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Leseprobe (PDF) - Buchbotschafter

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Aus dem Englischen von Gabriele Haefs<br />

Mit Bildern von Joëlle Tourlonias


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www.carlsen.de<br />

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Alle deutschen Rechte bei CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2012<br />

Originalcopyright © 2011 by Emily Jenkins<br />

Published by arrangement with HarperCollins Children’s Books,<br />

a division of HarperCollins Publishers, New York<br />

Originalverlag: Balzer + Bray, an imprint of HarperCollins Publishers,<br />

New York<br />

Originaltitel: Invisible Inkling<br />

Dieses Werk wurde vermittelt durch die<br />

Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.<br />

Umschlag- und Innenillustrationen: Joëlle Tourlonias<br />

Umschlagtypografie: Suse Kopp<br />

Aus dem Englischen von Gabriele Haefs<br />

Lektorat: Kerstin Claussen<br />

Layout und Herstellung: Karen Kollmetz<br />

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck<br />

ISBN: 978-3-551-55593-9<br />

Printed in Germany


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».ie ist das eigentlich mit diesem Fußballzeugs?«, sagt<br />

Wink. »Ich hab das mal im Fernsehen gesehen.«<br />

Sowie ich nach Hause gekommen bin, habe ich ihm<br />

alles erzählt, was in der Schule passiert ist. Jetzt sitzen<br />

wir auf dem Sofa. Ich fummele an einem meiner Lego-<br />

Hubschrauber herum und versuche, die Türen richtig<br />

einzusetzen. Aber ich bin nicht ganz bei der Sache.<br />

»Du suchst dir also ein paar Freunde und ihr kauft<br />

euch einen kleinen Kürbis«, sagt Wink.<br />

»Nein, so ist das nicht.«<br />

»Dann hackst du den Stiel ab, weil du den später essen<br />

willst, und malst den Kürbis schwarz und weiß an.«<br />

»Nein, nein.«<br />

»Und dann tretet ihr den herum, bis – was? Bis er zermatscht<br />

ist? Und gewonnen hat, wer den Kürbis zermatscht?«<br />

»Nein, nein, nein!«<br />

»Darf er den dann ganz allein aufessen? Oder kriegen<br />

alle am Ende ein Stück ab?«<br />

»Das ist kein Kürbis. Das ist ein Fußball.«<br />

57


»Oh.« Ich kann hören, wie er sich mit der Hinterpfote<br />

das Ohr kratzt – bump, bump, bump – wie ein Hund.<br />

»Ein Ball. Echt?«, fragt er schließlich.<br />

»Echt.«<br />

»Und den zertrampelt ihr mit den Füßen? Ich sehe ja<br />

nicht so richtig, wozu dieses Spiel gut sein soll.«<br />

»Du verstehst das auch ganz falsch!«, sage ich. »Das<br />

geht so …«<br />

Aber dann klappe ich den Mund zu.<br />

Was heute passiert ist, hat mir schmerzhaft klargemacht,<br />

dass auch ich keine Ahnung von Fußball habe.<br />

»Gillicut hasst mich«, stöhne ich. »Darum geht es hier.«<br />

»Aber ich mag dich«, sagt Wink. »Ich bin unsichtbar!<br />

Ich kann drei Sprachen sprechen. Ich bin viel cooler als<br />

Gillicut. Wen interessiert das also?«<br />

Ich rufe: »Er hat gesagt: Wir. Sehen. Uns. Später! Auf<br />

die Weise, die bedeutet: ›Wir sehen uns später und dann<br />

reiße ich dir die Zunge aus dem Mund, Kleiner.‹«<br />

»Hör mal.« Wink lehnt sich auf dem Sofa an mich.<br />

»Du hast ohne Waffen dieses wilde Malzbier bezwungen.<br />

Du hast einen unschuldigen Bandapat vor Bösem bewahrt<br />

und keine Belohnung verlangt. Du wirst doch jetzt<br />

keine Angst vor einem Typen haben, der sich aufregt,<br />

nur weil du einen schwarz-weißen Ball in die falsche<br />

Richtung getreten hast.«<br />

Ich streichle Winks weiches Fell, kraule ihm den Hals,<br />

so wie er es mag.<br />

58


»Ein bisschen vielleicht schon«, sage ich. »Vielleicht<br />

habe ich sogar große Angst vor diesem Typen.«<br />

»Mit wem redest du da, Fliegenpilz?«, fragt Papa.<br />

Ich fahre hoch.<br />

Ich dachte, Wink und ich wären allein im Wohnzimmer,<br />

aber jetzt steht Papa vor mir. Seine Haare sind<br />

struwwelig und sein weißes Hemd ist mit Schokoladeneis<br />

bekleckert.<br />

Hmmm. Mit wem rede ich da? »Ich – ich habe einen<br />

geheimen Freund«, sage ich.<br />

»Aha, großartig.« Papa lässt sich neben mir aufs Sofa<br />

fallen.<br />

Auf Wink.<br />

Oh nein!<br />

Mein Papa ist ganz schön groß. Er könnte Wink total<br />

platt machen.<br />

»Örk«, stöhnt Wink.<br />

»Ich hatte auch mal einen geheimen Freund«, sagt<br />

Papa, lässt sich zurücksinken und legt den Arm um mich.<br />

»Früher, als ich so alt war wie du jetzt.«<br />

»Örk.«<br />

»Heißt dein Freund so?«, fragt Papa. »Örk?«<br />

»Ja«, sage ich. »Äh, Papa? Könntest du bitte mal aufstehen?«<br />

»Mein Freund hieß Gary«, sagt Papa. »Der gute alte<br />

Gary. Ich habe ihn Gary genannt, weil ich das für einen<br />

Cowboynamen hielt. Er hatte ein Pferd und überhaupt.<br />

59


Er hat mir eine Zeit lang wirklich geholfen, als ich mich<br />

einsam fühlte. He! Bestimmt fühlst du dich einsam, weil<br />

doch Alexander nach Iowa City gezogen ist.«<br />

»Örk.«<br />

»Örk ist aber ein ungewöhnlicher Name. Wie bist du<br />

darauf gekommen?«<br />

»Das …«<br />

»Das ist sicher sein Nachname, hab ich Recht? Weil du<br />

ja alle mit Nachnamen anredest. Aber wie heißt er mit<br />

Vornamen?«<br />

»Würd’st du da … ähm … mal weggehen, bitte?«<br />

»Würztuda Örk, so heißt er?« Papa lacht. »Wirklich<br />

wunderbar, was dir so alles einfällt, Fliegenpilz.«<br />

»Papa!«, brülle ich. »Aufstehen!«<br />

»Okay.« Papa kratzt sich am Kopf und steht auf. »Oh<br />

nein. Ich hatte mich auf Örk gesetzt, was?«<br />

»Ja.«<br />

Papa beugt sich vor und schaut die leere Stelle an, wo<br />

er gesessen hat. Ich habe keine Ahnung, ob Wink noch<br />

dort ist oder nicht. »Tut mir leid, Örk«, sagt er, langsam<br />

und freundlich. »In Zukunft werde ich besser aufpassen.«<br />

Ich verdrehe die Augen. »Red nicht mit ihm, als wäre<br />

er ein Baby, Papa. Bitte.« (Für einen Moment habe ich<br />

vergessen, dass Würztuda Örk nicht existiert, nicht einmal<br />

in meiner Fantasie.)<br />

Papa streichelt meine Schulter. »Hör mal, ich weiß,<br />

dass Örk wohl eher eine Privatsache ist. Ich werde ihn<br />

61


nicht mehr ansprechen oder dir Fragen stellen. Wollen<br />

wir nicht einfach ein bisschen fernsehen? Ich muss erst in<br />

einer halben Stunde anfangen zu kochen.«<br />

Ich betaste das Sofa neben mir. Wink ist nicht mehr<br />

da.<br />

»Danke, Papa«, sage ich. »Das wäre super.«<br />

Ich hoffe, Wink geht es gut.<br />

»Darf ich mich wieder setzen?«, fragt Papa.<br />

»Sicher«, sage ich. »Gleich hier neben mich.«<br />

Papa lässt sich seufzend wieder fallen und schaltet<br />

den Fernseher ein.<br />

Eine Kochsendung. Immer will er Kochsendungen<br />

anschauen.<br />

»Papa?«, frage ich, nachdem ich eine Minute lang zugesehen<br />

habe, wie eine grauhaarige Frau Frikadellen<br />

herstellt. »Als Kind, warst du da ein guter Sportler?«<br />

Ich erwarte, dass er Nein sagt. Ich habe ihn in meinem<br />

ganzen Leben noch nie bei irgendeiner Art von<br />

Sport gesehen.<br />

Ich will sogar, dass er Nein sagt.<br />

»Auf dem College war ich gut in Hacky Sack«, antwortet<br />

Papa.<br />

»Was ist Hacky Sack?«<br />

»Ihr steht in einem Kreis und alle treten ein kleines<br />

Sandsäckchen in die Luft.«<br />

»Waren die anderen je total sauer auf dich, wenn du, na<br />

ja, dieses Säckchen mal nicht in der Luft halten konntest?«<br />

62


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Warum sage ich die Wahrheit?, frage ich mich. Ich<br />

sollte eigentlich lügen.<br />

Aber es ist zu spät. Gillicut schüttet sich die Streusel<br />

in den Mund. Er lässt die leere Dose auf den Boden fallen,<br />

dann stapft er durch die Mensa zur Schlange vor der<br />

Essensausgabe.<br />

Ich lasse die Schultern sinken und meine Augen werden<br />

feucht.<br />

Ich finde die Dose bei einem Mülleimer und hebe sie<br />

auf. Als ich zu meinem Tisch zurückgehe, ist Chin da.<br />

»Kranki Hosenschiss?«, fragt sie und lacht. »Das habe ich<br />

gehört.«<br />

Ich kann nicht fassen, dass sie lacht. Der Typ hat sich<br />

doch eben meinen ganzen Nachtisch geholt!<br />

Ich gebe keine Antwort. Ich mache meinen Joghurt<br />

auf und suche meinen Löffel.<br />

Blaubeerjoghurt. Blaubeerjoghurt.<br />

Das ist meine Lieblingssorte, und wenn ich nur daran<br />

denke, dann fange ich vielleicht nicht vor aller Welt an<br />

zu heulen.<br />

Chin mustert mich.<br />

»Tut mir leid«, sagt sie nach einer Weile, in der ich ihr<br />

nicht geantwortet habe. »Dass ich gelacht habe.« Sie<br />

bricht eine Hälfte von ihrem Schokomüsliriegel ab und<br />

schiebt ihn mir über den Tisch zu. »Und dass er deine<br />

Kekse gegessen hat.«<br />

»Danke.«<br />

65


Dann essen wir erst mal.<br />

Ich esse zuerst den Müsliriegel, falls Gillicut zurückkommt.<br />

Chin isst ein Apfel-und-Gewürzgurken-Butterbrot,<br />

wie jeden Tag.<br />

Dann klopft sie einen Rhythmus auf den Tisch. Bam<br />

dada bam! Bam dada bam bam bang!<br />

Ich bin immer noch ein bisschen sauer auf sie, weil<br />

sie gelacht hat, aber ich antworte mit demselben Rhythmus.<br />

»Weißt du, was wir nach der Chinesischen Mauer<br />

bauen sollten?«, fragt Chin. (Wir bauen eine Chinesische<br />

Mauer aus Streichhölzern, wenn wir sonst nichts zu tun<br />

haben.)


»Was denn?«<br />

»Den Tadsch Mahal. Der Tadsch Mahal wäre superduper-gut.«<br />

Und für eine Sekunde denke ich: Vielleicht ist die<br />

vierte Klasse ohne Wainscotting doch nicht so schlimm.<br />

Vielleicht wird sie sogar gut.<br />

Aber dann ist Gillicut wieder da und stellt sein Mülltablett<br />

auf unseren Tisch. »Haste geflennt, weil du keine<br />

Streusies mehr hast, Krankibaby?«<br />

»Nein.«<br />

»Gut. Denn ab jetzt zahlste Streusiesteuer.«<br />

»Was?«<br />

»Streusiesteuer geht so«, sagt Gillicut und redet ganz<br />

langsam, als ob ich blöd wäre. »Jeden Tag bringst du mir<br />

Streusies in deiner Proviantdose. Aber nicht die Schokodinger.<br />

Ich will Regenbogen.«<br />

»Hank wohnt nicht im Großen runden Kürbis«, sagt<br />

Chin. »Er hat keine Regenbogenstreusel im Kühlschrank<br />

liegen.«<br />

Wir haben tatsächlich Streusel im Kühlschrank, wenn<br />

ich ehrlich sein soll. Papa liebt Eisfeste am späten Abend,<br />

vor allem, wenn er mit neuen Geschmacksrichtungen<br />

experimentiert. Aber das behalte ich für mich.<br />

»Ach? Aber er kann sicher leicht welche besorgen.«<br />

Gillicut packt mein T-Shirt von hinten und es wird ganz<br />

eng um meinen Hals.<br />

Ich würge, ich schnappe nach Luft …<br />

67


Aber Gillicut lässt mein Hemd los, ehe jemand vom<br />

Mensapersonal bemerken kann, was er macht. Dann<br />

nimmt er sein Tablett und lässt seinen Abfall vor mir fallen.<br />

Ein Haufen Papierservietten, ein Styroporteller voller<br />

Bohnen, eine Bananenschale, ein Milchkarton, aus dem es<br />

herausschwappt. Alles auf mein Essen.<br />

Ich denke, wenn ich heute Gillicuts Müll wegbringe,<br />

werde ich das vermutlich an jedem anderen Tag des<br />

Schul jahres auch tun.<br />

Jeden Tag. Ich werde seinen schleimigen Bohnenmüll<br />

und seine benutzten Papierservietten anfassen. »Wirf<br />

das weg, Kranki Hosenschiss!« Gillicut beugt sich über<br />

mich und flüstert: »Wirf es weg oder ich reiß dir die Ohren<br />

ab und füttere die Hamster im Labor damit.«<br />

Er packt den ganzen tropfenden Müll und drückt ihn<br />

mir in die Arme.<br />

Die vierte Klasse wird überhaupt nicht gut.


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»?ch weiß, was du machen solltest«, sagt Wink. »Du<br />

solltest Gillicut in den Knöchel beißen.«<br />

»Beißen ist in der Schule nicht erlaubt.«<br />

»Streuselklauen sicher auch nicht.«<br />

»Das stimmt.«<br />

»Es ist wichtig, ganz fest in den Knöchel zu beißen,<br />

mit den oberen und den unteren Zähnen. Und dann bewegst<br />

du den Kopf hin und her, damit es noch mehr wehtut.«<br />

Ich seufze.<br />

»Na?«<br />

Ich seufze wieder.<br />

»Ich weiß schon, du wirst ihn nicht beißen«, sagt<br />

Wink. »Deine Stimme verrät dich.«<br />

»Ich glaube, ich kann das nicht.«<br />

»Dann musst du wenigstens dein Fell aufplustern, damit<br />

du größer aussiehst.«<br />

Ich lache. »Was?«<br />

»Ein großes Fellgepluster ist schrecklich beängstigend<br />

für den Gegner.«<br />

69


»Ich hab kein Fell.«<br />

»Auf dem Kopf wohl.«<br />

»Das sind Haare.«<br />

»Dann plustere die auf. Gillicut wird dich sofort in<br />

Ruhe lassen, wenn du ihm erst gezeigt hast, wie sehr du<br />

dich aufplustern kannst. Du kannst Nadias Volumenschaum<br />

benutzen.«<br />

»Volumen was?«<br />

»Das ist das Zeug, das sie sich in die Haare schmiert,<br />

damit die hochstehen. Das liegt im Badezimmer.«<br />

»Gillicut wird mich nicht in Ruhe lassen, bloß weil<br />

ich mir die Haare aufplustere. Davon bekomme ich nur<br />

Ärger mit Nadia.«<br />

Ich erzähle ihm nicht, dass kein Junge in der ganzen<br />

Schule fluffige Haare hat.<br />

»Wir sind hier nicht im Dschungel«, sage ich zu Wink.<br />

»Sondern in der Mensa.«<br />

»Ist doch dasselbe.«<br />

»Fluffig bei Menschen ist etwas anderes.«<br />

»Wie du willst«, sagt Wink. »Aber ich sag dir, es ist<br />

einen Versuch wert.«<br />

Am nächsten Morgen hole ich mir Nadias Volumenschaum<br />

und quetsche etwas davon in eine Plastiktüte.<br />

»Mehr«, sagt Wink.<br />

Ich fahre zusammen. Ich wusste nicht, dass er bei mir<br />

im Badezimmer war.<br />

70


»Du darfst nicht zu anderen ins Badezimmer gehen«,<br />

sage ich. »Menschen möchten im Badezimmer allein<br />

sein.«<br />

»Du klaust gerade Volumenschaum«, sagt Wink.<br />

»Ich weiß, aber …«<br />

»Egal. Ich schwöre, ich werde die Menschen nie verstehen.«<br />

»Komm einfach nicht ins Badezimmer, wenn die Tür<br />

nicht offen steht, okay?«<br />

»Kapiert. Aber los jetzt. Nimm dir mehr. Du willst<br />

doch ein richtig großes Gepluster veranstalten.«<br />

Ich nehme mir mehr.<br />

Gleich vor der Essenspause gehe ich in der Schule aufs<br />

Jungenklo und schmiere mir den Volumenschaum in die<br />

Haare, bis sie auf meinem ganzen Kopf aufrecht stehen.<br />

Ich sehe wahnsinnig aus. Das ist mir klar. Aber vielleicht<br />

ist »wahnsinnig« gut, wer weiß? Vielleicht ist »wahnsinnig«<br />

nötig, um einen wie Gillicut zu verscheuchen?<br />

Als ich in die Mensa gehe, drehe ich den Kopf hin und<br />

her, um mein Fell zu zeigen, wie Wink mir das beigebracht<br />

hat. Ich straffe die Schultern und starre wütend in<br />

die Gegend. Das zeigt Größe und Stärke und soll meine<br />

Feinde in die Flucht schlagen.<br />

»Kranki Krankopolis, im Schönheitssalon gewesen?«<br />

Gillicut taucht hinter mir auf.<br />

»Nein«, sage ich überaus ernst. »Das nicht.«<br />

71


»Hat die Dame im Schönheitssalon deinen Finger in<br />

die Steckdose gebohrt?«, fragt er. »Oder hast du deine<br />

fiese Visage im Spiegel gesehen und wirst mit dem<br />

Schock nicht fertig?«<br />

»Nein«, sage ich wieder. Ich merke schon, das mit<br />

dem Aufplustern wirkt nicht, aber ich will die Sache jetzt<br />

zu Ende führen. Wink hat mir fest versprochen, dass es<br />

funktioniert, wenn ich nur durchhalte und nicht den<br />

Schwanz einziehe. »Ich habe mehr Haare als du, Gillicut«,<br />

sage ich laut. »Deine Haare sind klein und schwach,<br />

im Vergleich zu meinen.«<br />

Er kichert los. Zeigt auf mich. Jetzt zeigen auch viele<br />

andere auf mich und lachen.<br />

Verdammt.<br />

Ich hätte nie auf Wink hören dürfen. Er glaubt, dass<br />

in der Mensa dieselben Gesetze gelten wie im äthiopischen<br />

Hinterland, aber es ist ganz offensichtlich:<br />

Das. Tun. Sie. Nicht.<br />

Gillicut streckt mir seine Hand entgegen. »Streusiesteuer,<br />

Kranki Krank.«<br />

Ich gebe ihm meine Dose mit den Streuseln.<br />

Ich habe Regenbogenstreusel mitgebracht. Für alle<br />

Fälle.<br />

Gillicut streckt weiter die Hand aus und bekommt<br />

meine Trockenfrüchte.<br />

Und meinen kalten Kakao.<br />

73


Statt das zu essen, was noch übrig ist, renne ich zur<br />

Toilette und wasche mir den Klitschkram aus den Haaren.<br />

Und von diesem Tag an, pünktlich wie die Uhr, nimmt<br />

sich Gillicut immer das Beste von meinem Essen.


© Heather Weston /<br />

www.heatherweston.com<br />

© Thorsten Berndt<br />

© Johannes Heinke<br />

Emily Jenkins wurde in New York geboren. Sie<br />

studierte Schreiben und Literatur an der Vassar und<br />

an der Columbia University. Unter dem Pseudonym<br />

E. Lockhart schreibt sie Jugend bücher, die auf<br />

Deutsch bei CARLSEN erscheinen.<br />

Gabriele Haefs ist promovierte Skandinavistin und<br />

übersetzt unter anderem aus dem Englischen, dem<br />

Norwegischen, dem Dänischen und Schwedischen.<br />

Für ihre Übersetzungen hat sie zahlreiche Preise<br />

erhalten. Gabriele Haefs lebt in Hamburg.<br />

Joëlle Tourlonias, in Hanau geboren, hat Visuelle<br />

Kommunikation in Weimar studiert. 2011<br />

erschienen vier von ihr illustrierte Bilderbücher.<br />

»Der unsichtbare Wink« ist ihre erste Arbeit bei<br />

CARLSEN.

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