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Schauspielhaus Zürich Zeitung #9

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2 3 Vorwort von Barbara Frey<br />

Abgründigkeit des<br />

Augenblicks<br />

Als Partner stehen wir dem <strong>Schauspielhaus</strong> <strong>Zürich</strong><br />

tatkräftig zur Seite.<br />

Grosse Auftrittesind ohne starke Partner im Hintergrund nicht denkbar.<br />

Deshalb unterstützen wir das <strong>Schauspielhaus</strong> <strong>Zürich</strong>und andereausgewählte<br />

Kulturinstitutionen. Erfahren Sie mehr über unser kulturelles Engagement<br />

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Heinrich von Kleist war fasziniert von der<br />

Magie und Abgründigkeit des Augenblicks.<br />

Legendär ist seine Beschreibung jenes<br />

Moments, in dem er vor Caspar David<br />

Friedrichs „Mönch am Meer“ stand<br />

und eine unerhörte Erfahrung machte.<br />

Er fühlte sich, als sei er „der einzige<br />

Lebensfunke imweiten Reiche des Todes,<br />

der einsame Mittelpunkt im einsamen<br />

Kreis“. Er verglich das Gemälde „in seiner<br />

Einförmigkeit und Uferlosigkeit“ mit<br />

der Apokalypse. Wenn man es betrachte,<br />

sei es, „als ob einem die Augenlider<br />

weggeschnitten wären“. Er verpflanzte<br />

sich gewissermassen selbst indas Bild<br />

hinein, empfand sich als der dargestellte<br />

Mönch, der ins Nichts schaut –und es<br />

war ihm klar, wie sehr Friedrich als Maler<br />

eine neue, andere Welt entwarf und<br />

damit auch einen neuen Blick einforderte.<br />

Was Kleist sah, war keine lediglich<br />

virtuos gemalte Landschaft, war nichts<br />

Dekoratives oder ästhetisch Tröstliches,<br />

sondern die höchst beunruhigende<br />

Öffnung in eine monumentale Innenwelt,<br />

in welcher der betrachende Mensch ohne<br />

Halt umhergleitet, als flöge erdurch<br />

sein eigenes Ich wie durchs All. Kleist<br />

erkannte in Friedrich einen Bruder im<br />

Geiste.<br />

Wenn Sosias in „Amphitryon“ nach Hause<br />

kommt und dort sich selbst erblickt (den<br />

Gott Merkur in seiner, Sosias’ Gestalt),<br />

verliert eraugenblicklich den Boden<br />

unter den Füssen und kommt, sich<br />

selbst sehend, sich selbst abhanden.<br />

Penthesilea fühlt sich im nach ihr<br />

benannten Drama beim Anblick des<br />

Achill „in dem Innersten getroffen“, vom<br />

Donner gerührt, als sähe sie in einem<br />

einzigen Augenblick das ganze Schicksal<br />

aufblitzen, das ihr und Achill blüht.<br />

Gleichzeitig aber ist der verhängnisvolle<br />

Augenblick auch ein ekstatischer<br />

erotischer Moment; Penthesilea stürzt<br />

gleichsam in Achill hinein.<br />

Kleists Heldinnen und Helden folgen<br />

keinerlei moralischen Handlungsmustern,<br />

ihr Hunger nach Liebe ist rücksichtslos<br />

und unberechenbar und niemals geprägt<br />

von einer Sehnsucht nach Ordnung,<br />

Zugehörigkeit oder gar Bequemlichkeit.<br />

Sein Personal gewinnt keinerlei Aufschluss<br />

über sich selbst, keine Erkenntnis,<br />

die irgendwie verwertbar wäre und eine<br />

„Lebensoptimierung“ nach sich zöge,<br />

wie der heutige Mensch sie unablässig<br />

anstrebt. Genau deswegen sind<br />

seine Figuren so unwiderstehlich.<br />

Ihre Unfähigkeit, pragmatisch zu sein,<br />

sich an Nützlichkeitskriterien zu<br />

orientieren oder irgendeinem „Plan“<br />

zu folgen, macht sie für uns anmutig<br />

und furchterregend zugleich. Ihre<br />

Zärtlichkeit ist somonumental wie ihr<br />

Zorn, und die Masslosigkeit ihrer<br />

Empfindungen so befremdlich wie<br />

anrührend.<br />

Kleists eigene Erfahrung vor Friedrichs<br />

Gemälde macht ihn zu einem Komplizen<br />

all der Männer und Frauen, Knaben<br />

und Mädchen, die sein Werk bevölkern<br />

und unablässig unbeirrbar auf alle<br />

erdenklichen Abgründe zugehen, auf der –<br />

unbewussten –Suche nach dem<br />

Augenblick, der sie in die Ekstase, die<br />

blitzartige Erkenntnis, den erotischen<br />

Taumel, ins Nichts stürzen lässt.<br />

Weder mit psychologischem noch mit<br />

literaturwissenschaftlichem Deutungsfuror<br />

ist ihnen beizukommen. Je mehr wir<br />

von ihnen zu verstehen glauben, desto<br />

mehr entziehen sie sich uns. Und somit<br />

bleiben wir, an ihre Fersen geheftet,<br />

selbst hungrig und verletzlich.<br />

Inhalt<br />

3 Vorwort<br />

4 Die Umkehrung<br />

Kaspar Surber über „Der Prozess“<br />

und „Woyzeck“<br />

8 ImAusnahmezustand<br />

Gwendolyne Melchinger über<br />

„Amphitryon und sein Doppelgänger“<br />

im Pfauen<br />

10 Nichts, was nicht möglich ist<br />

Gespräch mit Henrike Johanna<br />

Jörissen und Nils Kahnwald über den<br />

Regisseur Antú Romero Nunes<br />

12 Sagen Sie jetzt nichts, Herbert Fritsch<br />

Der Regisseur im Porträt<br />

14 Filmwissenschaftler Günter Krenn<br />

über den Zauber der Bohème<br />

16 Schon gesehen? Szenen aus dem<br />

Repertoire –Fotogalerie<br />

20 Der Glücks(er)finder<br />

Claudius Körber im Porträt<br />

22 VonOdysseus bis Darth Vader<br />

Kinderreporter interviewen<br />

Schtärneföifi<br />

24 Ganz diskret und zoologisch privat<br />

Karolin Trachte über den „club<br />

diskret“ und die erste Theaterserie<br />

in der Kammer<br />

26 Geglückte Verwandlung<br />

Schicht mit Judith Janser, Leiterin der<br />

Maskenbildnerei<br />

28 Ins Theater mit Brigitte von der Crone<br />

„Der Prozess“ im Pfauen<br />

Titel<br />

Markus Scheumann in „Der Prozess“<br />

Rückseite<br />

Fritz Fenne, Michael Neuenschwander,<br />

Lena Schwarz und Carolin Conrad<br />

in „Amphitryon und sein Doppelgänger“

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