20.05.2014 Aufrufe

Der Vertrag von Lissabon und das Grundgesetz - Dr. Peter Gauweiler

Der Vertrag von Lissabon und das Grundgesetz - Dr. Peter Gauweiler

Der Vertrag von Lissabon und das Grundgesetz - Dr. Peter Gauweiler

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Murswiek, Gutachten <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> 103<br />

Es handelt sich also um Strukturprobleme, die im Kompetenzgefüge der Europäischen<br />

Union <strong>und</strong> in ihrer institutionellen Ausformung bereits angelegt waren <strong>und</strong> durch den <strong>Vertrag</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> verfestigt <strong>und</strong> verschärft werden, also sozusagen um generellstrukturelle<br />

Demokratieverstöße. Außerdem enthält der <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> einige –<br />

größtenteils neue – Regelungen, die unter speziellen Gesichtspunkten mit dem Demokratieprinzip<br />

unvereinbar sind. Um diese geht es im folgenden.<br />

aa) Verfassungsänderung ohne parlamentarische Zustimmung<br />

Die Verfassung der Europäischen Union im funktionellen Sinne besteht nach dem <strong>Vertrag</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> aus dem <strong>Vertrag</strong> über die Europäische Union (EUV) <strong>und</strong> aus dem <strong>Vertrag</strong><br />

über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Diese Verträge sind als völkerrechtliche<br />

Verträge <strong>von</strong> dem Mitgliedstaaten vereinbart <strong>und</strong> ratifiziert worden. Die Zustimmung<br />

zu solchen Verträgen bedarf in Deutschland eines Zustimmungsgesetzes. Durch<br />

dieses wird die demokratische Legitimation solcher gr<strong>und</strong>legenden, die Verfassung der<br />

Europäischen Union hervorbringenden oder ändernden Entscheidungen sichergestellt.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> hat nun ein vereinfachtes <strong>Vertrag</strong>sänderungsverfahren eingeführt.<br />

Nach Art. 48 Abs. 6 UAbs. 2 EUV können jetzt die Bestimmungen des <strong>Dr</strong>itten Teils<br />

des AEUV durch Beschluß des Europäischen Rates geändert werden. Das Europäische<br />

Parlament hat hierbei kein Mitentscheidungsrecht, sondern wird nur angehört.<br />

Ein solcher Beschluß tritt erst „nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren<br />

verfassungsrechtlichen Vorschriften“ in Kraft (Art. 48 Abs. 6 UAbs. 2 Satz 3). Das<br />

Gr<strong>und</strong>gesetz enthält für solche Fälle keine besonderen Vorschriften. Insbesondere ist Art.<br />

23 GG durch <strong>das</strong> den <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> begleitende GG-Änderungsgesetz nicht um<br />

eine Klausel ergänzt worden, die für die Zustimmung zu einer <strong>Vertrag</strong>sänderung im vereinfachten<br />

Verfahren die Zustimmung des B<strong>und</strong>estages vorschreibt. Somit kommen die<br />

allgemeinen Vorschriften zur Anwendung. Was bedeutet <strong>das</strong>? Die B<strong>und</strong>esregierung behauptet,<br />

es sei eine „Ratifikation“ durch die Mitgliedstaaten erforderlich, <strong>und</strong> die nationalen<br />

Parlamente behielten „somit“ auch bei diesem Verfahren die Herrschaft über die Verträge<br />

185 .<br />

Diese Aussage ist in doppelter Hinsicht fragwürdig. Zum einen erfolgt die <strong>Vertrag</strong>sänderung<br />

hier nicht durch <strong>Vertrag</strong>, sondern durch den Beschluß des Europäischen Rates, also<br />

eines Organs einer supranationalen Organisation. Die Zustimmung der Mitgliedstaaten, an<br />

diese <strong>Vertrag</strong>sänderung geb<strong>und</strong>en sein zu wollen, mag man als „Ratifikation“ bezeichnen.<br />

Dies täuscht aber darüber hinweg, daß sie nicht in einem Verfahren abgegeben wird, <strong>das</strong><br />

den Regeln über <strong>das</strong> Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge folgt.<br />

Da die Änderung des AEUV nicht durch völkerrechtlichen <strong>Vertrag</strong> vorgenommen wird, ist<br />

Art. 59 Abs. 2 GG nicht anwendbar. Das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt,<br />

daß diese Vorschrift nicht zur Anwendung kommt, wenn Verträge in anderer Wei-<br />

185 Denkschrift zum <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong>, BT-<strong>Dr</strong>s. 16/8300, S. 167.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!