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Altes Handwerk... neu erlebt! Kriemhildmühle Xanten (Vorschau)

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01<br />

2014<br />

<strong>Altes</strong> HANDWERK<br />

<strong>neu</strong> <strong>erlebt</strong>!<br />

<strong>Altes</strong><br />

HANDWERK<br />

<strong>neu</strong> <strong>erlebt</strong>!<br />

8,90 [D]<br />

9,20 [EU]<br />

15,20 sFr<br />

KRIEMHILDMÜHLE XANTEN<br />

Müller und Mühlen<br />

Niedersächsische Mühlenstraße<br />

Ganz der Opa<br />

Familientradition lebt weiter<br />

„Jan, treck an!“<br />

Moorkolonisation und Torfabbau<br />

Neue Besen fegen gut<br />

Der Bürstenmachermeister


www.mein-laendle.de<br />

Willkommen<br />

Neu<br />

Aus und für<br />

Baden-Württemberg<br />

Zuhause!<br />

Jetzt im Zeitschriftenhandel<br />

1 / 2014<br />

Januar<br />

Februar<br />

4,80 EUR<br />

2 / 2014<br />

März<br />

April<br />

4,80 EUR<br />

100 %<br />

Baden-Württemberg<br />

6 / 2013<br />

November<br />

Dezember<br />

4,80 EUR<br />

Leben im Denkmal<br />

Schwäbisches Kulinarium<br />

Tanzende<br />

Narren<br />

Der Odenwald<br />

Urwüchsig und geschichtsträchtig<br />

Bürstenbinder<br />

Handarbeit für Sauberkeit<br />

Pelzmärte und Klosa<br />

Weihnachtsbräuche im Schwarzwald<br />

Die Schwäbische Alb<br />

Romantisch und rau<br />

Zum Kuckuck<br />

Uhren zwischen Tradition und Moderne<br />

Theater Lindenhof<br />

Heimattheater mit Weltruhm<br />

Am Hochrhein<br />

Der Schweiz ganz nah<br />

Echo des Schönbuchs<br />

Bernhard Köhler baut Alphörner<br />

Rübengeister<br />

Springerle<br />

Fuchs<br />

Weihnachtsgans<br />

Die schönsten Seiten Baden-Württembergs<br />

Gefiederte Wintergäste<br />

Vitamine im Winter<br />

Hagebutte<br />

Bollenhuttracht<br />

Lichtermuseum<br />

Leckere Fasnetsküchle<br />

KräuterLändle<br />

Spitzwegerich<br />

und<br />

Meerrettich<br />

Palmen und Brezeln<br />

Osterdeko<br />

Die schönsten Seiten Baden-Württembergs<br />

Rosen pflanzen<br />

Frühlingserwachen im Wald<br />

Bräuche in der Karwoche<br />

Brisilleneier<br />

Testen<br />

Sie jetzt zum<br />

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Die Ursprünglichkeit und Vielfalt des Landlebens in Baden-<br />

Württemberg steht im Fokus der <strong>neu</strong>en Zeitschrift Mein Ländle.<br />

Menschen und Typen, Natur und Garten, Traditionen und<br />

Bräuche, Kulinarisches und Wein, Kräuterwissen, Wander- und<br />

Ausflugs tipps und vieles mehr machen Mein Ländle zu einem<br />

Inspirations- und Impulsgeber für den Alltag der Menschen in<br />

Baden- Württemberg.<br />

Authentizität, Wertigkeit, Nachhaltigkeit und Originalität sind<br />

Werte, die Mein Ländle zu einer liebens- und lesens werten<br />

Zeitschrift machen, die die schönen Seiten baden-württembergischen<br />

Land lebens zeigt. Eine Zeitschrift, die Freude bringt!<br />

3 Ausgaben Mein Ländle zum Preis von 2!<br />

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Lebendiges Land Liebenswerte Leute Lustvolles Leben


<strong>Altes</strong><br />

HANDWERK<br />

<strong>neu</strong> <strong>erlebt</strong>!<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

nach dem erfolgreichen Start im Herbst 2013 können wir Ihnen hiermit die<br />

zweite Ausgabe „<strong>Altes</strong> <strong>Handwerk</strong> ... <strong>neu</strong> <strong>erlebt</strong>!“ präsentieren. Die zahlreichen<br />

positiven Rückmeldungen und Zuschriften ‒ für die wir uns an dieser<br />

Stelle herzlich bedanken möchten ‒ zeigen, dass wir mit dieser Publikation<br />

auf dem richtigen Weg sind. Eines lässt sich anhand der Leserreaktionen<br />

deutlich ablesen: Traditionelles <strong>Handwerk</strong> wird noch immer flächendeckend<br />

betrieben. Dabei steht Qualität vor Preis alles eine Frage der Wertschätzung.<br />

Denn handwerklich gefertigte Gegenstände halten oft über Generationen<br />

hinweg.<br />

Udo Mannek<br />

Chefredakteur<br />

Schade wäre es jedoch, wenn die handwerklichen Kenntnisse und Fähigkeiten<br />

irgendwann einmal vollständig verloren und vergessen wären. Deshalb<br />

sollten die guten alten <strong>Handwerk</strong>skünste bewahrt werden, Faszination auf<br />

uns ausüben und Nützliches hervorbringen. Manch kleine Werkstatt oder<br />

familiengeführte Manufaktur hält die alten <strong>Handwerk</strong>e hoch. Doch oft<br />

sind die „alten Meister” die letzten ihres Standes. Zudem wird ihre Existenz<br />

durch EU-Regelungen bedroht, wie die Hammerschmiede von Franz<br />

Mayer. Und wer wird einmal den Betrieb übernehmen? Nicht immer sind<br />

Nachfolger in Sicht. Mit Freude lesen wir in „Ganz der Opa” vom Enkel, der<br />

dem Großvater mit Begeisterung nacheifert.<br />

Aber auch die klassischen <strong>Handwerk</strong>sbetriebe finden oftmals nur schwerlich<br />

<strong>neu</strong>e Auszubildende, welche gerne die vermeintlich angenehmeren Bedingungen<br />

eines Bürojobs vorziehen. Hier lässt sich aber ein kleiner Trend<br />

beobachten: <strong>Handwerk</strong>sbetriebe sind <strong>neu</strong>erdings bestrebt, attraktivere<br />

Ausbildungsplätze für junge Menschen zu schaffen. Es bleibt zu hoffen, dass<br />

diese Bemühungen Früchte tragen.<br />

Ich wünsche Ihnen viel Spaß und Freude beim Lesen<br />

Ihr<br />

03


<strong>Altes</strong><br />

HANDWERK<br />

<strong>neu</strong> <strong>erlebt</strong>!<br />

INHALT<br />

Forum<br />

Termine<br />

Damals<br />

06 Kreative Workshops<br />

Schönes selber herstellen<br />

08 Termininformationen zu:<br />

· <strong>Handwerk</strong>ermärkten<br />

· Ritterfestspielen<br />

· Trachtenmärkten<br />

69 Der Buchdrucker<br />

Selber <strong>Handwerk</strong>en<br />

70 Hochdruck<br />

Holzschnitt – Linolschnitt<br />

Titelseite:<br />

Müller Weichold in der Krimhildmühle in <strong>Xanten</strong><br />

Foto: Dennis Mannek<br />

04


Lebendiges <strong>Handwerk</strong><br />

11 Müller und Mühlen<br />

16 Vom Korn zum Brot<br />

22 Im Reich der bunten Gläser<br />

28 Ganz der Opa<br />

33 Alte <strong>Handwerk</strong>skunst<br />

36 Die Korbmacher<br />

42 Neue Besen fegen gut<br />

48 Traditionelle Käseproduktion<br />

57 Die Miedernäherin<br />

60 Von Böttchern und Fässern<br />

64 Historische<br />

Weinbrennerei Dujardin<br />

74 Bernstein, Gold und Silber<br />

80 Ein Dorf voller<br />

<strong>Handwerk</strong>er<br />

<strong>Handwerk</strong> im Museum<br />

30 Der Kupferschmied<br />

und sein Werkstoff<br />

52 „Jan treck an!“<br />

05


Forum<br />

KREATIVE WORKSHOPS<br />

Schönes selber herstellen<br />

Unter dem Motto „Handmade Happinezz“ bietet Sylivia Averdick<br />

verschiedene Workshops an. Der Workshop „Holzarbeiten“<br />

bietet zum Beispiel die Möglichkeit, ein Insektenhotel und<br />

Vogelhaus als Bausatz zu gestalten. Ferner geben die Kurse<br />

„Stempel”, „Papier” und „Seifen” reichlich Gelegenheit, um<br />

schöne Dinge selber anzufertigen.<br />

Vogelhaus<br />

Die Teilnehmer können verschiedene Varianten wählen, ebenso<br />

kann das Häuschen individuell angemalt oder mit Decoupage-Papier<br />

beklebt werden. Hier kennt die Kreativität keine<br />

Grenzen. Die Häuschen müssen dann nur noch zusammengeschraubt<br />

werden.<br />

Insektenhotel<br />

Aus einem Bausatz entsteht ein eigenes Insektenhotel. Insekten<br />

sind wichtig für die Bestäubung der Pflanzen und bekämpfen<br />

zudem Schädlinge. Das Insektenhotel kann in verschiedene<br />

Fächer aufgeteilt und mit den unterschiedlichsten Naturmaterialien<br />

befüllt werden, je nach Wunsch und Bedarf. So<br />

bettet sich der Marienkäfer gerne in Tannenzapfen und frisst<br />

tagsüber die Läuse. Der Laufkäfer frisst nachts die Schnecken<br />

und hält sich gerne in Holzspänen auf, der Schmetterling bekommt<br />

einen exklusiven Eingang. Für die friedliche Mauerbiene<br />

wurden kleine Reagenzgläser eingelassen, in denen sie sich<br />

niederlassen kann. Sie können herausgezogen und die Bienen<br />

beobachtet werden. Es gibt Tonscherben, Stroh und noch<br />

vieles mehr als Baumaterial. Jeder kann sein Hotel den eigenen<br />

Gegebenheiten nach einrichten. Maße: 47 x 37 x 12 cm; das<br />

passt auch in den kleinsten Garten und auf den Balkon.<br />

06


Stempel<br />

Im Kurs „Stempel“ werden bezaubernde Stempel aus verschiedenen<br />

Materialien zum Thema Obst und Gemüse (Erdbeere,<br />

Apfel uvm.) hergestellt. Damit können z.B. selbstgemachte<br />

Konfitüren im Frühjahr mit wunderschönen Motiven verziert<br />

werden. Diverse Vorlagen sind vorhanden. Ebenso werden in<br />

diesem Kurs Geschenkanhänger gestaltet.<br />

Papier<br />

Die Teilnehmer werden in die Welt des Papierschöpfens<br />

eintauchen, so wie es bereits 105 n. Chr. erfunden wurde und<br />

bis heute praktiziert wird. Gezeigt wird auch, wie man Papier<br />

herstellt, presst und trocknet. Ferner beinhaltet der Kurs<br />

das Papiereinfärben und vermittelt Techniken wie Materialien<br />

eingearbeitet und individuelle Briefpapiere selbst hergestellt<br />

werden können.<br />

Seifen<br />

„Von wunderbaren Düften verwöhnen lassen” steht im Seifen-Kurs<br />

ganz oben. Seifen werden gegossen und mit hochwertigen<br />

Ölen, Düften und Farben veredelt. Eine Vielzahl<br />

an Gießformen, Stempeln und Prägeplatten ist vorhanden.<br />

Außerdem werden eine große Badekugel und kleine Gästeseifen<br />

hergestellt. Dazu gibt es eine Seifenschale aus Naturholz<br />

und bei Bedarf eine Geschenkschachtel, damit die liebevoll<br />

hergestellten Seifen auch direkt verschenkt werden können.<br />

Kontakt<br />

Sylvia Averdick<br />

Handmade Happinezz<br />

Kirchstraße 126<br />

47509 Rheurdt<br />

E-Mail: sylvi_av@gmx.de<br />

Homepage: www.kleine-freude.com und<br />

www.kleine-kochfreude.com<br />

Tel: +49(0)157/55989225<br />

Öffnungszeiten:<br />

Eine Woche im Monat; täglich wechselnde Angebote<br />

(siehe Homepage)<br />

Fotos: Sylvia Averdick<br />

07


TERMINE<br />

Stand 01.05.2014 – ohne Gewähr. Es wird empfohlen, sich vor Antritt einer<br />

längeren Anfahrt beim jeweiligen Veranstalter über evtl. Änderungen zu informieren!<br />

MAI<br />

JUNI<br />

AUGUST<br />

24. - 25. Mai<br />

Dampftage im Museum Eslohe<br />

mit Aktionen im Rahmen von<br />

„Tatort Technik“.<br />

Info unter: +49(0)2973/2455<br />

E-Mail: info@museum-eslohe.de<br />

Kontaktadresse: DampfLandLeute -<br />

MUSEUM ESLOHE, Museumsverein<br />

Eslohe e.V., Franz-Josef Keite<br />

In der Schlade 10<br />

59889 Eslohe<br />

Tel. +49(0)2973/6950<br />

Fax: +49(0)2973/9759102<br />

Mail: keite@museum-eslohe.de<br />

Homepage: www.museum-eslohe.de<br />

29. Mai - 01. Juni<br />

GartenLeben Schloss Grünewald<br />

Vielfältige Inspirationen rund um die<br />

Themen Garten, Kunst und Wohnen<br />

mit über 130 Ausstellern auf dem<br />

traumhaften Gelände des Schlosses<br />

Grünewald in Solingen.<br />

Eintritt: 7,- € für alle 4 Tage (mit Wiedereinlassbändchen!)<br />

Anschrift: Schloss Grünewald<br />

Haus Grünewald 1<br />

42653 Solingen<br />

Homepage: www.GartenLeben.net<br />

31. Mai - 01. Juni<br />

Trachten- und <strong>Handwerk</strong>ermarkt des<br />

V.T.E.V Neubeuern e.V.<br />

www.trachtenverein-<strong>neu</strong>beuern.de<br />

Foto: Martina Poll<br />

07. - 09. Juni (Pfingsten)<br />

Flachsmarkt in Krefeld 2014<br />

<strong>Handwerk</strong>er, Ritter & Musikanten rund<br />

um Burg Linn<br />

www.flachsmarkt.de<br />

07. - 09. Juni (Pfingsten)<br />

Ritterfestspiele Pfingsten Burg Satzvey<br />

Höhepunkt des mittelalterlichen<br />

Treibens rund um die Burg sind die<br />

Ritter der Burg Satzvey, die ihre völlig<br />

<strong>neu</strong>e Show präsentieren. Ein großes<br />

Ritterlager und mittelalterliches<br />

Markttreiben machen den Besuch an<br />

den Pfingsttagen auf der Burg zu einem<br />

unvergesslichen Erlebnis für die ganze<br />

Familie: Spielleute, Gaukler, Märchenerzähler<br />

und zahlreiche Händler aus verschiedensten<br />

mittelalterlichen Zünften<br />

machen ihre Aufwartung. Gut siebzig<br />

Händler aus verschiedenen Zünften erwarten<br />

die kleinen und großen Besucher<br />

auf dem großen Burggelände.<br />

Homepage: www.burgsatzvey.de<br />

13. - 15. Juni<br />

GartenLeben Freilichtmuseum<br />

Dorenburg<br />

Vielfältige Inspirationen rund um die<br />

Themen Garten, Kunst und Wohnen mit<br />

über 100 Ausstellern verteilt auf dem<br />

großzügigen, historischen Gelände des<br />

Niederrheinischen Freilichtmuseums.<br />

Neu mit Pflanzenraritätenmarkt!<br />

Eintritt: 7,- € für alle 3 Tage.<br />

Niederrheinisches Freilichtmuseum<br />

Am Freilichtmuseum 1<br />

47929 Grefrath<br />

Homepage: www.GartenLeben.net<br />

13.- 15. Juni<br />

Backesfest in Briedern<br />

Hier wird noch nach altem handwerklichem<br />

Brauch Sauerteigbrot im alten<br />

Steinofen, im „Backes“, gebacken. Zu<br />

frischem Brot gibt es deftige Hausmannskost<br />

und ein Gläschen Moselwein<br />

oder ein frisch gezapftes Bier.<br />

Weitere Informationen:<br />

www.ferienland-cochem.de<br />

Foto: Mike Göhre<br />

02. - 03. August<br />

Burgfest auf der Reichsburg Cochem<br />

Wenn sich Ritter in glänzenden Rüstungen<br />

duellieren, sich heißes Metall unter<br />

den Schlägen des Schmiedes formt und<br />

sich Gaukler und Musiker gegenseitig in<br />

ihren Darbietungen übertreffen, dann<br />

werden längst vergangene Zeiten wieder<br />

lebendig. Und daher lädt die hoch<br />

über Cochem thronende Reichsburg am<br />

Samstag, 2. August 2014, ab 10.00 Uhr,<br />

und Sonntag, 3. August 2014, ab 11.00<br />

Uhr, zum mittelalterlichen Burgfest.<br />

Homepage: www.reichsburg-cochem.de<br />

30. - 31. August<br />

FineArts Schloss Lembeck<br />

160 Künstler, Kunsthandwerker und Designer<br />

präsentieren hier, an einem der<br />

schönsten barocken Wasserschlösser<br />

Deutschlands, ihre ausschließlich selbst<br />

gefertigten Exponate. Eintritt: 8,- €<br />

Euro, Kinder (6 – 14 Jahre) 2,- € Euro.<br />

Schloss Lembeck<br />

Schloss 1, 46286 Dorsten.<br />

Homepage: www.Schloss-Lembeck.net<br />

08


RESTAURATOR IM HANDWERK E.V.<br />

RESTAURATOR IM HANDWERK E.V.<br />

RESTAURATOR IM HANDWERK E.V.<br />

SEPTEMBER<br />

13. - 14. September<br />

Landwirtschaft am Kiekeberg –<br />

Dampf- und Traktorentreffen<br />

Im September knattert und dampft es<br />

im Freilichtmuseum am Kiekeberg. Das<br />

große Dampf- und Traktorentreffen<br />

präsentiert außergewöhnliche Dampfmaschinen<br />

und alte Traktoren zwischen<br />

den historischen Gebäuden. Beeindruckende<br />

Vorführungen der Maschinen<br />

versetzen Besucher in Staunen. Ein<br />

Schwerpunkt in diesem Jahr wird das<br />

Thema Holz sein. Zwei Sägewerke, die<br />

mit Dampfmaschinen betrieben werden,<br />

Foto: Dirk Jochmann<br />

eine fahrbare Bandsäge, Holzspalter<br />

und Buschhacker sind an diesem Tag im<br />

Einsatz.<br />

Stiftung Freilichtmuseum<br />

am Kiekeberg, Am Kiekeberg 1,<br />

21224 Rosengarten-Ehestorf.<br />

Homepage: www.kiekeberg-museum.de<br />

27. - 28. September<br />

Dampftage im Museum Eslohe<br />

mit Aktionen im Rahmen von<br />

„Tatort Technik“<br />

Info unter: +49(0)2973/2455<br />

E-Mail: info@museum-eslohe.de.<br />

Kontaktadresse: DampfLandLeute –<br />

MUSEUM ESLOHE, Museumsverein<br />

Eslohe e.V., Franz-Josef Keite,<br />

In der Schlade 10,<br />

59889 Eslohe,<br />

Tel. +49(0)2973/6950;<br />

Fax: +49(0)2973/9759102<br />

Mail: keite@museum-eslohe.de<br />

Homepage: www.museum-eslohe.de<br />

Deutschland<br />

9,– €<br />

Restaurator im <strong>Handwerk</strong> • Ausgabe 1/2013 • ISSN 1869-7119<br />

Themenschwerpunkt<br />

WAND<br />

FLIESEN<br />

1 / 2013<br />

Mit Beiträgen von:<br />

Wolfgang Pehnt, Jürgen Biewend, Ulrich Hamburg, Clemens Alexander<br />

Wimmer, Willi Bender, Konrad Schittek, Ulrich Bierstedt, Hans Kuretzky,<br />

Andreas Fritsche, Thomas Rabenau, Eberhard Ludwig u. v. m.<br />

Deutschland<br />

9,– €<br />

Restaurator im <strong>Handwerk</strong> • Ausgabe 2/2013 • ISSN 1869-7119<br />

Themenschwerpunkt<br />

2 / 2013<br />

Künstliche Baustoffe<br />

und KUNST-Stoffe im Bauwesen<br />

Mit Beiträgen von:<br />

Johannes Weber, Hartwig Schmidt, Gottfried Hauff, Michael Christian Krempler,<br />

Andreas Kurzweil, Silvia Tauss, Friederike Waentig, Julia Gredel, Dietmar Linke,<br />

Annemarie Rothe, Eberhard Ludwig u. v. m.<br />

Deutschland<br />

9,– €<br />

Restaurator im <strong>Handwerk</strong> • Ausgabe 3/2013 • ISSN 1869-7119<br />

Themenschwerpunkt<br />

3 / 2013<br />

METALLRESTAURIERUNG<br />

Mit Beiträgen von:<br />

York Rieffel, Klaus Brandes, Christian Metzeroth, Georg Ignaszewski, Thomas<br />

Dempwolf, Ralf Meyer, Michael van Ooyen, Dirk Meyer, Angelika Braubach,<br />

Eberhard Ludwig, Klaus Struve, Thomas Müller u. v. m.<br />

Deutschland<br />

9,– €<br />

Restaurator im <strong>Handwerk</strong> • Ausgabe 4/2013 • ISSN 1869-7119<br />

Restaurator im <strong>Handwerk</strong><br />

DIE FACHZEITSCHRIFT FÜR RESTAURIERUNGSPRAXIS<br />

4 / 2013<br />

Deutsche<br />

Themenschwerpunkt<br />

Natursteinvorkommen<br />

Mit Beiträgen von:<br />

Enno Steindlberger, Thomas Kirnbauer, Gerhardt A. Roth, Gerda Schirrmeister,<br />

Tobias Neubert, Christoph Reuther, Céline Dupeux, Uwe Schön, Horst Hesse,<br />

Markus Sandner, Sabine Bengel u. v. m.<br />

Abonnement<br />

Ein Jahres-Abonnement<br />

(4 Ausgaben) kostet<br />

30,00 Euro inkl. 7%<br />

Mwst. und Versand<br />

innerhalb Deutschlands<br />

bzw. 40,00 Euro bei Versand<br />

innerhalb der EU.<br />

Bezugspreis: 9 Euro<br />

ISSN 1869-7119<br />

4 Ausgaben im Jahr mit Fachbeiträgen zu Schwerpunktthemen in der Restaurierung<br />

Weitere Informationen und Onlineausgaben finden Sie unter www.restaurator-im-handwerk.de<br />

Redaktion Restaurator im <strong>Handwerk</strong><br />

Gierkeplatz 9 | 10585 Berlin | Tel.: 030 - 63 96 30 49 | Fax: 030 - 63 96 30 66 | redaktion@restaurator-im-handwerk.eu<br />

Herausgegeben von der Bundesvereinigung Restaurator im <strong>Handwerk</strong> e. V.<br />

09


Erleben Sie “ALTES HANDWERK”<br />

live vor Ort bei einem Besuch im museum<br />

DAS ERFOLGSMUSEUM IN SÜDWESTFALEN<br />

FASZINATION TECHNIK<br />

Alte Technik begeistert! Kleine und Große, Alte und Junge, Technikfans<br />

und Laien.<br />

Tausend Fragen werden wach: Wie und warum funktioniert das?<br />

Wer hat sich das ausgedacht? Wofür braucht man das? Ganz viele<br />

Antworten hierauf gibt es im Technikmuseum Freudenberg!<br />

Hier heißt es, Mechanik begreifen und<br />

mit allen Sinnen erleben: Es surrt und<br />

ächzt, der Schmiedehammer kracht,<br />

es riecht nach heißem Öl und die<br />

Transmissionsriemen klatschen laut<br />

und durchdringend. Denn nicht nur<br />

die Deutschlandweit größte vollfunktionsfähige<br />

Sammlung von 25 alten<br />

Werkzeugmaschinen, angetrieben durch eine geschichtsträchtige<br />

Dampfmaschine und dazugehörige Transmissionen, gibt es zu<br />

erleben, sondern auch historische Fahrzeuge, Webstühle, über 40<br />

Dampfmaschinenmodelle…..<br />

Besuchen Sie uns unter www.technikmuseum-freudenberg.de im<br />

Internet. Hier erfahren Sie unsere Öffnungszeiten, aktuelle Veranstaltungen<br />

und vieles mehr. Wir freuen uns auf Sie!<br />

Technikmuseum Freudenberg<br />

Olper Straße 5 I 57258 Freudenberg I Tel.: 02734-3248<br />

Info@technikmuseum-freudenberg.de<br />

www.technikmuseum-freudenberg.de<br />

Freilichtmuseum Ensemble Gerersdorf<br />

Das größte Freilichtmuseum<br />

des Südburgenlandes - im<br />

Südosten Österreichs - ist seit<br />

vielen Jahren ein kulturhistorischer,<br />

touristischer, künstlerischer<br />

und handwerklicher Fixpunkt<br />

in dieser Region. In der<br />

idyllischen Hügellandschaft<br />

befinden sich über 30 typisch<br />

regionale, hierher übertragene<br />

bäuerliche Gebäude der<br />

letzten drei Jahrhunderte, die teilweise noch mit Stroh gedeckt<br />

sind und eine Fülle bodenständiger Gebrauchsgegenstände und<br />

Gerätschaften beherbergen.<br />

In diesem reizvollen Ambiente<br />

werden alte traditionelle<br />

<strong>Handwerk</strong>stechniken<br />

an Interessierte in Kursen<br />

weitergegeben: Kunstschmieden<br />

und Klingenschmieden,<br />

Möbel-Restaurieren, Keramik,<br />

Glaser-Techniken, Korbflechten,<br />

Fotografie, Filzen und<br />

Handweben. Das Besondere<br />

an diesen Kursen ist die<br />

Arbeit in den historischen Original-Werkstätten des Museums wie<br />

Schmiede, Tischlerhaus oder Glaserei. Alle Details dazu finden Sie<br />

auf unserer Homepage.<br />

Freilichtmuseum Ensemble Gerersdorf<br />

7542 Gerersdorf bei Güssing 83, Südburgenland, Österreich,<br />

Tel. +43 3328 32255, Internet: www.freilichtmuseum-gerersdorf.at<br />

E-Mail: freilichtmuseum.gerersdorf@aon.at<br />

Wir bewahren alte <strong>Handwerk</strong>s-Traditionen<br />

Freilichtmuseum am Kiekeberg.<br />

• Brennerei<br />

• Bäckerei<br />

• Schmiede<br />

• Weberei<br />

• Kaffeerösterei<br />

Ganzjährig geöffnet!<br />

Genuss schmeckt<br />

Unsere Traditionsbrände<br />

sind online erhältlich!<br />

Tel. (0 40) 79 01 76-0<br />

www.kiekeberg-museum.de<br />

direkt an der A7<br />

kostenfreie Parkplätze<br />

10


Lebendiges <strong>Handwerk</strong><br />

Müller und Mühlen<br />

von Klaus-Uwe Hölscher<br />

Die Deutsche Gesellschaft für Mühlenkunde und<br />

Mühlenerhaltung veranstaltete am Pfingstmontag<br />

2013 den 20. Deutschen Mühlentag, der bereits seit<br />

1994 ausgerufen wird. In der gesamten Bundesrepublik<br />

laden rund 1000 Wind- und Wassermühlen zu Besichtigungen,<br />

Führungen und verschiedenen Aktivitäten ein. Die<br />

Niedersächsische Mühlenstraße zeigt allein in Ostfriesland<br />

Reisewege zu 94 Mühlen. Das Gebiet umfasst die Städte<br />

Wilhelmshaven und Emden sowie die Landkreise Ammerland,<br />

Aurich, Friesland, Wesermarsch, Wittmund und Leer.<br />

Im Landkreis Leer waren am Mühlentag die Windmühlen<br />

vom Typ Galerieholländer in Bunde, Ditzum, Hahnentange-Rhauderfehn,<br />

Holtland, Idafehn, Jemgum, Mitling-Mark,<br />

Neermoor, Rhaude, Stapelmoor und Südgeorgsfehn-Uplengen<br />

geöffnet.<br />

Die Niedersächsische Mühlenstraße erschließt auf einer 3650<br />

km langen Strecke das nördliche und mittlere Niedersachsen<br />

von der Nordsee bis zum Solling im Weserbergland und von<br />

Ostfriesland bis zur Elbe. Geplant ist, dass zukünftig alle<br />

Gebiete Niedersachsens für Freunde historischer Mühlentechnik<br />

erschlossen sein werden. Nicht was die Bauweise der<br />

Mühlen anbetrifft, sondern nach ihrem derzeitigen Zustand<br />

lassen sich vier Gruppen unterscheiden: Museumsmühlen,<br />

Wohnmühlen, noch gewerbsmäßig betriebene und stillgelegte<br />

Mühlenbetriebe. Wenn man Glück hat, ist dort noch alles<br />

stehen- und liegengeblieben wie am letzten Betriebstag.<br />

„Pelde“ nicht im Duden<br />

Wasser und Windkraft dienen zum Antrieb von Mühlen,<br />

die recht vielseitig einzusetzen sind. Am häufigsten dürften<br />

wohl Getreidemühlen sein, die das Korn zu Mehl, Schrot<br />

oder auch Grütze mahlen. Getreidekörner ohne Hülsen sind<br />

Graupen, die in Peldemühlen anfielen. Das Wort „Pelde“<br />

jedoch sucht man vergeblich im Duden und anderen <strong>neu</strong>zeitlichen<br />

Wörterbüchern, da es offensichtlich nur regional<br />

gebräuchlich ist. Mühlen dienten auch zum Mahlen von<br />

Ölfrüchten und Senfsaaten.<br />

Außer zur Bearbeitung und Herstellung von Lebensmitteln<br />

gab es Sägemühlen (Holzbearbeitung durch Gattersägen),<br />

Schleifmühlen (Bearbeiten von Sandsteinen) und Papiermühlen,<br />

in denen Lumpen zur Papierherstellung zerstampft<br />

wurden. Auch Muschelschalen wurden in Mühlen zu Baukalk<br />

gemahlen. Mühlen arbeiteten auch als Schöpfwerke zur<br />

Entwässerung von tiefer gelegenen Landschaften, besonders<br />

in den Niederlanden. Das Wasser wurde mit Schöpfrädern<br />

oder archimedischen Schrauben (Schneckenräder als Wasserhebewerk)<br />

auf ein höheres Ablaufniveau gehoben.<br />

Überall „müllert“ es<br />

Die Berufsbezeichnung Müller ist als Familienname weit<br />

verbreitet. Zu den bekannten Redewendungen gehört „Lieschen<br />

Müller“. Sie gilt als Inbegriff einer durchschnittlichen<br />

Frau, die keine großen Ansprüche stellt. Statt „Forelle blau“<br />

(also sanft gekocht) gibt es den Fisch auch nach Müllerin Art<br />

(leicht paniert und gebraten). Mühle gibt es als Brettspiel,<br />

bekannt sind auch die Ausdrücke Tret- und Zwickmühle für<br />

durchaus stressige Situationen.<br />

Die Mühle ist im Volksmund fest verankert, dafür hier nur<br />

zwei Beispiele: der Kinderabzählvers „Ich und Du, Müllers<br />

Kuh, Müllers Esel, das bist Du“ und das Volkslied: „Es<br />

klappert die Mühle am rauschenden Bach, klipp, klapp.“<br />

Jemanden durch die Mühle drehen bedeutet, dass man ihm<br />

hart zusetzt. Bekanntlich <strong>erlebt</strong>en Max und Moritz dieses<br />

Schicksal als überharte Strafe für ihre Streiche. Ein mittelhochdeutscher<br />

Dichter beklagt sich darüber, dass seine<br />

Kunstwerke beim Publikum kaum Anerkennung finden:<br />

„Des ist geharpfet in der mül.“ Er kommt sich so vor, als ob<br />

er in einer Mühle Harfe spielt. Er wirft gewissermaßen seine<br />

Perlen vor die Säue.<br />

Mühle in Leer-Logabirum<br />

Einige Windmühlen sollen hier kurz vorgestellt werden.<br />

Die Mühle Logabirum ist die einzige im Stadtgebiet<br />

von Leer-Ostfriesland heute noch erhaltene Windmühle,<br />

während um 1900 noch über ein Dutzend vorhanden<br />

waren. Im Jahre 1895 ließ sich Jan Gerads Eiklenborg<br />

einen zweistöckigen reetgedeckten Galerieholländer mit<br />

Segelgatterflügeln als Getreidemühle und mit Sägegatter<br />

11


Mühle Eiklenborg in Leer-Logabirum als reetgedeckter Galerieholländer<br />

erbauen. Sein Sohn Johann Gerhard stellte den Mühlenbetrieb<br />

1935/36 auf Motorkraft um. Den Zweiten Weltkrieg<br />

überstand die Mühle Logabirum fast unversehrt, nur das<br />

Windrosenbrett wurde beschädigt. 1968 wurde der Enkel des<br />

Erstbesitzers Eigentümer.<br />

Mit der Gründung des Mühlenvereins 1995 begannen<br />

umfangreiche Restaurierungsarbeiten: Eine <strong>neu</strong>e Galerie<br />

wurde angebaut und die Gattersäge wieder auf Windbetrieb<br />

umgestellt. Somit ist die Mühle in allen Funktionen<br />

wieder betriebsfähig. Am Mühlentag fand ein Fest statt und<br />

es wurde im mühleneigenen Holzbackofen Brot gebacken.<br />

Außer den vielen Gästen war auch ein Storchenpaar dabei,<br />

das auf einem hohen Gittermast neben der Mühle Logabirum<br />

ein Nest bezogen hatte und sich durch die Veranstaltung<br />

keinesfalls stören ließ. Besonders für Radwanderer ist<br />

die Mühle Eiklenborg in Leer-Logabirum ein beliebtes Ziel<br />

mit Übernachtungsmöglichkeit.<br />

Peldemühle in Jemgum<br />

Von Leer bis zur Gemeinde Jemgum im Rheiderland sind<br />

es nur ca. 8 Kilometer. Man kann die Ems über die Jan-<br />

Berghaus-Brücke überqueren oder auf der Autobahn den<br />

Emstunnel benutzen. Schon bevor man den Ort erreicht,<br />

hebt sich die Peldemühle mit ihrer Kappe, der Windrose<br />

Die Peldemühle in Jemgum (LK Leer) konnte<br />

2006 ihr 250-jähriges Jubiläum feiern<br />

12


und den Flügeln deutlich vom Horizont ab. Die Jemgumer<br />

Peldemühle wurde bereits 1756 erbaut und konnte somit im<br />

Jahre 2006 ihr 250-jähriges Bestehen feiern. Schon vorher<br />

gab es eine Windmühle in Jemgum, die der Müller Gerd<br />

Kreling 1740 gekauft hatte, die aber offensichtlich zu niedrig<br />

gebaut war. Deshalb wandte sich Kreling an die Kriegs- und<br />

Domänenkammer in Aurich mit der Bitte, die Mühle höher<br />

zu errichten, da es ihm wegen der in Jemgum aufgebauten<br />

höheren Häuser an dem erforderlichen Mühlenwind fehle.<br />

Dieses Gesuch wurde genehmigt, und somit konnte Kreling<br />

1756 den <strong>neu</strong>en Galerieholländer bauen.<br />

In den zwei Jahrhunderten bis 1955 gab es mehrere Besitzerwechsel,<br />

dann kaufte Knut Hetzke die Mühle von der Familie<br />

Athen. Es folgten umfangreiche Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten,<br />

die durch Blitzschlag bzw. Alterung<br />

notwendig wurden. Ebenso wie in Leer-Logabirum wurde<br />

auch in Jemgum ein Mühlenverein gegründet. Im Motorschuppen<br />

war vor dem 2. Weltkrieg ein Gasmotor installiert<br />

worden, mit dem Geräte in der Mühle betrieben wurden.<br />

1997 wurde hier ein Mühlencafé eingerichtet, in dem den<br />

Besuchern ostfriesischer Tee und Kuchen angeboten werden.<br />

Die Mühle, die auch das Gemeindewappen von Jemgum<br />

ziert, dient auch als Standesamt für Hochzeiten.<br />

Roggenmühle als Wohnhaus<br />

Mahlgang mit Mühlstein in der Peldemühle in Jemgum<br />

Wie aufwändig der Erhalt der Mühle ist, zeigt folgende Tatsache:<br />

Obwohl erst im Jahre 2004 die Tragbalken der Kappe<br />

und die Flügel komplett er<strong>neu</strong>ert wurden, riss im Juni 2011<br />

eine heftige Windhose einen Flügel ab, der auf dem Grundstück<br />

nebenan landete, dort aber keinen weiteren Schaden<br />

anrichtete. Außer der Peldemühle von 1756, die von der<br />

Familie Hetzke und dem Mühlenverein betreut wird, gibt es<br />

in Jemgum noch die Roggenmühle. Sie wurde im April 1945<br />

in Brand geschossen, so dass nur der Unterbau bestehen blieb,<br />

in dem eine Motormühle und später nur noch ein Lager untergebracht<br />

war. Der vollständige Abbruch der Roggenmühle<br />

wurde jedoch verhindert, da der Schulrektor Cornelius das<br />

Gemäuer kaufte und es 1972 zu einem Wohnhaus ausbaute.<br />

Obwohl Galerie, Kappe und Flügel fehlen, kann man an<br />

dem achteckigen Unterbau doch noch den Grundriss bzw.<br />

Umfang der Roggenmühle erkennen.<br />

Da das Rheiderland zwischen Dollart und Emsmündung im<br />

Verhältnis zum Meeresspiegel recht tief liegt, sind nicht nur<br />

der Bau von Deichen, sondern die Entwässerung des Landes<br />

von existentieller Wichtigkeit. Nach holländischem Vorbild<br />

setzte man Windmühlen als Wasserschöpfmühlen ein. So<br />

leistet noch heute an einem der tiefsten Punkte Deutschlands<br />

(2,72 Meter unter NN) die Wasserschöpfmühle Wynhamster<br />

Kolk diese Arbeit. Ihre Förderschnecken schaffen bis zu 175<br />

Liter in der Sekunde. Im Normalbetrieb bei Windstärke 3 ‒<br />

4 beträgt die Leistung 70 ‒ 80 Liter. Bei Windstille erfolgt<br />

der Antrieb durch zwei Elektromotoren. Von der Wasserschöpfmühle<br />

Wynhamsterkolk sind es nur ca. 25 Kilometer<br />

bis zum Museum „Stoomgemaal-Winschoten“ in Holland.<br />

Dort treibt eine 175-PS-starke Dampfmaschine an einigen<br />

Wochenenden im Sommer die Förderschnecken an.<br />

Ditzum: Mühlenachtkant per Landungsboot<br />

Ein weiterer Galerieholländer vergleichbar mit der<br />

Peldemühle in Jemgum ist in Ditzum zu besichtigen. Dieser<br />

Ort im Rheiderland gewinnt seinen besonderen Reiz durch<br />

seinen Emshafen, von dem aus eine Kutterflotte auf Krabbenund<br />

Plattfischfang geht. Die Ditzumer Getreide-Windmühle<br />

geht auf das Jahr 1769 zurück und <strong>erlebt</strong>e durch Brände<br />

mehrere Umbauten. Bis zum Tode des letzten Müllers Nikolaus<br />

Steen im Jahre 1986 wurde sie zum Getreidemahlen<br />

betrieben. Der 1988 gegründete Mühlenverein Ditzum setzte<br />

sich engagiert für den Erhalt der Mühle ein. Besonders spektakulär<br />

war eine Aktion im Jahre 1992: Ein Landungsboot der<br />

Bundesmarine transportierte einen alten Mühlenachtkant aus<br />

Schleswig-Holstein über die Nordsee und emsabwärts nach<br />

Ditzum. Dort wurde der Achtkant repariert, mit Schiefer<br />

gedeckt und mit einer <strong>neu</strong>en Galerie auf den Mühlenstumpf<br />

aufgesetzt. Auch das Müllerhaus wurde nach historischem<br />

Vorbild wieder aufgebaut. Im Erdgeschoss der Ditzumer<br />

Mühle hat der Arbeitskreis der Landfrauen eine Stöberstube<br />

eingerichtet, der darüberliegende Mehlboden dient als<br />

Teestube und lädt zum Verweilen ein.<br />

Es gibt wohl kaum einen Ort in Deutschland, der gemessen<br />

an seiner Einwohnerzahl so viele Wind- und Wassermühlen<br />

aufzuweisen hat. Gemeint ist das staatlich anerkannte Moorheilbad<br />

Bad Düben im Muldentalkreis nördlich von Leipzig.<br />

Beim Rundgang durch den ca. 8000 Einwohner zählenden<br />

13


Wasserschöpfmühle in Wynhamsterkolk im Rheiderland (1804)<br />

Kurort kann man 5 Mühlen besichtigen. Der besondere Reiz<br />

liegt darin, dass sie sich in ihrer Bauart voneinander unterscheiden,<br />

so dass man in Bad Düben eine besondere Vielfalt<br />

erleben kann.<br />

Einzigartige Schiffmühle<br />

Architektonisch einzigartig und daher besonders selten ist<br />

die Bergschiffmühle am Fuße von Bad Düben im ehemaligen<br />

Wallgraben. Die Mühle ruht, eigentlich müsste sie schwimmen,<br />

auf zwei Pontons, woher ihr Name rührt. Ihr Ursprung<br />

geht auf das 17. Jahrhundert zurück. Durch Hochwasser und<br />

Brände wurde sie oft in Mitleidenschaft gezogen und musste<br />

immer wieder repariert bzw. er<strong>neu</strong>ert werden. Bevor sie in<br />

den Burggraben umgesetzt wurde, befand sich die Schiffmühle<br />

an der Mulde. Seit dem 10. Deutschen Mühlentag im Jahre<br />

2003 ist sie wieder in den Originalzustand von 1905 versetzt.<br />

Im Schraubenkanal wird das Wasser per<br />

Schneckenrad gefördert<br />

Unmittelbar am Kurpark von Bad Düben liegt die Obermühle.<br />

Diese erstmals 1434 urkundlich genannte Wassermühle<br />

besitzt heute nur noch ein Wasserrad. Ursprünglich trieben<br />

fünf Wasserräder die Mahlgänge, Ölmühle, Walkmühle und<br />

Schneidgang mit Holzsäge an. Ende der 1940er Jahre wurde<br />

die Obermühle stillgelegt. Heute ist der Verein Museumsdorf<br />

Dübener Heide e.V. Mühlenbetreiber. Zum Areal gehören<br />

Garten und Feldscheune, ein historischer Backofen liefert<br />

köstliches Brot.<br />

Die einzige heute noch gewerblich betriebene Wassermühle<br />

in Bad Düben ist die Stadtmühle „Schüßler“, benannt nach<br />

der Inhaberfamilie. Hauptsächlich liefert die Mühle Roggenmehl<br />

für Bäckereien und Schrot für Futterzwecke.<br />

„Innenleben“ der Getreide-Windmühle in Ditzum<br />

14


Bockwindmühle in Bad Düben vom Verein Museumsdorf<br />

Dübener Heide <strong>neu</strong> errichtet<br />

Windmühle Ditzum: Achtkant per Landungsboot transportiert<br />

Zwei Bockwindmühlen in Bad Düben<br />

Zum Bad Dübener Mühlenensemble gehören auch zwei<br />

Bockwindmühlen. Im Unterschied zum Galerieholländer, bei<br />

dem die Windrose nur die Kappe der Mühle mit den Flügeln<br />

in den Wind dreht, bewegt sich bei der Bockwindmühle das<br />

gesamte Mühlengebäude. Deshalb sind Bockwindmühlen<br />

wesentlich leichter konstruiert, statt achtkantigem Mauerwerk<br />

baute man Holzkörper mit quadratischem Grundriss.<br />

Bei Bedarf konnte man Bockwindmühlen sogar versetzen.<br />

Die Dübener Mühle wurde 1840 bei Leipzig erbaut. Auf<br />

Initiative des Vereins Museumsdorf Dübener Heide wurde<br />

sie in Bad Düben <strong>neu</strong> errichtet, wobei fast 70 Prozent ihrer<br />

historischen Bausubstanz wieder verwendet werden konnten.<br />

Im Bad Dübener Ortsteil Tiefensee befindet sich die zweite<br />

Bockwindmühle, die ebenfalls hier einen <strong>neu</strong>en Standort<br />

erhalten hat. Die ursprünglich im Raum Delitzsch 1847<br />

errichtete Mühle wurde aber schon um 1900 umgesetzt.<br />

Bis 1926 wurde mit Windkraft gemahlen, dann wurde ein<br />

Dieselmotor und ab 1940 noch ein Elektromotor eingesetzt.<br />

Im Jahre 1953 erfolgte die Stilllegung. Die Bockwindmühle<br />

befindet sich in 4. Generation in der Familie Sommerfeld<br />

und fungiert als Schaumühle.<br />

Fotos: Klaus-Uwe Hölscher<br />

Bergschiffmühle in Bad Düben am Fuße der Burg an Land gesetzt<br />

Kontakt<br />

Mühle Leer-Logabirum:<br />

Jan und Anita Eiklenborg<br />

Logabirumer Str. 55<br />

26789 Leer<br />

Tel.: +49(0)491/239955<br />

Fax: +49(0)491/72878<br />

E-Mail: muehle@eiklenborg.de<br />

Peldemühle Jemgum:<br />

Adele und Knut Hetzke<br />

Kreuzstraße 2<br />

26844 Jemgum<br />

Tel.: +49(0)4958/336<br />

(Mühlenverein Jemgum)<br />

Ostfriesland Tourismus GmbH<br />

26789 Leer<br />

Tel.: +49(0)491/91969660<br />

E-Mail: urlaub@ostfriesland.de<br />

Homepage: www.ostfriesland.de<br />

Wasserschöpfmühle Wynhamster Kolk:<br />

26831 Bunde-Dollart<br />

G. Däuber<br />

Tel.: +49(0)4959/312<br />

E-Mail: an@gdaeuber.de<br />

Homepage: www.gemeinde-bunde.de<br />

Windmühle Ditzum: Mühlenstraße 10<br />

26844 Ditzum<br />

Johann Duin<br />

Tel.: +49(0)4992/91 2930<br />

E-Mail: johann.duin@ewetel.net<br />

Homepage: www.muehleditzum.de<br />

Touristinformation Bad Düben:<br />

Paradeplatz 19<br />

04849 Bad Düben<br />

Tel.: +49(0)34243/52886<br />

Fax: +49(0)34243/52886<br />

E-Mail: stadt.bad.dueben@t-online.de<br />

Homepage: www.bad-dueben.de<br />

15


Lebendiges <strong>Handwerk</strong><br />

„Vom Korn zum Brot“<br />

Die <strong>Kriemhildmühle</strong> in <strong>Xanten</strong><br />

von Udo Mannek<br />

Es regnet. Wohliger Geruch aus der Backstube durchströmt<br />

die Mühle. Gepaart mit dem Kaffeeduft aus<br />

dem ebenerdigen kleinen aber feinen Verkaufsraum<br />

für Brot, Obst, Gemüse und Weine wird der Appetit auf ein<br />

zweites Frühstück angeregt. Wir werden freundlich begrüßt.<br />

Die Segel sind gesetzt und die Holzräder ins Getriebe gelegt.<br />

Müller Rolf Peter Weichold führt uns durch die einzige<br />

Mühle des Niederrheins, die heute noch täglich betrieben<br />

wird. Zuerst klettern wir über schmale steile Treppen<br />

hinauf. In der ersten Etage mit Tisch und Stühlen legen wir<br />

zwischen Weinregalen unsere Ausrüstung ab. Dann geht<br />

es weiter hoch auf den Mehlboden. Hier rutscht das frisch<br />

gemahlene Vollkornmehl von den Mühlsteinen kommend<br />

über das Mehlrohr in die Mehltonne. Vom Mehlboden<br />

führen zwei Türen nach draußen auf die Galerie. Eine Etage<br />

darüber befindet sich der Steinboden mit Mahlgang, also<br />

den Mühlsteinen, sowie Stirn- und Stockrad. Von hier aus<br />

läuft das Getreide aus dem Trichter in die Mühlsteine. Wir<br />

steigen weiter nach oben und gelangen auf den Hebeboden<br />

mit dem windbetriebenen Antrieb für den Sackaufzug. In<br />

einem Schrank wird Werkzeug verwahrt. Über eine schmale<br />

Leiter erreichen wir den Kappenboden. Hier muss man<br />

besonders auf seinen Kopf achten. Ein kurzes Stück müssen<br />

wir sogar auf allen Vieren kriechend überwinden. Über uns<br />

ist nur noch das drehbar gelagerte Dach, die Mühlenkappe<br />

mit der Flügelwelle und das Oberkammrad, welches mit<br />

seinem Zahnrad in das vertikal liegende Königsrad greift<br />

und die Königswelle antreibt. Mir ist es fast zu eng hier oben.<br />

Unser Fotograf klettert dem Müller bis zum Fenster vorne<br />

am Flügelrad hinterher. Schnell merken wir auch, dass unsere<br />

schwarze Kleidung und Ausrüstung von der Farbgebung her<br />

nicht die ideale Wahl des Tages ist. Hier oben beginnt dann<br />

auch die Führung durch die Mühle.<br />

16


Ausgeklügelte Mühlentechnik<br />

Das Dach der Mühle ist in der sogenannten „boat-shaped“-<br />

Form erbaut. Und es erinnert in der Tat an einen auf dem<br />

Kopf liegenden Schiffsrumpf. Die Mühlenkappe ist drehbar<br />

und auf schienengeführten Eisenrollen gelagert. So kann der<br />

Müller von der Galerie aus die Mühle mittels Krühwerk in<br />

den Wind drehen. Früher war die Mühlenkappe der <strong>Kriemhildmühle</strong><br />

mit Holzlagern ausgestattet. Bis hier nach oben<br />

muss der Müller mindestens einmal täglich zur Sichtkontrolle:<br />

er muss schauen, ob Nägel oder Holzkeile auf dem<br />

Boden liegen, welche irgendwo herausgefallen sein könnten.<br />

Heute ist alles in bester Ordnung, und dem weiteren Betrieb<br />

der Mühle steht nichts im Wege.<br />

Der Raum wird durch die großen Holzzahnräder des<br />

Oberkammrades und des Königrades sowie der gewaltigen<br />

Flügelwelle dominiert, welche die gewaltigen Kräfte, die hier<br />

herrschen, erahnen lassen. Die ca. 400 Jahre alte Flügelwelle<br />

aus Eiche wurde damals aus einem ganz speziellen Baum<br />

hergestellt. Der Förster wusste damals ganz genau, welcher<br />

Baum sich für welche Anwendung eignet. Die Bremse,<br />

welche die Mühle im Zaum hält, besteht heute aus einem<br />

Stahlband, welches mechanisch über das Oberkammrad<br />

gelegt wird. Früher bestand die Bremse aus geformten<br />

Holzblöcken. Die Zähne der Zahnräder sind aus Buche<br />

angefertigt. Sie werden mit Bienenwachs geschmiert. Die<br />

Zähne zeigen nach über 20 Jahren Einsatz kaum Spuren der<br />

Abnutzung. Ersatzzähne, die der Mühlenbauer vor 20 Jahren<br />

hinterließ, sind dagegen allesamt vom Holzwurm zerfressen<br />

worden. Von 1990 bis 1992 fand eine Vollrestaurierung der<br />

Mühle statt. Zu 80 % wurde damals das Dach er<strong>neu</strong>ert.<br />

17


DIE KRIEMHILDMÜHLE IN XANTEN<br />

Ursprünglich Ende des 14. Jahrhunderts erbaut, war die <strong>Kriemhildmühle</strong><br />

als Wach- und Wehrturm als Bestandteil der <strong>Xanten</strong>er Stadtbefestigung<br />

konzipiert. Im bis zum Jahre 1648 dauernden Dreißigjährigen Krieg wurde der<br />

Turm stark beschädigt. Bis zum Ende des Siebenjährigen Krieges 1763 nutzte<br />

man den Turm als Wohnraum für Nachtwächter der Stadt; deshalb auch die<br />

Bezeichnung „Nachtwächterturm“. In den folgenden Jahren wurde der Turm<br />

verkauft und zu großen Teilen abgerissen. Im Jahre 1778 erwarb der Kaufmann<br />

Gerhard Schleß den Turm. Dieser ließ die Wände des Turms er<strong>neu</strong>ern und<br />

ein Gartenhaus im Turm einrichten. 1804 erfolgte der Umbau durch<br />

Heinrich Schleß zu einer 19,3 m hohen windbetriebenen Ölmühle. Kurz<br />

darauf verkaufte Schleß die Mühle an einen Müller. Die <strong>Kriemhildmühle</strong><br />

wurde damit zu einer Getreidemühle und gelangte später in den Besitz der<br />

Stadt <strong>Xanten</strong>. Nachdem bereits große Teile der Stadtbefestigung abgerissen<br />

worden waren, lehnte 1843 der <strong>Xanten</strong>er Stadtrat den Abriss der Mühle<br />

und des nahe gelegenen Klever Tors ab. In den 1930er Jahren erfolgten nicht<br />

umgesetzte Überlegungen, Strom mit der Mühle zu erzeugen. Seit 1992 wird<br />

in der Mühle wieder Korn zu Mehl verarbeitet und Brot gebacken. Während der<br />

Öffnungszeiten kann die Mühle besichtigt werden. Die malerische <strong>Xanten</strong>er Mühle<br />

war zu allen Zeiten ein beliebtes Motiv, was zahlreiche Schwarz/Weiß- und Farbpostkarten<br />

im Foto-Album des Müllers beweisen. Den Namen verdankt die Mühle<br />

der Kriemhild aus der Nibelungensage. Es existiert in <strong>Xanten</strong> eine weitere Mühle<br />

(Biermann-Mühle), die ursprünglich den Namen „Siegfried von <strong>Xanten</strong>“ trug. Diese<br />

ist heute aber nicht mehr in Betrieb.<br />

Die <strong>Kriemhildmühle</strong> ist mit einem aufwändigen Blitzableitersystem<br />

abgesichert. Statistisch gesehen sei jede Windmühle<br />

einmal im Leben abgebrannt, erklärt uns Müller Weichold.<br />

An der Decke entdecken wir einen Rauchmelder. Dass dies<br />

eine hilfreiche Einrichtung ist, bezweifelt der Müller. Er<br />

glaubt, dass - falls dieser im Brandfall einmal anspricht ‒ es<br />

eh zu spät sei.<br />

Die segelbespannten Flügel sind mit einem drehzahlabhängigen<br />

verstellbaren Fockprofil ausgerüstet. Die gegenüberliegenden<br />

Flügel müssen immer gleichartig mit Segel bespannt<br />

sein. Damit läuft die Mühle ruhiger und gleichmäßiger.<br />

Die Einstellung der Segelfläche muss der Müller<br />

händisch im Stillstand vornehmen. Selbst bei stärkstem<br />

Sturm läuft die Mühle konstruktionsbedingt maximal 20<br />

Umdrehungen in der Minute. Dieser Umstand hat aerodynamische<br />

Gründe. Ein Teil des Windes kommt hinter die<br />

Flügel und verhindert das Schnellerwerden. Selbst bei einem<br />

Orkan wird weiter Korn zu Mehl verarbeitet.<br />

Der obere Mühlstein wiegt 2 Tonnen. Dieses Gewicht ist<br />

auch erforderlich, um ein gutes Mahlergebnis zu erreichen.<br />

Etwa 2 bis 3 kg Körner liegen ständig zwischen den Mühlsteinen.<br />

Reibung erzeugt Wärme, auch die Mahlsteine und<br />

das Mehl werden durch den Mahlvorgang erwärmt. Der Abstand<br />

zwischen den Mühlsteinen kann nach Bedarf verstellt<br />

werden. Wenn der Mahldruck zu groß wird und gleichzeitig<br />

zu wenig Wind weht, kann dies die Mühle unter Umständen<br />

sogar zum Stillstand bringen.<br />

Im Grunde ist die Mühle mit der errechneten Leistung von<br />

15.000 Watt zu klein für eine rein kommerzielle Nutzung.<br />

Jährlich werden hier mit Windkraft jedoch satte 50 bis 60<br />

Tonnen Korn gemahlen. In der Mühlenbäckerei werden im<br />

gleichen Zeitraum 90 Tonnen Mehl verarbeitet. Etwas Zukauf<br />

von den Kollegen ist notwendig.<br />

Bäckermeister und Windmüller Weichold<br />

Müller Weichold bezeichnet sich selbst eher als Technik- und<br />

weniger als Naturfreak. Das kann man in seiner Mühle auch<br />

überall erleben. Er kennt seine Mühle in- und auswendig. Er<br />

hört auf jedes Laufgeräusch, achtet auf Klopfen, Scharren,<br />

Rattern und Quietschen. Ein Schnapsgläschen voll Schmiermittel<br />

an den vorderen und hinteren stählernen Achslagern<br />

der Flügelwelle lässt die Mühle direkt merklich schneller<br />

drehen.<br />

Der Betrieb einer Windmühle ist auch mit Gefahren verbunden,<br />

die der Müller kennt und mit denen er verantwortungsbewusst<br />

umgeht. Sicherheit geht eben vor. Vieles an seiner<br />

Mühle hat Müller Weichold selbst ertüftelt, verbessert und<br />

erfunden. So auch die von ihm so genannten Schwinghebel.<br />

Diese Erfindung ermöglicht es ihm, alle relevanten Funktionen<br />

von den unterschiedlichsten Standorten in der Mühle<br />

mit Seilen bedienen zu können. So auch die „Idiotensperre“,<br />

die verhindern soll, dass ein allzu vorwitziger Besucher die<br />

Mühlenbremse betätigt. Unseren Fotografen, ein ausgebildeter<br />

Automatisierungselektroniker, hat besonders eine<br />

vollkommen mechanisch funktionierende Alarmierung<br />

19


eeindruckt: Wenn sich kein Korn mehr im Trichter zum<br />

Mahlen befindet, bimmelt wie von Geisterhand eine Glocke.<br />

Auch eine Tüftelei vom Windmüller. Gerne verwendet<br />

Weichold alte Mühlenbauteile in seiner Mühle. So dienen die<br />

alten Holzlagerrollen der Mühlenkappe als Gewichte an den<br />

Seilsystemen.<br />

Schon als Kind war Weichold viele Jahre in Holland in Urlaub.<br />

Dabei hat er viele Mühlen gesehen und auch besichtigt,<br />

aber ihre tatsächliche Nützlichkeit nicht wahrgenommen..<br />

Nach dem Abitur war ein Studium geplant. Nach dem Zivildienst<br />

ist Müller Weichold „auf andere Gedanken gekommen“,<br />

wie er selber sagt. Es war die Zeit, als weißes Mehl als<br />

Gift galt und eine Getreidemühle in jedem ernährungsbewußten<br />

Haushalt vorhanden sein „musste“. Inspiriert durch<br />

einen Freund sowie durch Jean Pütz, der davon aber nichts<br />

weiß, kam Weichhold auf den Pfad der gesunden Lebensmittel.<br />

Nach einer Bäckerlehre gründete er eine Ökobäckerei und<br />

kam dann zur Mühle nach <strong>Xanten</strong>. 3 Jahre lang hat er in den<br />

Niederlanden das Müllerhandwerk gelernt.<br />

Windmüller Weichold verfügt über sehr gute Wetterkenntnisse<br />

und nutzt moderne Wetter-Apps zur genauen Vorhersage.<br />

Früher waren die Kenntnisse auch von Bedeutung,<br />

jedoch konnte der Müller nur auf ein Barometer zurückgreifen.<br />

Wenn der Luftdruck bei drohendem Sturm fiel, musste<br />

mit einer Uhr die Zeit gestoppt werden, um zu kontrollieren,<br />

wie schnell der Luftdruck fiel. Daraus konnte er dann<br />

Rückschlüsse ziehen, wann genau der Sturm aufziehen würde.<br />

So konnten auch die Müller vergangener Zeiten zuverlässig<br />

auf den sich berändernden Wind und die Windverhältnisse<br />

reagieren.<br />

20


In einer Sturmfront kann sich der Wind plötzlich um 180<br />

Grad drehen. Die Mühle droht dann rückwärts zu laufen. Der<br />

Müller darf diesen Moment nicht verpassen und muss in den<br />

wenigen Sekunden, in denen die Flügel sich überlegen rückwärts<br />

zu laufen, die Mühle mit Sperrzähnen sperren. Würde<br />

der Müller die Sperre bei drehender Mühle einlegen, würde es<br />

dreimal „knack” machen und die Sperrzahne lägen als Brennholz<br />

am Boden. Eine rückwärts laufende Mühle kann mit der<br />

vorhandenen Mühlenbremse nicht mehr angehalten werden,<br />

da die Bremse mechanisch nur für die Arbeitsdrehrichtung<br />

ausgelegt ist. Außerdem ist die komplette Mühlenmechanik<br />

auf Druckkräfte ausgelegt. Dies ist nur bei regulärer Drehrichtung<br />

gewährleistet. Eine rückwärts laufende Mühle könnte<br />

die Mühle zerstören. Müller Weichhold hat dies alles fest im<br />

Griff. Auch bei Sturm dreht er die Mühle in den Wind und<br />

lässt sie weiterdrehen.<br />

Mitmach- und Erlebnismühle<br />

Im Mühlenladen wird eine große Auswahl an Getränken<br />

und Leckereien angeboten. Diese können oben auf der Galerie,<br />

in der ersten Etage der Mühle und auf der Terrasse in der<br />

autofreien Grünanlage verzehrt werden. Für Kindergärten,<br />

Schulklassen, Betriebsausflüge und auch für Kindergeburtstage<br />

bietet der Mühlenverein <strong>Xanten</strong> ein spannendes Programm.<br />

Von einfachen Führungen über einen Kurs mit Segelsetzen,<br />

mit Wind in den Ohren, Körnern in den Schuhen,<br />

Mehl in der Nase, Fett an den Händen, Teig auf der Hose und<br />

warmem, echt selbstgebackenem Brot in der Tasche ist alles<br />

möglich!<br />

Heutzutage besinnen sich viele Menschen wieder auf alte<br />

Techniken, und gerade der Wind ist eine besonders sympathische<br />

Energiequelle. In <strong>Xanten</strong> lassen Kriemhilds Knechte altes<br />

<strong>Handwerk</strong> wieder lebendig und zu einem besonderen Erlebnis<br />

werden: Mahlen und Backen in einer Hand!<br />

In der Backstube wird jeden Abend ein kräftiger Sauerteig<br />

angesetzt. Am nächsten Morgen riecht dieser reif und alkoholisch,<br />

genau richtig für ein reines Sauerteigbrot. Und das<br />

ohne irgendwelche Backmittel und ohne Zusatz von Hefe.<br />

Seit Eröffnung der Mühle wird mit dem gleichen Ansatz<br />

gearbeitet. Lange Haltbarkeit ist darum auch eine Besonderheit<br />

des reinen Sauerteigbrotes. Auch weicheres und helleres<br />

Brot wird in den Backöfen der Mühle hergestellt. Die Hefebrote<br />

und Brötchen werden aus einer Mischung von 1/3 feinem<br />

Dinkel- und 2/3 feinem Weizen-Vollkornmehl gebacken.<br />

Mit etwas Honig und etwas unraffiniertem Sonnenblumenöl<br />

im Teig schmecken diese ausgezeichnet.<br />

Fotos: Dennis Mannek<br />

BÄRWINDMÜHLE<br />

Besonders am Niederrhein sind gleich mehrere Bärwindmühlen bis heute<br />

erhalten geblieben. Als Bärwindmühle oder auch Wehrwindmühle wird<br />

eine Turmwindmühle bezeichnet, deren Turm als Wehrturm in eine Stadtoder<br />

Festungsmauer integriert ist. Die Wände einer solchen Wehrmühle<br />

waren entsprechend dickwandig ausgelegt, um auch Angriffen<br />

mit schweren Geschossen standhalten zu können. Vermutlich aufgrund<br />

der massiven Form des Turmes, die entfernt an die gedrungene Statur<br />

eines Bären erinnert, leitet sich der Name ab. Seltener werden auch<br />

freistehende und massiv gemauerte Turmwindmühlen als Bärwindmühle<br />

bezeichnet. Nach den vielen Kriegen vor 1800, als Stadtbefestigungen<br />

eigentlich nicht mehr notwendig waren, gab es eine Welle von Konvertierungen.<br />

Wehrtürme wurden verstärkt zu Windmühlen umgebaut.<br />

Die Doppelverwendung einer Bärwindmühle erlaubte eine sinnvolle Ausnutzung<br />

des aufwändigen Bauwerkes. In Friedenszeiten übernahm der<br />

nun eigentlich nutzlose Wehrturm die Aufgabe einer Mühle. Im Verteidigungsfall<br />

diente der Mühlenturm dann als erhöhte Aussichtsplattform<br />

und bot eine bessere Schussposition. Während einer Belagerung war<br />

die Nutzung der Mühle in der Regel nicht möglich. Die außenliegenden<br />

Teile wie Flügel und Krühwerk, aber auch der Müller selbst wären<br />

ungeschützt dem Beschuss der Belagerer ausgeliefert gewesen. Bei<br />

einer Belagerung wich man auf Hand- oder Göpelmühlen aus, um so die<br />

Nahrungsversorgung der belagerten Stadt oder Festung zu erhalten.<br />

Kontakt<br />

Öffnungs- und Besichtigungszeiten:<br />

Montags ab 14 Uhr, dienstags bis freitags<br />

8.30 - 18.30 Uhr, samstags 8.30-18 Uhr,<br />

sonntags je nach Witterung von 11-17 Uhr.<br />

Informationen sind erhältlich unter:<br />

muehlexanten@web.de<br />

Tel: +49(0)2801/6556<br />

Fax: +49(0)2801/90187<br />

Home: www.kriemhild-muehle.de<br />

www.facebook.com/kriemhildmuehle<br />

Adresse: Nordwall 5<br />

46509 <strong>Xanten</strong><br />

Inhaber: Rolf Peter Weichold<br />

21


Lebendiges <strong>Handwerk</strong><br />

Im Reich der bunten<br />

Gläser<br />

Graue Mehrfamilienhäuser, Gewerbebetriebe, Supermärkte:<br />

eine kilometerlange, unauffällige Verbindungsstraße<br />

zwischen Mülheim und Duisburg, wie es<br />

sie im Ruhrgebiet wohl zu hunderten gibt. Fast verpasst man<br />

die Kreuzung, hinter der direkt die Einfahrt liegt zu einem<br />

hofartigen Gebäude, das mit seinen rötlichen Ziegelmauern,<br />

grünen Fensterläden und dem Kopfsteinpflaster sofort aus<br />

dem Rahmen fällt. So wie der Mann um die 50, der die Tür<br />

öffnet und freundlich hereinbittet: Mit seinen halblangen<br />

braunen Haaren und der derben Schürze wirkt er ein bisschen<br />

wie aus einer früheren Zeit. Spätestens jedoch, wenn der<br />

Besucher eintritt, fühlt er sich in eine andere Welt versetzt.<br />

Farbig, bunt leuchtet es überall; selbst bei grauem Wintervon<br />

Susanne Erbach<br />

himmel strahlt das Licht in warmen Farben durch die Fenster<br />

auf die Werkbank und auf all die Schätze aus Glas, die hier,<br />

fertiggestellt in <strong>neu</strong>er Pracht, auf wohl ebenso besondere<br />

Käufer warten.<br />

Uwe Peichert ist Kunstverglaser, wohl einer der letzten im<br />

Ruhrgebiet. Seine Werkstatt und Galerie in Mülheim betreibt<br />

er seit 1989. Er restauriert alte Glasfenster und fertigt<br />

<strong>neu</strong>e an, ganz individuell nach Kundenwunsch. Außer Glas<br />

benötigt er dazu hauptsächlich Blei, Lötzinn, Glasschneider,<br />

verschiedene Zangen und Bleimesser sowie Papier und Bleistift<br />

für die Entwürfe. Die Arbeitsweise hat sich über<br />

Jahrhunderte kaum verändert: „Nur der Lötkolben ist elek-<br />

22


trisch, ansonsten ist das digitale Zeitalter weitgehend an<br />

mir vorbeigegangen“, schmunzelt er. „Ich verwende dieselben<br />

Werkzeuge wie meine Kollegen vor 100 Jahren. Kunstverglasung<br />

ist ein typisch altes <strong>Handwerk</strong>, was nicht in<br />

irgendeiner Weise maschinell ersetzt werden kann. Weder<br />

im Zuschnitt noch im Verbleien, das ist ein zeitaufwändiger<br />

manueller Vorgang, bis so ein Stück fertig ist.“<br />

<strong>Handwerk</strong> und Handel<br />

Gerade entfernt er alte Blei- und Lackreste vom Rand<br />

eines Jugendstilfensters, das in grünen und roten Blütenund<br />

Blätterornamenten über die Werkbank rankt. Unbeschädigte<br />

Glasstücke reinigt Uwe Peichert mit Stahlwolle,<br />

kaputte werden ersetzt; der beschädigte Fensterbereich<br />

schließlich <strong>neu</strong> verbleit und verlötet. In vielen Fällen kann<br />

er dabei original alte Glasfragmente verwenden, die in<br />

Farbton und Muster genau passen. Denn schon seit Beginn<br />

seiner Berufstätigkeit vor 25 Jahren hat er kontinuierlich<br />

alte Originalfenster und Teilstücke gesammelt,<br />

sogar ganze Glaslager von alten Kollegen aufgekauft: „Was<br />

Sie hier sehen, ist nur ein kleiner Teil meines Bestandes“,<br />

verrät er. „Hier im Keller unter der Ausstellung lagern<br />

noch hunderte von Kisten und Regalen, voll mit alten Ornamentgläsern.“<br />

So kommt eine schier unendliche Vielfalt<br />

zusammen: mundgeblasenes, gewalztes und gegossenes<br />

Glas, Musselinglas, das an Spitzendeckchen erinnert,<br />

geriffeltes Glas, Rauchglas, Eisblumenglas, das durch die<br />

Behandlung mit heißem Knochenleim beim Erkalten<br />

seine sprichwörtliche fein geästelte Struktur erhielt - all<br />

dies in allen denkbaren Farbschattierungen.<br />

Heißer Knochenleim gibt dem Eisblumenglas seine Struktur<br />

Auch etliche wunderbare Einzelstücke hat er gesammelt,<br />

Jugendstil- und Art-Deco-Fenster mit mystisch verschlungenen<br />

Fischen, weißen Kakadus, Fasanen, floralen<br />

Motiven, Wappen und vielem mehr. Ein besonders<br />

eindrucksvolles großes Fenster prangt direkt gegenüber<br />

dem Eingang ‒ eine Hafenszene mit Dampfschiff und<br />

Holzfässern. „Das habe ich schon ganz lange, es stammt<br />

aus Norddeutschland, aus der Zeit um 1900.“ Ob er sich<br />

je davon trennt, ist noch fraglich. „Vielleicht kauft es irgendwann<br />

mal jemand aus dem Gastronomie-Bereich, das<br />

könnte ja passen. Ich lebe ja nicht vom Behalten.“<br />

Der Handel mit alten originalen Stücken war neben<br />

dem <strong>Handwerk</strong>lichen immer sein zweiter Bereich ‒ ein<br />

Konzept, mit dem er ganz gut gefahren ist. Die meisten<br />

alten Gläser findet Peichert in Belgien, Nordfrankreich<br />

und den Niederlanden. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in<br />

Süd- und Ostdeutschland, auch was die verbleibenden<br />

<strong>Handwerk</strong>sbetriebe betrifft. „Wahrscheinlich wurde<br />

hier im Ruhrgebiet immer eher malocht, da standen<br />

solche schöngeistigen Dinge nicht so im Vordergrund“,<br />

vermutet er. „Ansonsten bestand vor allem ein Unterschied<br />

zwischen Stadt und Land ‒ Kunstverglasungen<br />

fanden früher fast nur in der städtischen Architektur<br />

Unerschöpflich: Für jedes Fensterfragment findet der<br />

Kunstverglaser passendes Ersatzglas<br />

23


Verwendung. Der zeitliche Schwerpunkt war ganz klar die<br />

Jugendstil-Epoche von 1890 bis 1915, da wurde am meisten<br />

angefertigt. Und zwar in erster Linie nicht im sakralen<br />

Bereich, sondern in Fenstern und Türen von bürgerlichen<br />

Wohnhäusern! Das war Teil der Architektur um 1900, nichts<br />

Ungewöhnliches damals, sondern es war ganz normal, dass in<br />

der urbanen Architektur Kunstverglasung Verwendung fand.“<br />

Ganz anders sieht es bekanntlich heute aus. Moderne<br />

Wohnhaus-Architektur ist sachlich, nüchtern, fast vollkommen<br />

schmucklos ‒ und es gibt keine regionalen Unterschiede<br />

mehr. Auch ob ein Neubaugebiet im städtischen oder<br />

ländlichen Umfeld errichtet wird, spielt kaum noch eine<br />

Rolle: Weiße Einheitshäuser mit Alubalkonen prägen das<br />

Bild von Flensburg bis Füssen. So ist Uwe Peichert auch ein<br />

Hüter des Individuellen und des regional Unverwechselbaren.<br />

Er selbst hatte schon immer ein Faible für alte Dinge: „Mir<br />

war wichtig, nach dem Abitur eine handwerkliche Lehre zu<br />

machen, aber vor allem wollte ich immer restaurieren. Es<br />

hätten auch alte Autos sein können oder Bilder. Die Liebe<br />

zu den alten Sachen, das war immer meine Neigung.“ Als er<br />

dann entdeckte, wie selten und speziell der Beruf des Kunstverglasers<br />

wurde, stand seine Berufswahl schnell fest: „Das<br />

hat mich fasziniert!“<br />

Kleine Glasmalereien kann Peichert im eigenen Ofen brennen<br />

Typische Kunden gibt es nicht<br />

Auch seine Kunden sind erwartungsgemäß Individualisten:<br />

Jeder Auftrag ist anders. „Die Kunden treten mit mir in Kontakt,<br />

wenn sie eine Tür- oder Fensterverglasung wünschen,<br />

und dann ist es meine Aufgabe, herauszufinden, was genau<br />

ihnen vorschwebt ‒ denn in erster Linie muss es ja ihnen<br />

gefallen! Der Findungsprozess bis zum konkreten Entwurf ist<br />

meistens das Schwierigste.“, erzählt er. „Manche Leute haben<br />

schon klare Vorstellungen oder eine Grundidee, etwa „ein<br />

Fenster mit floraler Gestaltung und meine Frau liebt Rosen“<br />

oder „wir haben 3 Kinder und möchten die Zahl 3 gerne im<br />

Fenster symbolisch dargestellt haben“. Andere haben überhaupt<br />

keine Idee, dann suchen wir gemeinsam nach einer<br />

Richtung. Wichtig ist mir auch, zu den Kunden nach Hause<br />

zu fahren, um zu sehen, wie sie eingerichtet sind, wie das<br />

Haus aussieht, die Umgebung, wo sich die Tür/das Fenster<br />

befindet, ob es verspielt sein soll, oder abstrakt. Das sind<br />

grundlegende Ansätze, um die Gestaltungs-Grundidee zu<br />

finden. Wenn aber der Entwurf fertig 1 zu 1 auf dem Tisch<br />

liegt und den Leuten gefällt, ist das Fenster schon halb fertig.<br />

Der Rest ist Routine!“<br />

Bei Restaurierungen kann er dann aus seinem opulenten<br />

Fundus schöpfen, für Neuanfertigungen bestellt er farbiges<br />

Glas in der Glashütte Waldsassen ‒ der letzten Hütte von<br />

ehemals vielen. Manche Stücke färbt er auch selbst ein.<br />

Nach der Bemalung muss das Glas in einem speziellen Ofen<br />

gebrannt werden, um die Farbe zu fixieren. Der Temperaturbereich<br />

liegt zwischen 600 °C und 650 °C, kurz vor dem<br />

Schmelzpunkt des Glases. „Die Glasfarben-Hersteller liefern<br />

eine genaue Temperaturempfehlung mit“, erklärt Peichert,<br />

„das muss man exakt beachten, da sind Unterschiede von ca.<br />

15 °C schon entscheidend, sonst verbrennt die Farbe, oder<br />

man erhält einen anderen Farbton. Trotzdem muss man oft<br />

mehrere Probebrennungen machen, um das exakt gewünschte<br />

Ergebnis zu erhalten.“ Mit seinem Ofen kann er nur kleine<br />

Teile selbst brennen. Für größere Objekte wendet er sich an<br />

einen alten Kollegen, der auf Glasmalerei spezialisiert ist und<br />

Uwe Peichert entfernt alte Bleikanten<br />

24


Ein modernes Glasbild des holländischen Künstlers<br />

Theo van der Horst<br />

Verschlungene Fische aus den 20er Jahren:<br />

kunstvoll geätzt und gemalt<br />

25


Norddeutsche Hafenszene um 1900 – fast schon ein<br />

Wahrzeichen der Werkstatt<br />

Auch heraldische Motive waren früher beliebt<br />

einen großen Ofen besitzt. Je nach Auftrag ‒ vom kleinen,<br />

feinen Türeinsatz bis zum kompletten Kirchenfenster ‒ kann<br />

im Prinzip alles dabei sein.<br />

„Insofern ‒ typische Kunden gibt es zwar nicht, aber mein<br />

typischer Kunde ist jedenfalls nicht jung! Und das wird in<br />

den nächsten Jahren wohl auch das Hauptproblem sein, dass<br />

keine jüngeren Kunden nachwachsen. Das wird die Sache<br />

noch schwieriger machen, es wird wohl noch spezieller<br />

werden, als es immer schon war.“<br />

Fataler Tiffany-Trend<br />

Die goldenen Zeiten für sein <strong>Handwerk</strong> sind jedenfalls<br />

vorbei. „Wahrscheinlich bin ich circa 10 Jahre zu spät zur<br />

Welt gekommen“, meint Peichert. Als er 1989 seine Firma<br />

gründete, ging der Antiquitäten-Boom, den die wohlhabende<br />

Nachkriegs-Generation prägte, allmählich zu Ende. „In den<br />

70er und 80er Jahren wurden unglaublich viele Antiquitäten<br />

verkauft, Barock, Biedermeier; es war Trend, sich mit dekorativen,<br />

alten Sachen einzurichten.“ Dazu gehörten auch alte<br />

Kunstverglasungen. Auch in den 1990ern konnte Peichert<br />

noch von der Begeisterung für farbige Glasornamente zehren.<br />

Doch dann setzte ein Trend ein, der für seinen Berufsstand<br />

fatal war: „Tiffany! Die Leute konnten nicht genug von<br />

bunten Gläsern bekommen, doch meine Bleiverglasungen<br />

wurden mit den Tiffany-Fenstern in einen Topf geworfen.<br />

,Der macht Tiffany’ hieß es immer. Dabei ist das eine ganz<br />

andere Herstellungstechnik, eine Folientechnik ohne Bleifassungen,<br />

viel einfacher in der Herstellung ‒ nicht umsonst<br />

haben viele Leute das als Hobby betrieben. Man kann<br />

Tiffany-Fenster auch nicht als vollwertige Außenfenster verwenden,<br />

sie sind nicht wasserfest. Es eignet sich eher so für<br />

kleinere Fensterbilder oder Lämpchen.“ Dann kamen auch<br />

noch die Window-Colours auf, mit denen so ziemlich alle<br />

Familien mit Kindern ihre Fenster „zierten“. „Eine gruselige<br />

Geschichte!“, erinnert sich Uwe Peichert, „die irgendwann<br />

dazu führte, dass die Leute nichts Buntes in den Fenstern<br />

mehr sehen konnten. Sie waren es leid. Das war natürlich für<br />

meine Arbeit überhaupt nicht zuträglich.“<br />

So konnte er von Glück sagen, dass er zu dieser Zeit schon<br />

einen guten Bekanntheitsgrad erreicht hatte, etwa durch<br />

jahrelange Messearbeit und oder die Teilnahme an <strong>Handwerk</strong>ermärkten.<br />

Da solche Maßnahmen aber aufwändig<br />

und teuer sind, führt er sie nicht so häufig wie früher weiter:<br />

„Viele der Kunstmessen gibt es gar nicht mehr. Zudem muss<br />

man gut 10.000,- € an den Messeveranstalter entrichten. Und<br />

so hochpreisig sind meine Sachen nicht, dass sich das auf<br />

Dauer lohnen würde.“ Und die Märkte? „Da habe ich schon<br />

an vielen Orten ausgestellt, oft habe ich solche Antiquitätenveranstaltungen<br />

auch gemeinsam mit anderen Kunsthändlern<br />

(Silber, Uhren, Schmuck, etc.) organisiert. Man mietet<br />

gemeinsam Räumlichkeiten, jeder Händler schreibt seine<br />

Kunden an und so hat man einen Synergieeffekt. Allerdings<br />

ist das für mich ein wahnsinniger Aufwand, ich muss die<br />

großen und zerbrechlichen Glasobjekte hier abdekorieren,<br />

dort aufbauen und präsentieren. Sie werden auch nicht besser<br />

durch den Transport. Da haben es die anderen schon leichter.“<br />

Eine gute Werbemaßnahme ist dagegen sein Kunstfens-<br />

26


ter in Essen-Kettwig, einem idyllischen Fachwerkstädtchen<br />

an der Ruhr, wo viele Touristen vorbeikommen. Dort stehen<br />

seine Exponate dauerhaft, Interessenten können Info-Flyer<br />

mitnehmen. Er überlegt, solche Fenster auch noch in anderen<br />

Altstadt-Ortschaften einzurichten, die Ausflugsziele sind:<br />

„Wo die Leute Zeit und Muße haben, sind sie auch offener<br />

für solche Ideen.“<br />

Jenseits von Kneipen und Kirchen<br />

Allerdings ist ihm klar, dass Kunstverglasung auch künftig<br />

keine Massen mobilisiert. „Die allermeisten Leute haben<br />

einfach überhaupt keine Beziehung dazu. Es ist ein Nischenmarkt,<br />

und das wird es auch immer bleiben. Meistens verbinden<br />

die Leute mit Bleiverglasung Kneipen- und Kirchenfenster,<br />

danach kommt erst mal lange nichts. Dann fällt manchen<br />

ein, dass es so was in der Zeit des Jugendstils wohl mal gab.<br />

Dass es da aber viele sehr kunstvolle Arbeiten an Bürgerhäusern<br />

gab, ist weithin unbekannt.“<br />

Doch damit kann er gut leben, denn gelegentlich kommen<br />

durchaus interessante Auftraggeber auf ihn zu. „Letztes Jahr<br />

habe ich zum Beispiel in der Mülheimer Petrikirche sechs<br />

große Fenster komplett ausgebaut und verbleit, die waren 12<br />

m hoch. Damit war ich mehrere Monate beschäftigt, das war<br />

schon ein besonderer Auftrag. Das war toll, dabei auch so in<br />

die Stadtgeschichte einzutauchen!“ Auch für den Mülheimer<br />

Prominenten Helge Schneider war er schon tätig. „Man kennt<br />

sich halt. Für ihn habe ich einen originellen Türglaseinsatz mit<br />

einem blauen Fischkopf erstellt. Aber mein größter Erfolg<br />

bisher war, eine große Glasmalerei, eine Darstellung der Heiligen<br />

Elisabeth, zu restaurieren und an die Stiftung Wartburg<br />

zu verkaufen. Nun ist sie da auf der Burg eingebaut, für immer<br />

und ewig ‒ darauf kann man schon stolz sein, wenn einem so<br />

etwas gelingt!“ Demnächst verkauft er ein Fenster nach Bukarest<br />

an ein Hotel, ein anderes 3-teiliges Art-Deco-Fenster<br />

geht nach Mexiko. „Ich muss es überseetauglich verpacken<br />

und nach Heidelberg liefern, dann wird es im Container<br />

verschickt.“<br />

Und so macht sich der kreative Kunstverglaser keine ernsthaften<br />

Sorgen um die Zukunft. Sein Durchhaltevermögen hat<br />

sich bewährt, sein Konzept steht: „Vielleicht kann ich auch<br />

überleben, weil ich allein arbeite und keine Personalkosten<br />

habe, im Kleinen geht das gut.“ Nur für größere Montagen<br />

greift er auf Kollegen zurück, die bei schweren Fenstern mit<br />

anpacken. Die Werkstatt gehört dem Schreiner nebenan, aber<br />

Uwe Peichert hat sie vollständig ausgebaut, viel investiert und<br />

kommt deshalb noch immer in den Genuss der preiswerten<br />

Miete wie zu Beginn. „Ich habe vor, mein Arbeitsleben hier<br />

auch zu Ende zu bringen.“<br />

Auch an immer <strong>neu</strong>en Ideen mangelt es nicht: „Historisierende<br />

Fenster werden nach wie vor von gut situierten Menschen<br />

bevorzugt, die sich gerne mit klassischen Antiquitäten<br />

umgeben. Aber im Bereich der Neuanfertigungen sehe ich die<br />

Herausforderung, den Wünschen nach moderneren Entwürfen<br />

entgegenzukommen. Ich versuche herauszufinden, was<br />

jüngeren Leuten vielleicht gefallen könnte.“ Das können<br />

etwa geometrische, klarere Formen sein, die Peichert auch in<br />

isolierverglaste Fenster einbauen kann, so dass die heutigen<br />

Anforderungen an Wärmeisolierung und Sicherheit nicht<br />

zurückstehen müssen. Oder das moderne, „freche“ Fenster mit<br />

einem leicht erotisch anmutenden Motiv, das er vom Sohn<br />

des 2003 verstorbenen holländischen Künstlers Theo van der<br />

Horst erworben hat. „Es hing noch dort im Wohnzimmer in<br />

einem Erker,“ schwärmt der passionierte Sammler, „vielleicht<br />

behalte ich es selbst ‒ aber wenn es jemand haben will, werde<br />

ich es auch verkaufen!“<br />

Fotos: Stephan Otto<br />

Kontakt<br />

Uwe Peichert<br />

Ruhrorter Straße 6<br />

45478 Mülheim an der Ruhr<br />

Tel.: +49(0)208/55212<br />

E-Mail: info@glasgalerie-peichert.de<br />

Homepage: www.glasgalerie-peichert.de<br />

27


Lebendiges <strong>Handwerk</strong><br />

Der kleine Schmied als 6-jaehriger<br />

Ganz der Opa<br />

Eine alte Familientradition und wie sie weit<strong>erlebt</strong><br />

von Martina Poll<br />

Seit er selbst nicht mehr in die Schmiede geht, gibt der<br />

86-jährige Schmied Georg Poll aus Neubeuern sein<br />

Wissen an seinen 13-jährigen Enkel, der auch Georg<br />

heißt, weiter. Auch Enkel Jonas hat das <strong>Handwerk</strong> vom<br />

Großvater gelernt und kommt oft in die Schmiede. So kann<br />

eine Jahrhunderte alte Familientradition aufrechterhalten<br />

werden ‒ das Schmiedehandwerk.<br />

Den Klang des Ambosses kennt Georg von klein auf. Er ist<br />

im Schmiedehaus teilweise aufgewachsen, und es hat ihn<br />

immer interessiert, was der Opa da unten macht. Seit seinem<br />

7. Lebensjahr geht er beim Opa in die Lehre. Das Feuer in<br />

der Esse auflodern lassen, Eisen zum Glühen bringen und<br />

im alten Holzscheffel abkühlen. Wie schön das jedes Mal<br />

zischt. Mittlerweile ist er 13 Jahre alt, und das Eisen nur heiß<br />

machen und ins kalte Wasser halten genügt ihm schon lange<br />

nicht mehr. Georg Poll, der bis vor einem Jahr noch täglich in<br />

der Schmiede stand, freut sich, dass sich sein jüngster Enkel,<br />

der nach ihm benannt ist, für die Familientradition interessiert.<br />

Schließlich war sein Vater Schmied, seine Onkel, sein<br />

Großvater, seine Großonkel, auch sein Bruder und dessen<br />

Sohn. Wie weit die Familientradition zurückreicht, kann<br />

niemand genau sagen, aber die Schmiede am Marktplatz<br />

konnte bereits ihr 400-jähriges Bestehen feiern. Der alte<br />

„Schmied-Schorsch“, wie ihn die Neubeurer nennen, hat<br />

auch in der Familie gelernt, bei seinem Onkel in Flintsbach,<br />

er hat schon mit 25 die Meisterprüfung absolviert und die<br />

Hufbeschlagschule in München. Als die Rösser in der Landwirtschaft<br />

immer weniger wurden, hat er sich zunehmend<br />

für das Kunstschmiedehandwerk interessiert und im Laufe<br />

der Jahrzehnte unzählige Kunstwerke gefertigt: Lampen<br />

und Lüster, Kerzenleuchter und Laternen, Fenstergitter,<br />

Tore und Geländer, Grabkreuze ‒ auch sein eigenes. Alles<br />

in Handarbeit, alles einzigartig. Sein ganzes Leben hat er in<br />

der Schmiede verbracht und er hat seine Arbeit jeden Tag<br />

gerne getan. Und genauso gerne geht er jetzt mit Georg in<br />

die Schmiede, zeigt ihm die verschiedenen Techniken, gibt<br />

Materialkunde und Schweißunterricht. Und freut sich, dass<br />

sein Enkel offenbar Geschick für dieses <strong>Handwerk</strong> hat, das<br />

seine Familie seit Generationen ernährt. Der liebt den Klang<br />

des Ambosses schon heute und haut drauf, dass das Fundament<br />

wackelt. Aber das haben diese Wände über 400 Jahre<br />

ausgehalten, sie werden es auch weitere hundert oder mehr.<br />

28


<strong>Handwerk</strong> Lebendiges im Museum <strong>Handwerk</strong><br />

Der Kupferschmied und<br />

sein Werkstoff<br />

von Richard Planitz<br />

Der Beruf des Kupferschmieds ist wesentlich älter als<br />

der des Schmieds. Letzterer ging ausschließlich mit<br />

Eisenwerkstoffen um und wurde in der letzten Ausgabe<br />

von „<strong>Altes</strong> <strong>Handwerk</strong> – <strong>neu</strong> <strong>erlebt</strong>“ ausführlich vorgestellt.<br />

Der Kupferschmied hingegen befasst sich mit einem<br />

ganz anderen Werkstoff, eben mit Kupfer, lat. cuprum, welches<br />

bereits in der Steinzeit gefunden wurde. Wann und wo<br />

genau ist bis heute zwar nicht exakt belegt, jedoch sind aus<br />

Zentralasien, Indien, China und Japan Fundstücke bekannt,<br />

die die Verarbeitung von Kupfer in dieser Zeit nachweisen.<br />

Kupfer besitzt ganz andere Eigenschaften als Eisen und<br />

Stahl. Es rostet nicht, bildet jedoch an seiner Oberfläche<br />

eine Patina, die nicht in das Innnere des Werkstoffs eindringt.<br />

Kupfer lässt sich biegen, hämmern und mit anderen<br />

Werkstoffen in flüssigem Zustand verbinden, also legieren.<br />

In Verbindung mit mit Zink wurde das bis heute bekannte<br />

Messing erzeugt. Kirchenglocken bestehen aus einer Legierung<br />

aus Kupfer und Zinn, Glockenbronze genannt. Auch<br />

Kanonen wurden aus diesem Werkstoff hergestellt und im<br />

Maschinenbau werden bis heute Lagerschalen aus Rotguss<br />

mit hohem Kupferanteil gefertigt.<br />

Kupfer lässt sich spanlos durch Hämmern umformen. Dabei<br />

nimmt es zwar an Härte zu, aber nach einer Wärmebehandlung<br />

im Holzkohlenfeuer der Esse und nachfolgender<br />

Abkühlung in kaltem Wasser wird der Wekrstoff wieder so<br />

weich, dass er durch Schmieden oder Treiben mit dem<br />

Hammer des Kupferschmieds weiterberbeitet werden kann.<br />

Diese Technologie setzte sich weltweit durch und so kam<br />

es im frühen Mittelalter im europäischen Raum dazu, dass<br />

sich sog. Kupferhämmer bildeten, das waren Betriebe, die das<br />

Kupfer durch wasserkraftbetriebene Hämmer zu Blechen<br />

umformten und so dem Kupferschmied seinen Rohstoff zur<br />

Weiterbearbeitung lieferten. Bedachungen von Kirchtürmen<br />

und Schlössern aus Kupferblech halten mehrere Jahrhunderte,<br />

Dachrinnen und Fallrohre sind über Jahrzehnte nahezu<br />

wartungsfrei. Kupferdraht eignet sich aufgrund seiner hohen<br />

Leitfähigkeit dazu, elektrischen Strom nahezu verlustfrei über<br />

große Entfernungen zu übertragen.<br />

Den Beweis hierfür erbrachte 1891 anlässlich der Weltausstellung<br />

in Fraunkfurt Oskar von Miller. In Lauffen am<br />

Neckar erzeugter Strom wurde durch eine von ihm konstruierte<br />

175 km lange Leitung und in solcher Menge nach<br />

Frankfurt transportiert, dass die Beleuchtung der Ausstellung<br />

mit Glühbirnen bewerkstelligt werden konnte.<br />

Dies war der weltweite Startschuss zur Fernübertragung von<br />

elektrischem Strom durch Kupferleitungen. Ohne den Werkstoff<br />

Kupfer wäre der heute weltweit erreichte Wohlstand<br />

nicht denkbar. So möchte ich auf eine Einrichtung überleiten,<br />

die im Jahr 1873 durch den Kupferschmiedmeister Christian<br />

Heinkel in Kirchheim-Teck gegründet wurde. Dabei handelt<br />

es sich um eine Kupferschmied-Werkstätte, die über viele<br />

Jahrzehnte Erzeugnisse aus Kupfer weit über die Grenzen des<br />

damaligen Oberamts Kirchheim unter Teck geliefert hat.<br />

30


Kupferschmiede und Apparatebau Friedrich Götz<br />

Vormals Christian Heinkel<br />

von Richard Planitz<br />

Am Haus Dettingerstraße 17 in Kirchheim-Teck ist bis<br />

heute eine Inschrift angebracht, welche von vorbeieilenden<br />

Passanten kaum wahrgenommen wird. Auch<br />

die im Schaufenster ausgestellten Waren verursachen keinen<br />

Menschenauflauf. Jedoch befindet sich im Hinterhof seit<br />

1887 ein Werkstattgebäude, mit einer Kupferschmiede die bis<br />

heute erhalten ist. Ein in das Mauerwerk eingelassenes Schild<br />

weist dem interessierten Besucher kurz und bündig den Weg.<br />

Die Türschnalle ist auch nicht mehr ganz taufrisch, aber jetzt<br />

betreten wir die Werkstatt und machen eine Reise in die Vergangenheit.<br />

Da sind aus Kupferblech hergestellte Backformen<br />

zu sehen, und sofort wird ein Blasebalg sichtbar, welcher<br />

einst von Hand betätigt werden musste. Danach kommt eine<br />

Esse samt Amboss ins Blickfeld, sodass man sich in einer<br />

herkömmlichen Schmiede wähnt. Dort wurde aber niemals<br />

Eisen geschmiedet, sondern der wesentlich ältere Werkstoff<br />

Kupfer handwerklich umgeformt. Einer der Schwerpunkte<br />

dieser Firma war die Anfertigung von Brennereianlagen,<br />

wobei die sog. Blase und die Leitungen aus Kupfer angefertigt<br />

wurden. Bis heute erhaltene Dankschreiben bestätigen<br />

die hohe Qualität dieser Anlagen. Auch die aufstrebende<br />

Automobilindustrie erteilte Aufträge an die Kirchheimer<br />

Firma, um Kühlwasserrohre und Ansaugrohre aus Kupfer<br />

herzustellen. Bäckereien und Gasthäuser benötigten<br />

Backformen, Kochgeschirre und Bratpfannen aller Art.<br />

Sie wurden innen verzinnt und damit lebensmitteltauglich<br />

gemacht. Die Siedepfannen von Bierbrauereien wurden<br />

aus Kupferblech hergestellt und hielten jahrzehntelang die<br />

Wärmebelastungen problemlos aus.<br />

Nun starten wir einen Rundgang durch die im Jahr 1951<br />

stillgelegte Werkstatt. Sie wurde glücklicherweise erhalten<br />

und zeigt uns, wie mühevoll es war, unter Zuhilfenahme von<br />

Werkzeugmaschinen, die von ledernen Treibriemen über eine<br />

Deckentransmission angetrieben wurden, Teile herzustellen.<br />

Sie wurden im vorderen Teil des Anwesens in einem Laden<br />

zum Verkauf angeboten. Hauptdarsteller der ganzen Anlage<br />

ist aber ein historischer Luftkompressor, der aussieht wie<br />

eine Dampfmaschine. Am Fuß einer gusseisernen Säule sind<br />

2 Zylinder angebracht, in welchen durch einen Kurbeltrieb<br />

zwei Kolben auf- und abbewegt werden. Mit diesem Unikum<br />

wurde einst Druckluft erzeugt, die zusammen mit Stadtgas<br />

zum Hartlöten von Kupferböden verwendet wurde. Ein hier<br />

erstmals veröffentlichtes Gedicht berichtet recht originell<br />

von den Erzeugnissen der Firma Heinkel-Götz und rundet<br />

diesen Artikel gekonnt ab.<br />

Fotos: Richard Planitz und Fritz Rainer Götz<br />

31


GEDICHT ÜBER DIE FIRMA HEINKEL-GÖTZ<br />

Kommt herbei, ihr lieben Leute,<br />

Vieles gibts zu sehen heute<br />

In der Stadt für groß und klein,<br />

Und wer Geld hat, kaufe ein.<br />

Schaut, was man für schöne Sachen<br />

Kann aus Zinn und Kupfer machen.<br />

Gut und billig kauft ihr stets<br />

In dem Laden Heinkel-Götz<br />

Ja, es lohnt sich hinzugehen,<br />

um die Sachen anzusehen<br />

Jeder suche sich was aus<br />

Für die Küche oder s’Haus.<br />

Kupferkessel, Messingpfannen,<br />

Schöne Schüsseln, Töpfe, Kannen,<br />

Wasserschiffe, fein poliert,<br />

Wie man’ s will, glatt und verziert.<br />

Und noch viele andre Sachen,<br />

Die ganz sicher Freude machen,<br />

Blumenvasen, hübsch und nett;<br />

Wärmeflaschen für das Bett.<br />

Aluminium- und Emaillegeschirre<br />

Ich in grosser Auswahl führe<br />

Und sehr guter Qualität,<br />

Die stets viele Jahre hält.<br />

Außerdem mit Kennerblicken<br />

Mach’in Häusern und Fabriken<br />

Ich, stets pünktlich und reell<br />

Gas- und Wasserleitung schnell.<br />

Siedepfannen für Brauereien,<br />

Dass man gutes Bier kann brauen<br />

Badezimmer fein komplett<br />

Oder einfach und ‒ Klosett<br />

Brennereien mach’ich gerne<br />

Jedem Landwirt nah und ferne;<br />

Und was sonst er braucht zur Zeit ‒<br />

Immer bin ich dienstbereit.<br />

Also kauft ihr lieben Leute,<br />

In der Vorstadt ist’s ne Freude<br />

Gut bedient wird jeder stets<br />

Im Geschäft von Heinkel-Götz!<br />

32


Lebendiges <strong>Handwerk</strong><br />

Alte <strong>Handwerk</strong>skunst<br />

bald von der Welt vergessen<br />

von Laura Zwerger<br />

Franz Mayr (59) ist einer der letzten Kunstschmiede. In seiner<br />

Hammerschmiede wird noch wie vor einigen Jahrhunderten<br />

gearbeitet. Eine Tradition, welche es nicht mehr lange geben<br />

wird: Die moderne Industrie und die europäische Gesetzgebung<br />

rotten diesen Beruf aus.<br />

Bereits als Jugendlicher hat Franz Mayr in der Garage<br />

seiner Eltern Eisen geschmiedet, sich eine kleine<br />

Hammerschmiede gebaut. Heute besitzt er seine<br />

eigene Schmiede, hat Scheune und Stall eines fränkischen<br />

Bauernhauses umgebaut und traditionsgetreu restauriert:<br />

„Alte Häuser haben mich schon immer interessiert, genauso<br />

wie alte <strong>Handwerk</strong>e.“ Moderne Maschinen findet man in<br />

den Räumen keine, stattdessen wird noch das glühende Eisen<br />

aus dem Feuer gezogen und mit dem Hammer beschlagen.<br />

„Mich hat das immer schon fasziniert, nur von Hand, ohne<br />

Maschinen. Dem wollte ich nacheifern.“ Ein Aufwand, der<br />

in der heutigen Zeit kaum mehr betrieben wird, die Industrie<br />

setzt schon lange auf Quantität.<br />

33


Franz Mayr war bis 2005 als Freiberufler im Maschinenbau<br />

tätig, kennt also die realen Marktbedingungen. Seine<br />

Hammerschmiede war mehr ein Nebenverdienst und später<br />

für seine Rentenzeit gedacht. Seit <strong>neu</strong>n Jahren widmet er<br />

sich aber nun ganz dem Kunstschmiedehandwerk, hat die<br />

Schmiede zu seinem Hauptberuf gemacht. Momentan bildet<br />

er zwei Lehrlinge aus, unterrichtet sie auch nach der alten<br />

Schule. Den Umgang mit modernen Maschinen lernen sie<br />

bei ihm nicht, dafür aber, wie ein Stück Eisen immer wieder<br />

erhitzt und beschlagen wird, bis sich einzelne Schichten<br />

aneinanderschmiegen ‒ eins werden. Mit speziellem Werkzeug<br />

können Sterne, Wellen oder Rauten eingearbeitet<br />

werden. Sind die Linien nicht perfekt, wird das Eisen für ein<br />

paar Minuten zurück ins Feuer gelegt, um dann wieder beschlagen<br />

zu werden. Stundenlange Arbeit ‒ und einzigartige<br />

Ergebnisse.<br />

Kunstschmiedewerkstätten wie die von Franz Mayr in<br />

Mittelfranken findet man in Deutschland nur noch äußerst<br />

selten. Man sollte meinen, Kunstinteressierte schätzen solche<br />

Werkstätten, aber Kunden zu finden stellt sich als äußerst<br />

schwer heraus. Zu viele Pseudo-Traditionswerkstätten werben<br />

im Internet mit guter alter <strong>Handwerk</strong>skunst, produzieren<br />

jedoch das meiste maschinell und bieten daher billigere Preise<br />

an. Ein auf traditionelle Weise hergestelltes Messer kann<br />

mehrere hundert Euro kosten, ein Preis, der für viele nicht<br />

ansprechend ist. Um ein weiteres Standbein zu haben, bietet<br />

Franz Mayr daher in seiner Werkstatt Seminare an, bei denen<br />

die Teilnehmer selbst auf alte Art und Weise Messer schmieden<br />

können.<br />

Neben der schweren Marktsituation werden Kunstschmiede<br />

nun auch durch eine europäische Norm stark eingeschränkt:<br />

Werkstätten wie Franz Mayrs Hammerschmiede fallen seit<br />

Januar 2011 unter die DIN EN 1090-Norm. Bei dieser Europäischen<br />

Stahlbaunorm geht es darum, eine Qualitätssicherung<br />

im bauaufsichtlichen Bereich europaweit<br />

einzuführen, welche bis spätestens Juli 2014 in den Betrieben<br />

durchgeführt werden muss. Betroffen davon sind alle Betriebe,<br />

die Bauprodukte aus Stahl oder Aluminium herstellen.<br />

Dazu zählen auch tragende Elemente wie beispielsweise Balkon-<br />

oder Treppengeländer, die für Schmiede eine wichtige<br />

Einnahmequelle sind. Auf europäischer Ebene wurde nach<br />

Artikel 5 bereits empfohlen, Kunstschmieden wie die von<br />

Franz Mayr gesondert zu behandeln, in Deutschland hat sich<br />

jedoch nichts verändert. Demnach gilt es, bis Juli dieses Jahres<br />

der Norm auch in traditionellen <strong>Handwerk</strong>sbetrieben gerecht<br />

zu werden ‒ oder auf einen umsatzstarken Marktteil zu verzichten<br />

und nur noch Gegenstände zu schmieden, die keine<br />

tragenden Elemente sind. Wird der Norm nicht entsprochen<br />

und trotzdem ein solches Teil verkauft, kann eine Strafe bis<br />

zu 50.000 Euro drohen. Da scheint es in Franz Mayrs Fall<br />

naheliegend, dieser europäischen Norm gerecht zu werden,<br />

doch stellt hier die Traditionstreue ein Problem dar: Die<br />

alten Werkzeuge entsprechen keinem modernen Standard,<br />

die Fräsmaschine stammt beispielsweise noch aus dem Jahr<br />

1920 und kann mit heutigen Maschinen nicht gleichgesetzt<br />

werden. Die industriellen Anforderungen kann Franz Mayr<br />

in seiner Kunstschmiede demnach nicht erfüllen, zumindest<br />

nicht ohne seine Ideale und die Historie des <strong>Handwerk</strong>s<br />

aufzugeben.<br />

34


Des Weiteren müssen sich auch Kunstschmiede regelmäßig<br />

Prüfungen unterziehen, durch welche sie<br />

Zertifikate als Qualitäts- und Sicherheitsnachweis<br />

erhalten, ganz egal, seit wie vielen Jahren sie das<br />

<strong>Handwerk</strong> ausüben. Durch die geforderten Zertifizierungen<br />

und weitere mit der Norm verbundene<br />

Neuerungen entstehen jedoch Kosten in tausendfacher<br />

Höhe, welche für kleine Werkstätten kaum<br />

zu tragen sind. Zusätzlich muss viel Zeit investiert<br />

werden ‒ Zeit, die fehlt, um Geld zu verdienen. Hat<br />

ein Betrieb das Zertifikat erhalten und entspricht<br />

den <strong>neu</strong>en Richtlinien, bleibt es dennoch fraglich,<br />

ob die Vorschriften bei kleinen Aufträgen erfüllt<br />

werden. Es entstehen zu hohe Verwaltungskosten,<br />

als dass sich die Arbeit finanziell auszahlen würde.<br />

Man verzichtet also auf den Auftrag oder ignoriert<br />

die Vorschriften und macht sich somit strafbar.<br />

Fotos: Laura Zwerger<br />

In regelmäßigen Zeitabschnitten<br />

sollen die Betriebe überprüft werden,<br />

die Norm DIN EN 1090 ist also keine<br />

einmalige Umstellung, sondern ein<br />

dauerhafter Prozess. Der Prozess soll<br />

eine Qualitätssicherung fördern und<br />

eine Vereinheitlichung innerhalb der<br />

europäischen Länder erreichen, eine<br />

Vereinheitlichung, die der Kultur der<br />

alten <strong>Handwerk</strong>skunst gegenübersteht.<br />

Proteste der Schmiede- und Metallgestalter<br />

haben mit dem Spruch des<br />

Philosophen Elbert Hubbard eine<br />

eindeutige Position bezogen: „Eine<br />

Maschine kann die Arbeit von 50<br />

einfachen Männern erledigen. Doch<br />

keine Maschine kann die Arbeit eines<br />

außergewöhnlichen Mannes machen.“<br />

Solch eine traditionsbewusste Arbeit<br />

wie die von Franz Mayr ist heutzutage<br />

außergewöhnlich, so wie auch seine<br />

Maschinen aus vergangenen Zeiten<br />

‒ beides passt jedoch nicht in das<br />

Konzept der europaweiten Normierung.<br />

Hier treffen zwei Welten<br />

aufeinander, welche nicht zueinander<br />

passen. Ein einzigartiges <strong>Handwerk</strong><br />

einheitlich zu normieren, ist ein Widerspruch<br />

in sich. Tradition hätte hier<br />

keinen Platz mehr.<br />

DampfLandLeute -<br />

MUSEUM ESLOHE<br />

Homertstraße 27, 59889 Eslohe<br />

An der Homertstraße erwarten sie<br />

auf über 2.000 m² historische Dampfu.<br />

Kraftmaschinen, Heimat- und<br />

Volkskunde, altes <strong>Handwerk</strong> und<br />

Landwirtschaft, alte Schmiede. Dazu<br />

Wechselausstellungen, idyllische<br />

Freianlage mit historischen<br />

Gebäuden, Wasserkraftanlagen u.<br />

Spielbereich.<br />

Öffnungszeiten:<br />

Mi.–Sa. von 14–17 Uhr;<br />

So. (1.11.- 31.3.) von 10–13 Uhr<br />

So. (1.4.- 31.10.) von 10–16 Uhr<br />

Personenfahrten mit der Museumseisenbahn<br />

(v. 01.04. bis 31.10. von<br />

15–17 Uhr) . Jeweils am letzten vollen<br />

Wochenende im Mai und September<br />

sind Dampftage „Alles unter Dampf“.<br />

Tel. 02973-2455 oder 800-220. Infos<br />

unter www.museum-eslohe.de<br />

35


36<br />

Lebendiges <strong>Handwerk</strong>


Die Korbmacher<br />

von Helmut Harhaus<br />

Ach ja, waren das noch Zeiten, als man „Hahn im<br />

Korb“ war! Die Redewendung erinnert daran, dass<br />

in dem Korb, in dem die Gefiederten zum Markt gebracht<br />

wurden, meistens nur ein Hahn unter vielen Hühnern<br />

weilte. Gut ging’s dem Mann, der von zahlreichen Mädels<br />

umgeben war!<br />

Nicht so gut ging’s dem, der „einen Korb bekommen hatte“.<br />

Er hatte nämlich auf seinen Heiratsantrag eine Abfuhr einstecken<br />

müssen.<br />

Und mit der Redewendung „husch, husch ins Körbchen“<br />

forcierte man das Zubettbringen der Kinder; angelehnt an<br />

den Korb, in dem Haushund oder Hauskatze schliefen.<br />

Ja, alt ist er, der Korb.<br />

Er gehört seit Menschengedenken zu unserem täglichen<br />

Leben. Und wie das so ist mit Selbstverständlichkeiten, ‒<br />

wirkliche Aufmerksamkeit wird ihnen selten geschenkt ...<br />

Dabei ist ein geflochtener Korb schon ein kleines Kunstwerk<br />

‒ schauen Sie mal genauer hin!<br />

Zuerst überrascht die Vielfalt: Kleine Körbe nehmen die<br />

Strickwolle auf, Zeitungen stapelt man ordentlich in ihnen,<br />

Feuerholz trägt man darin zum Kamin, Glasflaschen werden<br />

bruchsicher in Körben gelagert und transportiert. Die<br />

größten hängen unter Gas- oder Heißluftballonen, in ihnen<br />

finden locker 16 Personen Platz auf ihrer Fahrt zwischen<br />

Himmel und Erde. Auch wenn sie nur als simples Transportmittel<br />

geflochten wurden, ist ihre Ausführung nicht minder<br />

vielfältig. Verschiedenste Weidenruten geben ihnen Farben<br />

zwischen fast Weiß, über unzählige Rot- und Brauntöne bis<br />

zum fast Schwarz. Der Korbflechter kennt viele Methoden<br />

zur Musterbildung. Die Optik wird völlig anders, wenn der<br />

Korb aus gleichen Weidenruten, die exakt der Umfangslänge<br />

entsprechen ‒ als „Schicht“ ‒ oder aus ungleichen, nicht<br />

selektierten Ruten ‒ als „Gang“ ‒ geflochten wurde. Wie<br />

beim textilen Weben, so lassen sich auch hier Strukturen und<br />

Muster durch Flecht-Techniken erzielen.<br />

Wie man es auch anstellt, immer fängt man mit dem Boden<br />

an. Die stabilen Ruten, die Staken, stabilisieren das Konstrukt<br />

und geben ihm die Statik. Sie werden am Bodenrand nach<br />

oben umgeknickt und im festeren Flechtwerk, der „Kimme“,<br />

ausgerichtet und fixiert. Oberhalb wird meistens mit leichterem<br />

Material weiter aufgebaut. Durch er<strong>neu</strong>tes Umknicken<br />

gehen die Staken in den Rand über, der zopfähnlich zusammengefasst<br />

wird. So bekommen Körbe ihre unglaubliche<br />

Tragkraft und Flexibilität bei sehr geringem Eigengewicht.<br />

Das beste Transportsystem ist das, das mit geringstem „Tara“<br />

das „Netto“ aufnimmt und als „Brutto“ sicher zu transportieren<br />

vermag: also der Korb!<br />

Und das ist schon ‒ gesichert ‒ seit 10.000 Jahren so. Seit<br />

sich der moderne Mensch vom Neanderthaler abgrenzte,<br />

nutzte er Körbe. Reste eines in Wulsttechnik gefertigten<br />

Korbes aus der Zeit etwa 10.000 v. Chr. fanden Archäologen<br />

im Nahen Osten. 5000 Jahre zählende Grabbeigaben<br />

in Korbformen fand man 1857 in einer Höhle in Südspanien.<br />

In den neolithischen Pfahlbausiedlungen in Auvernier<br />

am Neuenburgersee fand man Weidenkörbe. Auch die in<br />

Mitteleuropa beheimateten Kelten beherrschten dieses uralte<br />

<strong>Handwerk</strong>.<br />

Der wohl bekannteste Korb, aus Binse geflochten, wird in der<br />

Bibel erwähnt: Der Säugling, der später Mose genannt wurde,<br />

ein Prinz von Ägypten, der auf Befehl Gottes sein Volk aus<br />

der ägyptischen Sklaverei in das kanaanäische Land führte<br />

und die 10 Gebote abholte, er schipperte als Baby in einem<br />

Korb den Nil herunter, um den Häschern zu entgehen. Die<br />

erste „Nil-Kreuzfahrt“ fand also in einem Körbchen statt ...<br />

In Deutschland bildeten sich Zentren der Korbwarenherstellung<br />

in Berlin, Hamburg, Leipzig, Dresden, in der Rhön, in<br />

Bamberg und in Schmalkalden. Sie lieferten besonders feine<br />

Korbwaren. Der Hauptsitz der für den Export arbeitenden<br />

Korbwarenindustrie befand sich im Gebiet des oberen Mains,<br />

bei Coburg, bei Lichtenfels am Main und im Fichtelgebirge.<br />

Im Erzgebirge um Lauter/Schwarzenberg wurden besonders<br />

Spankörbe aus Holz-Spänen hergestellt. In Lichtenfels<br />

gibt es heute noch eine Fachschule für Korbflechterei. Ein<br />

beachtenswertes Fachmuseum mit umfangreicher Sammlung<br />

ist das Korbmacher-Museum in Beverungen Dalhausen. Ein<br />

ganz besonderer, herausragender Markt ist der Korbmarkt im<br />

37


„Zentrum der Flechtwelt“: am 3. Wochenende im September<br />

in Lichtenfels. Und nicht versäumen darf man das Museum<br />

von der Thonet GmbH, dem legendären Sitzmöbelhersteller,<br />

in 35066 Frankenberg.<br />

Vielfach wurden Blinde in der Korbflechterei unterwiesen,<br />

um damit in speziellen Heimstätten ihren Beitrag zum<br />

Lebensunterhalt zu leisten. In vergangenen Zeiten wurde das<br />

Korbmacherhandwerk auch oft im Reisegewerbe ausgeführt;<br />

nur in den Zentren waren die <strong>Handwerk</strong>er sesshaft.<br />

Die moderne Berufsbezeichnung der Korbflechter ist Flechtwerkgestalter(in).<br />

Lange Geschichte, große Tradition ‒ und<br />

dennoch werden die Betriebe und die, die es gelernt haben,<br />

immer weniger. Eine übliche <strong>Handwerk</strong>slehre kann ein<br />

Jugendlicher, der diesen Beruf erlernen möchte, kaum noch<br />

machen. Denn die wenigen Betriebe haben sich so spezialisiert,<br />

dass die Breite der Ausbildung kaum noch in einem<br />

Betrieb geboten werden kann. Denn das Berufsbild umfasst<br />

den Gestellbau, die Feinflechterei, geschlagene Arbeiten,<br />

Korbmacherei, Stuhlflechterei u. v. m. Somit läuft die Ausbildung<br />

eigentlich nur noch über die Fachschule in Lichtenfels<br />

(Oberfranken) in einer dreijährigen Ausbildungszeit. Wer<br />

möchte, kann auch noch den Meistertitel (vor dem Meisterprüfungsausschuss<br />

in Aachen oder Bayreuth) erwerben.<br />

Geschätzt sind in Nordrhein-Westfalen vielleicht noch 10<br />

Betriebe tätig, davon sind sechs Innungsbetriebe ‒ in der<br />

Botanik würde man solches auf die „Rote Liste“ setzen.<br />

Das <strong>Handwerk</strong> präsentiert sich auf vielen Messen, Kunstausstellungen<br />

und <strong>Handwerk</strong>ermärkten. Besonders die hochqualitativen<br />

Arbeiten findet man dort. Das Berufsbild hat sich<br />

bereits geändert: Von der klassischen Korbmacherei avanciert<br />

man heute immer mehr zum Gestalter. Dekorationen, Strukturen<br />

mit Inspiration und Emotion verschönern und werten<br />

den gesamten Bereich Wohnen auf, sind heute wichtiger<br />

als der rein funktionelle Nutzen. Dabei legt man trotzdem<br />

großen Wert auf die klare Abgrenzung zur Billigware, die hält<br />

auch nur von „12 Uhr bis Mittag“, und ist keine Alternative<br />

zu Produkten des <strong>Handwerk</strong>s. Ein guter Einkaufskorb kann<br />

„vererbt“ werden, so groß ist dessen Lebenserwartung!<br />

38


Zu Besuch bei ...<br />

Die ortsansässigen Betriebe zeigen ihre Produkte natürlich<br />

auch gerne im Laden. Wir haben einen solchen in Düsseldorf-Gerresheim<br />

besucht. Düsseldorf ‒ da denkt man an<br />

die „Kö“, an Konsumtempel, an Mode-Label, an Kunst und<br />

Medien, an Glemmer und Glamour zwischen Rhein, Altstadt<br />

und Stadtschloss. Und all die, die Düsseldorf nur so kennen,<br />

haben völlig verpasst, dass man auch traditionelles <strong>Handwerk</strong><br />

ausüben und mit Geschick und Können wunderschöne<br />

Produkte herstellen kann!<br />

Abseits der großen Glitzerwelt gibt es da<br />

nämlich den Innungs-Betrieb der Obermeisterin:<br />

Korb-Binder, geführt von den<br />

Damen Angelika Turrek ( Jahrgang 1948)<br />

und Tochter Julia, die 1978 in den Betrieb<br />

geboren wurde und hier ‒ wie einst<br />

Mose ‒ im Körbchen schlief und zwischen<br />

Weiden und Binsen aufwuchs. Der Großvater<br />

Max Binder hat seinen Gesellenbrief<br />

1926 in Schlesien erworben, 1929 siedelte<br />

man nach Düsseldorf um und 1936 legte er<br />

seine Meisterprüfung ab und machte sich in<br />

Gerresheim selbstständig. Seitdem ist der Betrieb an diesem<br />

Standort ansässig und bekannt.<br />

In einem kleinen Ladengeschäft werden Neuwaren präsentiert:<br />

Körbe in der Größe einer Streichholzschachtel sind die<br />

kleinsten, dann in allen Größen und für alle Zwecke in den<br />

unterschiedlichsten Ausführungen. „Das ist nicht nur mein<br />

Beruf, das ist auch Hobby und meine Leidenschaft“, erklärt<br />

Julia Turrek ihre Werke. „Wenn aus dem eigentlich sehr simplen<br />

Material wie Weide oder Peddigrohr sich solche Objekte<br />

formen, die dann auch in Größe, Form und Ausführung mit<br />

meinen Vorstellungen übereinstimmen, dann kann ich mich<br />

an diesen Teilen schon erfreuen; denn dann konnte eine Idee<br />

realisiert werden!“<br />

Aber auch Kunstobjekte, Plastiken aus Geflecht für den<br />

Garten, Bilder, Schalen, Vasen oder Lampenschirme sind in<br />

dieser Technik entstanden. „Ein besonderes Unikat habe ich<br />

hier“, die Junior-Chefin greift in ein tiefes Regal, „das wird<br />

die Schultüte meines Sohnes zur Einschulung ‒ natürlich aus<br />

Korbgeflecht!“<br />

Hinter dem Ladengeschäft liegt die Werkstatt mit 3 oder<br />

4 Arbeitsplätzen ‒ je nach Auftragsvolumen. Alte, knorrige<br />

Eichendielen bilden den Boden ‒ sie haben schon drei Generationen<br />

überdauert. An den Wänden hängt altes Werkzeug:<br />

Schlageisen, Pfriem, Weidenspalter, Ausputzer und vieles<br />

mehr. Wie schon vor 100 Jahren und davor arbeiten<br />

die <strong>Handwerk</strong>er mit unverändertem Werkzeug ‒ nein, die<br />

Bohrmaschine ist heute elektrisch. In<br />

Körben liegen die verschiedenen Rohmaterialien:<br />

feine und grobe Schienen für das<br />

Stuhlflechten, helle und dunkle braune<br />

Weidenruten, mit und ohne Schale, für<br />

das Korbflechten. Man sieht Binsenschnüre<br />

und dänische Papierschnüre für<br />

die weichen Geflechte. Zwischendurch<br />

immer wieder Kinderspielzeug ‒ denn<br />

der Junior, heute 2 ½ Jahre jung, spielt<br />

hier zwischen Oma, Mama und Mitarbeiterinnen,<br />

die inzwischen auch schon<br />

zur Familie gehören. Auch das ist ein Idyll ‒ und nicht das<br />

schlechteste. Manchem Kind ginge es heute besser, könnte es<br />

so aufwachsen!<br />

Mit flinken Fingern schieben die Flechterinnen den Faden<br />

vor, mit der Stuhlflechtnadel wird er geführt: drunter, drüber,<br />

drunter, drüber ... Reihe neben Reihe fügt sich die Bespannung<br />

aneinander, aus vielen Fäden, die in sechs Durchgängen<br />

gezogen werden, entsteht eine stabile, aber dennoch elastische<br />

Fläche. Das wird ein Stuhlsitz. Von rechts nach links, von<br />

oben nach unten und doppelt diagonal spannen sich dann die<br />

Fäden sechs Mal von Rand zu Rand ‒ rund 80 Meter dieser<br />

Naturfaser werden mit großer Routine eingezogen und in ca.<br />

80 Bohrungen rundherum fixiert.<br />

Denn auf das Stühleflechten hat man sich bei Korb-Binder<br />

schon vor langer Zeit spezialisiert. Es werden natürlich auch<br />

39


Neuanfertigen in enger Zusammenarbeit mit Schreinern,<br />

Innenausstattern und Dekorateuren gemacht. Hochkomplexe<br />

und komplizierte Flechtwerke entstehen so, oft mit Motiven<br />

und Strukturen, die dem Fischgrät eines Parkettbodens<br />

ähnlich sehen. Heizungs- und Türverkleidungen werden<br />

entworfen und realisiert, bei denen sich die Fäden alle im<br />

Zentrum treffen, in der sog. Sonne. Aber auch Reparaturen<br />

werden oft ausgeführt. Da gilt es den Stuhl von Oma zu<br />

restaurieren oder den wertvollen Thonet-Sessel mit <strong>neu</strong>er<br />

Bespannung zu versehen. „Geht nicht, gibt’s nicht“ ‒ so sprechen<br />

<strong>Handwerk</strong>er vom alten Schlag. Und so werden Tag für<br />

Tag alte Schätzchen zu <strong>neu</strong>em Leben erweckt und erstrahlen<br />

wieder in <strong>neu</strong>em Glanz ‒ in drei Generationen kommen die<br />

Stühle dann vielleicht wieder in die Werkstatt, so lange bieten<br />

sie den Popos eine bequeme, elastische, warme und belüftete<br />

Sitzfläche. Toll ‒ welches Teil aus Polyester, Polystyrol, Polyamid<br />

und Ähnlichem kann das ebenfalls bieten??<br />

Auf der anderen Werkstattseite wird umgreifender gearbeitet:<br />

Hier entstehen die oben genannten Körbe ‒ als Neuwaren<br />

oder auch als Reparaturen. Einige Stunden haben die<br />

Weidenruten in einem Wasserbad gezogen. Die Fühlprobe<br />

entscheidet, nun sind sie weich genug. Sie werden gesteckt,<br />

verbunden, verflochten. Und was mit einem unüberschaubaren<br />

strubbeligen Wust begann, formt sich fein geordnet<br />

zum Korb. Gerne werden auch artfremde Materialien mit<br />

eingebaut ‒ Filz zum Beispiel. Das gibt dem Objekt noch<br />

zusätzlich Farbe. Selten werden die Flechtwaren lackiert,<br />

denn das hindert die Naturmaterialien am Atmen, sie werden<br />

schnell spröde und brüchig. Die Farbnuancen erzielt man<br />

durch die Verwendung unterschiedlicher Weidenarten. Die<br />

so hergestellten Objekte sind zum einen funktionstüchtige,<br />

langlebige Gebrauchsgegenstände, zum anderen aber auch<br />

kunsthandwerkliche Exponate und Unikate. Solch ein Korb<br />

ist somit genau das Gegenteil zur banalen „Plastiktüte“ - und<br />

belastet unsere (Um-)Welt in keinster Weise.<br />

DIE GROSSE FAMILIE DER KORBWAREN:<br />

Die Korbflechterei umfasst die verschiedensten Formen von<br />

Körben: Die bekanntesten sind der Einkaufskorb, Förderkorb,<br />

Gärkorb, Geschenkkorb, Kalit, Kiepe, Wäschekorb und der<br />

Wannenkorb. Körbe für grobes Material, Baustoffe, Steine,<br />

Kartoffeln werden auch aus bandartigem, gespaltenem Fichtenholz<br />

als Spankörbe hergestellt. Kokskörbe sind vornehmlich<br />

aus berindetem Fichtenholz und Weidenruten.<br />

Außerdem existieren noch Möbel, Kinderwagen, Leuchter,<br />

Teppichklopfer, Bilderrahmen und zahlreiche Galanteriewaren,<br />

die in der Korbflechttechnik hergestellt werden. Bienenkörbe<br />

werden in Wulsttechnik hergestellt. Ein zum Fischfang<br />

verwendeter Korb heißt Reuse. Ballonkörbe aus geflochtenem<br />

Korbmaterial können bis zu 16 Personen aufnehmen. Die Armierung<br />

von Wänden in der Fachwerk-/Lehmbauweise besteht<br />

aus geflochtenen Korbmatten, zumeist aus dem gröberen<br />

Material der Kopfweide hergestellt. Ebenfalls werden Hänge<br />

im Landschaftsbau mit solchem Flechtwerk, den Faschinen,<br />

gefestigt.<br />

MATERIALIEN<br />

WEIDE<br />

Das Material der Weide wird erstlinig in der Korbflechterei<br />

verwendet: Die Korb-Weide Salix viminalis, auch bekannt als<br />

Hanf-Weide, ist eine Baumart aus der Gattung der Weiden.<br />

Sie wird kultiviert, weil sich nur dann aus den extrem langen<br />

Ruten gut Flechtwaren wie Körbe herstellen lassen. Daher<br />

wird sie zu den Flechtweiden gezählt. Sie wächst als Baum<br />

oder Strauch mit besonders langen Ruten (Ästen, Zweigen)<br />

und erreicht Wuchshöhen von 3 bis 8, im Extremfall 10<br />

Metern. Die jungen Zweige sind anfangs dicht grau behaart,<br />

später aber kahl.<br />

Die Korb-Weide ist im nördlichen Kontinentaleuropa von den<br />

Pyrenäen bis zum Ural sowie in Nordasien zu finden. Auf den<br />

britischen Inseln und in Skandinavien fehlte sie ursprünglich,<br />

wurde aber in England von Menschen zur Korbherstellung<br />

angepflanzt. Sie steigt bis auf eine Höhe von 800 Metern, ist<br />

jedoch vor allem in den Niederungen anzutreffen. Sie liebt<br />

tiefgründige schwere, basen- und nährstoffreiche, meist<br />

kalkhaltige Böden an wassernahen Standorten. So gedeiht sie<br />

beispielsweise entlang von Flussauen, Bächen und Wassergräben,<br />

die andere Baumarten eher meiden.<br />

Korb-Weiden lassen sich mittels Steckhölzern relativ einfach<br />

vermehren. Sie werden zur Nutzung als Kopfweiden geschnitten<br />

und haben an vielen Stellen als sogenannte Weidenheger<br />

kulturlandschaftsprägenden Charakter. Die Ernte der Ruten<br />

erfolgt im Regelfall in zwei- bis dreijährigen Abständen nach<br />

dem Laubfall im Herbst. Wegen der zunehmenden Kunststoffproduktion<br />

ist die Nutzung der Korbweide in den letzten<br />

Jahrzehnten allerdings stark zurückgegangen, sodass die<br />

Ernte heute in vielen Regionen nicht mehr stattfindet und die<br />

Kopfweiden nur als Landschaftspflegemaßnahme beschnitten<br />

werden. So beziehen die Korbflechter diese Ware heute v.<br />

a. aus Frankreich, Belgien, Spanien oder Polen.<br />

Die Hauptnutzung der Korb-Weide liegt in der Verwendung<br />

der extrem langen Ruten. Die Weidenruten sind stark<br />

biegsam und zugleich fest, wodurch sie ein belastbares<br />

Material darstellen. Die Ruten werden für gröbere Arbeiten<br />

ungeschält und für feinere geschält (entrindet) verwendet.<br />

Dabei werden Körbe aus ungeschälten Ruten vor allem in<br />

der Landwirtschaft als Transportkörbe für Obst, Kartoffeln,<br />

Gemüse oder Gras sowie als Flaschenkörbe in der<br />

Industrie verwendet. Geschälte Weidenkörbe sind als feine<br />

Haushaltskörbe, Einkaufskörbe und Wäschetruhen zu finden,<br />

außerdem werden Möbel, Strandkörbe und früher auch<br />

Kinder- und Puppenwagen aus diesen Ruten hergestellt. Um<br />

besonders feine Flechtgegenstände wie Näh- oder Konfektkörbchen<br />

herzustellen, werden die Ruten zudem in zwei bis<br />

40


Kontakt<br />

Korb-Binder Korbwarenfachgeschäft<br />

Julia Turrek<br />

Am Pesch 25<br />

40625 Düsseldorf-Gerresheim<br />

Tel: +49(0)211/28 95 14<br />

Fax: +49(0)211/28 95 25<br />

E-Mail: korb-binder@arcor.de<br />

Internet: www.korb-binder.de<br />

Fotos: Helmut Harhaus<br />

vier Schienen gespalten und danach zu den „geschlagenen<br />

Arbeiten“ verarbeitet. Mehrjährige Ruten werden zu sogenannten<br />

Bandstöcken verarbeitet, die gespalten als Fassreifen<br />

und Flechtschienen verwendet werden. Der Beruf des<br />

Bandreißers, der diese Arbeiten ausführt, ist heute allerdings<br />

aufgrund der geringen Nachfrage beinahe ausgestorben.<br />

RATTAN – PEDDIGROHR<br />

Ein weiteres Grundmaterial ist das Rattan. Für die Herstellung<br />

von Feingeflechten, Stuhlsitzen usw. werden bearbeitete<br />

Produkte vom Rattan verwendet. Das Rattan ist der relativ<br />

dicke Rohrstamm der Rattanpalme, Gattung Calamus, oder<br />

anderer Palmen der Unterfamilie der Calamoideae. Er wird im<br />

Gestellbau für Stühle, Gartenmöbel etc. direkt verwendet.<br />

Wird das Rattan-Rohr gespalten, entsteht aus dem harten<br />

Äußeren das Peddigrohr und aus dem Inneren die Fasern<br />

für die Feinflechterei. Man sagt auch z. B. „Manila“ dazu —<br />

entsprechend der Herkunft oder auch „spanisches Rohr“,<br />

„Stuhlrohr“ oder „Rotang“. Heute beziehen die <strong>Handwerk</strong>er<br />

das Material vorwiegend aus Indonesien.<br />

Bei der Verwendung können drei verschiedene Bearbeitungsmöglichkeiten<br />

unterschieden werden: Die unzerteilten Stängel<br />

mit ihrer glatten, glänzenden Oberfläche werden zu Spazierstöcken,<br />

Teppichklopfern und Rohrstöcken verarbeitet.<br />

Auch verschiedene Kampfkünste (beispielsweise Kombatan;<br />

Escrima; Arnis; Bō im Kobudo) verwenden Schlagstöcke<br />

aus dem robusten Rattanholz, da Rattan beim Kampf Stock<br />

gegen Stock (im Gegensatz zu normalem Holz) nicht splittert,<br />

sondern nur zerfasert, was die Verletzungsgefahr senkt.<br />

Auch für verschiedene Bögen wird Rattan gerne verwendet.<br />

Darunter Reiterbögen, Langbögen, Recurves usw. Durch ein<br />

Backing kann das Zuggewicht erhöht werden. Die dicken Teile<br />

des Stamms werden für Möbelgestelle verwendet.<br />

Aus den von der Sprossoberfläche geschnittenen etwa fünf<br />

Meter langen Streifen mit ihren glatten Außenseiten wird<br />

robustes Flechtwerk für Möbelstücke, traditionell vor allem<br />

Sitzgeflechte für Stühle, hergestellt. Die Bezeichnung dafür ist<br />

„Stuhlflechtrohr“, breitere Qualitäten werden als Wickelrohr<br />

gehandelt. Das Rohr lässt sich spalten, die erhaltenen Stränge<br />

können dann auf Maß gezogen bzw. gehobelt werden. Das<br />

Rohr wird anschließend aufgerollt und getrocknet.<br />

Wenn Stuhlflechtrohr farbig gebeizt werden soll, muss es<br />

einer speziellen Beizung unterzogen werden, da die<br />

Triebaußenseite wasserabstoßend ist. Stuhlflechtrohr, in der<br />

Handelsklasse Gelbband, ist vorab gebleicht. Es lässt sich<br />

auch noch nach der Verarbeitung beizen. Es gibt mehrere<br />

Handelsklassen, üblich sind heute Rotband, Blauband sowie<br />

Gelbband (beizfähig). Der Name kommt von der Farbe der zur<br />

Bündelung eingesetzten Bänder. Je nach Stärke wird Rattan<br />

als Peddigrohr (bis 5 mm), Stakenpeddig (ab 6 mm, rund)<br />

oder Peddigschienen (ab 5/6 mm, flach, Oberfläche abgerundet)<br />

verkauft. Noch breitere, flach/eckige Varianten werden<br />

als Peddigband bezeichnet. Die Außenhaut wird als<br />

Stuhlflechtrohr (< 4 mm) und Wickelrohr (ab 4 mm) verkauft.<br />

Auch fertige Gewebe aus beiden Materialien sind<br />

handelsüblich.<br />

Vor der Verarbeitung muss man das Material einweichen und<br />

stärkere Triebe über Dampf biegsam machen. Auch später<br />

empfiehlt sich das sporadische Befeuchten mit einem Wasserzerstäuber<br />

oder das Abwischen mit einem feuchten Tuch,<br />

damit die natürliche Biegsamkeit nicht verlorengeht. Allein<br />

nur mit Wasser sollte dies jedoch nicht zu oft geschehen, weil<br />

auf Dauer gesehen das Material verstocken kann und brüchig<br />

wird. Durch die Zugabe von Sattelseife bleibt das Material<br />

länger geschmeidig.<br />

41


Lebendiges <strong>Handwerk</strong><br />

Materiallager Ziegenhaar<br />

42


Neue Besen fegen gut<br />

Dem Bürstenmachermeister zugeschaut<br />

von Helmut Harhaus<br />

Die Liebe war schuld ‒ wie so oft im Leben. Aber es<br />

kam noch ein triftiger Grund hinzu: Fünf Jahre Krieg<br />

und Gefangenschaft, der Verlust der Ostgebiete mit<br />

Zerstörung der Stadt; das veranlasste Leonhard Zagermann<br />

senior, die Mark Brandenburg zu verlassen und nach Solingen,<br />

zum Familiensitz seiner Frau, „auszuwandern“. 1924, als<br />

die Welt noch in Ordnung war, hatte er sich als Pinsel- und<br />

Bürstenmacher dort selbstständig gemacht. Doch die Geschichte<br />

hatte anderes mit ihm vor ...<br />

1935 wurde Sohn Leonhard (junior) geboren. Und wie das in<br />

<strong>Handwerk</strong>sbetrieben üblich war, wuchs er zwischen Bürsten,<br />

Borsten und Pinseln in der Werkstatt auf. Als Schüler half er<br />

bereits zuweilen im elterlichen Betrieb, somit erübrigte sich<br />

die Frage nach einem „Berufseinstieg“. Er ist Bürstenmacher ‒<br />

immer schon gewesen.<br />

Und dann brannte Europa ...<br />

Die Familie siedelte 1949 nach Solingen um, der Geburtsstadt<br />

der Mutter. Der Vater baute den Betrieb <strong>neu</strong> auf, und<br />

es war 1988 ein glücklicher Zufall, der es ermöglichte, im<br />

märchenumwobenen Umfeld von Schloß Burg (Stadtteil<br />

von Solingen), direkt im Schatten der Burg und ehemaligem<br />

Stammsitz der Grafen von Berg, einen Laden zu finden und<br />

hier dem <strong>Handwerk</strong> weiter nachgehen zu können. 1988 übernahm<br />

Leonhard Zagermann (jun.) dann auch den Betrieb von<br />

seinem Vater. So können die Zagermanns in diesem Jahr das<br />

90-jährige Geschäftsjubiläum feiern.<br />

Inzwischen ist dieses <strong>Handwerk</strong> auf vielleicht nur noch 30<br />

Betriebe in Deutschland geschrumpft. Der Schwerpunkt lag<br />

immer in den Gebieten mit umfangreicher Holzverarbeitung:<br />

Schwarzwald, Franken, Bayern, Erzgebirge. Familienbedingt<br />

43


Der Firmengründer Leonhard Zagermann (sen.) wacht über allem<br />

ist der Betrieb auf Schloß Burg somit ein wahres „Nordlicht“<br />

der Branche, dadurch aber auch Anlaufstelle für viele aus<br />

einem riesigen Umfeld. Der große Kundenstamm kommt<br />

von weit her, denn man schätzt die Qualität der Bürsten und<br />

‒ und das wohl vornehmlich ‒ die kompetente Beratung des<br />

Ehepaares. Es kommt nämlich einer Wissenschaft gleich, die<br />

man hier über Haare, Borsten und Pflanzenfasern erfahren<br />

kann. Schauen wir nur kurz über die Auslage mit den diversen<br />

„Nagelbürsten“, die - so denkt man - die simpelsten Reinigungshilfen<br />

sind. Heute kauft man sie für wenige Cent im<br />

Supermarkt; aus Kunststoff, alle gleich und „haltbar von 12<br />

Uhr bis Mittag“. Aber nein, die Reinigungskraft in Verbindung<br />

mit einer oberflächenschonenden Wirkung kann sehr<br />

unterschiedlich sein! Die Größe des Bürstenkörpers hat Einfluss,<br />

noch mehr die Borstenlänge. Es macht aber auch einen<br />

riesigen Unterschied, ob tierische Borsten oder pflanzliche<br />

Fasern eingebunden wurden, ebenso die Dichte ‒ also<br />

wie viele Löcher pro Quadratzentimeter im Bürstenkörper<br />

gebohrt wurden und die Büschel aufnehmen.<br />

Leonhard Zagermann, der Pinsel- und Bürstenmachermeister,<br />

und seine Frau Alrun, die ebenfalls seit 1988 mit im Betrieb<br />

tätig ist, wissen zu jedem Einsatz die richtige Bürste zu empfehlen.<br />

Egal ob es um spezielle Zahnbürsten geht, um Rasierpinsel<br />

aus Dachshaar oder um Flachbürsten zur Reinigung<br />

empfindlichster Oberflächen, Lacke oder den Flachbildschirm<br />

‒ bei Zagermann findet man das richtige Produkt. Es gibt<br />

Spezialbürsten für die Reinigung von Musikinstrumenten,<br />

Massagebürsten, Bücherbürsten, Möbelbürsten. Verschiedene<br />

Besen, Handfeger, Schuhputzbürsten, Gemüseputzbürsten<br />

oder Spinnennetzfeger findet man im über 800 Artikel großen<br />

Angebot.<br />

Ein besonderes Stück: fast hundert Jahre alter, fein<br />

gedrechselter Holzkörper mit einem Besatz aus<br />

weißem und schwarzem Ziegenhaar<br />

Rasierpinsel aus Dachshaar tragen Schaum<br />

besonders gut auf<br />

Und dabei wird die Rohstoffbeschaffung immer schwieriger.<br />

Die Zulieferanten für die Holzkörper sterben aus, für die<br />

Pinselzwingen (Metallhülsen) gibt es nur noch einen einzigen<br />

Hersteller. Selbst die simple Schweineborste gibt es hier<br />

nicht mehr. Die Schweine in Deutschland werden nur noch 4<br />

Monate alt. Wenn sie geschlachtet werden, tragen sie höchstens<br />

„Babyflaum“, aber noch keine verwendbaren Borsten.<br />

Außerdem sind die heutigen Nutzschweine so gezüchtet, dass<br />

sie kaum noch Borsten besitzen ‒ die stören in der Weiterverarbeitung.<br />

Zagermanns müssen den größten Teil der Produkte<br />

weltweit besorgen. Gute Schweineborsten kommen aus China,<br />

Dachshaar aus dem östlichen Russland, Pflanzenfasern aus Indonesien<br />

‒ ein Ladenrundgang kommt einer Weltreise gleich.<br />

„Wichtig ist neben der Elastizität und unterschiedlichen<br />

Härte aber auch der Fettgehalt der Haare“, erklärt der<br />

Fachmann. „Besonders das Ziegenhaar ist ein wunderbares<br />

Naturprodukt für die Bürstenherstellung. Wir machen daraus<br />

besonders gute Staubpinsel und -bürsten. Der natürliche<br />

Fettgehalt bindet nämlich den Staub ganz von selbst. Man<br />

entfernt ihn, ohne mechanischen Druck ausüben zu müssen,<br />

verkratzt also nicht empfindliche Oberflächen. Und ein Mal<br />

44


Ein Handfeger mit Ziegenhaarbesatz entsteht<br />

im Jahr wäscht man die Bürste in lauwarmem Wasser, das<br />

mit Kern- oder Schmierseife angereichert ist, aus ‒ und sie<br />

ist wie <strong>neu</strong>.“ Mit einem wissenden Lächeln drückt er mir die<br />

Waschanleitung in die Hand. Tja, so was hab’ ich im Supermarkt<br />

tatsächlich noch nicht <strong>erlebt</strong>, wenn man mal ‘ne Bürste<br />

brauchte ...<br />

Aber nicht nur die umfangreiche Produktpalette steht zur<br />

Auswahl, man kann dem <strong>Handwerk</strong>er bei der Produktion<br />

auch zuschauen ‒ denn Werkstatt und Laden sind eins. Mit<br />

gekonnter Hand werden die Borsten- oder Haarbüschel<br />

aufgenommen. Jedes gleich ‒ ohne die Haare zu zählen. Mit<br />

einem Messing- oder Edelstahldraht wird das Büschel ‒ Stück<br />

für Stück ‒ in die konischen Löcher eingezogen. Ist eine Reihe<br />

fertig, werden die Haare auf einheitliche Länge geschnitten.<br />

Dann wird die nächste Reihe eingezogen, beschnitten<br />

‒ und so weiter und so fort. Die Metalldrähte werden im<br />

ausgefrästen inneren Hohlraum „vernäht“, dann die Bürste<br />

mit der Abdeckung geschlossen. Solch eine Bürste ist für die<br />

Ewigkeit gemacht.<br />

Dann gibt es da aber auch noch die „Meisterstücke“:<br />

Histörchen aus Elfenbein oder Perlmutt sind echte Schätze.<br />

Kunstvoll gedrechselte Holzkörper, mit bis zu 800 Löchern<br />

versehen, ermöglichen die Herstellung von geschwungenen,<br />

runden Bürsten ‒ kleinen Kunstwerken gleich. Edle Hölzer<br />

wie Ebenholz, Zitronen- oder Pflaumenholz, von Kirsche oder<br />

Palisander wurden früher öfter, heute nur noch selten verarbeitet<br />

‒ es gibt kaum noch Hersteller für solches. Aber im<br />

Lager der Zagermanns liegen noch solche Schätze. Und für<br />

die, die hochwertige <strong>Handwerk</strong>sarbeiten lieben und schätzen,<br />

kann der Meister solches auch noch herstellen.<br />

„Schauen Sie mal“, stolz und mit ein bisschen Ehrfurcht zeigt<br />

er mir einen hauchdünnen, eleganten Bürstenkörper, „das<br />

ist noch ein Holz für eine Bürste mit Stirneinzug. Um die<br />

Dicke des Körpers deutlich zu reduzieren, hat man früher den<br />

ganzen Körper von vorne aus in ganzer Länge gebohrt. Die<br />

Haarbüschel wurden dann alle mit einem Seelendraht von<br />

vorne eingezogen. Das ist heute eine Rarität ‒ den Zeitauf-<br />

45


wand leistet man sich nicht mehr. Früher waren in der Kalkulation<br />

die eingesetzten Produkte preisrelevant und die<br />

Arbeitszeit nebensächlich. Heute liegen die Dinge genau<br />

umgekehrt. Vieles bleibt dadurch auf der Strecke“, ein bisschen<br />

Wehmut klang in den Worten des Meisters mit.<br />

Mir kam diese Herstellungsart ein bisschen vor wie der Bau<br />

eines Buddelschiffes ‒ Bürste mit Stirneinzug, der Weg zur<br />

Zauberei kann nicht mehr weit sein ...<br />

Mit Leib und Seele sind die Zagermanns ihrem Beruf verbunden.<br />

Die Ausführung handwerklicher Arbeit, mit der man sich<br />

identifizieren kann, steht hier an oberster Stelle. Wenn sich<br />

die Kunden über die Produkte freuen, kommt für sie das dem<br />

Applaus des Musikers gleich. Und es hat sich rumgesprochen.<br />

Ob Reparaturen von Silbergarnituren, Tischbürsten im<br />

Biedermeierstil oder technische Bürsten für spezielle Webverfahren;<br />

ob Kopfschmuck für historische Römerhelme oder<br />

Spezialanfertigungen für die Spinnwebenbekämpfung ‒ auch<br />

hier gilt: „geht nicht, gibt’s nicht“. Die Aufträge kommen<br />

inzwischen aus ganz Europa, aus Amerika bis Australien.<br />

Die üblichen Bürsten der Produktion kosten, je nach Größe,<br />

zwischen 10,‒ und 35,‒ Euro. Also ganz humane Preise angesichts<br />

der handwerklichen Einzelanfertigung.<br />

Und bis jetzt haben wir uns nur bei den Bürsten umgeschaut.<br />

Ähnlich umfangreich ist das Angebot an Pinseln. Künstler<br />

können hier von spitz bis breit, von groß bis winzig, von hart<br />

bis hauchzart wählen; bestückt mit Marder, Marderhund,<br />

Dachs-, Eichhörnchen- (Feh-)Haar. Aber davon vielleicht mal<br />

später ...<br />

Fotos: Helmut Harhaus<br />

Kontakt<br />

Pinsel- und Bürstenmacherei<br />

Zagermann<br />

im Kunsthandwerkerhaus<br />

auf Schloß Burg<br />

Schloßplatz 5<br />

42659 Solingen (Burg)<br />

Tel.: +49(0)212/47964<br />

Internet:<br />

www.buersten-zagermann.de<br />

Öffnungszeiten:<br />

Dienstag bis Donnerstag, Samstag<br />

und Sonntag sowie an Feiertagen<br />

von 12 bis 18 Uhr<br />

(Mo + Fr geschlossen)<br />

Das Ehepaar Zagermann – Bürsten sind ihr Leben<br />

46


DAS BÜRSTEN 1x1<br />

Für unterschiedliche Anwendungen werden entsprechende Besatzmaterialien<br />

verwendet:<br />

Für<br />

Staubwedel, Gesichtsbürsten<br />

Besen, Tapezierbürsten,<br />

Heizkörperbürsten, Schuhputzbürsten<br />

Möbelbürsten/-pinsel<br />

Rasierpinsel<br />

Künstlerpinsel<br />

Feinmalpinsel und Vergolderpinsel<br />

Haarbürsten, Flaschenbürsten<br />

Kleiderbürsten, Bade- und<br />

Massagebürsten<br />

Nagelbürsten<br />

Schrubber, Gemüsebürsten,<br />

Waschbürsten, Straßenbesen<br />

Bürsten für<br />

gewachste (Eichen-)Möbel<br />

Wildleder-Bürsten<br />

Blattgoldanleger<br />

eignet sich das Besatzmaterial:<br />

Ziegenhaar der Kaschmirziege<br />

Rosshaar (Schweif)<br />

weiches Rosshaar (Mähne)<br />

Dachshaar<br />

Marderhaar, Fehhaar, Rindshaar<br />

Fehhaar (Eichhörnchen)<br />

Schweineborsten<br />

Wurzel, Pflanzenfaser,<br />

Schweineborsten<br />

Pflanzliche Fasern von Arenga,<br />

Bassine, Siam, Kokus und Wurzeln<br />

Kupferdraht, auch in Verbindung<br />

mit Schweineborsten<br />

Messingdraht<br />

auch in Verbindung mit Borsten<br />

Fehhaar<br />

Besonders praktisch und anwenderfreundlich sind Bürsten und Pinsel aus Ziegenhaar.<br />

Das Markenzeichen der Zagermann-Produkte sind die zweifarbigen Besatzausführungen<br />

mit weißen und schwarzen Haaren. Die Bürste darf ja nebenbei auch schön aussehen ...<br />

Einmal im Jahr ist eine Reinigung empfehlenswert. Dazu werden die Bürsten und Feger in<br />

einer handwarmen Lauge aus Kern- oder Schmierseife ausgewaschen. Dabei nicht kneten<br />

oder rubbeln, damit die weichen Haare nicht brechen oder verfilzen. Anschließend in<br />

klarem Wasser nachspülen, das Wasser ausschleudern und die Bürste an der Luft trocknen<br />

lassen. Wichtig ist, dafür Schmierseife zu benutzen, die fettet die Haarstruktur <strong>neu</strong><br />

und verleiht der Bürste wieder die Eigenschaft, Staub zu binden.<br />

Spülbürsten und Wurzelbürsten muss man mit den Borsten nach unten zum Trocknen<br />

lagern, damit keine Staunässe in den Holzkörper eindringt.<br />

Haarbürsten sollten von Zeit zu Zeit mit einem speziellen Kamm-/Bürstenreiniger durchkämmt<br />

werden, um Haare und Hautschuppen zu entfernen.<br />

47


Lebendiges <strong>Handwerk</strong><br />

Traditionelle Käseproduktion<br />

entdeckt und dokumentiert auf der Insel La Gomera<br />

von Jens Johannsen<br />

Versteckt in einer verträumten Landschaft, nicht weit<br />

entfernt von der Ortschaft Hermigua im Nordosten<br />

von Gomera gelegen, trafen wir auf ihrem kleinbäuerlichen<br />

Hof, mit fruchtbaren Steilhangparzellen von insgesamt<br />

einem halben Hektar Größe, Helga und Pasquale.<br />

Auf diesem Hof wird von Helga und Pasquale seit etwa 10<br />

Jahren Ziegenkäse in alter traditioneller Art für den Hausgebrauch<br />

hergestellt, einer Tradition, die erstmals für das<br />

Jahr 1492 dokumentiert ist, als Kolumbus auf seiner Entdeckungsreise<br />

nach Amerika den wohlschmeckenden Käse<br />

aus Gomera als Reiseproviant einschiffte (Ethnographisches<br />

Museumsdukoment La Gomera).<br />

Pasquale kennt die Landwirtschaft von frühester Kindheit.<br />

Er ist Gärtner, Fachmann für Obstbaumveredlungen, er kann<br />

und darf den wertvollen „guarapo” (Palmenhonig) abzapfen,<br />

er baut einen speziellen Knoblauch an, und er besitzt<br />

drei Bergziegen für die Käseherstellung. Helga führt den<br />

Haushalt, stellt den Käse her, konserviert Früchte und ist<br />

Fachfrau für Jazz. Mit ihrem Computer hält sie den Kontakt<br />

zu ihren Kindern und zur Außenwelt.<br />

Wir beobachten Pasquale beim Melken seiner Ziege<br />

(Bild 1) und staunen, wie 2 Liter Milch in gleichmäßigen<br />

Stößen in nur wenigen Minuten aus dem prallen Euter in<br />

die vorbereitete Milchkanne spritzen. Für Pasquale ist das<br />

vorsichtige, abtastende Überprüfen und Reinigen des Euters<br />

eine eingeübte und selbstverständliche Melkvorbereitung.<br />

Pasquale erklärt uns, dass unter optimalen Futter- und Tierhaltungsbedingungen<br />

diese Melkmenge pro Ziege auf 4 Liter<br />

pro Tag ansteigen kann. Die Milchmenge und Käsequalität<br />

wird in hohem Maße durch das gute Weidegras bestimmt.<br />

48


Berglandschaft auf der Insel La Gomera<br />

Arbeitsteilige Käseherstellung hat sich auch auf diesem<br />

Hof bewährt. Helga übernimmt die am Morgen frisch<br />

gemolkenen zwei Liter Rohmilch. Zusammen mit der vom<br />

Vortag im Kühlschrank aufbewahrten Milch, stehen jetzt die<br />

notwendigen 4 Liter Milch bereit, um ihren Hauskäse, diesmal<br />

extra für ihre Gäste, in gewohnter Weise herzustellen.<br />

Die Geräte, besonders der schon seit Generationen benutzte<br />

Käsetisch und das mit einem Filtertuch ausgelegte Sieb,<br />

sind bereits in der kleinen Küche vorbereitet. Die vier Liter<br />

Rohmilch, vorsorglich noch einmal mit einem feinen Metallsieb<br />

gefiltert, werden im ersten Arbeitsschritt kurzzeitig auf<br />

37 bis 38 Grad Celsius erwärmt und dann mit flüssigem<br />

Lab durchmischt. Die Herstellung der Labflüssigkeit aus<br />

Labpulver wird nach genauer Firmenanweisung durchgeführt.<br />

Von der vorbereiteten und im Kühlschrank gelagerten<br />

Verdünnung werden zwei Esslöffel Labflüssigkeit langsam<br />

und unter wechselnder Rührbewegung in die frische Rohmilch<br />

eingerührt. Die Rührzeit beträgt etwa eine Minute.<br />

Die Bildung der dickmilchartigen Käsemilch dauert dann<br />

etwa zwei Stunden. Um bei diesem Vorgang die Wärme zu<br />

erhalten und Staub fernzuhalten, wird die Käsemilch vorsorglich<br />

mit einem Tuch abgedeckt. Nachbarn von Helga<br />

und Pasquale arbeiten bei der Käseherstellung nicht mit dem<br />

synthetisch hergestellten Labpulver, sondern verwenden,<br />

genau wie früher, ihr eigenes Naturlab. Dies herzustellen ist<br />

Bild 1<br />

Bild 2<br />

49


Bild 3 Bild 4<br />

Bild 8<br />

Bild 7<br />

sehr aufwendig und bedarf großer hygienischer Sorgfalt, da<br />

die Bildung des Labs im Magen eines Zickleins erfolgt. Jedes<br />

Säugetier produziert, solange es gesäugt wird, ein spezielles<br />

Labenzym. Um Käselab zu bekommen, befüllt man über 5<br />

bis 6 Tage den Ziegenmagen des frisch geschlachteten “baifo“<br />

(Zicklein) in kleinen Schritten mit etwa 5 bis 6 Löffeln<br />

frischer Muttermilch. Diese Milch verklumpt in kurzer Zeit<br />

unter Einwirkung des Labenzyms des Magens zu einem<br />

relativ festen Klumpen, der in kleine Brocken zerteilt, in<br />

Wasser aufgelöst, in die Rohmilch gemischt wird und dann<br />

die Käsebildung in gleicher Weise einleitet wie beim oben<br />

beschriebenen synthetischen Labpulver.<br />

Hat sich die Käsemilch unter Einwirkung des Labs und<br />

ausreichender Zeit gebildet, wird diese Vorstufe des späteren<br />

Käses mit einem einfachen Küchenmesser in gleich große<br />

Würfel von etwa vier Zentimeter zerteilt. Da die hier<br />

verwendete Topfhöhe gering ist, kann auf eine waagerechte<br />

Zerteilung der Käsemilch verzichtet werden. Das ist nicht<br />

ganz unwichtig, denn je kleiner die Würfelform geschnitten<br />

wird, desto leichter kann die Molke austreten und desto fester<br />

wird der Käse. Helga füllt vorsichtig und langsam die zerteilte<br />

Käsemilch in das vorbereitete Sieb (Bild 2), und bereits jetzt<br />

kann ein beträchtlicher Teil der sich gebildeten Molke abgeseiht<br />

werden. In den noch sehr weichen Frischkäse kann man<br />

Kräuter nach eigenem Gutdünken und eigenem Geschmack<br />

einmischen (Bilder 3 und 4). Beliebt sind fein gehackte<br />

Kresse, Kerbel, Petersilie und auch Knoblauch, alles Kräuter,<br />

wenn möglich aus dem eigenen Garten oder fast wie selbstverständlich<br />

im Tausch vom Nachbarn. Salz, das bevorzugt in<br />

grobkristalliner Form verwendet werden sollte, da es tiefer in<br />

den Käse eindringen kann, und auch etwas Pfeffer erzeugen<br />

dann die endgültige Geschmacksrichtung.<br />

Durch geschicktes Verschließen des Tuches wird der Käse<br />

gepresst (Bild 6) und vorgetrocknet. Der Käse muss zur<br />

Molkereduzierung weiter gepresst und außerdem in eine<br />

endgültige Form gebracht werden. Mit Hilfe eines zu einem<br />

verstellbaren Zylinder formbaren Edelstahlbleches kann der<br />

Käse zu seiner endgültigen runden Form gepresst werden.<br />

Mit dem Spannseil kann die runde Form stufenlos verkleinert<br />

werden (Bild 7). Zusätzlich wird mit Hilfe eines Steines und<br />

eines geeigneten Drucktellers, hier ist es eine flache Glasschale,<br />

der Druck auf den Käse verstärkt. Dieser Pressvorgang<br />

wird auf dem Käsetisch durchgeführt (Bild 8). Die Molke<br />

kann dabei ungehindert über die Bodenrillen des Käsetisches<br />

austreten und über die Ablaufrinne in einen Topf fließen.<br />

Dass frische Molke ein wunderbares Getränk ist und keineswegs<br />

nur den Tieren verfüttert werden sollte, ist eine weitere<br />

<strong>neu</strong>e Erfahrung für uns. Nach zwei Tagen Presszeit erreicht<br />

der Käse seine gewünschte Konsistenz und damit sein endgültiges<br />

Aussehen und Gewicht (Bild 9), in unserem Fall 550<br />

Gramm. Aus Gründen der Hygiene wird der Käse für diese<br />

Ruhezeit mit einem Tuch abgedeckt und kühl gelagert.<br />

50


Bild 5 Bild 6<br />

Bild 9<br />

Zur Übergabe unseres Käses treffen wir uns noch einmal<br />

zwei Tage später in der Casa Creativa, einem besonders<br />

freundlichen Treffpunkt. Wir erhalten von Helga die letzten<br />

Informationen, wie man z. B. den Käse am besten lagert und<br />

welche gesetzlichen Rahmenbedingungen, die leider eine<br />

Eigenherstellung und einen Verkauf kaum noch zulassen,<br />

bedacht werden müssen. Auch das Räuchern des Käses, am<br />

besten mit dem Holz des Zitronenstrauches oder der Baumheide<br />

zur Geschmacksintensivierung, wird besprochen. Durch<br />

Lagern kann der Käse verschiedene Reifegrade erhalten und<br />

fester werden.<br />

Bild 10<br />

Soll der Käse eine Reise überstehen, wir denken dabei wieder<br />

an die Entdeckungsfahrten des Kolumbus, sollte er täglich<br />

mit einer gesättigten Salzlösung abgepinselt und damit<br />

besonders haltbar gemacht werden. Dass dann noch ein Besuch<br />

im Museum erfolgt, wird nicht verwundern. Auch hier<br />

werden wir fündig. Wir entdecken, wie Käse in alten Zeiten<br />

in Kästen aus Schilfrohr oder Bambus gelagert (Bild 10) und<br />

dass mit einfachen Waagen das Gewicht des Käses bestimmt<br />

wurde. Und am Ende unserer freundlichen und herzlichen<br />

Begegnung in den Bergen La Gomeras versprechen wir Helga<br />

und Pasquale, dass wir in unserer Reportage ausdrücklich<br />

darauf hinweisen, dass das ganze Wissen um die Käseherstellung<br />

allen gehört und in diesem Fall ganz besonders den<br />

Gomerianern.<br />

Fotos: Jens Johannsen<br />

La Gomera, mit Blick vom Nebelwals<br />

51


<strong>Handwerk</strong> im Museum<br />

Nach Originalplänen nachgebaut: Torfschiff „Johanna“ in Elisabethfehn<br />

Barfuß oder Holzschuhe: einfaches Leben im Moor<br />

52


„ Jan, treck an!“<br />

Moorkolonisation und Torfabbau<br />

von Klaus-Uwe Hölscher<br />

Mit Moor verbanden unsere Vorfahren meist etwas<br />

Gefährliches, Unheimliches bzw. Gespenstisches.<br />

Diese Gefühlslage beruhte nicht nur auf Phantasievorstellungen,<br />

sondern hatte durchaus einen realistischen<br />

Hintergrund. Moorgebiete waren kaum besiedelte, einsame<br />

Gegenden und ein Betreten war gefährlich, da man im feuchten,<br />

morastigen Boden leicht einsinken konnte.<br />

Die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff (1797 ‒ 1848)<br />

hat in ihrem Gedicht „Der Knabe im Moor“ die gespenstische<br />

Atmosphäre eindrucksvoll gestaltet:<br />

„O schaurig ist’s übers Moor zu gehen,<br />

Wenn es wimmelt vom Heiderauche,<br />

Sich wie Phantome die Dünste drehn<br />

Und die Ranke häkelt am Strauche,<br />

Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,<br />

Wenn aus der Spalte es zischt und singt<br />

O schaurig ist’s übers Moor zu gehen,<br />

Wenn das Röhricht knistert im Hauche!“<br />

Der Knabe <strong>erlebt</strong> im Moor einige Phantasiegestalten, die ihm<br />

schreckliche Ängste einjagen, aber er findet wieder den Weg<br />

zurück nach Hause, da ihm ein Schutzengel beisteht.<br />

Aus vor- und frühgeschichtlicher Zeit sind auch Moorleichen<br />

bekannt. Durch die konservierende Wirkung von Moor und<br />

Luftabschluss sind menschliche Leichname oft sogar mit<br />

Haut und Haaren erhalten geblieben und geben uns wichtige<br />

Kenntnisse über Körperbau und Bekleidung. Im Unterschied<br />

zu den fruchtbaren Marschböden und der sandigen Geest<br />

war das Leben im Moor reich an Entbehrungen. Erst durch<br />

umfangreiche Kultivierungsarbeiten konnten diese Gebiete<br />

„Jan treck an“: Mühsames Treideln per Menschenkraft<br />

dargestellt am Mittelkanal in Papenburg<br />

für landwirtschaftliche Nutzung erschlossen werden. Nach<br />

mehreren Generationen war dann eine einigermaßen ausreichende<br />

Lebensgrundlage geschaffen. Dies kommt in dem<br />

plattdeutschen Ausspruch besonders treffend zum Ausdruck:<br />

„Dem Ersten sin Dod, dem Tweden sin Not, dem Dritten sin<br />

Brot.“<br />

Moore sind natürliche Bildungs- und Lagerstätten von<br />

Pflanzenresten, die sich unter Luftabschluss zersetzen und an<br />

der Erdoberfläche Torf bilden. Man unterscheidet Flachmoore<br />

(auch Niederungsmoor, Wiesenmoor oder Ried genannt), die<br />

sich bei der Verlandung von Seen, Teichen bzw. Flussläufen<br />

bilden, und Hochmoore. Diese Moore sind auch unter den<br />

Bezeichnungen Moos, Venn und Fehn bekannt. Auf den<br />

nährstoff- und kalkarmen Böden der Hochmoore wachsen vor<br />

allem Wollgräser, Heidekraut und Torfmoose. Letztere bilden<br />

dichte Polsterdecken und saugen das Oberflächenwasser auf.<br />

Die tieferen Schichten sterben ab und gehen in Torf über, die<br />

53


Oberfläche des Moores gewinnt dabei langsam an Höhe. Bei<br />

fortschreitender Alterung entwickelt sich Torf zu Braunkohle.<br />

Moormuseum Moordorf<br />

In Ostfriesland und im Emsland sind einige Museen zu besichtigen,<br />

die die Erinnerung an die Moorkolonisation und die<br />

damit verbundenen Strapazen wachhalten. So bezeichnet sich<br />

das Moormuseum in Moordorf zwischen Aurich und Emden<br />

als „Museum der Armut zum Anfassen und Mitmachen“. Im<br />

Jahre 1979 wurde der Verein Moormuseum Moordorf gegründet.<br />

Auf einem Moorgelände am Rande des Dorfes wurden<br />

kleine Lehmhütten stilgerecht nachgebaut. Dargestellt werden<br />

die Entwicklungsgeschichte sowie das Leben und die Arbeit<br />

der Moorkolonisten. Im Jahre 1744 kam Ostfriesland unter<br />

preußische Herrschaft, und die Kolonie Moordorf wurde<br />

1767 gegründet. Man machte damals das Moor jedoch nicht<br />

wirklich urbar, denn dann hätte man den Torf abgraben müssen.<br />

Stattdessen brannte man die oberste, lockere Moorschicht<br />

ab und gewann durch diese Brandrodung Asche, die einige<br />

Nährstoffe enthielt, die aber bald wieder verbraucht waren.<br />

So herrschte meist große Armut. Die Lage verbesserte sich<br />

erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als Moordorfer in der<br />

Hafenstadt Emden Arbeit fanden.<br />

Webstuhl zur Segelherstellung für die Fehnschiffahrt<br />

Armut und Kinderreichtum<br />

Der frühere ostfriesische Regierungspräsident Jann Berghaus<br />

(1870 ‒ 1954) beschreibt eindrucksvoll in seinen Erinnerungen<br />

die häuslichen Verhältnisse einer Moordorfer Familie in<br />

den 1920er Jahren: „Die Wohnverhältnisse der Moordorfer<br />

waren außerordentlich kümmerlich. Man kann sich kaum<br />

ein Bild von dem Wohnungselend machen … Wir betraten<br />

eine der Moorhütten. In dem Vorderteil war nur ein einziges<br />

größeres „Zimmer“, an der Giebelwand flackerte das<br />

Herdfeuer. Der Zutritt zu diesem Raum führte durch einen<br />

schmalen Gang zwischen zwei Wandbetten (Butzen) hindurch.<br />

Das Hinterhaus war eine kleine Scheune, worin ein<br />

Raum für Torfaufbewahrung und für einen Schaf- und<br />

Schweinestall vorhanden war. Auf meine Frage an die Hausfrau,<br />

wie viel Menschen in dieser Hütte wohnten, antwortete<br />

sie „Vierzehn“! Da wollte einem doch der Verstand still stehn!<br />

Ich sprach plattdeutsch und fragte: „Aber wie schlafen Sie<br />

denn mit vierzehn Menschen in diesem Haus?“ Sie zeigte auf<br />

die eine Butze, die für die Großeltern bestimmt war. In der<br />

andern, sagte sie, nächtigen sechs Kinder. Aber die konnten ja<br />

nicht nebeneinander liegen, und deswegen mussten sie in der<br />

Querlage den nötigen Raum finden.“<br />

Auch die übrigen sechs Personen haben eine Schlafstelle,<br />

wobei die Eltern in der Scheune neben dem Schweinestall<br />

ihr Nachtlager haben und das kleinste Kind zwischen ihnen<br />

schläft. Berghaus stellt abschließend fest: „Nun waren es<br />

vierzehn! Die Kinder waren gesund, meistens außerhalb des<br />

Hauses und auf die freie Natur angewiesen. Bei Sommertag<br />

gingen sie natürlich barfuß. Diejenigen, die diesem Dasein<br />

nicht gewachsen waren, gingen in Seuchen und Epidemien<br />

Fehnmuseum Eiland Westgroßefehn: Torftransport<br />

per Schubkarre<br />

zugrunde.“ (Zitiert nach Andreas Wojak, Moordorf, Dichtungen<br />

und Wahrheiten über ein ungewöhnliches Dorf in<br />

Ostfriesland. Bremen 1992.)<br />

Fehnmuseum Eiland<br />

In Westgroßefehn zwischen Aurich und Leer wurde 1634 mit<br />

dem Torfabbau begonnen. Das dortige Fehnmuseum Eiland<br />

e.V. feierte vom 1. ‒ 8 Mai 2011 sein 20-jähriges Bestehen.<br />

Außer der Vorführung einer alten Gattersäge standen Ausstellungen,<br />

Lichtbilder- und Filmvorträge auf dem Programm.<br />

Zeitzeugen berichteten über „olle Tieden“, als sie als Fehntjer<br />

Schipper im Dienst waren. Als Aktion zum Erhalt der<br />

Befahrbarkeit des Fehntjer Tiefs fand eine Podiumsdiskussion<br />

statt. Das Plattbodenschiff „Mariechen“ und das ehemalige<br />

Torfschiff „Gretje von Großefehn“ bieten während der Sommersaison<br />

Rundfahrten an. Im Fehnmuseum Eiland ist außer<br />

dem Besuch der gemütlichen Teestube eine Sammlung von<br />

Geräten aus der Zeit der Moorkultivierung sehenswert, u. a.<br />

ein Webstuhl zur Segelherstellung für die Fehnschifffahrt.<br />

Moor- und Fehnmuseum Elisabethfehn<br />

Durch die Gemeinde Barßel im Landkreis Cloppenburg<br />

führt der Elisabethfehnkanal. Er ist der längste noch schiffbare<br />

Fehnkanal mit sieben Klappbrücken und vier von Hand<br />

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etriebenen Schleusen. Eine weitere Besonderheit von Barßel<br />

ist, dass der Ort durch seine Wasserstraßen schleusenlos mit<br />

der Nordsee verbunden ist. Daher sind im Barßeler und Aper<br />

Tief noch Ebbe und Flut spürbar.<br />

Im alten Kanalwärterhaus und in einem den typischen<br />

Fehnhäusern nachempfundenen Neubau ist das Moor- und<br />

Fehnmuseum Elisabethfehn untergebracht. Umfangreiche<br />

Sammlungen dokumentieren die frühere Fehnkultur. So<br />

werden zum Beispiel Handgeräte für den Torfstich gezeigt,<br />

außerdem Klumpen (Holzschuhe) für Menschen und auch<br />

„Pferdetrippen“. Diese befestigte man an den Hufen der Pferde,<br />

damit diese nicht zu tief im Morast einsackten. In einem<br />

Diorama wird der maschinelle Torfabbau gezeigt. Zu den Kuriositäten<br />

gehört eine Torfmoos-Spindelpresse. Damit wurden<br />

aus Torfmoospappe Einlegesohlen gepresst. Dieses durchaus<br />

biologische Naturprodukt wurde von 1883 bis 1990 gefertigt.<br />

Auf dem Freigelände sind zahlreiche historische Torfverarbeitungsmaschinen<br />

ausgestellt. Die Schmalspur-Dampflok<br />

„Katharina“ (Spurweite 600 mm), Baujahr 1911, war zwischen<br />

Oldenburg und Dörpen im Emsland im Einsatz. Aufgrund<br />

ihres hohen Gewichts von 7,5 t wurde sie nicht im Moor, sondern<br />

auf festerem Grund in Torfwerken eingesetzt. Außerdem<br />

kann man eine fahrbare Dampflokomobile besichtigen (Firma<br />

Marshall & Sons, Baujahr 1905). Sie wurde per Pferdezug<br />

oder Trecker an den Einsatzort gebracht und diente zum<br />

Antrieb von Torfpressen. Das Schwungrad der Lokomobile<br />

„Ann“ kann per Münzeinwurf elektrisch in Bewegung gesetzt<br />

werden. In der Wieke des Museums liegt das nach Originalplänen<br />

nachgebaute Torfschiff „Johanna“ neben der Tjalk<br />

„Jantine“.<br />

Von-Velen-Anlage Papenburg<br />

Die Stadt Papenburg im Emsland ist vor allem durch die<br />

Meyer-Werft bekannt, die im Bau von Kreuzfahrtschiffen<br />

eine führende Position innehat. Am Splitting befindet sich die<br />

von-Velen-Anlage, benannt nach dem Stadtgründer Dietrich<br />

von Velen. Im „Papenbörger Hus“, einer kleinen Moorplaggenhütte<br />

kann man das einfache und beengte Leben der<br />

Moorkolonisten nachempfinden. Am Mittelkanal vor dem<br />

von-Velen-Museum wird ein nachgebautes Torfboot auf einer<br />

Slipanlage gezeigt. Das Ensemble „Jan treck an!“ ( Jan zieh an)<br />

zeigt, wie früher ein voll beladener Torfkahn auf den Kanälen<br />

getreidelt, d. h. am Seil per Hand gezogen wurde. Auch per<br />

Pferdezug wurden die Schiffe fortbewegt. Es gab zwar auch<br />

Schiffe auf den Fehnkanälen und an der<br />

Küste mit Besegelung<br />

Moorkate mit Torfballen als kärgliche Behausung<br />

Armselig und düster: Blick durch das „Mauerwerk“ der Torfkate<br />

Segelmacher, die auf ihren Webstühlen Tuche herstellten, aber<br />

bei Flaute kamen mit Segel ausgestattete Boote kaum voran.<br />

DIZ Emslandlager<br />

Das Moor bei Esterwegen im Umfeld von Papenburg spielte<br />

im Nationalsozialismus eine uns heute bedrückende Rolle. In<br />

den fünfzehn Emslandlagern wurden Gefangene zur Kulti-<br />

Messer und Spaten für den Torfstich in Elisabethfehn<br />

55


vierung der emsländischen Moore eingesetzt. Das DIZ (Dokumentations-<br />

und Informationszentrum Emslandlager) hat<br />

nachgewiesen, dass bis Kriegsende ca. 80 000 KZ-Häftlinge<br />

und Strafgefangene sowie weit über 100 000 Kriegsgefangene<br />

in den 15 Emslandlagern inhaftiert waren. Vermutlich bis zu<br />

30 000 Menschen, überwiegend sowjetische Kriegsgefangene,<br />

kamen in den Lagern ums Leben. Berühmt wurde das Lied<br />

von den Moorsoldaten: „Wir sind die Moorsoldaten und<br />

ziehen mit dem Spaten ins Moor …“ Die Gefangenen sangen<br />

das Lied, das dann aber verboten wurde, weil die Nationalsozialisten<br />

darin einen Akt möglichen Widerstandes vermuteten.<br />

Emsland Moormuseum Groß Hesepe<br />

In der Gemeinde Geeste befindet sich das Emsland Moormuseum<br />

Groß Hesepe. Es bietet außer einer Ausstellungshalle<br />

und einem großen Maschinenpark als Besonderheit eine 30<br />

Hektar große Hochmoorfläche. Durch mehrere Exponate<br />

hält es die Erinnerung an die Zeit der imposanten Dampfpflüge<br />

wach. Bis 1972 arbeiteten hier im Moor die mächtigen<br />

Dampfpflüge der Firma Ottomeyer aus Lügde-Pyrmont.<br />

Außer den Dampflokomobilen mit bis zu 400 PS Leistung<br />

beeindruckt der Moorpflug „Mammut“, der wegen<br />

der Form seiner Pflugscharen, die wie Flügel wirken, auch<br />

„Emsland-Schwalbe“ genannt wird. Dieser 30 t schwere Pflug<br />

wurde mit ca. 6 km/h vom Seil der Dampflokomobile gezogen<br />

und hatte eine Pflugtiefe bis 2 Meter. Das Furchenrad, das den<br />

Pflug in der Spur hält, misst stolze 4 Meter im Durchmesser.<br />

Alles in allem eine Sammlung von technischen Superlativen!<br />

(Vgl. dazu auch: Journal Dampf & Heißluft 4/ 2006 (Neckar-Verlag):<br />

Dampftechnik in Niedersachsen:<br />

Teil 2.)<br />

Torfabbau als Problem<br />

Früher wurde Torf hauptsächlich als Baumaterial für die<br />

Moorkaten benutzt. Auch als Heizmaterial fand es bei den<br />

Kolonisten Verwendung. Die Kessel des ehemaligen Kraftwerkes<br />

in Wiesmoor (Landkreis Aurich) wurden mit Torf<br />

geheizt. Zur Verbesserung der Bodenqualität leistet Düngetorf<br />

im Gartenbau einen wichtigen Beitrag. Doch in jüngster Zeit<br />

melden sich dazu durchaus kritische Stimmen. Ein WDR-<br />

Film über den Abbau riesiger Moorflächen in Lettland für<br />

die deutsche Gartenbauindustrie stimmt nachdenklich. Man<br />

befürchtet die Zerstörung eines über Millionen von Jahren<br />

gewachsenen Ökosystems. Torf gilt als wichtiger Speicher von<br />

Kohlenstoff. Das feuchte Moos bindet den Kohlenstoff. Bei<br />

Entwässerung und Trockenlegung der Moore zersetzt sich<br />

der Torf an der Luft. In Verbindung mit Sauerstoff bildet sich<br />

das klimaschädliche Treibhausgas CO 2<br />

. Vermutlich wird sich<br />

torffreie Blumenerde langfristig durchsetzen. Denkbar ist eine<br />

Mischung von schwarzer Erde (Mutterboden), Kompost und<br />

Rindenmulch.<br />

Fotos: Klaus-Uwe Hölscher<br />

Schmalspur-Dampflok „Katharina“, Baujahr 1911, in<br />

Elisabethfehn; früher im Torfwerk im Dienst<br />

Kontakt<br />

Moormuseum Moordorf<br />

Victorburer Moor 7 a<br />

26624 Moordorf/Südbrookmerland<br />

Tel.: +49(0)4942/2734<br />

Fax: +49(0)4942/5346<br />

Internet: www.moormuseum-moordorf.de;<br />

E-Mail: moormuseum-moordorf@ewetel.net<br />

Fehnmuseum Eiland<br />

Leerer Landstraße 59<br />

26629 Großefehn-Westgroßefehn<br />

Tel.: +49(0)4945/1333<br />

oder: +49(0)4945/959611<br />

Internet: www.fehnmuseum-eiland.de<br />

E-Mail: info@fehnmuseum-eiland.de<br />

Moor- und Fehnmuseum Elisabethfehn<br />

Oldenburger Straße 1<br />

26676 Elisabethfehn<br />

Tel.: +49(0)4499/2222<br />

Fax: +49(0)4499/74477<br />

Internet: www.fehnmuseum.de<br />

E-Mail: moor-u.fehnmuseum@t-online.de<br />

Emsland Moormuseum<br />

Geestmoor 6<br />

49744 Geeste-Groß-Hesepe<br />

Tel.: +49(0)5937/709990<br />

Fax: +49(0)5937/7099930<br />

Internet: www.moormuseum.de<br />

E-Mail: kontakt@moormuseum.de<br />

DIZ Emslandlager<br />

Wiek rechts 22<br />

26871 Papenburg<br />

Tel.: +49(0)4961/916306<br />

Fax: +49(0)4961/916308<br />

Internet: www.diz-emslandlager.de<br />

E-Mail: mail@diz-emslandlager.de<br />

Von-Velen-Anlage<br />

Splitting Rechts 56<br />

26871 Papenburg<br />

Tel.: +49(0)4961/73742<br />

Internet: www.von-velen-anlage.de<br />

E-Mail: info@von-velen-anlage.de<br />

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Lebendiges <strong>Handwerk</strong><br />

Die Miedernäherin<br />

Annamirl Raab<br />

von Martina Poll<br />

Das Miedernähen war lange Zeit vom Aussterben bedroht.<br />

Nur wenige Schneiderinnen beherrschten<br />

dieses alte <strong>Handwerk</strong>, die Anfertigung eines maßgeschneiderten<br />

Mieders war entsprechend teuer. „Zu Beginn<br />

meiner Schneidertätigkeit 1975 herrschte eher die Meinung,<br />

so ein Kleidungsstück verunstalte die weibliche Figur“,<br />

erzählt Annamirl Raab. Doch ihrer Meinung nach steht ein<br />

Mieder sowohl sehr schlanken wie auch etwas molligeren<br />

Frauen und macht einen straffen Oberkörper. Jetzt sind<br />

Mieder wieder in, und viele Mädchen und Frauen lernen<br />

in speziellen Kursen unter Anleitung von professionellen<br />

Schneiderinnen wie Annamirl Raab die Herstellung eines<br />

steifen Mieders nach alten Vorlagen.<br />

Das sogenannte „steife Mieder“ ist die Leidenschaft von<br />

Annamirl Raab. Die Schneiderin aus Schliersee ist geradezu<br />

besessen vom Miedernähen und bringt es jedem bei, der es<br />

lernen will. „Man kann es sich natürlich auch machen lassen,<br />

von mir oder einer anderen Näherin, aber selber machen ist<br />

viel schöner.“ Doch auch mühsam, wie die vielen Teilnehmerinnen,<br />

selten Teilnehmer, ihrer Kurse bestätigen. Annamirl<br />

hat sich in langjähriger Arbeit die optimale Technik selbst<br />

angeeignet, alte Mieder aufgetrennt, analysiert und Schnitte<br />

entworfen. Das fertige Mieder besteht aus insgesamt fünf<br />

Materialschichten: Oberstoff, zwischengelegtes Taschenfutter,<br />

Leinen, saugfähiger Baumwollstoff und Futter. Viel Arbeitszeit<br />

steckt darin, mindestens 30 bis 40 Stunden, je nach<br />

Ausführung. Aber die Mühe lohnt sich, die meisten selbst<br />

geschneiderten Mieder sind wahre Kunstwerke und ein<br />

Kleidungsstück fürs Leben.<br />

Wahrscheinlich ist es dem Rokoko-Mieder nachempfunden<br />

und war im 19. Jahrhundert ein wichtiger Bestandteil von<br />

ländlichen Trachten. Zahlreiche gut erhaltene Stücke aus<br />

dieser Zeit sprechen dafür. Das Mieder wurde aus farbigem<br />

Stoff gesteppt und mit Fischbein versteift, oft war es mit<br />

Gold- und Silberstickereien reich verziert. An der Vorderseite<br />

wurde es mit Bändern oder mit Silberschnüren, an denen<br />

Silbermünzen hängen, geschlossen. Eine wahre Fundgrube<br />

für alte Mieder ist das Trachteninformationszentrum des<br />

Bezirkes Oberbayern in Benediktbeuern. Auch das Trachtenkulturzentrum<br />

des Bayerischen Trachtenverbandes in Holz-<br />

Trachtenschneiderei & Trachtenausstatter<br />

ANNAMIRL RAAB<br />

Trachtenschneidermeisterin<br />

Rathausstr. 12a, 83727 Schliersee<br />

Telefon und Fax 0 80 26/9 27 97 27<br />

www.Trachten-Raab.de<br />

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würde das alles nicht auf Anhieb gelingen. Doch manche<br />

Teilnehmerinnen kommen immer wieder und nähen schon<br />

das vierte oder fünfte Mieder, für sich selbst, die Schwester,<br />

die Tochter oder eine Freundin. Ein solches Mieder kann<br />

man quasi zu jedem Anlass tragen, zum Geburtstag genauso<br />

wie zu einer Hochzeit. Man kann es variieren durch verschiedene<br />

Schürzen, je nach Anlass aus Baumwolle oder Seide,<br />

und man kann schönen Schmuck oder ein passendes Tuch<br />

dazu tragen, ganz wie man will. Und man sollte das Mieder<br />

so oft tragen, wie es geht, es passt sich mit der Zeit dem<br />

Körper an und jede Frau macht darin eine gute Figur!<br />

Fotos: Martina Poll<br />

hausen birgt viele alte Schätze. Doch auch heute tragen es<br />

Mädchen und Frauen in vielen Trachtenvereinen in Bayern.<br />

Die Teilnehmerinnen bei Annamirl Raabs Miedernähkursen<br />

lassen sich jede Menge einfallen, um ihr ganz persönliches<br />

Mieder zu kreieren. Alle Farben und Muster sind erlaubt,<br />

und in Kombination mit dem entsprechenden Rock- und<br />

Schürzenstoff schaffen die Näherinnen unnachahmliche<br />

Unikate.<br />

Kontakt<br />

Annamirl Raab<br />

Rathausstraße 12a<br />

83727 Schliersee<br />

Tel: +49(0)8026/9279729<br />

E-Mail: Annamirl.raab@gmx.de<br />

Am Anfang fertigt Annamirl für jede ihrer Teilnehmerinnen<br />

einen individuellen Schnitt an. Schließlich soll das Mieder<br />

gut passen und trotz seiner Steifheit angenehm zu tragen<br />

sein. Dann müssen die Näherinnen selbst aktiv werden. Auf<br />

Schnittpapier entwerfen sie ihr ganz eigenes Muster, das<br />

später abgesteppt wird und in das dann anstelle von Fischbein<br />

Peddigrohr eingezogen wird. Blumen- und Blätterranken,<br />

geometrische Motive, die Initialen, auch hier sind der<br />

Phantasie keine Grenzen gesetzt. Je komplexer so ein Muster<br />

wird, desto komplizierter sind auch die Weiterverarbeitung<br />

und das spätere Versteifen mit Peddigrohr. Anschließend<br />

muss der Entwurf auf Schneiderleinen übertragen werden,<br />

dann werden die ersten drei Schichten zusammengeheftet<br />

und das Muster abgesteppt. Eine große Herausforderung ist<br />

das Einziehen des Peddigrohres in die abgesteppten Tunnel<br />

für das Muster, damit die für das steife Mieder typische<br />

Oberfläche und Festigkeit entsteht. Die Näherinnen machen<br />

mit einem Pfriem ein Loch in den Oberstoff und schieben<br />

das Peddigrohr hinein. Schön langsam kann man die reliefartige<br />

Struktur des Musters erkennen. Die langen Stäbchen<br />

brechen oft ab und müssen mühsam wieder herausgeholt<br />

werden. Für ganz kleine Musterstrukturen braucht man<br />

manchmal nur Reiskörner. Eine echte Geduldsarbeit. Wenn<br />

das geschafft ist, werden die Miederteile zusammengenäht<br />

und der Trägerin auf den Leib geschneidert. Dann fehlen nur<br />

noch die Einfassung und das Annähen der Silberhaken für<br />

das „Gschnür“, die Verschnürung an der Vorderseite des Mieders.<br />

Ohne die tatkräftige Unterstützung von Annamirl Raab<br />

58


Lebendiges <strong>Handwerk</strong><br />

Von Böttchern und Fässern<br />

Auf den Spuren eines alten <strong>Handwerk</strong>s<br />

Jedes Fass fasst ein Fuder Wein = gut 1.000 Liter<br />

von Klaus-Uwe Hölscher<br />

Ebenso wie zum Beispiel Stellmacher und Wagner üben<br />

Böttcher ein heute selten gewordenes <strong>Handwerk</strong> aus. Je<br />

nach Region in Deutschland heißen sie auch Büttner,<br />

Küfer, Schäffler oder Fassbinder und stellen Holzgefäße und<br />

Fässer her oder reparieren sie. Früher gab es in vielen Orten<br />

Böttcher, denn Gefäße zur Aufbewahrung vor allem von<br />

Lebensmitteln waren sehr gefragt. Nicht nur Winzer oder<br />

Brauereien waren Abnehmer, sondern auch Bauern, Metzger<br />

und Fischer benötigten Fässer und Bottiche für ihre Waren.<br />

Heute hat die maschinelle Herstellung von Behältern aus<br />

Kunststoff und Metall stark zugenommen, aber Winzer lassen<br />

ihre edleren Sorten in Holzfässern (im „Barrique“) reifen.<br />

Auch Grünflächenämter, Schlossverwaltungen und Orangerien<br />

bevorzugen Holzbottiche als Pflanzkübel, die man zum<br />

Beispiel auch bei den Bundesgartenschauen oder in den Parks<br />

namhafter Kurorte antrifft.<br />

Auch im Pflanzenschutz hatten Holzfässer für Spritzmittel-Chemikalien<br />

eine gewisse Bedeutung, ehe sie durch<br />

Metall- oder Kunststoffbehälter verdrängt wurden. So hatte<br />

die Firma Gebrüder Holder, Maschinenfabrik und Hersteller<br />

von Kleinschleppern in Metzingen/BW, eine eigene Fertigungshalle<br />

für Spritzfässer aus Holz: „Aus Holzbrettern formten<br />

die Küfer Spritzfässer hauptsächlich für den süddeutschen<br />

Raum. Das Festtreiben der Fassreifen mit der Setze und<br />

dem Hammer wurde immer im gleichen Takt vollzogen …<br />

Holzfässer bildeten eine Alternative (zu Messing und Stahlblech),<br />

jedoch speicherte das Holz die verschiedenen<br />

Spritzchemikalien. Immer wieder waren umfangreiche Säuberungen<br />

notwendig. Das modernste Fass war aus glasfaserverstärktem<br />

Kunststoff “ (Werner Kuhn, Die große Holder-Chronik.<br />

Podszun-Verlag, Brilon 2010).<br />

60


Römisches Weinschiff<br />

Werfen wir zuerst einen Blick auf die Geschichte des Böttcherhandwerks<br />

mit seiner über 5000-jährigen Tradition.<br />

Standen ursprünglich zur Bearbeitung der verschiedenen Holzarten<br />

nur Werkzeuge aus Stein und Bronze zur Verfügung,<br />

brachten solche aus Eisen ab etwa 1000 v. Chr. eine große<br />

Erleichterung für die Arbeit der Böttcher. Vermutlich war das<br />

Böttchergewerbe in Europa schon vor der Römerzeit verbreitet.<br />

Bekannt ist eine römische Steinmetzarbeit aus der Zeit<br />

um 200 n. Chr. Sie wurde in der römischen Stadt Noviomagus<br />

(= Neumagen-Dhron) gefunden und zeigt ein Schiff mit vier<br />

großen Weinfässern und Besatzung. Das Weinschiff stammt<br />

von einem römischen Grabmal und ist im Rheinischen<br />

Landesmuseum in Trier ausgestellt. Eine Kopie befindet sich<br />

im Fundort Neumagen-Dhron.<br />

Römisches Weinschiff in Neumagen-Dhron an der Mosel<br />

Bevor die einzigartige Wirkung von Eichenholz auf den<br />

gelagerten Wein bekannt war, wurden Fässer aus anderen<br />

Hölzern wie zum Beispiel der Weißtanne gefertigt. Man<br />

verkohlte ihre Innenseiten oder verkleidete sie mit Pech oder<br />

anderen Substanzen, um sie wasserdicht zu machen. Mit<br />

zunehmender Ausdehnung des Handels wuchs die Nachfrage<br />

nach den Erzeugnissen der Böttcher, die sich im Mittelalter<br />

zu Zünften zusammenschlossen und mit den Bierbrauern<br />

und Weinküfern (zuständig für die Kelterung des Weines<br />

und den Ausbau im Keller) in einer Zunft organisiert waren.<br />

Im ursprünglichen Sinn war der Weinküfer als Fassmeister<br />

des Kellers für die Herstellung, Aufstellung und Wartung der<br />

Fässer verantwortlich. Mittlerweile ersetzt der Weintechnologe<br />

den ehemaligen Beruf Weinküfer.<br />

Stillleben außerhalb der Werkstatt: Fassbänder und Holzstapel<br />

Dauben und Fassreifen<br />

Bottiche und Fässer werden aus Dauben gefertigt. Das sind<br />

speziell geformte Holzstücke, die mit hölzernen, meist aber<br />

eisernen Reifen zusammengehalten werden. Ein Spezialwerkzeug<br />

des Böttchers ist der Bandhaken, mit dem die Fassreifen<br />

über die Dauben gezogen werden. Heute werden zum<br />

Teil moderne Maschinen eingesetzt, aber bei Gefäßen ab 600<br />

Liter Fassungsvermögen können nicht mehr alle Arbeitsschritte<br />

maschinell erledigt werden, stellt ein erfahrener<br />

Böttchermeister fest. Auch ovale Behälter werden komplett in<br />

Handarbeit gefertigt. Obwohl bei Winzern und teilweise auch<br />

Brauereien Holzfässer wieder beliebter werden und Wellness-Ausstattungen<br />

und Holzbadewannen Perspektiven für<br />

die Zukunft schaffen, gibt es in Deutschland nur eine geringe<br />

Anzahl von Betrieben, die reines Böttcherhandwerk betreiben.<br />

Laut Bundesinnung sollen es im Jahre 2011 nur sieben<br />

gewesen sein!<br />

Der Ort Gittelde am Harz bei Bad Grund bezeichnet sich<br />

auch heute noch als Böttcherdorf. 1748 wurde dort eine Gilde<br />

der Tischler, Drechsler und Böttcher gegründet. Das Meisterbuch<br />

verzeichnet bis 1822 15 Böttcherbetriebe, und von 1847<br />

sind 27 aufgeführt. Ab 1885 kam die Deutsche Fassfabrik<br />

hinzu, die vorwiegend Fässer für die norddeutsche Fischindustrie<br />

herstellte. In der Gittelder Heimatstube wird eine<br />

umfangreiche Böttcher-Ausstellung gezeigt. In Willensen,<br />

Nachbarort von Gittelde, stellt die 1897 gegründete Firma<br />

Blumenberg Böttcherarbeiten wie Holzbadewannen und<br />

Saunaartikel für den privaten Bedarf her. Hier werden Produkte<br />

aus Massivholz gefertigt, die Bad und Sauna ein natürliches<br />

Design verleihen.<br />

Da dem Verfasser außer Gittelde und Willensen in Niedersachsen<br />

keine Böttcherbetriebe bekannt sind, schien ein<br />

Herbsturlaub an der Mosel erfolgversprechend, um einen<br />

Vertreter dieses heute selten gewordenen <strong>Handwerk</strong>s kennenzulernen.<br />

Es war aber gar nicht so einfach, eine Adresse zu erhalten.<br />

Nach etlichen Recherchen und Telefonaten bei Touristinformationen<br />

und Weinbauverbänden im gesamten Bereich<br />

der Mosel erhielt ich den Hinweis auf die <strong>Handwerk</strong>skammern,<br />

bei denen eventuell noch praktizierende Böttcher<br />

gemeldet sind. In Koblenz ist keiner bekannt, aber die Kammer<br />

in Trier konnte mir doch zwei Adressen mitteilen. So<br />

weit, so gut! Nun sollte wohl auch die gewünschte Kontaktaufnahme<br />

gelingen.<br />

61


Herr Biewer zeigte uns außer seinen kompletten Werkzeugen<br />

und Maschinen auch einige Rollen mit Fassbändern, die<br />

durch Nieten in dem Umfang zusammengehalten werden, der<br />

für die jeweilige Fassgröße benötigt wird. Natürlich lagern<br />

im heimischen Keller auch einige selbstgefertigte Holzfässer.<br />

Darin reift ein leckerer Apfelwein, den die Familie Biewer<br />

aus ihrem eigenen Obst keltert und in Flaschen abfüllt. Wer<br />

könnte dafür ein besserer Fachmann sein als ein Böttcher bzw.<br />

Küfer! Die Kelter, mit der Obst bzw. Weintrauben gepresst<br />

werden, erinnert in ihrer Bauweise auch etwas an ein Holzfass.<br />

Allerdings sind ihre Dauben nicht dicht aneinandergefügt,<br />

sondern dazwischen bleibt Platz, damit der gewonnene Saft<br />

herauslaufen und sich in der Auffangwanne sammeln kann.<br />

Dürkheimer Riesenfass<br />

Böttchermeister Rudolf Biewer in Kasel/Ruwer beim<br />

Festschlagen des oberen Fassreifens<br />

Verschiedene Handhobel gehören zu einer Böttcherei<br />

Über 50 Jahre Böttchermeister<br />

Wir besuchten Rudolf Biewer in Kasel an der Ruwer knapp<br />

zehn Kilometer südöstlich von Trier. Der 75-Jährige legte<br />

bereits 1962, also vor über 50 Jahren, seine Meisterprüfung<br />

im Böttcherhandwerk ab. Auch sein Vater übte bereits diesen<br />

Beruf in Kasel aus. Mittlerweile aber hat diese langjährige<br />

Tradition in der Familie Biewer ein Ende gefunden, da dieses<br />

ehrwürdige <strong>Handwerk</strong> kaum noch praktiziert wird. Allerdings<br />

ist auch heute noch die komplette Böttcherwerkstatt in den<br />

Kellerräumen des Privathauses vorhanden. Dort befinden sich<br />

noch betriebsbereit u. a. eine Bandsäge- und Fräsmaschine<br />

sowie die verschiedensten Messer, Hobel und Zieheisen für<br />

die manuelle Bearbeitung von Eichenholz, das fast ausnahmslos<br />

für die Fassherstellung verwendet wird.<br />

Interessant sind die unterschiedlich geformten eisernen<br />

Models, die für die Formgebung der Fässer wichtig sind. Ist<br />

die letzte Daube eingesetzt, spricht man von der Zarge, dem<br />

Fass ohne Boden. Mit Setz- und Schlegelhammer werden die<br />

Eisenreifen aufgetrieben, die den Dauben Halt verleihen.<br />

Einige weitere Arbeitsschritte, die hier nicht beschrieben<br />

werden sollen, sind nötig, bis ein Fass fertiggestellt ist.<br />

Beim Böttcherhandwerk steht wie bereits ausgeführt die<br />

Fassherstellung im Mittelpunkt. Das größte Fass der Welt befindet<br />

sich in Bad Dürkheim (Rheinland-Pfalz) und fasst bei<br />

einem Durchmesser von 13,5 Meter 1,7 Millionen Liter, was<br />

einem Volumen von 1.700 m³ entspricht. Dieses Dürkheimer<br />

Riesenfass wurde 1934 von dem Weingutsbesitzer und Küfermeister<br />

Fritz Keller in traditioneller Weise aus Holz gebaut,<br />

wurde jedoch niemals mit Wein gefüllt, sondern beherbergt<br />

ein Restaurant. Um die 178 Fassdauben von je 15 Meter<br />

Länge zu fertigen, wurden im Schwarzwald fast 200 Tannen<br />

gefällt und somit mehr als 200 m³ Holz verarbeitet.<br />

Bis dato hatte das Große Fass im Heidelberger Schloss mit<br />

9 Meter Länge und 7 Meter Durchmesser und ursprünglich<br />

221.726 Liter Fassungsvermögen als größtes Fass gegolten,<br />

wurde aber dann vom Dürkheimer Riesenfass übertroffen.<br />

1751 wurde das Heidelberger Fass unter Kurfürst Karl Theodor<br />

von der Pfalz vollendet. Nach Eintrocknung des Holzes<br />

fasst es „nur“ noch 219.000 Liter. Weil es nie dicht war, wurde<br />

es nur dreimal gefüllt, was jedoch beim Dürkheimer Restaurant-Fass<br />

niemals geschah.<br />

Interessant ist in Heidelberg<br />

die Statue des<br />

Fasswächters Perkeo.<br />

Nach einer Legende<br />

hatte Kurfürst<br />

Karl Philipp einen<br />

nur einen Meter<br />

großen, aber 100<br />

kg schweren Zwerg<br />

aus Südtirol mitgebracht.<br />

Er machte<br />

ihn zum Hofnarren<br />

und fragte ihn, ob er<br />

das Große Fass allein<br />

austrinken könne. Darauf<br />

soll der Zwerg auf italienisch<br />

geantwortet haben: „Perché no?“ (Warum nicht?). Daraus<br />

ist der Name des Fasswächters Perkeo entstanden.<br />

Foto: Großes Fass im Heidelberger Schloss<br />

62


Im Heidelberger Schloss sind noch drei weitere Große Fässer<br />

ausgestellt: das Johann-Casimir-Fass von 1591 (127.000<br />

Liter); das Karl-Ludwig-Fass von 1664 (195.000 Liter) und<br />

das Karl-Philipp-Fass von 1728 (202.000 Liter). Zu den<br />

großen historischen Holzfässern gehört auch das 120.000<br />

Liter fassende Cuvéefass in der Rotkäppchen-Sektkelterei in<br />

Freyburg an der Unstrut in Sachsen-Anhalt. Dieses klassische<br />

DDR-Erzeugnis gehört mittlerweile zu den bekanntesten<br />

Sektmarken auch in den alten Bundesländern. Die Mainzer<br />

Kupferberg-Sektkellerei besitzt ein mit 100.000 Litern befüllbares<br />

Holzfass.<br />

ALTER KÜFERSPRUCH<br />

Ein Küfer, der nicht säuft –<br />

Ein Hobel, der nicht läuft –<br />

Ein Mädchen, das nicht stille hält,<br />

gehöret nicht auf diese Welt.<br />

Bekannte Redewendungen<br />

Natürlich sind Fässer als allgemein bekannte Gebrauchsartikel<br />

auch in Redewendungen vertreten. Ein Fass ohne Boden<br />

bedeutet, dass immer wieder <strong>neu</strong>e Mittel investiert werden<br />

müssen, ohne dass ein Erfolg bzw. Fortschritt sichtbar wird.<br />

Wenn man ein Fass aufmacht, bedeutet das: Man veranstaltet<br />

eine ausgelassene Feier, bei der man keinen Aufwand scheut.<br />

Vordergründig ist damit das Anstechen eines Bierfasses<br />

gemeint. Mit der Redewendung „Das schlägt dem Fass den<br />

Boden aus!“ wird ausgedrückt: „Jetzt ist es genug. Mir reicht’s.<br />

Das ist der Gipfel der Frechheit.“ Diese Redensart bezieht<br />

sich drauf, dass der Fassboden herausspringen kann, wenn der<br />

Böttcher die Reifen zu stark zur Mitte hintreibt. Die Redewendung<br />

„Außer Rand und Band sein“ bedeutet übermütig<br />

und ausgelassen sein, sich nicht mehr unter Kontrolle haben.<br />

Sie bezieht sich auf ein Fass, dessen Dauben aus dem Rand,<br />

das heißt der Umfassung am Fassboden, und aus den eisernen<br />

Fassbändern gekommen sind, so dass das Fass auseinanderfällt.<br />

Wagen für Löschwasser:<br />

Fass auf Rädern und Kufen für Sommer- und Winterbetrieb<br />

Büttenredner und Buttenspritzen<br />

Die im rheinischen Karneval auftretenden Büttenredner benutzten<br />

ursprünglich ein offenes Fass als Kanzel bzw. Podium.<br />

Die Bütte oder Butte ist ein offenes Daubengefäß. Bei den<br />

Papiermachern enthielt sie den Brei, aus dem früher der Papierbogen,<br />

das Büttenpapier, geschöpft wurde. Um Löschwasser<br />

an die Brandstelle zu schaffen, benutzte man früher Fässer,<br />

Bottiche und Wannen aus Holz. So heißen kleinere Handspritzen<br />

auch Butten- bzw. Kübelspritzen. Je nach Zylinderund<br />

Mundstückweite konnte der Löschwasserstrahl 16 bis<br />

18 Meter weit gespritzt werden. Auch wurden Eimerketten<br />

gebildet, um Wasser zur Brandstelle zu transportieren und<br />

den Wasserkasten einer Handdruckspritze zu füllen. Hatten<br />

Holzbottiche, Eimer, Zuber und Wannen zu lange trocken<br />

gestanden, mussten sie gewässert werden, damit das Holz<br />

aufquoll und dicht wurde. So war auch meist eine solche<br />

Dichtprobe erforderlich, bevor das Wäschewaschen beginnen<br />

konnte. Damit stand der tüchtigen Hausfrau ein arbeitsreicher,<br />

oftmals anstrengender Tag bevor.<br />

Historischer Weinkeller in Mayschoss im Ahrtal<br />

Fotos: Klaus-Uwe Hölscher<br />

Festwagen beim Einbecker Biertreck im Mai 1969<br />

63


Lebendiges <strong>Handwerk</strong><br />

Historische Weinbrennerei<br />

Dujardin<br />

in Uerdingen am Rhein<br />

von Udo Mannek<br />

Schon sehr oft bin ich an den historischen Gebäuden<br />

der Weinbrennerei in Krefeld-Uerdingen vorbeigefahren<br />

und habe die sogenannte „Runde Ecke“ mit<br />

dem großen Dujardin-Tank auf dem Dach bestaunt. Auch<br />

Filmregisseure haben offenbar Gefallen an dieser Fassade<br />

gefunden, so diente sie für einige Filmproduktionen als<br />

eindrucksvolle Kulisse. Im Februar ergab sich endlich die<br />

Gelegenheit, einmal die historischen Produktionsanlagen der<br />

Brennerei Dujardin zu besuchen. Wir wurden von Matthias<br />

Melcher, Eigentümer der Brennerei und Urenkel der Dujardin-Dynastie,<br />

sowie von Günter Haase, dem Projektleiter<br />

Vermietung, begrüßt und von ihm auch durch die Weinbrennerei<br />

geführt.<br />

Die Weinbrennerei Dujardin ist die größte bestehende<br />

Brennerei Deutschlands. Ihr Eigentümer ist die seit 1743<br />

in Uerdingen am Rhein ansässige Familie Melcher, die sich<br />

bereits in der 9. Generation mit der Branntweinherstellung<br />

beschäftigt. Begründet wurde die Weinbrandproduktion<br />

im Jahre 1810 von Henri Melcher, der die dazu benötigten<br />

Weine aus der Charente in Frankreich vom Chateau des<br />

Merigots der Familie Dujardin bezog. Aus diesem Handel<br />

entwickelte sich eine Geschäftsbeziehung, die zur Gründung<br />

der Firma Dujardin & Co, vormals Gebrüder Melcher,<br />

führte. Selbst als die Familie Dujardin aus dem gemeinsamen<br />

Geschäft ausschied, wurde der Name beibehalten. Dujardin<br />

64


wurde zu der Marke für deutschen Cognac. Mit dem Versailler<br />

Friedensvertrag wurde im Jahre 1919 die Verwendung<br />

der Bezeichnung Cognac für deutsche Produkte verboten.<br />

Aus Cognac wurde „Deutscher Weinbrand“. In den 1920er<br />

Jahren entwickelte sich Dujardin & Co, vormals Gebrüder<br />

Melcher, zum größten Weinbrandhersteller des Deutschen<br />

Reiches. Schon 1930 war der Ausbau der Produktionsstätte<br />

an der Hohenbudberger Straße in Uerdingen abgeschlossen.<br />

Das Unternehmen verfügte über einen Zugang zum Rhein<br />

und hatte einen eigenen Gleisanschluss. Im Zweiten Weltkrieg<br />

wurde bei einem Bombenangriff am 22. August 1943<br />

das Werk vollständig zerstört. Doch konnte glücklicherweise<br />

zuvor wertvolles Destillat in Sicherheit gebracht werden.<br />

Darum waren die Melchers in der Lage, schon am 30.<br />

November 1948 die Weinbrand-Produktion wiederaufzunehmen.<br />

In den 50er Jahren war Dujardin & Co die zweitgrößte<br />

Weinbrennerei Deutschlands. Im Jahr 1952 entstand der<br />

berühmte Werbeslogan „... darauf einen Dujardin!”<br />

Motorschiff Imperial<br />

Mit der M. S. Imperial verfügte Dujardin ab 1954 über ein<br />

eigenes Seeschiff. Alle zwei Wochen wurden rund 400.000<br />

Liter Brennwein aus Frankreich direkt nach Uerdingen geliefert.<br />

Der Rhein verband somit die Brennerei via Rotterdam<br />

mit den Weinhäfen Frankreichs. Infolgedessen wurde das<br />

Lager auf die dreifache Kapazität ausgebaut und die Verladeanlagen<br />

modernisiert. Zu dieser Zeit waren bei Dujardin<br />

über 450 Mitarbeiter in Lohn und Brot.<br />

Doch Ende der siebziger Jahre ging der Weinbrandabsatz zurück.<br />

Dujardin & Co fand in der Firma Racke einen starken<br />

Partner, um am Markt weiterhin erfolgreich bestehen zu können.<br />

Die Verwaltung und Teile der Produktion wurden von<br />

Uerdingen nach Bingen verlegt. Das Werk in Uerdingen starb<br />

65


langsam. Im Jahre 2006 produzierten in Uerdingen noch elf<br />

Mitarbeiter in 12.000 300-Liter-Limousin-Eichenfässern<br />

Weinbrand. Im gleichen Jahr zog sich Racke vollständig<br />

aus dem Spirituosengeschäft zurück. Daraufhin nahm<br />

Familie Melcher die Markenrechte an den Marken „Dujardin<br />

Imperial“, „Melchers Rat“ und „Uerdinger“ wieder zu<br />

sich, und der westfälische Spirituosenhersteller Schwarze &<br />

Schlichte wurde mit dem Vertrieb betraut. Das Gebäude der<br />

Weinbrennerei an der Hohenbudberger Straße ist nach wie<br />

vor im Besitz der Familie Melcher und wird heute unter dem<br />

Namen „Weinbrennerei Dujardin“ vom Urenkel Matthias<br />

Melcher mit <strong>neu</strong>en Inhalten weiterentwickelt. So werden<br />

Räume an Künstler für Werkstätten, Ateliers und Ausstellungen<br />

vermietet, und die Betriebsstätte der Weinbrennerei kann<br />

an Samstagen und Sonntagen besichtigt werden.<br />

Rundgang durch historische Produktionsanlagen<br />

Nach und nach verschrotteten die großen Weinbrennereien<br />

ihre Anlagen. Nicht jedoch die Weinbrennerei Dujardin.<br />

Hier kann heute eine Anlage mit gewaltigen Brennblasen, die<br />

eine Verarbeitung von 100.000 Liter Brennwein pro Woche<br />

ermöglichte, besichtigt werden. Der Weg durch die ehemalige<br />

Produktionsstätte geht vorbei an Laboratorium, Kräuterküche,<br />

Zollstellen, Lager, Werkstatt und Küferei. Bis zu acht<br />

Zöllner waren in den Hauptbetriebsjahren rund um die Uhr<br />

auf dem Werksgelände im Einsatz. Die großen Lagerfässer<br />

mit einem Volumen von 10.000 ‒ 15.000 Litern lassen den<br />

Besucher das Ausmaß industrieller Produktion erahnen.<br />

Am Ende einer jeden Führung wird dem Besucher ein Glas<br />

echter Dujardin Weinbrand gereicht. Somit kann auch der<br />

Gaumen genießen, was der Verstand während des Rundganges<br />

erfahren konnte. Wer noch selber ein Fahrzeug zu lenken<br />

hat, kann im Werksverkauf die eine oder andere Flasche<br />

käuflich erwerben und zu Hause genießen.<br />

Die Küferei<br />

Die Weinbrennerei Dujardin betrieb eine eigene Küferei für<br />

den Fassbau. Alte historische Bilder belegen dies und geben<br />

einen zeitgenössischen Einblick in das Küferhandwerk. Die<br />

Küferei ist heute im Obergeschoss im Fasslager eingerichtet.<br />

Hier ist alles so hergerichtet, dass man meint, die Küfer sind<br />

gerade in der Mittagspause. Es liegen eine Vielzahl von Hobeln,<br />

Sägen und diverse Hämmer auf den Werkbänken. Man<br />

könnte, wenn man das <strong>Handwerk</strong> beherrschen würde, sofort<br />

loslegen. Hier steht auch noch die alte Bandsäge, welche auch<br />

auf den historischen Fotos zu sehen ist. Da die Fässer atmen,<br />

durchzieht ein feiner Brantweingeruch das Lager. Günter<br />

Haase: „Da die Fässer leer sind, wird der Geruch immer<br />

weniger werden“, und er gibt weiter zu bedenken: „Es könnte<br />

auch sein, dass ich mich mit der Zeit daran gewöhnt habe<br />

und die Wahrnehmung nachlässt.“<br />

67


Führungen durch die<br />

historische Weinbrennerei<br />

Rundgang durch die historischen Produktionsanlagen<br />

der größten Weinbrennerei<br />

Deutschlands jeden Samstag und Sonntag<br />

von 10.00 Uhr – 16.00 Uhr, Führungen zu<br />

jeder vollen Stunde, letzte Führung um 15.00<br />

Uhr. Dauer der Führung ca. 45 Minuten.<br />

Auch wochentags Führungen für Gruppen<br />

nach Vereinbarung möglich. Der Rundgang<br />

beinhaltet eine Weinbrandverkostung (2 cl<br />

Dujardin Imperial). Kinder erhalten ein Glas<br />

Saft. Information und Reservierung unter<br />

+49(0)2151/483239<br />

oder während den Öffnungszeiten unter<br />

+49(0)2151/483221<br />

Fasskopf zum 150. Jubiläum<br />

Im Jahre 1960 feierte die Brennerei Dujardin ihr 150-jähriges<br />

Firmenjubiläum. Aus diesem Anlass schenkten die<br />

Vertreter des Hauses eine prunkvolle Verzierung, die auf das<br />

Jubiläumsfass 108 montiert wurde. Die Schnitzerei stammt<br />

vom Bildhauer Jakob Rampp (1906 ‒ 1977) und stellt den römischen<br />

Gott des Weins Bacchus sowie zwei Engel dar. Die<br />

Darstellung der Engel steht für die Vorstellung der Weinbrenner,<br />

dass der Schwund im Fass aufgrund der Verdunstung<br />

des Alkohols der Anteil für die Engel sei. Dazu passend der<br />

Slogan: „Dujardin Imperial ‒ ein himmlisches Getränk“. Der<br />

geschnitzte Fasskopf und das Jubiläumsfass 108 können heute<br />

im Museum bestaunt werden.<br />

Gastronomie und Filmgeschichte<br />

In der ehemaligen Küferei ist heute ein Gastronomiebetrieb<br />

eingerichtet. In einer Museumsecke sind originale Teile aus<br />

der alten Küferwerkstatt ausgestellt. Das Restaurant bietet<br />

Platz für 100 Personen. Gekocht wird ausschließlich mit<br />

frischen Produkten. Das hauseigene Bier, „Melcher‘s Hell“<br />

und „Melcher‘s Dunkel“, wurde vom Chef persönlich kreiert<br />

und gelangt über historische Weinleitungen zur Zapfanlage.<br />

Der Biergarten mitten im denkmalgeschützten Innenhof der<br />

Weinbrennerei ist sicherlich einzigartig am Niederrhein und<br />

bietet Platz für 200 Gäste.<br />

Museums-Shop/<br />

Lagerverkauf<br />

Öffnungszeiten: jeden Samstag und Sonntag<br />

von 10.00 Uhr – 16.00 Uhr, sowie vor<br />

und nach jeder Führung. Information unter<br />

+49(0)2151/483239<br />

oder während den Öffnungszeiten unter<br />

+49(0)2151/483221.<br />

Restaurant „Küferei“ und<br />

Biergarten<br />

Im Innenhof der hist. Weinbrennerei Dujardin,<br />

Dujardinstr. 9, 47829 Krefeld, Information<br />

und Reservierung unter<br />

+49(0)2151/966845<br />

Vermietung von Räumlichkeiten für<br />

Firmenevents und Privatfeiern.<br />

Grundstücksgesellschaft<br />

Hohenbudberger Straße bR<br />

Geschäftsführer Matthias Melcher, Hohenbudberger<br />

Straße 10, 47829 Krefeld<br />

Telefon: +49(0)2151/48320<br />

Telefax: +49(0)2151/483238<br />

Homepage: www.weinbrennerei-dujardin.de,<br />

Museum, Biergarten, Gastronomie, Kultur,<br />

Ateliers, Events, Parties, Loft-Wohnungen,<br />

Büros und Praxen.<br />

Die Außenfassade der alten Küferei, das bereits anfangs<br />

erwähnte „Runde Eck“, hat es als Filmkulisse zu bundesweiter<br />

Bekanntheit gebracht. So wurden hier Szenen für den<br />

Film „Das Wunder von Bern“, „Die Entdeckung der Currywurst”<br />

und „Maria, ihm schmeckt’s nicht!” gedreht.<br />

Fotos: Dennis Mannek, Foto erste Seite: © Steffen Schmitz<br />

Historische Fotos: Dujardin<br />

68


Damals<br />

von Christian Schwarzer<br />

Der berühmte Schuhmachermeister und begnadete Dichter Hans Sachs wurde 1494 in Nürnberg geboren und starb dort auch nach<br />

einem langen erfolgreichen Leben. In seinem Werk „Eygentliche Beschreibung Aller Stände Auf Erden …“, das 1568 gedruckt wurde,<br />

beschreibt er die Berufe vom Höchsten bis zum Niedrigsten, vom Papst bis zum Narren in 114 Blättern. Die Holzschnitte wurden<br />

von dem berühmten Zeichner und Formschneider Jost Amman hergestellt.<br />

Die oft schwer lesbaren Texte wurden sinngemäß übertragen. Unbekannte Worte werden erklärt.<br />

Der<br />

Buchdrucker<br />

Ich bin geschickt mit der Presse<br />

So trage ich den Firnis rasch auf,<br />

Sobald mein Diener den Bengel 1 zieht,<br />

ist ein Bogen Papiers gedruckt.<br />

Dadurch kommt manche Kunst zutag,<br />

Die man leicht bekommen mag.<br />

Vor Zeiten hat man die Bücher geschrieben,<br />

Zu Mainz wurde die Kunst zuerst betrieben.<br />

1<br />

Bengel = Hebel an der Presse, mit dem der Druck erfolgt<br />

69


Selber <strong>Handwerk</strong>en<br />

Bild 1: Löwenburg<br />

Hochdruck<br />

Holzschnitt – Linolschnitt<br />

Von einer Wanderung und ihren Folgen<br />

von Christian Schwarzer<br />

Opa, was ist Hochdruck?“ So fragt ein Enkel seinen<br />

allwissenden Großvater und erwartet eine perfekte,<br />

leicht verständliche Erklärung. „Hochdruck im<br />

Wetterbericht oder was?“ „Hochdruck auf Papier natürlich.“<br />

‒ Natürlich.<br />

„Beim Hochdruck druckt alles, was hoch ist! Zum Beispiel<br />

beim Druck mit Lettern, wie Gutenberg sie erfunden hat.<br />

Oder bei einem Holzschnitt, wo der Künstler alles weggeschnitten<br />

hat, was auf dem Papier weiß bleiben soll<br />

(Bild 2). Ein Bürostempel, wie er heute noch benutzt wird,<br />

ist auch Hochdruck. Und die Illustrationen in alten Büchern,<br />

auch in technischen, waren Holzschnitte, die in den Druckstock<br />

eingebaut oder nachträglich eingefügt wurden. Jahrhunderte<br />

lang war das die einzige Möglichkeit, illustrierte Bücher<br />

zu drucken außer den Büchern, die mit der Hand verziert<br />

und koloriert wurden.“<br />

Bild 2: Holzschnitt: Schmiede 1447<br />

Sammlung “<strong>Altes</strong> <strong>Handwerk</strong>”, bearbeitet von Ch. Schwarzer<br />

70


Der Opa will gerade zu einem ausführlichen Vortrag über<br />

weitere Druckverfahren ausholen. „Opa, können wir mal was<br />

mit Hochdruck machen? Einen Holzschnitt oder so was?<br />

Und dann drucken?“ Opa weiß, dass er sich jetzt etwas einfallen<br />

lassen muss. Opa weiß alles! Wofür ist er denn sonst so<br />

alt geworden. Opas Pädagogengehirn rattert los: Kind zeigt<br />

Interesse! Das muss man ausnutzen! Weg vom Computer!<br />

Arbeit mit den Händen! Frische Luft! Nützliche Gespräche!<br />

Etwas machen! Am Ende anschauliches und befriedigendes<br />

Ergebnis! Vater und Mutter werden sich freuen! Alle sind<br />

glücklich!<br />

Bild 3<br />

Bild 4<br />

Bild 5<br />

4 Wochen später<br />

Wir sind auf dem Weg zur Löwenburg. Die Burg, besser ihre<br />

Ruine, steht auf einem der sieben Berge des „Siebengebirges“<br />

bei Königswinter am Rhein. Es ist ein langer, steiler Anstieg<br />

auf 455 Meter und wir haben genug Zeit zum Erzählen und<br />

Überlegen. Wir wollen einen Linolschnitt machen von einer<br />

Burgruine anstelle eines Holzschnittes, der unsere Möglichkeiten<br />

übersteigen würde. Für einen Holzschnitt braucht man<br />

ein geeignetes Holz, am besten gut abgelagertes, rissfreies<br />

Lindenholz. Kaminholz geht nicht. Dann braucht man<br />

einen Satz teurer Messer und jede Menge Erfahrung. Beides<br />

haben wir nicht. Für den Linolschnitt braucht man ein Stück<br />

Linoleum und einen Satz Messer, den Philipp von seinem<br />

Taschengeld bezahlen könnte, wenn Opa ihn nicht spendiert.<br />

Er tut es.<br />

Unterwegs kommen wir an einem Restaurant vorbei. Auf<br />

dem Rückweg soll es hier Eis und/oder Kuchen geben. Das<br />

motiviert. Ich erzähle von den Grafen von Sayn, die etwa<br />

im Jahre 1200 diese Burg gebaut haben, weil der Erzbischof<br />

von Köln sich das ganze Land unter den Nagel reißen wollte.<br />

Wie sie dann oft den Besitzer gewechselt hat und eines Tages<br />

nicht mehr bewohnt wurde und verfiel. Wir stellen uns vor,<br />

wie die armen Bauern aus der Umgebung sich gequält haben<br />

beim Bau dieser Burg. Wie sie die schweren Steine die steilen<br />

Wege hinaufgeschleppt haben oder mit ihren Ochsenkarren<br />

Sand und Kalk und Balken hinaufgeschafft haben. Unterwegs<br />

sehen wir uns Felsformationen am Rande des Weges an und<br />

suchen nach markanten, ausdruckstarken Linien. Hier wächst<br />

ein gekrümmter Baum aus einer Spalte im Fels. Wir fahren<br />

mit den Händen die Linien nach und stellen uns vor, wie<br />

man das zeichnen könnte. Endlich stehen wir auf dem Berg<br />

inmitten der Ruine und versuchen uns vorzustellen, wie und<br />

wo die Menschen hier gelebt haben. Mitten in der Ruine<br />

steht ein Baum, ohne ihn wäre die Ruine nur halb so schön<br />

(Bild 1). Wir schauen uns die stehengebliebenen Wände an.<br />

Hier ist noch ein alter Torbogen. Hier könnte mal ein Fenster<br />

gewesen sein. Wo die wohl ihr Klo gehabt haben? Und die<br />

Küche? Ob die auch ein Verließ hatten? Tausend Fragen. Von<br />

der höchsten Stelle haben wir einen wunderbaren Rundblick<br />

über das Siebengebirge. In der Ferne sehen wir die Drachenburg<br />

und den Rhein.<br />

71


Bild 6: Löwenburg 2013 Philipp Zetzsche<br />

Am nächsten Tag<br />

Wir sitzen an unserem Esstisch und sind am Zeichnen. Zum<br />

Schutz der Tischplatte haben wir eine Sperrholzplatte daraufgelegt.<br />

Beim Kunsthandel habe ich ein paar Platten Linoleum<br />

gekauft. Wir entscheiden uns für das Format DIN A5. Größer<br />

werden kann man immer noch. Die Linoleumplatte wird<br />

auf das Papier gelegt und mit dem Bleistift einmal herumgefahren.<br />

In das entstandene Viereck zeichnen wir unseren<br />

Entwurf. Wir diskutieren unsere Entwürfe und verbessern sie.<br />

Nach einigen Versuchen wissen wir, wie wir die Sachen angehen<br />

wollen, und zeichnen unseren Entwurf auf das Linoleum.<br />

Feine Linien gehen beim Linoldruck schlecht, das ist ein<br />

wesentlicher Vorteil des Holzschnittes. Also lassen wir die<br />

Linien unserer Zeichnung nicht stehen, sondern schneiden<br />

sie aus. Der Druck hat dann eine schwarze Fläche mit<br />

weißen Linien. Nachdem wir alles sorgfältig und kräftig<br />

genug aufgezeichnet haben, beginnen wir mit dem Schneiden.<br />

Schnell wissen wir, welches Messer für die jeweilige Aufgabe<br />

am besten geeignet ist und wie wir schneiden müssen (Bild<br />

3). Das lernt man am besten durch „machen“. Man muss auf<br />

seine Finger aufpassen und immer so schneiden, dass man<br />

mit dem abrutschenden Messer in die Luft und nicht in die<br />

Finger gerät. Wenn man eine Rundung schneiden will, dreht<br />

man das Linoleum und schneidet geradeaus weiter. Es ist alles<br />

eine Frage der Übung und es dauert nicht lange, bis wir den<br />

Bogen raushaben.<br />

Nachdem wir beide unseren Linolschnitt fertig haben, wird<br />

der Druck vorbereitet. Das Druckpapier wird angefeuchtet<br />

Bild 7: Löwenburg 2013 Philipp Zetzsche<br />

und zwischen feuchtem Papier bereitgelegt. Auf einer kleinen<br />

Glasscheibe wird etwas Farbe aus der Tube gedrückt und<br />

mit der mitgelieferten kleinen Walze verteilt. Die Walze<br />

soll überall eine etwa gleich starke Farbschicht haben. Dann<br />

rollen wir mit der Farbrolle über unseren Linolschnitt. Hin<br />

und her. Her und hin. Kreuz und quer (Bild 4). Und noch<br />

einmal. Wir achten darauf, dass in den ausgeschnittenen<br />

Linien keine Farbe hängen bleibt. Wenn das doch passiert,<br />

nehmen wir diese mit einem spitzen Hölzchen wieder heraus.<br />

Die ganze Sache erfordert etwas Fingerspitzengefühl, und<br />

wenn es beim ersten Mal nicht so gut klappt, dann bestimmt<br />

beim zweiten oder dritten Mal. Denn das ist ja der Vorteil<br />

des Hochdruckes: Man kann mehrere Bilder von einer Platte<br />

machen und alle sehen gleich aus. Aber nur beinahe. Durch<br />

72


den Farbauftrag, den Vorgang des Druckens<br />

und den langsamen Verschleiß der Platte ist<br />

kein Druck genau so wie der vorige. Jedes Bild<br />

ist ein Original. Deshalb schreibt ein Künstler<br />

auch auf seine Drucke die Gesamtanzahl der<br />

Drucke und die jeweilige Nummer des Druckes.<br />

4/10 heißt also 4. Druck von 10.<br />

Aber wir sind ja noch nicht fertig. Wir müssen<br />

ja noch drucken. Dazu legen wir die Linolplatte<br />

auf eine feste Unterlage und legen das feuchte<br />

Papier vorsichtig darauf. Dann nehme ich die<br />

Kuchenrolle und rolle langsam mit dem größten<br />

Druck, den ich aufbringen kann, über das Papier<br />

(Bild 5). Ein paar Mal hin und her. Dann<br />

klopfe ich mit dem Handballen noch ein paar<br />

Mal auf das Druckpapier, und dann kommt<br />

der große Moment. Philipp fasst vorsichtig das<br />

Papier an zwei Ecken und zieht es mit einer<br />

raschen Bewegung von der Linoleumplatte ab<br />

und legt es auf den Tisch (Bild 6). Wir beide<br />

freuen uns unheimlich, obwohl man einige<br />

Fehler nicht übersehen kann. Aber es ist unser<br />

erstes Bild von unserer Wanderung und wir sind<br />

richtig stolz. Dann kommt das zweite Bild in<br />

der gleichen Reihenfolge der Arbeitsvorgänge<br />

(Bild 8). Nach einer Viertelstunde<br />

liegt es auf dem Tisch und wir fühlen uns schon<br />

wie richtige Profis. Und dann haben wir eine<br />

Idee, wie wir unsere Linolschnitte vielleicht in<br />

„Holzschnitte“ verwandeln könnten. Hier<br />

Bild 8: Löwenburg 2013 Christian Schwarzer<br />

kommt dann am Ende doch noch der Computer zum<br />

Einsatz: Grafikprogramm aufrufen, Bild einscannen, „Bild“<br />

aufrufen, „Negativbild“ aufrufen und schon erscheint auf dem<br />

Monitor ein Pseudo-Holzschnitt. Na ja, nicht so ganz perfekt,<br />

aber doch sehr eindrucksvoll (Bild 7 und 9). Eine schöne<br />

Spielerei. Dann kann man das Bild noch kolorieren, mit dem<br />

Computer oder mit Buntstiften oder mit Aquarellfarben und<br />

… und … und … Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.<br />

Kleiner Nachsatz<br />

Ein kleines Set mit Messern, Farbrolle, Farbe und Linoleum<br />

bekommt man im Kunsthandel oder in Kaufhäusern schon<br />

sehr preiswert. Im Internet findet man viele Hinweise auf den<br />

Holzschnitt und den Linoldruck. Die ganze Sache macht<br />

richtig Spaß!<br />

Bild 9: Löwenburg 2013 Christian Schwarzer<br />

73


Lebendiges <strong>Handwerk</strong><br />

Bernstein, Gold und Silber<br />

Ribnitz-Damgarten ist Bernstein-Hauptstadt<br />

Im schönen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern steht in<br />

Ribnitz-Damgarten, direkt an der B 105, ein futuristisches<br />

Gebäude. Es ist die Ostseeschmuck-GmbH, ein Betrieb, in<br />

dem <strong>Handwerk</strong>er Bernstein zu schönen Dingen verarbeiten.<br />

Auch das Deutsche Bernsteinmuseum hat in dieser kleinen<br />

Stadt am Saaler Bodden, zwischen Stralsund und Rostock<br />

gelegen, seinen Sitz. Deshalb kann man mit Recht von<br />

Ribnitz-Damgarten als Bernstein-„Hauptstadt“ sprechen.<br />

Das Bernsteinmuseum erklärt ausführlich die Entstehung des<br />

Bernsteins, nennt die Vorkommen weltweit, zeigt Schmuck<br />

und einen unbearbeiteten 5-kg-„Brocken“, in Polen auf<br />

einem Feld gefunden. In der Ostseeschmuck-GmbH werden<br />

alte <strong>Handwerk</strong>skünste gepflegt, allerdings ist man, schon aus<br />

Umweltschutzgründen, auch offen gegenüber <strong>neu</strong>er Techvon<br />

Rolf Hoffmann<br />

nologie. 30 Mitarbeiter, darunter die Berufe Goldschmied,<br />

Formschneider, Edelsteinfasser, Polierer, Galvaniker und<br />

Bernsteinschleifer, sorgen mit Können und Kreativität dafür,<br />

dass Ostseeurlauber erleben können, wie ein Schmuckstück<br />

entsteht und wie Bernstein be- und verarbeitet wird.<br />

Ein langjähriger Mitarbeiter „im Bernstein“ ist Helmut<br />

Schaffus. Er bearbeitet Bernstein seit 39 Jahren, viel Erfahrung,<br />

eine gutes Auge und eine ruhige Hand zeichnen<br />

ihn aus. Von ihm kommen die Steine für die „Silberserie“<br />

des Hauses, aber genauso werden spezielle Kundenwünsche<br />

realisiert. Er lernte viel von Horst Froese, Jahrgang 1921,<br />

gebürtiger Ostpreuße, dessen Spezialität Bernsteinfiguren<br />

waren.<br />

Bernstein, gefunden auf Rügen<br />

Weißer Bernstein<br />

Schwarzer Bernstein<br />

Klarer Bernstein mit Einschlüssen<br />

74


Sehr seltener blauer Bernstein<br />

Helmut Schaffus bearbeitet schon 39 Jahre Bernstein<br />

Helmut Schaffus stellte in den 1990er Jahren das Modell<br />

der „Santa Maria“, das Flaggschiff von Christoff Kolumbus,<br />

fertig, geschaffen aus 32 Kilogramm Bernstein. Für maritim<br />

geprägte Bernstein-Freaks und solche, die es werden wollen,<br />

stehen noch weitere Schiffe, inklusive der Segel komplett aus<br />

Bernstein gefertigt, zur Auswahl.<br />

Kinder, aber auch Erwachsene, haben die Möglichkeit, selbst<br />

zum Schmuck-Designer zu werden und sich eine Urlaubserinnerung<br />

aus Bernstein zu gestalten. Im Eingangsbereich<br />

des Hauses befindet sich Deutschlands größter Bernstein-„Baum“.<br />

180 cm hoch, trägt er ca. 29.000 Blätter aus<br />

dem Harz der Urzeit, jedes einzelne Blatt geschliffen und<br />

poliert. Ein Stück fürs Museum ist die über einhundert Jahre<br />

alte Stanze, die früher mit der Kraft von 60 Tonnen Rohlinge<br />

für Schmuck und Schmuckschalen aus Messing, Kupfer und<br />

Silber in die gewünschte Form brachte.<br />

Bernsteinentstehung<br />

Der baltische Bernstein entstand vor etwa 40 Millionen<br />

Jahren. Damals gab es im Bereich der heutigen Ost- und<br />

Nordsee ausgedehnte Wälder, deren Baumarten sehr viel<br />

Harz produzierten. Das Harz erstarrte an Verletzungen der<br />

Rinde, floss von Ästen und Baumstämmen herunter oder<br />

füllte Hohlräume im Holz. Die Harzklumpen blieben<br />

nach dem Absterben der Bäume erhalten, lagerten sich im<br />

Boden ab, wurden durch Flüsse und eiszeitliche Gletscher<br />

transportiert und umgeschichtet. Große Fundstellen in<br />

Schichten aus „Blauer Erde“ befinden sich im Gebiet von<br />

Kaliningrad, dem früheren Königsberg. Hier lohnt sogar der<br />

industrielle Abbau, über Jahrhunderte hatten und haben dort<br />

Bernsteinschnitzer ihren Lohn und Brot. Das berühmteste<br />

Mücke, 40 Millionen Jahre alt<br />

Zeugnis ihrer Arbeit ist das sagenhafte Bernsteinzimmer,<br />

ein Geschenk des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I.<br />

an den russischen Zaren Peter den Großen. Im 2. Weltkrieg<br />

vernichtet (jedenfalls bis heute verschwunden), wurde das<br />

Bernsteinzimmer originalgetreu ein zweites Mal hergestellt<br />

und kann seit dem Jahr 2003 im Katharinenpalast bei St.<br />

Petersburg wieder bewundert werden.<br />

Bernsteinfarben, Inklusen<br />

Die Farbe des fossilen Harzes reicht von Weiß über Honigfarbton<br />

in allen Varianten, Braun bis Schwarz. Der Stein kann<br />

glasklar durchsichtig sein, selten ist rötlicher Bernstein, ganz<br />

selten kommt sogar die Farbe Blau vor. Rohbernstein hat<br />

außen eine Verwitterungsschicht. Erst durch die Bearbeitung<br />

wird erkennbar, wie die innere Struktur aussieht. So wie heute<br />

blieben auch vor Millionen Jahren Insekten am Harz kleben<br />

oder wurden eingeschlossen. Diese Steine sind dann ganz<br />

besonders interessant und sehr gefragt.<br />

75


<strong>Handwerk</strong><br />

Die Technologien der einzelnen Arbeitsschritte werden uns<br />

in Ribnitz-Damgarten bestens erklärt. Hier einige Beispiele:<br />

Formbau<br />

Polierscheibe<br />

Ein vom Schmuckdesigner angefertigtes Urmodell eines<br />

Schmuckstückes wird in eine Gummiform einvulkanisiert.<br />

Die Form wird lagenweise aufgebaut, an das Urmodell wird<br />

ein Gusskanal angelegt. Nach dem Vulkanisieren erfolgt ein<br />

verzahntes Herausschneiden des Urmodells aus der Form.<br />

Wachsspritzen<br />

Flüssiges Spezialwachs wird in die vorbereitete Form<br />

eingespritzt und so ein Wachsabdruck des Schmuckstückes<br />

hergestellt. Die fertigen Wachsmodelle werden zu einem<br />

Wachsbaum komplettiert.<br />

Einbetten<br />

Die Wachsbäume werden in eine Stahlhülle (Küvette) gesetzt<br />

und anschließend unter Vakuum in Spezialgips (Einbettmasse)<br />

eingebettet. Nach erfolgter Trocknung sind die Küvetten<br />

fertig zum Ausschmelzen.<br />

Gießen<br />

Vor dem Gießen wird das Wachs aus den Küvetten ausgeschmolzen.<br />

Das Gießen verschiedener Edelmetalllegierungen<br />

geschieht im Schleuderguss- oder im Vakuumgussverfahren.<br />

Stanze, außer Dienst<br />

76


Im Schmelztiegel der Gießanlage wird das Edelmetall auf<br />

Gießtemperatur erhitzt.<br />

Gold 333/000 ca. 1020 °C<br />

Gold 585/000 ca. 1150 °C<br />

Silber 935/000 ca. 1050 °C<br />

Die Küvette wird auf der Gießanlage verspannt und das<br />

Edelmetall eingegossen. Nach dem Abkühlen wird die Einbettmasse<br />

entfernt und der Gussbaum ist fertig.<br />

Schmirgeln<br />

Beim Schmirgeln wird mit rotierenden Werkzeugen die<br />

Oberfläche geglättet.<br />

Galvanik<br />

Schiffbauplatz 18. Jahrhundert aus Bernstein,<br />

entstanden etwa 1986<br />

Alle Schmuckstücke durchlaufen diese Abteilung, teilweise<br />

mehrmals, während des Fertigungsprozesses. Die Arbeitsgänge<br />

sind: Entfetten, Reinigen, Versilbern, Passivieren,<br />

Vergolden, Farbvergoldung, Stiftvergoldung, Schwärzen. Die<br />

Spülwässer dieser Anlage werden in <strong>neu</strong>ester Kreislauftechnik<br />

geführt, ohne die Umwelt zu belasten.<br />

Trommelraum<br />

Zur mechanischen Oberflächenbearbeitung kommen<br />

unterschiedliche Schleifkörper, sowie spezielle Zusatzstoffe<br />

in Sechskanttrommeln unterschiedlicher Größe zur Anwendung.<br />

Außerdem werden die Gleitschlifftechnik und das<br />

Vibrationsschleifen angewendet.<br />

Bernsteinschmuck<br />

Goldschmiede<br />

Hier werden gegossene und gestanzte Schmuckstücke<br />

montiert und gelötet. Weitere Einzelschritte sind: feilen,<br />

Schmucksteine fassen und kleben, Ringgrößen herstellen,<br />

fräsen und diamantieren, Oberflächen strukturieren,<br />

Stempeln des Edelmetallgehaltes.<br />

Bernstein bearbeiten, schleifen und polieren<br />

Neben den Bernsteinketten werden Kunstgegenstände aller<br />

Art aus Naturbernstein und die Fassungssteine für den<br />

Schmuck hergestellt. Die einzelnen Schritte sind: Sägen von<br />

Rohmaterial, Drehen von Cabochons, Feilen, Grob- und<br />

Feinschleifen zu Halbfertigprodukten, Bohren, Kleben, Polieren<br />

von Bernstein. Beim manuellen Schleifen und Polieren<br />

werden letzte Rauigkeiten an den Schmuckstücken entfernt.<br />

Cabochons (französisch für „Nagelkopf“) sind runde oder<br />

ovale Schliffformen von Schmucksteinen ohne Facetten mit<br />

flacher Unter- und gewölbter Oberseite, wodurch die innere<br />

Struktur der Steine hervorgehoben wird.<br />

Julius und Markus waren eben selbst als<br />

Bernsteinschleifer tätig<br />

77


Schon die alten Griechen, die Römer und die Wikinger<br />

kannten den Bernstein, handelten damit und verarbeiteten<br />

ihn zu Schmuck für die obere Gesellschaftsschicht, für<br />

Häuptlinge, Fürsten und Könige. Anders als früher sind heute<br />

Bernsteine „pur“ oder in Kombination mit edlen Materialien<br />

für viele Menschen erschwinglich geworden. Das ist gut so,<br />

denn dadurch erhalten hochqualifizierte und begabte Spezialisten<br />

ihr Auskommen. Nicht jeder Urlauber findet einen<br />

Bernstein am Strand. In Ribnitz-Damgarten aber kann jeder<br />

„seinen“ Bernstein finden.<br />

Preise<br />

Die Preise für Gold und Silber sind in der Zeitung zu finden.<br />

Ein kleiner Bernstein-Anhänger für eine Halskette kostet<br />

etwa zwei Euro. Der Preis pro Gramm kann ein bis zwölf<br />

Euro betragen. Ist der Stein größer, in Silber oder Gold<br />

gefasst, sind wir bald bei einhundert Euro oder mehr. Bei<br />

komplizierten Figuren, großen Inklusen und seltenen Farben<br />

und Formen werden die Preise auf der nach oben offenen<br />

Skala bald vierstellig. Bernstein ist in den letzten Jahren<br />

deutlich teurer geworden, er kostet etwa das Zehnfache des<br />

Edelmetalls Silber. Das hängt mit dem begrenzten Angebot<br />

und dem wachsendem Interesse für Bernsteinschmuck in<br />

vielen Ländern zusammen.<br />

Fotos: Rolf Hoffmann<br />

!ACHTUNG!<br />

Bernstein am Strand kann mit<br />

Phosphor aus Kriegswaffen<br />

(Brandbomben) verwechselt<br />

werden! Dieses Material entzündet<br />

sich von selbst in der Hosentasche<br />

und führt dann zu schweren Verletzungen.<br />

Vorsichtiger Umgang<br />

mit Fundstücken und separater<br />

Transport sind deshalb unbedingt<br />

erforderlich.<br />

Kontakt<br />

Ostsee-Schmuck GmbH<br />

An der Mühle 30<br />

18311 Ribnitz-Damgarten<br />

Tel.: 049(0)3821/88580<br />

Fax: +49(0)3821/885811<br />

Mail: info@ostseeschmuck.de<br />

Home: www.ostseeschmuck.de<br />

Rohlinge (Ringe) in der Küvette<br />

Gussbaum, Einbettmasse ist entfernt<br />

78


Erleben Sie “ALTES HANDWERK”<br />

live vor Ort bei einem Besuch im museum<br />

Archäologisches<br />

Freilichtmuseum<br />

Oerlinghausen<br />

Die hatten den Bogen raus!<br />

Prähistorische <strong>Handwerk</strong>e und Häuser<br />

im Freilichtmuseum Oerlinghausen<br />

Seminare, Vorführungen und mehr:<br />

Infos unter www.afm-oerlinghausen.de<br />

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Mehr als ein Museum.<br />

Stöbern, Staunen, Lernen und die ganze<br />

Vielfalt einer Kulturlandschaft entdecken.<br />

Einzigartige Ausstellung mit Traktoren-Herde,<br />

Schaugarten, Naturerlebnispfad, Shop u.v.m.<br />

Ganzjährig geöffnet, tägl. außer Freitag 10 - 18 Uhr<br />

Breitscheidstr. 8–9<br />

16348 Wandlitz<br />

www.barnim-panorama.de<br />

Über 100 Jahre ländliches Leben!<br />

Auf über 10.000 Quadratmetern entstand im Traktormuseum Bodensee eine Erlebniswelt<br />

für die ganze Familie. Mit über 150 Traktoren aus allen Epochen und Werkstätten<br />

alter <strong>Handwerk</strong>e und einem eigenen Restaurant bieten wir unseren Besuchern eine<br />

abwechslungsreiche Ausstellungslandschaft. Wir freuen uns auf Ihren Besuch!<br />

Traktormuseum Bodensee<br />

Gebhardsweiler 1, 88690 Uhldingen-Mühlhofen<br />

www.traktormuseum.de, kontakt@traktormuseum.de<br />

<strong>Altes</strong> <strong>Handwerk</strong> ...<strong>neu</strong> <strong>erlebt</strong>!<br />

Ausgabe 1-2013<br />

Die <strong>neu</strong>e Publikation „<strong>Altes</strong> <strong>Handwerk</strong> ...<strong>neu</strong> <strong>erlebt</strong>!“ befasst sich mit traditionellen <strong>Handwerk</strong>sberufen<br />

und -techniken und bringt diese dem Leser auf anschauliche Weise näher. In der<br />

ersten Ausgabe lernen Sie unter anderem das <strong>Handwerk</strong> eines Schmiedemeisters kennen,<br />

werden in das Geheimnis des Geigenbaus eingeweiht und besuchen mit uns die Senfmühle in<br />

Cochem an der Mosel. Nützliche Tipps und wertvolle Informationen regen dazu an, selbst Hand<br />

anzulegen.<br />

Best.-Nr. 13-2013-01<br />

Preis € 8,90 [D]<br />

Neckar-Verlag<br />

Neckar-Verlag GmbH • Klosterring 1 • 78050 Villingen-Schwenningen<br />

bestellungen@neckar-verlag.de • www.altes-handwerk.eu<br />

79


Lebendiges <strong>Handwerk</strong><br />

Ein Dorf voller <strong>Handwerk</strong>er<br />

Trachten- und <strong>Handwerk</strong>ermarkt in Neubeuern<br />

von Martina Poll<br />

Zum fünften Mal findet in Neubeuern am Inn auf dem<br />

Marktplatz der große Trachten- und <strong>Handwerk</strong>ermarkt<br />

statt. Hier gibt es alles, was das Trachtlerherz<br />

begehrt, und noch viel mehr. Wenn man durch eines der<br />

beiden Tore den Neubeurer Marktplatz betritt, spürt man<br />

sofort die besondere Atmosphäre dieses Platzes. In der Mitte<br />

ein alter Dorfbrunnen mit dem heiligen Florian, zwei Linden,<br />

die zwar noch recht jung sind, aber bestimmt schon bald<br />

wieder Schatten spenden werden, wie ihre Vorgänger, die aus<br />

Altersgründen gefällt werden mussten. Ein paar Wirtshäuser<br />

mit gemütlichem Biergarten, in dem die Kastanie nicht fehlt,<br />

kleine Geschäfte, ein Bäcker, ein Schmied und ein Ofenbauer,<br />

hier ist die Welt noch in Ordnung. Bunte Häuser mit<br />

Lüftlmalerei, rote Geranien an den Fenstern. Eine schönere<br />

Kulisse für einen <strong>Handwerk</strong>ermarkt als den Marktplatz von<br />

Neubeuern könnte es nicht geben. Das Marktrecht gibt es<br />

hier seit 1393, und beim alljährlichen großen Trachten- und<br />

<strong>Handwerk</strong>ermarkt macht die Inntal-Gemeinde am Fuß<br />

der Alpen diesem alten Recht alle Ehre. Es gibt nichts, was<br />

es hier nicht gibt. Hauptrolle spielt hier ganz eindeutig die<br />

Tracht, sowohl für die Frauen als auch die Männer, Weiberleut<br />

und Mannsbilder, wie man hier sagt. Sabine Karl und ihr<br />

Mann Manfred, die den Markt im Namen des Trachtenvereins<br />

Edelweiß Neubeuern jedes Jahr organisieren, sind<br />

selbst leidenschaftliche Trachtler und haben im Laufe der<br />

letzten Jahre den Trachten- und <strong>Handwerk</strong>ermarkt in Neubeuern<br />

zu einem der Hauptumschlagplätze für alles, was zur<br />

Tracht gehört, gemacht. Und dazu braucht man jede Menge!<br />

Man kann oben beim Hut oder unten bei den Schuhen<br />

anfangen, in Neubeuern findet man alles in bester hand-<br />

80


werklicher Qualität. Und den meisten <strong>Handwerk</strong>ern kann<br />

man über die Schulter schauen, wenn die wunderschönen<br />

Dinge in mühevoller Kleinarbeit entstehen. „In den fünf<br />

Jahren seines Bestehens ist unser Markt weit über die<br />

Grenzen des Landkreises Rosenheim bekannt, sowohl<br />

Händler als auch Käufer kommen gerne“, betont Sabine Karl.<br />

„Außerdem lassen wir uns jedes Jahr ein passendes Rahmenprogramm<br />

einfallen, von der Modenschau bis zur Kinderbelustigung<br />

mit alten Brauchtumsspielen.“ Eines davon ist<br />

das Maßkrugschieben. Auf einer Holzbahn, die mit Seifenlauge<br />

präpariert ist, schiebt man einen gläsernen Maßkrug,<br />

da haben alle ihren Spaß und die Männer wetten um den<br />

besten Schub! Und natürlich spielt die passende Musik auf<br />

der Bühne, wo von den Trachtenvereinen historische Tänze<br />

aufgeführt werden. Und wer selbst Lust zum Tanzen hat,<br />

geht am Samstagabend zum Dorfwirt zum Volkstanz, wo die<br />

„Kirnstoana Tanzlmusi“ spielt! Nur Mut, ein Vortänzer gibt<br />

für jeden Tanz eine genaue Anleitung.<br />

Die richtige Tracht braucht den passenden Hut, da gibt es<br />

gleich mehrere Hutmacher, die verschiedene Exemplare<br />

anpreisen. Und auf den Hut gehört natürlich noch etwas, ein<br />

handgeschnitztes Edelweiß oder ein Enzian, eine Feder oder<br />

sogar ein Gamsbart. Für einen „Weiberhut“ braucht man<br />

natürlich etwas anderes, handgemachte Goldquasten oder<br />

feine Borten. Mehrere Dirndlschneiderinnen preisen ihre<br />

Stoffkollektionen an, zum Teil schon in Päckchen zusammengeschnürt<br />

für „Leiberl“, also Oberteil, Rock und Schürze.<br />

Da sind den Kombinationsmöglichkeiten keine Grenzen<br />

gesetzt, egal ob geblümt, gestreift oder kariert, beim Dirndl<br />

passt praktisch alles zusammen. Doch auch Nichttrachtler<br />

kommen auf ihre Kosten. Es ist eine wunderbare Mischung<br />

aus Tradition und modernen Accessoires, und es gibt wohl<br />

kaum jemand, der hier mit leeren Händen heimgeht. Ein<br />

Drechsler macht hölzerne Schüsseln, es gibt handgemachte<br />

Besen und Bürsten, kunstvolle Gürtelschließen und wunderbare<br />

Tücher und Schals. Junge Instrumentenbauer führen<br />

ihre Instrumente wie die „Steirische Harmonika“ vor. Es gibt<br />

handgemachte Babysachen, gehäkelte Perlenketten und originelle<br />

Handyetuis, modernen und traditionellen Schmuck und<br />

handgemachte Schuhe, die ein Leben lang halten. Auf der<br />

Bühne finden Trachtenvorführungen statt und in einer Tenne<br />

außerhalb des Platzes eine Modenschau. Hier kann man sich<br />

Anregungen für das eigene Dirndl bis hin zum Brautkleid<br />

holen. Und wer genug gesehen und gekauft hat, genießt die<br />

vielen kulinarischen Spezialitäten, die hier angeboten werden<br />

‒ auch handgemacht!<br />

Kontakt<br />

Trachten- und <strong>Handwerk</strong>ermarkt<br />

des V.T.E.V Neubeuern e.V.<br />

31. Mai – 1. Juni 2014<br />

www.trachtenverein-<strong>neu</strong>beuern.de<br />

Fotos: Martina Poll<br />

81


VORSCHAU<br />

„Porzellanmalerei“<br />

Helmut Harhaus<br />

„Die Glocke“ in Bildern<br />

Hans-Joachim Herr und Martin Höcker<br />

<strong>Altes</strong><br />

HANDWERK<br />

<strong>neu</strong> <strong>erlebt</strong>!<br />

„Zeugen der Geschichte“<br />

Fachwerkhäuser<br />

Susanne Erbach<br />

IMPRESSUM<br />

Neckar-Verlag GmbH, Klosterring 1, D-78050<br />

Villingen-Schwenningen, Postfach 1820,<br />

D-78008 Villingen-Schwenningen, Telefon<br />

+ 49 (0) 77 21 / 89 87-0, Telefax + 49 (0) 77<br />

21 / 89 87-50, E-Mail: info@neckar-verlag.de,<br />

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bestehen. Honorierte Arbeiten gehen in das<br />

Verfügungsrecht des Verlags über.<br />

Produkt- und Warennamen werden ohne<br />

Gewährleistung einer freien Verwendbarkeit<br />

benutzt.<br />

Archäologisches Freilichtmuseum 79<br />

Barnim Panorama 79<br />

DampfLandLeute 35<br />

Freilichtmuseum Ensemble<br />

Gerersdorf 10<br />

Freilichtmuseum am Kiekeberg 10<br />

Landlust<br />

U3<br />

Inserentenverzeichnis<br />

Mein Ländle<br />

U2<br />

Restaurator im <strong>Handwerk</strong> 9<br />

Technikmuseum Freudenberg 10<br />

Trachtenschneiderei &<br />

Trachtenausstatter 57<br />

Traktormuseum Bodensee 79<br />

Museums-Hof Lensan 10<br />

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zuvor erteilte, ausdrückliche schriftliche<br />

Genehmigung des Verlags in irgendeiner<br />

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elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt<br />

oder verbreitet werden. Die Nutzung<br />

der Inhalte ist nur zum Zweck der Fortbildung<br />

und zum persönlichen Gebrauch des Lesers<br />

gestattet.<br />

2. Jahrgang<br />

82


Die fabelhafte Welt<br />

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