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Herta Wolf (Hg.): Diskurse der Fotografie. Fotokritik am ... - Sehepunkte

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<strong>Herta</strong> <strong>Wolf</strong> (<strong>Hg</strong>.): <strong>Diskurse</strong> <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong>. <strong>Fotokritik</strong> <strong>am</strong> Ende des<br />

fotografischen Zeitalters. Bd. 2, Frankfurt/M.: Suhrk<strong>am</strong>p Verlag<br />

2003, 491 S., ISBN 3-518-29199-8, EUR 16,00.<br />

Rezensiert von:<br />

Jens Jäger<br />

Historisches Seminar, Universität zu Köln und Historisches Seminar,<br />

Universität H<strong>am</strong>burg<br />

Es gibt kaum eine kultur- o<strong>der</strong> sozialwissenschaftliche Disziplin, die in <strong>der</strong><br />

<strong>Fotografie</strong> nicht inzwischen berücksichtigt würde. Die gleichzeitig zu<br />

beobachtende verstärkte Bild- und Medienorientierung <strong>der</strong> Forschung<br />

erhöht das Interesse für methodische und theoretische Arbeiten über ein<br />

Medium, das im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t mit Sicherheit eines <strong>der</strong> wichtigsten<br />

geworden ist: die <strong>Fotografie</strong>. Ist diese Zeit <strong>der</strong> Relevanz <strong>am</strong> Beginn des<br />

21. Jahrhun<strong>der</strong>ts vorüber? Jedenfalls deutet das <strong>der</strong> gemeins<strong>am</strong>e<br />

Untertitel "<strong>Fotokritik</strong> <strong>am</strong> Ende des fotografischen Zeitalters" <strong>der</strong> beiden<br />

von <strong>Herta</strong> <strong>Wolf</strong> herausgegebenen Bände "Paradigma <strong>Fotografie</strong>" und<br />

"<strong>Diskurse</strong> <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong>" an. Allerdings repräsentieren die Bände eher das<br />

Gegenteil, denn es wird ein Überblick zur aktuellen <strong>Fotografie</strong>forschung<br />

und <strong>der</strong>en unmittelbaren Grundlagen geliefert. Der erste Band stellt in<br />

diesem Sinne fund<strong>am</strong>entale Fragen zur <strong>Fotografie</strong> als Medium und<br />

mediales Phänomen. Der zweite Band führt in Forschungen zur Rolle <strong>der</strong><br />

<strong>Fotografie</strong> und fotografischer Bil<strong>der</strong> in einzelnen gesellschaftlichen<br />

Bereichen und <strong>Diskurse</strong>n ein.<br />

Die Bände vereinen insges<strong>am</strong>t 36 Aufsätze aus den vergangenen 25<br />

Jahren. Es handelt sich vor allem um Beiträge von Kunsthistorikerinnen<br />

und Kunsthistorikern aus dem angelsächsischen und zu einem geringeren<br />

Anteil französischen Raum, darunter Arbeiten, die größeren Einfluss auf<br />

die Forschung ausgeübt haben, zum Beispiel von Alan Sekula, John Tagg<br />

und Rosalind Krauss. Einige Autoren sind mit mehreren Beiträgen<br />

vertreten: Rosalind Krauss, Abigail Solomon-Godeau und die<br />

Herausgeberin <strong>der</strong> Bände, <strong>Herta</strong> <strong>Wolf</strong>, mit insges<strong>am</strong>t drei Beiträgen. Es<br />

finden sich aber auch Erstveröffentlichungen: im ersten Band ein Text von<br />

<strong>Wolf</strong>gang Hagen, im zweiten Band Aufsätze von Sally Stein, Carol<br />

Armstrong und Michel Frizot.<br />

Ganz dem Charakter von S<strong>am</strong>melbänden entsprechend sind nicht alle<br />

Beiträge gleichermaßen instruktiv o<strong>der</strong> von ähnlicher empirischer o<strong>der</strong><br />

analytischer Schärfe. Das gilt für die erneut veröffentlichten ebenso wie<br />

für die eigens für die Bände verfassten Texte. Es kann an dieser Stelle<br />

nicht je<strong>der</strong> einzelne Text für sich eingehend gewürdigt werden. Das fällt<br />

umso leichter, als einige <strong>der</strong> Texte inzwischen einen Grundlagenstatus<br />

besitzen, wie beispielsweise die Aufsätze von Victor Burgin (Einleitung zu<br />

"Thinking Photography", 1982) und Allan Sekula "Der Körper und das


Archiv" (1986). Ähnliches gilt auch für John Tagg, Roland Barthes,<br />

Rosalind Krauss o<strong>der</strong> Abigail Solomon-Godeau, um nur einige weitere<br />

Beispiele zu nennen.<br />

Die bis jetzt erwähnten N<strong>am</strong>en zeigen bereits, dass nicht "klassische"<br />

kunsthistorische, soziologische o<strong>der</strong> (sozial-)historische Arbeiten zur<br />

<strong>Fotografie</strong> o<strong>der</strong> Bildanalysen in den Bänden zu erwarten sind, son<strong>der</strong>n vor<br />

allem diejenige Forschung, die sich in Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

Strukturalismus und Post-Strukturalismus, Semiotik, Michel Foucaults<br />

Schriften, Psychoanalyse und kritischen marxistischen Ansätzen entwickelt<br />

hat. Dadurch haben zahlreiche <strong>der</strong> vorgestellten Ansätze gemeins<strong>am</strong>e<br />

Fluchtpunkte, etwa in <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> verwendeten historischen Quellen<br />

(Texte aus <strong>der</strong> Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts von Oliver Wendell Holmes,<br />

Jules Janin, Charles Baudelaire, François Arago), o<strong>der</strong> in Bezug auf<br />

bestimmte Schlüsselautoren, n<strong>am</strong>entlich Walter Benj<strong>am</strong>in, Siegfried<br />

Kracauer, Siegmund Freud, Jacques Lacan, Michel Foucault und Roland<br />

Barthes.<br />

Der erste Band ist anhand von Paradigmen <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong> strukturiert, die<br />

sich auf das "Apparative" <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong> zurückführen lassen, was den<br />

Diskurs um <strong>Fotografie</strong> seit ihrer erstmaligen Veröffentlichung 1839<br />

durchzieht. Im ersten Abschnitt geht es zwar allgemein um dieses<br />

"apparative Paradigma", tatsächlich liegt aber das Hauptgewicht auf einer<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Roland Barthes und dessen Bestimmung des<br />

Wesens <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong> beziehungsweise <strong>der</strong> Rezeptionsweisen von<br />

fotografischen Bil<strong>der</strong>n. Ergänzt wird dieser Abschnitt durch einen Text von<br />

Jonathan Crary, <strong>der</strong> statt auf die technischen Grundlagen stärker auf die<br />

Rolle des Betrachters eingeht.<br />

Im folgenden Abschnitt werden Texte präsentiert, die sich mit dem seit<br />

den 1980er-Jahren deutlich abzeichnenden technischen Wandel in <strong>der</strong><br />

<strong>Fotografie</strong> beschäftigen. D<strong>am</strong>it wird das "apparative Paradigma" auf einer<br />

technischen Ebene in <strong>der</strong> Gegenüberstellung von analoger und digitaler<br />

<strong>Fotografie</strong> differenziert (vor allem Hubert D<strong>am</strong>isch, Peter Lunefeld,<br />

Friedrich Kittler). <strong>Wolf</strong>gang Hagen betreibt in seinem Beitrag ein<br />

ähnliches, wenngleich gerade im Gegensatz zu Kittlers Text weitaus<br />

nachvollziehbareres Projekt <strong>der</strong> Unterscheidung zwischen analoger und<br />

digitaler <strong>Fotografie</strong>, das auf seiner Kenntnis <strong>der</strong> Wissenschaftsgeschichte<br />

zu Physik und Quantenmechanik aufbaut. Einen ebenfalls durch<br />

verän<strong>der</strong>te technische Möglichkeiten wie neue künstlerische Konzepte<br />

angeregten Paradigmenwechsel in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Kunst beschreibt<br />

dagegen Rosalind Krauss.<br />

Gemeins<strong>am</strong>e Kl<strong>am</strong>mer <strong>der</strong> nachfolgenden Abschnitte bildet <strong>der</strong><br />

Bezugspunkt "Kunst", <strong>der</strong> in <strong>der</strong> öffentlichen Debatte um <strong>Fotografie</strong> stets<br />

wichtig gewesen ist, stellte das technische Medium doch die grundlegende<br />

Frage nach dem Wesen von Kunst und dem Anteil des Künstlers <strong>am</strong><br />

Bildwerk. Fast zwangsläufig gerät somit gleichzeitig eine Institution in den<br />

Blick, die als Begegnungsstätte zwischen Publikum und Kunst im 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t immer wichtiger wurde: das Museum. Eingeleitet werden die<br />

Abschnitte durch eine allgemeine Diskussion über das Verhältnis Kunst


und <strong>Fotografie</strong> (Alan Sekula, John Tagg). Eine Fokussierung erfolgt dann<br />

auf die Arbeit <strong>der</strong> fotografischen Abteilung des Museum of Mo<strong>der</strong>n Art<br />

(MoMA) in New York (Christopher Phillips, Abigail Solomon-Godeau).<br />

Zu dieser Diskussion um das Museum of Mo<strong>der</strong>n Art passt auch <strong>der</strong><br />

Aufsatz von Douglas Crimp, <strong>der</strong> aber im folgenden Abschnitt zu finden ist,<br />

<strong>der</strong> dem Themenkomplex Archivierung - Katalogisierung - Musealisierung<br />

gewidmet ist ("Museum ohne Wände"). <strong>Herta</strong> <strong>Wolf</strong> versucht in ihrem<br />

Beitrag die Zeitgleichheit von <strong>Fotografie</strong> und neuen<br />

Archivierungstechniken nachzuweisen. Benj<strong>am</strong>in H. D. Buchlohs<br />

Überlegungen zu Gerhard Richters Kunstprojekt "Atlas" führen in das<br />

Thema <strong>der</strong> Atlanten generell ein und diskutieren die Problematik des<br />

Montierens. Der abschließende Beitrag von Hal Foster verweist auf das<br />

Problem <strong>der</strong> Digitalisierung von Museumsbeständen und warnt vor <strong>der</strong><br />

Beliebigkeit dadurch ermöglichter Kombinationen von Kunstwerken und<br />

Artefakten. Eine geson<strong>der</strong>te Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong> findet<br />

hier allerdings nicht statt.<br />

Gerade eine engere Verzahnung <strong>der</strong> beiden letzten Abschnitte wäre<br />

wünschenswert gewesen, denn vielleicht hätte sich ein Aufsatz gefunden<br />

beziehungsweise in Auftrag geben lassen, <strong>der</strong> das Museum als Ort<br />

diskutiert hätte, an dem beides, Kunst und ihr Publikum, überhaupt erst<br />

geschaffen werden.<br />

Der Band macht insges<strong>am</strong>t einen etwas unausgewogenen Eindruck. Vor<br />

allem in <strong>der</strong> Debatte um den sich wandelnden technischen Charakter <strong>der</strong><br />

<strong>Fotografie</strong> durch die Einführung digitaler Verfahren zeigt sich, wie in den<br />

vergangenen Jahrzehnten gerade von <strong>der</strong> Medienwissenschaft das<br />

Technische als Bestimmungspunkt medialer Eigenschaften und Wirkungen<br />

überstrapaziert wurde. Das erinnert an die frühen Debatten um die<br />

<strong>Fotografie</strong> im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t, in denen <strong>der</strong> Gegensatz zwischen Maschine<br />

und Hand einseitig überhöht wurde. Auch die Bedeutung <strong>der</strong><br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem Status <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong> im Museum of Mo<strong>der</strong>n<br />

Art in New York erscheint übertrieben, wenngleich dies aus<br />

<strong>am</strong>erikanischer Sicht vielleicht an<strong>der</strong>s aussehen mag. Zu fragen wäre<br />

trotzdem, ob das Museum of Mo<strong>der</strong>n Art wirklich eine <strong>der</strong>art prominente<br />

Rolle für die Musealisierung <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong> als "Kunst" gespielt hat, wie es<br />

hier den Eindruck erweckt, zumal in zahlreichen <strong>am</strong>erikanischen und<br />

europäischen Museen lange vorher <strong>Fotografie</strong> gezeigt und - auch unter<br />

dem Etikett Kunst - ges<strong>am</strong>melt wurde.<br />

Der zweite Band "<strong>Diskurse</strong> <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong>" ist homogener und<br />

überzeugen<strong>der</strong>, nicht zuletzt, weil er von Susanne Holschbach viel besser<br />

eingeleitet ist. Deutlich ist markiert, woher die Texte kommen und warum<br />

diese ausgewählt wurden. Die Auswahl fußt auf <strong>der</strong> unbestrittenen<br />

Bedeutung anglo<strong>am</strong>erikanischer Konzeption von Fototheorie und -<br />

geschichtsschreibung, die Eingang in die europäische Forschung zur<br />

<strong>Fotografie</strong> gefunden hat.<br />

Der Band ist in zwei große Abschnitte geglie<strong>der</strong>t, "<strong>Fotografie</strong> im Feld <strong>der</strong><br />

visuellen Kultur" und "Medium des Wissens" (eine Überschrift, die


allerdings nur im Inhaltsverzeichnis auftaucht). Der erste Abschnitt wird<br />

von Texten W.J.T. Mitchells und Victor Burgins eingeleitet, die<br />

verdeutlichen, auf welchen Konzepten und theoretischen Annahmen die<br />

folgenden <strong>Diskurse</strong> <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong> beruhen: Diskursanalyse, foucaultsche<br />

Machtanalyse, psychoanalytische Ansätze (Lacan, Freud) und<br />

poststrukturalistische Überlegungen.<br />

Im ersten Unterabschnitt "Poltik(en) <strong>der</strong> Repräsentation" werden<br />

bestimmte Modi <strong>der</strong> fotografischen Darstellung kritisch untersucht.<br />

Zunächst setzt sich <strong>der</strong> Aufsatz von Abigail Solomon-Godeau mit dem in<br />

den 1930er-Jahren aufkommenden <strong>am</strong>erikanischen Konzept <strong>der</strong><br />

Dokumentarfotografie auseinan<strong>der</strong>. Stuart Hall liefert eine ausgewogene<br />

Analyse <strong>der</strong> Fotoberichterstattung über karibische Einwan<strong>der</strong>er in England<br />

in den 1950er-Jahren. Craig Owens befasst sich mit <strong>der</strong> Bedeutung und<br />

Deutung des Posierens, und David Bate diskutiert das von Homi Bahaba<br />

eingeführte Konzept <strong>der</strong> Mimikry im Rahmen kolonialer <strong>Fotografie</strong>, indem<br />

er die europäische Attitüde des Verkleidens analysiert.<br />

Im Abschnitt "Bil<strong>der</strong>konsum und visuelle Lust" geht es verstärkt um<br />

journalistische und private <strong>Fotografie</strong>. Sally Stein vergleicht in einem<br />

Originalbeitrag die beiden auflagenstärksten <strong>am</strong>erikanischen Illustrierten<br />

<strong>der</strong> 1930er- bis 1970er-Jahre "Life" und "Look", und Barry King<br />

präsentiert eine Studie zur Normierung <strong>der</strong> privaten fotografischen Praxis<br />

durch die (gegenwärtige) Fotoindustrie.<br />

Die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem psychoanalytischen Begriff des<br />

"Begehrens" befruchtet schon lange einen Zweig <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong>forschung,<br />

<strong>der</strong> die emotionalen Strukturen des Verhältnisses Foto - Betrachter zu<br />

ergründen sucht. Die Betrachtung zum Begriff des Fetisch im Vergleich<br />

von Foto und Kino (Christian Metz) machen den Anfang des Abschnitts zur<br />

"visuellen Lust". Die Studie zur pornografischen Inszenierung seit dem 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t (Linda Willi<strong>am</strong>s) zeigt, dass sich die fotografische Praxis<br />

pornografischer Darstellungen nicht einseitig auf den männlich<br />

dominanten Blick reduzieren lässt, son<strong>der</strong>n stärker den historischen<br />

männlichen wie eben auch weiblichen Betrachter beinhalten müsste.<br />

"Medium des Wissens" ist in zwei Unterabschnitte geglie<strong>der</strong>t. "Ordnungen<br />

<strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong> - Ordnungen durch <strong>Fotografie</strong>" zeigt in Texten von Alan<br />

Sekula (Identifikationsfotografie) und Elizabeth Edwards<br />

(anthropologische <strong>Fotografie</strong>) die Verwendung <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong> zum Zweck<br />

von Ausgrenzung und Abgrenzung abweichen<strong>der</strong> Gruppen von einer<br />

impliziten Norm, nämlich des bürgerlichen, weißen Mitteleuropäers.<br />

Den Abschluss des Bandes bildet <strong>der</strong> Abschnitt "Mechanische(/s)<br />

Aufzeichnungsverfahren" zur Rolle <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong> und fotografischer<br />

Aufzeichnungstechniken in <strong>der</strong> Wissenschaft (Carol Armstrong, Peter<br />

Galison, <strong>Herta</strong> <strong>Wolf</strong>, Michel Frizot). Deutlich wird, dass Bil<strong>der</strong>gebnis und<br />

Bildverwendung wissenschaftlichen Paradigmen und kulturellen Kontexten<br />

folgten, <strong>Fotografie</strong> in <strong>der</strong> Wissenschaft niemals simples<br />

Dokumentationsverfahren darstellt, son<strong>der</strong>n auf das Engste mit<br />

Forschungsabsicht und -ergebnis zus<strong>am</strong>menhängt.


Nach <strong>der</strong> Lektüre ist man tatsächlich über wichtige Strömungen in <strong>der</strong><br />

<strong>Fotografie</strong>forschung orientiert. Allerdings drängen sich einige Fragen auf.<br />

Die erste Frage wird durch den Untertitel <strong>der</strong> Bände "<strong>Fotokritik</strong> <strong>am</strong> Ende<br />

des fotografischen Zeitalters" angeregt. Das Ende des fotografischen<br />

Zeitalters? Worauf beruht diese Annahme? Steckt dahinter ein technischer<br />

Begriff des Fotografischen? Und was überhaupt ist es, das "Fotografische",<br />

das <strong>Herta</strong> <strong>Wolf</strong> in <strong>der</strong> Einleitung zum ersten Band zwar erwähnt, die<br />

Kenntnis des Begriffs bei den Leserinnen und Lesern aber vorauszusetzen<br />

scheint. <strong>Wolf</strong>s Verweis auf Rosalind Krauss geht ins Leere, denn die in den<br />

Bänden abgedruckten Beiträge von Krauss handeln an<strong>der</strong>e Gegenstände<br />

ab. Auch ist die Bezeichnung von <strong>Fotografie</strong> als "chemo-technisches"<br />

Medium zumindest gewöhnungsbedürftig, da in dem Begriff <strong>der</strong> Aspekt<br />

des Optischen fehlt, <strong>der</strong> für die <strong>Fotografie</strong> doch ebenso entscheidend sein<br />

müsste. Sinnvoll ist diese Reduzierung nur, wenn d<strong>am</strong>it vor allem das Ziel<br />

verfolgt wird, digitale <strong>Fotografie</strong> auszuschließen, denn bei dieser basiert<br />

die Bildspeicherung tatsächlich nicht auf einem chemo-technischen<br />

Verfahren, wenngleich aber auch sie auf optischer Apparatur beruht.<br />

Insges<strong>am</strong>t vermisst man eine stärkere Diskussion <strong>der</strong> (historischen)<br />

Betrachter- und Nutzerperspektive.<br />

Ebenso wird wie selbstverständlich vom "Medium" <strong>Fotografie</strong> gesprochen,<br />

was zwar unmittelbar einleuchtet, doch war es, o<strong>der</strong> wann wurde es,<br />

tatsächlich "Leitmedium" (Band 1, 17)? Die Einleitung zum ersten Band<br />

verweist in Richtungen, die in einem spezifischen<br />

fotografiewissenschaftlichen Diskurs zwar zu Selbstverständlichkeiten<br />

gehören, die einem etwas weiteren Interessentenkreis jedoch nicht ohne<br />

Weiteres klar sein dürften. So werden Fragen aufgeworfen und Themen<br />

angedeutet, zu <strong>der</strong>en Vertiefung und Darlegung die vers<strong>am</strong>melten Texte<br />

eigentlich dienen müssten, es aber nicht unbedingt tun. Das kann zwar für<br />

den Kenner <strong>der</strong> Forschung sehr anregend sein, für jemanden, <strong>der</strong> sich in<br />

das Thema einarbeiten möchte, ist das jedoch möglicherweise verwirrend.<br />

Insges<strong>am</strong>t ist festzuhalten, dass die beiden Bände ein willkommenes und<br />

bequemes Instrument <strong>der</strong> Forschung darstellen; auch ein Verdienst <strong>der</strong><br />

guten Übersetzungen aus dem Englischen durch Wilfried Prantner. Die<br />

gegenwärtige "<strong>Fotokritik</strong>" und fotohistorische Forschung ist insges<strong>am</strong>t<br />

allerdings vielfältiger und differenzierter, als sie in den beiden Bänden<br />

präsentiert wird. [1]<br />

Anmerkung:<br />

[1] Hinzuweisen ist hier vor allem auf die Anthologie von Peter Geimer<br />

(<strong>Hg</strong>.): Ordnungen <strong>der</strong> Sichtbarkeit. <strong>Fotografie</strong> in Wissenschaft, Kunst und<br />

Technologie, Frankfurt <strong>am</strong> Main 2002 sowie die vierbändige Theorie <strong>der</strong><br />

<strong>Fotografie</strong> [1839-1995], hrsg. v. <strong>Wolf</strong>gang Kemp, München 1979-2000,<br />

<strong>der</strong>en letzter Band durch Hubertus v. Amelunxen herausgegeben wurde.


Redaktionelle Betreuung: Martina Heßler<br />

Empfohlene Zitierweise:<br />

Jens Jäger: Rezension von: <strong>Herta</strong> <strong>Wolf</strong> (<strong>Hg</strong>.): <strong>Diskurse</strong> <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong>. <strong>Fotokritik</strong> <strong>am</strong><br />

Ende des fotografischen Zeitalters. Bd. 2, Frankfurt/M.: Suhrk<strong>am</strong>p Verlag 2003, in:<br />

sehepunkte 4 (2004), Nr. 6 [15.06.2004], URL:<br />

<br />

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