TEXT: OLIVER TSCHURTSCHENTHALER PHOTOS: LUIGI CAPUTO

Wenn nach der Vorstellung der Vorhang fällt und die Gäste
nach Hause gehen, was passiert dann hinter der Bühne?
„Dann geht es für uns erst richtig los. Die Vorstellung ist nur
ein Teil der Aufgaben, die die Kollegen am Abend zu bewältigen
haben. Die aufwendigere Arbeit besteht oft in den Umbauten
für die nächsten Proben bzw. Vorstellungen. In der
Nacht wird noch bis drei oder vier Uhr vorbereitet, was am
nächsten Tag um acht Uhr auf der Bühne sein muss. Das
kann die Konzertmuschel für eine Orchesterprobe sein, ein
anderes Bühnenbild, in dem geprobt wird, aber auch Teile
einer Oper, die erst für das nächste Jahr gebraucht werden.
Während der Festspiele wird auf oder hinter der Bühne vielleicht
nicht 24 Stunden, aber zumindest 21 oder 22 Stunden
gearbeitet.“
Und was geschieht während einer Vorstellung unsichtbar
für die Zuschauer hinter den Kulissen?
„Das hängt vom Stück ab“, sagt Kretschmer. „Bei einem
Einakter wie Salome baut die Mannschaft die Bühne auf und
80% der Mitarbeiter kommen erst wieder, wenn die Vorstellung
zu Ende ist, um für den nächsten Tag umzubauen. Wenn es
sich aber um eine Oper wie die Zauberflöte handelt, dann ist
hinter der Bühne mindestens so viel los wie auf der Bühne.
Die Zauberflöte hat 21 Bilder, das bedeutet, 60-70 Verwandlungen.
Bei einer Spieldauer von drei Stunden heißt das:
alle drei Minuten eine Verwandlung, viele Lichtstimmungen,
einige Toneinspielungen, generell eine starke Interaktion
zwischen denen vor und jenen hinter der Bühne.“
Lässt sich abschätzen, wie lange es durchschnittlich dauert,
bis ein Akt ‚steht‘?
„Die Probenzeit ist nicht vom Inhalt des Stücks abhängig,
sondern von der Länge der Oper. Ein Einakter ohne Chor erarbeitet
sich logischerweise schneller als ein Werk wie Boris
Godunov, das einen großen Chor vorsieht und drei Stunden
dauert“, antwortet der Technische Leiter. Außerdem hätten
die verschiedenen Regisseure unterschiedliche Arbeitsweisen.
Im Grunde sei es wie beim Film: Man wisse ungefähr, wie
viele Minuten eines Werkes man pro Tag erarbeiten könne.
Wenn man also von einer täglichen Probenzeit von sechs
Stunden ausgehe, komme man auf eine Vorlaufzeit von ca.
6 bis 8 Wochen.
Am Ende kommt Kretschmer noch einmal auf das Problem
der letzten 3 % zurück. Auch die ersten 10 % seien enorm
wichtig für das Gelingen einer Produktion: „Da geht es um die
Grundentscheidung: Wo gehe ich mit dem Stück hin? Wird es
ein schwerer Stahlbau oder etwas aus Bambus? Wie sieht
die Struktur des Bühnenbildes und der Inszenierung überhaupt
aus? Wenn zu diesem Zeitpunkt Fehlentscheidungen
getroffen werden, kann das fatal sein. Daher erfordert der
Anfang ebenso viel Aufmerksamkeit wie die letzten 3 % am
Ende. Der Unterschied besteht darin, dass zu Beginn noch
Zeit zum Agieren vorhanden ist, während man am Schluss
fast nur mehr reagieren kann.“
Die Kunst, fährt er fort, bestehe darin, sich am Beginn
schon vorzustellen, wie das fertige Werk im Sommer aussehen
werde. „Wir brauchen daher ein im höchsten Maße entwickeltes
Abstraktionsvermögen, um uns vorstellen zu
können, wie etwas am Papier Erdachtes, in Wirklichkeit funktioniert.
Im Gegensatz zur Autoindustrie können wir keine
Prototypen produzieren. Wir haben nur die eine Premiere –
und da muss alles perfekt sein.“
„Der Unterschied besteht
darin, dass am Anfang
noch Zeit zum Agieren
vorhanden ist, während
man am Schluss fast nur
mehr reagieren kann.“
On the other hand, Kretschmer knows
that ‘the most challenging things in life
are the final 3 per cent that make the
difference when you are aiming for 100
per cent. It is attaining the 100 per cent
benchmark that makes the Salzburg
Festival so unique. This is only possible
if I am backed by staff who will carry it
with me all the way.’
When the curtain drops after the
performance and all the guests leave
to go home, what happens backstage?
‘That is when we really get started. The
performance is just a fraction of the work
that our staff needs to complete. The more
demanding tasks often consist of reconstructions
needed for the next rehearsals
or events. During the night, we work until
3 or 4 o’clock in the morning in preparation
for the following day, so the stages
are ready for 8am. That could be a band
shell for orchestra rehearsal, a different
stage design for rehearsal, or preparation
for an opera slated for next year’s season.
During the festival season we work on or
behind stages, maybe not 24 hours, but
between 21 and 22 hours a day.’
And what happens backstage during
a performance, concealed from
the audience?
‘That depends on the individual production,’
Kretschmer responds. ‘A one-act
play such as Salome is set up by the
stage crew and then 80 per cent of the
staff leave and return when the performance
is over, to set up the stage for the
following day. If we are talking about
an opera such as Die Zauberflöte (The
Magic Flute), we are just as busy backstage
as we are on stage. The Magic
Flute requires 21 stage pictures, which
translates into 60–70 stage conversions.
With a play-time of three hours
that means: a new stage picture every
three minutes, many light adjustments,
some sound recordings and generally lots
of interactions between those on stage
and those backstage.’
‘The difference being that at the beginning
there is still time to act, while at
the end the best you can do is to react.’
Can you give us a rough idea of how long
it takes on average to create an act?
‘Rehearsal time is not contingent
upon the content of the piece, but on
the length of the opera,’ responds the
Technical Director. ‘Obviously, a one-act
piece without a choir is developed much
more quickly than an opus such as Boris
Godunov, which calls for a large choir
and lasts for three hours. Besides, every
director works differently. Basically it
is very similar to developing a film: you
can estimate how many minutes of the
production per day can be completed.
Assuming a daily six-hour rehearsal, the
lead-time of a production would take
approximately six to eight weeks.’
Finally, Kretschmer reiterates the
importance of the final 3 per cent challenge
once again. He now talks about
the first 10 per cent being just as important
for the success of a production: ‘It is
about fundamental decisions: where am
I taking this piece? Will we use heavy
steel construction or something built
with bamboo? What does the structure
of the stage design look like, and what
does the production look like in general?
It can be fatal if wrong choices are made
at the beginning of the production process.
That’s why the beginning requires
as much attention as the final 3 per cent
at the end. The difference being that at
the beginning there is still time to act,
while at the end the best you can do is
to react.’
‘The art,’ he continues, ‘is inherent in
the ability to imagine what the completed
production will look like in the summer.
Hence, we need a highly developed ability
to abstract, to understand how something
that was created on paper will
work in reality. Unlike the car industry,
we cannot produce prototypes. We only
have one opening night and everything
has to be perfect.’
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