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Predigt-Erzbischof am 06. November 2011, St. Antonius Kirche

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„Singt das Lob Gottes mit der <strong>St</strong>imme, mit dem Herzen,<br />

mit dem Mund und singt es mit eurem Leben.“<br />

100 Jahre <strong>Kirche</strong>nchor <strong>St</strong>. <strong>Antonius</strong> Pforzheim<br />

<strong>am</strong> 6. <strong>November</strong> <strong>2011</strong><br />

32. Sonntag im Jahreskreis<br />

Weish 6,12-16; 1 Thess 4,13-18; Mt 25,1-13<br />

Liebe Schwestern, liebe Brüder in Christus!<br />

Welch entscheidende Bedeutung das Vorzeichen hat, unter dem eine Sache steht,<br />

war auf eindrucksvolle wie zugleich erschreckende Weise in den vergangenen Tagen<br />

zu erleben: Man hatte bei der Hypo Real Estate schlicht die Vorzeichen ‚Plus‘ und<br />

‚Minus‘ verwechselt. Ein scheinbar kleines Detail, aber offensichtlich mit großer Wirkung.<br />

Man muss kein Mathematiker sein, um zu wissen: Das Vorzeichen ist entscheidend!<br />

Es bestimmt all das, was darauf folgt. Auch wer Musik macht, hat auf das<br />

Vorzeichen zu achten, muss aufmerks<strong>am</strong> sein für Notenschlüssel, Takt und Tonart.<br />

Darum wissen Sie, liebe Sängerinnen und Sänger wie auch Dirigenten und Organisten,<br />

nur zu gut. Seit hundert Jahren stellen sich Gläubige hier in <strong>St</strong>. <strong>Antonius</strong> als <strong>Kirche</strong>nchor<br />

in den Dienst des musikalischen Gotteslobes. Unzählige Frauen und Männer,<br />

Junge und Alte, Menschen mit Bass-, Tenor-, Alt- und Sopranstimme waren und<br />

sind bereit, zu üben und zu proben, um Gottesdienste mitzugestalten und Konzerte<br />

vorzubereiten. Dafür sage ich Ihnen mein herzliches Vergelt’s Gott!<br />

Wer in rechter Weise <strong>Kirche</strong>nmusik machen will, der muss auf weit mehr achten als<br />

auf Notenschlüssel und Takt. Es geht um das grundsätzliche Vorzeichen; es geht um<br />

das, was viele Komponisten und <strong>Kirche</strong>nmusiker über ihre Partituren schrieben oder<br />

auch an deren Ende mit den drei entscheidenden Initialen zum Ausdruck brachten:<br />

SDG – Soli Deo Gloria – Allein Gott die Ehre.<br />

Das ist gewissermaßen die Kl<strong>am</strong>mer, die alles Musizieren umfasst; das ist der rote<br />

Faden, der alles durchzieht: Gott die Ehre geben. So widmete Anton Bruckner seine<br />

letzte Sinfonie, die Neunte, wie er wörtlich schreibt, „dem lieben Gott“. Und auf der<br />

Partitur des „Te Deum“ findet sich die Buchstabenfolge:<br />

O. A. M. D. G. – Omnia ad maiorem Dei gloria – „Alles zur größeren Ehre Gottes“.


2<br />

Unter diesem Vorzeichen, liebe Schwestern, liebe Brüder, sind wir auch in dieser<br />

<strong>St</strong>unde zus<strong>am</strong>mengekommen: Wir wollen Gott loben und ihm danken. „Alles zu größeren<br />

Ehre Gottes“ – Doch das ist weit mehr als die kurze und knappe Zus<strong>am</strong>menfassung<br />

der Feier der Liturgie. Sollte das nicht geradezu das Gütesigel und Erkennungszeichen<br />

eines christlichen Lebens, Ihres und meines Redens und Handelns<br />

sein? Alles zur größeren Ehre Gottes: Mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele ein<br />

Leben an der Seite Gottes führen, wachs<strong>am</strong> sein für Gottes Spuren im Alltag und<br />

immer aufmerks<strong>am</strong>er werden für seine Gegenwart. O. A. M. D. G. – Das ist das<br />

Wichtigste unseres Glaubens in Kürze; das eine Art SMS, in der uns täglich neu das<br />

Vorzeichen gesendet wird, das uns der Glaube schenkt und unter dem unsere Leben<br />

und Zus<strong>am</strong>menleben steht.<br />

Das Gleichnis, das Jesus seinen Jüngern im heutigen Evangelium erzählt, stellt uns<br />

Menschen vor Augen, die unter ganz unterschiedlichen Vorzeichen handeln: Da sind<br />

zehn Jungfrauen. Fünf sind klug und nehmen einen Vorrat an Öl mit auf den Weg,<br />

weil sie vorausdenken und vorausplanen. Sie sind sich dessen bewusst, dass das Öl<br />

ausgehen könnte. Sie wissen, dass eine beständig brennende L<strong>am</strong>pe entscheidend<br />

wichtig ist, wenn sie dem Bräutig<strong>am</strong> begegnen. Gute Vorbereitung ist gefordert. So<br />

sorgen sie vor und sind bereit. Die anderen fünf Jungfrauen sind töricht und denken<br />

nicht voraus. Sie nehmen zwar die L<strong>am</strong>pen, aber keinen Vorrat mit.<br />

Diese L<strong>am</strong>pen der zehn Jungfrauen können ein Symbol für das Herz sein, für unser<br />

Herz. Die fünf klugen Jungfrauen haben ein waches Herz, ein Herz, das brennt vor<br />

Freude, das von Liebe und Hoffnung entfl<strong>am</strong>mt ist, um auch lange dunkle und vielleicht<br />

bedrohliche Nächte durchstehen zu können. Die fünf törichten Jungfrauen haben<br />

ein leeres Herz. Sie sind ausgebrannt. Man ist fast geneigt, von einem „geistlichen<br />

burnout“ zu sprechen. Ihr Licht des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung ist<br />

erloschen.<br />

Liebe Schwestern, liebe Brüder, in diesem Gleichnis spiegelt sich die doch alles entscheidende<br />

Frage: Unter welchem Vorzeichen steht mein Leben und unser Zus<strong>am</strong>menleben?<br />

Rechne ich in meinem Alltag mit der Wirken Gottes? Sind wir in unserer<br />

Seelsorgeeinheit und Gemeinde wachs<strong>am</strong> für den Weg, den Gottes Geist uns führen<br />

will? Wo kommt Gott in meinem Terminkalender und bei unseren Besprechungen<br />

vor? In welchem Verhältnis steht er zu den Entscheidungen, die ich treffe, und zu<br />

den Begegnungen mit anderen Menschen? Brennt mein Herz für Jesus Christus?<br />

Oder wirken wir eher geistlich ausgebrannt, glaubensmüde und erschöpft?<br />

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3<br />

Letztlich ist der Glaube an Gott eine persönliche Beziehung, die wir eingehen; eine<br />

Freundschaft mit Jesus Christus. Und eine Freundschaft will gepflegt werden. Darum<br />

ist es entscheidend, nicht nur über Gott zu reden, sondern vielmehr mit ihm zu sprechen.<br />

Wer glaubt, dass Gott wirklich existiert, der kann – wie schon die Beter der<br />

Psalmen im Alten Test<strong>am</strong>ent – ihm alle Freuden und Erfolge, aber auch alle Sorgen<br />

und Nöte anvertrauen; der kann selbst mit seinen Zweifeln und Fragen im Gebet mit<br />

ihm ringen. Und umgekehrt bedeutet ein lebendiger Glaube, Gott in alles hineinzulassen,<br />

was einen bewegt. Das aber braucht Einübung und sichtbaren Ausdruck:<br />

Das kann heißen, aus dem H<strong>am</strong>sterrad täglicher Pflichten und Anforderungen auszusteigen<br />

und sich zu Gebet und Besinnung zurückziehen. Für viele sind Pilgerwege<br />

und Wallfahrten anregende Gelegenheiten, sich intensiver mit dem eigenen Leben<br />

auseinanderzusetzen und letztlich nach Gott zu suchen. Gemeins<strong>am</strong>e Bibelgespräche,<br />

das miteinander Beten in der F<strong>am</strong>ilie wie auch das Singen im <strong>Kirche</strong>nchor sind<br />

Ausdruck dafür, dass Gott uns nahe ist. Wir spüren, liebe Schwestern, liebe Brüder,<br />

überdeutlich: Die Zukunft der <strong>Kirche</strong> hier in Pforzheim und die des christlichen Glaubens<br />

in unserem Erzbistum entscheidet sich nicht zuerst an den Formulierungen in<br />

den Satzungen und der Gestaltung der <strong>St</strong>rukturen. Nein, es geht zuallererst um den<br />

lebendigen Glauben, um das gelebte Zeugnis für Jesus Christus, um das Bekenntnis,<br />

dass es in meinem eigenen Leben entscheidend auf Gott ankommt.<br />

Und bei alledem ist ausschlaggebend und Maßstab, wie sehr es uns wirklich darum<br />

geht, „Alles zur größeren Ehre Gottes“ zu tun. Daraus erwachsen uns auch Mut und<br />

Kraft zum Handeln. Und je mehr wir vom Geist Gottes erfüllt sind, desto mehr ist unser<br />

Herz so von Jesus Christus ergriffen, so dass unsere Arbeit und Freizeit, unser<br />

Umgang mit Menschen durchtränkt sind von Glaube, Hoffnung und Liebe. So wird<br />

unser Alltag selbst zum Lob Gottes. Der große <strong>Kirche</strong>nlehrer Augustinus fasst dies in<br />

die schönen Worte: „Singt mit der <strong>St</strong>imme, singt mit dem Herzen, singt mit dem Mund<br />

und singt mit dem Leben. Das Lob des Gesanges ist der Sänger selbst. Ihr wollt Gott<br />

Lob singen? Seid, was ihr singt! Ihr seid sein Lob, wenn ihr ein heiliges Leben führt.“<br />

Dieses Lob Gottes, bezeugt durch unser Leben, liebe Schwestern, liebe Brüder,<br />

strahlt aus in die Gesellschaft und macht andere neugierig. So sind wir Christen heute<br />

immer wieder neu gefordert, in unsere Gesellschaft hineinzuwirken, durch Impulse<br />

für ein gerechtes und menschenfreundliches Miteinander Gott die Ehre zu erweisen.<br />

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4<br />

Wir leben in einer Zeit, in der der zwischenmenschliche Umgangston rauer und kritischer<br />

geworden ist, in der viel über Gott, die Welt und den Menschen gej<strong>am</strong>mert,<br />

gemeckert, kritisiert und genörgelt wird. Nicht ohne Grund trägt ein aktuelles Buch,<br />

das derzeit überall im Handel zu finden ist, den bezeichnenden Titel „Einfach nur dagegen“.<br />

Darin schreibt der Autor Gerhard Matzig: „Einfach nur dagegen zu sein, das<br />

ist einfach viel zu einfach. Das heißt, die Probleme den Nachgeborenen zu überlassen,<br />

während sich eine depressiv verstimmte, ängstliche Gesellschaft voller Empörungsrituale<br />

von den Lösungen der Zukunft abwendet, um sich in Nostalgie und Innerlichkeit<br />

zu flüchten. Die Gefahren einer Protestgesellschaft, […] liegen nicht in der<br />

Zukunft, sondern darin, die Zukunft zu verneinen.“<br />

Hier haben wir Christen ein deutliches Gegengewicht zu setzen, einen Kontrapunkt.<br />

„Seid, was ihr singt! Ihr seid sein Lob, wenn ihr ein heiliges Leben führt.“ – das ist die<br />

Partitur für eine Art Motivations-Song gegen die vielen Klagelieder, um nicht zu sagen<br />

gegen die Fluchpsalmen, all jener Zeitgenossen, die an Gottes Liebe vorbeileben,<br />

die meinen, ohne Gott auskommen zu können und so auch die Achtung vor seiner<br />

Schöpfung verlieren. Es stimmt mehr als nachdenklich, wenn kürzlich in der Süddeutschen<br />

Zeitung zu lesen war, dass in unserem Land nahezu ein Drittel aller Lebensmittel<br />

im Müll landen. Und das vor allem deshalb, weil sie entweder den hohen<br />

Ansprüchen vieler Verbraucher an Form, Farbe und Größe nicht entsprechen oder<br />

weil weit mehr gekauft wird als verbraucht. Es scheint auch im Lebensmittelbereich<br />

so etwas wie eine Diktatur des Makellosen und Perfekten zu herrschen. Während in<br />

vielen Ländern der Erde Menschen hungern, wirft in Europa und Nord<strong>am</strong>erika jeder<br />

Bürger rund 100 Kilo Essen im Jahr weg. Das sind allein zwanzig Millionen Tonnen in<br />

Deutschland. Viele müssen heute wieder neu lernen, den Wert von Lebensmitteln<br />

schätzen zu wissen. Dazu braucht es eine Haltung, die nicht zu jeder Jahreszeit alles<br />

verfügbar und auf dem Tisch haben will. Dazu braucht es auch einen Bezug zum natürlichen<br />

Kreislauf von Aussaat, Wachstum und Ernte. Die Wertschätzung der Lebensmittel<br />

steigt mit der Achtung vor dem Urheber des Lebens und dem Schöpfer aller<br />

guten Gaben: Gott, der diese Welt erschaffen hat.<br />

Alles zur größeren Ehre Gottes! – Sie, liebe Sängerinnen und Sänger, sind nicht nur<br />

eine singende Gemeinschaft; mehr noch: Sie leisten einen wertvollen und unüberhörbaren<br />

Dienst: Sie zeugen von der Freude und Hoffnung unsres Glaubens. Sie<br />

halten mit Ihrem Gesang unseren Horizont offen für Gott, den Schöpfer. Ihre Chorgemeinschaft<br />

ist eine beständige und tragende Säule sowohl im Leben Ihrer Ge-<br />

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meinde als auch im Leben Pforzheims. Das Lob Gottes Ihrer Chorgemeinschaft hat<br />

die Höhen und Tiefen von einem Jahrhundert überdauert – auch die schmerzliche<br />

Zeit der beiden Weltkriege konnte den Chor nicht davon abbringen, immer wieder<br />

neu in das singende Gebet einzustimmen. Für Ihre Treue und Ihr sängerisches Engagement<br />

sage ich Ihnen, auch stellvertretend für die Generationen vor Ihnen, an<br />

dieser <strong>St</strong>elle mein herzliches Vergelt’s Gott. Und in meinen Dank schließe mit den<br />

Worten des Heiligen Vaters beim Gottesdienst in Freiburg auf dem Flugplatz, all jene<br />

ein, die „ihre Zeit und Kraft großherzig für Ehrenämter in der <strong>Kirche</strong> zur Verfügung<br />

stellen. Ihnen möchte ich in diesem Augenblick meinen Dank und meine Wertschätzung<br />

bekunden.“<br />

Liebe Schwestern und Brüder,<br />

je mehr wir darüber nachdenken, desto deutlicher wird, wie entscheidend es auf das<br />

Vorzeichen ankommt, auf die Grundhaltung unseres Miteinanders: eine Gesellschaft,<br />

ein Dorf, eine <strong>St</strong>adt ohne Gottvertrauen und Glaubensfreude ist bestenfalls wie ein<br />

Liedblatt ohne Sängerinnen und Sänger, wie ein Instrument ohne Musiker. Es bleibt<br />

stumm und ohne Wirkung. Ein Zus<strong>am</strong>menleben ohne gemeins<strong>am</strong>e Werte führt in die<br />

Disharmonie oder gar ins Chaos. Darum sind wir eingeladen und gefordert: Es gilt<br />

die Liebe Gottes als das alles entscheidende Vorzeichen unseres Lebens zu entdecken<br />

und zu leben; die Melodie der Hoffnung und Zuversicht anzustimmen und so<br />

Musik in <strong>Kirche</strong> und Gesellschaft zu bringen – Das ist unsere Aufgabe, das ist unser<br />

Dienst. Wir Christen hier in Pforzheim und weit darüber hinaus müssen auch heute<br />

und in Zukunft unseren unersetzlichen Beitrag für das Wohl unserer <strong>St</strong>adt und unserer<br />

Gesellschaft bringen. Ohne unseren Glauben wird unser Land ärmer, unser Zus<strong>am</strong>menleben<br />

eintöniger und unser Leben eindimensionaler. Wo der urchristliche<br />

Dreiklang von Glaube, Hoffnung und Liebe erklingt und den Ton angibt, da können<br />

sich Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit entfalten. Da nehmen die Worte, die Anton<br />

Bruckner uns an Herz legt, ganz konkrete Gestalt an: Alles zur größeren Ehre Gottes!<br />

Amen.<br />

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