?<br />

Wie viele Fachkräfte?<br />

Wann brauchen wir die Fachkräfte?<br />

Zu welchen Bed<strong>in</strong>gungen werden die Fachkräfte beschäftigt?<br />

Man müsste also erstens e<strong>in</strong>e Antwort geben können<br />

auf die Frage, um welche „Fachkräfte“ es sich bei<br />

„Fachkräftesicherung“ eigentlich handelt. Und wenn<br />

Sie sich den Diskurs <strong>der</strong> vergangenen sechs, sieben Jahren<br />

vergegenwärtigen, den wir <strong>in</strong> Deutschland hatten,<br />

dann werden Sie feststellen: Es gibt zwei prom<strong>in</strong>ente<br />

Berufsgruppen, die es geschafft haben, sich <strong>in</strong> diesen<br />

letzten Jahren <strong>in</strong> den Mittelpunkt e<strong>in</strong>er Fachkräftemangeldiskussion<br />

zu schieben bzw. die dort platziert<br />

worden s<strong>in</strong>d, und die auch <strong>in</strong> jedem Zeitungsartikel<br />

immer gerne angeführt werden: Das s<strong>in</strong>d die Ingenieure<br />

und die Ärzte. Wenn man aber genau h<strong>in</strong>schaut, wird<br />

man feststellen – und ich wage mich jetzt mal ganz<br />

weit vor: Wenn wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zukunft ke<strong>in</strong>en gravierenden<br />

Fachkräftemangel haben werden, dann bei Ingenieuren<br />

und auch bei den Ärzten. Schauen Sie sich e<strong>in</strong>mal das<br />

Bed<strong>in</strong>gungsgefüge an, warum wir bei den Ingenieuren<br />

über Fachkräftemangel reden, obwohl wir weiterh<strong>in</strong>


Stefan Sell<br />

11<br />

noch viele, gerade ältere Ingenieure haben, die arbeitslos<br />

s<strong>in</strong>d. Obwohl wir, wie <strong>in</strong> diesen Tagen bekannt wurde,<br />

viele Ingenieure haben – angeblich so e<strong>in</strong> knappes<br />

Gut auf dem deutschen Arbeitsmarkt –, die aber bei<br />

den großen Konzernen mit Werkverträgen abgespeist<br />

werden. Dann sehen Sie auch, dass mittlerweile bis zu<br />

50 Prozent <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Forschung und Entwicklung für<br />

die Automobil<strong>in</strong>dustrie tätigen Ingenieure nicht bei<br />

Daimler, BMW o<strong>der</strong> VW beschäftigt s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n mit<br />

Werkverträgen für Ingenieurdienstleistungsunternehmen<br />

arbeiten. Zwar nicht zu Hungerlöhnen, aber eben<br />

auch nicht zu Löhnen, die man sich normalerweise<br />

nach Abschluss e<strong>in</strong>es Ingenieurstudiums vorstellt und<br />

die man bekommen kann, wenn man zur Stammbelegschaft<br />

e<strong>in</strong>es großen Konzerns gehört. Das heißt, wenn<br />

man genau schaut, warum es diesen angeblichen Mangel<br />

gibt, dann stellt man fest, dass es als Mangel angesehen<br />

wird, wenn die Arbeitgeber nicht mehr so frei auswählen<br />

können wie früher – und das hat was mit <strong>der</strong> Ausbildung<br />

zu tun. Die Zahl <strong>der</strong> Ingenieurstudenten hat sich<br />

seit dem Jahr 1993 erheblich verr<strong>in</strong>gert. Warum? Die<br />

älteren Semester werden sich noch gut an die Rezession<br />

<strong>in</strong> diesem Jahr er<strong>in</strong>nern und an die neudeutsch<br />

„Freisetzungen“ genannten Entlassungen gerade <strong>in</strong> den<br />

süddeutschen Industrieunternehmen. In dieser rezessiven<br />

Phase wurde an die Wirtschaft appelliert, die jungen<br />

Ingenieursjahrgänge wenigstens auf Teilzeit e<strong>in</strong>zustellen,<br />

damit diese zur Verfügung stehen, wenn die Konjunktur<br />

wie<strong>der</strong> anspr<strong>in</strong>gt. Man hat damals zwei, drei ganze<br />

Ingenieursjahrgänge <strong>in</strong> die Arbeitslosigkeit geschickt.<br />

Das hat sich bei den jungen Leuten natürlich herumgesprochen,<br />

es war Thema <strong>in</strong> <strong>der</strong> damaligen Berichterstattung,<br />

und dann haben sich viele gesagt: Soll ich so e<strong>in</strong><br />

schweres Studium machen und dann arbeitslos werden?<br />

Und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folgezeit s<strong>in</strong>d die Studierendenzahlen nach<br />

unten gegangen. Erst <strong>in</strong> den letzten Jahren ist es uns<br />

gelungen, die Zahl <strong>der</strong> Ingenieurstudenten wie<strong>der</strong> nach<br />

oben zu drücken – nicht nur, aber auch e<strong>in</strong>e Folge <strong>der</strong><br />

„Ingenieurmangel“-Debatte. Wenn Sie die Zahlen<br />

hochrechnen, werden Sie sehen, <strong>in</strong> zwei, drei, vier, fünf<br />

Jahren werden wir wie<strong>der</strong> genug Absolventen haben – <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>igen Ingenieurbereichen teilweise wie<strong>der</strong> zu viele.<br />

Bei den Ärzten ist die Problematik noch schwieriger.<br />

Wir haben Jahr für Jahr e<strong>in</strong>e steigende Zahl<br />

von Ärzten. Was sich allerd<strong>in</strong>gs verän<strong>der</strong>t hat: Es gibt<br />

immer mehr Frauen, und bei den heute das Mediz<strong>in</strong>studium<br />

beg<strong>in</strong>nenden jungen Menschen haben wir<br />

teilweise Frauenanteile bis 80 Prozent. Und die Frauen<br />

haben berechtigterweise ke<strong>in</strong>e Lust mehr, 60 Stunden<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>zelpraxis zu arbeiten. Sie wollen Beruf und<br />

Familie vere<strong>in</strong>baren. Sie wollen zum Beispiel nur noch<br />

Teilzeit arbeiten. Dann ist aber e<strong>in</strong> Arzt von heute nicht<br />

mehr <strong>der</strong> Arzt von gestern, son<strong>der</strong>n wir haben e<strong>in</strong><br />

Arbeitsvolumenproblem. Und neben dem Arbeitsvolumenproblem<br />

haben wir gleichzeitig e<strong>in</strong> veritables Verteilungsproblem<br />

<strong>der</strong>gestalt, dass die Ärzte bestimmte<br />

Regionen, vor allem ländliche Räume, meiden und sich<br />

<strong>in</strong> an<strong>der</strong>en, vor allem den großstädtischen, konzentrieren.<br />

Dann wird natürlich das Fehlen <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>er<br />

auf dem Land als „Ärztemangel“ wahrgenommen, was<br />

er ja auch ist für die Betroffenen, nicht aber unbed<strong>in</strong>gt<br />

bezogen auf das Gesamtaggregat.<br />

Man muss also bei diesen Gruppen, die es geschafft<br />

haben, sich <strong>in</strong> die öffentliche Diskussion zu br<strong>in</strong>gen,<br />

ganz genau h<strong>in</strong>schauen.<br />

Wo <strong>der</strong> „wahre“ Fachkräftemangel <strong>der</strong> Zukunft<br />

liegen wird? Wir haben schon seit Langem auf e<strong>in</strong>en<br />

großen Problembereich h<strong>in</strong>gewiesen – <strong>der</strong> lei<strong>der</strong> erst<br />

jetzt, <strong>in</strong> den letzten Monaten, auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschaftspresse<br />

zunehmend thematisiert wird: Das Rückgrat<br />

<strong>der</strong> deutschen Wirtschaft s<strong>in</strong>d die Facharbeiter, von<br />

denen viele heute über 50 Jahre alt s<strong>in</strong>d und die e<strong>in</strong>e<br />

solide Berufsausbildung haben. Sie s<strong>in</strong>d es, die vielen<br />

Unternehmen <strong>in</strong> unserem Land die hohe Produktivität<br />

br<strong>in</strong>gen. Viele von ihnen werden <strong>in</strong> absehbarer Zeit<br />

<strong>in</strong> den Ruhestand gehen. In den nächsten Jahren wird<br />

deutlich werden, dass die Wirtschaft das Ausbildungsdefizit<br />

<strong>der</strong> zurückliegenden Jahre nachzuholen hat bzw.<br />

mit diesem konfrontiert werden wird. Man wird erkennen,<br />

dass gerade Facharbeiter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Industrie <strong>in</strong> richtig<br />

großem Umfang fehlen werden. Und natürlich auch im<br />

Gesundheitswesen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflege. So ist alle<strong>in</strong> die Frage<br />

schon nicht trivial, welche Fachkräfte wir denn sichern<br />

müssen, welche wir denn brauchen werden.<br />

Noch schwieriger ist es bei <strong>der</strong> Frage, wie viele<br />

Fachkräfte wir denn brauchen werden, die wir da als<br />

„Mangelware“ identifiziert haben, und ab wann genau<br />

wir die Fachkräfte brauchen werden. Was nützt es uns,<br />

wenn wir sie heute hätten, sie aber erst <strong>in</strong> zehn Jahren<br />

benötigen.


12<br />

Stefan Sell<br />

Und <strong>der</strong> letzte Punkt ist mir ganz wichtig: Bei <strong>der</strong><br />

Frage „Fachkräftesicherung“ muss auch die Frage<br />

beantwortet werden – gerade den jungen Menschen<br />

gegenüber – , zu welchen Bed<strong>in</strong>gungen sollen o<strong>der</strong><br />

werden die Fachkräfte arbeiten?<br />

Dazu e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Beispiel aus e<strong>in</strong>em Spiegel-Onl<strong>in</strong>e-<br />

Artikel von heute morgen: „Meist weiblich, immer<br />

häufiger unsicher beschäftigt und oft abhängig von<br />

staatlichen Zuschüssen, so sieht <strong>der</strong> typische Arbeitnehmer<br />

im E<strong>in</strong>zelhandel im Jahr 2013 aus. Inzwischen<br />

arbeitet demnach je<strong>der</strong> Dritte <strong>der</strong> rund 3,2 Millionen<br />

Beschäftigten im E<strong>in</strong>zelhandel zu e<strong>in</strong>em Lohn von<br />

unter 10 Euro die Stunde. Jede Fünfte erhielt den<br />

verfügbaren Daten zufolge sogar weniger als 8,50 Euro.<br />

Die Folge: Viele dieser Löhne müssen aufgestockt<br />

werden. Nach Angaben <strong>der</strong> Bundesregierung gibt <strong>der</strong><br />

Staat jährlich rund 1,5 Milliarden Euro an ergänzenden<br />

Sozialleistungen für Aufstocker aus. Drei Viertel <strong>der</strong><br />

Bezieher arbeiten im E<strong>in</strong>zelhandel. So mussten im Juni<br />

vergangenen Jahres die E<strong>in</strong>kommen von rund 130.000<br />

Beschäftigten des E<strong>in</strong>zelhandels auf e<strong>in</strong> existenzsicherndes<br />

Niveau aufgestockt werden. (…) Seit dem Jahr<br />

2000 bis zum Jahr 2011 ist <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Beschäftigten,<br />

die im Handel nach e<strong>in</strong>em Tarifvertrag bezahlt werden,<br />

im Westen von 70 auf 54 Prozent gefallen, im Osten<br />

von 43 auf 32 Prozent.“<br />

müssen auch darüber diskutieren, ob wir vielleicht<br />

ke<strong>in</strong>e Fachkräfte f<strong>in</strong>den, weil die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />

immer schlechter werden. All diese D<strong>in</strong>ge müsste man<br />

beantworten, wenn man ernsthaft den Vortragstitel<br />

ausfüllen wollte.<br />

Noch gravieren<strong>der</strong> ist <strong>der</strong> im Titel me<strong>in</strong>es Vortrags<br />

ebenfalls enthaltene „bildungspolitische Auftrag“.<br />

Lassen Sie mich dies e<strong>in</strong> wenig zynisch kommentieren,<br />

weil letztendlich auch Sie sich und das Programm, über<br />

das wir heute reden, genau <strong>in</strong> diesem Spannungsfeld<br />

bewegen: Wenn Sie versuchen müssten, Bildungspolitik<br />

auf den Punkt zu br<strong>in</strong>gen, dann bewegt sich Bildungspolitik<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Spannungsfeld zwischen Strukturen<br />

und Personen. Wenn Sie die Bildungspolitik <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Deutschland, vor allem die bildungspolitische<br />

Diskussion, zusammenfassen sollten, dann kreist<br />

sie seit Jahren um „Strukturen“. Sie kreist und kreist, sie<br />

schraubt an den Strukturen herum. Schulstrukturen,<br />

e<strong>in</strong> beliebtes, noch übriggebliebenes Restfeld landespolitischer<br />

Aktivitäten. Mit je<strong>der</strong> neuen Koalitionsregierung<br />

wird e<strong>in</strong>e neue „Schulsau“ durchs Dorf getrieben.<br />

Dabei wissen wir nicht nur <strong>in</strong> den Schulen, son<strong>der</strong>n<br />

Das Jahr 2000 ist deswegen von Bedeutung, weil bis<br />

zum Jahr 2000 die Welt im E<strong>in</strong>zelhandel <strong>in</strong> Ordnung<br />

war. Bis zum Jahr 2000 galt <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelhandel für Arbeitsmarktforscher<br />

als e<strong>in</strong>e relativ solide, gute Branche.<br />

Warum? Weil bis zu diesem Jahr <strong>der</strong> Tarifvertrag<br />

im E<strong>in</strong>zelhandel allgeme<strong>in</strong>verb<strong>in</strong>dlich war. Das heißt,<br />

alle Unternehmen, auch die nicht tarifgebundenen,<br />

mussten sich an den Tarifvertrag halten. Auf Druck <strong>der</strong><br />

Arbeitgeber wurde im Jahr 2000 die Allgeme<strong>in</strong>verb<strong>in</strong>dlichkeit<br />

von <strong>der</strong> damaligen rot-grünen Bundesregierung<br />

abgeschafft. Seitdem bef<strong>in</strong>det sich die gesamte Branche<br />

wie auf e<strong>in</strong>er Rutschbahn nach unten, und die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />

verschlechtern sich von Jahr zu Jahr.<br />

Ich br<strong>in</strong>ge das Beispiel deswegen, weil ich damit<br />

sagen will: Wenn wir über Fachkräftesicherung reden,<br />

wenn wir jungen Leuten e<strong>in</strong>e Empfehlung geben o<strong>der</strong><br />

sie gew<strong>in</strong>nen wollen – zum Beispiel im E<strong>in</strong>zelhandel<br />

Fachkräfte zu werden – dann müssen wir auch über<br />

die Bed<strong>in</strong>gungen reden, auf die sie dort treffen. Wir<br />

Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Bildungs- und<br />

Sozialpolitik <strong>der</strong> Hochschule Koblenz (ibus)


Stefan Sell<br />

13<br />

auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erwachsenenbildung, dass <strong>der</strong> zentrale<br />

Wirkfaktor – aus Sicht <strong>der</strong> Wissenschaftler „lei<strong>der</strong>“<br />

– die Personen s<strong>in</strong>d. Strukturen kann ich <strong>in</strong> Organigramme<br />

pressen, ich kann PowerPo<strong>in</strong>t-Folien machen,<br />

ich kann Strukturvariablen def<strong>in</strong>ieren und messen,<br />

Kennzahlen bilden. Aber diese vielen unterschiedlichen<br />

Personen und ihre Interaktionen, wie fasse ich die jetzt<br />

wissenschaftlich?<br />

Derzeit <strong>in</strong> vielen Artikeln und Hörfunksendungen<br />

zu Fragen <strong>der</strong> Schulbildung höchst aktuell und gerne<br />

diskutiert: Die sogenannte „Hattie-Studie“, die aber<br />

letztendlich alter We<strong>in</strong> <strong>in</strong> neuen Schläuchen ist. Es ist<br />

doch e<strong>in</strong>e alte pädagogische Grun<strong>der</strong>kenntnis, dass<br />

das Unterrichtsklima des Lehrpersonals im positiven<br />

wie im negativen S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>e zentrale Wirkdimension<br />

im pädagogischen Prozess ist. Das weiß je<strong>der</strong>, <strong>der</strong><br />

selber mal unterrichtet hat. Dann ist doch klar, dass<br />

die Akteure eigentlich e<strong>in</strong>e ganz wichtige Ebene <strong>der</strong><br />

Bildungspolitik se<strong>in</strong> müssten und dass wir auch die<br />

Innovationen und die knappen Ressourcen auf dieses<br />

Beziehungsgefüge fokussieren müssten.<br />

Die weit über die Bedeutung für die re<strong>in</strong> kognitive<br />

Wissensvermittlung h<strong>in</strong>ausgehende Rolle <strong>der</strong> Lehrenden<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule beziehungsweise <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausbildung<br />

<strong>der</strong> Betriebe – das ist ja auch e<strong>in</strong>e Lernstätte – kann<br />

man sich vor dem H<strong>in</strong>tergrund grundlegen<strong>der</strong> gesellschaftlicher<br />

Verän<strong>der</strong>ungen beispielsweise daran verdeutlichen,<br />

dass sie zunehmend auch e<strong>in</strong>e Elternersatzfunktion<br />

übernehmen müssten. Viele Betriebe wollen<br />

das aber nicht mehr tun, auch weil sie viele Jahre e<strong>in</strong><br />

Überangebot an Auszubildenden erlebt haben, müssten<br />

es jedoch – gerade bei <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

o<strong>der</strong> jungen Menschen, über die wir hier reden.<br />

In <strong>der</strong> bildungspolitischen Diskussion wird oftmals<br />

über Strukturen, Strukturen, Strukturen geredet,<br />

immer wie<strong>der</strong> wird an Strukturen herumgefummelt.<br />

Ich weiß, ich b<strong>in</strong> jetzt auf dünnem Eis. Ich sehe<br />

Gesichter, die e<strong>in</strong> Zögern ausdrücken: ‚Moment, <strong>in</strong><br />

dem Programm steht das doch dr<strong>in</strong>. Wir s<strong>in</strong>d gerade<br />

auf- und angetreten, um Strukturen zu verbessern<br />

und zu schaffen’. Ja, aber lassen Sie mich e<strong>in</strong>e holzschnittartige<br />

Bewertung des gesamten Geschehens im<br />

Übergangssystem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Satz pressen: Nirgendwo, <strong>in</strong><br />

ke<strong>in</strong>em Handlungsfeld, habe ich <strong>in</strong> den letzten Jahren<br />

so oft die Worte Koord<strong>in</strong>ierung und Kooperation<br />

angetroffen, wie im Feld des Übergangssystems. Alle<br />

reden über Strukturen, mit denen man koord<strong>in</strong>iert<br />

und kooperiert, aber wie e<strong>in</strong>e gläserne Decke ist die<br />

logisch am Ende sich stellende Frage: •Wer hat denn<br />

verb<strong>in</strong>dlich am Ende den Hut auf?• Und seien wir mal<br />

ehrlich, durch die Vielzahl <strong>der</strong> Akteure <strong>in</strong> diesem Feld<br />

kreist man immer um die Begriffe „Koord<strong>in</strong>ation“ und<br />

„Kooperation“. Das ist ke<strong>in</strong> Vorwurf, son<strong>der</strong>n das ist<br />

e<strong>in</strong>e soziologische Notwendigkeit o<strong>der</strong> Logik, um am<br />

Ende nicht festlegen zu müssen, wer letztendlich die<br />

Entscheidungen trifft, die Mittel verantwortet und<br />

auch die Ergebnisse verantworten muss. Nicht, dass es<br />

<strong>in</strong> diesem Feld zu wenige Strukturen gäbe. Sie zielen<br />

mit Ihrer Arbeit darauf ab, e<strong>in</strong>en Push <strong>in</strong> die richtigen<br />

Strukturen h<strong>in</strong>zukriegen. Wir haben aber schon e<strong>in</strong>e<br />

sehr <strong>in</strong>tensive Strukturdiskussion, die jedoch oftmals<br />

nicht die eigentliche Frage stellt: ‚Was braucht man am<br />

Ende an Verb<strong>in</strong>dlichkeit <strong>in</strong> diesem Bereich?’<br />

Auch ich habe bei <strong>der</strong> Beschäftigung mit dem<br />

Übergangssystem wegen <strong>der</strong> ganzen Abkürzungen<br />

Kopfschmerzen bekommen. Schauen Sie sich e<strong>in</strong>mal<br />

den neuesten Berufsbildungsbericht an, was gibt es da<br />

nicht alles an Abkürzungen. Der Abkürzungswahn ist<br />

natürlich auch e<strong>in</strong>e Folge e<strong>in</strong>es ganz an<strong>der</strong>en realen<br />

Problems, das hier nur angedeutet werden kann: Das<br />

Problem mit den ganzen unterschiedlichen Maßnahmen,<br />

Programmen, Initiativen, Projekten usw., die wir<br />

<strong>in</strong> diesem Bereich haben.<br />

Das Programm „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“ mit<br />

den beiden För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiativen „Regionales Übergangsmanagement“<br />

und „Abschlussorientierte modulare<br />

Nachqualifizierung“, über das wir heute hier reden, ist<br />

ja nur e<strong>in</strong> Teil <strong>in</strong> diesem Universum von Programmen<br />

und Projekten. Ich habe versucht, mir selbst die gesamte<br />

Beschreibung dieser För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiativen auf zwei Sätze<br />

e<strong>in</strong>zudampfen, um zu verstehen, was Sie da eigentlich<br />

machen:<br />

Me<strong>in</strong>e Übersetzung <strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative 1 ist: „Wie<br />

kriegen wir die jungen Leute rüber?“<br />

Die Übersetzung von För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative 2 ist: „Wie kriegen<br />

wir die Leute später noch mal re<strong>in</strong>?“<br />

So geht es auch, o<strong>der</strong>? Damit könnte man – scherzhaft<br />

formuliert – e<strong>in</strong>e Menge Druckkosten sparen. Wenn<br />

man diese Fragen reflektiert, dann sehen Sie schon<br />

die zentralen Probleme: Bei beiden geht es um das<br />

„Wie?“. Also wie, mit welchen Methoden, mit welchen<br />

Instrumenten, mit welchen Leuten schaffe ich das, was


14<br />

Stefan Sell<br />

mir da als Aufgabe gestellt wird? „Rüber“ o<strong>der</strong> „re<strong>in</strong>“,<br />

auch da stehen Sie vor dem Problem: In was denn? Ja,<br />

woh<strong>in</strong> denn? Das muss man klären. Ich will das heute<br />

nicht vertiefen – und bitte, verstehen Sie das nicht als<br />

Vorwurf – aber, wenn wir <strong>in</strong> den 1990er Jahren seitens<br />

<strong>der</strong> Arbeitsverwaltung mit Arbeitgebern über Fachkräfteentwicklung<br />

geredet haben – damals hieß das noch<br />

Fortbildung und Umschulung – saßen wir oft mit Unternehmern<br />

zusammen, mit <strong>der</strong> Wirtschaft, und haben<br />

gefragt: ‚Was braucht Ihr denn für Leute? Woh<strong>in</strong> sollen<br />

wir umschulen? Woh<strong>in</strong>, <strong>in</strong> welche Berufe?’ Häufig habe<br />

ich dann die Erfahrung gemacht, dass viele Unternehmen,<br />

die zwar beschreiben konnten, was sie jetzt<br />

gerade brauchen, bei <strong>der</strong> Frage, was sie <strong>in</strong> fünf o<strong>der</strong><br />

zehn Jahren brauchen, genauso hilflos waren wie die<br />

viel gescholtenen Wissenschaftler. ‚Ja, das geht so <strong>in</strong> die<br />

Richtung o<strong>der</strong> so, ke<strong>in</strong>e Ahnung, weiß ich nicht’. Das<br />

ist e<strong>in</strong> Strukturproblem. Wenn Sie etwas entwickeln<br />

wollten, müssten Sie ja auch zum Beispiel wissen, wo<br />

ist das Ende von <strong>der</strong> Brücke? Und diese Frage ist eben<br />

nicht trivial.<br />

Wenn man sich jetzt vor diesem H<strong>in</strong>tergrund anschaut,<br />

was da eigentlich passiert, dann will ich Ihnen<br />

nur an e<strong>in</strong>em Beispiel das Grundproblem, vor dem wir<br />

jetzt stehen und vor dem wir <strong>in</strong> den nächsten Jahren<br />

noch stärker stehen werden, verdeutlichen. Seit 2005<br />

beobachten wir e<strong>in</strong>en Rückgang <strong>der</strong> Integrationsmaßnahmen<br />

im Übergangssystem. Wenn man die bisherige<br />

Entwicklungsl<strong>in</strong>ie nach unten verlängert, dann<br />

kommt man irgendwann bei null an. In e<strong>in</strong> paar Jahren,<br />

s<strong>in</strong>d wir dann bei null Prozent im Übergangssystem?<br />

Natürlich s<strong>in</strong>d wir nicht bei null, und das Übergangssystem<br />

gibt es ja nicht als „das System“. Es wird immer<br />

e<strong>in</strong> Übergangssystem geben müssen. Denken Sie an<br />

den großen Bereich des Übergangs, bei dem es darum<br />

geht, überhaupt e<strong>in</strong>en Schulabschluss nachzuholen<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en höherwertigen Schulabschluss zu erwerben.<br />

Diesen Teil des Übergangssystems wird es auch <strong>in</strong> zwei,<br />

fünf, sechs Jahren geben müssen. Es geht letztendlich<br />

um die Frage, ob sich das Übergangssystem im engeren<br />

S<strong>in</strong>ne sozusagen biologisch löst. Die Annahme ist erst<br />

e<strong>in</strong>mal – und das ist ja auch unbestreitbar –, dass das<br />

Übergangssystem langsam abnimmt, auch wenn es<br />

sich nicht atomisieren wird.<br />

Die an<strong>der</strong>e Seite <strong>der</strong> Medaille: Erwerb <strong>der</strong> Hochschulzugangsberechtigung,<br />

Studium – hier geht es<br />

Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Bildungs- und<br />

Sozialpolitik <strong>der</strong> Hochschule Koblenz (ibus)<br />

steil nach oben. Das heißt, die Leute, die heute e<strong>in</strong>e<br />

Hochschulzugangsberechtigung erwerben, die studieren<br />

auch fast alle. Das große Problem ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitte:<br />

Berufsausbildung, duale und fachschulische Berufsausbildung<br />

– die hängt, die stagniert und die verliert. Die<br />

verliert nämlich all die Leute, die früher e<strong>in</strong>e duale Berufsausbildung<br />

am oberen Rand gemacht haben, heute<br />

an die Hochschulen. Aber gerade <strong>in</strong> diesen Bereichen<br />

bräuchten wir vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> Fachkräfteentwicklung<br />

eigentlich Nachschub.<br />

Dass das Übergangssystem – darauf hatte ich schon<br />

h<strong>in</strong>gewiesen, das wissen Sie aber alle selbst sehr gut<br />

– noch lange nicht tot ist, sieht man an den Zahlen.<br />

Im vergangenen Jahr waren es immerh<strong>in</strong> noch etwas<br />

über 270.000 junge Menschen, die <strong>in</strong> dieses sehr weit<br />

gefächerte System e<strong>in</strong>getreten s<strong>in</strong>d. Nichtsdestotrotz<br />

muss man die Kritik aufrechterhalten, dass e<strong>in</strong> nicht<br />

ger<strong>in</strong>ger Teil des Übergangssystems o<strong>der</strong> des „Nichtübergangssystems“<br />

e<strong>in</strong> System <strong>der</strong> Warteschleifen und<br />

<strong>der</strong> Wartehallen ist. Dieser Befund gilt immer noch,<br />

und er ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> zentralen Aufgaben, an denen man<br />

arbeiten muss, um Än<strong>der</strong>ungen herbeizuführen.


Stefan Sell<br />

15<br />

Für die vor uns liegenden Jahre erwarten wir wi<strong>der</strong>sprüchliche<br />

Entwicklungen, beispielsweise die Angebots-Nachfrage-Verschiebung.<br />

In manchen Regionen<br />

hatten wir noch vor fünf, sechs Jahren ganze Hauptschulklassen,<br />

die nur aufgrund des statistischen Merkmals<br />

„Hauptschulabschluss“ ke<strong>in</strong>en Ausbildungsplatz<br />

bekommen haben, sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>fach aussortiert worden.<br />

Wenn Sie heute schauen, hat sich die Angebots-Nachfrage-Relation<br />

so verän<strong>der</strong>t, dass auf e<strong>in</strong>mal auch die<br />

angeblich nicht ausbildungsreifen Jugendlichen sehr<br />

wohl e<strong>in</strong>en Ausbildungsplatz f<strong>in</strong>den, weil – so ist das<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ökonomie, wenn sich Angebot und Nachfrage<br />

verän<strong>der</strong>n – die Arbeitgeber natürlich auch ihre Erwartungen<br />

verän<strong>der</strong>n müssen. Und das ist gut so für die<br />

Jugendlichen! Viele, die vorher im Übergangssystem<br />

aufgefangen werden mussten, f<strong>in</strong>den heute schneller<br />

den Weg <strong>in</strong> die duale Berufsausbildung. Diesen Prozess,<br />

diese Chance dürfen wir nicht verschlafen. Deswegen<br />

s<strong>in</strong>d solche Initiativen wie das Programm „<strong>Perspektive</strong><br />

Berufsabschluss“ wichtig, sie müssten noch viel <strong>in</strong>tensiver<br />

gefahren werden. Denn die Arbeitgeberseite, die<br />

viele Jahre olympiareife Bewerber hatte, weil sie sich<br />

die Besten aus e<strong>in</strong>em Überangebot auswählen konnten,<br />

hat sich teilweise schon auf den Weg gemacht, sich<br />

umzuorientieren und sich den verän<strong>der</strong>ten Marktverhältnissen<br />

anzupassen.<br />

E<strong>in</strong>ige an<strong>der</strong>e Arbeitgeber suchen, auch durch<br />

die Medien gepusht, ihr Heil <strong>in</strong> <strong>der</strong> Flucht. Manche<br />

glauben nämlich, man könne dieses Problem lösen,<br />

<strong>in</strong>dem man Tausende von jungen, kräftigen, gesunden,<br />

lernbegierigen Spaniern, Griechen, Italienern importiert.<br />

Aber fragen wir doch mal nach, wie viele s<strong>in</strong>d<br />

denn von diesen jungen Menschen gekommen, um<br />

sich <strong>in</strong> das Gefüge <strong>der</strong> deutschen Berufsausbildung<br />

e<strong>in</strong>zupassen. Die Zahlen s<strong>in</strong>d ernüchternd: 32.000<br />

Ausbildungsplätze s<strong>in</strong>d mit Jugendlichen mit ausländischem<br />

H<strong>in</strong>tergrund, also ausländischer Staatsangehörigkeit,<br />

besetzt – das s<strong>in</strong>d ungefähr fünf Prozent <strong>der</strong><br />

Ausbildungsplätze. Es gab <strong>in</strong> den letzten zwei Jahren<br />

ke<strong>in</strong>e signifikante Steigerung. Nach Nationalitäten<br />

aufgeschlüsselt – das überrascht nicht – s<strong>in</strong>d das <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Regel nicht die jungen Leute, die wirklich zum Beispiel<br />

aus Spanien gekommen s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n es s<strong>in</strong>d vor allem<br />

Jugendliche, die mit ausländischer Staatsangehörigkeit<br />

bereits hier leben. Das sehen Sie auch an den Nationalitäten.<br />

Die Spanier tauchten bis 2011 gar nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Liste auf, und jetzt s<strong>in</strong>d das e<strong>in</strong> paar Hun<strong>der</strong>t. Was ich<br />

damit <strong>in</strong> Richtung Arbeitgeber sagen will: Macht Euch<br />

ke<strong>in</strong>e Illusionen! Die Gew<strong>in</strong>nung von Auszubildenden<br />

im Ausland löst nicht das Mengenproblem, das wir im<br />

Ausbildungssystem haben. Wir müssen schon zurückgreifen<br />

auf das, was wir hier <strong>in</strong> unserem Land haben<br />

– und das ist auch gut so. Das sollte auch <strong>in</strong> den Medien<br />

deutlicher gemacht werden! Auszubildende aus dem<br />

europäischen Ausland bilden ke<strong>in</strong>e Fluchtoption, vor<br />

allem nicht für die Betriebe und Branchen, die bereits<br />

heute e<strong>in</strong>en erheblichen Mangel an Ausbildungsplatzbewerbern<br />

haben. Denn dieser Mangel ist ja bekanntlich<br />

nicht gleich verteilt über die Branchen, Unternehmen<br />

und Regionen.<br />

Gleichzeitig führt <strong>der</strong> ambivalente Trend zur<br />

Höherqualifizierung zu e<strong>in</strong>er Stabilisierung e<strong>in</strong>es Teils<br />

des Übergangssystems, denn die Fokussierung auf<br />

den Erwerb e<strong>in</strong>es möglichst hohen formalen Schulabschlusses<br />

wird anhalten.<br />

Insgesamt gerät <strong>der</strong> wichtige Bereich <strong>der</strong> dualen<br />

Berufsausbildung aus mehreren Richtungen weiter<br />

unter Druck. Nämlich – und das ist mir wichtig – neben<br />

dem bereits angedeuteten Trend <strong>in</strong> Richtung höhere<br />

Schulabschlüsse auch durch die „Bachelorisierung“ <strong>der</strong><br />

Berufsausbildung.<br />

Ich b<strong>in</strong> Lehren<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em betriebswirtschaftlichen<br />

Fachbereich und betreue auch Studenten,<br />

die sich im Auslandsstudium bef<strong>in</strong>den. Sie müssen<br />

Berichte schreiben, die sie mir per Mail zum Beispiel<br />

aus England schicken. Wir haben ja viele Studenten,<br />

die vorher e<strong>in</strong>e Ausbildung als Groß- und Außenhandelskaufmann<br />

gemacht haben, und die schreiben mir<br />

dann: ‚Ich sitze hier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em BWL-Bachelorstudium.<br />

Die machen das, was wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Berufsschule gemacht<br />

haben’. Ich sage dann: •Ja, klar, die haben ke<strong>in</strong>e Berufsschule<br />

<strong>in</strong> England; da ist die Hochschule nicht selten<br />

faktisch das, was bei uns die Berufsschule ist.• Wir s<strong>in</strong>d<br />

<strong>in</strong> Deutschland auf dem besten Weg, – das kann ich<br />

Ihnen garantieren – unsere Hochschulen genau zu<br />

dem zu machen, was <strong>in</strong> den angelsächsischen Län<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> Fall ist: zu besseren o<strong>der</strong> weniger besseren<br />

Berufsschulen. Und als Ökonom muss man immer<br />

an die Verzerrungseffekte denken. Viele Arbeitgeber<br />

sagen mir <strong>in</strong> Gesprächen zum Thema kaufmännische<br />

Berufsausbildung: ‚Warum soll ich denn noch ausbilden?<br />

Wenn ich das richtig machen will, kostet mich das


16<br />

Stefan Sell<br />

e<strong>in</strong>e Menge Geld. Die staatlichen Hochschulen liefern<br />

mir so e<strong>in</strong>en Sachbearbeiter kostenlos’. Ja, mit Steuermitteln<br />

wird e<strong>in</strong> junger Mensch als Bachelor ausgebildet<br />

und dann als Sachbearbeiter e<strong>in</strong>gestellt, denn<br />

an<strong>der</strong>e Positionen bekommen die nicht. Das me<strong>in</strong>e<br />

ich mit „Bachelorisierung <strong>der</strong> Berufsausbildung“. Das<br />

bedeutet natürlich auch, dass e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong>jenigen, die<br />

eigentlich e<strong>in</strong>e duale Berufsausbildung gemacht hätten<br />

und auch machen sollten, <strong>der</strong> dualen Berufsausbildung<br />

verloren gehen. Angesichts <strong>der</strong> Realität <strong>in</strong> den meisten<br />

Hochschulen unseres Landes ist das höchst problematisch,<br />

weil sich ke<strong>in</strong>e pädagogische Institution so<br />

wenig verän<strong>der</strong>t hat wie die Hochschulen. Alle haben<br />

sich verän<strong>der</strong>t: K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten, Schulen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

die Grundschulen. Die Sekundarstufe I e<strong>in</strong> wenig, die<br />

Sekundarstufe II noch weniger – Hochschulen aber so<br />

gut wie gar nicht. Wir unterrichten noch so wie <strong>in</strong> den<br />

70er o<strong>der</strong> 80er Jahren, nur, dass wir heute PowerPo<strong>in</strong>t-<br />

Folien e<strong>in</strong>setzen. Aber wissen Sie, wie viele Leute <strong>in</strong><br />

den 70er und 80er Jahren studiert haben? Anfang <strong>der</strong><br />

80er Jahre waren es 15 Prozent e<strong>in</strong>es Jahrgangs. Das war<br />

e<strong>in</strong>e ganz an<strong>der</strong>e kognitive Grundgesamtheit. Da war,<br />

zugespitzt formuliert, egal, wer vor den Studierenden<br />

stand. Hochschullehrer s<strong>in</strong>d ja sowieso Pädagogen sui<br />

generis, also eigener Art. Das war auch deswegen relativ<br />

egal, weil die Studierenden – aus e<strong>in</strong>er überschaubaren<br />

Grundgesamtheit an Hochschulzugangsberechtigten<br />

stammend – kognitiv fit waren. Die meisten haben sich<br />

den Studienstoff selbst angeeignet. Aber was machen<br />

Sie heute mit Leuten, die da sitzen und die eigentlich<br />

– und das me<strong>in</strong>e ich jetzt positiv – viel mehr profitieren<br />

würden, wenn sie acht Stunden am Tag <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Betrieb e<strong>in</strong>gebunden wären, wo sich auch jemand um<br />

sie kümmert? Glauben Sie, die Hochschulen könnten<br />

sich um die vielen Studierenden, die <strong>in</strong> die Studiengänge<br />

strömen, wirklich kümmern?<br />

Jetzt könnte man natürlich sagen: •Dann holen wir<br />

Auszubildende eben von unten nach•. Da kommt das<br />

zweite Problem: Von unten gibt es auch e<strong>in</strong>en Druck,<br />

nämlich durch e<strong>in</strong>e kognitive Anfor<strong>der</strong>ungserhöhung<br />

<strong>in</strong> vielen Berufsausbildungen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit kognitiven<br />

Blockaden bei e<strong>in</strong>em Teil <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und<br />

Schüler. Was soll das also mit dieser ganzen „Aufwerterei“?<br />

Ich mache das an e<strong>in</strong>em unverfänglichen Beispiel<br />

deutlich: Bei <strong>der</strong> Polizei gab es früher den mittleren<br />

Dienst, den gehobenen Dienst, den höheren Dienst.<br />

Irgendwann hat man gesagt: Das muss aufgewertet<br />

werden. Heute muss je<strong>der</strong> Polizeibeamte beispielsweise<br />

<strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Heimatland Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz die Fachhochschule<br />

des Landes besuchen. Er o<strong>der</strong> sie macht<br />

e<strong>in</strong> dreijähriges Studium und ist dann bei <strong>der</strong> Bereitschaftspolizei.<br />

Machen Sie aber e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Arbeitsanalyse<br />

und schauen Sie sich an, womit diese Leute <strong>in</strong><br />

den ersten Jahren konfrontiert s<strong>in</strong>d. Sie machen die<br />

gleichen Tätigkeiten wie vor 10, 15 Jahren. Häufig auch<br />

mit den gleichen Arbeitswerkzeugen wie vor 15 Jahren.<br />

Ich habe mit diesen Leuten gesprochen, und sie haben<br />

mir gesagt: ‚Was wir da an <strong>der</strong> Hochschule gelernt haben,<br />

kannst du <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis des Polizeialltags oftmals<br />

vergessen, brauchen wir nicht, hat ke<strong>in</strong>e Relevanz für<br />

unseren Arbeitsalltag’. Diese Polizisten s<strong>in</strong>d häufig total<br />

frustriert, weil die Realität an <strong>der</strong> Hochschule mit <strong>der</strong><br />

Realität <strong>der</strong> Arbeit nichts zu tun hat. Und für so etwas<br />

gibt es viele weitere Beispiele. Das heißt nicht, dass ich<br />

gegen e<strong>in</strong>e Aufwertung von Ausbildung b<strong>in</strong>, ich will<br />

nur sagen, dass man aufpassen muss. Was hat das, was<br />

man lernt, mit dem zu tun, was man tut? Wir haben <strong>in</strong><br />

viele Berufsausbildungen immer höhere Ansprüche<br />

„re<strong>in</strong>-def<strong>in</strong>iert“, auch <strong>in</strong> den berufsschulischen Bereich.<br />

Das überfor<strong>der</strong>t natürlich viele unserer Jugendlichen,<br />

die ja gerade deswegen e<strong>in</strong>e praktische Ausbildung anstreben,<br />

weil sie an <strong>der</strong> klassischen Form <strong>der</strong> Schule gescheitert<br />

s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> sich zum<strong>in</strong>dest erhebliche Blessuren<br />

geholt haben – das muss man sich doch klarmachen.<br />

Die Berufsschule ist zwar durchaus an<strong>der</strong>s, viele geben<br />

sich da große Mühe, aber nicht wenige Jugendliche<br />

s<strong>in</strong>d letztendlich an <strong>der</strong> Schule und ihren spezifischen<br />

Formaten gescheitert. Deswegen wird es nicht klappen,<br />

von unten alle Berufe nachzufüllen.<br />

Schauen wir uns e<strong>in</strong>mal die Schulabgängerzahlen<br />

für Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz an. Im vergangenen Jahr haben fast<br />

44.000 Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler die allgeme<strong>in</strong>bildenden<br />

Schulen verlassen, mehr als e<strong>in</strong> Drittel von ihnen<br />

mit e<strong>in</strong>er Hochschulreife. H<strong>in</strong>zu kommt die immer<br />

größer werdende Zahl an Absolventen, die die Hochschulreife<br />

an e<strong>in</strong>er berufsbildenden Schule erlangen.<br />

Wenn man diese dazu zählt, haben wir im vergangenen<br />

Jahr e<strong>in</strong>e Studienberechtigtenquote von 51,7<br />

Prozent. Mehr als die Hälfte e<strong>in</strong>es ganzen Jahrgangs<br />

macht mittlerweile die Hochschulreife und die meisten<br />

wollen auch an e<strong>in</strong>e Hochschule. Dar<strong>in</strong> liegt e<strong>in</strong>e<br />

eigene Dramatik begründet. Die Hochschulen müssten<br />

Antwort geben, wie sie mit e<strong>in</strong>er <strong>der</strong>art verän<strong>der</strong>ten<br />

Grundgesamtheit umgehen wollen und können, mit


Stefan Sell<br />

17<br />

Lernformaten, die mal für e<strong>in</strong>e ganz an<strong>der</strong>e, im Schnitt<br />

wesentlich homogenere Gruppe, entwickelt worden<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Zwar reduziert sich jetzt die Zahl <strong>der</strong> Neuzugänge<br />

<strong>in</strong> das bestehende Übergangssystem, aber gleichzeitig<br />

kommt es zu e<strong>in</strong>er Potenzierung <strong>der</strong> heute schon <strong>in</strong><br />

vielen Maßnahmen zu beobachtenden „Konzentration<br />

<strong>der</strong> Unerträglichkeit“ auf beiden Seiten durch e<strong>in</strong>e<br />

Konzentration <strong>der</strong> sozialpädagogischen Schweregrade.<br />

Damit verbunden ist e<strong>in</strong> absehbar weiter abnehmen<strong>der</strong><br />

Wirkungsgrad <strong>der</strong> zersplitterten und punktuellen<br />

För<strong>der</strong>landschaft: Wenige – aber mit größerer Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

für die Sozialpädagogik. Dar<strong>in</strong> liegt natürlich<br />

Sprengstoff.<br />

Ich könnte ke<strong>in</strong>em empfehlen, <strong>in</strong> den nächsten<br />

Jahren als Pädagoge im Übergangssystem zu arbeiten.<br />

Erstens s<strong>in</strong>d dort die schlechtesten Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />

mit Befristungen und E<strong>in</strong>kommen, die oftmals <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> SGB II-Schwelle liegen. Und dann habe<br />

ich es auch noch mit den schwierigsten Fällen zu tun,<br />

mit denen, die am meisten E<strong>in</strong>satz erfor<strong>der</strong>n, aber<br />

relativ niedrige Wirkungsgrade erzielen, weil wir es<br />

mit komplexen beschädigten Biografien zu tun haben.<br />

Dann bewegt man sich auch noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Landschaft,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> man an dem logischerweise abnehmenden Wirkungsgrad<br />

gemessen wird. Es wird e<strong>in</strong>em permanent<br />

vorgehalten: •Warum habt Ihr nur Erfolgsquoten von x<br />

Prozent?•<br />

Wissen Sie, <strong>in</strong> welche Falle das Übergangssystem<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>läuft? In die gleiche Falle, <strong>in</strong> die die Pflege<br />

gelaufen ist. Was ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflege passiert? Wenn Sie<br />

vor 20 Jahren <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Pflegeheim g<strong>in</strong>gen, war e<strong>in</strong> Drittel<br />

<strong>der</strong> Bewohner rüstig. Die E<strong>in</strong>richtungen mussten<br />

für diese Gruppe im Wesentlichen nur Hotellerieleistungen<br />

erbr<strong>in</strong>gen. Diese älteren Leute haben sich<br />

selbst beschäftigt, da war nicht viel Arbeit. E<strong>in</strong> Drittel<br />

war normal pflegebedürftig, e<strong>in</strong> weiteres Drittel war<br />

schwer pflegebedürftig. Wenn Sie heute <strong>in</strong> e<strong>in</strong> deutsches<br />

Heim gehen, s<strong>in</strong>d die meisten Bewohner<strong>in</strong>nen<br />

und Bewohner m<strong>in</strong>destens <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflegestufe 2. Der<br />

Demenzkranken-Anteil liegt bei über 60 Prozent. Die<br />

Arbeitgeber sagen mir: ‚Der Personalschlüssel hat sich<br />

aber nicht verschlechtert’. Klar, das ist so, als ob Sie<br />

Äpfel mit Birnen vergleichen. Die Pflegekräfte gehen<br />

auf dem Zahnfleisch, weil sie heute mit ganz an<strong>der</strong>er<br />

Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Bildungs- und<br />

Sozialpolitik <strong>der</strong> Hochschule Koblenz (ibus)<br />

Grundgesamtheit zu tun haben, die durch e<strong>in</strong>e ganz<br />

an<strong>der</strong>e Pflege<strong>in</strong>tensität charakterisiert ist. Und das wird<br />

– wenn man dieses System nicht aufbricht – im bestehenden<br />

Übergangssystem auch passieren. Deswegen<br />

s<strong>in</strong>d alle Initiativen – auch <strong>in</strong> diesem Programm – so<br />

wichtig, die versuchen, dieses System aufzubrechen.<br />

Es gibt natürlich e<strong>in</strong> paar Reformvorschläge. Ich<br />

will nur e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis geben, weil mir <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s<br />

wichtig ist. E<strong>in</strong>e langjährige Erfahrung aus <strong>der</strong> Biografieforschung:<br />

Wenn Sie mit Lehrkräften reden und<br />

fragen, wann driften uns die Jungs und die Mädels – im<br />

Regelfall s<strong>in</strong>d es Jungs – <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule ab? Dann werden<br />

Sie meist hören: Im Alter zwischen 12 und 14 Jahren<br />

gehen diese dem bestehenden System verloren. Sie<br />

verweigern sich, die Lehrer kommen nicht mehr an die<br />

ran, die haben ke<strong>in</strong>en Bock mehr usw. Wann fangen<br />

wir aber an, uns um diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen zu<br />

kümmern? E<strong>in</strong> paar Jahre später! Und dann wun<strong>der</strong>t<br />

man sich, dass das häufig nicht klappt. Die logische<br />

Konsequenz wäre, die Logik des Übergangssystems<br />

weit vorzuziehen und zu sagen: Wir müssen bereits<br />

<strong>in</strong> dieser kritischen Altersphase mit e<strong>in</strong>er kausalen<br />

Therapie – soweit man das überhaupt sagen kann<br />

– anfangen. Dazu gehört nach all me<strong>in</strong>en Erfahrungen,<br />

die ich mit diesen Jugendlichen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

gemacht habe, vor allem e<strong>in</strong>e essentielle Komponente:<br />

Praxis, s<strong>in</strong>nvolle Praxis. Diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen<br />

<strong>in</strong>teressieren sich sehr wohl für e<strong>in</strong>en W<strong>in</strong>kel. Aber


18<br />

Stefan Sell<br />

nicht, wenn irgende<strong>in</strong> Mathelehrer da vorne steht und<br />

was erklären will, son<strong>der</strong>n wenn sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Projekt,<br />

zum Beispiel im Bootsbau, werkeln. Da merken sie auf<br />

e<strong>in</strong>mal: ‚Hey, ich brauch e<strong>in</strong>en W<strong>in</strong>kel, sonst komme<br />

ich hier nicht weiter!’ Ich will ke<strong>in</strong>e neue Schulart, aber<br />

wir müssen darauf e<strong>in</strong>e Antwort geben und zwar im<br />

bestehenden System. Wenn das bisherige Schulsystem<br />

so schwere Folgen, auch Folgekosten hervorruft, macht<br />

es doch S<strong>in</strong>n, bei dieser Gruppe von Schüler<strong>in</strong>nen und<br />

Schülern bereits im bestehenden Schulsystem mit Produktionsschulkonzepten<br />

anzusetzen und diese K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

und Jugendlichen aus dem tradierten Sett<strong>in</strong>g Schule, <strong>in</strong><br />

dem sie def<strong>in</strong>itiv scheitern werden, wenigstens partiell<br />

herauszunehmen. Sonst werden uns 80, 90 Prozent von<br />

dieser Gruppe im Schulsystem verlorengehen.<br />

Und auch im weiteren Gang taucht er wie<strong>der</strong> auf,<br />

me<strong>in</strong> roter Faden: praktische Arbeit, praktische Arbeit!<br />

Im Übergangssystem braucht man e<strong>in</strong>e möglichst<br />

weitreichende „Verbetrieblichung <strong>der</strong> Übergangszone“:<br />

assistierte Ausbildung, professionelle Ausbildungs- und<br />

Qualifizierungsunternehmen. Natürlich gibt es Jugendliche<br />

– das wissen Sie doch viel besser als viele an<strong>der</strong>e –,<br />

die so schwierig s<strong>in</strong>d, dass auch e<strong>in</strong> gut gewillter<br />

Arbeitgeber sie e<strong>in</strong>fach nicht e<strong>in</strong>stellen o<strong>der</strong> es mit<br />

ihnen probieren wird. Für diese Leute brauchen wir<br />

professionelle Träger, die aber nicht <strong>in</strong> irgendwelchen<br />

Schonräumen agieren, son<strong>der</strong>n die am ersten Arbeitsmarkt,<br />

mit dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten. Deren<br />

Aufgabe es ist, sich um die schweren Fälle zu kümmern,<br />

aber gleichzeitig immer Kontakt mit <strong>der</strong> Realität des<br />

Handwerks zu haben, mit <strong>der</strong> Realität <strong>der</strong> Industrie,<br />

<strong>in</strong>dem man Aufträge erledigt usw. Das Lernen <strong>in</strong> und<br />

durch echte Arbeit ist <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en Augen e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> größten<br />

Erfolgsrezepte, wenn es um e<strong>in</strong>e wie auch immer<br />

geartete Integration o<strong>der</strong> die Beantwortung <strong>der</strong> Frage<br />

geht: •Wie kriegt man diese Jugendlichen „rüber“ <strong>in</strong> die<br />

Realität <strong>der</strong> Arbeitswelt?•. Außerdem brauchen wir e<strong>in</strong>e<br />

kont<strong>in</strong>uierliche, <strong>in</strong>dividuelle Begleitung und Betreuung<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen.<br />

Hier ist mir e<strong>in</strong>es ganz beson<strong>der</strong>s wichtig: Ich b<strong>in</strong><br />

nicht grundsätzlich gegen Modellför<strong>der</strong>ung, wenn es<br />

um <strong>in</strong>novative Entwicklungen geht. Aber <strong>in</strong> diesem<br />

Feld haben wir doch seit Jahren ke<strong>in</strong> Erkenntnisproblem<br />

mehr. Wir haben e<strong>in</strong> Entscheidungs- und<br />

Umsetzungsproblem, weil sich die unterschiedlichen<br />

fö<strong>der</strong>alen Ebenen und Akteure blockieren. Wir wissen<br />

doch, was funktioniert. Und wenn wir wissen,<br />

dass die kont<strong>in</strong>uierliche, <strong>in</strong>dividuelle Begleitung und<br />

Betreuung <strong>der</strong> Jugendlichen so wichtig ist, dann muss<br />

man auch – und das tue ich ganz beson<strong>der</strong>s – auf die<br />

Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Menschen, <strong>der</strong> Fachkräfte, die<br />

mit diesen jungen Menschen arbeiten, h<strong>in</strong>weisen. Man<br />

muss sie stabilisieren und man muss sie aufwerten.<br />

Und es macht auch ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, Projekte aufzubauen,<br />

dann abzuwickeln und nach sechs bis neun Monaten e<strong>in</strong><br />

Folgeprojekt, das aber auf alle Fälle an<strong>der</strong>s heißen muss,<br />

neu aufzulegen. Zwischenzeitlich geht das Fachwissen<br />

verloren, wenn sich ke<strong>in</strong> Landrat f<strong>in</strong>det, <strong>der</strong> aus se<strong>in</strong>er<br />

Geheimschatulle die Leute f<strong>in</strong>anziert. Und dann fängt das<br />

Ganze wie<strong>der</strong> von vorne an. Das macht doch ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n.<br />

Bei allen Konzepten, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit vorgelegt<br />

wurden, hieß es immer wie<strong>der</strong>: Ihr müsst schön<br />

koord<strong>in</strong>ieren und kooperieren und zusammenarbeiten.<br />

Baut Netzwerke auf – das ganze semantische Brimborium.<br />

Letztlich müssen wir am Ende die Frage beantworten:<br />

Wer hat den Hut auf? Wie schaffen Sie es, verlässliche,<br />

nachhaltige Strukturen jenseits Ihres Programms,<br />

Ihrer Anstöße, <strong>in</strong> die Fläche zu br<strong>in</strong>gen und das dann<br />

auch noch nachhaltig auszugestalten?<br />

Ich habe darüber sehr lange nachgedacht. Ich f<strong>in</strong>de<br />

ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Lösung – und auch Ihr Programm hat<br />

das wie<strong>der</strong> deutlich gemacht – als dass die kommunale<br />

Ebene verantwortlich se<strong>in</strong> muss! Daran führt ke<strong>in</strong><br />

Weg vorbei. Warum sage und betone ich das? Denn die<br />

Bundesagentur für Arbeit agiert <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> nach dem<br />

Motto: ‚Wir übernehmen den gesamten Übergangsbereich,<br />

das machen wir als Bundesagentur für Arbeit’.<br />

Und da sage ich: Ne<strong>in</strong>, das funktioniert nicht! Nicht,<br />

weil ich per se was gegen die Bundesagentur hätte.<br />

Aber dieser Übergangsbereich mit se<strong>in</strong>en schwierigen<br />

Jugendlichen funktioniert nur, wenn dort starke Elemente<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe <strong>in</strong>tegriert werden. Das muss vor<br />

Ort gemacht werden. Die Bundesagentur hat sehr viele<br />

wichtige Kompetenzen <strong>in</strong> ihrem Profil, die die Jugendhilfe<br />

nicht hat. Also muss man sie zusammenfassen.<br />

Wir brauchen e<strong>in</strong>en Ort, e<strong>in</strong>en „Heimathafen“, für die<br />

gepoolten Kompetenzen. An<strong>der</strong>s gesagt: Wir brauchen<br />

die Option, dass die Akteure e<strong>in</strong>es nachhaltig ausgestalteten<br />

Übergangssystems e<strong>in</strong>e eigenständige Identität<br />

ausdifferenzieren können und dies auch dürfen.<br />

Ich habe diesen Ort mit dem Arbeitsbegriff „Jugendagenturen“<br />

belegt. Sie können das nennen, wie Sie wollen.


Stefan Sell<br />

19<br />

Mit geht es darum, die <strong>in</strong> diesem Bereich zuständigen<br />

Institutionen und Personen unter e<strong>in</strong>em Dach zusammenzufassen.<br />

Wirklich Durchschlagskraft würde so e<strong>in</strong><br />

„Unter-e<strong>in</strong>em-Dach-Arbeiten“ aber erst dann haben,<br />

wenn wir es mit e<strong>in</strong>er Fondsf<strong>in</strong>anzierung verb<strong>in</strong>den<br />

können. Wenn die Leute vor Ort wirklich entscheiden<br />

könnten, ob sie zum Beispiel ihr Geld <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle<br />

Begleitung mit zwei Sozialarbeitern für e<strong>in</strong>en<br />

Jugendlichen stecken wollen. O<strong>der</strong> es wird entschieden,<br />

Lohnkostenzuschüsse an Betriebe zu verteilen. Die<br />

Entscheidung kann und muss wahrsche<strong>in</strong>lich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Eifel e<strong>in</strong>e ganz an<strong>der</strong>e se<strong>in</strong> als <strong>in</strong> München. Um nach<br />

den Gegebenheiten und Notwendigkeiten entscheiden<br />

zu können, braucht man e<strong>in</strong>e Fondsf<strong>in</strong>anzierung vor<br />

Ort. Das heißt, man muss die F<strong>in</strong>anzmittel aus den<br />

unterschiedlichen Strängen, aus dem SGB III, aus dem<br />

SGB II, aus dem SGB VIII und aus an<strong>der</strong>en Quellen,<br />

„poolen“. Man muss die F<strong>in</strong>anzmittel freier verfügbar<br />

machen. Das wäre alles möglich, wenn man das wollte.<br />

Aber Sie wissen natürlich, woran es scheitert: Weil sich<br />

jede Institution über ihre Hoheit, über ihre Haushaltsmittel<br />

und über die Verwendung <strong>der</strong> Haushaltsmittel<br />

def<strong>in</strong>iert. Haushaltsmittel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Pool abzugeben, tut<br />

weh und ist sicherlich erst e<strong>in</strong>mal mehr als schwierig.<br />

Aber auch die Schulgesetze <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> müssten<br />

geän<strong>der</strong>t werden. Wenn <strong>der</strong> Schulbereich nicht verpflichtend<br />

<strong>in</strong> dieses Konzept e<strong>in</strong>gebunden wird, würde<br />

die Effektivität leiden. In die SGBs, aber auch <strong>in</strong> die<br />

Schulgesetze, müssten verb<strong>in</strong>dliche Kooperationsnormierungen<br />

aufgenommen werden. Wenn man schon<br />

ke<strong>in</strong>e Revolution anzettelt, dann muss man wenigstens<br />

verb<strong>in</strong>dliche Kooperationsnormierungen <strong>in</strong> die Gesetze<br />

e<strong>in</strong>bauen – mit politischem Willen könnte man das<br />

tun. Das ist me<strong>in</strong> Vorschlag: Wir brauchen wie auch<br />

immer genannte Agenturen mit gepoolten Fonds auf<br />

kommunaler Ebene.<br />

Jetzt komme ich def<strong>in</strong>itiv zum Schluss. Ich will<br />

me<strong>in</strong>em Auftraggeber für diesen Vortrag doch noch<br />

gerecht werden und etwas zur Fachkräftesicherung<br />

sagen. Ich habe daher e<strong>in</strong> ganz praktisches Beispiel<br />

gefunden, das ich fasz<strong>in</strong>ierend f<strong>in</strong>de: Der Ansatz e<strong>in</strong>er<br />

„Verbetrieblichung“ – „rüber“ und „re<strong>in</strong>“ <strong>in</strong> den ersten<br />

Arbeitsmarkt – zeigt, dass es ganz viele Andockstellen<br />

gibt. Aus dem Universum an Beispielen habe ich<br />

Ihnen e<strong>in</strong>s mitgebracht, an dem auch deutlich wird,<br />

welche volkswirtschaftliche Bedeutung unser Handeln<br />

hier <strong>in</strong> diesem Bereich haben könnte. Ich beziehe


20 Stefan Sell<br />

mich auf das Beispiel <strong>der</strong> LKW-Fahrer: Wir steuern<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Logistikbranche auf e<strong>in</strong>en gewaltigen Mangel<br />

an Fahrern zu. Hierzu nur e<strong>in</strong>ige Daten: Wir haben<br />

aktuell bei LKW-Fahrern e<strong>in</strong> Durchschnittsalter von<br />

45 Jahren. Von den <strong>der</strong>zeit 785.000 hauptberuflichen<br />

LKW-Fahrern gehen <strong>in</strong> den kommenden 15 Jahren<br />

290.000 <strong>in</strong> den Ruhestand. Jetzt gibt es bei den Logistikern<br />

die Befürchtung, dass 20.000 Fahrersitze aufgrund<br />

von Nachwuchsmangel jährlich unbesetzt bleiben<br />

werden. Was das für unsere Volkswirtschaft bedeutet,<br />

können Sie sich gar nicht vorstellen. Überlegen Sie mal,<br />

die gesamte Automobil<strong>in</strong>dustrie basiert heute auf dem<br />

„Just <strong>in</strong> time“-Pr<strong>in</strong>zip. Die haben ke<strong>in</strong>e Lager mehr,<br />

alles ist auf <strong>der</strong> Straße. Die Fachkräftemangelberechnungen<br />

sagen uns, dass wir pro Jahr m<strong>in</strong>destens 25.000<br />

Nachwuchsfahrer bräuchten, um den Bedarf decken<br />

zu können. Das Problem ist: Derzeit kommen pro Jahr<br />

nur 3.000 junge Menschen über die Erstausbildung<br />

<strong>in</strong> den Beruf h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, plus 10.000 bis 15.000 Seitene<strong>in</strong>steiger.<br />

Das wären dann zum Beispiel Leute über die<br />

Nachqualifizierungsschiene. Wir haben also beide<br />

Zielgruppen <strong>in</strong> diesem Bereich. Im Übergang jüngere<br />

Leute sowie lebensältere Menschen als Nachzuqualifizierende<br />

bzw. als Seitene<strong>in</strong>steiger. Das s<strong>in</strong>d, wenn Sie<br />

zusammenrechnen, aber immer noch viel zu wenig.<br />

Und die Situation verschärft sich dramatisch, weil <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Vergangenheit <strong>der</strong> größte staatlich subventionierte<br />

Lieferant von LKW-Fahrern die Bundeswehr war. Pro<br />

Jahr haben nämlich 15.000 Wehrpflichtige ihren LKW-<br />

Führersche<strong>in</strong> bei <strong>der</strong> Bundeswehr gemacht und viele<br />

s<strong>in</strong>d dann mit diesem LKW-Führersche<strong>in</strong> zur Spedition<br />

gekommen. Die Speditionen haben immer auf die<br />

ehemaligen Wehrpflichtigen gesetzt. Viele Speditionen<br />

s<strong>in</strong>d kle<strong>in</strong>betrieblich, die können nicht e<strong>in</strong>fach mal<br />

zehn LKW-Fahrerausbildungen auf Verdacht f<strong>in</strong>anzieren.<br />

Das ist doch e<strong>in</strong> wun<strong>der</strong>bares Beispiel. Vielen<br />

Leuten aus <strong>der</strong> Zielgruppe des Programms könnte<br />

man e<strong>in</strong>e Arbeitsplatzperspektive bieten. Wenn man<br />

regionale Verbundsysteme aufbauen und sagen würde:<br />

‚Wir helfen euch, Nachwuchs zu f<strong>in</strong>den, wir stecken<br />

auch öffentliche Mittel re<strong>in</strong>, allerd<strong>in</strong>gs nur, wenn am<br />

Ende <strong>der</strong> Abschluss zum Berufskraftfahrer steht’. Und<br />

wenn die Speditionen zu kle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d, dann müssen sie<br />

sich zusammenschließen zu Verbundsystemen für e<strong>in</strong>e<br />

Verbundausbildung. Die kann man dann för<strong>der</strong>n und<br />

unterstützen.<br />

Also, wenn Mittel fließen sollen, dann ist e<strong>in</strong>e<br />

Abschlussorientierung erfor<strong>der</strong>lich, e<strong>in</strong>e Ausbildung,<br />

die zu e<strong>in</strong>em vernünftigen Berufsabschluss führt. Das<br />

wäre e<strong>in</strong>e W<strong>in</strong>-W<strong>in</strong>-Situation. Und davon brauchen<br />

wir noch viel mehr. Das geht aber nicht über Modellprojekte,<br />

son<strong>der</strong>n letztendlich nur über e<strong>in</strong>e auf Dauer<br />

angelegte und verb<strong>in</strong>dliche Struktur des Kümmerns<br />

vor Ort. Wenn die beiden Programme, <strong>der</strong>en För<strong>der</strong>ung<br />

jetzt ausläuft, hierzu beigetragen haben mit weiterer<br />

Expertise, dann ist das zwar gut, aber die eigentliche<br />

Aufgabe fängt jetzt erst an. Nochmal: Wir haben ke<strong>in</strong><br />

Erkenntnisproblem, son<strong>der</strong>n ganz offensichtlich e<strong>in</strong><br />

Umsetzungsproblem.


Podiumsdiskussion I<br />

21<br />

„Regionales Übergangsmanagement“ (RÜM) als<br />

bildungspolitische Koord<strong>in</strong>ierungsstrategie<br />

Podiumsdiskussion I<br />

V. l. n. r.: Re<strong>in</strong>hard Goldbach, Siegfried Lieske, Dietmar L<strong>in</strong>ne, Dörte He<strong>in</strong>rich, Dr. Matthias Schulze-Bö<strong>in</strong>g im Gespräch mit <strong>der</strong><br />

Mo<strong>der</strong>ator<strong>in</strong> Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann<br />

Projektverantwortliche und <strong>der</strong>en regionale<br />

Netzwerkpartner diskutieren Kriterien und Bed<strong>in</strong>gungen,<br />

die zum Gel<strong>in</strong>gen regionalen Bildungsmanagements<br />

beitragen:<br />

Re<strong>in</strong>hard Goldbach, stellv. Leiter des Fachbereichs<br />

„Jugend und Soziales“ <strong>der</strong> Stadt Hagen<br />

Dörte He<strong>in</strong>rich, Fachgebietsleiter<strong>in</strong> „Jugend“<br />

beim Landkreis Vorpommern-Rügen<br />

Siegfried Lieske, Stadtrat und Leiter des Dezernats<br />

„Jugend, Schule und Ordnung“ <strong>der</strong> Stadt Gött<strong>in</strong>gen<br />

Dietmar L<strong>in</strong>ne, Vorstand <strong>der</strong> Beschäftigungsför<strong>der</strong>ung<br />

Gött<strong>in</strong>gen kAöR<br />

Dr. Matthias Schulze-Bö<strong>in</strong>g, Leiter des Amtes für<br />

Arbeitsför<strong>der</strong>ung, Statistik und Integration <strong>der</strong> Stadt<br />

Offenbach am Ma<strong>in</strong><br />

Mo<strong>der</strong>ation: Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, Bildungsjournalist<strong>in</strong><br />

Zur E<strong>in</strong>stimmung auf das „Regionale Übergangsmanagement“<br />

wurde e<strong>in</strong> ca. fünf-m<strong>in</strong>ütiger Film gezeigt,<br />

mit dem am Beispiel des Landkreises Mittelsachsen<br />

die Arbeit und die möglichen Handlungsfel<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es<br />

Projekts veranschaulicht wurden.<br />

Der Film ist abrufbar auf <strong>der</strong> Programmhomepage<br />

www.perspektive-berufsabschluss.de.


22<br />

Podiumsdiskussion I<br />

Gel<strong>in</strong>gensbed<strong>in</strong>gungen des „Regionalen<br />

Übergangsmanagements“<br />

Mit den Teilnehmenden dieser Podiumsdiskussion<br />

sollte e<strong>in</strong>e Art Resümee zu den durch die Projektarbeit<br />

erzielten Ergebnissen, beziehungsweise zu den erwirkten<br />

o<strong>der</strong> angestoßenen Verän<strong>der</strong>ungsprozessen <strong>in</strong> den<br />

Regionen erörtert werden. Schnell wurde deutlich, wie<br />

unerlässlich die Verb<strong>in</strong>dlichkeit für die Kooperation <strong>in</strong><br />

den Netzwerken war und weiterh<strong>in</strong> ist. Kooperationsvere<strong>in</strong>barungen<br />

s<strong>in</strong>d dafür e<strong>in</strong> gutes Instrument. Für<br />

die Durchsetzungsfähigkeit ist es aber vor allem von<br />

Bedeutung, dass Entscheidungsträger aus <strong>der</strong> Verwaltung<br />

an den Runden Tischen von Begleitausschüssen<br />

und Steuerungskreisen sitzen. Denn, so erklärte Dörte<br />

He<strong>in</strong>rich, es werde e<strong>in</strong> Begleitausschuss gebraucht,<br />

„<strong>der</strong> das Programm auf ämterverzahnen<strong>der</strong> Ebene<br />

auch forciert“ und aus Personen besteht, die sagen<br />

können: „Genau so ist die Strategie, so machen wir<br />

das“. Wie richtig es war, durch die Programmstrategie<br />

von „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“ die RÜM-Projekte<br />

möglichst auf <strong>der</strong> oberen Ebene <strong>der</strong> kommunalen<br />

Verwaltung ansiedeln zu lassen, ist e<strong>in</strong>e Erfahrung, die<br />

von allen Beteiligten bestätigt werden konnte. „Ohne<br />

Dezernenten und Oberbürgermeister kann e<strong>in</strong> RÜM<br />

e<strong>in</strong>fach nicht funktionieren“, erklärte Dietmar L<strong>in</strong>ne.<br />

Auch Dörte He<strong>in</strong>rich ergänzte dazu, wie wichtig es sei,<br />

dass „<strong>der</strong> Landkreis uns immer wie<strong>der</strong> Rückenstärkung<br />

gibt, also den verwaltungspolitischen Auftrag gegeben<br />

hat, und wir im Auftrag des Kreistags agieren“.<br />

Handlungsfel<strong>der</strong> regionaler Projektarbeit<br />

Dennoch verlief die Projektarbeit <strong>in</strong> den Regionen ganz<br />

unterschiedlich. Siegfried Lieske wies darauf h<strong>in</strong>, dass<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Universitätsstadt Gött<strong>in</strong>gen zwei Drittel e<strong>in</strong>es<br />

Jahrgangs das Abitur machen, 80 Prozent aller Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler haben m<strong>in</strong>destens den Realschulabschluss.<br />

Die Ausbildungsquote direkt im Übergang<br />

liegt nur bei sieben Prozent. Dass <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong>er, die<br />

e<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en För<strong>der</strong>ung bedürfen, also eher kle<strong>in</strong><br />

ist, gab dem RÜM <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen die Möglichkeit, die<br />

zielgruppenorientierte Elternarbeit und die Schulverweigerer<br />

stärker <strong>in</strong> den Blick zu nehmen. Durch gute<br />

Abstimmungen und effektives Interagieren – auch mit<br />

an<strong>der</strong>en För<strong>der</strong>programmen und Maßnahmen – ist es<br />

möglich geworden, zum Beispiel <strong>in</strong> Kooperation<br />

mit <strong>der</strong> Türkisch Islamischen Union <strong>der</strong> Anstalt für<br />

Religion e. V. (DiTiB-Geme<strong>in</strong>de), für türkische Eltern<br />

Berufsberatung anzubieten und mit Eltern mit e<strong>in</strong>em<br />

Migrationsh<strong>in</strong>tergrund <strong>in</strong> Betriebe zu gehen und<br />

Werbung für die duale Ausbildung mit ihren Aufstiegschancen<br />

zu machen. Schulverweigerer werden durch<br />

e<strong>in</strong>e Art Produktionsschule, e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation aus<br />

Werkstatt und Regelschule mit zusätzlichen Pädagogen<br />

für <strong>in</strong>dividuelle Begleitung, zu 80 Prozent zu e<strong>in</strong>em guten<br />

Schulabschluss geführt. Dietmar L<strong>in</strong>ne sieht zwar,<br />

dass auch die positive Konjunkturentwicklung und <strong>der</strong><br />

damit e<strong>in</strong>her gehende Rückgang <strong>der</strong> Arbeitslosenquote<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Region e<strong>in</strong>e Rolle gespielt haben, doch zog er die<br />

Bilanz, „vieles (habe sich) auch gedrittelt <strong>in</strong> <strong>der</strong> RÜM-<br />

Zeit“. Die Quote <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler ohne<br />

Schulabschluss liege nun bei ungefähr zwei Prozent.<br />

Für den Übergang von <strong>der</strong> Schule <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Ausbildung<br />

spielen auch die Betriebe e<strong>in</strong>e entscheidende<br />

Rolle. An <strong>der</strong> Ausbildungsmesse im Ennepe-Ruhr-Kreis<br />

werden <strong>in</strong> diesem Jahr über 100 Unternehmen teilnehmen<br />

und ihre Ausbildungsplätze anbieten. Auch dafür<br />

ist e<strong>in</strong>e gute Netzwerkarbeit unerlässlich. „Wir sitzen<br />

mit Kammern, Arbeitsagenturen und den an<strong>der</strong>en<br />

Akteuren <strong>in</strong> den unterschiedlichen Gremien häufig<br />

zusammen (…), es ist ja e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaftsproduktion<br />

(und) ke<strong>in</strong> Zufallsprodukt, dass es dann auch erfolgreich<br />

ist (…), son<strong>der</strong>n hat mit den Aktivitäten, die auch<br />

durch RÜM <strong>in</strong>itiiert worden s<strong>in</strong>d, sehr viel zu tun“, so<br />

Re<strong>in</strong>hard Goldbach. Auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt Offenbach sieht<br />

man großes Potenzial, um <strong>in</strong> dem sehr dynamischen<br />

Wirtschaftsraum mit e<strong>in</strong>er hohen Bevölkerungsfluktuation,<br />

e<strong>in</strong>er hohen Zuwan<strong>der</strong>ung und e<strong>in</strong>em Migrantenanteil<br />

von ca. 48 Prozent die Talentreserven <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Region zu mobilisieren. „Das ist genau <strong>der</strong> Punkt, an<br />

dem wir auch mit RÜM angesetzt haben“, so Matthias<br />

Schulze-Bö<strong>in</strong>g. Wir haben geme<strong>in</strong>sam mit den Institutionen<br />

<strong>der</strong> Wirtschaft, den Kammern, dem Handwerk,<br />

<strong>der</strong> Arbeitsagentur, den Kommunen, Stadt und Kreis<br />

(…) e<strong>in</strong>e regionale Plattform mit Standards <strong>der</strong> Ausbildungsstellenvermittlung<br />

geschaffen.“ So sei es möglich<br />

geworden, verb<strong>in</strong>dlich festzulegen, wie Ausbildungsvermittlung<br />

aus Sicht <strong>der</strong> Betriebe optimiert werden<br />

kann. Dieses Modell sei <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> ganz Hessen


Podiumsdiskussion I<br />

23<br />

Re<strong>in</strong>hard Goldbach Siegfried Lieske Dietmar L<strong>in</strong>ne Dörte He<strong>in</strong>rich Dr. Matthias Schulze-Bö<strong>in</strong>g<br />

etabliert worden und habe sich „sehr gut bewährt als<br />

Plattform für e<strong>in</strong>e sehr enge Zusammenarbeit <strong>der</strong><br />

verschiedensten Akteure <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschaft und im<br />

Arbeitsmarkt“.<br />

Durch die Kreisgebietsreform nach Beg<strong>in</strong>n des<br />

RÜM-Projektes wurde <strong>der</strong> Landkreis Vorpommern/<br />

Rügen vor beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ungen gestellt. In<br />

enger Kooperation mit e<strong>in</strong>em Projekt des Modellprogramms<br />

„Aktiv <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region“ aus <strong>der</strong> BMFSFJ<br />

Initiative JUGEND STÄRKEN wurde e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer<br />

Begleitausschuss <strong>in</strong>itiiert, <strong>in</strong> dem rechtskreisübergreifend<br />

das Staatliche Schulamt, die Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung<br />

des Landkreises, die Kreishandwerkerschaft und an<strong>der</strong>e<br />

Institutionen beteiligt s<strong>in</strong>d. So wurde es möglich, transparent<br />

die notwendigen Aktivitäten <strong>der</strong> Projektarbeit<br />

abzustimmen und aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu beziehen. Durch e<strong>in</strong>e<br />

über das RÜM-Projekt erfolgte Bestandsaufnahme zu<br />

den Maßnahmen am Übergang Schule-Beruf konnte<br />

nachgewiesen werden, dass <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region <strong>in</strong>sgesamt<br />

rund 780 Maßnahmen an 30 Schulen angeboten<br />

wurden – e<strong>in</strong> unübersichtlicher Maßnahmedschungel,<br />

<strong>der</strong> alle überfor<strong>der</strong>t. „Selbst die Schulen haben sich<br />

nach dieser Befragung an uns gewandt und e<strong>in</strong> klares<br />

Signal gegeben: Wir brauchen Hilfe, wir kommen hier<br />

auch nicht mehr klar“, so beschreibt Dörte He<strong>in</strong>rich<br />

die Reaktionen. Durch die Projektarbeit ist es möglich<br />

geworden, den Handlungsbedarf aufzuweisen,<br />

e<strong>in</strong> Handlungskonzept abzustimmen und auch mit<br />

<strong>der</strong> Wirtschaft und den Unternehmerverbänden e<strong>in</strong>e<br />

Gesamtstrategie für die Region zu entwickeln, die auch<br />

dem Fachkräftemangel dieses großen Flächenkreises<br />

entgegenwirkt. Die Angebote sollen nach Qualitätskriterien<br />

ausgewählt und gebündelt werden, um sie<br />

hilfreich und weiterführend sowohl dem Bedarf <strong>der</strong><br />

Jugendlichen als auch den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Unternehmen<br />

des Landkreises anzupassen.<br />

Was RÜM bewirken konnte<br />

Auf die Frage von Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, <strong>in</strong>wieweit die<br />

Kommunen von den durch RÜM geschaffenen Strukturen<br />

profitieren, antwortete Re<strong>in</strong>hard Goldbach: „Es ist uns<br />

gelungen, e<strong>in</strong>en Trägerverbund <strong>in</strong>s Leben zu rufen, wo<br />

alle Maßnahmenträger sich zusammengeschlossen haben<br />

und geme<strong>in</strong>sam bestimmte Projekte bearbeiten. Das ist<br />

e<strong>in</strong> Erfolg, das hätten wir ohne RÜM nicht geschafft“.<br />

Ganz entscheidend sei gewesen, dass durch die Arbeit des<br />

Projektes <strong>der</strong> Übergang Schule-Beruf e<strong>in</strong> ständiges Thema<br />

<strong>in</strong> den Verwaltungen und auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Politik geworden<br />

sei – und zwar durch alle Fachbereiche h<strong>in</strong>durch. Die<br />

schon von Dietmar L<strong>in</strong>ne für Gött<strong>in</strong>gen genannte ger<strong>in</strong>ge<br />

Schulabbrecherquote und die für die Region relativ ger<strong>in</strong>ge<br />

Jugendarbeitslosigkeit zeige Wirkungen auf. „Das s<strong>in</strong>d<br />

ganz konkrete Erfolge des RÜM, die man, f<strong>in</strong>de ich, ruhig<br />

mal so nennen darf“, so Siegfried Lieske.


24<br />

Podiumsdiskussion I<br />

Wie sehr RÜM dazu beigetragen hat, dass nicht nur<br />

<strong>der</strong> politische Impuls gegeben wurde, son<strong>der</strong>n auch die<br />

nachhaltige und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen<br />

den Institutionen mit ihren unterschiedlichen<br />

„Philosophien“ und manchmal auch unterschiedlichen<br />

Interessen gestärkt wurde, machte Matthias Schulze-<br />

Bö<strong>in</strong>g aus kommunaler Sicht an „drei Elementen“<br />

fest: durch die stärkere Verankerung <strong>in</strong> den Schulen,<br />

„e<strong>in</strong>fach, weil wir auch den Schulen wirklich Mehrwert<br />

br<strong>in</strong>gen konnten“. Des Weiteren durch die von RÜM<br />

erarbeiteten und zum Teil auch produzierten Produkte.<br />

Diese waren für die Schulen unmittelbar nützlich.<br />

So konnten Arbeitsbeziehungen aufgebaut werden.<br />

Durch die Abstimmungsprozesse <strong>der</strong> Akteure konnten<br />

die Rechtskreisdifferenzierungen nach dem SGB II,<br />

III und VIII e<strong>in</strong> Stück weit überwunden werden nach<br />

dem Motto: „Okay, lasst uns das mal beiseite setzen, wir<br />

haben e<strong>in</strong> Problem und müssen das lösen.“ Als drittes<br />

Element war das Bemühen im Übergangssystem, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Vermittlung im Jobcenter, aber auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Berufsberatung<br />

mehr aus e<strong>in</strong>er Hand und damit effektiver zu<br />

gestalten, von nachhaltiger Bedeutung.<br />

In Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen wird <strong>der</strong> Ausbildungskonsens<br />

jetzt nach Ablauf des Projekts schrittweise<br />

flächendeckend umgesetzt. Für Re<strong>in</strong>hard Goldbach<br />

e<strong>in</strong> Grund zur Freude, denn „das, was aufgebaut<br />

worden ist, kann <strong>in</strong> das neue System überführt und<br />

dort entsprechend weiterentwickelt werden“. Da das<br />

RÜM-Projekt schon die Unterstützung <strong>der</strong> Verwaltungsspitze<br />

hatte, kann daran angeknüpft werden. So<br />

lassen sich die durch RÜM gestärkten Kooperationen<br />

<strong>der</strong> regionalen Netzwerkarbeit für die Stadt Hagen und<br />

den Ennepe-Ruhr-Kreis nachhaltig fortführen, um den<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen des neuen Programms mit den<br />

Inhalten Potenzialanalyse und Berufsfel<strong>der</strong>kundungen<br />

wirkungsvoll zu begegnen. Auch <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen ist durch<br />

RÜM, aber auch durch die Schulaufsicht e<strong>in</strong>e „Gruppendynamik“<br />

entstanden, <strong>der</strong> man sich kaum noch<br />

entziehen könne. In Kooperation mit Arbeitsagentur,<br />

Schule o<strong>der</strong> Schulaufsicht und mit den zuständigen<br />

Berater<strong>in</strong>nen und Beratern wurde die Erarbeitung von<br />

Standards zur Berufsorientierung für alle Schulen im<br />

Stadt- und Landkreis auf den Weg gebracht.<br />

Kle<strong>in</strong>es Fazit<br />

In <strong>der</strong> Abschlussrunde wurden noch e<strong>in</strong>mal drei zentrale<br />

Partner herausgestellt und betont, wie wichtig es sei,<br />

erstens die Schulen wirklich <strong>in</strong>s Boot zu holen und stabile<br />

Arbeitsbeziehungen zwischen Kommune und Schule,<br />

aber auch zwischen den an<strong>der</strong>en Akteuren wie Jobcenter,<br />

Arbeitsagenturen, Kammern, Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung zu<br />

etablieren. Wichtig sei aber zweitens auch, die Zivilgesellschaft<br />

zu <strong>in</strong>volvieren, zum Beispiel die Migrantenorganisationen<br />

sowie Geme<strong>in</strong>den und Stadtteil<strong>in</strong>itiativen zu<br />

beteiligen und ihre Hilfsbereitschaft und das Engagement<br />

zu nutzen. Drittens müsse die Wirtschaft von Anfang an<br />

als Partner im Übergang Schule-Beruf gewonnen werden.<br />

„Also <strong>in</strong>sofern wir Schule, Zivilgesellschaft, Wirtschaft <strong>in</strong>volvieren,<br />

dann kann man als Kommune nichts verkehrt<br />

machen“, lautete das für alle abschließende Resümee von<br />

Matthias Schulze-Bö<strong>in</strong>g.<br />

Projektverantwortliche und <strong>der</strong>en regionale Netzwerkpartner<br />

diskutieren Kriterien und Bed<strong>in</strong>gungen, die zum Gel<strong>in</strong>gen regionalen<br />

Bildungsmanagements beitragen.


Podiumsdiskussion II<br />

25<br />

„Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung“<br />

als Erfolgsstrategie zur Fachkräftesicherung<br />

Podiumsdiskussion II<br />

V. l. n. r. T<strong>in</strong>a Bickel, Carla Mattern, Yves Wulff, Mo<strong>der</strong>ation Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, Susanne Neumann, Kar<strong>in</strong> Mauz, Achim Dudde<br />

Teilnehmende an Nachqualifizierungen und Projektverantwortliche<br />

kommentieren Beispiele guter<br />

Praxis und die (strukturellen) Voraussetzungen<br />

ihres Erfolgs:<br />

Susanne Neumann, Leiter<strong>in</strong> des Projekts „leap“,<br />

zukunft im zentrum GmbH, Berl<strong>in</strong><br />

Kar<strong>in</strong> Mauz, Geschäftsführer<strong>in</strong> „hotel johann“, Berl<strong>in</strong><br />

Achim Dudde, Nachzuqualifizieren<strong>der</strong><br />

„Hotelfachmann“<br />

Yves Wulff, Nachzuqualifizieren<strong>der</strong><br />

„Elektroanlagenmonteur“<br />

T<strong>in</strong>a Bickel, Leitungsteam <strong>der</strong> „Servicestelle Nachqualifizierung<br />

Altenpflege für Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz“, INBAS<br />

GmbH, Offenbach<br />

Carla Mattern, Nachzuqualifizierende<br />

„Altenpfleger<strong>in</strong>“<br />

Mo<strong>der</strong>ation: Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, Bildungsjournalist<strong>in</strong><br />

In e<strong>in</strong>em ca. fünf-m<strong>in</strong>ütigen Film wurde am Beispiel <strong>der</strong><br />

Umsetzung von „Abschlussorientierter modularer Nachqualifizierung“<br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> gezeigt, welche Handlungsfel<strong>der</strong><br />

bearbeitet werden müssen und was zum Gel<strong>in</strong>gen<br />

erfolgreicher Nachqualifizierung beiträgt. Neben <strong>der</strong><br />

Leiter<strong>in</strong> des Projekts „leap“, Susanne Neumann, kamen<br />

Nachzuqualifizierende, Vertreter<strong>in</strong>nen bzw. Vertreter<br />

von Unternehmen, von Bildungsdienstleistern und <strong>der</strong><br />

kommunalen Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung sowie des Bundesm<strong>in</strong>isteriums<br />

für Bildung und Forschung zu Wort.<br />

Der Film ist abrufbar auf <strong>der</strong> Programmhomepage<br />

www.perspektive-berufsabschluss.de.


26<br />

Podiumsdiskussion II<br />

Stabile Basis s<strong>in</strong>d die regionalen bzw. branchenbezogenen<br />

Netzwerke <strong>der</strong> Akteure<br />

Susanne Neumann<br />

Handlungsfel<strong>der</strong> erfolgreicher Nachqualifizierung<br />

Mit den Teilnehmenden an <strong>der</strong> Podiumsdiskussion<br />

wurde erörtert, welche Fragen bearbeitet und welche<br />

Aspekte beachtet werden müssen, um im Zusammenwirken<br />

aller Akteure Nachqualifizierung erfolgreich<br />

zu gestalten. Susanne Neumann beschrieb Nachqualifizierung<br />

als e<strong>in</strong>en neuen, e<strong>in</strong>en weiteren Weg, um<br />

zum Berufsabschluss zu kommen. Nachqualifizierung<br />

biete <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e den Personen e<strong>in</strong>e Chance, „für die<br />

das bisherige System eben nicht geeignet war. (…) E<strong>in</strong><br />

solches Instrument brauchten wir.“ Anhand konkreter<br />

Praxisbeispiele erläuterte Susanne Neumann die für<br />

die Projektarbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachqualifizierung zentralen<br />

Handlungsfel<strong>der</strong>. Grundlage für die Implementierung<br />

nachhaltiger Kooperationsstrukturen war die Vernetzung<br />

und Beratung aller Akteure. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

mussten Service- und Beratungsangebote für die an<br />

Nachqualifizierung Interessierten bereitgestellt werden.<br />

Soweit ke<strong>in</strong>e bedarfsgerechten Nachqualifizierungsangebote<br />

vorhanden waren, wurden an die relevanten<br />

Berufsbil<strong>der</strong> orientierte Module entwickelt. Wichtig<br />

war es, dass die Umsetzung <strong>der</strong> Nachqualifizierungsangebote<br />

erwachsenengerecht und dem <strong>in</strong>dividuellen<br />

Bedarf entsprach. Auch die betrieblichen Voraussetzungen<br />

mussten bei <strong>der</strong> organisatorischen Gestaltung<br />

<strong>der</strong> Nachqualifizierung Berücksichtigung f<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>e<br />

breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit erwies sich als<br />

beson<strong>der</strong>s wichtig für den Projekterfolg. Nur über die<br />

zielgruppenbezogene Ansprache können potenzielle<br />

Teilnehmende, Unternehmen und Bildungsdienstleister<br />

mobilisiert werden.<br />

Um strukturelle Verän<strong>der</strong>ungsprozesse im Bereich<br />

<strong>der</strong> Nachqualifizierung anzustoßen, war es für die<br />

Projekte unabd<strong>in</strong>gbar, alle regional relevanten arbeitsmarkt-<br />

und bildungspolitischen Partner<strong>in</strong>nen und<br />

Partner <strong>in</strong> den Aufbau <strong>der</strong> Netzwerke e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den.<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n galt es, Vorbehalte zu überw<strong>in</strong>den. „Die<br />

mentalen Hürden abzubauen ist e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Erfolge <strong>in</strong><br />

den letzten drei Jahren, (…) nicht nur bei Unternehmen,<br />

son<strong>der</strong>n auch bei Vielen, die gedacht haben, durch<br />

Nachqualifizierung werde das duale System unterwan<strong>der</strong>t.<br />

(…) Ich glaube, durch Überzeugungsarbeit ist<br />

viel gewonnen und Vertrauen geschaffen worden“, so<br />

beschrieb Susanne Neumann die Situation. Vor allem<br />

durch Beispiele erfolgreicher Nachqualifizierungspraxis<br />

sei es gelungen, die Akteure des Arbeitsmarktes, die<br />

Vertreter<strong>in</strong>nen und Vertreter <strong>der</strong> Politik, zuständige<br />

Stellen, Bildungsdienstleister und Unternehmen bzw.<br />

<strong>der</strong>en Interessenvertretungen wie Verbände o<strong>der</strong><br />

Innungen, <strong>in</strong> stabile und aktive Netzwerke e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den.<br />

Alle<strong>in</strong> die beiden im Rahmen <strong>der</strong> ersten und<br />

zweiten För<strong>der</strong>runde <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> aktiven Projekte können<br />

Kar<strong>in</strong> Mauz


Podiumsdiskussion II<br />

27<br />

auf ca. 130 Netzwerkakteure verweisen, die aktiv die<br />

Strukturentwicklung unterstützen. Vorhandene und<br />

erprobte Kooperationsbeziehungen wurden genutzt<br />

und weiterentwickelt, Regeln wurden schriftlich vere<strong>in</strong>bart<br />

und Standards gesetzt, um Nachqualifizierung<br />

als Regelangebot <strong>in</strong> den regionalen Bildungskanon<br />

zu <strong>in</strong>tegrieren und die Weiterbildungslandschaft um<br />

dieses, für bestimmte Zielgruppen beson<strong>der</strong>s adäquate<br />

Qualifizierungs<strong>in</strong>strument, zu erweitern.<br />

lifizierungen zu ermöglichen und sie zur Erlangung<br />

e<strong>in</strong>es Berufsabschlusses zu motivieren: „Neben <strong>der</strong><br />

sozialen Verantwortung, die man als Unternehmer<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>fach hat, steckt sicherlich auch dah<strong>in</strong>ter, dass<br />

qualifizierte Mitarbeiter e<strong>in</strong>fach besser und flexibler<br />

e<strong>in</strong>setzbar s<strong>in</strong>d. Sie können e<strong>in</strong>en auch vertreten, wenn<br />

man abwesend ist.“<br />

Yves Wulff im Gespräch mit <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ator<strong>in</strong><br />

Achim Dudde<br />

Personalentwicklung und Potenzialerschließung<br />

Abschlussorientierte Nachqualifizierung war bisher<br />

als Instrument betrieblicher Personalentwicklung nur<br />

von ger<strong>in</strong>ger Bedeutung. Aufgrund <strong>der</strong> demografischen<br />

Entwicklung und den damit zusammenhängenden<br />

bereits existierenden bzw. sich abzeichnenden Fachkräfteengpässen,<br />

rücken auch die An- und Ungelernten<br />

<strong>in</strong> das Blickfeld <strong>der</strong> Personalentwickler. Verantwortliche<br />

<strong>in</strong> Unternehmen und <strong>in</strong> den Arbeitsverwaltungen<br />

bemühen sich zunehmend, die Potenziale <strong>der</strong> Menschen<br />

mit Berufserfahrung, aber ohne Abschluss, zu<br />

erschließen und sie mittels passgenauer Qualifizierung<br />

zu e<strong>in</strong>em anerkannten Berufsabschluss zu br<strong>in</strong>gen. Als<br />

Geschäftsführer<strong>in</strong> und Miteigentümer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Berl<strong>in</strong>er<br />

Hotels führte Kar<strong>in</strong> Mauz sowohl sozial-ethische als<br />

auch ökonomische Gründe für ihr Engagement an,<br />

zwei ihrer Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeiter Nachqua-<br />

Bei Teilnehmenden an Nachqualifizierungen spielt die<br />

höhere Arbeitsplatzsicherheit mit e<strong>in</strong>er abgeschlossenen<br />

Berufsausbildung e<strong>in</strong>e große Rolle. Yves Wulff,<br />

<strong>der</strong> sich zum Elektroanlagenmonteur nachqualifiziert,<br />

verwies auf die begrenzten E<strong>in</strong>satzmöglichkeiten<br />

ohne e<strong>in</strong>schlägigen Berufsabschluss <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Branche.<br />

Achim Dudde, <strong>der</strong> den Beruf Hotelfachmann anstrebt,<br />

sah auch das „Mehr an Bildung“ für sich und se<strong>in</strong>en<br />

Lebensweg als wichtig an. Bei Carla Mattern, die im Bereich<br />

Altenpflege über langjährige Berufspraxis verfügt,<br />

waren neben <strong>der</strong> persönlichen Entwicklung die Chancen,<br />

sich noch weiter beruflich qualifizieren zu können<br />

und die Möglichkeit des Aufstiegs im Unternehmen,<br />

ausschlaggebende Gründe für die Entscheidung, das<br />

Altenpflegeexamen anzustreben.<br />

Der Weg zur Nachqualifizierung führt zunächst<br />

über die Feststellung, <strong>Dokumentation</strong> und Anerken-


28<br />

Podiumsdiskussion II<br />

nung <strong>der</strong> vorhandenen Kompetenzen. Hieraus werden<br />

<strong>der</strong> Qualifizierungsbedarf und die Entwicklung e<strong>in</strong>es<br />

<strong>in</strong>dividuellen Qualifizierungsplans abgeleitet. Susanne<br />

Neumann beschrieb den Abgleich von vorhandenen<br />

Kompetenzen mit den Anfor<strong>der</strong>ungen des jeweiligen<br />

Berufsbilds. Bei festgestellten theoretischen o<strong>der</strong> fachpraktischen<br />

Kenntnislücken werde durch bedarfsorientierte<br />

Angebote das noch erfor<strong>der</strong>liche Wissen vermittelt.<br />

Die Umsetzung <strong>der</strong> entsprechenden, am Berufsbild<br />

orientierten Module erfolgt an den Lernorten Betrieb<br />

und Bildungse<strong>in</strong>richtung.<br />

Erfolgsfaktoren für die Etablierung von Nachqualifizierung<br />

<strong>in</strong> Regelstrukturen s<strong>in</strong>d, nach Me<strong>in</strong>ung von<br />

Susanne Neumann, die Bereitstellung e<strong>in</strong>es breiten<br />

und vielfältigen Angebots – sowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung<br />

als auch <strong>in</strong> Bezug auf die Nachqualifizierungsmodule.<br />

Außerdem sei die zielgruppengenaue Konzipierung <strong>der</strong><br />

Angebote ausschlaggebend für den Erfolg.<br />

Vere<strong>in</strong>barungen zwischen den Netzwerkpartnern<br />

schaffen Verb<strong>in</strong>dlichkeit, Erwartungs- und Verfahrensstabilität.<br />

In Berl<strong>in</strong> wurde das durch konkrete<br />

Vere<strong>in</strong>barungen mit <strong>der</strong> IHK, verschiedenen Innungen<br />

und e<strong>in</strong>em breiten Bildungsdienstleisternetzwerk<br />

von ca. 30 Netzwerkpartnern erreicht. Auch für an<br />

Nachqualifizierung Interessierte wurde so Klarheit<br />

und Transparenz geschaffen. Qualifizierungswilligen<br />

wurde es so möglich, sich umfassend über Anfor<strong>der</strong>ungen,<br />

För<strong>der</strong>konzepte und Angebotsstrukturen zu<br />

<strong>in</strong>formieren. „Alle kommen mit unterschiedlichen<br />

Kompetenzen. Sie starten ganz <strong>in</strong>dividuell, und es ist<br />

e<strong>in</strong>e große Herausfor<strong>der</strong>ung, sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong> bestehendes<br />

System so e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den, dass sie entsprechend des<br />

Qualifizierungsplans auch bis zur Externenprüfung<br />

geführt werden können – und das berufsbegleitend,<br />

also <strong>in</strong> Abstimmung mit dem Betrieb, <strong>in</strong> dem sie<br />

arbeiten“, so Susanne Neumann. Beson<strong>der</strong>s wichtig sei<br />

auch die Beratung zu F<strong>in</strong>anzierungsmodellen. Verlässliche<br />

F<strong>in</strong>anzierungskonzepte s<strong>in</strong>d Grundbed<strong>in</strong>gung<br />

für erfolgreiche Nachqualifizierung. In Berl<strong>in</strong> wurden<br />

verschiedene Modelle erprobt und auch beispielhaft<br />

dokumentiert: „Die F<strong>in</strong>anzierung verläuft sehr unterschiedlich.<br />

Es gibt Unternehmen, die haben gesagt, ‚wir<br />

bezahlen das selber!’. (…) An<strong>der</strong>e s<strong>in</strong>d den Weg gegangen,<br />

zum Beispiel auf WeGebAU <strong>der</strong> Agentur für Arbeit<br />

zurückzugreifen.“ Aufgabe des Netzwerkes sei es auch,<br />

so Susanne Neumann, den Nachzuqualifizierenden und<br />

den Betrieben geeignete För<strong>der</strong>wege aufzuzeigen, die<br />

den Bildungserfolg ermöglichen.<br />

Nachqualifizierung zur Fachkräfteentwicklung für<br />

die Altenpflege<br />

Der Nachqualifizierungsprozess wird <strong>in</strong> den nach BBiG<br />

und HwO geregelten Berufen mit <strong>der</strong> Externenprüfung<br />

abgeschlossen. Für schulisch orientierte Berufe gilt dies<br />

nicht, wie T<strong>in</strong>a Bickel erklärte: „Die Altenpflegeausbildung<br />

– wie auch die Krankenpflegeausbildung – wird<br />

nicht über die Handwerksordnung o<strong>der</strong> das Berufsbildungsgesetz<br />

organisiert und geregelt, son<strong>der</strong>n über<br />

e<strong>in</strong>e eigene gesetzliche Grundlage. Diese gesetzliche<br />

Regelung – das „Altenpflegegesetz“ – sieht zum Beispiel<br />

ke<strong>in</strong>e Externenprüfungen vor. (…) Die erste Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

für uns im Projekt war zu überlegen, wie wir das<br />

vorhandene Potenzial <strong>in</strong> den Pflegee<strong>in</strong>richtungen, die<br />

erfahrenen Hilfskräfte, trotzdem berufsbegleitend zu<br />

e<strong>in</strong>em Berufsabschluss führen können. Wie können die<br />

vorhandenen Kompetenzen anerkannt werden, wenn<br />

es ke<strong>in</strong>e Externenprüfungen gibt?“<br />

T<strong>in</strong>a Bickel


Podiumsdiskussion II<br />

29<br />

Teilnehmende an Nachqualifizierungen und Projektverantwortliche kommentieren Beispiele guter Praxis.<br />

Die Altenpflege hat – wie an<strong>der</strong>e Heilberufe – e<strong>in</strong>en<br />

direkten Bezug zur Gesundheit <strong>der</strong> Bevölkerung. Dieser<br />

hohe Wert, so T<strong>in</strong>a Bickel, sei auch <strong>der</strong> Grund dafür,<br />

dass die Ausbildung <strong>in</strong> diesem Beruf unter e<strong>in</strong>em beson<strong>der</strong>en<br />

Schutz stehe.<br />

Drei Projekte <strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative „Abschlussorientierte<br />

modulare Nachqualifizierung“ haben<br />

sich schwerpunktmäßig den Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

Nachqualifzierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Altenpflegebranche gestellt.<br />

Projektübergreifend wurden die Berufsbil<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

Abstimmung mit den Partner<strong>in</strong>nen und Partnern –<br />

Altenpflegee<strong>in</strong>richtungen und Altenpflegeschulen – <strong>in</strong><br />

Expertenworkshops modularisiert. Aus den typischen<br />

Tätigkeiten <strong>der</strong> Altenpflege wurde e<strong>in</strong> passgenaues<br />

Verfahren zur Kompetenzbilanzierung entwickelt und<br />

erprobt. Interessierten an<strong>der</strong>er Schule<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong><br />

Altenpflege wurden diese Instrumente zur Verfügung<br />

gestellt. Das an den Qualitätsstandards <strong>der</strong> Altenpflege<br />

orientierte Kompetenzbilanzierungsverfahren glie<strong>der</strong>t<br />

sich <strong>in</strong> drei Teile, e<strong>in</strong>en mündlichen, e<strong>in</strong>en schriftlichen<br />

und e<strong>in</strong>en praktischen Teil.<br />

Mit dem „Gesetz zur Stärkung <strong>der</strong> beruflichen<br />

Aus- und Weiterbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Altenpflege“ <strong>vom</strong><br />

März 2013 kamen Erleichterungen für Interessierte<br />

an <strong>der</strong> Nachqualifzierung, da die Möglichkeiten <strong>der</strong><br />

Anerkennung von Verkürzungstatbeständen erweitert<br />

wurden. Neu, so T<strong>in</strong>a Bickel, sei, dass Hilfskräfte, die<br />

über ausreichend Berufserfahrung verfügen, an e<strong>in</strong>er<br />

Nachqualifizierung teilnehmen dürfen – dies sei bereits<br />

vor Erlass des Gesetzes an den beiden Projektstandorten<br />

<strong>in</strong> Ludwigshafen, Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz, und Hannover,<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen schon modellhaft erprobt worden.<br />

Wichtig für den Projekterfolg ist es, die Verantwortlichen<br />

aus <strong>der</strong> Politik verb<strong>in</strong>dlich <strong>in</strong> die Entwicklungsprozesse<br />

e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den. Da die Umsetzung <strong>der</strong> Altenpflegeausbildung<br />

landesrechtlich geregelt ist, bedarf<br />

es <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong> für die Ausbildung und das<br />

Prüfungswesen zuständigen Landesm<strong>in</strong>isterien bzw.<br />

<strong>der</strong> nachgeordneten Behörden <strong>in</strong> den Bundeslän<strong>der</strong>n.<br />

T<strong>in</strong>a Bickel führte weiter aus: „Die Verantwortlichen<br />

<strong>in</strong> den Sozial- o<strong>der</strong> Bildungsm<strong>in</strong>isterien <strong>der</strong> Län<strong>der</strong><br />

müssen es zur Chefsache machen.“ Sie dürften nicht<br />

nur auf Fachkräfte aus dem Ausland hoffen, son<strong>der</strong>n<br />

müssten es auch für wichtig erachten, „das Potenzial,<br />

das wir im Inland <strong>in</strong> den eigenen E<strong>in</strong>richtungen haben,<br />

zu qualifizieren. (…) Eigentlich sollten das diejenigen<br />

se<strong>in</strong>, die zuerst qualifiziert werden.“


30 Podiumsdiskussion II<br />

Über die praktische Umsetzung von Nachqualifizierung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Altenpflege berichtete Carla Mattern.<br />

An drei Tagen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Woche nimmt sie berufsbegleitend<br />

am schulischen Unterricht teil, noch fehlende<br />

Praxiskenntnisse erwirbt sie durch praktische Schwerpunktsetzungen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> täglichen Arbeit. Insgesamt<br />

s<strong>in</strong>d so 1650 Stunden <strong>in</strong> zwei Jahren nachzuweisen.<br />

Nach ihrem Examen hat sie realistische Chancen auf<br />

e<strong>in</strong>e Karriere <strong>in</strong> <strong>der</strong> Altenpflegee<strong>in</strong>richtung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie<br />

arbeitet.<br />

„Die im Projektkontext erprobten Nachqualifizierungsmodule<br />

für die Altenpflege bieten im Zusammenhang<br />

mit den gesetzlichen Verkürzungstatbeständen<br />

die Chance, mehr Menschen diesen Berufsabschluss zu<br />

ermöglichen. Es liegt die Verantwortung dar<strong>in</strong>, Nachqualifizierung<br />

unter Beachtung <strong>der</strong> <strong>in</strong> den Projekten<br />

entwickelten qualitativen Standards durchzuführen“,<br />

schlossen T<strong>in</strong>a Bickel und Carla Mattern das Thema ab.<br />

Fazit<br />

In <strong>der</strong> Abschlussrunde wurde von Teilnehmenden herausgestellt,<br />

wie wichtig es ist, alle Menschen mit ihren<br />

Potenzialen <strong>in</strong> die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt<br />

e<strong>in</strong>zubeziehen. Un- und Angelernten müssen zweite<br />

o<strong>der</strong> dritte Chancen zum Nachholen e<strong>in</strong>es Berufsabschlusses<br />

gegeben werden, damit ihnen die soziale<br />

und berufliche Teilhabe umfassend und dauerhaft<br />

ermöglicht werde. E<strong>in</strong> Teil des Fachkräftebedarfs <strong>der</strong><br />

Wirtschaft kann gerade durch diese Menschen mit<br />

Berufs- und Lebenserfahrungen und nach erfolgreich<br />

abgeschlossener Nachqualifizierung nachhaltig gedeckt<br />

werden.<br />

Es ist den Projekten <strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative gelungen,<br />

mit <strong>der</strong> erfolgreichen Entwicklung von Angeboten<br />

und <strong>der</strong>en Umsetzung im Netzwerk die Akteure <strong>vom</strong><br />

Nutzen <strong>der</strong> Nachqualifizierung als e<strong>in</strong>em wichtigen<br />

Instrument zum Gew<strong>in</strong>nen von Fachkräften zu überzeugen.<br />

Nachqualifizierung kann für Betriebe e<strong>in</strong> Weg<br />

se<strong>in</strong>, Un- und Angelernte, die sie häufig schon über<br />

lange Jahre kennen, <strong>der</strong>en Fähigkeiten aber bisher nicht<br />

umfassend genutzt wurden, zu kompetenten Fachkräften<br />

zu entwickeln.<br />

Auf die Frage nach den wichtigsten Ergebnissen <strong>der</strong><br />

För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative „Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung“<br />

nach fünfjähriger Laufzeit, führten T<strong>in</strong>a<br />

Bickel und Susanne Neumann folgende Erfolge <strong>der</strong><br />

Projektarbeit an: Aufbau stabiler, aktiver Netzwerke, die<br />

Entwicklung von modularen Nachqualifizierungsangeboten<br />

für über 150 Berufe, die Angebotserfassung <strong>in</strong><br />

Katalogen und Datenbanken und die Vere<strong>in</strong>heitlichung<br />

<strong>der</strong> Zulassungsverfahren zur Externenprüfung durch<br />

z. B. Empfehlungen <strong>der</strong> zuständigen Stellen. Die Projektergebnisse<br />

werden nachwirken, Strukturen werden<br />

sich verstetigen und erfolgreiche Konzepte werden <strong>in</strong><br />

an<strong>der</strong>e Regionen transferiert werden, so die Me<strong>in</strong>ung<br />

<strong>der</strong> beiden Projektleiter<strong>in</strong>nen.<br />

Alle Nachzuqualifizierenden, die an <strong>der</strong> Diskussionsrunde<br />

teilnahmen, Achim Dudde, Yves Wulff und<br />

Carla Mattern, waren sich e<strong>in</strong>ig, dass es richtig und<br />

wichtig war, die Chance <strong>der</strong> Nachqualifzierung zu<br />

ergreifen. Die <strong>Perspektive</strong> für ihr berufliches Fortkommen<br />

sahen sie genau <strong>in</strong> den Unternehmen, die ihnen<br />

diese Chance ermöglichten.<br />

T<strong>in</strong>a Bickel, Carla Mattern, Yves Wulff und Bildungsjournalist<strong>in</strong><br />

Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann


Schlaglichter<br />

31<br />

Schlaglichter erfolgreicher Projektarbeit<br />

M<strong>in</strong>R’<strong>in</strong> Viola-Anto<strong>in</strong>ette Klanten, Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und<br />

Forschung, und Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, Bildungsjournalist<strong>in</strong><br />

Den Abschluss <strong>der</strong> Tagung bildete die Präsentation<br />

von Schlaglichtern erfolgreicher Projektarbeit.<br />

Denn „e<strong>in</strong> Programm ist immer nur so gut, wie die<br />

Arbeit vor Ort“, wie Anto<strong>in</strong>ette Klanten, zuständige<br />

Leiter<strong>in</strong> des Referats „Berufsorientierung; Chancengerechtigkeit<br />

für Jugendliche“ des Bundesm<strong>in</strong>isteriums<br />

für Bildung und Forschung, <strong>in</strong> ihrer<br />

E<strong>in</strong>leitung zur Präsentation betonte.<br />

Die Schlaglichter stammten aus beiden För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiativen<br />

des Programms „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“,<br />

<strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative „Regionales Übergangsmanagement“<br />

(RÜM) und <strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative<br />

„Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung“.<br />

Die Präsentation orientierte sich dabei an<br />

den sechs zentralen Handlungsfel<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Projektarbeit<br />

und erfolgte geme<strong>in</strong>sam mit Projektpartner<strong>in</strong>nen<br />

und -partnern.<br />

Da die Präsentation nur e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Ausschnitt <strong>der</strong><br />

über 1.000 Produkte abdecken konnte, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> fünfjährigen<br />

Programmlaufzeit entwickelt worden s<strong>in</strong>d,<br />

warb Anto<strong>in</strong>ette Klanten für die Programmhomepage<br />

www.perspektive-berufsabschluss.de. Dort s<strong>in</strong>d die<br />

wichtigsten Ergebnisse und Produkte e<strong>in</strong>gestellt.<br />

Abschluss <strong>der</strong> Tagung bildete die Präsentation von Schlaglichtern<br />

erfolgreicher Projektarbeit.


32 Schlaglichter<br />

Zu den e<strong>in</strong>zelnen Schlaglichtern:<br />

Bereich: Netzwerkarbeit<br />

„<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“ ist e<strong>in</strong> Strukturprogramm<br />

mit dem Ziel, die Kooperations- und Abstimmungsprozesse<br />

<strong>in</strong> den Regionen zu verbessern. Das<br />

erste Schlaglicht wurde deshalb auf die Netzwerkarbeit<br />

geworfen. „Das engere Zusammenbr<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> unterschiedlichen<br />

Entscheidungsträger und die geme<strong>in</strong>same<br />

Arbeit an För<strong>der</strong>möglichkeiten s<strong>in</strong>d die Schlüssel zum<br />

Erfolg. Das gilt für den Übergang Schule-Beruf wie für<br />

die Nachqualifizierung An- und Ungelernter“, erklärte<br />

dazu Anto<strong>in</strong>ette Klanten <strong>in</strong> ihrer E<strong>in</strong>führung.<br />

Das Begleitprojekt „Mit MigrantInnen, für MigrantInnen<br />

– Interkulturelle Kooperation zur Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Bildungs<strong>in</strong>tegration“ <strong>der</strong> MOZAIK gGmbH aus<br />

Bielefeld hat <strong>in</strong>sgesamt 13 Projektregionen bei <strong>der</strong><br />

Entwicklung und Umsetzung von (Inter-)Cultural<br />

Ma<strong>in</strong>stream<strong>in</strong>g-Strategien zur Verbesserung <strong>der</strong> Ausbildungsbeteiligung<br />

Jugendlicher aus Zuwan<strong>der</strong>erfamilien<br />

begleitet. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit<br />

mit Migrantenorganisationen <strong>in</strong> <strong>der</strong> regionalen Netzwerkarbeit<br />

war e<strong>in</strong> Schwerpunkt. Außerdem wurden<br />

Mitglie<strong>der</strong> aus Migrantenorganisationen als ehrenamtlich<br />

tätige Bildungsbeauftragte gewonnen, die <strong>in</strong>tensiv<br />

<strong>in</strong> den Netzwerken mitarbeiteten. Sie haben Jugendliche<br />

und ihre Eltern sowie junge Erwachsene, die noch<br />

ke<strong>in</strong>en Berufsabschluss erlangt haben, <strong>in</strong> Fragen des<br />

Übergangs <strong>in</strong> Ausbildung und zu Nachqualifizierung<br />

beraten. Wie wichtig und richtig dieser Ansatz war<br />

und noch immer ist, zeigen die Erfolge des Projektes<br />

und <strong>der</strong> Entschluss des BMBF, diese Aufgabe <strong>in</strong> dem<br />

Anschlussprojekt „Interkulturelle Netzwerke, Bildungsbeauftragte<br />

für junge Menschen!“ bis 2016 zu för<strong>der</strong>n.<br />

Die Mo<strong>der</strong>ator<strong>in</strong>, Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, bat dazu<br />

Cemalett<strong>in</strong> Özer, den Geschäftsführer <strong>der</strong> MOZAIK<br />

gGmbH und Leiter des Projektes, geme<strong>in</strong>sam mit Em<strong>in</strong>e<br />

Isgören, e<strong>in</strong>er Bildungsbeauftragten aus dem Saarland,<br />

auf die Bühne. Auf die Frage <strong>der</strong> Bedeutung von<br />

Migrantenorganisationen für die Bildungs<strong>in</strong>tegration<br />

betonte Cemalett<strong>in</strong> Özer: „Migrantenorganisationen<br />

können noch viel mehr zur Bildungs<strong>in</strong>tegration beitragen,<br />

wenn man sie weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>bezieht.“ Er stellte heraus,<br />

dass es zu den Verdiensten des Programms „<strong>Perspektive</strong><br />

Berufsabschluss“ gehöre, die Zusammenarbeit<br />

mit den Migrantenorganisationen <strong>in</strong> <strong>der</strong> regionalen<br />

Netzwerkarbeit von Anfang an, also schon <strong>in</strong> den För<strong>der</strong>richtl<strong>in</strong>ien<br />

verankert zu haben. „Das war e<strong>in</strong>malig<br />

– ich b<strong>in</strong> seit 15 Jahren <strong>in</strong> <strong>der</strong> För<strong>der</strong>landschaft dabei.“<br />

Cemalett<strong>in</strong> Özer erklärte, dass <strong>in</strong> den 40 bis 50 Jahren<br />

Migrationsgeschichte <strong>in</strong> Deutschland bundesweit rund<br />

20.000 e<strong>in</strong>getragene Vere<strong>in</strong>e von Zuwan<strong>der</strong>ern entstanden<br />

seien. Diese haben wichtige nie<strong>der</strong>schwellige und<br />

ehrenamtliche Integrationsarbeit geleistet. Die ersten<br />

und die erfolgreichsten seien die spanischen Elternvere<strong>in</strong>e<br />

gewesen. Auch wenn nicht alle Migrantenorganisationen<br />

die Bildungsarbeit zu ihrem Schwerpunkt<br />

gemacht haben – Hauptziele seien Sport, Religion,<br />

Kultur –, böten sie aber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong>e gute Möglichkeit,<br />

engere Kontakte zur Zielgruppe aufzubauen. Die<br />

Projektarbeit habe gezeigt, wie sehr sich die Eltern mit<br />

Migrationsh<strong>in</strong>tergrund für die Bildungsmöglichkeiten<br />

ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong>teressieren. Die Bildungsbeauftragten<br />

wurden über das deutsche Schul- und Ausbildungssystem<br />

<strong>in</strong>formiert, gaben die Informationen weiter und<br />

wurden zu „Partnern auf Augenhöhe“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> regionalen<br />

Netzwerkarbeit. Em<strong>in</strong>e Isgören beschrieb, wie sehr das<br />

Projekt ihr <strong>in</strong> Saarbrücken geholfen habe, die bis dah<strong>in</strong><br />

nur amateurhaft, aber mit viel Engagement geleistete<br />

Arbeit quasi zu professionalisieren: „Jetzt können wir<br />

sagen, wir s<strong>in</strong>d die Bildungsbeauftragten <strong>der</strong> Stadt<br />

Saarbrücken (…) und dann hört man uns auch viel besser<br />

zu (…) und wir wissen jetzt auch, wo wir anrufen müssen,<br />

Cemalett<strong>in</strong> Özer und Em<strong>in</strong>e Isgören


Schlaglichter<br />

33<br />

wenn e<strong>in</strong> Migrant, wenn e<strong>in</strong> Elternteil, wenn e<strong>in</strong> Jugendlicher<br />

zu uns kommt mit bestimmten Problemen.“<br />

Das Bildungssystem <strong>in</strong> Deutschland sei sehr komplex<br />

und auch immer wie<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen unterworfen:<br />

„(…) da kennt sich e<strong>in</strong> Deutscher nicht aus, wie soll das<br />

e<strong>in</strong> Migrant wissen? Viele Eltern wissen noch nicht<br />

e<strong>in</strong>mal, <strong>in</strong> welche Schule das K<strong>in</strong>d geht.“ Wie wichtig<br />

und notwendig ihre Arbeit ist, diese Erfahrung macht<br />

Em<strong>in</strong>e Isgören jeden Tag. Sie ist sehr froh und dankbar,<br />

dass ihr und den an<strong>der</strong>en Bildungsbeauftragten über<br />

das Begleitprojekt im Programm „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“<br />

die Chance gegeben wurde, sachkundig und<br />

<strong>in</strong> ihrer Funktion anerkannt zu helfen.<br />

Bereich: Elternarbeit<br />

Zur E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das zweite Schlaglicht machte<br />

Anto<strong>in</strong>ette Klanten noch e<strong>in</strong>mal deutlich, wie wichtig<br />

und entscheidend die Rolle <strong>der</strong> Eltern im Berufswahlprozess<br />

ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> ist. Da aber nicht alle Eltern <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Lage seien, ohne fremde Hilfe diese Rolle auch<br />

ausreichend wahrzunehmen, habe die Elternarbeit<br />

zu den Schwerpunkten vieler RÜM-Projekte gehört.<br />

Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann bat dafür drei Personen aus zwei<br />

Projekten auf die Bühne: Evelyne Rößer, Leiter<strong>in</strong> des<br />

RÜM im Landkreis Marburg-Biedenkopf und Bernhard<br />

Korte, ehemaliger Leiter des RÜM Laatzen und heute<br />

Geschäftsführer des Landesverbandes „Nie<strong>der</strong>sachsen e.V.<br />

– Deutsche Jugend <strong>in</strong> Europa“ <strong>in</strong> Hannover sowie Thomas<br />

Schra<strong>der</strong>, Leiter des Teams „K<strong>in</strong><strong>der</strong>, Jugend, Familie,<br />

Senioren und soziale Sicherheit“ <strong>der</strong> Stadt Laatzen.<br />

Evelyne Rößer hatte schon zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Projektarbeit<br />

schnell erkannt, dass Elternarbeit mehr se<strong>in</strong><br />

muss, als das Abhalten von Elternabenden mit mehr<br />

o<strong>der</strong> eher weniger großer Beteiligung. Um <strong>der</strong> Elternarbeit<br />

als Teil <strong>der</strong> Aufgabe von Schule die angemessene<br />

Bedeutung zu geben, müsse diese nachhaltig<br />

an den Schulen verankert se<strong>in</strong>: „Elternarbeit muss<br />

<strong>in</strong> den Köpfen <strong>der</strong> Lehrkräfte ankommen. Es muss<br />

sich was an <strong>der</strong> Haltung än<strong>der</strong>n; Lehrkräfte müssen<br />

verstehen, warum Elternarbeit wichtig ist.“ Das RÜM<br />

im Landkreis Marburg-Biedenkopf konzipierte e<strong>in</strong>e<br />

fünfmodulige Fortbildungsreihe für Lehrkräfte und<br />

Schulsozialarbeiter/-<strong>in</strong>nen von Haupt- und Realschulen.<br />

Die Erfahrung habe gezeigt, dass Lehrkräfte für<br />

Fortbildungen zur Verbesserung <strong>der</strong> Elternarbeit nur<br />

schwer zu gew<strong>in</strong>nen sxeien. Die abschließende Befragung<br />

<strong>der</strong> Teilnehmenden habe jedoch ergeben, dass die<br />

Elternbeteiligung an den Schulen, <strong>der</strong>en Lehrkräfte an<br />

<strong>der</strong> Fortbildung teilgenommen haben, um ca. 80 Prozent<br />

verbessert werden konnte. Als Beispiel nannte<br />

Evelyn Rößer die <strong>in</strong>teraktive Elternarbeit: „Wir haben<br />

Eltern e<strong>in</strong>gebunden und gefragt, ob sie auch weiterh<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> die Berufsorientierung e<strong>in</strong>gebunden werden möchten.<br />

Alle Eltern haben bestätigt: Ja, möchten wir!“ Wichtig<br />

sei, dass die Bemühungen auch als Unterstützung<br />

<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen wahrgenommen werde:<br />

„Elternarbeit ist nur gut, wenn sie auch bei den Jugendlichen<br />

ankommt“, resümierte Evelyn Rößer die Erfahrungen<br />

des RÜM Marburg-Biedenkopf. Die <strong>vom</strong> RÜM<br />

begonnene erfolgreiche Arbeit wird <strong>in</strong>zwischen von <strong>der</strong><br />

Stadt Marburg und dem Landkreis Marburg-Biedenkopf<br />

mit <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzierung e<strong>in</strong>er Stelle weitergeführt.<br />

Evelyne Rößer<br />

Bernhard Korte und Thomas Schra<strong>der</strong>


34<br />

Schlaglichter<br />

Beim RÜM Laatzen wurde die Bedeutung <strong>der</strong><br />

Eltern beim Berufswahlprozess ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> durch<br />

e<strong>in</strong>e empirische Langzeitstudie bestätigt: „Mehr als<br />

die Hälfte <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen, die befragt<br />

wurden, haben ihre Eltern gleich nach dem Internet<br />

als wichtige Entscheidungshilfe angegeben“, fasste<br />

Thomas Schra<strong>der</strong> die Ergebnisse zusammen. Doch die<br />

Eltern, <strong>der</strong>en eigener Berufswahlprozess vielleicht 20,<br />

25 Jahre zurückliege, wissen gar nicht mehr, wie sich<br />

<strong>der</strong> Ausbildungsmarkt verän<strong>der</strong>t hat. Das RÜM Laatzen<br />

habe deswegen überlegt, wie Eltern mit ihrer Kompetenz<br />

<strong>in</strong> das System e<strong>in</strong>zubeziehen seien, um für ihre<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> tatsächlich unterstützend wirken zu können.<br />

„Wir haben versucht, über unsere Kooperationspartnerschaften<br />

Multiplikator<strong>in</strong>nen und Multiplikatoren<br />

zu f<strong>in</strong>den, möglichst verschiedener Herkunft, Frauen<br />

und Männer, so dass wir wirklich alle Zielgruppen <strong>der</strong><br />

Familien erreichen können“, erläuterte Thomas Schra<strong>der</strong><br />

die Vorgehensweise, mit <strong>der</strong> <strong>in</strong> Laatzen Berufswahllotsen<br />

gefunden wurden. Diese zeigen Wege auf, weisen<br />

auf Unterstützungsstellen und Hilfsangebote h<strong>in</strong>. „Dass<br />

es kostenfreie Unterstützungsangebote gibt, dass Eltern<br />

ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> zur Berufsberatung begleiten dürfen, das<br />

s<strong>in</strong>d alles Informationen, die völlig unbekannt waren,<br />

und die sollen eben entsprechend weitergegeben werden“,<br />

so Bernhard Korte.<br />

Bereich: Schule – Wirtschaft<br />

Neben den Eltern s<strong>in</strong>d auch die Schulen <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er<br />

Weise gefor<strong>der</strong>t, wenn es um Berufsorientierung <strong>der</strong><br />

Jugendlichen geht. Berufsorientierung muss <strong>in</strong>tegrativer<br />

Bestandteil schulischer Angebote se<strong>in</strong>, und die<br />

Angebote müssen sich an den beruflichen und betrieblichen<br />

Praxisbed<strong>in</strong>gungen orientieren. „Schule und<br />

Betriebe müssen ganz eng zusammenarbeiten und die<br />

Bedarfe aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> abstimmen, damit möglichst vielen<br />

Jugendlichen nach <strong>der</strong> Schule <strong>der</strong> Übergang <strong>in</strong> die<br />

Ausbildung gel<strong>in</strong>gt und zugleich <strong>der</strong> Fachkräftebedarf<br />

<strong>der</strong> Betriebe gesichert werden kann“, stellte Anto<strong>in</strong>ette<br />

Klanten vor <strong>der</strong> Präsentation <strong>der</strong> Projektarbeit<br />

zum Thema heraus. Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann begrüßte dazu<br />

Sab<strong>in</strong>e Schaffer, Projektleiter<strong>in</strong> des RÜM im Landkreis<br />

Görlitz und Michael Busch, Landrat des Landkreises<br />

Coburg.<br />

Im Landkreis Görlitz hat man vor allem mit stark<br />

zurückgehenden Schülerzahlen – seit dem Jahr 2000<br />

um die Hälfte – zu tun. Das ist zwar e<strong>in</strong>erseits dem<br />

demografischen Wandel geschuldet, doch kämpft man<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> nahe <strong>der</strong> Grenze zu Polen gelegenen Region<br />

auch gegen die Abwan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Jugendlichen <strong>in</strong> die<br />

Metropolen o<strong>der</strong> nach Mittel- und Westdeutschland.<br />

An<strong>der</strong>erseits zeigte sich auch, dass viele Jugendliche<br />

die Wirtschaftsstrukturen des Landkreises und die<br />

dort ansässigen Unternehmen gar nicht kennen und<br />

gar nicht wissen, welche Chancen und Möglichkeiten<br />

ihnen offen stehen. Deshalb habe das Projekt nach<br />

e<strong>in</strong>er sehr praktikablen Lösung gesucht, Schulen und<br />

Unternehmen zusammenzubr<strong>in</strong>gen. Das Ergebnis ist<br />

<strong>der</strong> Ausbildungsatlas INSIDER. „Der Ausbildungsatlas<br />

INSIDER ist e<strong>in</strong> etwas an<strong>der</strong>es Produkt. Sehr hochwertig<br />

gestaltet, und dort kommen tatsächlich Insi<strong>der</strong> zu<br />

Wort. Das heißt, die Azubis aus den Betrieben stellen<br />

ihre Arbeit und ihre Ausbildung vor und erzählen<br />

beziehungsweise plau<strong>der</strong>n dort eben aus dem Nähkästchen“,<br />

so erklärte Sab<strong>in</strong>e Schaffer das Ergebnis ihrer<br />

Arbeit. Der INSIDER ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> diesem Jahr bereits<br />

zum dritten Mal. Jede Schüler<strong>in</strong> und je<strong>der</strong> Schüler <strong>der</strong><br />

Abgangsklassen aller Schulformen im Landkreis erhält<br />

e<strong>in</strong> Exemplar. Die Resonanz sei sehr, sehr hoch. In den<br />

Schulen werde <strong>der</strong> INSIDER als Unterrichtsmaterial<br />

im Berufsorientierungsunterricht e<strong>in</strong>gesetzt. Auch die<br />

Unternehmen geben sehr positive Rückmeldungen.<br />

Sab<strong>in</strong>e Schaffer im Gespräch mit Mo<strong>der</strong>ator<strong>in</strong> Br<strong>in</strong>kmann


Schlaglichter<br />

35<br />

Michael Busch präsentiert die „Zeig Dich!-Tour“<br />

Durch die von den Auszubildenden selbst vermittelten<br />

Informationen über den jeweiligen Beruf und den<br />

Ausbildungsbetrieb kämen <strong>in</strong>teressierte Jugendliche<br />

viel besser vorbereitet zu den Praktika o<strong>der</strong> zu Vorstellungsgesprächen.<br />

Ergänzt werden diese Bemühungen<br />

durch die Ausbildungsmesse INSIDER-Treff, e<strong>in</strong><br />

Geme<strong>in</strong>schaftsprojekt des Landkreises mit <strong>der</strong> Agentur<br />

für Arbeit, <strong>der</strong> IHK Dresden und <strong>der</strong> HWK Dresden.<br />

Das Interesse und auch das Engagement <strong>der</strong> beteiligten<br />

Unternehmen s<strong>in</strong>d so groß, dass die F<strong>in</strong>anzierung des<br />

INSIDER auch unabhängig von e<strong>in</strong>er Weiterführung<br />

des „Regionalen Übergangsmanagements“ gesichert ist.<br />

Im Landkreis Coburg setzte das RÜM-Projekt mit<br />

<strong>der</strong> „Zeig Dich!-Tour“ <strong>in</strong> diesem Handlungsfeld auf<br />

e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>dividuellen Weg. In Zusammenarbeit mit den<br />

Wirtschaftsjunioren werden bis zu acht teilnehmende<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler ab <strong>der</strong> 7. Klasse aller Schulformen<br />

unter dem Motto „Toure mit uns durch die<br />

Ausbildungsbetriebe <strong>der</strong> Coburger Region“ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Kle<strong>in</strong>bus durch den Landkreis gefahren. Innerhalb<br />

von zwei Nachmittagen haben sie die Gelegenheit,<br />

vier Betrieben, für die sie sich <strong>in</strong>teressieren und die sie<br />

vorher ausgewählt haben, kennenzulernen. So können<br />

sie sich e<strong>in</strong>en unmittelbaren E<strong>in</strong>druck <strong>vom</strong> Unternehmen<br />

verschaffen, mit <strong>der</strong> Geschäftsleitung o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

für die Ausbildung zuständigen Person sprechen und<br />

erste persönliche Kontakte knüpfen. Es s<strong>in</strong>d vor allem<br />

kle<strong>in</strong>ere und mittlere Betriebe, für die e<strong>in</strong>e Beteiligung<br />

an e<strong>in</strong>er Ausbildungsmesse zu aufwändig wäre.<br />

Die Unternehmen nutzen aber die Chance, direkt mit<br />

<strong>in</strong>teressierten Jugendlichen <strong>in</strong>s Gespräch zu kommen<br />

und diese für ihren Betrieb zu gew<strong>in</strong>nen. So bietet die<br />

„Zeig Dich!-Tour“ für die Betriebe und die Jugendlichen<br />

e<strong>in</strong>e gute Möglichkeit, sich gegenseitig e<strong>in</strong>en ersten<br />

E<strong>in</strong>druck zu verschaffen: „Wenn man so will unter<br />

Laborbed<strong>in</strong>gungen – ich hätte be<strong>in</strong>ahe gesagt von <strong>der</strong><br />

Toilette bis zum Aufenthaltsraum – aber natürlich<br />

auch den Produktions- o<strong>der</strong> Dienstleistungsraum“,<br />

so beschrieb Landrat Michael Busch das Angebot im<br />

Landkreis. Auch <strong>in</strong> dieser Region wird dieses Angebot<br />

dank des Engagements <strong>der</strong> Wirtschaftsjunioren weitergeführt<br />

werden können.


36<br />

Schlaglichter<br />

Bereich: Beratung und Servicestrukturen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Nachqualifizierung<br />

Un- bzw. angelernten Erwachsenen e<strong>in</strong>e zweite o<strong>der</strong><br />

auch dritte Chance zu geben, e<strong>in</strong>en Berufsabschluss<br />

nachträglich zu erwerben, ist e<strong>in</strong> weiteres Ziel des<br />

Programms „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“. Anto<strong>in</strong>ette<br />

Klanten verwies darauf, dass, wie Herr Son<strong>der</strong>mann am<br />

Vormittag bereits ausführte, die gesetzlichen Grundlagen<br />

für das Nachholen des Berufsabschlusses im<br />

Geltungsbereich des Berufsbildungsgesetzes bereits<br />

seit Längerem gegeben seien. Auch <strong>in</strong> rechtlich an<strong>der</strong>s<br />

geregelten Berufen, wie Erzieher<strong>in</strong> und Erzieher o<strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Altenpflege, zeige sich viel Bewegung. „Die rechtlichen<br />

Möglichkeiten müssen aber auch genutzt und<br />

die bestehenden Angebote angenommen werden, und<br />

zwar sowohl von Un- und Angelernten wie auch von<br />

Betrieben“, betonte Anto<strong>in</strong>ette Klanten.<br />

Wie sich die Projekte <strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative „Abschlussorientierte<br />

modulare Nachqualifizierung“ <strong>der</strong><br />

Herausfor<strong>der</strong>ung stellten, die genannten Zielgruppen<br />

für das Thema zu erschließen, sie umfassend zu<br />

beraten und Unterstützungsstrukturen bereitzustellen,<br />

war Thema des Interviews, das Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann mit<br />

Michaela Hanke <strong>vom</strong> Schwer<strong>in</strong>er Ausbildungszentrum<br />

und mit Günter Breun<strong>in</strong>ger <strong>vom</strong> CyberForum Karlsruhe<br />

führte.<br />

Anto<strong>in</strong>ette Klanten<br />

Prozess <strong>in</strong> Gang, <strong>der</strong> die Zielgruppe <strong>der</strong> Zugewan<strong>der</strong>ten<br />

stärker <strong>in</strong> den Blick rückte. Die gewonnenen Erfahrungen<br />

flossen <strong>in</strong> das landesweite Netzwerk „Integration<br />

durch Qualifizierung“ <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

e<strong>in</strong> und können bei dem Projekt „Türen öffnen im IQ-<br />

Netzwerk“ gut genutzt werden.<br />

Der Aufbau professioneller Beratungsstrukturen erfolgte<br />

<strong>in</strong> Schwer<strong>in</strong> auf zwei Ebenen. Zum e<strong>in</strong>en wurde<br />

e<strong>in</strong> Beratungsbüro e<strong>in</strong>gerichtet, dessen nie<strong>der</strong>schwellige<br />

Angebot sich gezielt an die Gruppe <strong>der</strong> An- und<br />

Ungelernten wandte. E<strong>in</strong> weiterer Schwerpunkt lag<br />

auf <strong>der</strong> Gew<strong>in</strong>nung von Unternehmen für das Thema<br />

Nachqualifizierung. Hierbei konnten erfolgreich funktionierende<br />

Kooperationsbeziehungen des Schwer<strong>in</strong>er<br />

Ausbildungszentrums mit regionalen Betrieben<br />

genutzt werden. Jedoch stellte sich <strong>der</strong> Erfolg nur durch<br />

<strong>in</strong>tensive Bewerbung des Themas und die Bereitstellung<br />

am Bedarf orientierter Angebote e<strong>in</strong>.<br />

Die Kooperation des Schwer<strong>in</strong>er Projekts mit<br />

dem Begleitprojekt <strong>der</strong> MOZAIK gGmbH setzte e<strong>in</strong>en<br />

Michaela Hanke und Günter Breun<strong>in</strong>ger


Schlaglichter<br />

37<br />

Als e<strong>in</strong>en Höhepunkt <strong>der</strong> Projektarbeit bezeichnete<br />

Michaela Hanke die Gründung des Nachqualifizierungsnetzwerks<br />

für Mecklenburg-Vorpommern. Dieses<br />

Netzwerk wird von den vier im Bundesland <strong>vom</strong> BMBF<br />

geför<strong>der</strong>ten Nachqualifizierungsprojekten – bzw. den<br />

(ehemaligen) Projektnehmern – getragen. Die Notwendigkeit<br />

für e<strong>in</strong> solches Nachqualifizierungsnetzwerk<br />

Mecklenburg-Vorpommern sehen die Akteure dar<strong>in</strong>,<br />

dass flächendeckend Strukturen geschaffen werden,<br />

Informationen gezielt ausgetauscht und Synergien bei<br />

<strong>der</strong> Angebotsentwicklung genutzt werden. Für e<strong>in</strong> Flächenland<br />

sei es wichtig, sich nicht nur auf die wenigen<br />

städtischen Zentren zu konzentrieren, son<strong>der</strong>n „ländliche<br />

Regionen mitzunehmen, neue Berufsgruppen zu<br />

erschließen und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fläche aktiv zu werden“, so Frau<br />

Hanke. Sie sei sich sicher, dass dieses Netzwerk Bestand<br />

haben werde. Wie das Schwer<strong>in</strong>er Ausbildungszentrum,<br />

dessen Nachqualifizierungsprojekt bereits im Jahr 2012<br />

endete, werden auch die an<strong>der</strong>en regionalen Netzwerkpartner<br />

nach Programmende die bewährte Kooperation<br />

fortführen.<br />

Mit dem H<strong>in</strong>weis, dass sich Nachqualifizierung<br />

an Menschen mit ganz unterschiedlichen Bildungsbiografien<br />

und auch Bildungsniveaus richte, g<strong>in</strong>g<br />

Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann auf das von Günter Breun<strong>in</strong>ger<br />

geleitete Projekt „F<strong>in</strong>ish it“ e<strong>in</strong>. Angesprochen s<strong>in</strong>d<br />

Studienabbrecher aus MINT-Studiengängen sowie<br />

Personen mit <strong>in</strong> Deutschland nicht anerkannten<br />

ausländischen Studienabschlüssen. Ist <strong>der</strong> Erstkontakt<br />

hergestellt, erfolgen berufsbezogene Gespräche<br />

durch das Projekt. „Wir checken dann die Unterlagen<br />

dah<strong>in</strong>gehend, ob <strong>der</strong> Zugang zu e<strong>in</strong>er Externenprüfung<br />

nach Durchlaufen des von uns geme<strong>in</strong>sam mit<br />

e<strong>in</strong>em Bildungsträger geschaffenen Lehrgangsangebots<br />

möglich wäre“, erklärte Günter Breun<strong>in</strong>ger das Vorgehen.<br />

Dass es sich beim Projektnehmer CyberForum um<br />

e<strong>in</strong> IT-Unternehmensnetzwerk handele, br<strong>in</strong>ge viele<br />

Vorteile. Insbeson<strong>der</strong>e ermögliche dies die E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung<br />

<strong>der</strong> Nachzuqualifizierenden <strong>in</strong> IT-Unternehmen. Ob<br />

e<strong>in</strong> an Nachqualifizierung Interessierter und e<strong>in</strong> IT-<br />

Unternehmen zusammenpassen, werde im Rahmen<br />

von Match<strong>in</strong>g-Treffen eruiert. Kommt es zu e<strong>in</strong>em<br />

weiterführenden Gesprächsterm<strong>in</strong>, liegen die Chancen<br />

bei „90 Prozent“, dass <strong>der</strong> Studienabbrecher <strong>vom</strong><br />

Unternehmen angestellt wird, um dann durch Nachqualifizierung<br />

den Berufsabschluss „Fach<strong>in</strong>formatiker<br />

Anwendungsentwicklung“ o<strong>der</strong> „System<strong>in</strong>tegration“ zu<br />

erwerben.<br />

Bereich: Nachqualifizierungsangebote<br />

Nicht nur die Beratung muss zielgruppenbezogen und<br />

bedarfsorientiert erfolgen, son<strong>der</strong>n auch die Entwicklung<br />

von Nachqualifizierungsangeboten, erläuterte<br />

Anto<strong>in</strong>ette Klanten zum fünften Schlaglicht, das die<br />

Kooperation von Betrieben und Nachqualifizierungsprojekten<br />

bei <strong>der</strong> Angebotsentwicklung <strong>in</strong> den Fokus<br />

nahm. Hierzu begrüßte Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann Nicole<br />

Br<strong>in</strong>kmann von <strong>der</strong> ZAUG gGmbH, die das Netzwerk<br />

Nachqualifizierung Gießen – Lahn-Dill leitet, sowie<br />

Susanne Söhngen und Steffen Dornbusch von Bu<strong>der</strong>us<br />

Edelstahl Wetzlar.<br />

Günter Breun<strong>in</strong>ger


38<br />

Schlaglichter<br />

Nicole Br<strong>in</strong>kmann, Steffen Dornbusch, Susanne Söhngen und<br />

Mo<strong>der</strong>ator<strong>in</strong> Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann<br />

Susanne Söhngen<br />

Nicole Br<strong>in</strong>kmann betonte, wie wichtig <strong>der</strong> Aufbau<br />

von Netzwerkstrukturen und die auf die Belange von<br />

Unternehmen abgestimmte Öffentlichkeitsarbeit für<br />

das Erschließen von Betrieben für das Thema Nachqualifizierung<br />

gewesen seien. Die über Netzwerkkontakte<br />

angebahnte Kooperation mit <strong>der</strong> Firma Schunk, e<strong>in</strong>em<br />

weltweit tätigen mittelhessischen Unternehmen mit<br />

über 10.000 Mitarbeitern, brachte den Durchbruch. Die<br />

mit diesem Betrieb geme<strong>in</strong>sam entwickelten Nachqualifizierungsangebote<br />

und <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Umsetzung erreichte<br />

Erfolg zeigte Wirkung. Auch an<strong>der</strong>e Unternehmen<br />

– wie Bu<strong>der</strong>us Edelstahl – kamen auf das Gießener<br />

Projekt zu, um die Möglichkeiten bedarfsgerechter<br />

Nachqualifizierungen zu eruieren. Steffen Dornbusch,<br />

verantwortlich für die gewerblich-technische Ausbildung<br />

bei Bu<strong>der</strong>us, erläuterte die H<strong>in</strong>tergründe für das<br />

unternehmerische Engagement: „Bei uns im Stahlwerk<br />

stehen die nächsten e<strong>in</strong> bis zwei Jahre Investitionen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Größenordnung von 60 Millionen an. Um die<br />

neuen halbautomatisierten und hochkomplizierten<br />

Gießereianlagen steuern zu können, brauchen wir<br />

Fachkräfte, die auch diese Technik umfassend beherrschen.“<br />

Da mit den vorhandenen Fachkräften <strong>der</strong> Bedarf<br />

nicht gedeckt werden konnte, entschloss man sich,<br />

Berufserfahrene ohne fachspezifischen Berufsabschluss<br />

nachzuqualifizieren und geme<strong>in</strong>sam mit dem Gießener<br />

Nachqualifizierungsnetzwerk entsprechende Qualifizierungsangebote<br />

zu entwickeln und umzusetzen. Den<br />

Vorteil sieht das Unternehmen <strong>in</strong> <strong>der</strong> schnellen Qualifikation<br />

<strong>in</strong>nerhalb von acht bis neun Monaten, da auf<br />

vorhandene betriebsrelevante Kompetenz aufgebaut<br />

werden kann. Da die Umsetzung <strong>der</strong> Nachqualifizierung<br />

nicht im Betrieb erfolgt, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bildungse<strong>in</strong>richtung<br />

<strong>in</strong> Unna, wurden auch die Familien<br />

<strong>in</strong> den Entscheidungsprozess e<strong>in</strong>gebunden.<br />

13 Mitarbeiter befanden sich zum Zeitpunkt <strong>der</strong><br />

Tagung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachqualifizierung und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorbereitung<br />

auf die Ende Juni 2013 stattf<strong>in</strong>dende praktische<br />

Prüfung. „Und ich b<strong>in</strong> mir sicher“, so Susanne Söhngen,<br />

Teamleiter<strong>in</strong> Personalentwicklung bei Bu<strong>der</strong>us, „dass<br />

alle sehr erfolgreich zurückkommen werden.“<br />

Nicole Br<strong>in</strong>kmann erläuterte abschließend unterschiedliche<br />

F<strong>in</strong>anzierungsmodelle. Bei <strong>der</strong> <strong>in</strong> Form<br />

e<strong>in</strong>er Vollzeitmaßnahme durchgeführten Nachqualifizierung<br />

konnten sieben Mitarbeiter F<strong>in</strong>anzmittel des<br />

Programms „WeGebAU“ <strong>der</strong> Bundesagentur für Arbeit<br />

nutzen. Das Unternehmen trug die restlichen Qualifizierungskosten.<br />

Demgegenüber greift die auf<br />

15 Monate angelegte berufsbegleitende Nachqualifizierung<br />

bei <strong>der</strong> Firma Schunk auf e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es F<strong>in</strong>anzierungsmodell<br />

zurück. Dort nutzt <strong>der</strong> Betriebsrat die ihm<br />

zur Verfügung stehenden Mittel. E<strong>in</strong>en Beitrag zahlen<br />

die Teilnehmenden, und die verbleibenden Restkosten<br />

übernimmt das Unternehmen.


Schlaglichter<br />

39<br />

Bereich: Öffentlichkeitsarbeit<br />

Das sechste und letzte Schlaglicht betraf die Öffentlichkeitsarbeit.<br />

„Zielgruppenspezifische Öffentlichkeitsarbeit<br />

ist e<strong>in</strong> Kernstück je<strong>der</strong> Programm- und<br />

Projektarbeit. Dabei s<strong>in</strong>d die Mittel so vielfältig wie die<br />

Zielgruppen“, erklärte Anto<strong>in</strong>ette Klanten. Die Projekte<br />

haben Flyer und Broschüren erstellt, Tagungen und<br />

Informationsveranstaltungen durchgeführt, <strong>in</strong> Rundfunk<br />

und Fernsehen die Arbeit vorgestellt und <strong>in</strong> den<br />

letzten Jahren <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e das Internet mit Twitter<br />

und Facebook genutzt. Von <strong>der</strong> vielfältigen und oft sehr<br />

kreativen Arbeit wurden zwei Beispiele vorgestellt:<br />

Angelika Münz von <strong>der</strong> Koord<strong>in</strong>ierungsstelle „Regionales<br />

Übergangsmanagement“ Schule-Beruf <strong>in</strong> Stuttgart und<br />

Thies Schulz-Holland <strong>vom</strong> Kieler Netzwerk zur Nachqualifizierung.<br />

„Me<strong>in</strong> Style, me<strong>in</strong> Beruf“, unter diesem Titel lief<br />

e<strong>in</strong>e Kampagne <strong>in</strong> Stuttgart für junge Frauen <strong>in</strong> eher<br />

untypischen Frauenberufen. Auf die Frage von Reg<strong>in</strong>a<br />

Br<strong>in</strong>kmann, warum und wie diese Aktion <strong>in</strong>s Leben<br />

gerufen wurde, erklärte Angelika Münz: „Friseur<strong>in</strong> o<strong>der</strong><br />

Arzthelfer<strong>in</strong>, das s<strong>in</strong>d die Berufswünsche von mehr<br />

als 50 Prozent aller jungen Frauen mit Hauptschulabschluss<br />

<strong>in</strong> Stuttgart.“ Man habe e<strong>in</strong>en Beitrag dazu<br />

leisten wollen, dass Frauen sich breiter orientieren und<br />

an<strong>der</strong>e Vorbil<strong>der</strong> nehmen. In <strong>der</strong> Kampagne wurden<br />

junge Frauen mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund gezeigt, die<br />

zwar e<strong>in</strong>en Hauptschulabschluss haben, sich dann aber<br />

Angelika Münz<br />

zum Beispiel für den Beruf <strong>der</strong> Landschaftsgärtner<strong>in</strong>,<br />

<strong>der</strong> Industriemechaniker<strong>in</strong>, aber auch <strong>der</strong> Altenpfleger<strong>in</strong><br />

und <strong>der</strong> Sozialarbeiter<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressiert haben. Die<br />

Botschaft sei sehr gut angekommen, auch deshalb,<br />

weil junge Frauen abgebildet wurden, mit denen<br />

sich e<strong>in</strong> Mädchen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e junge Frau identifizieren<br />

kann. Über Schulnetzwerke, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Projektarbeit<br />

aufgebaut worden waren, aber auch über Träger <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe und sonstige Projekte <strong>in</strong> dem Bereich,<br />

wurden die Plakate verteilt. „Man muss natürlich auch<br />

davon ausgehen, dass junge Frauen es jungen Frauen<br />

erzählen, wo sie das f<strong>in</strong>den“, kommentierte Angelika<br />

Münz den Erfolg <strong>der</strong> Kampagne, die sich <strong>in</strong> Stuttgart<br />

gut e<strong>in</strong>betten ließ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ganze Reihe von Aktivitäten<br />

des „Regionalen Übergangsmanagements“ zum Bereich<br />

Gen<strong>der</strong> und Cultural Ma<strong>in</strong>stream<strong>in</strong>g.<br />

Der Begriff „Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung“<br />

sei e<strong>in</strong> „sehr abstraktes und hochgradig<br />

erklärungsbedürftiges Produkt“, so Thies Schulz-Holland<br />

<strong>vom</strong> Kieler Netzwerk Nachqualifizierung. Zu <strong>der</strong><br />

von ihm verantworteten provokativ-humoristischen<br />

Plakat-Aktion erklärte er, dass es Ziel gewesen sei, dem<br />

Thema die „Schwere zu nehmen“. Es wurden Bildmotive<br />

verwendet, die nicht typisch für den Weiterbildungssektor<br />

s<strong>in</strong>d. Wir wollten weg von den „oft<br />

hochgradig generischen Impressionen“ <strong>der</strong> Weiterbildungswerbung,<br />

h<strong>in</strong> zu Plakatmotiven, die „emotionale<br />

Resonanz beim potenziellen Kunden, bei <strong>der</strong> potenziellen<br />

Kund<strong>in</strong> auslösen“, beschrieb Thies Schulz-Holland<br />

se<strong>in</strong>e Ideen. Im Grunde sei die Plakataktion <strong>in</strong>itiiert<br />

worden, weil die ursprüngliche, auf Unternehmen<br />

gerichtete, Akquisestrategie nicht griff. Deshalb habe<br />

man sich <strong>in</strong>tensiver <strong>der</strong> Zielgruppe <strong>der</strong> Un- und Angelernten<br />

zugewandt. Die zum Teil provokanten Plakate<br />

wurden <strong>in</strong> Kieler Bussen, den Agenturen für Arbeit und<br />

Jobcentern, bei Bildungsträgern und an öffentlichen<br />

Plätzen ausgehängt, so auch das Cartoon e<strong>in</strong>er Schildkröte<br />

mit e<strong>in</strong>er auf dem Rückenpanzer geschnallten<br />

gezündeten Feuerwerksrakete und dem Spruch „Zum<br />

Abschluss freigegeben“. Die Plakataktion erreichte ihr<br />

Ziel, das Interesse an <strong>der</strong> Nachqualifizierungsthematik<br />

stieg. Die größte Resonanz erfuhr e<strong>in</strong> Plakatspruch, <strong>der</strong><br />

den S<strong>in</strong>n von Nachqualifizierung gut trifft: „Was Hänschen<br />

nicht lernt, lernt Hans e<strong>in</strong>fach h<strong>in</strong>terher.“


40<br />

Schlaglichter<br />

Thies Schulz-Holland<br />

Mit Abschluss <strong>der</strong> Schlaglichterpräsentation endete<br />

auch die <strong>Fachtagung</strong>. Anto<strong>in</strong>ette Klanten bedankte<br />

sich bei allen Mitwirkenden <strong>der</strong> Abschlusstagung und<br />

beson<strong>der</strong>s bei den Teams <strong>der</strong> 97 Projekte und <strong>der</strong> drei<br />

Begleitprojekte des Programms „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“.<br />

Die Teams hätten dazu beigetragen, die<br />

bildungspolitischen Ideen des Bundesm<strong>in</strong>isteriums<br />

für Bildung und Forschung vor Ort und <strong>in</strong> den Regionen<br />

mit Leben zu füllen. Sie versicherte, das Bundesm<strong>in</strong>isterium<br />

werde auch nach Ende des Programms<br />

daran arbeiten, dass „möglichst viele, die im Übergang<br />

Schule-Beruf und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachqualifizierung Verantwortung<br />

tragen, von den Ergebnissen und Erfahrungen<br />

des Programms ‚<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss’ profitieren<br />

können“.<br />

Anto<strong>in</strong>ette Klanten dankt alle Mitwirkenden <strong>der</strong> Abschlusstagung<br />

Dem Dank von Anto<strong>in</strong>ette Klanten an die Tagungsteilnehmenden<br />

schloss sich Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann an. Auch<br />

sie äußerte die Hoffnung, dass die erfolgreichen Programmergebnisse<br />

von den Anwesenden aufgegriffen<br />

und weitergetragen werden.


Impressionen<br />

41<br />

Impressionen


42 Impressionen


Impressionen<br />

43


44 Impressionen


Impressionen<br />

45


46 Impressionen


Impressum<br />

Herausgeber<br />

Projektträger im DLR (PT-DLR) für das<br />

Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung (BMBF)<br />

He<strong>in</strong>rich-Konen-Str. 1, 53227 Bonn<br />

Internet: http://www.perspektive-berufsabschluss.de/<br />

DLR<br />

Das Programm „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“ wird aus Mitteln<br />

des Bundesm<strong>in</strong>isteriums für Bildung und Forschung und aus dem<br />

Europäischen Sozialfonds <strong>der</strong> Europäischen Union geför<strong>der</strong>t.<br />

Durchgeführt wird das Programm <strong>vom</strong> Projektträger im<br />

Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.<br />

Der europäische Sozialfonds ist das zentrale arbeitsmarktpolitische<br />

För<strong>der</strong><strong>in</strong>strument <strong>der</strong> Europäischen Union. Er leistet e<strong>in</strong>en<br />

Beitrag zur Entwicklung <strong>der</strong> Beschäftigungsfähigkeit, des Unternehmergeistes,<br />

<strong>der</strong> Anpassungsfähigkeit sowie <strong>der</strong> Chancengleichheit<br />

und <strong>der</strong> Investition <strong>in</strong> die Humanressourcen.<br />

Stand<br />

September 2013<br />

Druck<br />

Beltz Bad Langensalza GmbH<br />

Gestaltung<br />

m&p: public relations<br />

Text- und Bildredaktion<br />

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), Projektträger<br />

im DLR (PT-DLR), Bonn<br />

Bildnachweis<br />

Fotograf: Philipp Günther<br />

Diese Druckschrift wird im Rahmen <strong>der</strong> Öffentlichkeitsarbeit <strong>vom</strong><br />

Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung unentgeltlich<br />

abgegeben. Sie ist nicht zum gewerblichen Vertrieb bestimmt. Sie<br />

darf we<strong>der</strong> von Parteien noch von Wahlwerber<strong>in</strong>nen/Wahlwerbern<br />

o<strong>der</strong> Wahlhelfer<strong>in</strong>nen/Wahlhelfern während e<strong>in</strong>es Wahlkampfes<br />

zum Zweck <strong>der</strong> Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Bundestags-,<br />

Landtags- und Kommunalwahlen sowie für Wahlen zum<br />

Europäischen Parlament.<br />

Missbräuchlich ist <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Verteilung auf Wahlveranstaltungen<br />

und an Informationsständen <strong>der</strong> Parteien sowie das E<strong>in</strong>legen,<br />

Aufdrucken o<strong>der</strong> Aufkleben parteipolitischer Informationen<br />

o<strong>der</strong> Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte<br />

zum Zwecke <strong>der</strong> Wahlwerbung. Unabhängig davon, wann, auf<br />

welchem Weg und <strong>in</strong> welcher Anzahl diese Schrift <strong>der</strong> Empfänger<strong>in</strong>/<br />

dem Empfänger zugegangen ist, darf sie auch ohne zeitlichen Bezug<br />

zu e<strong>in</strong>er bevorstehenden Wahl nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise verwendet werden,<br />

die als Parte<strong>in</strong>ahme <strong>der</strong> Bundesregierung zugunsten e<strong>in</strong>zelner<br />

politischer Gruppen verstanden werden könnte.


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