jörg herold kunst für den deutschen bundestag - Galerie EIGEN+ART
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JÖRG HEROLD<br />
KUNST FÜR DEN DEUTSCHEN BUNDESTAG<br />
DER DATENSCHLÜSSEL<br />
Mit einer Einführung von Andreas Kaernbach<br />
<strong>Galerie</strong> <strong>EIGEN+ART</strong> Berlin<br />
vom 17.05. - 28.06.2003
“ Das die Dinge geschehen, ist nichts: dass sie gewusst wer<strong>den</strong>, ist alles.”<br />
Egon Fridell
Lichtspur über Datumsgrenze, Reflektor, Beton<br />
Die Installation "Lichtspur über Datumsgrenze" von Jörg Herold befindet sich im Außenhof des Paul-Löbe-Hauses, eines<br />
Parlamentsneubaus nördlich des Reichstagsgebäudes. In diesem Neubau, gestaltet von dem Münchner Architekten Stephan<br />
Braunfels, vollzieht sich der Großteil der parlamentarischen Arbeit, dort sind die Sitzungssäle der Ausschüsse des Deutschen<br />
Bundestages und die Arbeitsräume von deren Sekretariaten untergebracht, aber auch das Besucherzentrum mit seinem<br />
Seminarräumen. Das Paul-Löbe-Haus fügt sich städtebaulich in eine Linie mit dem Bundeskanzleramt ein und vollzieht als<br />
Teil des "Bandes des Bundes" mit dem sich anschließen<strong>den</strong> Marie-Elisabeth-Lüders-Haus <strong>den</strong> "Spreesprung" über die ehemals<br />
trennende Ost-West-Grenze hinweg, symbolisiert durch diese architektonische Geste die Wiedervereinigung Berlins.<br />
Die Architektursprache des Baus ist bestimmt von geometrische Grundformen, wie dem Quadrat <strong>für</strong> das Deckenraster oder<br />
dem Kreis <strong>für</strong> die Rotun<strong>den</strong> mit <strong>den</strong> Ausschusssitzungssälen. Eine dieser Grundformen, <strong>den</strong> Kreis, greift Jörg Herold auf und<br />
gestaltet <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong> des nordwestlichen Außenhofes entsprechend mit run<strong>den</strong> Betonscheiben, die in <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong> eingelassen<br />
sind. Jede von ihnen trägt ein erhaben gegossenes Geschichtsdatum auf ihrer Oberfläche. Diese Scheiben legen sich<br />
wie ein Gewebe über das Grün des auf Bo<strong>den</strong>höhe zurückgeschnittenen<br />
Buchsbaumbewuchses. An einem Steg oberhalb des Hofes ist ein runder Spiegel mit festem<br />
Neigungswinkel installiert, der einen Sonnenstrahl auf die Betonscheiben und ihre<br />
Geschichtsdaten lenkt. Innerhalb eines Jahres läuft der Sonnenstrahl entsprechend <strong>den</strong> jahreszeitlich<br />
veränderten Sonnenstän<strong>den</strong> von einer Betonscheibe als "Brennpunkt Null" am 1. Januar<br />
über die der Wintersonnenwende sowie die einzelnen historischen Daten bis hin zu derjenigen<br />
der Sommersonnenwende. Der Künstler hat viele der Daten so gewählt, dass sie die<br />
Aufmerksamkeit auf historische Ereignisse lenken, die im Allgemeinen wenig beachtet wer<strong>den</strong>.<br />
Jörg Herold erhielt <strong>den</strong> Auftrag <strong>für</strong> diese Installation im Rahmen eines Wettbewerbes, zu dem der<br />
Kunstbeirat des Deutschen Bundestages durch die Bundesbaugesellschaft Berlin mbH und das<br />
"Büro <strong>für</strong> Kunst und Kultur - ivdt" im Juni 1998 eingela<strong>den</strong> hatte. Das Konzept <strong>für</strong> die architekturbezogene<br />
Kunst im Paul-Löbe-Haus hatten die Kunstsachverständigen Prof. Dr. Klaus<br />
Werner, Rektor der Hochschule <strong>für</strong> Grafik und Buch<strong>kunst</strong> in Leipzig, sowie Prof. Dr. Armin<br />
Zweite, Direktor der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, entwickelt. Die Vergabe der Aufträge<br />
erfolgte in einem zweistufigen Verfahren, in dem zunächst die Kunstsachverständigen die eingereichten<br />
Wettbewerbsbeiträge zusammen mit dem Architekten begutachteten und ihre Empfehlung anschließend dem<br />
Kunstbeirat vorstellten. Dieses parlamentarische Gremium berät <strong>den</strong> Präsi<strong>den</strong>ten oder die Präsi<strong>den</strong>tin des Deutschen<br />
Bundestages in Fragen der Förderung der bil<strong>den</strong><strong>den</strong> Kunst. Der Kunstbeirat wird jeweils zu Beginn einer Legislaturperiode<br />
vom Ältestenrat des Deutschen Bundestages eingesetzt. Anfang Oktober 1998 gehörten dem Kunstbeirat 10 Abgeordnete<br />
unter Vorsitz der damaligen Bundestagspräsi<strong>den</strong>tin Rita Süssmuth an.<br />
Der Entwurf von Jörg Herold fand Zustimmung sowohl bei der Auswahlsitzung der Kunstsachverständigen am 21. August<br />
1998 als auch auf der anschließen<strong>den</strong> Sitzung des Kunstbeirates, dem die Empfehlung der Jury am 8. Oktober 1998 vorgelegt<br />
wurde. Kunstsachverständige und Kunstbeiratsmitglieder waren beeindruckt von Jörg Herolds weitgreifendem, vom 10.<br />
Jahrhundert bis zur Gegenwart reichen<strong>den</strong> Geschichtspanorama in seiner vielfältigen Verknüpfung mit deutscher, europäischer<br />
und außereuropäischer Geschichte. Es steht im Gesamtkonzept architekturbezogener Kunst <strong>für</strong> die Parlamentsbauten<br />
einzigartig da und fügt sich doch zugleich einer übergeordneten konzeptionellen Linie ein. In ähnlicher Ten<strong>den</strong>z eröffneten<br />
schon die Projekte <strong>für</strong> das Reichstagsgebäude - von Jenny Holzers Leuchtstele mit <strong>den</strong> Redebeiträgen der Parlamentarier<br />
zwischen 1871 und 1999 bis zu Christian Boltanskis "Archiv der Deutschen Abgeordneten" von 1918 bis 1999 - vielfältige<br />
Bezüge zur Geschichte Deutschlands und seines Parlamentes, verweisen also auf das geschichsträchtige Terrain, auf das<br />
die Parlamentsbauten in der Mitte Berlins gegründet sind.<br />
Entsprechend fin<strong>den</strong> sich im Paul-Löbe- und Marie-Elisabeth-Lüders-Haus gleich mehrere Installationen, die Bezüge zur<br />
Geschichte und Kulturgeschichte herstellen: "Was also ist das Leben?" fragt Joseph Kosuth und gibt die Antwort in einer<br />
Bo<strong>den</strong>-Installation durch Sätze von Thomas Mann und Ricarda Huch, Maurizio Nannucci greift in seiner Neon-Installation <strong>für</strong><br />
die Bibliothek einen Aphorismus von Hannah Arendt zur Freiheit auf, Franka Hörnschemeyer lässt in ihrer Außenskulptur<br />
"BFD - bündig fluchtend dicht" die Grundrisse der einstigen und heutigen Bebauung des Geländes sich überlagern, verklammert<br />
dergestalt Ost und West, Vergangenheit und Gegenwart, während das Künstlerduo (e.) Twin Gabriel in <strong>den</strong><br />
Außenskulpturen "Deutscher 1" und "Deutscher 2" bildungsbürgerliche Heroenverehrung ironisiert.<br />
Diese Linie ergänzt und vertieft Jörg Herold in seiner Installation. Bereits in einer Vielzahl früherer Arbeiten hatte er sich mit<br />
dieser Frage nach der Wahrnehmung von Geschichte auseinandergesetzt, mit ihrer Osszilation zwischen faktischem<br />
Geschehen und ihrer verarbeiten<strong>den</strong> Interpretation bis hin zur Mythenbildung, sei es, dass diese Interpretation durch das<br />
4
wahrnehmende, Geschichte erlebende und erzählende Subjekt erfolgt, sei es durch die Gesellschaft oder durch das Subjekt<br />
in seiner Interaktion mit gesellschaftlich angebotenen Deutungsmustern. In gewissem Sinne stellt die Installation im Paul-<br />
Löbe-Haus eine Synthese und Überhöhung dieser verschie<strong>den</strong>en früheren Projekte dar. Immer ging es Jörg Herold darum,<br />
vorgegebene Deutungsmuster scheinbar gradliniger Geschichtsverläufe aufzubrechen durch eine Strategie des Aufzeigens<br />
der Nebenwege, der Fokussierung von Ereignissen im Windschatten einer verbreiteten Geschichtsdeutung.<br />
Bei dieser Zielsetzung musste zunächst der Deutungscharakter von Geschichtsmonumenten, die oft unreflektiert oder unkritisch<br />
hingenommen wer<strong>den</strong>, bewusst gemacht wer<strong>den</strong>, und so entwickelte der Künstler seit 1996 das Projekt "Mythos<br />
Denkmal". Im Rahmen dieses Projektes installierte er beispielsweise eine irritierende, verfrem<strong>den</strong>de weiße Scheibe am<br />
Denkmalsockel der Kaiserskulptur am "Deutschen Eck" oder im Leipziger Völkerschlacht<strong>den</strong>kmal. Durch diesen minimalen<br />
Eingriff gewann das jeweilige Denkmal wortwörtlich einen neuen Blickpunkt. So verlor die auf das Monument ausgerichtete,<br />
dem Betrachter vorgegebene Perspektive ihren zwingen<strong>den</strong> Charakter durch die blickverändernde Kraft eines Kreises als<br />
Sinnbild einer größeren, kosmischen Ordnung. In der Installation "1000 Jahre Schönheit" <strong>für</strong> die Ottonen-Ausstellung in<br />
Magdeburg im Jahre 2001 ist es erneut eine Kreisform, die eine Perspektivveränderung bewirkt. Diesmal stellt sie sich dar<br />
als ein kreisförmiger Durchblick, als "Lichtloch", der einen ausschnitthaften Blick auf Fresken des Jahres 1906, die die<br />
Mission der ottonischen Kaiser feiern, freigibt. Ein weiteres "Lichtloch" wiederum lässt einen Sonnenstrahl im "Kaiser-Otto-<br />
Saal" auf <strong>den</strong> Fresken wandern. Im Mittelpunkt sowohl der Ausstellung in Magdeburg als auch der Installation des Künstlers<br />
stand die Heiratsurkunde der Theophanu aus dem Jahre 972, das früheste Datum, das Aufnahme in der Installation <strong>für</strong> <strong>den</strong><br />
Deutschen Bundestag gefun<strong>den</strong> hat.<br />
Dieser Strategie des Künstlers, eine verbreitete Geschichtsschreibung zu verfrem<strong>den</strong>, ihren umfassen<strong>den</strong> Anspruch ästhetisch<br />
zu fragmentieren oder scheinbare Nebenschauplätze in <strong>den</strong> Mittelpunkt, wortwörtlich ins Licht zu stellen, entspricht,<br />
dass der Künstler <strong>für</strong> die Installation im Deutschen Bundestag in einem "Datenschlüssel"<br />
Geschichtsdaten sammelt, die der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt sind: so der Absturz von<br />
Joseph Beuys in einem Sturzkampfbomber über Rußland im Jahre 1944, das Auftauchen Kaspar<br />
Hausers in Nürnberg im Jahre 1828 oder die Versenkung des Flüchtlingsschiffes "Wilhelm<br />
Gustloff" in der Ostsee durch russische Torpedos im Jahre 1945. Vielfach knüpfen sich an diese<br />
Daten eigenständige Projekte des Künstlers, in <strong>den</strong>en er der von Joseph Beuys erzählten<br />
Legende über seinen Absturz am historischen Ort auf der Krim nachgeht, Bojen als See-<br />
Denkmäler <strong>für</strong> die torpedierten Flüchtlingsschiffe auswirft oder am Beispiel Kaspar Hausers die<br />
Heranbildung gesellschaftlicher Normierungen verfolgt und sein eigenes, des Künstlers Erleben<br />
der "Wende", seine Zeitzeugenschaft gleichsam, aus der Perspektive eines Kaspar Hauser<br />
nachvollzieht.<br />
Die stets wiederkehrende Kreisform, die sich auch in <strong>den</strong> malerischen Arbeiten des<br />
"Piktografischen Alphabets" als Urbild und Keimzelle aller Schöpfung wiederfindet, steht in einem<br />
tiefen inneren Zusammenhang zu Herolds Geschichtssicht. Der Kreis symbolisiert seit jeher - so<br />
auch als Planetenzeichen - die Sonne, die am Anfang aller Zeitmessung steht, wie die erst jüngst<br />
gefun<strong>den</strong>e Himmelsscheibe von Nebra, die mit 3600 Jahren möglicherweise älteste bekannte Abbildung des Kosmos, eindrucksvoll<br />
belegt. Der Lichtstrahl der Sonne läuft in Herolds Installation als "Lichtspur" über die Datenscheiben - Zeit in ihrer<br />
kosmischen Urform und konkrete Menschheitsgeschichte berühren sich. Dieser Kreis kennt keinen Anfang und kein Ende,<br />
lässt keine Hierarchie von Daten zu, sondern nur das Verständnis von Geschichte als eines ganzheitlichen Gewebes, dessen<br />
einzelne Fä<strong>den</strong> je nach Deutung hervorgehoben wer<strong>den</strong> und doch stets nur Teil des Ganzen sind.<br />
Im Park von Burg Schlitz in Mecklenburg hat der Besitzer Anfang des 19. Jahrhunderts über 30 Denkmale und<br />
Erinnerungssteine gesetzt. In einer eigenwillig poetisch-versponnenen Traumwelt verbindet er in diesem Park die Erinnerung<br />
an literarische und militärische Heroen, wie Schiller und Blücher, mit einem romantischen "Riesengrab" oder einem Denkmal<br />
mit der poetischen Inschrift "Hier ruhen die Tränen der Prinzessin". Einen ähnlichen Park, doch ganz anderer Dimension,<br />
lässt uns der Künstler im Hof des Paul-Löbe-Hauses, dem Sonnenstrahl folgend, durchschreiten. Sein Geschichtskosmos<br />
offenbart die Bedingung des Humanen in der Spannung zwischen dem Schicksal des Einzelnen und seiner Bindung an die<br />
Gemeinschaft und lässt die Freiheit als Möglichkeit individueller Entscheidung in übergreifen<strong>den</strong><br />
Geschichtszusammenhängen aufleuchten. So blicken im Paul-Löbe-Haus die Abgeordneten, die in das Spannungsfeld aktueller<br />
politischer Fragen gestellt sind, auf das Gewebe des Datenteppiches von Jörg Herold, auf ein Gewebe historischer<br />
Daten aus über einem Jahrtausend, das uns als Individuen zeigt, die an ihre Eigenverantwortlichkeit glauben und die doch<br />
zugleich um ihre Gebun<strong>den</strong>heit in der Gemeinschaft und ihre Teilhabe an einer überindividuellen kosmischen Ordnung wissen<br />
sollten.<br />
Dr. Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages<br />
5
01.04.1893 Standardzeit Der Deutschen Schrittmacher<br />
...Aus M., dem Zentrum der Provinz, pulsiert das Maß der Pünktlichkeit. Entgegen<br />
all <strong>den</strong> Wirren selbsterfun<strong>den</strong>er Zeit, tickt hier, genormt, das Tugendherz der<br />
<strong>deutschen</strong> Seele...<br />
6
01.04.1933 Ju<strong>den</strong>boykott Amtliche Anordnung<br />
...”Tragt <strong>den</strong> Stern mit Würde”...<br />
7
01.05.1831 Heinrich Heine Die Götter gehen ins Exil<br />
...Es ist Mai. Der Frühling will nicht kommen. Herr H. muss raus. Er macht sich auf<br />
<strong>den</strong> Weg aus diesem Mief...<br />
8
01.06.1860 Robert Bunsen gemeinsam mit Herrn Gustav<br />
Kirchhoff sehen über Heidelberg Spektralien<br />
...später im Labor stellen beide das Lichtereignis nach und entwickeln so die<br />
Spektralanalyse...<br />
9
01.08.1989 Liese Meitner Der Problemtisch<br />
...Die aufgetischte Männlichkeit...<br />
10
02.04.1968 Andreas Baader Herr B. erwidert das Feuer<br />
...”Wenns irgendwo brennt... Seid bitte nicht überrascht”...<br />
11
02.07.1505 Martin Luther Blitzentscheidung am Wegesrand<br />
...Durch Gewalt, so meinte L. später, sei er an diesem Tage Mönch gewor<strong>den</strong>...<br />
12
02.11.1525 Adam Ries Bürgereid von Annaberg<br />
..."zum multipliziren gehörn zwo zalen", sagt Herr R. <strong>den</strong> Buben, "eine die multipliziert<br />
würdt, die ander dadurch mann multiplicirt"...<br />
13
03.05.1096 Speyer Im zweifelhaften Schutz des Kaisers -<br />
ein Ju<strong>den</strong> Pogrom<br />
...Behagliche Wärme durch Anfeuerung...<br />
14
03.05.1647 Hans Rogler Kartoffelkampf in Pilgramsreuth<br />
...Erster Kartoffelhandel...<br />
15
04.01.1761 Carsten Niebuhr Das Orientgeschenk<br />
...Die Entdeckung der ewigen Kulisse...<br />
16
04.06.1768 Joachim Winckelmann Triester Elegien<br />
...Wahre Freundschaft...<br />
17
04.06.1825 Ernst Bandel Einsamer Bauherr des<br />
Hermann<strong>den</strong>kmals<br />
...Der Schattenkrieger...<br />
18
04.10.1582 Zehn Tage Phantomzeit Der Kalenderclou<br />
...als sich Herr K. am Abend des 4. zur Ruhe bettet und am Morgen<br />
des 15. wieder erwacht, wundert sich Herr K. etwas, aber er lässt es Gott<br />
geschehen...<br />
19
04.12.1900 Max Planck Herr P. gibt <strong>den</strong> Startschuss <strong>für</strong>s<br />
Atomzeitalter<br />
...Gott spuckt Würfel...<br />
20
05.05.1972 Friedrich Schiller Ganz Europa singt in Eintracht vom<br />
gelungenen großen Wurf<br />
...Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein, wer ein holdes Weib errungen, mische seinen<br />
Jubel ein ! Ja - wer auch nur eine Seele sein nennt auf dem Er<strong>den</strong>rund ! Und wer´s nie gekonnt, der stehle weinend<br />
sich aus diesem Bund !...<br />
21
06.11.1895 Wilhelm Röntgen X Strahlen<br />
...Fingerspiel...<br />
22
06.12.1827 Alexander von Humboldt Der Kosmos <strong>für</strong>s Volk<br />
...Sternstunde...<br />
23
07.06.1525 Albrecht Dürer Traumgesicht<br />
...“Der Traum ist die Wohnung Gottes“, sagt Herr M.. D. ist schwernassgeträumt<br />
und sieht die Sinnflut im Abgrund seiner Seele. Kein Gesicht, nur Landschaft<br />
erscheint ihm. Säulen aus Wasser stürzten der Erde entgegen. Und er fühlt das<br />
Herz von M....<br />
24
07.08.1495 Ewiger Landfriede Handhabung von Frie<strong>den</strong> und<br />
Recht mit Unterstützung des Gemeinen Pfennigs<br />
...So klein er ist so treu war er. So leicht zu verlieren, ganz ohne Tränen. Wie oft<br />
fand ich ihn auf Gleisen, zermalen von schwerer Technik. Vorbei...<br />
25
08.06.1865 Das verhinderte Duell Otto von Bismarck gegen Rudolph Virchow<br />
und seine späte Erfüllung<br />
...Die Bismarck trifft die Hood...<br />
26
08.11.1685 Hugenotten Großer Kur<strong>für</strong>st erfindet die Greencard<br />
...Kunstfleiß, Tätigkeit und kluge Sparsamkeit - wirklich tüchtige Mannen diese<br />
Hugos, dachte sich der Landesvater. Und weil die Gelegenheit gerade günstig<br />
war, bestellte sich Herr F., der Große, gleich 20 000 Stück. Die gaben dann auch<br />
gleich ihr Bestes, so dass das Land erblühte und sich das Volk im siebten Himmel<br />
wähnte...<br />
27
08.11.1939 Georg Elser Der Privatkrieg des Herrn E.<br />
...Herr E. gilt als schweigsamer, doch geselliger Mensch. Seit seiner Schulzeit<br />
musiziert er, gehört einem Trachtenverein an und später dem Zitherclub in<br />
Königsbronn. Er spielt <strong>den</strong> Kontrabass auf Tanzaben<strong>den</strong> und ist bei Frauen beliebt.<br />
Auch wandert er gern mit Freun<strong>den</strong>. In seiner Ruhe stört ihn nur Herr H.. Herr H. will<br />
Krieg und stört nach Ansicht von E. die Harmonie der Familie...<br />
28
09.03.1497 Nikolaus Kopernikus Ordnung im Raum<br />
...Nacht <strong>für</strong> Nacht steht Herr K. unter dem Himmelszelt von B. und schaut hinauf in das schwarze Loch mit <strong>den</strong> vielen<br />
weißen Punkten. Er weiss, dass es eine Ordnung in diesem Raum gibt und er sie nur zu lesen lernen muss. "Der Mond<br />
steht heute wieder anders", spricht er leise zu sich selbst, "anders, als ihn P. beschreibt"...<br />
29
09.04.1917 Lenin Der offen versiegelte Waggon<br />
...Herrn P. macht die Sangeslustigkeit der mitreisen<strong>den</strong> Kamera<strong>den</strong> etwas Sorge.<br />
Ein paar konnten sich nicht bezähmen und sangen die Marseillaise, Carmagnole<br />
und andere französische Lieder, unberücksichtigt der bei<strong>den</strong> Begleitoffiziere. P.<br />
fordert, <strong>den</strong> Gesang einzustellen...<br />
30
09.05.1894 Deutschbündlers Urdeutscher Homer<br />
...drei Jahrzehnte schon bemüht sich Herr S., <strong>den</strong> Namen Homer ins Deutsche zu transformieren.<br />
Geleitet vom Auftrag, die Welt in ihren Ursprüngen zu germanisieren, wagt<br />
S., mit Herrn H. auf dem Rücken <strong>den</strong> Sprung nach Germania. Er hebt ab vom uralten<br />
Somêros, gleitet hinüber ins Mittelhochdeutsche zu Sagemäre und katapultiert sich<br />
weiter hinauf in die bayrisch-östereichische Mundart. Dort endlich entdeckt er<br />
So´ma, <strong>den</strong> Märchenkünder. Herr S. ist am Ziel und setzt Herrn H. vorsichtig in<br />
Walhalla ab...<br />
31
09.11.1759 Caspar Wolff Ein Epigenesist wird nach Petersburg gemobbt<br />
...Es gibt kein Wer<strong>den</strong> ! Kein Theil im Thierkörper ist vor dem anderen gemacht wor<strong>den</strong>, und alle sind zugleich<br />
erschaffen...<br />
32
10.10.1873 Robert Koch Tuberkelkuh<br />
...Herr K. ist wieder auf dem Land. Die frische Herbstluft tut ihm gut. Herr K. ist<br />
Sammler und voller Elan. Gerade heute hat ihn sein Lieblingsbauer wieder auf<br />
die Weide gerufen, um ihm eine weitere seltsam verunstaltete Kuh <strong>für</strong> seine<br />
Sammlung anzubieten. K. weiss: das, was er sucht, ist winzig klein. Und was er<br />
sammeln will versteckt sich...<br />
33
11.02.1889 Japan auf <strong>den</strong> Schultern Preußens<br />
...Begegnung mit Orten transzen<strong>den</strong>ter Weisheit, <strong>den</strong>en ein schwerer Hauch<br />
preußischer Bürokratie anhaftet...<br />
34
11.11.1619 Rene Descartes Das Licht einer wunderbaren<br />
Einsicht<br />
...Sturmgebeugter Schatten in magisch- realistischer Kulisse...<br />
35
12.06.1411 Pest Herr H. hat in Gemeinschaft nackt getanzt<br />
...Herr H. ist Adamit, will sagen, Herr H. tanzt oft wie Adam ihn geschaffen, nackt.<br />
Herr H. ist Anführer einer Nackttanzgruppe, will sagen, Herr H. tanzt in<br />
Gemeinschaft nackt. H. ist verhext, sagt das Gericht. In dieser Zeit benehmen<br />
sich alle wohl etwas sonderlich...<br />
36
12.10.1956 Werner Forßmann Tief ans Herz<br />
...Ungewöhnliche Dinge kommen in Krankenhäusern mit der Negerpost schnell<br />
herum. Halb verschlafen und mit zerzaustem Haar stürzte Herr R. herein, um mich<br />
von meinen Dummheiten abzuhalten. Er war so rabiat, dass er versuchen wollte<br />
mir <strong>den</strong> Katheder herauszuziehen. Ich musste ihn erst mit ein paar Fußtritten<br />
gegen das Schienbein beruhigen...<br />
37
13.07.1870 Emser Depesche Wer macht die Realität?<br />
...Ein kleiner Disput am Wegesrand...<br />
38
13.08.1819 Friedrich Ludwig Jahn Körperstahl <strong>für</strong> <strong>den</strong> Kampf<br />
gegen Frankreich<br />
...Herr K., im Kopfstand, wird gehalten von vier getreuen Seelen. Im Geiste ihres<br />
Turnervaters üben die fünf <strong>den</strong> aufrechten Gang. Eigentlich ganz schön...<br />
39
13.08.1961 Mauer Überraschungsangriff als Mauerbau<br />
...Hüben wie drüben...<br />
40
14.03.1929 Konrad Wachsmann Herr W. und die schnellsten Holzhäuser der Welt<br />
...Frau E. hätte sich lieber ein Haus aus Stein gewünscht, <strong>den</strong>n sie vertraute nicht der flüchtigen Materie...<br />
41
14.04.0972 Adelheid Theophanu Einzug der "Ottonin" in Köln<br />
...Bunt kostümiert soll sie sein, sagt man, umgeben von tausend Exoten, sagt man. Nun, es ist Zeit. Das Tor von K.<br />
öffnet sich und die junge Kaiserin betritt die Stadt. Ein Raunen geht durch die Menge. In leuchtend grellen Farben,<br />
an offenen Mündern vorbei, marschiert der lange Tross. Die gol<strong>den</strong>en Reiter der Garde rufen dem Publikum fremde<br />
Worte zu. Helou oder ellau vielleicht auch Halau, mehr ist nicht zu verstehen...<br />
42
14.08.1881 Friedrich Nietzsche Wanderung jenseits von<br />
Mensch und Zeit<br />
...Du bist da, Meister, endlich bist du wiedergekommen, da die Not am größten ist.<br />
Sei uns willkommen Zarathustra ! Du wirst uns sagen, was wir tun sollen, du wirst<br />
uns vorangehen. Du wirst uns aus dieser größten aller Gefahren erretten...<br />
43
14.10.1806 Ernst Chladni Der Vater der Akustik hört 150 km<br />
entfernten Kanonendonner<br />
...Völker hört die Signale...<br />
44
14.11.1940 ENIGMA Alan Turing entschlüsselt das Rätsel des Krieges<br />
...Luftwaffen-Luftbild von Coventry: die Kreise verdeutlichen die Treffergenauigkeit deutscher Bordkanonen. Die<br />
rechteckigen Objekte sind klassische Ziele, wie Fabrikanlagen...<br />
45
15.05.1514 Herr von Bran<strong>den</strong>burg Ablasshandel des Papstes<br />
...Der Papst in Rom hat Großes vor. Ein Haus will er bauen. Ein Haus <strong>für</strong> P. in dem<br />
der Heilige aufrecht stehen kann. Doch das wird teuer. Der Glauben allein versetzt<br />
keinen Stein, das weiß auch der Papst. Und so borgt er sich Geld von einem<br />
Freund aus Mainz. Der ist kulant und hat nur einen kleinen Wunsch...<br />
46
15.05.1625 Adam Graf von Herberstorff Das Frankenburger Würfelspiel<br />
...und so hob Herr F. <strong>den</strong> Würfelbecher, schüttelte behutsam <strong>den</strong> Inhalt und ließ die Kuben fallen... - ..."das wars dann<br />
wohl", meinte Herr F. enttäuscht über sein Würfelglück. "Strafe muss sein", meinte Herr H. und ließ F. an der Linde<br />
aufknüpfen...<br />
47
15.10.1454 Johannes Gutenberg Herr Piccolomini entdeckt<br />
<strong>den</strong> Bibelstand des Herrn G.<br />
...Gott ist ein Buch...<br />
48
16.03.1944 Joseph Beuys Hel<strong>den</strong>friedhof<br />
...Rot Kreuz auf der Krim...<br />
49
16.06.1953 Fritz Selbmann "Tischgespräch" mit dem Volk<br />
...nichts da mit Weltrevolution auf meine Kosten, meint Maurer W. vom Block 40.<br />
"Fasst Euch doch selber an die Nase und bringt Bewegung in <strong>den</strong> Apparat, ihr<br />
Bonzen" schreit irgendeiner aus der Menge. "Normen sind gut, aber nicht wenn<br />
der Magen leer ist" ruft das ganze sozialistische Kollektiv Herrn S. zu. Der steht<br />
verlassen von der Führung auf einem Tisch, inmitten einer negativ gestimmten<br />
Masse...<br />
50
16.09.1941 Werner Heisenberg oder Niels Bohr Wer baut die erste A-Bombe?<br />
...beide Wissenschaftler sind bei diesem Treffen voll von Emotionen. H. ist voller Pläne, <strong>den</strong>en B. nicht folgen kann.<br />
Im Gesicht von B. liest H. <strong>den</strong> Zweifel. Und B. weiß wirklich nicht, was H. ihm sagen will...<br />
51
17.03.1905 Mileva Einstein Die Brücke zur Entdeckung der<br />
Relativitätstheorie<br />
...“Wie glücklich und stolz werde ich sein, wenn wir beide zusammen unsere<br />
Arbeit an der Relativitätstheorie siegreich zu Ende geführt haben“... - ...schreibt<br />
sie am 17. ihrem Mann Albert...<br />
52
18.01.1934 Schäfers Tibet Reise zu <strong>den</strong> Wurzeln Germanias<br />
...Tibet nimmt <strong>für</strong> die stammesgeschichtliche Entwicklung vieler Lebewesen eine<br />
außeror<strong>den</strong>tlich wichtige Stellung ein. Hier durch kausalanalytische<br />
Betrachtungsweise Klarheit zu schaffen, ist ein Leben wert...<br />
53
18.03.1848 Adolph von Menzel Herr M. malt aus der Seele<br />
...Vor dem Berliner Schlosse ertönt ein Trauerlied:<br />
Da liegen viel hundert Tote,<br />
Sie liegen in Reih und Glied.<br />
Und Leich´ um Leiche tragen,<br />
Die Bürger stumm heran.<br />
Als wollten sie sagen: König!<br />
Da sieh, was du getan!...<br />
54
18.06.1821 Carl Maria von Weber Die satanische, immertreffende<br />
Freikugel<br />
...W. steht auf der Bühne und probt eine kleine Verbeugung vor einem imaginären<br />
Publikum. Im hinteren Bereich der Bühne wird noch gebaut. Es riecht<br />
nach Mörtel und Kalk. Er ist aufgeregt. Aufgeregt, wie man aufgeregt ist vor einer<br />
Geburt...<br />
55
18.06.1896 Dosenwurst 40 000 Würste <strong>für</strong> <strong>den</strong> Kyffhäuser<br />
...100 Jahre Kaiserknacker...<br />
56
18.07.1126 Norbert von Xanten Vom Blitz gesegnet marschiert X. barfuß in M. ein<br />
...Längst verlassen ist die Gruft, doch Herr X. strahlt noch...<br />
57
18.07.1750 Johann Sebastian Bach Die Kunst der Fuge<br />
...Der erblindete Herr B. berechnet <strong>den</strong> gol<strong>den</strong>enSchnitt der Fuge und wird <strong>für</strong> einen kurzen Moment wieder sehend...<br />
58
19.06.1814 Anton Friedrich Thibau contra Herrn Karl von Savigny<br />
...Herr. T. startet einen Aufruf und sucht die Öffentlichkeit. Was gut ist setzt sich<br />
durch, meint Herr T. Nur im fernen Berlin ist Herr S. über das Recht und <strong>den</strong><br />
Volksgeist anderer Meinung...<br />
59
19.10.1988 Foto Anonymus Observation von Herrn 33<br />
...Abgeschossen...<br />
60
20.05.1634 Hans Grimmelshausen Brandschatzung einer<br />
Geburtsstadt<br />
...ein Überbleibsel von Brandmauer...<br />
61
21.05.1945 Bergen-Belsen Britische Truppen feuerbestatten in einem feierlichen<br />
Akt die letzte Baracke<br />
...Feuerstelle...<br />
62
21.10.1616 Johannes Kepler Das Hexenopfer<br />
...Herr K. schrieb einen Mondroman, so plastisch und detailverliebt, dass niemand wusste ist es Wahrheit oder<br />
Fiction. Er selbst verkörperte die Wissenschaft mit Namen Duracotus. Das Böse, die Unwissenheit war die Mutter<br />
der Wissenschaft in Gestalt von Fiolxhilde. Ein wunderschönes Bilderspiel, nur jeder dachte es sei wahr, die<br />
Mutter fliegt wohl öfter so und trifft im Mond die Hexen...<br />
63
22.03.1982 Gottfried Leibniz Herr L. wird demontiert<br />
...Herr L. demontiert die Büste des Herrn L.. Zu oft schon vandalierte die Jugend im<br />
Tempelrund des steingewor<strong>den</strong>en Geistes. Des Denkmals Kern entschwand und<br />
übrig blieb eine Bühne <strong>für</strong> einsame Musikanten, die die Akustik der gewölbten<br />
Deckenkonstruktion zu schätzen wissen...<br />
64
22.06.1793 Wilhelm Wackenroder Die Auferstehung der<br />
Gebeine des Herrn Dürer<br />
...Die Blümchen die Herr D. so mochte...<br />
65
22.10.1884 Helene Druscowicz Irrenhausschrift über die<br />
viehische Lust des Männlichen<br />
...hierzu kommt die wahrhaft viehische Lust des männlichen Geschlechts an<br />
Sport, Vergnügungen und Spielen aller Art. Demnach unterliegt die Einrichtung<br />
des Mannes derart der philosophischen Kritik, dass das blödeste Tier sein<br />
moralischer Führer sein könnte...<br />
66
22.10.1931 Adolf Butenandt Isolation des weiblichen<br />
Sexualhormons<br />
...Herr B. misst <strong>den</strong> Kamm des Kapaunen. 20 Prozent Größenwachstum, seit er<br />
dem jung kastrierten Hahn die Injektion verabreicht hatte. Schön wie der zur<br />
Nutzlosigkeit degradierte Signalgeber angeschwollen ist. B. pumpt weiter<br />
Testosteron in <strong>den</strong> Hahnenleib. Und weiter schwillt der Kamm...<br />
67
23.06.1990 Mathias Baader Holst Flucht aus der Zeit am Vorabend<br />
einer Währungsunion<br />
...Und so En<strong>den</strong> die Märchen: Niemand lacht. Niemand flüchtet.<br />
Alle Er<strong>den</strong>bürger dämmern gottgefällig in Bejahung des Nichts.<br />
In der Erinnerung, später, vielleicht erst in fünfzig siebenhundert Jahren,<br />
reduziert sich die Menschheit auf das Summen einer unerträglichen Mücke...<br />
68
24.05.1780 Georg Lichtenberg Erstes Gartenhäuschen<br />
mit Blitzableiter<br />
..."Wieso entladet sich der göttliche Zorn gerade über Kirchtürmen ?", fragt Herr<br />
B. <strong>den</strong> Gelehrten Herr L. "Wir läuten und läuten vor und während je<strong>den</strong> Gewitters<br />
um Gott zu besänftigen, aber er hält Gericht über uns wie über je<strong>den</strong> anderen.<br />
103 Personen sind schon dabei gestorben"...<br />
69
24.05.1944 Friedl Dicker-Brandeis Monogramme in Kombination, als Wiederherstellung<br />
kindlicher I<strong>den</strong>tität<br />
...viele der 5000 Kinderzeichnungen aus Theresienstadt tragen auffällige Monogramme. Wiederholungen der<br />
Namen in verschie<strong>den</strong>en graphischen Kombinationen. Sie sind signiert in Blumensprache, gemalt als Brücken zur<br />
verlorenen Kindheit...<br />
70
24.12.1829 Heinrich Schliemann Vater, Troja lebt !<br />
...Herr J. hatte gelogen...<br />
71
25.05.1865 Moritz Schreber Die absolute Ordnung der Strafe im Garten der Lüste<br />
...Kommt, kommt und laßt uns unsern Kindern leben !<br />
So haben Schreber, Hauschild uns Gelehrt;<br />
Durch Jugendspiel des Volkes Kraft zu heben,<br />
Das war ihr Wunsch, - er ward von uns erhört...<br />
Kleiner Jubiläumsreim<br />
72
26.04.1937 Guernica UNO-Vorhang<br />
...die Kamera-Augen der Welt lauern. Es ist Frühjahr 2003. Im Foyer der UNO warten<br />
Journalisten und Fotografen auf Herrn P., B. oder sonst jemand, der etwas<br />
über Krieg oder Frie<strong>den</strong> im Irak zu sagen hat. Im Hintergrund der Mikrofone<br />
schweigt verhangen im dezenten Uno-Blau die Kopie von Picassos Guernica und<br />
wartet darauf, dass sie wieder mahnen darf...<br />
73
26.05.1828 Kaspar Hauser kehrt zurück<br />
...Ankunft von H. in N....<br />
74
26.07.1824 San Leopoldo Anlandung der <strong>deutschen</strong><br />
Kulturwalze<br />
...Dein Land ist reich - und unendlich dankbar, aber es braucht Tatmenschen,<br />
<strong>den</strong>n es will in hartem Kampf umworben wer<strong>den</strong> wie eine spröde Schöne. Er gibt<br />
sie sich endlich, weiß der Werber, was er an ihr hat...<br />
75
26.08.1824 Heinrich Marx ehem. Herr Hirsch Mordechei<br />
Familiärer Religionswechsel<br />
...Herr Mordechei ist gewissenhaft. Seine Arbeit führt er zur Zufrie<strong>den</strong>heit seiner<br />
Kun<strong>den</strong> und seiner Vorgesetzten korrekt aus. Nur seine Herkunft scheint ihm ein<br />
berufliches Hindernis zu sein. M. ist nicht wirklich gläubig, wie sein Name es<br />
vermuten lässt. Und um hier einiges zu klären verkürzt er seinen -und die Namen<br />
seiner Kinder- in Marx...<br />
76
26.08.1856 Neandertal Alessandro und Luigi verhindern beinah die<br />
Wiedergeburt des ersten Europäers<br />
...Neanderschrott...<br />
77
27.03.1188 Barbarossa Schwur auf <strong>den</strong> III. Kreuzzug<br />
...Heute schwimmt der Kaiser wieder. Hoffentlich ereilt der "Barbarossa" nicht selbiges Ende...<br />
78
27.06.1755 Jakob Obereit Herr O. findet das Nibelungenlied<br />
im Zettelkasten von Hohenems<br />
...Herr S. badet ewig im Blute...<br />
79
27.11.1095 Kreuzzug Gott will es<br />
...Zeichnung Klasse 8...<br />
80
28.04.1857 Wagnerwesendonck - Tristanisolde Ein Sehnsuchtsakkord<br />
...Die Musik ist ein Weib, röhrt Herr W. brunftig...<br />
81
29.03.1796 Carl Friedrich Gauß Herr G. zeichnet ein 17-Eck<br />
mit Zirkel und Lineal<br />
...ehe der junge Herr G. aus dem Bett aufsteht, entdeckt er, dass die Konstruktion<br />
des regelmäßigen 17-Eck mit Zirkel und Lineal möglich ist, wenn p gleich zwei<br />
hoch zwei m plus eins ist. Das geht so leicht von der Hand, dass in ihm der innige<br />
Wunsch entsteht, die Magie der Zahlen zu studieren...<br />
82
29.08.1940 Exil Walter Benjamin und Siegfried<br />
Kracauer, ein Grenztreffen<br />
...Es ist Mittag. Im Hafen von Marseille gibt es an diesem Tag nur ein Thema unter<br />
<strong>den</strong> Exilanten. Raus und weg, weit weg. Herr B. und Herr K. sitzen bei einer Tasse<br />
Kaffe und haben die gleichen Pläne. "Was wird wohl aus uns wer<strong>den</strong>", fragt Herr<br />
B. über <strong>den</strong> Tisch hinweg zu K. "Wir wer<strong>den</strong> uns alle hier umbringen müssen"<br />
meinte dieser...<br />
83
29.10.1772 Johann Wolfgang Goethe Herr J. sein Selbstmord animiert Herrn G.<br />
...Ausgelitten hast du - ausgerungen,<br />
Armer Jüngling, deinen Todesstreit;<br />
Abgeblutet die Beleidigungen<br />
Und gebüßt <strong>für</strong> deine Zärtlichkeit !...<br />
L. bei Ws´. Grab<br />
84
30.01.1945 Wilhelm Gustloff Beschuss und Untergang eines Flüchtlingsschiffes<br />
...Trockene Analyse...<br />
85
30.03.1769 lmmanuel Kant Die schöne S. katapultiert Herrn K. in seine<br />
eigene Welt zurück<br />
...K. hatte nichts unversucht gelassen, der schönen S. seine Liebe zu gestehen. Wenn nicht sie, dann keine. Als die<br />
schöne S. seinen besten Freund G. heiratet, bricht <strong>für</strong> K. eine innere und äußere Welt zusammen. K. leidet fortan<br />
unter Verstopfung und versucht, die Symptome seiner Krankheit wissenschaftlich zu erfassen. Er weiß, nur<br />
Ordnung in <strong>den</strong> geistigen Dingen kann sein Leben retten...<br />
86
30.05.1968 Karl Marx Umbenennung als politische Markierung<br />
...Oben links, auf dem Bild, versucht Herr D., kaum erkennbar, die Umbenennung zu entfernen. Rechts der Mann<br />
schaut nur betroffen drein...<br />
87
30.06.1940 Warnemünde Erinnerungswelle<br />
...Deutsche Brandung...<br />
88
DER DATENSCHLÜSSEL<br />
01.04.1893 Standardzeit Der Deutschen Schrittmacher<br />
...brav sendet DCF77 das Signal <strong>für</strong> deutsche Pünktlichkeit. Jahre<br />
nach Einführung der Standardzeit in Deutschland bestimmt ein<br />
Mast <strong>den</strong> atomar geteilten Takt des Lebens...<br />
01.04.1933 Ju<strong>den</strong>boykott Amtliche Anordnung<br />
...Herr Nathan hat ein großes Geschäft. Er handelt mit Wollwaren<br />
und allem, was dazu gehört. Obwohl nur wenige Auslagen bewundert<br />
wer<strong>den</strong> können, sind die Fenster großzügig verglast und<br />
immer blitzblank geputzt. Aber die Kun<strong>den</strong>, die doch gestern noch<br />
so zufrie<strong>den</strong> mit seinem Angebot waren, bleiben heute Morgen<br />
aus. Nur Wenige, seltsam Unentschlossene, bleiben vor seinem<br />
Geschäft stehen und schauen neugierig hinein...<br />
01.05.1831 Heinrich Heine Die Götter gehen ins Exil<br />
...Herr H. ist müde. Seit Tagen schon sorgt sich die Familie um<br />
seine Gesundheit. Spät erst kommt er aus <strong>den</strong> Federn. Am<br />
Frühstückstisch spricht er von der Sonne, die eine preußische<br />
Kokarde sei, von Geiern, die schwarz und hässlich ihm die Leber<br />
aus dem Leibe fressen... - ...nur im Westen, im Herzen Europas, sei<br />
es besser. Alle sprechen dort französisch, wie bei uns der Adel,<br />
meinte er. Die Männer seien höflich und die Frauen lächeln so<br />
schön... - ... aber kurz darauf fiel er wieder schlaff zurück in<br />
seinen Stuhl und wurde melancholisch...<br />
01.06.1860 Robert Wilhelm Bunsen gemeinsam mit<br />
Herrn Gustav Robert Kirchhoff sehen über<br />
Heidelberg Spektralien<br />
...Herr B. und Herr K. stehen gemeinsam am Fenster und schauen<br />
in <strong>den</strong> Heidelberger Himmel. Es ist Nacht und der Himmel klar. Ein<br />
Feuerwerk ist angekündigt und beide sind äußerst aufgeregt ob<br />
der bunten Lichter...<br />
01 .08.1989 Liese Meitner Der Problemtisch<br />
..."der Tisch ist nicht original", sagte Prof. H. zu <strong>den</strong> Mitarbeitern<br />
des Museums und blickte etwas abschätzig auf das Möbel. "Ich<br />
kann aber einen besorgen, der dem Original ähnlich ist. Drauf<br />
ordnen wir dann einige Stücke aus meiner Sammlung und zaubern,<br />
na ja annähernd, <strong>den</strong> Moment der ersten Kernspaltung<br />
zurück." Alle blickten begeistert, aber auch gerührt dem alten<br />
Herrn über die Schulter, der sich setzte und gleich noch einen<br />
Vorschlag <strong>für</strong> die Beschriftung der Hinweistafel auf einen kleinen<br />
Zettel notierte...<br />
...als auf dem Weltkongress <strong>für</strong> Wissenschaftsgeschichte 1989<br />
die Sache mit dem Tisch und der männlichen Beschriftung zur<br />
Sprache kam, ging ein Raunen durch <strong>den</strong> Saal. Frau S. provozierte<br />
einen Eklat, an dessen Ende die Hinweistafel am falschen Hahn-<br />
Straßmann-Tisch geändert wer<strong>den</strong> musste...<br />
02.04.1968 Andreas Baader Herr B. erwidert das Feuer<br />
...unsere belgischen Freunde haben endlich <strong>den</strong> Dreh heraus, die<br />
Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam wirklich zu beteiligen...<br />
Sie zün<strong>den</strong> ein Kaufhaus an ...dreihundert saturierte Bürger<br />
89<br />
been<strong>den</strong> ihr aufregendes Leben, und Brüssel wird Hanoi... wenn<br />
es irgendwo brennt in der nächsten Zeit,... seid bitte nicht überrascht...<br />
Herr B. in einem Briefing<br />
02.07.1505 Martin Luthers<br />
Blitzentscheidung am Wegesrand<br />
...in ihm war Angst und neben ihm der dräuende Gott, unbußfertig<br />
drohte der Tod. Ein Blitz schlug ein in nächster Nähe und zwang<br />
Herrn L. zu Bo<strong>den</strong>. Im Stoßgebet gelobte er ein Mönch zu wer<strong>den</strong>,<br />
blickte auf und sah sich von Himmel und Schrecken berufen...<br />
02.11.1525 Adam Ries Bürgereid von Annaberg<br />
...Herr R. wurde gerade als Bürger von A. vereidigt. R. hat es im<br />
Leben zu etwas gebracht. Er hat ein Rechenbuch geschrieben und<br />
eine Rechenschule gegründet, weil er die Zahlen so liebt. Herr R.<br />
genießt es, durch <strong>den</strong> schmalen Türspalt zu beobachten, wie die<br />
kleinen Buben die Ordnung seiner Zahlen involvieren...<br />
...am 2. wird Herr R. als Bürger von Annaberg vereidigt...<br />
03.05.1096 Speyer<br />
Im zweifelhaften Schutz des Kaisersein<br />
Ju<strong>den</strong> Pogrom<br />
...doch wieso sollte P., der Eremit, erst bis ins Heilige Land reisen,<br />
wenn doch diejenigen, die Schuld am Tode von J. hatten, mitten<br />
unter ihnen wohnten ? P. und sein Mob erreichten am 3. Speyer<br />
und metzelten gleich hier...<br />
03.05.1647 Hans Rogler<br />
Kartoffelkampf in Pilgramsreuth<br />
...R. ist oft zu Besuch bei seinen Verwandten hinter der Grenze in<br />
R.. Besonders gut schmecken ihm die dicken Ehrdepfl, die seine<br />
dicke Schwägerin ihm kocht. Die hatte sie von einem Offizier aus<br />
Niederlan<strong>den</strong>, der schnittig war und oft bei ihr verkehrte.<br />
Je<strong>den</strong>falls legte der im Frühjahr zwei große runde Dinger in die<br />
Erde. "Und siehe da", sagte die Schwägerin zu R., "kaum hundert<br />
Tage später da wur<strong>den</strong>s derer sieben"...<br />
...Am 3. nahm sich R. zwei Epfl und drückte sie in sein Erdreich,<br />
einfach so...<br />
04.01.1761 Carsten Niebuhr<br />
Das Orientgeschenk<br />
...alle Expeditionsteilnehmer starben an seltsamen Krankheiten,<br />
nur Herr N. blieb unversehrt. Im Auftrag eines Unsichtbaren<br />
schrieb N. alles, was er sah, roch und hörte, nieder. Jede Form aus<br />
Stein, die Landschaft, die Speisen und die Sprache wur<strong>den</strong><br />
detailliert notiert...<br />
...so schön, dass Napoleon auf seiner Fahrt nach Ägypten die<br />
"Reisebeschreibungen von Arabien und anderen umliegen<strong>den</strong><br />
Ländern" ständig bei sich trug...<br />
...am 4., Abfahrt...
04.06.1768 Joachim Winckelmann<br />
Triester Elegien<br />
...Herr W. ist wieder auf Reisen. Angekommen im Hafen von T.<br />
sucht W. ein Schiff, das ihn ans andere Ufer übersetzt. Dabei lernt<br />
W. einen interessierten Herrn kennen, der ebenfalls hinüber will.<br />
Flüsternd berichtet W. ihm von seinen Schätzen...<br />
...W. vergöttert die Schönheit des Männlichen. Er sehnt sich nach<br />
marmorgleichen Gebil<strong>den</strong> griechischer Ideale. Am 4. begegnet er<br />
Ihm wieder, nur dieses Mal geleitet ihn der Geliebte endgültig an<br />
das andere Ufer...<br />
04.06.1825 Ernst Bandel<br />
Einsamer Bauherr des Hermanns<strong>den</strong>kmal<br />
...fünfundzwanzig ist Herr B., gesund und voller Tatendrang. Sein<br />
Held ist Hermann der Etrusker. Ihn hat er tausendmal gezeichnet.<br />
Jede Linie des Körpers seines Hel<strong>den</strong> ist ihm nah. Auf einen<br />
Sockel aus Stein soll der Kämpfer stehen. Geschmiedet aus<br />
Kupfer, ein Koloss, <strong>für</strong> die Ewigkeit gewappnet. Dann, wenn sein<br />
Werk vollendet, wird B. dem Hermann nahe sein...<br />
...4...Liebe K. Wie Du weisst, will ich Künstler wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n nur als<br />
Künstler kann ich verachtend auf die Erbärmlichkeiten schauen,<br />
die der Menschen Glück immer zerstören. Kein Wille wird mich<br />
vom Weg drängen, kein bürgerliches Glück locken, kein Leben<br />
werd ich im Sklaventum <strong>für</strong> andre Pfuscher leben...<br />
04.10.1582 10 Tage Phantomzeit<br />
...Pünktlich zum Frühlingsanfang ist Herr G. im Turm der Winde. Er<br />
beobachtet aufmerksam <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong> und blickt immer wieder<br />
gespannt auf die kleine Öffnung in der Wand. Wie erwartet,<br />
quetscht sich ein Strahl göttlichen Lichts durch <strong>den</strong> engen Spalt<br />
und zeichnet ein Oval auf <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong>. "Knapp vorbei", murmelt<br />
Herr G., zückt sein Lineal und notiert die fehlen<strong>den</strong> Zentimeter.<br />
Spät am Abend rechnet er noch mal alles durch und beschließt,<br />
dass zehn Tage übersprungen wer<strong>den</strong> müssen, um wieder<br />
Ordnung in das Chaos der Zeit zu bringen...<br />
04.12.1900 Max Planck<br />
Herr P. gibt <strong>den</strong> Startschuss <strong>für</strong>s Atomzeitalter<br />
...Herr P. hat eine Hypothese, die er einen erlauchten Publikum<br />
zum Gehör bringen möchte. Die Atmosphäre im Saal ist gela<strong>den</strong><br />
und alles wartet auf <strong>den</strong> Blitz, der sie entspannt. Herr P. wird seiner<br />
Aufgabe gerecht spricht und zerlegt die Energie in Quanten.<br />
Somit, sagen später alle, ist das Kontinuum der Natur beendet...<br />
...Am 14. hält Herr P. einen Vortrag vor der Berliner Physikalischen<br />
Gesellschaft über seine "Quantentheorie"... - ...ein Genie - Blitz...<br />
05.05.1972 Friedrich Schiller<br />
Ganz Europa singt in Eintracht vom gelungenen<br />
großen Wurf<br />
...am 5., Beschluss des Europarats zur Europahymne,<br />
Text: Herr S....<br />
90<br />
06.11.1895 Wilhelm Röntgen X Strahlen<br />
...Frau R. ist sich nicht ganz sicher, ob es, wie ihr Mann sagt, ungefährlich<br />
sei, die Hand vor <strong>den</strong> Apparat zu legen. Sie vertraut ihm<br />
und wird mit einem Bild vom innersten ihrer Welt belohnt. Nur der<br />
Ring, <strong>den</strong> hat sie vergessen abzunehmen. Der sieht plötzlich so<br />
plump aus, <strong>den</strong>kt sie...<br />
06.12.1827 Alexander von Humboldt<br />
Der Kosmos <strong>für</strong>s Volk<br />
...Der Du vom fernsten Nebelflecke<br />
Zu uns´rer Sonne Himmelsdecke<br />
Das Weltall geistig uns erklärt,<br />
Wie in dem Deuten der Atome<br />
Auf deiner Suada mächt´gem Strome<br />
Den hohen Meister und bewährt; -<br />
Der Du die Wichtigkeit der Thiere,<br />
Und dass kein Wesen sich verliere,<br />
Voll Geist und Scharfsinn uns gelehrt;<br />
Wie Du <strong>den</strong> Schöpfer dieser Räume<br />
Und aller Welten, Wesen, Bäume,<br />
Durch Deinen Vortrag tief verehrt; -<br />
Der Du durch Herschels Teleskopen<br />
Den mag´schen Himmel Deiner Tropen<br />
Gleich aller Elemente Zank<br />
Uns aufgeschlossen, - doch Versöhnen<br />
Im Weltall zeigtest voll des Schönen:<br />
Nimm, edler Lehrer, unsern Dank... Ein Schülergesang<br />
07.06.1525 Albrecht Dürer Traumgesicht<br />
...In dieser Nacht entdeckt D. sein Innerstes. Er träumt die<br />
Wahrheit und weiss, er muss ihr folgen. Doch die Bauernfrage ist<br />
geklärt. Hoch oben auf einem Pfahl steckt der abgeschlagene<br />
Kopf Müntzers. Der Schädel soll schrecken weiter so wie M. zu<br />
<strong>den</strong>ken. Er schreckt... In dieser Nacht nennt D. sich feige...<br />
07.08.1495 Ewiger Landfriede<br />
Handhabung von Frie<strong>den</strong> und Recht mit finanzieller<br />
Unterstützung des Gemeinen Pfennigs<br />
...der letzte seiner Art. Dem Gemeinen Pfennig wurde ein langer<br />
Prozess gemacht. In W., im Reichstag in aller Munde, später etwas<br />
vernachlässigt und nun aus allen Taschen...<br />
...Das Recht der Fehde war beendet. Erlasse wur<strong>den</strong> verbrieft und<br />
Kammergerichte sorgten <strong>für</strong> Ordnung - alles finanziert (oder auch<br />
nicht) vom Gemeinen Pfennig...<br />
08.06.1865 Das verhinderte Duell<br />
Otto von Bismarck gegen Rudolph Virchow und<br />
seine späte Erfüllung<br />
...Herr V. hält im Reichstag eine Rede und attackiert mit Wortgewalt<br />
Herrn B.. Herr B. ist erzürnt ob der öffentlichen Schmach und fordert<br />
mit zitterndem Schnauzbart alsbaldige Satisfaktion. Besänftigend<br />
re<strong>den</strong> die Freunde von B. auf <strong>den</strong> fuchsteufelswil<strong>den</strong> Abgeordneten<br />
ein... - ...und B. gibt brummend nach. Doch Jahre später, der Vorfall war<br />
schon fast vergessen, trägt stellvertretend <strong>für</strong> Herrn B. ein<br />
Schlachtschiff gleichen Namens nun endlich das verhinderte Duell zu<br />
Gunsten von Herrn B. aus...
08.11.1685 Hugenotten<br />
Großer Kur<strong>für</strong>st erfindet die Greencard<br />
...Unterschrift unter das Entwicklungshilfe-Edikt...<br />
08.11.1939 Georg Elser Der Privatkrieg des Herrn E.<br />
...um 20.40 Uhr beobachtet der Zollbeamte Xaver Rieger einen<br />
schleichen<strong>den</strong> Mann sich der schweizerischen Grenze nähern.<br />
Später schilderte er: "Als ich die Überzeugung hatte, dass mein<br />
Anruf gehört wer<strong>den</strong> musste, rief ich ihn mit <strong>den</strong> Worten ´Hallo wo<br />
wollen sie hin ?` an."...<br />
09.03.1497 Nikolaus Kopernikus Ordnung im Raum<br />
...eine erste Notiz seiner Beobachtungen des Sternes Aldebaran<br />
im Stier, erregt die Wissenschaft...<br />
09.04.1917 Lenin Der offen versiegelte Waggon<br />
...Am 9. verlässt Herr L. mit seinen Getreuen in einem nicht wirklich<br />
verplombten Waggon Zürich. Ein diplomatischer Schachzug,<br />
von dem sich die Deutschen größtmögliches Chaos in Russland<br />
erhoffen und die Revolutionäre die Freiheit der Welt...<br />
09.05.1894 Deutschbündlers Urdeutscher Homer<br />
...am 5. gründet Herr Friedrich Lang in Berlin <strong>den</strong> Deutschbund. Es<br />
ist ihm und seinen Mitstreitern heilige Pflicht, die Wiege der<br />
Menschheit zu arisieren...<br />
09.11.1759 Caspar Wolff<br />
Ein Epigenesist wird nach Petersburg gemobbt<br />
...Ein halbes Jahrhundert wird die "Theoria generationis" ignoriert<br />
und mit wortgewaltigem Eifer bekämpft. Herr W. <strong>den</strong>kt voraus<br />
und entschlüsselt die Entwicklung des Embryos. Die Alles-<br />
Leben-kommt-aus-einem-Ei-Theorie findet der Zar in Russland<br />
stimmig und holt W. nach Petersburg...<br />
10.10.1873 Robert Koch Tuberkelkuhfund<br />
11.02.1889 Japan auf <strong>den</strong> Schultern Preußens<br />
...Am 11. führt Japan nach preußischem Vorbild die Verfassung<br />
ein. - Im Ge<strong>den</strong>ken an Herrn H. und Herrn K. -...<br />
11.11.1619 Rene Descartes<br />
das Licht einer wunderbaren Einsicht<br />
...ein mächtiger Sturm treibt Herrn D. voran und lässt ihn heftig<br />
und schmerzhaft gegen ein Tor prallen. Er erkennt die Mauern von<br />
La Fleche, das Kolleg seiner Jugend und macht sich bereit zum<br />
Gebet. Ohne seinen Hut zu ziehen, begegnet D. einem Bekannten<br />
und will auf der Stelle umkehren, nur der Sturm, der hindert ihn.<br />
Sein Name wird gerufen und eine Bitte wird gestellt... falls er zu<br />
Monsieur N. gehen will, solle D. ihm eine Melone übergeben. So<br />
kämpf der Träumende gegen <strong>den</strong> Sturm durch eine Landschaft in<br />
Aspik...<br />
91<br />
12.06.1411 Pest<br />
Herr H. hat in Gemeinschaft nackt getanzt<br />
..Am 12., in <strong>den</strong> Tagen einer besonders wüten<strong>den</strong> Pestattacke,<br />
wird Herr Willem von Hilldernissen der Ketzerei angeklagt.<br />
Trotzdem tanzt die Pest weiter...<br />
12.10.1956 Werner Forßmann Tief ans Herz<br />
....Am Abend rief im Hause des Herrn F. eine Dame aus B. mit fremdländischem<br />
Tonfall an und flüstert Frau F. etwas vom Nobelpreis<br />
ins Ohr...<br />
13.07.1870 Emser Depesche Wer macht die Realität ?<br />
...der Genius schafft nicht aus dem Nichts, aber er <strong>den</strong>kt eine neue<br />
Wirklichkeit, die vor ihm niemand sah, die nicht existierte. Die<br />
vorhan<strong>den</strong>e Wirklichkeit, mit der der Realist rechnet, befindet<br />
sich immer schon in Agonie. Bismarck manipuliert die Welt durch<br />
seinen Röntgenblick er übernimmt mit gekürzten Worten des<br />
Monarchen die Initiative und besiegt Frankreich...<br />
13.08.1819 Friedrich Ludwig Jahn<br />
Körperstahl <strong>für</strong> <strong>den</strong> Kampf gegen Frankreich<br />
...Herr J. ist inhaftiert. Herr J. hat viel zu viele Turner angeworben<br />
und kollektiv versaut, sagen die Herren von der Polizei. Herr J. hält<br />
trotz dieser Enge seinen Körper fit. Das hilft ihm, wach im Geist zu<br />
bleiben. Denn eines Tages, das weiß er, wird er wieder mal<br />
gebraucht, dann wird er wieder Wege weisen...<br />
13.08.1961 Mauer Überraschungsangriff als Mauerbau<br />
..."Die Bauarbeiter unserer Hauptstadt beschäftigen sich<br />
hauptsächlich mit Wohnungsbau", antwortet Herr U. auf die Frage<br />
von Herrn D., "und ihre Arbeitskraft wird voll eingesetzt. Niemand<br />
h a t<br />
die Absicht eine Mauer zu errichten !"...<br />
14.03.1929 Konrad Wachsmann<br />
Herr W. und die schnellsten Holzhäuser der Welt<br />
...der Geburtstag von Herrn E. wurde lieber im Stillen gefeiert. Die<br />
Familie verließ die Stadt und war <strong>für</strong> nieman<strong>den</strong>, auch nicht <strong>für</strong><br />
Herrn W., zu sprechen. Herr W hatte Tage an seinem Geschenk<br />
modelliert, einem Holzhaus, und nun war der berühmte<br />
Wissenschaftler unerreichbar...<br />
...am 14. März, dem Geburtstag Einsteins, schenkte die Stadt Berlin<br />
ihrem berühmten Bürger ein Haus am See, auf dem Papier. Alle<br />
Zeitungen berichteten darüber und so las auch Herr W., der<br />
Architekt des schnellen Bauens, von dieser Großzügigkeit. Die<br />
Enttäuschung war ihm anzusehen, wollte er doch E. beschenken.<br />
Aber so leicht gab er nicht auf...<br />
14.04.0972 Adelheid Theophanu<br />
Einzug der "Ottonin" in Köln<br />
...am 14. heiratet Kaiser Otto der Zweite Frau T, eine junge
Byzantinerin,....<br />
14.08.1881 Friedrich Nietzsche<br />
Wanderung jenseits von Mensch und Zeit<br />
...Herr N. begegnet, 6000 Fuß jenseits von Mensch und Zeit, seinem<br />
und der Menschheit neuem Herrn." Ich ging an jenem Tage<br />
am See von Silvaplana durch die Wälder; bei einem mächtigen<br />
pyramidal aufgetürmten Block machte ich Halt ... Da kam mir dieser<br />
Gedanke ... eine plötzliche und im Tiefsten entschei<strong>den</strong>de<br />
Veränderung meines Geschmacks ...<br />
14.10.1806 Ernst Chladni<br />
Der Vater der Akustik hört 150 km entfernten<br />
Kanonendonner<br />
...Herr C. wundert sich... ist doch heute der Himmel über W. klar.<br />
Bis zum Horizont gibt es keine Anzeichen eines<br />
Wetterumschwungs. Trotzdem: er vernimmt ein zitterndes<br />
Donnern. C. richtet das Ohr nach Süd, Südwest und versucht sich<br />
über die Zone des Schweigens hinweg auf <strong>den</strong> Rhythmus des<br />
Grollens zu konzentrieren. "Kanonendonner" flüstert er sich zu...<br />
...am nächsten Tag vernimmt C. <strong>den</strong> Sieg der Franzosen vom<br />
Vortag bei Jena. 150 Kilometer entfernt donnerten Kanonen bis in<br />
die Stuben Wittenbergs. Herr C. macht sich Notizen...<br />
14.11.1940 ENIGMA<br />
Alan Turing entschlüsselt das Rätsel des Krieges<br />
...Endlich enträtselte Herr T. <strong>den</strong> kriegsentschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Enigma-<br />
Code. Nun hört Britannien was deutsche Krieger sagen. So wissen<br />
sie von Coventrys geplanter Bombardierung und müssen<br />
<strong>den</strong>noch schweigen....<br />
15.05.1514 Herr von Bran<strong>den</strong>burg<br />
Ablasshandel des Papstes<br />
...Herr B. erhält das verbriefte Recht, <strong>für</strong> acht Jahre Ablass zu<br />
handeln in <strong>deutschen</strong> Lan<strong>den</strong>...<br />
15.05.1625 Adam Graf von Herberstorff<br />
das Frankenburger Würfelspiel<br />
..."nicht um der Gerechtigkeit willen, sondern, da Strafe sein<br />
muss", sagte Herr H., "muss hart durchgegriffen wer<strong>den</strong>. Ich will<br />
nicht entschei<strong>den</strong>, wer von <strong>den</strong> 6000 an Turm oder Baum hängen<br />
soll", sagte H. zu seinen Soldaten, "lasst sie um ihr Leben würfeln.<br />
Der Pöbel muss am eigenen Leib spüren, wer im Land das Sagen<br />
hat"...<br />
... 36, selektiert aus 6000 Anwesen<strong>den</strong>, würfelten am 15. auf dem<br />
Haushamer Feld bei Frankenburg um ihr Leben. Zu vorlaut hatte<br />
die Gemeinschaft ihr Missfallen dem Landesvater gegenüber<br />
ausgedrückt...<br />
15.10.1454 Johannes Gutenberg<br />
Herr Piccolomini entdeckt in F. <strong>den</strong> Bibelstand<br />
des Herrn G.<br />
...habe einen erstaunlichen Mann getroffen, der mir verschie<strong>den</strong>e<br />
Lagen einer Bibel in sauberer und höchst korrekter Schrift vorgelegt<br />
92<br />
hat...<br />
16.03.1944 Joseph Beuys Hel<strong>den</strong>friedhof<br />
... und als sie da im Blech am Kramen waren , das über mir... lag,<br />
und dass sie mich gefun<strong>den</strong> haben und so um mich rum stan<strong>den</strong><br />
und dass ich dann gesagt habe: woda, also Wasser sollte man -<br />
und dann hat´s mir ausgesetzt...<br />
16.06.1953 Fritz Selbmann<br />
"Tischgespräch" mit dem Volk<br />
...am 16. sollte die Diktatur des Proletariats <strong>den</strong> sozialistischen<br />
Kollektiv Rede und Antwort stehen. Zu klären war die Sache mit<br />
der Norm und deren Regel...<br />
16.09.1941 Werner Heisenberg oder Niels Bohr<br />
Wer baut die erste A-Bombe ?<br />
...früh fragte der Schüler von W. seinen Lehrer H. nach dem Ziel<br />
ihrer Arbeit. Seit kurzem hatten sie einen Trumpf in der Hand, der<br />
<strong>den</strong> Krieg schnell entschei<strong>den</strong> könnte. Die Forschungen kamen<br />
gut voran und wenn das Gemetzel lang genug dauerte, müsste der<br />
Einsatz der A. <strong>den</strong> Kampf gewinnen. Und vielleicht würde der F.<br />
nach dem Sieg ein größeres Verständnis <strong>für</strong> die Belange der<br />
Wissenschaft in D. haben. Aber diese Gedanken ließen in dem<br />
Schüler eine Übelkeit aufkommen. Der Schüler bittet seinen<br />
Lehrer um ein Treffen mit B. in K., B. ist wissend und könnte<br />
Antwort auf des Schülers Unbehagen geben...<br />
...B. schreibt einen Brief an H., weil ihm das Treffen in K. sehr<br />
beschäftigt. Er findet keine so rechte Formulierung <strong>für</strong> seine<br />
Be<strong>den</strong>ken und letztendlich kann er sich nicht entschließen das<br />
Schreiben abzusen<strong>den</strong>...<br />
17.03.1905 Mileva Einstein<br />
Die Brücke zur Entdeckung der Relativitätstheorie<br />
...Frau E. ist klug, gebildet und kreativ. Sie löst die mathematischen<br />
Probleme ihres Mannes, schreibt Gedichte und malt<br />
modern. Für sie ist Zeit ein relativer Begriff. Als ihr Mann eines<br />
Tages hochgelobt wird, <strong>für</strong> eine Idee, die ihr nicht neu ist,<br />
schweigt sie. Sie weiß ja, dass beide eins sind...<br />
18.01.1934 Schäfers Tibet<br />
Reise zu <strong>den</strong> Wurzeln Germanias<br />
..."Plane <strong>für</strong> die Akademie of Natural Sciences Philadelphia ganz<br />
große Tibetexpedition. Machst Du mit ?"...<br />
18.03.1848 Adolph von Menzel<br />
Herr M. malt sich etwas von der Seele<br />
...Herr M. ist klein, aber nicht zu übersehen. Herr M. steht auf einer<br />
Leiter und lässt seine Blicke über Menschenmassen schweifen.<br />
Schnell skizziert er Särge und <strong>den</strong> Marsch von Trauern<strong>den</strong>. Zu<br />
Hause angekommen, spürt M., dass das was er nun malt, nicht<br />
höflich höfig aussehen wird. Nie wird das Bild in Königs Nähe<br />
hängen, noch wird es je der Adel hochgelobt bestaunen.<br />
Er wird es nur <strong>für</strong> sich und seine Seele malen, <strong>für</strong> sich und <strong>für</strong> das
enge Kämmerlein...<br />
18.06.1821 Carl Maria von Weber<br />
Die satanische, immer treffende Freikugel<br />
...Hoffnung ist in der Stadt. Der König ist zurück aus dem Exil und<br />
lässt die Herzen höher schlagen. Anlässe, eine Oper von Herrn W.<br />
aufzuführen, gibt es genug. Eine urdeutsche Geschichte hat er<br />
bebildert. Bilder aus <strong>den</strong> Tiefen des Waldes, der heidnischen<br />
Urkraft, neblig, gewittrig, gewürzt mit Liebe, Tod und Teufel. Ein<br />
Kugelgewitter am Ende und süße Stimmen, welche<br />
Jungfernkränze bin<strong>den</strong>. Alle wer<strong>den</strong> Herrn W. loben, er schmeckt<br />
<strong>den</strong> Geschmack der Zeit, sagt man...<br />
18.06.1896 Halberstadter Dosenwurst<br />
40 000 Würstchen <strong>für</strong> <strong>den</strong> Kyffhäuser<br />
...Zur Einweihung des Kyffhäuser sollten Menschenmassen strömen.<br />
Große Zeiten brauchen Riesen, Riesen, die in Mengen essen<br />
wollen... sagt man dem Fleischfabrikanten H.... und er liefert, was<br />
keiner wagte zu <strong>den</strong>ken: 40 000 Dosenwürste...<br />
18.07.1126 Norbert von Xanten<br />
Vom Blitz gesegnet marschiert X. barfuß in M. ein<br />
...Barfuß und in einfache Gewänder gehüllt, betrat X. vor Jahren<br />
die Stadt M. Heute ist er Bischof, marschiert im feinsten Zwirn und<br />
verkündet das wahre Wort Gottes. Blitzgeläutert erzürnt sich X.<br />
leicht, wenn der Slawenpöbel sich erdreistet, seinen Worten zu<br />
misstrauen. Herr X. weiss, was er seinen Herren schuldet...<br />
...18., Einmarsch in M....<br />
18.07.1750 Johann Sebastian Bach<br />
Der erblindete Herr B. berechnet <strong>den</strong> golde<br />
nen Schnitt der Fuge und wird <strong>für</strong> einen kurzen<br />
Moment wieder sehend<br />
...Herr B. leidet maßlos. Nach einem Schlaganfall kann er kaum noch<br />
sehen. Aber noch umgibt ihn keine Stille. Er hört das leichte Summen in<br />
der Luft und sein Wille ist stark genug, die Klänge in Form zu gießen...<br />
...am 18., kurz vor seinem Tod, wird Herr B. wie durch ein Wunder<br />
wieder sehend. Im Licht ergreift er schnell die Feder und<br />
schreibt...<br />
19.06.1814 Anton Friedrich Justus Thibau contra Friedrich<br />
Karl von Savigny über das Recht, das sich aus<br />
dem Volksgeist entwickelt<br />
...sehen wir doch auf das Glück der Bürger, dass ein solch einfaches<br />
Gesetzbuch <strong>für</strong> ganz Deutschland die schönste Gabe des<br />
Himmels genannt zu wer<strong>den</strong> verdiente. Schon die bloße Einheit<br />
wäre unschätzbar. Wenn auch eine politische Trennung stattfin<strong>den</strong><br />
muss und soll, so sind doch die Deutschen hoch dabei interessiert,<br />
dass ein brüderlicher gleicher Sinn sie ewig verbinde<br />
und dass nie wieder eine fremde Macht <strong>den</strong> einen Teil<br />
Deutschland gegen <strong>den</strong> anderen missbrauche...<br />
...Herr T. ist von seiner Idee beseelt, was wäre wenn alles Recht,<br />
das der Franzosen, Preußen, Sachsen, Österreicher, Dänen, und<br />
das gemeine römische Recht, das Jütisch Low, der<br />
Sachsenspiegel und viele Normen mehr, in einem Werk vereint,<br />
93<br />
die deutsche Seele bindeten ?...<br />
...Herr T. startet einen Aufruf und sucht die Öffentlichkeit. Was gut<br />
ist setzt sich durch, meint Herr T. Nur im fernen Berlin ist<br />
Herr S. anderer Meinung...<br />
...am 19.: Aufruf <strong>für</strong> eine gute Sache...<br />
19.10.1988 Foto Anonymus<br />
Observation von Herrn 33<br />
...die Zuführung des Übersiedlungsersuchen<strong>den</strong>, lt.<br />
Bilddisposition Nr. 33, gegen 12.07 Uhr (siehe Bericht vom<br />
19.10.1988 )...<br />
20.05.1634 Hans Jakob Grimmelshausen<br />
Brandschatzung meiner Geburtsstadt<br />
...Da es taget, füttert ich mich wieder mit Weizen, begab mich zum<br />
nächsten auf Gelnhausen, und fand daselbst die Tor offen, welche<br />
zum Teil verbrennt, und jedoch noch halber mit Mist verschanzt<br />
waren: Ich ging hinein, konnte aber keines lebendigen Menschen<br />
gewahr wer<strong>den</strong>, hingegen lagen die Gassen hin und her mit Toten<br />
überstreut, deren etliche ganz, etliche aber bis aufs Hemd ausgezogen<br />
waren. Dieser jämmerliche Anblick war mir ein erschreckliches<br />
Spektakul, maßen sich jedermann selbsten wohl einbil<strong>den</strong><br />
kann, meine Einfalt konnte nicht ersinnen, was <strong>für</strong> ein Unglück<br />
<strong>den</strong> Ort in einen solchen Stand gesetzt haben müsste...<br />
21.05.1945 Bergen-Belsen<br />
Britische Truppen Feuerbestatten in einem<br />
feierlichen Akt die letzte Baracke<br />
...Es ist Frühling im KZ. Typhus ist die Krankheit, an der die meisten<br />
Häftlinge sterben. 14 000 in wenigen Tagen. Die ersten<br />
Knospen zeigen ihr Grün. Es gibt kein Wasser und kein Brot..<br />
Erste Blätter sind an <strong>den</strong> frischen Zweigen zu sehen.<br />
Das Lager wird befreit, doch das Sterben geht weiter.<br />
Die ersten Baracken stehen in Brand, das züngelnde Feuer<br />
versengt das zarte Grün...<br />
...In einer feierlichen Zeremonie wird am 21. Mai die letzte typhusverseuchte<br />
Baracke des Lagers mit einem Feuerwerfer in Brand<br />
geschossen und zerstört...<br />
21.10.1616 Johannes Kepler Das Hexenopfer<br />
...am 21. wird Katharina, die Mutter von Herrn K., als Hexe der<br />
Prozess gemacht. Sie kommt frei, verbittet sich aber jemals<br />
wieder in <strong>den</strong> Schriften ihres Sohnes erwähnt zu wer<strong>den</strong>...<br />
22.03.1982 Gottfried Wilhelm Leibniz<br />
Die Demontage des letzten Universalgelehrten<br />
durch die Firma L.<br />
...Herr Peter Leichsenring von der P. Leichsenring GmbH demontiert<br />
die HASS-beschmierte Büste des Herrn L. und sichert sie bis<br />
auf weiteres in seinem Depot...
22.06.1793 Wilhelm Heinrich Wackenroder<br />
Nürnberger Einmarsch des Herrn W. und die<br />
Auferstehung Dürers<br />
...Aber jetzt wandelt mein trauernder Geist auf der geweihten<br />
Stätte vor deinen Mauern, Nürnberg; auf dem Gottesacker, wo die<br />
Gebeine Albrecht Dürers ruhen, der einst die Zierde von<br />
Deutschland, ja von Europa war. Sie ruhen, von wenigen besucht,<br />
unter zahllosen Gebeinen, deren jeder mit einem ehernen<br />
Bildwerk, als dem Gepräge der alten Kunst, bezeichnet ist und<br />
zwischen <strong>den</strong>en sich hohe Sonnenblumen in Menge erheben, welche<br />
<strong>den</strong> Gottesacker zu einem lieblichen Garten machen. So<br />
ruhen die vergessenen Gebeine unsers alten Albrecht Dürers, um<br />
dessentwillen es mir lieb ist, dass ich ein Deutscher bin...<br />
22.10.1884 Helene Druscowicz<br />
Irrenhausschrift über das Männliche<br />
...Frau D. ist von N. begeistert. Gemeinsam philosophieren sie auf<br />
langen Spaziergängen. Herr N. meint dass D. ein edles und rechtschaffenes<br />
Geschöpf sei, welches seiner Philosophie keinen<br />
Scha<strong>den</strong> thut. Jahre später kehrt sich jedoch das Verhältnis ins<br />
Gegenteil. Das männliche Gehabe von N. wird unerträglich, und<br />
Frau D. beginnt, das Frauliche mit Feuer und Glanz auszustatten...<br />
22.10.1931 Adolf Butenandt<br />
Isolation des weiblichen Sexualhormons<br />
...Herr B. läst 15 000 Liter Männerharn verdampfen und extrahiert<br />
Androsteron. Das lässt er am 22. die Welt wissen...<br />
23.06.1990 Mathias Baader Holst<br />
Flucht aus der Zeit am Vorabend einer<br />
Währungsunion<br />
...zwischen bunt und bestialisch<br />
du eine frau eine dieser männer<br />
sieg heil! Ich begrüße sie am tresen<br />
sieg heil! Ich halte sie <strong>für</strong> ein <strong>den</strong>kendes wesen<br />
sieg heil! Ich habe ihre verse gelesen<br />
sieg heil! Dein roter mund<br />
wir zerstören uns/unsre jugend feiernd halten wir uns wach<br />
öffnen die augen:wer<strong>den</strong> gezählt wir schweigen viel zu lang<br />
mit 25 noch am leben zu sein ist eine schande wir schweigen<br />
viel zu spät mit 30 noch ein herz zu haben ist ein verbrechen...<br />
24.05.1780 Georg Lichtenberg<br />
Erstes Gartenhäuschen mit Blitzableiter<br />
...am 24. montiert Herr L. in seinem Gartenhäuschen eine<br />
"Ketzerstange" und fängt <strong>den</strong> Zorn Gottes...<br />
94<br />
24.05.1944 Friedl Dicker-Brandeis Monogramme in<br />
Kombination, als Wiederherstellung<br />
kindlicher I<strong>den</strong>tität<br />
...Erika Taussig signierte am 24. ihre Arbeit mit SINAI. Am<br />
16.10.1944 wurde sie vergast. Zwölf Tage vor ihrem zehnten<br />
Geburtstag...<br />
24.12.1829 Heinrich Schliemann Vater, Troja lebt !<br />
...Es ist Weihnachtsabend, der Bub ist aufgeregt vom Anblick<br />
Trojas in der geschenkten Weltgeschichte ..."Vater", ruft er, "du<br />
hast dich geirrt ! Jerrer muss Troja gesehen haben, er hätte es ja<br />
sonst hier nicht abbil<strong>den</strong> können"... - ..."Mein Sohn", antwortete<br />
der Vater, "das ist ein Märchen, das hat sich Jerrer ausgedacht"...<br />
25.05.1865 Moritz Schreber<br />
Die absolute Ordnung der Strafe im Garten der Lüste<br />
...Herr H. beleit <strong>den</strong> Namen von Herrn S. <strong>für</strong> einen Gartenverein...<br />
26.04.1937 Guernica UNO-Blau<br />
...Ich hatte mich aber bei Guernica wohl etwas rüpelhaft<br />
benommen... - ...Herr R. bombt ein Exempel...<br />
26.05.1828 Kaspar Hauser kehrt zurück<br />
...Herr H. existiert in seiner Zeit nicht wirklich, er ist das Phänomen des<br />
Unberührbaren, das der Unschuld, dem die Gesellschaft vollkommen<br />
stumpf und hilflos gegenübersteht, das sie nicht zu fassen vermag.<br />
Sie nimmt ihn in Anspruch als "Pfand" und macht ihn zum Werkzeug<br />
ihrer Prinzipien. Es ist der Beginn des Zeitalters der Verdrängung des<br />
Geheimnisses vom Tod, seiner Löschung durch Simulation. Aber wie<br />
unter die Haut gebrannt tragen wir die Wun<strong>den</strong> Hausers in uns...<br />
...Später, viel später, kehren Tausende Hausers nach Nürnberg<br />
zurück...<br />
26.07.1824 San Leopoldo<br />
Anlandung der <strong>deutschen</strong> Kulturwalze<br />
...Landung Hunsrücker Bürger am Ufer des Glockenflusses, dem<br />
heutigen Ort San Leopoldo. Die unmittelbar nach der Ankunft der<br />
Deutschen beginnende Landaufteilung wurde rücksichtslos mit<br />
Waffengewalt gegen die Eingeborenen vollzogen. In schnurgera<strong>den</strong><br />
Linien durchzogen gerodete Wege das besetzte Land. Links<br />
und rechts der Wege wurde die Erde und alles was auf ihr lebt, als<br />
Beute und zum Abschuss freigegeben...<br />
26.08.1824 Heinrich Marx ehem. Herr Hirsch Mordechei<br />
Familiärer Religionswechsel<br />
...am 26. wird Karl, der Sohn von Herrn M., Christ. Ein Christ, wie er<br />
im Buche steht...
26.08.1856 Neandertal<br />
Alessandro und Luigi verhindern beinah die<br />
Wiedergeburt des ersten Europäers<br />
...er hebelte diesen nun mit der Spitzhacke aus dem festen Lehm<br />
heraus, ohne dass er jedoch zerbrach. Herr A. und Herr L. beachteten<br />
die Knochen nicht weiter und warfen sie mit dem Lehm in das<br />
Tal hinunter....<br />
27.03.1188 Barbarossa Schwur auf <strong>den</strong> III. Kreuzzug<br />
...als unser Kaiser F. der Erste, genannt der Rotbärtige, beim Bade<br />
ertrank, entmutigte uns das. Wir kehrten heim. Hatte uns doch<br />
Gott zu verstehen gegeben, dass unsere Kreuzfahrt nicht seinen<br />
Segen hatte...<br />
27.06.1755 Jakob Hermann Obereit<br />
Herr O. findet das Nibelungenlied im<br />
Zettelkasten von Hohenems<br />
...es ist eine Sprache von Stein und die Verse sind gleichsam<br />
gereimte Quadern. Hie und da, aus <strong>den</strong> Spalten, quellen rote<br />
Blumen hervor, wie Blutstropfen, oder zieht sich der lange Efeu<br />
herunter, wie grüne Tränen... Heinrich Heine<br />
27.11.1095 Kreuzzug Gott will es<br />
..."Deus lo volt", riefen dem Pabst immer wieder eifrige Zuhörer zu.<br />
Herr U., der Zweite, tobte vor Erregung. Und das Volk tobte zurück.<br />
Ein Wallen und Tosen entfachten die blutrünstig bebilderten<br />
Worte des obersten Christen. Rettet J. vor <strong>den</strong> Fängen des Bösen -<br />
befreit Jerusalem - Gott will es...<br />
28.04.1857 Wagnerwesendonck - Tristanisolde<br />
Ein Sehnsuchtsakkord<br />
...Soll ich schlurfen, untertauchen ?<br />
Süss in Düften mich verhauchen ?<br />
In dem wogen<strong>den</strong> Schwall,<br />
In dem tönen<strong>den</strong> Schall,<br />
in des Welt-Atems wehendem All ertrinken,<br />
versinken - unbewusst - höchste Lust !.. .Isolde singt im Liebestod<br />
...Am 28. bezieht Herr W. sein Asyl und erliegt dem Sog von Frau W....<br />
29.03.1796 Carl Friedrich Gauß<br />
Herr G. zeichnet ein 17-Eck mit Zirkel und Lineal<br />
...erst spät, viele Jahre nach dem Tod von G. entdeckt sein Enkel<br />
ein kleines Buch. Der erste Eintrag vom 29. beginnt mit <strong>den</strong><br />
Worten ...ehe ich aus dem Bett aufgestan<strong>den</strong> war...<br />
95<br />
29.08.1940 Exil<br />
Walter Benjamin und Siegfried Kracauer,<br />
ein Grenztreffen<br />
...Herr B. nimmt sich das Leben und Herr K. hat Glück. Er landet mit<br />
der letzten freien Passage im Exil...<br />
29.10.1772 Johann Wolfgang Goethe<br />
Herr G. ist animiert vom Selbstmord J`s.<br />
...Karl Wilhelm Jerusalem liebte unerwidert Frau H.. Gegen 1 Uhr<br />
richtete er die Waffe über dem rechten Auge an die Stirn... - gegen<br />
12 Uhr starb er. Abends 22.45 Uhr wurde er auf dem gewöhnlichen<br />
Friedhof begraben - kein Geistlicher begleitete ihn...<br />
30.01.1945 Wilhelm Gustloff<br />
Beschuss und Untergang eines Flüchtlingsschiff<br />
...im kriegerischen Leidvergleich müssen Zahlen schweigen. Ob<br />
6000 Tote auf der einen Seite oder 10000 auf der anderen Seite,<br />
das Leid in Zahlen zu markieren, entzieht sich der Kraft unserer<br />
Vorstellung. Und <strong>den</strong>noch ist die Geschichte der Wilhelm Gustloff<br />
und ihr Untergang eines der Ereignisse im Zweiten Weltkrieg,<br />
welches hinter der Statistik lebt...<br />
30.03.1769 lmmanuel Kant<br />
Die schöne S. katapultiert Herrn K. in seine<br />
eigene Welt zurück<br />
...an diesem Tag beginnen die Neurosen des Herrn K.. Ab heute<br />
kehrt er in sich und vertraut nur noch <strong>den</strong> Leistungen seines<br />
Geistes...<br />
30.05.1968 Karl Marx<br />
Umbenennung als politische Markierung<br />
...Oben links, auf dem Bild, versucht Herr D. die Umbenennung zu<br />
entfernen. Rechts der Mann schaut nur betroffen drein...<br />
...aber da gibt es eine hohe, weißgestrichene Gartenmauer, die<br />
Schreit förmlich nach einem Spruch. Wir schreiben was drauf,<br />
das macht alles klar: Macht kaputt, was euch kaputt macht. Macht<br />
kaputt, was euch kaputt macht, wiederholte Ullrich langsam, mit<br />
steigender Wut betonend... Genau, sagte er, das ist es. ALSO LOS...<br />
aus: Uwe Timm: "Heißer Sommer" Kiepenheuer & Witsch 1985<br />
...30.: radikale Umbenennung der Goethe-Uni in eine Uni des<br />
Herrn Marx...<br />
30.06.1940 Warnemünde Erinnerungswelle<br />
...Frau K. nimmt Abschied vom Meer. Sie blickt hinaus zum wasserumspülten<br />
Horizont. Gerade setzt eine besonders schöne Welle<br />
zur Landung an. Sie hebt die Kamera und betätigt <strong>den</strong> Auslöser.<br />
"Nur zur Erinnerung", meint sie besinnlich flüsternd zu sich<br />
selbst...
Jörg Herold Biografie<br />
1965 in Leipzig geboren<br />
1986 Lehre als Stukkateur<br />
Beginn der Zusammenarbeit mit <strong>EIGEN+ART</strong><br />
1987 Studium der Malerei in Leipzig und Berlin<br />
Ausstellungen / Auswahl<br />
1990 Biennale Venedig, APERTO`90<br />
1991 Jürgen- Ponto -Preisträger<br />
1992 Biennale Sydney<br />
1993 Arbeitsstipendium Japan<br />
PROSPECT`93<br />
1994 Arbeitsstipendium Italien<br />
1995 Arbeitsstipendium Gomera<br />
1996 Dorothea von Stetten-Kunstpreis,<br />
Kunstmuseum Bonn<br />
Arbeitsstipendium Schloß Balmoral<br />
1997 Dokumenta X<br />
1997 Arbeitsaufenthalt Brasilien<br />
1998 Arbeitsaufnthalt Venezuela<br />
1999 Kunstpreis der Leipziger Volkszeitung,<br />
Museum der bil<strong>den</strong><strong>den</strong> Künste Leipzig<br />
2000 Von der Heydt-Museum Wuppertal,<br />
Kunsthalle Barmen<br />
2001 Arbeitsaufenthalt Krim<br />
Overbeck-Gesellschaft Lübeck<br />
2002 Arbeitsaufenthalt Balkan<br />
2003 Datenschlüssel, Deutscher Bundestag<br />
96<br />
Impressum<br />
Dieser Katalog erscheint anlässlich der Ausstellung:<br />
<strong>jörg</strong> HEROLD der DATENSCHLÜSSEL<br />
Ausstellung in der <strong>Galerie</strong> <strong>EIGEN+ART</strong>, Berlin<br />
17.05.2003 - 28.06.2003<br />
Besonderen Dank an:<br />
Susanne Pfeffer<br />
Thomas Sakschewski<br />
Thomas Fricke<br />
Peter Funken<br />
Frank Eckert<br />
Uta Grundmann<br />
Uwe Kowski<br />
Michel Matke<br />
Torsten Schütze<br />
<strong>Galerie</strong> <strong>EIGEN+ART</strong><br />
Herausgeber: <strong>Galerie</strong> <strong>EIGEN+ART</strong><br />
Gestaltung: Claudia Richardt<br />
Reproduktionen: Uwe Kowski<br />
Redaktion: Jacquelin Richart<br />
Fotovorlage Umschlag: Jens Liebchen<br />
Foto Seite 4: Jens Liebchen<br />
Druck: Jütte- Messedruck Leipzig GmbH<br />
Auflage: 1000<br />
alle Arbeiten: courtesy <strong>Galerie</strong> <strong>EIGEN+ART</strong> Leipzig/ Berlin<br />
Kontakt: berlin@eigen-art.com<br />
© 2003<br />
Printed in Germany<br />
ISBN 3-929294-36-2