Europäisches Sprachdenken Von Platon bis ... - Plansprachen.ch
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<strong>Europäis<strong>ch</strong>es</strong> <strong>Spra<strong>ch</strong>denken</strong><br />
<strong>Von</strong> <strong>Platon</strong> <strong>bis</strong> Wittgenstein<br />
Autoren: Jürgen Trabant<br />
Ers<strong>ch</strong>ienen: 2006 im Verlag C.H. Beck<br />
ISBN: 978-3-406-54109-4<br />
Seitenzahl: 356<br />
Spra<strong>ch</strong>e(n): Deuts<strong>ch</strong><br />
Kurzbes<strong>ch</strong>reibung: Eine einzige Spra<strong>ch</strong>e wurde im Paradies gespro<strong>ch</strong>en.<br />
Mithridates, der letzte Gegner des universalen römis<strong>ch</strong>en Imperiums, spra<strong>ch</strong><br />
dagegen zweiundzwanzig Spra<strong>ch</strong>en und verlor den Kampf gegen Rom.<br />
„Paradies“ und „Mithridates“ sind die beiden Pole des europäis<strong>ch</strong>en Denkens<br />
der Spra<strong>ch</strong>e, deren jahrhundertelangen Streit das vorliegende Bu<strong>ch</strong><br />
na<strong>ch</strong>zei<strong>ch</strong>net und für deren hö<strong>ch</strong>st unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>e Versöhnung es plädiert.<br />
„Wie Trabant den Bogen von Leibniz und Condillac zur Französis<strong>ch</strong>en<br />
Revolution und Orwell s<strong>ch</strong>lägt, verrät fundiertes Wissen und darstelleris<strong>ch</strong>es<br />
Genie … I<strong>ch</strong> wüns<strong>ch</strong>e ihm viele aufmerksame Leser.“<br />
Inhalt:<br />
1. Paradies<br />
Vom ersten Wort zur Spra<strong>ch</strong>e des Herzens<br />
1.1. Israel – 1.1.1. Benennen: Eden – 1.1.2. Miteinander-Spre<strong>ch</strong>en: Hinaus aus Eden 18 –<br />
1.1.3. Vers<strong>ch</strong>iedenheit als Strafe: Babel – 1.1.4. Versöhnung: Pfingsten – 1.1.5. Am<br />
Rande: S<strong>ch</strong>ibboleth – 1.2. Grie<strong>ch</strong>enland – 1.2.1. Spra<strong>ch</strong>losigkeit des Erkennens – 1.2.2.<br />
Das Zei<strong>ch</strong>en oder die Glei<strong>ch</strong>gültigkeit der Spra<strong>ch</strong>e – 1.2.3. Logik, Rhetorik, Grammatik –<br />
1.3. Rom – 1.3.1. Imperium und Mithridates – 1.3.2. Über den Redner – 1.3.3. Augustinus:<br />
Die Stille des Gebets – 1.4. Zwei S<strong>ch</strong>lußbemerkungen<br />
2. Florenz Poetis<strong>ch</strong>e Welt-Spra<strong>ch</strong>e und neue Grammatik des Paradieses<br />
2.1. Vulgaris eloquentia: Volksspra<strong>ch</strong>e vs. Mutterspra<strong>ch</strong>e – 2.2. Nemo ante nos: <strong>Von</strong> der<br />
Notwendigkeit der doctrina – 2.3. Subiectum nobile: Das Wesen der Spra<strong>ch</strong>e – 2.4.<br />
Paradisum: Ursprung der Spra<strong>ch</strong>e – 2.5. Turris Babel: Vers<strong>ch</strong>iedenheit – 2.6. Gramatica:<br />
Die neue Spra<strong>ch</strong>e des Paradieses – 2.7. Nos autem cui mundus est patria: Welt-Spra<strong>ch</strong>e<br />
– 2.8. Zurück zur alten Welt-Spra<strong>ch</strong>e<br />
3. Bologna<br />
Paradise Lost: Wel<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e für Europa?<br />
3.1. Die Frage na<strong>ch</strong> der Spra<strong>ch</strong>e – 3.2. Bologna 1530 oder über Ruhm und Anmut – 3.3.<br />
Bologna 1522 oder über Ruhm und Wahrheit – 3.4. Die Antinomie der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />
Vernunft – 3.5. Verteidigung und Illustration des Französis<strong>ch</strong>en – 3.6. Der Heilige Geist in<br />
Wittenberg – 3.7. François - 3.8. Mithridates<br />
4. London – Paris Neue Paradiese oder die Reinigung des Wissens und der Spra<strong>ch</strong>e<br />
4.1. Das englis<strong>ch</strong>e Lamento beginnt: my wonderful launderette – 4.2. Reines Denken in<br />
Frankrei<strong>ch</strong> – 4.3. Die Reinigung der Volksspra<strong>ch</strong>e – 4.4. Linguistis<strong>ch</strong>e Purifikation:<br />
Klarheit, Universalität und Harmonie<br />
5. London – Paris – Neapel<br />
Das Rei<strong>ch</strong> des Mens<strong>ch</strong>en und die Spra<strong>ch</strong>e<br />
5.1. Locke oder der Nebel vor unseren Augen – 5.1.1. arbitrarily – 5.1.2. imperfections –<br />
5.1.3. abuses – 5.1.4. remedies – 5.1.5. <strong>ch</strong>arity 5.2. Condillac oder Ursprung und Genie –<br />
5.2.1. les signes – 5.2.2. origine et génie – 5.3. Leibniz oder die wunderbare Vielfalt der<br />
Operationen unseres Geistes – 5.3.1. akroamatis<strong>ch</strong> – 5.3.2. Natürli<strong>ch</strong>keit – 5.3.3.<br />
Individualität – 5.3.4. Linguistik – 5.3.5. Universalspra<strong>ch</strong>e – 5.4. Vico oder die Neue<br />
Wissens<strong>ch</strong>aft von der Alten Spra<strong>ch</strong>e – 5.4.1. Poetis<strong>ch</strong>e Charaktere – 5.4.2. Neue<br />
Wissens<strong>ch</strong>aft – 5.5. Newspeak: Neue Wissens<strong>ch</strong>aft und Terror – 5.5.1. Der Cortegiano als<br />
philosophe – 5.5.2. Spra<strong>ch</strong>e der Revolution – 5.5.3. Revolution der Spra<strong>ch</strong>e<br />
6. Riga – Tegel – Cambridge, Mass<br />
Der beste Spiegel des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geistes<br />
1
6.1. Vom Ursprung über das Genie zu den Genen der Spra<strong>ch</strong>e 210 – 6.2. Herder:<br />
Ursprung und Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te – 6.2.1. Spra<strong>ch</strong>-Philosophie – 6.2.2. Ursprung: Ha! du <strong>bis</strong>t das<br />
Blökende! – 6.2.3. Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Gesells<strong>ch</strong>aft und Vers<strong>ch</strong>iedenheit – 6.3. Mithridates 2 –<br />
6.3.1. Pallas – 6.3.2. Hervás - 6.3.3. Adelung/Vater– 6.4. Indien oder die Zeit und die<br />
Einheit der Spra<strong>ch</strong>en – 6.4.1. S<strong>ch</strong>legel: die Weisheit Indiens – 6.4.2. Bopp: die Physiologie<br />
der Spra<strong>ch</strong>en – 6.4.3. Grimm, das Deuts<strong>ch</strong>e und das Indo-Germanis<strong>ch</strong>e – 6.4.4.<br />
Opposition: Spra<strong>ch</strong>-Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te – 6.5. Amerika oder der Raum und die Vers<strong>ch</strong>iedenheit<br />
der Spra<strong>ch</strong>en – 6.5.1. Mens<strong>ch</strong>enbeoba<strong>ch</strong>ter - 6.5.2. Humboldt: die Vers<strong>ch</strong>iedenheit des<br />
mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>baus – 6.5.3. Charakter: Philologie und Linguistik – 6.6. Syn<strong>ch</strong>rone<br />
Linguistik - 6.6.1. Toutes les langues de l’univers – 6.6.2. Syn<strong>ch</strong>ronie und Struktur - 6.6.3.<br />
Amerika und das Denken der Indianer 274 – 6.6.4. Das Geist-Organ - 6.6.5. Der Körper im<br />
Geist – 6.7. Ursprung und Ende – 6.7.1. Proto-World – 6.7.2. Paradise Regained – 6.8.<br />
Coda: S<strong>ch</strong>eidungs-Waisen<br />
7. Cambridge – S<strong>ch</strong>warzwald<br />
Arbeiten, Spiele und Feiern der Spra<strong>ch</strong>e<br />
7.1. No<strong>ch</strong> einmal: die Wahrheit und die Götzen des Marktes – 7.2. Morgenstern-<br />
Abendstern – 7.3. Spra<strong>ch</strong>spiele, giuocando – 7.4. Feiern der Spra<strong>ch</strong>e – 7.5. Im Paradies,<br />
herbstli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lu<strong>ch</strong>zend<br />
Anhang<br />
Anmerkungen – Bibliographie – Register<br />
Themen- und Bu<strong>ch</strong>bespre<strong>ch</strong>ung<br />
Philosophie und Spra<strong>ch</strong>e begegnen einander in einem Konflikt, einem Dilemma: Mit<br />
Hilfe der Spra<strong>ch</strong>e wird wahres, aber au<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong>es Denken und Fühlen, wahre oder fals<strong>ch</strong>e<br />
Moral vermittelt. Ob die Spra<strong>ch</strong>e die Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> der Wahrheit behindert oder ob sie sie erst<br />
ermögli<strong>ch</strong>t, wurde von Philosophen seit Jahrhunderten diskutiert. Spra<strong>ch</strong>philosophie su<strong>ch</strong>t<br />
Antworten auf Fragen, die im Spannungsfeld zwis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e (Kommuniaktion) – Erkenntnis<br />
(Kognition) – Wahrheit – Wirkli<strong>ch</strong>keit stehen. Jürgen Trabant zei<strong>ch</strong>net in seinem Bu<strong>ch</strong> die<br />
wi<strong>ch</strong>tigsten Stationen westeuropäis<strong>ch</strong>en <strong>Spra<strong>ch</strong>denken</strong>s na<strong>ch</strong>.<br />
Spra<strong>ch</strong>en sind das wi<strong>ch</strong>tigste Instrument mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Kommunikation, obwohl sie<br />
dieser man<strong>ch</strong>mal im Wege stehen. <strong>Von</strong> ihnen gibt es einige Tausend, und sozusagen niemand<br />
stört si<strong>ch</strong> an der „gegebenen Ordnung“ der Spra<strong>ch</strong>en und ihrer Hierar<strong>ch</strong>ie. Das Thema der<br />
Spra<strong>ch</strong>e ist uralt. S<strong>ch</strong>on die Bibel eröffnete das spannungsrei<strong>ch</strong>e Verhältnis zur Spra<strong>ch</strong>e und<br />
Spra<strong>ch</strong>reflexion, die über Jahrhunderte von den Mens<strong>ch</strong>en betrieben werden wird. „Am Anfang<br />
war das Wort. Alles wurde dur<strong>ch</strong> das Wort ges<strong>ch</strong>affen; und ohne das Wort ist ni<strong>ch</strong>ts<br />
entstanden“, spra<strong>ch</strong> Gott, der also spre<strong>ch</strong>end und mit praktis<strong>ch</strong>em Tun die Welt ers<strong>ch</strong>uf: „Es<br />
werde Li<strong>ch</strong>t! Und er nannte das Li<strong>ch</strong>t „Tag“ usw. Die S<strong>ch</strong>affung der Spra<strong>ch</strong>e selbst überliess<br />
Gott aber seiner Kreatur, dem Mens<strong>ch</strong>en.<br />
Dann folgte der fatale Sündenfall, bei dem das allererste Miteinander-Spre<strong>ch</strong>en, von<br />
dem die Bibel beri<strong>ch</strong>tet, direkt in die Katastrophe führte: Indem es der spre<strong>ch</strong>enden S<strong>ch</strong>lange<br />
gelang, Eva zum Essen der Fru<strong>ch</strong>t vom Baume zu verführen, die zweitens den Adam, offenbar<br />
ni<strong>ch</strong>t wortlos, zu derselben Tat verführte. Der erste Spre<strong>ch</strong>akt beinhaltete also die Aufforderung<br />
zur Verführung. Kommunikation wird in dieser biblis<strong>ch</strong>en Episode dargestellt als Mittel der<br />
Hinführung zur Sünde, zum Zerfall und Verlust der lingua adamica, der wahren Urspra<strong>ch</strong>e des<br />
Mens<strong>ch</strong>en. Die Einheit wird erst dur<strong>ch</strong> die Barmherzigkeit Gottes wiederhergestellt werden.<br />
2
Obwohl das ges<strong>ch</strong>ilderte Vergehen beim Sündenfall spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> initiiert war, wurde die Spra<strong>ch</strong>e<br />
als sol<strong>ch</strong>e zunä<strong>ch</strong>st ni<strong>ch</strong>t zur Sünde; nur der Mens<strong>ch</strong> wurde bestraft, vor allem die Frau, die dem<br />
Mann untergeordnet wurde. Erst beim Turmbau zu Babel, als die Mens<strong>ch</strong>en, erneut beim<br />
Miteinander-Spre<strong>ch</strong>en (in der glei<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e), an Gott heranzurei<strong>ch</strong>en oder Gott ähnli<strong>ch</strong> zu<br />
werden bestrebt waren, verwirrte er ihre Spra<strong>ch</strong>en und stellte spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Vers<strong>ch</strong>iedenheit her.<br />
Der Mythos des Sündenfalls im Garten Eden und von Babel erhielt in der europäis<strong>ch</strong>en<br />
Tradition also eine fundamentale Bedeutung für das <strong>Spra<strong>ch</strong>denken</strong>. In diesem Mythos wurzelt<br />
die tiefste europäis<strong>ch</strong>e Vorstellung von der Spra<strong>ch</strong>e: Einheit der Spra<strong>ch</strong>e sei gut, Vielfalt aber<br />
s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, sie sei Strafe und Verlust der ursprüngli<strong>ch</strong>en paradiesis<strong>ch</strong>en Einheit und der ri<strong>ch</strong>tigen<br />
Wörter, Gedanken und Ideen. Hier ist jegli<strong>ch</strong>e Bemühung, spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Vielfalt als etwas<br />
Positives zu sehen, weitgehend zum S<strong>ch</strong>eitern verurteit.<br />
Das Pfingstwunder sollte die babelis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>verwirrung etwas relativieren,<br />
entdramatisieren und den Weg der Einheit in der Vers<strong>ch</strong>iedenheit ebnen, allerdings vielmehr auf<br />
der Ebene der Einheit des Geistes. Die vers<strong>ch</strong>iedenen Spra<strong>ch</strong>en, in denen die Apostel spra<strong>ch</strong>en,<br />
blieben bestehen. Was zu sagen war, konnte in allen Spra<strong>ch</strong>en ausgedrückt werden. Pfingsten<br />
lehrt, dass die spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Vers<strong>ch</strong>iedenheit überwindbar ist, indem man die Spra<strong>ch</strong>e des<br />
Anderen erwirbt. Denno<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>eint die pfingstli<strong>ch</strong>e Bots<strong>ch</strong>aft in Europa ohne grossen Widerhall<br />
gewesen zu sein, weil Pfingsten die negative Eins<strong>ch</strong>ätzung spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Diversität und die<br />
Sehnsu<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Einheit ni<strong>ch</strong>t überwinden konnte. Soweit die abstrakten<br />
mythologis<strong>ch</strong>en Grundlagen aus der biblis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>rift.<br />
Antike Spra<strong>ch</strong>losigkeit der Erkenntnis<br />
Das Problem der Spra<strong>ch</strong>e liegt in der Bibel also ni<strong>ch</strong>t auf der kognitiven, sondern auf<br />
der kommunikativen Ebene der Spra<strong>ch</strong>e. Beide Ebenen wurden so zu den unauslös<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />
Sehnsü<strong>ch</strong>ten Europas: Beim Kommunizieren sollen uns die Spra<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t stören, und beim<br />
Erkennen sollen sie uns ebenfalls ni<strong>ch</strong>t stören. Die logis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>lussfolgerung lautet: Weg mit<br />
den vielen Spra<strong>ch</strong>en, und weg mit der Spra<strong>ch</strong>e überhaupt.<br />
Während die Juden die Existenz der Vers<strong>ch</strong>iedenheit der Spra<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong>aus<br />
anerkannten, blendeten die Grie<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e im Sinne von Kommunikation, und no<strong>ch</strong> vielmehr<br />
die Spra<strong>ch</strong>en der Anderen, eher aus, wie dies in <strong>Platon</strong>s Dialog „Kratylos“ der Fall ist – obwohl<br />
sie die Logik, Rhetorik und Grammatik erfanden, die sehr wohl etwas mit Spra<strong>ch</strong>e zu tun haben.<br />
Die Anderen sind die Barbaren, die den grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Kosmos nur stören. Die Vorstellung vom<br />
Grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en als Spra<strong>ch</strong>e s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>thin und folgli<strong>ch</strong> die ethnozentris<strong>ch</strong>e Vera<strong>ch</strong>tung fremder<br />
Spra<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>eint si<strong>ch</strong> bei den Grie<strong>ch</strong>en <strong>bis</strong> auf den heutigen Tag als Grundlage ihres<br />
<strong>Spra<strong>ch</strong>denken</strong>s gehalten zu haben, bedenkt man, dass dieses Volk in seinem Staat ausser<br />
Grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> andere Spra<strong>ch</strong>en, au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> so minoritäre, ni<strong>ch</strong>t oder nur ungern duldet. <strong>Platon</strong><br />
artikulierte die Sehnsu<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> der Spra<strong>ch</strong>losigkeit der Kognition. Bei Sokrates war die Spra<strong>ch</strong>e<br />
für die Erkenntnis sogar völlig entbehrli<strong>ch</strong>. So wurde Spra<strong>ch</strong>losigkeit im Kognitiven in der<br />
grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Philosophie, die der Mens<strong>ch</strong>heit wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Rationalität als geistiges Ziel<br />
vorgegeben hatte, ein anzustrebender Idealzustand. Während bei <strong>Platon</strong> Spra<strong>ch</strong>e und Welt-<br />
Erkenntnis no<strong>ch</strong> zusammengeda<strong>ch</strong>t waren, trennte sein S<strong>ch</strong>üler Aristoteles Kognition und<br />
Kommunikation. Dieser degradierte die Spra<strong>ch</strong>e glei<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Spre<strong>ch</strong>en zu<br />
einem blossen Mittel der Kommunikation, die mit dem Denken selbst ni<strong>ch</strong>ts mehr zu tun habe,<br />
zu einem blossen Zei<strong>ch</strong>en des Geda<strong>ch</strong>ten. Die ents<strong>ch</strong>eidenden Sätze zu spra<strong>ch</strong>philosophis<strong>ch</strong>en,<br />
logis<strong>ch</strong>en und grammatis<strong>ch</strong>en Begriffen finden si<strong>ch</strong> in „De interpretatione“ (2. Bu<strong>ch</strong> des<br />
„Organon“), einem der einflussrei<strong>ch</strong>sten europäis<strong>ch</strong>en Texte über die Spra<strong>ch</strong>e (bei Trabant in<br />
einer Übersetzung Heideggers angefügt). Für das antike Denken (Aristoteles) waren die Wörter<br />
3
als sol<strong>ch</strong>e uninteressant, weil man Laute bzw. einzelspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Lexeme ni<strong>ch</strong>t in Betra<strong>ch</strong>t zog.<br />
Spra<strong>ch</strong>e war entweder als Grammatica (als Bes<strong>ch</strong>reibung der Te<strong>ch</strong>nik der Spra<strong>ch</strong>e bzw. als<br />
Kunst des S<strong>ch</strong>reibens) oder Rhetorica zu handhaben oder dann als Spra<strong>ch</strong>-Philosophie<br />
konzipiert. In der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Philosophie waren die Wörter (voces) bloss materiell<br />
vers<strong>ch</strong>iedene Zei<strong>ch</strong>en, während das Denken bei allen Mens<strong>ch</strong>en glei<strong>ch</strong> und universell sei; es<br />
wird von der Kommunikations-Spra<strong>ch</strong>e sozusagen ni<strong>ch</strong>t tangiert. Einzelspra<strong>ch</strong>e als sol<strong>ch</strong>e und<br />
als Gegenstand der Reflexion war für die grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Philosophen uninteressant. So ist es zu<br />
erklären, dass in der Antike keine Wörterbü<strong>ch</strong>er existierten, die ein lexikalis<strong>ch</strong>es System und<br />
die Bedeutung der einzelnen Wörter bes<strong>ch</strong>rieben hätten. Die Grammatik und die Enzyklopädie<br />
hatten Vorrang.<br />
Was das S<strong>ch</strong>icksal des Grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en als Universalspra<strong>ch</strong>e anbelangt, verfügten die<br />
Gelehrten des Mittelalters über keine Kenntnis dieser Spra<strong>ch</strong>e, so dass in der mittelalterli<strong>ch</strong>en<br />
Gelehrtenwelt nur das bekannt war, was auf Lateinis<strong>ch</strong> vorlag. Grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>kenntnisse<br />
hat man si<strong>ch</strong> in Westeuropa erst im 16. Jahrhundert in nennenswertem Umfang angeeignet.<br />
Mit Rom wurde das Lateinis<strong>ch</strong>e zur neuen universellen Spra<strong>ch</strong>e, und wenn die<br />
Unterworfenen des Imperiums si<strong>ch</strong> mit den Römern verständigen wollten, mussten sie deren<br />
Spra<strong>ch</strong>e spre<strong>ch</strong>en. Andererseits blieben wie die Grie<strong>ch</strong>en so au<strong>ch</strong> die Römer den Spra<strong>ch</strong>en der<br />
beherrs<strong>ch</strong>ten Völker gegenüber glei<strong>ch</strong>gültig. Mit ihrer eigenen Spra<strong>ch</strong>e aber haben si<strong>ch</strong> die<br />
Römer, deren Elite im Unters<strong>ch</strong>ied zu den Grie<strong>ch</strong>en zweispra<strong>ch</strong>ig war, sehr wohl befasst,<br />
weniger in philosophis<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t wie bei den Grie<strong>ch</strong>en, als vielmehr in Belangen der<br />
Rhetorik, die als Spra<strong>ch</strong>-Kultur vor allem in politis<strong>ch</strong>-praktis<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t im Alten Rom zur<br />
Ho<strong>ch</strong>blüte gelangte (Cicero, „De oratore“). So erhielt die Spra<strong>ch</strong>e im Kontext der politis<strong>ch</strong>en<br />
Pfli<strong>ch</strong>ten der römis<strong>ch</strong>en Rhetoriker erstmals vor allem eine neue öffentli<strong>ch</strong>-gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
Dimension. Die Spra<strong>ch</strong>e trat in die Rolle des Kitts der Gesells<strong>ch</strong>aft und der Zivilisation ein und<br />
erhielt die Rolle eines relevanten Werkzeugs für Gesetz und Re<strong>ch</strong>t. Na<strong>ch</strong> dem Zusammenbru<strong>ch</strong><br />
des Römerrei<strong>ch</strong>es erbte die Westkir<strong>ch</strong>e die Strukturen des Rei<strong>ch</strong>es und mit ihnen seine Spra<strong>ch</strong>e.<br />
Während das Grie<strong>ch</strong>entum infolge Bedrängung dur<strong>ch</strong> Slaven, Arabern und Türken auf einen<br />
geographis<strong>ch</strong>-ethnis<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>ränkten Kernraum begrenzt wurde, dehnte si<strong>ch</strong> die römis<strong>ch</strong>lateinis<strong>ch</strong>e<br />
Kultur in beispiellosem Mass auf das Westeuropa aus, wo si<strong>ch</strong> später die<br />
romanis<strong>ch</strong>en Völker herausbilden sollten. Obwohl Europa im 16. Jahrhundert seine spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />
Einheit abhanden kam, hat es das Bewusstsein der „lateinis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>erfahrung“, der<br />
universellen Latinität <strong>bis</strong> in unsere Tage ni<strong>ch</strong>t verloren.<br />
Als Reaktion auf die römis<strong>ch</strong>e Situation unternahm der Kir<strong>ch</strong>envater Augustinus (354-<br />
430) eine völlige Abkehr von der Rhetorik hin zur Kontemplation, zur Stille des Gebets, zum<br />
S<strong>ch</strong>weigen und Hören. Ganz im Sinne der <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Wahrheit, die im Grunde ohne konkrete<br />
Einzelspra<strong>ch</strong>e und ohne Rhetorik auskommt, wurde dur<strong>ch</strong> Augustinus, der eher an <strong>Platon</strong> als an<br />
Cicero ans<strong>ch</strong>loss, zum Ausklang der Antike sowohl von der kognitiven als au<strong>ch</strong> von der<br />
rhetoris<strong>ch</strong>en und kommunikativen Funktion der Spra<strong>ch</strong>e Abs<strong>ch</strong>ied genommen. Denn die<br />
Wahrheit ist letztli<strong>ch</strong> spra<strong>ch</strong>los. Ni<strong>ch</strong>t Zunge und Augen, sondern die Ohren wurden zu den<br />
wi<strong>ch</strong>tigsten Sinnesorgane für die Erkenntnis reklamiert. Auf die Worte Gottes muss gehört<br />
werden.<br />
Hebräis<strong>ch</strong>, Grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>, Lateinis<strong>ch</strong> blieben denno<strong>ch</strong> als die drei unbestreitbaren<br />
„Kreuzesspra<strong>ch</strong>en“ verankert – im 9. Jh. stellte das Slavis<strong>ch</strong>e dieses Dogma in Frage (aK).<br />
4
Vom Philosophen zum Di<strong>ch</strong>ter und vom Latein zur Volksspra<strong>ch</strong>e<br />
Das Bisherige war ledigli<strong>ch</strong> ein Vorspiel, das Mittelalter wird übersprungen, denn die<br />
eigentli<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>reflexion beginnt bei Trabant mit Dante<br />
Alighieri (1265-1321) aus Florenz (Kap. 2), einem der wi<strong>ch</strong>tigsten Di<strong>ch</strong>ter des europäis<strong>ch</strong>en<br />
Mittelalters. Bei ihm bekam das Spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e einen neuen Sinn, und zwar vornehmli<strong>ch</strong> einen<br />
fundamental poetis<strong>ch</strong>-lyris<strong>ch</strong>en und volksspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en. Ni<strong>ch</strong>t der Philosoph, sondern der<br />
Di<strong>ch</strong>ter „verwaltete“ jetzt sozusagen die Spra<strong>ch</strong>e, um zu ihr ein viel positiveres Verhältnis zu<br />
entwickeln als dies die Denker der Antike taten. Das Wort des Mens<strong>ch</strong>en hatte der eloquentia<br />
und der gloria des S<strong>ch</strong>öpfers zu dienen. Seit dem 12. Jahrhundert begann au<strong>ch</strong> der Begriff der<br />
„Mutterspra<strong>ch</strong>e“ eine neue Rolle zu spielen, und mit Dante wurden erstmals die romanis<strong>ch</strong>en<br />
Spra<strong>ch</strong>en klassifiziert. Obwohl dieser no<strong>ch</strong> keine eigentli<strong>ch</strong>e italienis<strong>ch</strong>e Nationalspra<strong>ch</strong>e<br />
anstrebte, sondern ledigli<strong>ch</strong> eine Spra<strong>ch</strong>e der Di<strong>ch</strong>tung s<strong>ch</strong>affen wollte, gingen seine<br />
Bestrebungen dur<strong>ch</strong>aus in Ri<strong>ch</strong>tung der Normierung des Italienis<strong>ch</strong>en. Seine berühmte<br />
„Göttli<strong>ch</strong>e Komödie“ wurde das erste grosse Werk in moderner italienis<strong>ch</strong>er Literaturspra<strong>ch</strong>e,<br />
die aus dem toskanis<strong>ch</strong>-florentinis<strong>ch</strong>en Dialekt erst entwickelt werden musste. Denno<strong>ch</strong> blieb<br />
Dantes <strong>Spra<strong>ch</strong>denken</strong> universalistis<strong>ch</strong> und setzte insofern die antike und biblis<strong>ch</strong>e Tradition fort,<br />
aber es ri<strong>ch</strong>tete si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> gegen spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Vielfalt und willkürli<strong>ch</strong>e Variation. Dante träumte<br />
den Traum einer poetis<strong>ch</strong>en Welt-Spra<strong>ch</strong>e jenseits der Vielfalt der dialektalen Zersplitterung<br />
Italiens, die einer neuen Spra<strong>ch</strong>e des Paradieses entspri<strong>ch</strong>t. Die erste europäis<strong>ch</strong>e<br />
Spra<strong>ch</strong>akademie war die Accademia della Crusca in Florenz. Sie s<strong>ch</strong>ien die moderne<br />
Entwicklung der italienis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en jedo<strong>ch</strong> behindert zu haben.<br />
Die Philologie wurde im Humanismus das Zentrum der Gelehrsamkeit. Glei<strong>ch</strong>zeitig<br />
kam es zu einem neuen Kult des Lateinis<strong>ch</strong>en, während die Volksspra<strong>ch</strong>en (v.a. das italienis<strong>ch</strong>e<br />
Volgare) an Prestige einbüssten. Die besten italienis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>riftsteller s<strong>ch</strong>rieben Lateinis<strong>ch</strong>.<br />
Erst ab Mitte des 15. Jahrhunderts gewannen die volksspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Di<strong>ch</strong>ter gegenüber den<br />
Lateinern wieder an Selbstvertrauen, au<strong>ch</strong> in Frankrei<strong>ch</strong> und Spanien. Die Gelehrten des<br />
Westens lernten Grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> und übersetzten die grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Klassiker ins Lateinis<strong>ch</strong>e. Ciceros<br />
Stil wurde zur Norm erhoben.<br />
Um 1530 stritten si<strong>ch</strong> Di<strong>ch</strong>ter und Gelehrte in Bologna (Kap. 3) über die in Krise<br />
geratene Selbstverständli<strong>ch</strong>keit, dass die Universalspra<strong>ch</strong>e Europas Latein ihre Funktionen<br />
allmähli<strong>ch</strong> verlöre und diskutieren darüber, ob sie als sol<strong>ch</strong>e aufgegeben werden soll. Es<br />
entstand ein Interessenkonflikt zwis<strong>ch</strong>en Di<strong>ch</strong>tern, Gelehrten und Höflingen, den öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Spre<strong>ch</strong>ern, die in ihrer Funktion als politis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>benutzer die eigentli<strong>ch</strong>en Agenten der<br />
Koine waren, also der gemeinsamen Spra<strong>ch</strong>e der Nation.<br />
Um als Spra<strong>ch</strong>e anerkannt zu werden, mussten im 15./16. Jahrhundert für das<br />
Italienis<strong>ch</strong>e, Spanis<strong>ch</strong>e, Französis<strong>ch</strong>e entspre<strong>ch</strong>ende Grammatiken ges<strong>ch</strong>rieben werden. So<br />
entstanden die kastilis<strong>ch</strong>e Grammatik im Jahr 1492 und die französis<strong>ch</strong>e Grammatik 1550.<br />
Einspra<strong>ch</strong>ige Wörterbü<strong>ch</strong>er ers<strong>ch</strong>ienen erst um 1600 wie das italienis<strong>ch</strong>e von 1612.<br />
Mit der Kolonialisierung erlangte das <strong>Spra<strong>ch</strong>denken</strong> eine neue Dimension des<br />
Universalismus: Missionare, v.a. Jesuiten, die in Übersee wirkten, wurden zu linguistis<strong>ch</strong>en<br />
Informanten Europas. Sie interessierten si<strong>ch</strong> für die Spra<strong>ch</strong>en der aussereuropäis<strong>ch</strong>en Völker<br />
und verfassten Wörterbü<strong>ch</strong>er und Grammatiken für ihre Missionsarbeit.<br />
5
Wider die Götzen und Idole zugunsten der Neuen Wissens<strong>ch</strong>aft<br />
Dem englis<strong>ch</strong>en Philosophen Francis Bacon (1561-1626), der si<strong>ch</strong> als Wegbereiter des<br />
Empirismus sehr für vers<strong>ch</strong>iedene Spra<strong>ch</strong>en interessierte und der erkannte, dass die Spra<strong>ch</strong>e den<br />
zwis<strong>ch</strong>enmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Verkehr in beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>em Sinne bestimmt, blieb die Volksspra<strong>ch</strong>e<br />
denno<strong>ch</strong> die s<strong>ch</strong>limmste Feindin der Wissens<strong>ch</strong>aft vers<strong>ch</strong>mäht, so dass er Befreiung von ihr<br />
forderte, um eine Neue Wissens<strong>ch</strong>aft zu begründen. (Kap. 4) Bacon s<strong>ch</strong>rieb zwar bereits auf<br />
Englis<strong>ch</strong>, liess seine Werke aber ins Lateinis<strong>ch</strong>e übersetzen, denn es blieb für ihn die universelle<br />
Spra<strong>ch</strong>e der Gelehrsamkeit. Bacon protestierte ni<strong>ch</strong>t eigentli<strong>ch</strong> gegen die damals in Mode<br />
gekommenen (unwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en) Vulgärspra<strong>ch</strong>en an si<strong>ch</strong> (zu denen ja au<strong>ch</strong> Englis<strong>ch</strong><br />
gehört), sondern gegen die vulgäre Semantik der natürli<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en, also gegen einen<br />
fals<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> der Wörter für die Dinge, gegen das konfuse, s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t abgegrenzte Wort, in<br />
dem er ein verworrenes Merkzei<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>iedener Handlungen zu erkennen glaubte, gegen<br />
den metaphoris<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> des Wortes, gegen eine im übertragenen Sinne vorhandene<br />
Verwendung, gegen unsinnige Rhetorik. Volkstümli<strong>ch</strong>e Wörter bedeuteten für ihn<br />
unvollkommene Bilder, fals<strong>ch</strong>e Idole, böse Geister und Vorurteile, die den wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Geist, den s<strong>ch</strong>arfsinnigen Verstand, das vernünftige Denken und die sorgfältige Beoba<strong>ch</strong>tung<br />
behindern. Die Wörter würden si<strong>ch</strong> als „Götzen (oder Idole) des Marktes“ dur<strong>ch</strong> die Verbindung<br />
von Verben und Nomina s<strong>ch</strong>ädli<strong>ch</strong> in den Verstand eins<strong>ch</strong>lei<strong>ch</strong>en. Dass die Wörter, die<br />
grösstenteils na<strong>ch</strong> den Auffassungen des Volkes (vulgus) gebildet werden, ihre Kraft gegen den<br />
Verstand kehren, was die Philosophie und die Wissens<strong>ch</strong>aften unfru<strong>ch</strong>tbar gema<strong>ch</strong>t habe, fand<br />
Bacon unakzeptabel. Die natürli<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en seien wie fremde Götter in den monotheistis<strong>ch</strong>en<br />
Himmel eingefallen. Diesen Götzen müsse man abs<strong>ch</strong>wören, und der alte paradiesis<strong>ch</strong>e<br />
Zustand, in dem alle dasselbe geda<strong>ch</strong>t und gesagt hätten, sei wiederherzustellen. Bei diesem<br />
fatalen Bacons<strong>ch</strong>en Bannflu<strong>ch</strong> ist die Anknüpfung an das antike Misstrauen gegenüber der<br />
Spra<strong>ch</strong>e, an das aristotelis<strong>ch</strong>e Modell und an <strong>Platon</strong>s Wuns<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Spra<strong>ch</strong>losigkeit wieder zu<br />
erkennen.<br />
Wie Bacon s<strong>ch</strong>rieb au<strong>ch</strong> der Franzose René Descartes (1596-1650), Begründer des<br />
modernen frühneuzeitli<strong>ch</strong>en Rationalismus, Verfasser des berühmten „Discours de la méthode“,<br />
auf Lateinis<strong>ch</strong> und in der Volksspra<strong>ch</strong>e. Ni<strong>ch</strong>t die Wörter wurden von dem Franzosen kritisiert,<br />
sondern die Bü<strong>ch</strong>er (lettres), vielmehr no<strong>ch</strong> das Wissen in den Bü<strong>ch</strong>ern, also das Bu<strong>ch</strong>-Wissen,<br />
das der Philosoph als nutzlos hielt. Das Spra<strong>ch</strong>wissen hat na<strong>ch</strong> Descartes keinen Zweck an si<strong>ch</strong>,<br />
sondern dient rein instrumentell zum zeitaufwändigen Lesen der alten Bü<strong>ch</strong>er. Also ist na<strong>ch</strong><br />
Descartes Spra<strong>ch</strong>e etwas völlig Traditionelles, sie dient zur Mitteilung des Denkens, ist aber<br />
selber ni<strong>ch</strong>t Denken. In diesem Sinne war Descartes’ Haltung zur Spra<strong>ch</strong>e wesentli<strong>ch</strong><br />
freundli<strong>ch</strong>er als dies beim Spra<strong>ch</strong>kritiker Bacon der Fall war.<br />
Für Trabant ist der Moment gekommen, die Liebe der humanistis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>riftsteller,<br />
Di<strong>ch</strong>ter und Philosophen zu ihrer Spra<strong>ch</strong>e hervorzuheben, au<strong>ch</strong> wenn viele Philosophen an der<br />
Spra<strong>ch</strong>e verzweifelt seien. Diese Liebe ging so weit, dass etwa die Franzosen eine eigene<br />
Académie erri<strong>ch</strong>teten, um mit deren Hilfe ni<strong>ch</strong>t nur die performative Effizienz und die elitäre<br />
Reinheit des geliebten Französis<strong>ch</strong> zu si<strong>ch</strong>ern, sondern dur<strong>ch</strong> sie au<strong>ch</strong> dem Genius des<br />
Französis<strong>ch</strong>en, dem génie de la langue française, Weltgeltung zu vers<strong>ch</strong>affen und diese<br />
entspre<strong>ch</strong>end propagandistis<strong>ch</strong> abzusi<strong>ch</strong>ern, zumal das Französis<strong>ch</strong>e in einigen wi<strong>ch</strong>tigen<br />
Diskursdomänen seit dem 17. Jahrhundert au<strong>ch</strong> international die Erbs<strong>ch</strong>aft des Lateinis<strong>ch</strong>en<br />
angetreten hatte. Damit war der Weg zum Mythos der französis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e frei, die si<strong>ch</strong><br />
rühmte, si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> besondere Klarheit (clarté) und dur<strong>ch</strong> besondere Vernunft (raison)<br />
auszuzei<strong>ch</strong>nen, um den entspre<strong>ch</strong>enden Anspru<strong>ch</strong> auf die Rolle der universellen Spra<strong>ch</strong>e zu<br />
erheben. Damit war am Ende des 17. Jahrhunderts im Kampf um die Na<strong>ch</strong>folge des<br />
Lateinis<strong>ch</strong>en die Diskussion über den Genius der Spra<strong>ch</strong>en überall in Europa eröffnet.<br />
6
Idee der Universalspra<strong>ch</strong>en<br />
Syn<strong>ch</strong>ron mit der Verabs<strong>ch</strong>iedung des Lateinis<strong>ch</strong>en aus der Verwaltung, aus den<br />
Wissens<strong>ch</strong>aften und teilweise aus der Kir<strong>ch</strong>e, glei<strong>ch</strong>zeitig mit der Herausbildung nationaler<br />
Spra<strong>ch</strong>normen teils aus politis<strong>ch</strong>en Gründen (wie in Frankrei<strong>ch</strong>), teils aus religiösen Gründen<br />
(wie in Deuts<strong>ch</strong>land) oder aus literaris<strong>ch</strong>en (wie im Falle des Italienis<strong>ch</strong>en), wurde die<br />
spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Katholizität der lateinis<strong>ch</strong>en Einheit beklagt. Gegen die Zumutung der<br />
Vers<strong>ch</strong>iedenheit der natürli<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en wurde mit universalistis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>projekten<br />
versu<strong>ch</strong>t, das Trauma dieses Verlusts zu heilen. Bei Bacon etwa wurden Vors<strong>ch</strong>läge für eine<br />
wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e (aprioris<strong>ch</strong>e) Universalspra<strong>ch</strong>e lanciert, au<strong>ch</strong> Dalgarno und Wilkins werden<br />
von Trabant genannt, ein diesbezügli<strong>ch</strong>er Hinweis auf Descartes hingegen fehlt, der ebenfalls<br />
mit universalspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gedanken spielte, dies jedo<strong>ch</strong> wie die anderen wohl nur am Rande<br />
seines <strong>Spra<strong>ch</strong>denken</strong>s (aK).<br />
Das Problem der Semantik<br />
Um 1700 konnte in Kontinentaleuropa niemand Englis<strong>ch</strong>, sodass John Lockes Essay<br />
„Concerning Human Understanding“ auf Französis<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>ien. (Kap. 5) Dieses Bu<strong>ch</strong>, das von<br />
Leibniz ausführli<strong>ch</strong> bespro<strong>ch</strong>en wurde, bra<strong>ch</strong>te das Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en Idee und Wort ins Spiel<br />
und warf die Frage auf, wie es denn überhaupt kommt, dass die geselligen Mens<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong><br />
gegenseitig verstehen; er fand wohl au<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> die Antwort dazu: weil die Grundideen der<br />
Mens<strong>ch</strong>en im wesentli<strong>ch</strong>en dieselben seien. Locke, der si<strong>ch</strong> mit Bacon auf Hobbes gegen<br />
Descartes bezog, deckte die semantis<strong>ch</strong>en Differenzen zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen Spra<strong>ch</strong>en<br />
auf und betonte den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en den Spra<strong>ch</strong>en und vor allem die Arbitrarität der<br />
Wörter zum ersten Mal. Die einzelspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Semantik bezei<strong>ch</strong>nete Locke als eine Katastrophe<br />
des Denkens, sozusagen als eine Geistes-Krankheit, die man heilen muss. John Locke (1632-<br />
1704) erkannte sogar eine politis<strong>ch</strong>e Komponente, indem er auf die Unvollkommenheiten der<br />
Spra<strong>ch</strong>e hinwies, deren Beiseiteräumen einen wesentli<strong>ch</strong>en Beitrag ni<strong>ch</strong>t nur zur Erkenntnis und<br />
zum Wissen, sondern au<strong>ch</strong> zum Frieden leisten würde.<br />
Dann meldeten si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> zwei weitere und etwas weniger bekannte Spra<strong>ch</strong>philosophen<br />
zu Wort: Der Franzose Condillac und der Italiener Vico. Der Logiker Étienne Bonnot de<br />
Condillac (1714-80), der auf Locke antwortete, stellte im Essai „Über die Spra<strong>ch</strong>e und die<br />
Methode“ am Ende die Frage, wie wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Spre<strong>ch</strong>en mögli<strong>ch</strong> sei angesi<strong>ch</strong>ts der<br />
Tatsa<strong>ch</strong>e, dass die raison auf mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Zei<strong>ch</strong>en aufbaut. Für Condillac war die gesamte<br />
Spanne vom Ursprung der Spra<strong>ch</strong>e <strong>bis</strong> zum génie des langues im wesentli<strong>ch</strong>en Vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
der Neuen Wissens<strong>ch</strong>aft und der für ihre Zwecke zu reformierenden Spra<strong>ch</strong>e. In der<br />
Französis<strong>ch</strong>en Revolution setzte si<strong>ch</strong> die Condillac-Lockes<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>auffassung dur<strong>ch</strong>, dass<br />
Spra<strong>ch</strong>e und Denken eng miteinander verbunden seien. Aber die Revolutionäre, die wussten,<br />
dass man Spra<strong>ch</strong>e zum Denken brau<strong>ch</strong>t und dass die Spra<strong>ch</strong>e mit den Ideen verknüpft ist,<br />
nahmen si<strong>ch</strong> aus diesem <strong>Spra<strong>ch</strong>denken</strong> nur dasjenige heraus, das für ihre Zwecke verwendbar<br />
war, so die Spra<strong>ch</strong>-Kritik und die Reform-Vors<strong>ch</strong>läge für wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Spre<strong>ch</strong>en. Das<br />
peinli<strong>ch</strong>e Problem der Revolution war, dass das einfa<strong>ch</strong>e Volk, die Bauern, die Spra<strong>ch</strong>e, die die<br />
Pariser Intellektuellen spra<strong>ch</strong>en, nur geringfügig verstand und die Prinzipien der Wissens<strong>ch</strong>aft<br />
ihm gar völlig fremd waren. Die Unternehmung, das Volk in seinen vers<strong>ch</strong>iedenen Idiomen zu<br />
informieren, s<strong>ch</strong>eiterte angesi<strong>ch</strong>ts der Vielzahl der Dialekte und Spra<strong>ch</strong>en in Frankrei<strong>ch</strong>. Aus<br />
der Bemühung, die babelis<strong>ch</strong>en Zustände im Ancien Régime zu beseitigen, sollte die<br />
französis<strong>ch</strong>e Ho<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>e hervorgehen.<br />
7
Die Spra<strong>ch</strong>envielfalt wird salonfähig<br />
Was Locke no<strong>ch</strong> als willkürli<strong>ch</strong>e Unordnung und Lärm verdammt hatte, hiess Condillac<br />
das bunte Treiben der Spra<strong>ch</strong>en willkommen, und der Deuts<strong>ch</strong>e Gottfried Wilhelm Leibniz<br />
(1646-1716) begrüsste die Vers<strong>ch</strong>iedenheit der Spra<strong>ch</strong>en in den „Nouveaux Essais“ geradezu<br />
enthusiastis<strong>ch</strong>. In seinem „akroamatis<strong>ch</strong>en“ Ansatz und in seiner pneumatis<strong>ch</strong>en Grundhaltung<br />
nahm Leibniz das Atmen, Klingen und Hören der Spra<strong>ch</strong>en wahr und sah in den Spra<strong>ch</strong>en<br />
harmonis<strong>ch</strong>e, kon-spirierende Zusammenhänge, also eine harmonia linguarum, ganz im<br />
Gegenteil zum Lärm, den Locke bei den Spra<strong>ch</strong>en no<strong>ch</strong> verabs<strong>ch</strong>eut hatte. Die Natürli<strong>ch</strong>keit der<br />
Spra<strong>ch</strong>en sei allerdings dur<strong>ch</strong> die historis<strong>ch</strong>e Entwicklung kaum mehr spürbar, weil die<br />
Spra<strong>ch</strong>en „extrem verändert“ seien und ihr Ursprung vers<strong>ch</strong>üttet sei. Glei<strong>ch</strong>zeitig versu<strong>ch</strong>te<br />
Leibniz, Lockes Theorie der Willkürli<strong>ch</strong>keit und Arbitrarität der Spra<strong>ch</strong>en zu widerlegen. Mit<br />
seiner Forderung, alle Spra<strong>ch</strong>en zu dokumentieren und miteinander zu verglei<strong>ch</strong>en, legte<br />
Leibniz das Fundament der historis<strong>ch</strong>-verglei<strong>ch</strong>endes Linguistik, die er als kognitive<br />
Wissens<strong>ch</strong>aft verstand und die im 19. Jahrhundert ihre Blüte erleben sollte. Die Spra<strong>ch</strong>enfrage<br />
führte Leibniz ausserdem – ähnli<strong>ch</strong> wie bei Bacon, Wilkins, Dalgarno und Descartes, zur Frage<br />
der bewusst ges<strong>ch</strong>affenen Spra<strong>ch</strong>e bzw. der neutralen Universalspra<strong>ch</strong>e (S. 182, 191), was<br />
Humboldt für einen Irrweg des Denkens halten wird.<br />
Zu den eins<strong>ch</strong>lägigen Spra<strong>ch</strong>na<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>lagewerken des 16. Jahrhunderts ist unbedingt der<br />
„Mithridates“ (1555) des Zür<strong>ch</strong>ers Conrad(us) Gesner(us) (1516-1565) zu nennen, ein Bu<strong>ch</strong><br />
von 160 kleinen Seit<strong>ch</strong>en, das das Wesen und die Verwandts<strong>ch</strong>aft der Spra<strong>ch</strong>en dokumentierte.<br />
Gesner war Polyhistor, Bibliograph und Naturfors<strong>ch</strong>er, erhielt den Beinamen des „deuts<strong>ch</strong>en<br />
Plinius“, studierte in Strassburg, Bourges, Paris und Basel Philosophie, Spra<strong>ch</strong>en und Medizin.<br />
1537 wurde er Professor der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e in Lausanne, na<strong>ch</strong> weiteren medizinis<strong>ch</strong>en<br />
Studien 1541 Professor der Physik und Arzt in Züri<strong>ch</strong>. König Mithridates von Pontos wurde in<br />
der Antike berühmt, ni<strong>ch</strong>t nur weil er hartnäckigen Widerstand gegen das Römis<strong>ch</strong>e Rei<strong>ch</strong><br />
geleistet hatte, sondern weil er si<strong>ch</strong> wegen seiner Kenntnis zahlrei<strong>ch</strong>er Spra<strong>ch</strong>en mit den<br />
Angehörigen der einzelnen Völkern verständigen konnte. Dur<strong>ch</strong> die Weiterentwicklung des<br />
„Mithridates“ lagen 1817 über 3000 Seiten der Neuausgabe vor.<br />
Im Zusammenhang mit der Erfors<strong>ch</strong>ung der einzelnen Spra<strong>ch</strong>en kamen einige Autoren<br />
auf die Idee, die eigene Spra<strong>ch</strong>e (wie in einem Fall das Niederländis<strong>ch</strong>e) als die Urspra<strong>ch</strong>e der<br />
Mens<strong>ch</strong>heit na<strong>ch</strong>zuweisen, man beoba<strong>ch</strong>tet hier eine ethnozentris<strong>ch</strong>e (bzw. nationalistis<strong>ch</strong>e)<br />
Anmassung, die Leibniz ablehnte. Gerade die Nationalstaaten waren <strong>bis</strong> ins 20. Jahrhundert<br />
hinein die Killer der kleineren Spra<strong>ch</strong>en, die auf ihren Territorien verwendet wurden. Paradox<br />
ist, dass einige der grossen Staats- und Kulturspra<strong>ch</strong>en nun selbst Opfer der Globalisierung<br />
geworden sind, wie Trabant zutiefst bedauert. Wie die alten Dialekte ruts<strong>ch</strong>en die modernen<br />
Nationalspra<strong>ch</strong>en ins Private und Folkloristis<strong>ch</strong>e (was der EU-Kommission, die die Doktrin der<br />
Mehrspra<strong>ch</strong>igkeit in Europa vertritt, zu denken geben sollte. aK).<br />
Spra<strong>ch</strong>verglei<strong>ch</strong>e<br />
Ein Blick na<strong>ch</strong> Russland: Leibniz hatte Peter den Grossen auf die Notwendigkeit der<br />
Erfors<strong>ch</strong>ung der Spra<strong>ch</strong>en des Russis<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>es hingewiesen, denn er vermutete, dass die<br />
lingua antiquissima, bevor sie dur<strong>ch</strong> Vermis<strong>ch</strong>ung und Verderbnis <strong>bis</strong> zur Unkenntli<strong>ch</strong>keit<br />
verändert wurde, auf dem ganzen eurasis<strong>ch</strong>en Kontinent <strong>bis</strong> na<strong>ch</strong> China verbreitet gewesen sein<br />
muss. Das Russis<strong>ch</strong>e Rei<strong>ch</strong> war daher gewissermassen das natürli<strong>ch</strong>e Fors<strong>ch</strong>ungsgebiet für die<br />
Rekonstruktion der Urspra<strong>ch</strong>e, so dass si<strong>ch</strong> Leibniz gerade von der Spra<strong>ch</strong>fors<strong>ch</strong>ung in<br />
Russland die Förderung der „Erkenntnis des Ursprungs der Nationen“ verspra<strong>ch</strong>, wie er in<br />
8
einem Brief an den Zaren s<strong>ch</strong>rieb. Katharina II. hat dann die Leibnizs<strong>ch</strong>e Aufforderung<br />
aufgegriffen und si<strong>ch</strong> sogar selber an die spra<strong>ch</strong>verglei<strong>ch</strong>ende Arbeit gema<strong>ch</strong>t. Sie beauftragte<br />
Peter Simon Pallas mit der Vollendung dieser Arbeit, die dieser in zwei Bänden 1786 und 1789<br />
unter dem Titel „Linguarum totius or<strong>bis</strong> vocabularia comparativa“ (Verglei<strong>ch</strong>ende<br />
Vokabularien der Spra<strong>ch</strong>en der ganzen Welt) in Sankt Petersburg veröffentli<strong>ch</strong>te. (s. 230-231).<br />
Pallas’ Sammlung umfasste Wörter aus 149 asiatis<strong>ch</strong>en und 51 europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en. Ein<br />
anderer damals ers<strong>ch</strong>ienener Spra<strong>ch</strong>enkatalog war der „Catalogo delle lingue“ von Lorenzo<br />
Hervás (1735-1809), einem spanis<strong>ch</strong>en Jesuiten, der zumeist in Rom lebte und der als eine Art<br />
Spra<strong>ch</strong>-Ar<strong>ch</strong>ivar fungierte. Ein anderes Werk von Hervás war der „Saggio pratico“, eine Art<br />
„Mithridates“, der das Vaterunser in 307 Spra<strong>ch</strong>en vorführte, aber zusätzli<strong>ch</strong> mit einem<br />
lexikalis<strong>ch</strong>-grammatis<strong>ch</strong>en Kommentar versah. Diese sogenannte Interlinearversion stellte<br />
sozusagen den ersten S<strong>ch</strong>ritt der modernen strukturellen Bes<strong>ch</strong>reibung einer unbekannten<br />
Spra<strong>ch</strong>e dar – ein <strong>bis</strong> heute angewendetes Verfahren. Dann gab es no<strong>ch</strong> Johann Christoph<br />
Adelung (1732-1806), der als Bibliothekar, Lexikograph und germanistis<strong>ch</strong>er Spra<strong>ch</strong>enkundler<br />
arbeitete und, ans<strong>ch</strong>liessend an Gesners „Mithridates“, ein grosses Werk der Bes<strong>ch</strong>reibung aller<br />
Spra<strong>ch</strong>en der Welt begann, das von Johann Severin Vater (1771-1826), beide aus dem<br />
ostmitteldeuts<strong>ch</strong>en Raum stammend, weitergeführt wurde. Adelung gehörte zu den Ersten,<br />
denen bei der Darstellung des Sanskrit Ähnli<strong>ch</strong>keiten mit europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en auffielen.<br />
Diese Parallelers<strong>ch</strong>einungen elektrisierte die Zeitgenossen. Ein sol<strong>ch</strong>er moderner catalogo delle<br />
lingue wäre heute etwa bei Haarmann („Kleines Lexikon der Spra<strong>ch</strong>en. <strong>Von</strong> Albanis<strong>ch</strong> <strong>bis</strong><br />
Zulu“) oder unter www.ethnologue.com zu finden.<br />
Zwar stand au<strong>ch</strong> der neapolitanis<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ts- und Re<strong>ch</strong>tsphilosoph Giambattista<br />
Vico (1668-1744), der einen Lehrstuhl für Rhetorik innehatte, in Leibnizens Tradition, wobei er<br />
im Unters<strong>ch</strong>ied zu diesem jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t von einer bestimmten historis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e als<br />
Urspra<strong>ch</strong>e und von keinem historis<strong>ch</strong>en Urvolk ausging, wie andere Spekulanten si<strong>ch</strong> dessen<br />
befleissigten. Vicos universalistis<strong>ch</strong>e Überzeugung war es, dass alle Völker in vers<strong>ch</strong>iedenen<br />
Zeiten und Ländern ihren mondo civile na<strong>ch</strong> denselben Gesetzmässigkeiten organisieren sollten.<br />
Loslösung der Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft von der Philosophie<br />
Herder bedeutete eine Zäsur im europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>diskurs. (Kap. 6) Obwohl die<br />
Ho<strong>ch</strong>rangigkeit seiner Theorien für die Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft kritisiert worden ist, sieht Trabant in<br />
seinen Auffassungen einen ents<strong>ch</strong>eidenden Neuansatz zu einer autonomen wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Thematisierung der Spra<strong>ch</strong>e, die in Folgendem begründet ist:<br />
Mit Johann Gottfried Herder (1744-1803) verwandelte si<strong>ch</strong> Philosophie in eine<br />
Anthropologie , wohl als eine Art Personifizierung oder Individualisierung der Spra<strong>ch</strong>en zu<br />
verstehen, die ein physiologis<strong>ch</strong>es bzw. typologis<strong>ch</strong>es Gesi<strong>ch</strong>t erhalten. Der spra<strong>ch</strong>losen<br />
Philosophie der reinen Vernunft bei Kant setzte Herder eine Philosophie der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />
Vernunft entgegen; d ie Spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit der Vernunft ma<strong>ch</strong>te Herders Anthropologie zu einer<br />
Philosophie der Spra<strong>ch</strong>e. Die Entwicklung von der Spra<strong>ch</strong>philosophie zur Spra<strong>ch</strong>analyse, d.h.<br />
die Loslösung der Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft von der Philosophie, war der eigentli<strong>ch</strong>e eins<strong>ch</strong>neidende<br />
S<strong>ch</strong>ritt. Dies war neu, und Humboldt folgte Herder in dieser Hinsi<strong>ch</strong>t. Herder ist no<strong>ch</strong> heute ein<br />
von Philosophen ein (zu Unre<strong>ch</strong>t) eher verna<strong>ch</strong>lässigter Autor, da man in seiner Lehre etwas<br />
Blasphemis<strong>ch</strong>es sah: den Einbru<strong>ch</strong> des Empiris<strong>ch</strong>en, Partikularen und Historis<strong>ch</strong>en in das reine<br />
universelle Denken der Philosophie. Trotz der rei<strong>ch</strong>en Tradition der Spra<strong>ch</strong>reflexion, die er<br />
<strong>bis</strong>her erörterte, befindet Trabant, dass Herders Spra<strong>ch</strong>abhandlung erstmals, seit Dante, wieder<br />
die Leidens<strong>ch</strong>aft des Na<strong>ch</strong>denkens über die Spra<strong>ch</strong>e und ihren Ursprung enthalten habe, mit<br />
evidenten Konsequenzen, wie no<strong>ch</strong> zu zeigen sein wird. Ausserdem bra<strong>ch</strong>te der Ostpreusse<br />
9
Herder, der au<strong>ch</strong> in Riga lehrte, seine multiple spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e und kulturelle Erfahrung vom<br />
östli<strong>ch</strong>en Rand ins Zentrum Europas ein, wo sie diskutiert wurde. Seine berühmte Abhandlung<br />
„Über den Ursprung der Spra<strong>ch</strong>e“ (1772) wurde von der Berliner Akademie ni<strong>ch</strong>t ohne Grund<br />
mit einem Preis gekrönt.<br />
In Herders aufkläreris<strong>ch</strong>e Zeit fiel au<strong>ch</strong> das Denken und Wirken Jean-Jacques<br />
Rousseaus (1712-1778), des berühmten französis<strong>ch</strong>-s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>riftstellers,<br />
Philosophen, Pädagogen und Komponisten. Er leitete Spra<strong>ch</strong>e aus der Leidens<strong>ch</strong>aft (passion) ab<br />
und klagte darüber, dass die Spra<strong>ch</strong>e in ihrer historis<strong>ch</strong>en Entwicklung die s<strong>ch</strong>öne Poesie, das<br />
Liebeslied des Anfangs hinter si<strong>ch</strong> gelassen habe. Der Klang der Liebesleidens<strong>ch</strong>aft sei die<br />
eigentli<strong>ch</strong>e, „ri<strong>ch</strong>tige“ Spra<strong>ch</strong>e des Mens<strong>ch</strong>en, die von Rationalität, der Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit<br />
und der Moderne zerstört worden sei.<br />
Tendenzen der modernen Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft<br />
Die Geburtsstunde der modernen historis<strong>ch</strong>-verglei<strong>ch</strong>enden Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft – und<br />
der Typologie der Spra<strong>ch</strong>en - s<strong>ch</strong>lug mit Franz Bopps „Conjugationssystem“ und 1819 mit dem<br />
ersten Band von Jacob Grimms „Deuts<strong>ch</strong>er Grammatik“. Natürli<strong>ch</strong> stand diese<br />
Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft no<strong>ch</strong> auf s<strong>ch</strong>wankendem Grund. Aber eine ganze Reihe von Linguisten<br />
begannen si<strong>ch</strong> mit ihren Problemen zu befassen: Benfey, Vilhelm Thomsen, William Jones, die<br />
Gebrüder Friedri<strong>ch</strong> und August Wilhelm S<strong>ch</strong>legel u.a. Dem Letztgenannten ging es darum, die<br />
Erneuerung des europäis<strong>ch</strong>en Geistes aus dem Geiste Indiens zu vollziehen, so wie si<strong>ch</strong> Europa<br />
im 15. und 16. Jahrhundert dur<strong>ch</strong> die Wiederentdeckung Grie<strong>ch</strong>enlands geistig erneuert hatte.<br />
Im indis<strong>ch</strong>en Sanskrit wurde die grösste Verwandts<strong>ch</strong>aft mit der römis<strong>ch</strong>en, grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en,<br />
germanis<strong>ch</strong>en und persis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e gesehen: Das wohl klassis<strong>ch</strong>ste Verglei<strong>ch</strong>beispiel ist<br />
Sanskrit pitar, bhratar und matar, das mit dem Lateinis<strong>ch</strong>en pater, frater, mater und dem<br />
Deuts<strong>ch</strong>en Vater, Bruder, Mutter übereinstimmen soll. Indis<strong>ch</strong>e Texte wurden ins Lateinis<strong>ch</strong>e<br />
übersetzt! Dies bedeutete glei<strong>ch</strong>zeitig den Beginn der Altertumskunde. Denno<strong>ch</strong> ging Friedri<strong>ch</strong><br />
S<strong>ch</strong>legel (1772-1829) von der irrigen Annahme aus, dass Sanskrit ni<strong>ch</strong>t nur die Mutter der<br />
europäis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en sei, sondern er ging so weit, im Sanskrit eine der Urspra<strong>ch</strong>en der<br />
Mens<strong>ch</strong>heit zu sehen.<br />
Franz Bopp (1791-1867), der als Begründer der historis<strong>ch</strong>-verglei<strong>ch</strong>enden<br />
indogermanis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft gilt, interessierte si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr für die Spra<strong>ch</strong>e als<br />
Erkenntnis, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t für Texte, sondern vorwiegend für die Genealogie der Spra<strong>ch</strong>en, d.h. für<br />
die verwandts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Beziehungen der Spra<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> ihre strukturell-grammatis<strong>ch</strong>en<br />
Übereinstimmungen untereinander, also für die Spra<strong>ch</strong>e an und für si<strong>ch</strong>, wie dies bei dem<br />
Genfer Ferdinand de Saussure, dem Begründer der strukturalistis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft im<br />
20. Jahrhundert, der Fall sein wird. Die Spra<strong>ch</strong>e ist vox, ni<strong>ch</strong>ts anderes. Foucault stellte fest,<br />
dass das ganze Wesen der Spra<strong>ch</strong>e lautli<strong>ch</strong> sei, obwohl er na<strong>ch</strong> Trabant den sonoren Charakter<br />
der Spra<strong>ch</strong>e dem kognitiven Charakter gegenüber im klassis<strong>ch</strong>en philosophis<strong>ch</strong>en <strong>Spra<strong>ch</strong>denken</strong><br />
übertrieb. So wird die Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft in ihrem harten Kern von Bopp und au<strong>ch</strong> von August<br />
S<strong>ch</strong>lei<strong>ch</strong>er – in erster Linie als Naturwissens<strong>ch</strong>aft verstanden und ni<strong>ch</strong>t als Philologie.<br />
Mit dem deuts<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>- und Literaturwissens<strong>ch</strong>aftler Jacob Ludwig Karl Grimm<br />
(1785-1863) nahm die Linguistik grosse konkrete S<strong>ch</strong>ritte vorwärts. Grimm entdeckte die<br />
historis<strong>ch</strong>en Regelmässigkeiten des Lautwandels und formulierte die Lautgesetze. Grimms<br />
Arbeiten waren dermassen erfolgrei<strong>ch</strong>, dass na<strong>ch</strong> seinem Modell verglei<strong>ch</strong>ende Grammatiken<br />
erstellt wurden. August S<strong>ch</strong>lei<strong>ch</strong>er (1821-1868) führte die „Stern<strong>ch</strong>en-Formen“ der hypothetis<strong>ch</strong><br />
rekonstruierten indogermanis<strong>ch</strong>en Urspra<strong>ch</strong>e ein und erzählte 1868 die Fabel vom S<strong>ch</strong>af und<br />
10
den Rossen auf Indogermanis<strong>ch</strong> (Text s. S. 249). Die positivistis<strong>ch</strong>en Junggrammatiker<br />
(Brugmann, Leskien u.a.), für die die Spra<strong>ch</strong>en auf einer streng naturwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Fors<strong>ch</strong>ungslogik zu bestehen hatten, werden die indogermanis<strong>ch</strong>e Grammatik no<strong>ch</strong> einmal<br />
ums<strong>ch</strong>reiben. Ihrer Auffassung na<strong>ch</strong> finden Spra<strong>ch</strong>veränderungen ausnahmslos auf der<br />
Grundlage naturgegebener Lautgesetze statt.<br />
Die <strong>bis</strong>herigen linguistis<strong>ch</strong>en deskriptiven Konzepte mündeten im 20. Jahrhundert in die<br />
beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Anstrengungen der europäis<strong>ch</strong>en Nationen, die si<strong>ch</strong><br />
daran ma<strong>ch</strong>ten, ihre National- oder Staats-Spra<strong>ch</strong>en wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> in den Griff zu bekommen<br />
– <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong> waren die Projekte der Historiographie der Nationalspra<strong>ch</strong>en, die <strong>bis</strong> zum<br />
heutigen Tag andauern, au<strong>ch</strong> wenn si<strong>ch</strong> die Linguistik inzwis<strong>ch</strong>en andere Prioritäten gesetzt hat.<br />
Humboldt<br />
Bei den Gebrüdern Humboldt sind Wilhelm (1767-1835) und Alexander (1769-1859)<br />
voneinander zu halten. Beide befassten si<strong>ch</strong> mit Spra<strong>ch</strong>en und Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft. Alexander<br />
war der berühmtere von beiden und derjenige, der 1799 na<strong>ch</strong> Amerika aufbra<strong>ch</strong>, während<br />
Wilhelm aus Tegel den Kontinent nie verliess, aber zu den Basken reiste und ihre eigentümli<strong>ch</strong>e<br />
Spra<strong>ch</strong>e erfors<strong>ch</strong>te. Die Faszination des Baskis<strong>ch</strong>en liess ihn zeitlebens ni<strong>ch</strong>t mehr los und<br />
beeinflusste sein spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Denken. Die Exotik des Baskis<strong>ch</strong>en wurde ein Beitrag zum<br />
Aufbru<strong>ch</strong> in das moderne <strong>Spra<strong>ch</strong>denken</strong> und Wilhelm selbst zur Enzyklopädie der Spra<strong>ch</strong>en,<br />
wohl einzigartig in seiner Zeit. Sein Bruder versorgte Wilhelm, der in Rom lebte und mit<br />
Hervás in wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>em Austaus<strong>ch</strong> stand, mit linguistis<strong>ch</strong>em Material aus Amerika, das<br />
Wilhelm verwertete. Dieser sah in der Spra<strong>ch</strong>e ein organis<strong>ch</strong>es Wesen, das als sol<strong>ch</strong>es zu<br />
behandeln sei. Spra<strong>ch</strong>e sei ferner Mit-Denken, ein Miteinander-Spre<strong>ch</strong>en-Denken, sie sei also<br />
ni<strong>ch</strong>t nur Synthese von Laut und Gedanken, sondern au<strong>ch</strong> Synthese von Kognition und<br />
Kommunikation. Die inneren Zusammenhänge und die Analogien der Spra<strong>ch</strong>en seien die<br />
Grundprinzipien der strukturellen Bes<strong>ch</strong>reibung der Spra<strong>ch</strong>en, wie sie für die deskriptivsyn<strong>ch</strong>rone<br />
Linguistik des 20. Jahrhunderts bestimmend wurden. Na<strong>ch</strong> Humboldts berühmtester<br />
Definition der Spra<strong>ch</strong>e ist diese also etwas Beständiges und in jedem Augenblicke<br />
Vorübergehendes, Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Tätigkeit (Energeia). Sie ist<br />
die si<strong>ch</strong> ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den artikulierten Laut zum Ausdruck des<br />
Gedanken fähig zu ma<strong>ch</strong>en. Der Fokus der Humboldts<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>auffassung liegt also ni<strong>ch</strong>t<br />
auf der langue, sondern auf dem Gebrau<strong>ch</strong> der Spra<strong>ch</strong>e, d.h. auf der konkreten spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />
Tätigkeit.<br />
Leipzig und das deuts<strong>ch</strong>e Modell wurden selbst für die amerikanis<strong>ch</strong>e Linguistik<br />
massgebend. Ein wi<strong>ch</strong>tiges Ereignis war 1822 au<strong>ch</strong> die Entzifferung der ägyptis<strong>ch</strong>en<br />
Hieroglyphen, die Humboldt bekannt ma<strong>ch</strong>te, dur<strong>ch</strong> Champollion. Das 19. Jahrhundert sah die<br />
Vers<strong>ch</strong>ärfung des Konflikts zwis<strong>ch</strong>en Philologie und Linguistik, die Wilhelm von Humboldt<br />
no<strong>ch</strong> versu<strong>ch</strong>te, zusammenzuhalten, indem er die beiden Disziplinen zumindest<br />
zusammenda<strong>ch</strong>te, aber die Ents<strong>ch</strong>ärfung des Widerspru<strong>ch</strong>s gelang ihm ni<strong>ch</strong>t ganz. Um 1900<br />
begann der hundertjährige Krieg der analytis<strong>ch</strong>en Philosophie gegen die Spra<strong>ch</strong>e, die der<br />
Wahrheit abträgli<strong>ch</strong> sei (S. 298).<br />
Ernst Cassirer (1874-1945), der aus Breslau gebürtige Kulturphilosoph, Erkenntnisund<br />
Wissens<strong>ch</strong>aftstheoretiker, der 1939 s<strong>ch</strong>wedis<strong>ch</strong>er Staatsbürger wurde, wird die Denk-<br />
Bewegung, die Humboldt hundert Jahre früher vollzogen hatte, wiederholen: Wie Humboldt die<br />
Spra<strong>ch</strong>e in das – spra<strong>ch</strong>lose – Kantis<strong>ch</strong>e System hineingeda<strong>ch</strong>t hatte, so stellte Cassirer ni<strong>ch</strong>t<br />
nur die Spra<strong>ch</strong>e, sondern Zei<strong>ch</strong>en überhaupt (als „symbolis<strong>ch</strong>e Formen“ verstanden) in das –<br />
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spra<strong>ch</strong>lose – neukantianis<strong>ch</strong>e Denken und gegen die spra<strong>ch</strong>lose Phänomenologie, vermerkt<br />
Trabant.<br />
Interessant sind Trabants Ausführungen zur weiteren Entwicklung. Zwar haben die<br />
Universitäten (in Deuts<strong>ch</strong>land) die beiden Disziplinen in ihren Studiengängen no<strong>ch</strong><br />
zusammengehalten, aber in den Köpfen der Fors<strong>ch</strong>er spiele der Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en<br />
Texten und Spra<strong>ch</strong>en so gut wie keine Rolle mehr. Spra<strong>ch</strong>en und Texte blieben als<br />
„S<strong>ch</strong>eidungswaisen“ zurück, wie Trabant auf S. 290 s<strong>ch</strong>lussfolgert, Spra<strong>ch</strong>- und<br />
Literaturwissens<strong>ch</strong>aft s<strong>ch</strong>einen einander ni<strong>ch</strong>ts mehr zu sagen zu haben. In Amerika hatte<br />
Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft sowieso nie viel mit Literatur zu tun (und in Russland wurden und werden<br />
die Fä<strong>ch</strong>er ebenfalls getrennt gelehrt. aK). Kommt dazu, dass der Gegenstand der Linguistik<br />
kaum no<strong>ch</strong> etwas mit den konkreten Spra<strong>ch</strong>en zu tun hat, und bei den Philologen hat die Sorge<br />
um den geliebten Text (amore e cognizione) samt Spra<strong>ch</strong>e kaum mehr eine Funktion. Unter dem<br />
Etikett der Literatur-Wissens<strong>ch</strong>aft werden vielmehr politis<strong>ch</strong>e, historis<strong>ch</strong>e, ideologis<strong>ch</strong>e,<br />
philosophis<strong>ch</strong>e, kulturelle und sexuelle Motive traktiert, die zweifellos bedeutsam sind, denn die<br />
Textwissens<strong>ch</strong>aftler wollen ihrerseits ni<strong>ch</strong>ts mehr mit den Texten zu tun haben. Trabant geht so<br />
weit und ma<strong>ch</strong>t darauf aufmerksam, dass an den eins<strong>ch</strong>lägigen Instituten für Allgemeine und<br />
Verglei<strong>ch</strong>ende Literaturwissens<strong>ch</strong>aft den Spra<strong>ch</strong>en an si<strong>ch</strong> kaum no<strong>ch</strong> wirkli<strong>ch</strong>e Bea<strong>ch</strong>tung<br />
zuteil werde. Es sei denn au<strong>ch</strong> völlig egal, in wel<strong>ch</strong>er Spra<strong>ch</strong>e die Texte gelesen würden, es<br />
dürfe bitte au<strong>ch</strong> Globalesis<strong>ch</strong> sein. Aber Trabant mö<strong>ch</strong>te darüber ni<strong>ch</strong>t klagen. S<strong>ch</strong>limm sei<br />
allenfalls, so ist Trabants Einwand jedenfalls zu verstehen, dass si<strong>ch</strong> sowohl Grammatiker-<br />
Linguisten wie au<strong>ch</strong> Textwissens<strong>ch</strong>aftler „in zwei herrli<strong>ch</strong> moderne Niemandsländer“<br />
verkro<strong>ch</strong>en hätten, in denen keine bestimmte Spra<strong>ch</strong>e mehr die Bes<strong>ch</strong>äftigung mit Spra<strong>ch</strong>en und<br />
Texten störe. Das Paradies spra<strong>ch</strong>loser Globalität und globaler Spra<strong>ch</strong>losigkeit wie in der<br />
Antike postuliert s<strong>ch</strong>eint unter neuen Voraussetzungen somit verwirkli<strong>ch</strong>t worden zu sein, der<br />
Kreis hat si<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>lossen. Auf der Strecke geblieben seien Modernisierungsverlierer und eben<br />
die S<strong>ch</strong>eidungswaisen: Grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>, Latein, Deuts<strong>ch</strong>, Französis<strong>ch</strong>, Spanis<strong>ch</strong>, Italienis<strong>ch</strong>, Russis<strong>ch</strong><br />
und die Spra<strong>ch</strong>en anderer Völkerstämme der Vergangenheit. Englis<strong>ch</strong> erwähnt Trabant in dieser<br />
Liste ni<strong>ch</strong>t, und er vermeidet es au<strong>ch</strong>, explizit gegen das Englis<strong>ch</strong>e zu wettern, obwohl man<br />
spürt, dass er auf die Globanglisierung, die den Prozess der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Vereinheitli<strong>ch</strong>ung der<br />
Welt brutal fortsetze, mit Skepsis oder sogar mit Befremden reagiert (S. 322), während andere<br />
Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftler si<strong>ch</strong> vom Mainstream tragen lassen - und davon ideell und materiell<br />
profitieren (aK).<br />
Strukturalismus<br />
Für das beginnende 20. Jahrhundert aufzuführen ist in erster Linie der Name Ferdinand<br />
de Saussures (1857-1913), der zwar selbst keine Bes<strong>ch</strong>reibung der Spra<strong>ch</strong>e vorgelegt hat, aber<br />
die Grundlagen für die historis<strong>ch</strong>-dia<strong>ch</strong>ronis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>ule und den Strukturalismus legte<br />
(Opposition langue/parole).* Als sein eigentli<strong>ch</strong>er Erbe gilt der Däne Louis Hjelmslev (1899-<br />
1965), weitere wi<strong>ch</strong>tige Exponenten des Strukturalismus waren Edward Sapir (1884-1939), ein<br />
Sohn litauis<strong>ch</strong>stämmeriger Juden, und der Behaviorist Leonard Bloomfield (1887-1949) in<br />
Amerika, sowie Jan Baudouin de Courtenay (1845-1929) in Russland. Ferner spri<strong>ch</strong>t Trabant<br />
au<strong>ch</strong> die Tätigkeit der Prager S<strong>ch</strong>ule (Jakobson, Trubetzkoy) an und würdigt den deuts<strong>ch</strong>en<br />
Romanisten Karl Vossler (1872-1949). Der ebenfalls genannte Benjamin Lee Whorf (1897-<br />
1949) war zwar Chemieingenieur von Beruf und erfors<strong>ch</strong>te amerikanis<strong>ch</strong>e<br />
Eingeborenenspra<strong>ch</strong>en, wurde aber vor allem wegen der Sapir-Whorf-Hypothese bekannt.<br />
Einige Ausführungen betreffen au<strong>ch</strong> Noam Chomsky (*1928), dessen Theorien die<br />
Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten, der den Niedergang des<br />
inzwis<strong>ch</strong>en als besiegt geltenden Behaviorismus förderte, und der den Aufstieg der<br />
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Kognitionswissens<strong>ch</strong>aft zu verantworten hatte und zudem au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> die<br />
Transformationsgrammatik einführte.<br />
Nietzs<strong>ch</strong>e und Wittgenstein<br />
Den Aussenseiter Friedri<strong>ch</strong> Nietzs<strong>ch</strong>e (1844-1900), der die Spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit des Denkens<br />
no<strong>ch</strong> einmal neu erfand, lässt Trabant im letzten Kap. 7 zu Wort kommen. Zur Spra<strong>ch</strong>e äusserte<br />
si<strong>ch</strong> der radikale Kritiker in seiner Abhandlung „Über Wahrheit und Lüge im aussermoralis<strong>ch</strong>en<br />
Sinn“ von 1873, in der er Spra<strong>ch</strong>e s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t als „Lüge“, als Abkömmling des Leibli<strong>ch</strong>en<br />
darstellte. Ausserdem bestritt Nietzs<strong>ch</strong>e die Wahrheit in den Worten, anders konnte er si<strong>ch</strong> die<br />
Vielzahl der Spra<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t erklären.<br />
Der österrei<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>-britis<strong>ch</strong>e Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889-1951) s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong><br />
verstand das Spre<strong>ch</strong>en der Spra<strong>ch</strong>e als eine Art Spra<strong>ch</strong>spiel bzw. als eine Lebensform, Beispiele<br />
dazu sind Befehlen, Bes<strong>ch</strong>reiben, Vermutungen anstellen, Bitten, Reigen singen usw. Na<strong>ch</strong><br />
Wittgenstein, der die Opposition von Philosophie und Rhetorik aufgehoben hat, ist das<br />
vielfältige Spre<strong>ch</strong>en Teil der vielfältigen gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Praxis der Mens<strong>ch</strong>en. Jedes<br />
mögli<strong>ch</strong>e Spre<strong>ch</strong>en wird so zum Gegenstand der Philosophie. Der Spra<strong>ch</strong>spiel-Idee sind die<br />
Theoretiker der Spre<strong>ch</strong>akttheorie (Austin und Searle) na<strong>ch</strong>gegangen. Also bleibt die Aufgabe<br />
der Philosophie der Auseinandersetzung dieses oder jenes Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong>s na<strong>ch</strong>zugehen. „Die<br />
Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes dur<strong>ch</strong> die Spra<strong>ch</strong>e.“ Die<br />
Spra<strong>ch</strong>e ist eine Wand, gegen die der Verstand anrennt und si<strong>ch</strong> „Beulen“ holt. Weder bei<br />
Wittgenstein, no<strong>ch</strong> bei Martin Heidegger (1889-1976) findet man eine Sympathie für die<br />
wunderbare Vielfalt des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geistes in Ausprägung seiner historis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en. Mit<br />
diesen Philosophen bre<strong>ch</strong>en Trabants Betra<strong>ch</strong>tungen leider ab.<br />
Zur Bedeutung der Kohäsion zwis<strong>ch</strong>en Wissens<strong>ch</strong>aft und Spra<strong>ch</strong>(analys)e s<strong>ch</strong>reibt<br />
Trabant, der si<strong>ch</strong> am Ende seines Werk selbst als Spra<strong>ch</strong>denker vorstellt, das Folgende:<br />
„Angesi<strong>ch</strong>ts der Bedeutung, die die Wissens<strong>ch</strong>aft heute in unserer Welt spielt, kann die<br />
Wi<strong>ch</strong>tigkeit der spra<strong>ch</strong>analytis<strong>ch</strong>en Bemühungen um die Regeln des ‚vernünftigen Redens’ gar<br />
ni<strong>ch</strong>t bestritten werden. Diese Philosophie ma<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> ihre gereizte Empfindli<strong>ch</strong>keit gegenüber<br />
der natürli<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e einerseits das Ausmass deutli<strong>ch</strong>, in der unsere alltägli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e das<br />
Denken offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> determiniert. Sie ma<strong>ch</strong>t andererseits aber au<strong>ch</strong> klar, dass man für die<br />
Wissens<strong>ch</strong>aft und das präzise Denken dieses ‚unwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e’ Denken in Spra<strong>ch</strong>e<br />
disziplinieren muss und kann. Man kann dur<strong>ch</strong>aus über die Spra<strong>ch</strong>e hinausdenken, man kann<br />
und muss für das wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Spre<strong>ch</strong>en die alltägli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e ‚vertilgen’, wie Humboldt<br />
gesagt hat. Gelungene Spra<strong>ch</strong>analyse oder einfa<strong>ch</strong> eine gut geregelte Wissens<strong>ch</strong>aftsspra<strong>ch</strong>e sind<br />
damit au<strong>ch</strong> exzellente Beweise gegen den spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Relativismus, der si<strong>ch</strong> der ‚Verhexung’<br />
dur<strong>ch</strong> die Spra<strong>ch</strong>e genüssli<strong>ch</strong> oder genüssli<strong>ch</strong> klagend hingibt.“ Die Darstellung der<br />
hundertjährigen Entwicklung der analytis<strong>ch</strong>en Philosophie ist von Trabant ni<strong>ch</strong>t vorgesehen, er<br />
verweist auf eins<strong>ch</strong>lägige Einführungen in dieses Thema.<br />
Trabants Fazit: Es wäre s<strong>ch</strong>ade, wenn die einzelnen Spra<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>winden würden,<br />
denn die vers<strong>ch</strong>iedenen Spra<strong>ch</strong>en seien vers<strong>ch</strong>iedene Weisen, die Welt zu sehen, die Welt<br />
ers<strong>ch</strong>einen zu lassen, die Welt zu entdecken. Wenn es nur no<strong>ch</strong> eine Spra<strong>ch</strong>e auf der Welt geben<br />
sollte, ist viellei<strong>ch</strong>t das kommunikative Paradies verwirkli<strong>ch</strong>t, glei<strong>ch</strong>zeitig aber au<strong>ch</strong> die<br />
kognitive Hölle, ein Triumph der Dummheit. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> gehe die objektive Wahrheit aus der<br />
ganzen Kraft der subjektivem Individualität hervor, wie Humboldt 1820 in einer Rede sagte.<br />
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Bu<strong>ch</strong>kritik<br />
Trabants modern-gelehrtes Werk enthält hö<strong>ch</strong>st aufs<strong>ch</strong>lussrei<strong>ch</strong>e Ausführungen, die für<br />
philosophis<strong>ch</strong>e Laien anspru<strong>ch</strong>svoll, aber gerade no<strong>ch</strong> knapp verständli<strong>ch</strong> sind. Die<br />
Formulierungen sind teilweise etwas umständli<strong>ch</strong> und <strong>ch</strong>aotis<strong>ch</strong>. Oft versteht man ni<strong>ch</strong>t was<br />
genau gemeint ist, dies wird dur<strong>ch</strong> zahlrei<strong>ch</strong>e unübersetzte Zitate ers<strong>ch</strong>wert. Das Konzept des<br />
Bu<strong>ch</strong>es bleibt leider etwas s<strong>ch</strong>wammig: ist es ein philosophis<strong>ch</strong>es Lesebu<strong>ch</strong> oder ein<br />
Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsbu<strong>ch</strong> der Philosophie ? Viellei<strong>ch</strong>t müsste der Text zu didaktis<strong>ch</strong>en Zwecken an<br />
einigen Stellen umges<strong>ch</strong>rieben werden.<br />
Viellei<strong>ch</strong>t gibt’s au<strong>ch</strong> ein paar Widersprü<strong>ch</strong>e wie der folgende: „Bei Descartes war das<br />
Denken Denken und ni<strong>ch</strong>t Spra<strong>ch</strong>e.“ (S. 221). „Descartes hing der aristotelis<strong>ch</strong>en Meinung an,<br />
dass Spra<strong>ch</strong>e zum Kommunizieren des Geda<strong>ch</strong>ten dient und mit dem Denken eigentli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts<br />
zu tun hat.“ (S. 132).<br />
Wie in vers<strong>ch</strong>iedenen bereits ers<strong>ch</strong>ienenen Rezensionen bemängelt, fehlen<br />
Betra<strong>ch</strong>tungen über einige andere bedeutende Spra<strong>ch</strong>philosoph(i)en. An dieser Stelle kann man<br />
z.B. no<strong>ch</strong> Hildegard von Bingen für das Mittelalter und Comenius na<strong>ch</strong>tragen. Ausserdem fehlt<br />
ein Kapitel über die Haltung zur Spra<strong>ch</strong>e bei Marx und Engels, wenn s<strong>ch</strong>on von Hegel und<br />
Heidegger die Rede ist. Die beiden Namen (Marx und Engels), die für Jahrzehnte die<br />
Philosophie in der halben Welt geprägt haben und ausführli<strong>ch</strong> zu Spra<strong>ch</strong>fragen Stellung<br />
genommen haben, kommen im Personenregister überhaupt ni<strong>ch</strong>t vor. Au<strong>ch</strong> Julia Kristeva wäre<br />
als weiteres Beispiel einer (seltenen) Frau, deren Philosophie, Linguistik und Literaturtheorie<br />
die Psy<strong>ch</strong>oanalyse und den Poststrukturalismus miteinander verbindet, no<strong>ch</strong> ein zu<br />
berücksi<strong>ch</strong>tigender Name.<br />
Aus slavistis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t kommen die osteuropäis<strong>ch</strong>en Entwicklungen, die si<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong><br />
ebenfalls unter der Sonne des Abendlandes ereigneten, zu kurz: Für das Mittelalter (9. Jh.) wäre<br />
das S<strong>ch</strong>rifters<strong>ch</strong>affungs- und Missionswerk des Kyrillos und Methodios erwähnenswert (wenn<br />
man s<strong>ch</strong>on die Entzifferung der ägyptis<strong>ch</strong>en Hieroglyphen anführt), und für das 18.-/19.<br />
Jahrhundert hätte man die nationalen Emanzipationsbestrebungen slavis<strong>ch</strong>er und<br />
osteuropäis<strong>ch</strong>er Völker in Ostmitteleuropa, die au<strong>ch</strong> spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> bedingt waren, reflektieren<br />
können. Immerhin wird auf einige Entwicklungen in Russland unter Peter I. und Katharina II.<br />
hingewiesen und der Name des Slavisten Baudouin de Courtenay genannt. Ein Hinweis auf<br />
Lomonosov, den russis<strong>ch</strong>en Formalismus (S<strong>ch</strong>klovski) und den Futurismus (Chlebnikov) wäre<br />
ebenfalls von Nutzen, zumal die Prager S<strong>ch</strong>ule (Tynjanov) erwähnt wird. Au<strong>ch</strong> die sowjetis<strong>ch</strong>e<br />
Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft hat ni<strong>ch</strong>t uninteressante Facetten zu bieten.<br />
Aus der Si<strong>ch</strong>t der Interlinguistik (Wissens<strong>ch</strong>aft von den neutralen Universalspra<strong>ch</strong>en<br />
bzw. internationalen <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>) ist es erfreuli<strong>ch</strong>, dass am Rande au<strong>ch</strong> dieses Thema,<br />
zumindest im Falle Bacons und Leibniz’, kurz angespro<strong>ch</strong>en wurde. Gewöhnli<strong>ch</strong> wird diese seit<br />
immerhin etwa 1911 bestehende Disziplin in der Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft und –philosophie leider zu<br />
wenig bea<strong>ch</strong>tet bzw. ernst genommen. Das Bu<strong>ch</strong> von Trabant zeigt au<strong>ch</strong>, dass die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
des <strong>Spra<strong>ch</strong>denken</strong>s und des universalistis<strong>ch</strong>en Gedankens (s. Trabants Einführung über<br />
Mithridates im Paradies) au<strong>ch</strong> zur Idee der künstli<strong>ch</strong>en (bzw. bewusst ges<strong>ch</strong>affenen oder<br />
neutralen) Universalspra<strong>ch</strong>e geführt hat, die dann mit Volapük, Esperanto, Ido, Occidental und<br />
Interlingua, um die wi<strong>ch</strong>tigsten aposterioris<strong>ch</strong>en Projekte zu nennen, in die Tat umgesetzt<br />
wurde. Unter ihnen hat si<strong>ch</strong> Esperanto erfolgrei<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>gesetzt, au<strong>ch</strong> wenn es (no<strong>ch</strong>) ni<strong>ch</strong>t zur<br />
gewüns<strong>ch</strong>ten lingua franca der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Institutionen geworden ist, wie ni<strong>ch</strong>t nur von der<br />
Esperanto-Bewegung selbst postuliert, sondern au<strong>ch</strong> direkt vom Völkerbund und von der<br />
Unesco in eins<strong>ch</strong>lägigen Resolutionen suggeriert wurde. Immerhin wurde das<br />
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Universalspra<strong>ch</strong>en-Thema in der jüngeren Literatur etwa in Umberto Ecos Bu<strong>ch</strong> „Auf der Su<strong>ch</strong>e<br />
na<strong>ch</strong> der vollkommenen Spra<strong>ch</strong>e“ (1994) ausführli<strong>ch</strong> gewürdigt (dieser Titel ist in Trabants<br />
Bibliographie notiert).<br />
Gut ist au<strong>ch</strong>, dass Trabant si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>eut, zu vielen Fragen persönli<strong>ch</strong> Stellung zu<br />
nehmen, dies ma<strong>ch</strong>t das Werk lebendig. Nur besteht man<strong>ch</strong>mal die Gefahr der gesteigerten<br />
Interpretationslust im Sinne von zuviel des Guten.<br />
So wie es unmögli<strong>ch</strong> ist, Trabants engagiertes Bu<strong>ch</strong> bzw. dessen Inhalt au<strong>ch</strong> nur<br />
annähernd gründli<strong>ch</strong> zu bespre<strong>ch</strong>en, so ist si<strong>ch</strong> der Autor seiner „sträfli<strong>ch</strong>en Verkürzung“ (S.<br />
117) des Themas bewusst. Insgesamt ist das Werk, dessen erste Auflage unter dem Titel<br />
„Mithridates im Paradies. Kleine Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des <strong>Spra<strong>ch</strong>denken</strong>s“ im Jahr 2003 ers<strong>ch</strong>ienen war,<br />
ein notizenrei<strong>ch</strong>es Bu<strong>ch</strong>, das einen kräftigen Eindruck über das europäis<strong>ch</strong>e <strong>Spra<strong>ch</strong>denken</strong> von<br />
den Anfängen <strong>bis</strong> in die moderne Zeit vermittelt und viele spannende Anregungen für vertiefte<br />
Studien liefert. Übrig bleibt der methodis<strong>ch</strong>e Verglei<strong>ch</strong> mit Coserius „Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der<br />
Spra<strong>ch</strong>philosophie“ von 1968-71 (die 2003 bei UTB neu ers<strong>ch</strong>ienen ist).<br />
Man kann gespannt sein auf das neue Bu<strong>ch</strong> von Trabant „Was ist Spra<strong>ch</strong>e ?“, das für<br />
März 2008 im Verlag C.H. Beck angekündigt ist.<br />
Andreas Künzli (planspra<strong>ch</strong>en.<strong>ch</strong>), Januar 2008.<br />
* Weitgehend unbekannt ist der Umstand, dass der Bruder Ferdinand de Saussures, René (1868-1943),<br />
ein Esperantist (seit 1906) war und si<strong>ch</strong> zeitlebens wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> (aber etwas <strong>ch</strong>aotis<strong>ch</strong>) mit<br />
Universalspra<strong>ch</strong>en bes<strong>ch</strong>äftigte, um die Interlinguistik mitzubegründen. Übrigens hielten sowohl<br />
Ferdinand de Saussure als au<strong>ch</strong> Baudouin de Courtenay neutrale <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> für mögli<strong>ch</strong> und sinnvoll<br />
(Esperanto ist in Ferdinands „Cours de linguistique générale“ erwähnt und Baudouin hat si<strong>ch</strong> zu diesem<br />
Thema ausführli<strong>ch</strong> geäussert).<br />
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