journal Psychotherapeuten - Psychotherapeutenkammer NRW
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Buchrezensionen<br />
Herholz, I., Johnen, R. & Schweitzer, D. (Hrsg.). (2009). Funktionelle Entspannung. Das<br />
Praxisbuch. Stuttgart: Schattauer. 340 Seiten, 39,95 €.<br />
Hans Müller-Braunschweig<br />
Unter den heute körperpsychotherapeutisch<br />
relevanten Methoden in Privatpraxen<br />
und psychosomatischen Kliniken nimmt<br />
die durch Marianne Fuchs nach dem zweiten<br />
Weltkrieg entwickelte „Funktionelle<br />
Entspannung“ (FE), für die der Atem als<br />
Ausgangspunkt diente, eine besondere<br />
Stellung ein. Die FE wird in diesem Buch<br />
zunächst mit ihren theoretischen Grundlagen<br />
und der Art ihrer Durchführung<br />
von Rolf Johnen und Angela von Arnim<br />
fundiert beschrieben und dann in 54 (!)<br />
kurzen, aber jeweils prägnant und lebendig<br />
beschriebenen Fallbeispielen von erfahrenen<br />
Praktikern dargestellt. Es geht dabei<br />
vorwiegend um die Behandlung der verschiedensten<br />
körperlich-funktionellen Störungen<br />
mit starker psychischer Beteiligung,<br />
aber auch um vorwiegend psychische<br />
Krankheitsbilder.<br />
Zunächst einige Hinweise zur Methode der<br />
FE, die hier nur verkürzt und sehr fragmentarisch<br />
sein können: So kann ein Patient,<br />
der beispielsweise eine stark verspannte<br />
Kiefermuskulatur hat (die oft mit einer<br />
verspannten, „verbissenen“ Gesamthaltung,<br />
nicht ganz selten auch mit erhöhtem<br />
Blutdruck verbunden ist), dazu angeregt<br />
werden, den Kiefer beim Ausatmen zu<br />
lösen, „fallen zu lassen“ und der erlebten<br />
Veränderung nachzuspüren. Dadurch wird<br />
häufig nach einiger Zeit eine bestehende<br />
Körperentfremdung verändert und bisher<br />
Unbemerktes im Körper bemerkt – in<br />
diesem Falle die Spannung – später auch<br />
zugehörige Emotionen etc. Der willkürlich<br />
und autonom gesteuerte Atem bildet dabei<br />
auch eine Brücke zur Regulation von<br />
organischen Fehlsteuerungen. Hier liegt<br />
ein Schwerpunkt der FE, während in anderen<br />
körperpsychotherapeutischen Methoden<br />
eher Bewegung oder szenische<br />
Interaktion im Vordergrund stehen.<br />
Die Vielfältigkeit der folgenden plastischen<br />
Fallberichte kann wiederum nur angedeutet<br />
werden. So wird berichtet über<br />
„Arbeit am äußeren und inneren Halt bei<br />
chronischen Schulterschmerzen“, über<br />
die FE-Arbeit bei Anorexie und Bulimie,<br />
Angst, Hauterkrankungen, funktioneller<br />
Stimmstörung, bei Schlafstörungen, Zahnarztangst,<br />
Depression (mit Suizidversuch),<br />
der Stabilisierung in der Traumatherapie,<br />
über Krisenintervention und „FE als Erinnerungsmedizin“<br />
in der Neurologie aber<br />
auch – in Verbindung mit der psychodynamischen<br />
Sicht der FE – zur Übertragungs-<br />
Gegenübertragungs-Regulation. Letzteres<br />
weist auch auf den möglichen und wichtigen<br />
– oft zeitweiligen – Einsatz der FE als<br />
ergänzender körpernaher Psychotherapieform<br />
neben einer verbalen Methode hin,<br />
besonders bei somatoformen Störungen.<br />
Wichtig ist auch die Erfahrung, dass bei<br />
Patienten, die eine verbale Psychotherapie<br />
zunächst ablehnen (häufig ebenfalls<br />
Patienten mit psychosomatischen Symptomen)<br />
und die oft eine längere Odyssee<br />
durch Arztpraxen hinter sich haben, über<br />
diese Methode ein Zugang möglich werden<br />
kann (vgl. a. Lahmann et al., 2010;<br />
Johnen, 2009).<br />
Im März 2010 ist Marianne Fuchs in ihrem<br />
102. Lebensjahr nach einem kreativen Leben<br />
verstorben. Sie hinterlässt uns eine<br />
körperbezogene Psychotherapiemethode<br />
besonderer Prägung, die Bestand haben<br />
wird.<br />
Lahmann, C., Henningsen, P., Noll-Hussong,<br />
M. & Dinkel, A. (2010). Somatoforme<br />
Störungen. Psychotherapie, Psychosomatik,<br />
Medizinische Psychologie,<br />
60 (6), 227-236.<br />
Johnen, R. (2009). Funktionelle Entspannung.<br />
In H. Müller-Braunschweig & N.<br />
Stiller (Hrsg.), Körperorientierte Psychotherapie.<br />
Methoden, Anwendungen,<br />
Grundlagen (S. 61-85). Berlin: Springer.<br />
Prof. Dr. phil.<br />
Hans Müller-Braunschweig<br />
Volpertstriesch 4<br />
35435 Wettenberg<br />
Hans-Mueller-Braunschweig@t-online.de<br />
<strong>Psychotherapeuten</strong><strong>journal</strong> 3/2010<br />
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