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Der Vertrag von Lissabon und das Grundgesetz - Dr. Peter Gauweiler

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Murswiek, Gutachten <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> 23<br />

Ist freilich der Antrag in der Hauptsache unzulässig oder offensichtlich unbegründet, kann<br />

die mangelnde Erfolgsaussicht in der Hauptsache zur Ablehnung der einstweiligen Anordnung<br />

führen 32 . Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Wie in diesem Rechtsgutachten<br />

gezeigt wird, ist sowohl die Verfassungsbeschwerde als auch die Organklage in der Hauptsache<br />

zulässig <strong>und</strong> begründet.<br />

Somit kommt es für die Begründetheit des Antrags auf einstweilige Anordnung gem. § 32<br />

BVerfGG auf die erwähnte Nachteilsabwägung an. Diese Abwägung ergibt im vorliegenden<br />

Falle folgendes:<br />

Unterbleibt die beantragte einstweilige Anordnung <strong>und</strong> erweist sich später in der Hauptsache<br />

die Verfassungsbeschwerde als begründet, so führt <strong>das</strong> zu sehr schwerwiegenden, nicht<br />

mehr revidierbaren Nachteilen für den Beschwerdeführer <strong>und</strong> zugleich für die B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland. Ohne die einstweilige Anordnung wird der <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong><br />

durch den B<strong>und</strong>espräsidenten in Kürze ratifiziert. Die Hinterlegung der Ratifikationsurk<strong>und</strong>e<br />

führt die völkerrechtliche Bindung der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland an diesen <strong>Vertrag</strong><br />

herbei. Aus dieser Bindung ergeben sich Rechtsfolgen zwar erst mit dem Inkrafttreten<br />

des <strong>Vertrag</strong>es, gem. Art. 6 Abs. 2 am 1. Januar 2009 beziehungsweise, falls bis dahin noch<br />

nicht alle Ratifikationsurk<strong>und</strong>en hinterlegt sind, am ersten Tag des auf die Hinterlegung<br />

der letzten Ratifikationsurk<strong>und</strong>e folgenden Monats. Daraus folgt aber nicht, daß die B<strong>und</strong>esrepublik<br />

bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht völkerrechtlich geb<strong>und</strong>en wäre <strong>und</strong> im<br />

Falle einer zwischenzeitlichen Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Zustimmungsgesetzes<br />

durch <strong>das</strong> B<strong>und</strong>esverfassungsgericht noch die Möglichkeit hätte, die Ratifikation<br />

zurückzuziehen. Vielmehr bewirkt die Ratifikation sofort – also längst vor Inkrafttreten des<br />

<strong>Vertrag</strong>es – die definitive völkerrechtliche Bindung der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland an<br />

diesen <strong>Vertrag</strong>. Deutschland ist verpflichtet, diesen <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> seinem Inkrafttreten an zu<br />

erfüllen. Eine zwischenzeitlich ergehende Entscheidung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts in<br />

der Hauptsache könnte hieran nichts mehr ändern. Bei Unterbleiben der einstweiligen Anordnung<br />

<strong>und</strong> Erfolg der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache wäre die B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland völkerrechtlich also an einen verfassungswidrigen <strong>Vertrag</strong> geb<strong>und</strong>en. Sie<br />

wäre gegenüber der Europäischen Union verpflichtet, diesen <strong>Vertrag</strong> trotz seiner Verfassungswidrigkeit<br />

zu erfüllen.<br />

Dies hätte zur Konsequenz, daß die Gr<strong>und</strong>rechtsverletzungen beziehungsweise Statusrechtsverletzungen<br />

des Antragstellers nicht mehr korrigiert werden könnten, sondern dauerhaft<br />

aufrechterhalten werden müßten. Bei diesen Rechtsverletzungen geht es nicht um<br />

Bagatellen, sondern um Beeinträchtigungen, die die Verfassung in ihrem Kernbereich berühren.<br />

Zwar ist der Antragsteller <strong>von</strong> den Gr<strong>und</strong>rechtsverletzungen nicht anders betroffen<br />

als andere Staatsbürger auch. Dies kann die Bedeutung dieser Gr<strong>und</strong>rechtsverletzungen<br />

aber nicht relativieren. Bei den Rechten aus Art. 20 Abs. 4 GG <strong>und</strong> aus Art. 38 II i.V.m. 20<br />

I, II GG handelt es sich um f<strong>und</strong>amentale Staatsbürgerrechte, deren Verletzung für jeden<br />

einzelnen ein außerordentlich großes Gewicht hat. Auch die die Statusrechte des Abgeordneten<br />

aus Art. 38 GG sind in ihrem Kern <strong>und</strong> sehr schwerwiegend betroffen; schließlich<br />

32 Vgl. BVerfGE 66, 39 (56 ff.); 77, 121 (124); 94, 334 (347); Benda/Klein (Fn. 27), Rn. 1204 f., 1216.

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