Rede der Präsidentin Irene Schmid - Rechtsanwaltskammer Berlin
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<strong>Rede</strong> <strong>der</strong> Präsidentin <strong>Irene</strong> <strong>Schmid</strong> am 3. Juli in Tel Aviv zur Unterzeichnung<br />
des Freundschafts- und Kooperationsvertrags mit <strong>der</strong> RAK Tel Aviv<br />
-Anrede-<br />
Wir freuen uns sehr, heute hier zu sein, um einen Freundschafts- und Kooperationsvertrags<br />
mit <strong>der</strong> <strong>Rechtsanwaltskammer</strong> Tel Aviv abzuschließen.<br />
Das Beson<strong>der</strong>e, das diesen Vertrag von an<strong>der</strong>en unterscheidet, die wir mit an<strong>der</strong>en<br />
<strong>Rechtsanwaltskammer</strong>n in Europa abgeschlossen haben, liegt in <strong>der</strong> Geschichte<br />
begründet. Unsere Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> <strong>Rechtsanwaltskammer</strong><br />
Tel Aviv wird immer geprägt sein von <strong>der</strong> Verfolgung und Ermordung unserer<br />
jüdischen Kollegen durch die Nationalsozialisten und unserer Erinnerung an<br />
den Holocaust.<br />
Die Anwaltskammer in <strong>Berlin</strong> 1 hatte Anfang 1933, also zur Machtergreifung Hitlers,<br />
3400 Mitglie<strong>der</strong>. Davon waren 1850, also mehr als die Hälfte, jüdischer<br />
Herkunft. Viele hatten, oft freiwillig, im 1. Weltkrieg an <strong>der</strong> Front ihr Leben für<br />
das Deutsche Kaiserreich riskiert. Unser heutiger Kollege Albert Meyer berichtet,<br />
dass sein Vater sarkastisch sagte, er hätte aus dem 1. Weltkrieg „mehr Orden<br />
als Hitler“. 2<br />
Aber die Orden schützten auch ihn - wie viele an<strong>der</strong>e seiner jüdischen Kollegen<br />
- nicht vor dem Berufsverbot als Anwalt, <strong>der</strong> Verfolgung wegen sog. Rassenschande<br />
und Zwangsarbeit. Er überlebte in <strong>der</strong> Illegalität von <strong>Berlin</strong>.<br />
Die jüdischen Anwälte stellten in <strong>Berlin</strong> aber nicht nur die Mehrheit <strong>der</strong> Anwaltschaft,<br />
viele waren die geistigen Koryphäen unseres Standes. Alle erhielten<br />
im April 1933 Berufsverbot. Diejenigen, die Frontkämpfer im 1. Weltkrieg waren,<br />
durften bis November 1938 unter immer schlechteren wirtschaftlichen Bedingungen<br />
weiter praktizieren. Das lukrative Notariat war entzogen. KZ, Flucht,<br />
Vertreibung, Ermordung o<strong>der</strong> Illegalität war ihr weiteres Schicksal. Über 130<br />
jüdische Anwälte aus <strong>Berlin</strong> fanden in Palästina Zuflucht vor <strong>der</strong> Verfolgung unter<br />
dem NS-Regime.<br />
Nennenswerten Wi<strong>der</strong>stand aus <strong>der</strong> <strong>Berlin</strong>er Anwaltschaft gegen dieses Schicksal<br />
<strong>der</strong> Kollegen hat es nicht gegeben. Das erfüllt uns noch heute mit Scham.<br />
1 damalige offizielle Bezeichnung<br />
2 Quelle: Interview in <strong>der</strong> taz vom 22.9.2003
Und doch darf ich sagen, dass bei den letzten freien und geheimen Vorstandswahlen<br />
im Januar 1933 <strong>der</strong> jüdische Vorsitzende <strong>der</strong> Anwaltskammer, Ernst<br />
Wolff, mit über 1000 von 1292 abgegebenen Stimmen wie auch weitere 8 jüdische<br />
Kollegen im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit in den Vorstand gewählt<br />
wurde, während die zum ersten Mal mit einer eigenen Liste kandidierenden<br />
Nazis weit abgeschlagen die wenigsten Stimmen erhielten und gerade<br />
nicht gewählt wurden. 3<br />
Erst im April 1933, nach Beginn des Naziterrors, auch <strong>der</strong> Verhaftung <strong>der</strong> bekannten<br />
<strong>Berlin</strong>er Rechtsanwälte Dr. Alfred Apfel, Dr. Ludwig Barbasch und Hans<br />
Litten 4 , wurde in einer Versammlung, bei <strong>der</strong> 300 SA-Leute in Uniform in geschlossenen<br />
Reihen als sog. Öffentlichkeit die Kollegen einschüchterten, in offener<br />
Abstimmung ein Kammervorstand aus Nazis etabliert. Zivilcourage und<br />
Wi<strong>der</strong>stand waren zur Mutprobe geworden.<br />
Zu <strong>der</strong> Scham über den ausgebliebenen Wi<strong>der</strong>stand, gesellte sich nach dem<br />
Krieg die Scham, dass die Aufarbeitung und Dokumentation des Schicksals unserer<br />
Kollegen erst nach Jahrzehnten begann.<br />
1988, zur 50jährigen Wie<strong>der</strong>kehr des endgültigen Berufsverbots für die letzten<br />
verbliebenen jüdischen Anwälte, fand in <strong>Berlin</strong> eine vielbeachtete Gedenkveranstaltung<br />
statt. Aber es dauerte nochmals Jahre bis <strong>der</strong> Vorstand <strong>der</strong> RAK <strong>Berlin</strong><br />
unter seinem damaligen Präsidenten Bernhard Dombek 1995 eine systematische<br />
Forschung über das Schicksal <strong>der</strong> ausgegrenzten jüdischen Kollegen in<br />
Auftrag gab. Der Hauptanstoß kam damals von Joel Levi, <strong>der</strong> anlässlich eines<br />
Besuchs <strong>der</strong> RAK Tel Aviv nach einer Liste <strong>der</strong> ehemals in <strong>Berlin</strong> zugelassenen<br />
jüdischen Anwälte fragte. Eine solche Liste gab es jedoch damals nicht, da<br />
sämtliche Akten <strong>der</strong> RAK <strong>Berlin</strong> durch ein Feuer im Zweiten Weltkrieg zerstört<br />
worden waren. Das Forschungsprojekt führte 1998 zur Veröffentlichung unseres<br />
Buches „Anwalt ohne Recht“. Dem Buch folgte eine Ausstellung, die dann<br />
von <strong>der</strong> Bundesrechtsanwaltskammer übernommen und erweitert wurde und<br />
vielbeachtet hier in Israel, aber z.B. auch in Kanada, Mexiko, New York, Los Angeles<br />
und vielen an<strong>der</strong>en Städten gezeigt wurde.<br />
Aus <strong>der</strong> Veröffentlichung des Buches und <strong>der</strong> Ausstellung ergaben sich weitere<br />
und neue Erkenntnisse über unsere früheren jüdischen Kolleginnen und Kolle-<br />
3 vgl. Jubiläumsschrift 125 Jahre RAK <strong>Berlin</strong>, Seite 187<br />
4 Jubiläumsschrift a.a.O, S. 196
gen, die aus aller Welt nach <strong>Berlin</strong> zurückflossen. So konnte das biografische<br />
Verzeichnis <strong>der</strong> jüdischen Anwälte aus <strong>Berlin</strong> für die zweite Auflage 2007 um<br />
175 Namen und erinnerungswürdige Einzelschicksale ergänzt werden.<br />
Genauso geht es uns zurzeit bei <strong>der</strong> Arbeit an einem neuen Buch, das im Herbst<br />
unter dem Titel „ Zu Recht wie<strong>der</strong> Anwalt“ erscheinen wird. Darin geht es um<br />
das Leben <strong>der</strong> jüdischen Anwälte aus <strong>Berlin</strong> nach 1945. Viele, die den Holocaust<br />
in <strong>der</strong> Emigration o<strong>der</strong> vereinzelt in Deutschland überlebt hatten, bemühten<br />
sich, wie<strong>der</strong> in ihrem Beruf in Deutschland Fuß zu fassen. Ein Teil <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />
Emigration lebenden Rechtsanwälte beantragte dabei nach vielen Mühen und<br />
bürokratischen Hemmnissen letztlich mit Erfolg, von <strong>der</strong> Residenzpflicht, also<br />
von <strong>der</strong> Pflicht, in <strong>Berlin</strong> selbst eine Kanzlei zu führen, befreit zu werden. Auch<br />
bei Alliierten Militärbehörden, im Justizdienst und an<strong>der</strong>en Institutionen in <strong>Berlin</strong>,<br />
<strong>der</strong> Bundesrepublik und <strong>der</strong> DDR wurden jüdische Juristen tätig, die vor ihrer<br />
Verfolgung in <strong>Berlin</strong> als Rechtsanwälte zugelassen waren. Die Untersuchung,<br />
für die wir den Historiker Hans Bergemann gewinnen konnten, schil<strong>der</strong>t<br />
die Berufs- und Lebenswege von über 340 betroffenen Personen sowie die Biografie<br />
von zahlreichen nach Palästina/ Israel emigrierten <strong>Berlin</strong>er Kollegen.<br />
Die Idee für dieses Buch entstand bei einem Treffen mit Dr. Hermann Simon,<br />
dem Direktor des Centrum Judaicum, mit dem wir darüber gesprochen hatten,<br />
wie wir mehr über das Leben unserer früheren jüdischen Kolleginnen und Kollegen<br />
herausfinden könnten, um die Erinnerung an jede und jeden einzelnen zu<br />
ermöglichen. Wir informierten Joel Levi von diesem Projekt, <strong>der</strong> uns mitteilte,<br />
er arbeite an demselben Projekt und er und Naomi Livne führten danach umfangreiche<br />
Recherchen bei Angehörigen und Archiven durch, <strong>der</strong>en Ergebnisse<br />
ebenfalls in unserem Buch veröffentlicht werden.<br />
Am 27. November diesen Jahres werden wir dieses neue Buch in einer Gedenkveranstaltung<br />
im Centrum Judaicum vorstellen und ich hoffe sehr, dass möglichst<br />
viele von Ihnen hieran teilnehmen können.<br />
Wir sehen es als unsere Verantwortung, das Bewusstsein für die Vergangenheit<br />
zu wecken und zu erhalten, nicht nur jetzt, son<strong>der</strong>n auch in den kommenden<br />
Anwaltsgenerationen, und die Erinnerung an unsere früheren jüdischen Kolleginnen<br />
und Kollegen und den Respekt für die Würde jedes und je<strong>der</strong> einzelnen<br />
von ihnen zu bewahren. Auf diese Weise wollen wir mit Ihnen <strong>der</strong> Verleugnung<br />
des Holocaust, antisemitischen Äußerungen und Rassismus entgegenwirken.
Dies ist ein wesentlicher Teil unseres Freundschafts- und Kooperationsvertrages<br />
mit Ihrer Kammer.<br />
Und was die Zukunft angeht, bin ich überzeugt, dass es viele Möglichkeiten für<br />
die Mitglie<strong>der</strong> Ihrer Kammer gibt, mit den Mitglie<strong>der</strong>n unserer Kammer zusammenzuarbeiten<br />
und voneinan<strong>der</strong> - nicht nur in berufsrechtlichen Aspekten -<br />
zu lernen. Dies ist ein weiterer wesentlicher Teil des Freundschafts- und Kooperationsvertrags<br />
und wir haben bei dem Treffen mit Ihren arabischen Kollegen<br />
heute Vormittag bereits Erfahrungen hierin sammeln können.<br />
Und nicht zuletzt nennt unser Freundschafts- und Kooperationsvertrag ausdrücklich<br />
die Zusammenarbeit bei<strong>der</strong> Kammern bei <strong>der</strong> Erhaltung des Rechtsstaates<br />
und <strong>der</strong> Wahrung <strong>der</strong> Menschenrechte.<br />
Die wesentlichen Ideen unseres Freundschafts- und Kooperationsvertrages<br />
können daher wie folgt zusammengefasst werden: Lernen aus <strong>der</strong> Vergangenheit,<br />
um die Anwaltschaft für die Zukunft zu stärken und sie als Verteidiger<br />
des Rechtsstaats und <strong>der</strong> Menschenrechte in einer Kooperation zusammenzubringen,<br />
in <strong>der</strong> sie eng zusammenarbeiten und voneinan<strong>der</strong> lernen können.<br />
Um diese Ziele zu erreichen, entsendet die RAK <strong>Berlin</strong> in die gemeinsame Arbeitsgruppe<br />
zur weiteren Umsetzung dieses Vertrags auch ihren Vizepräsidenten<br />
Bernd Häusler, <strong>der</strong> zugleich Menschenrechtsbeauftragter ist.<br />
Wir werden unseren Teil dazu beizutragen, diesen Vertrag aktiv umzusetzen<br />
zum Nutzen unserer Mitglie<strong>der</strong> und zur Erreichung <strong>der</strong> Ziele, die in diesem Vertrag<br />
nie<strong>der</strong>gelegt sind.