10 Mit Assistenz auf dem Weg zum Anwalt - Pro Infirmis
10 Mit Assistenz auf dem Weg zum Anwalt - Pro Infirmis
10 Mit Assistenz auf dem Weg zum Anwalt - Pro Infirmis
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Behindertenkonferenz Kanton Zürich BKZ-INFO 1/2012<br />
<strong>Mit</strong> <strong>Assistenz</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Weg</strong> <strong>zum</strong> <strong>Anwalt</strong><br />
Marino Rasera lebt seit einer Erkrankung im 14. Lebensjahr mit<br />
kompletter Tetraplegie. Der 38-jährige wohnt in Zürich in seiner<br />
eigenen Wohnung, unterstützt mit <strong>Assistenz</strong> und seiner Familie.<br />
Heute arbeitet er als promovierter Jurist als Substitut in einer<br />
<strong>Anwalt</strong>skanzlei und spezialisiert sich <strong>auf</strong> die Sozialrechte.<br />
Marino Rasera am Feierabend im Gespräch mit Olga Manfredi/OMA<br />
<strong>10</strong><br />
OMA: Wie kam es <strong>zum</strong> Entscheid,<br />
dass du einen Teil deines Lebens<br />
mit <strong>Assistenz</strong> bewältigst?<br />
Marino Rasera: Bis zu Beginn meines<br />
Jurastudiums bewältigte ich meinen Alltag<br />
zu Hause mit Spitex und der Unterstützung<br />
meiner Eltern.<br />
Die Matura wurde mir über ein Fernstudium<br />
von der IV finanziert. Das Studium<br />
wollte ich an der Universität absolvieren<br />
und nicht wieder allein zu Hause hinter<br />
den Büchern meine Zeit verbringen.<br />
Daher stellte sich die Frage bei mir betreffend<br />
eine <strong>Assistenz</strong> nicht wegen <strong>dem</strong><br />
Wohnen, sondern wegen der Ausbildung.<br />
OMA: Wie hast du dir die<br />
<strong>Assistenz</strong>leistungen finanziert?<br />
Marino Rasera: Aufgekommen bin ich<br />
dafür mit der Hilflosenentschädigung, einen<br />
Teil habe ich aus der eigenen Tasche<br />
bezahlt und einen Teil konnte über Gesuche,<br />
die mir Organisationen von Menschen<br />
mit Behinderung gestellt haben,<br />
gedeckt werden.<br />
Die Fahrten zur Uni hat die IV übernommen.<br />
Erst nach Abschluss des Studiums,<br />
als ich meine Stelle als Substitut in einer<br />
<strong>Anwalt</strong>skanzlei angetreten habe, hat die<br />
IV die <strong>Assistenz</strong>kosten über die Dienstleistungen<br />
Dritter übernommen.<br />
OMA: Worin unterstützen<br />
dich die Assistierenden?<br />
Marino Rasera: Die <strong>Assistenz</strong> stelle ich<br />
ausschliesslich als Begleitung zur Arbeit<br />
an. Ich brauche jemanden insbesondere<br />
zur Überwachung meines Beatmungsgerätes,<br />
ohne dessen tadelloses Funktionieren<br />
ich nicht lange überleben würde.<br />
Zu<strong>dem</strong> brauche ich jemanden, der mir<br />
regelmässig den Schleim aus den Atemwegen<br />
absaugt.<br />
An der Arbeit ist jeweils der Arbeitsplatz<br />
zu installieren, es sind Dokumente zu<br />
scannen, Kopien zu machen und ab und<br />
zu geniesse ich gerne einen Kaffee.<br />
Die Arbeit an sich erledige ich selber mit<br />
der Ultraschall-Kopfsteuerung.<br />
Drei halbe Tage gehe ich ins Büro, da ich<br />
dann mit den KlientInnen Kontakt habe.<br />
Den Rest der Arbeit verrichte ich von zu<br />
Hause aus. So benötige ich für drei halbe<br />
Tage pro Woche eine <strong>Assistenz</strong>.<br />
OMA: Wie rekrutierst du<br />
deine <strong>Assistenz</strong>?<br />
Marino Rasera: Die beste Erfahrung<br />
habe ich mit der Agentur für Stellen für<br />
Studierende gemacht. Teilweise fand<br />
ich auch jemanden über die Arbeitsvermittlung<br />
der Uni. Die Leute bleiben<br />
unterschiedlich lange. Alle bisher aber
Behindertenkonferenz Kanton Zürich BKZ-INFO 1/2012<br />
mindestens ein Jahr, da es teilweise Austauschstudierende<br />
waren.<br />
OMA: Fällt es dir leicht,<br />
stets jemanden in einer doch<br />
sehr grossen Nähe zu haben?<br />
Marino Rasera: Seit ich erkrankt bin,<br />
bin ich mir die Nähe von Pflegenden<br />
gewohnt, da ich für alles Unterstützung<br />
brauche. Und bis jetzt hatte ich tatsächlich<br />
mit nieman<strong>dem</strong> ein <strong>Pro</strong>blem. Es kann<br />
sein, dass wir sehr viel reden, zugleich<br />
aber können auch zwei Stunden wortlos<br />
vergehen, ohne dass ich mit Assistierenden<br />
damit ein <strong>Pro</strong>blem habe.<br />
Das Verhältnis zu den Assistierenden ist<br />
sehr unterschiedlich. Bei den einen bleibt<br />
es bei einem Anstellungsverhältnis, andere<br />
sind gute KollegInnen geworden. Ich<br />
fühle mich auch nicht fremdbestimmt,<br />
was in meiner Situation ja naheliegen würde,<br />
da ich sehr klar meine Anforderungen<br />
durchsetzen kann und bis jetzt gute Personen<br />
als Assistierende hatte.<br />
OMA: Wie instruierst du<br />
die <strong>Assistenz</strong>?<br />
Marino Rasera: Eine Person, die bei mir<br />
frisch als <strong>Assistenz</strong> beginnt, wird als erstes<br />
von einer Pflegefachperson instruiert,<br />
wie das Beatmungsgerät funktioniert und<br />
wie man meine Atemwege von Schleim<br />
befreit. Dann wird mit ihr geübt, bis sich<br />
zeigt, dass die <strong>Assistenz</strong> damit umgehen<br />
und sie alle Verrichtungen selber ausführen<br />
kann.<br />
OMA: Wie steht es mit einem Antrag<br />
um einen <strong>Assistenz</strong>beitrag der IV?<br />
Marino Rasera: Zurzeit fahre ich gut so,<br />
wie ich mir die Finanzierung organisiert<br />
habe. Hinsichtlich der Tatsache, dass<br />
meine Eltern nicht jünger werden, ziehe<br />
ich schon einen Antrag <strong>auf</strong> <strong>Assistenz</strong> der<br />
IV in Betracht. Dies aber nach Bestehen<br />
der <strong>Anwalt</strong>sprüfung.<br />
OMA: Was ist dein Zukunftswunsch<br />
an den <strong>Assistenz</strong>beitrag?<br />
Marino Rasera: Zurzeit empfinde ich die<br />
Sachlage als noch sehr unklar, da mit der<br />
Umsetzung noch vieles offen ist. Daher finanziere<br />
ich zurzeit meine <strong>Assistenz</strong> auch<br />
über die Dienstleistungen Dritter.<br />
Ich bin mir auch bewusst, dass es nicht<br />
ohne ist, mit <strong>Assistenz</strong> zu leben. Man<br />
muss sich im Klaren sein, dass man Arbeitgeber<br />
ist und damit auch Verpflichtungen<br />
eingeht.<br />
Ich wünsche mir, dass in der Umsetzung<br />
die notwendige Klarheit geschaffen wird.<br />
Ebenso, dass Alle mit Behinderung ausreichend<br />
Leistungen beziehen können.<br />
Vielen Dank für das Gespräch.<br />
11