gPDF - SFB 580 - Friedrich-Schiller-Universität Jena
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CATI ABSEITS<br />
VON MIKROZENSUS<br />
UND MARKTFORSCHUNG<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Gesellschaftliche<br />
Diskontinuität<br />
Entwicklungen<br />
Tradition<br />
nach dem Systemumbruch<br />
Strukturbildung<br />
TELEFONISCHE EXPERTENBEFRAGUNGEN -<br />
ERFAHRUNGEN UND BEFUNDE<br />
THOMAS RITTER (HRSG.)<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> MITTEILUNGEN 2006<br />
17
17 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> MITTEILUNG<br />
Heft 17, März 2006<br />
Sonderforschungsbereich <strong>580</strong><br />
„Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch.<br />
Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung“<br />
Sprecher:<br />
Prof. Dr. Heinrich Best<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>, Carl-Zeiß-Straße 2, 07743 <strong>Jena</strong><br />
Telefon: +49 (0) 3641 94 55 40<br />
Fax: +49 (0) 3641 94 55 42<br />
E-Mail: best@soziologie.uni-jena.de<br />
Internet: www.sfb<strong>580</strong>.uni-halle.de<br />
www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de<br />
Verantwortlich für dieses Heft:<br />
Thomas Ritter<br />
<strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>, Carl-Zeiß-Straße 2, 07743 <strong>Jena</strong><br />
Telefon: +49 (0) 3641 94 55 93<br />
Fax: +49 (0) 3641 94 55 52<br />
E-Mail: thomas.ritter@uni-jena.de<br />
Logo:<br />
Elisabeth Blum; Peter Neitzke (Zürich)<br />
Cover & Satz: Jarno Müller<br />
Druck:<br />
<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />
ISSN: 1619-6171<br />
Diese Arbeit ist im Sonderforschungsbereich <strong>580</strong> „Gesellschaftliche<br />
Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung“<br />
entstanden und wurde auf seine Veranlassung unter Verwendung<br />
der ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten<br />
Mittel gedruckt.<br />
Alle Rechte vorbehalten.
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Gesellschaftliche<br />
Diskontinuität<br />
Entwicklungen<br />
Tradition<br />
nach dem Systemumbruch<br />
Strukturbildung<br />
CATI ABSEITS<br />
VON MIKROZENSUS<br />
UND MARKTFORSCHUNG
INHALTSVERZEICHNIS<br />
EINLEITUNG<br />
Kapitel<br />
1<br />
Vorwort<br />
Thomas Ritter ............6<br />
2<br />
Das CATI-Instrument in der Anwendung für Expertenbefragungen<br />
am Beispiel des <strong>SFB</strong>-B2 Betriebspanels<br />
Ina Götzelt ..........11<br />
3<br />
Telefonbefragungen ökonomischer Funktionseliten -<br />
Erfahrungen und Schlussfolgerungen<br />
Bernd Martens ..........27<br />
4<br />
Telefonische Befragung von parlamentarischen Eliten -<br />
CATI auf Abwegen?<br />
Stefan Jahr ..........43<br />
Seite 4<br />
5<br />
Personalisierte Fragebögen am Beispiel<br />
von Netzwerkerhebungen<br />
Sören Petermann ..........57
INHALTSVERZEICHNIS<br />
EINLEITUNG<br />
Kapitel<br />
6<br />
Telefonische Experteninterviews mit Managern – Nutzen,<br />
Anforderungen, Praxis<br />
Thomas Engel, Michael Behr ..........67<br />
7<br />
Protokoll <strong>SFB</strong>-Kolloquium 27.04.2005<br />
Referenten - C. Buchwald, T. Engel, I. Götzelt, P. Kirch,<br />
S. Jahr, B. Martens, N. Meingast, S. Petermann,<br />
R. Schünemann, T. Ritter ..........84<br />
Autoren<br />
Vitae ..........93<br />
Seite 5
EINLEITUNG<br />
Kapitel 1<br />
VORWORT - COMPUTER-ASSISTED<br />
TELEPHONE INTERVIEWING<br />
von Thomas Ritter<br />
Die <strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong><br />
<strong>Jena</strong> verfügt seit Sommer 2004 über<br />
ein modernes CATI-Labor. Aus<br />
Anlass der Eröffnung des Labors am Institut<br />
für Soziologie und den Erfahrungen mit computerunterstützten<br />
Telefonbefragungen, die in<br />
einer Reihe von Forschungsprojekten<br />
gewonnen werden konnten, organi-<br />
Seite 6 sierte der Sonderforschungsbereich<br />
<strong>580</strong> „Gesellschaftliche Entwicklungen<br />
nach dem Systemumbruch. Diskontinuität,<br />
Tradition und Strukturbildung“<br />
im April 2005 ein Kolloquium. Bereits 2002<br />
fand zum Thema Computer-Assisted Telephone<br />
Interviewing ein Workshop im Rahmen des<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> statt. Dieser erste CATI-Workshop<br />
(vgl. <strong>SFB</strong> Mitteilungen, 2002 Heft 4) 1 sollte<br />
die Leistungsfähigkeit des CATI Instrumentes<br />
vorstellen und die Besonderheit gegenüber<br />
anderen Erhebungsmethoden herausarbeiten.<br />
In der Fortsetzung galt es in dem Kolloquium<br />
2005 die gewonnen praktischen Erfahrungen<br />
in einer projektübergreifenden Diskussion<br />
zu thematisieren um Grenzen und Potentiale<br />
auszuloten. Dieses Heft beinhaltet nun die<br />
einzelnen Beiträge der Referenten auf dem<br />
Kolloquium am 27. April 2005, sowie im Anhang<br />
die Diskussion zu den Referaten. 2<br />
In der Markt- und Meinungsforschung<br />
werden bereits über 44% (ADM Geschäftsbericht<br />
2004) der Daten telefonisch erhoben. Der<br />
größte Anteil entfällt dabei auf Haushaltsbefragungen.<br />
Zu telefonischen Expertenbefragungen<br />
gibt es jedoch keine vertiefenden Auswertungen<br />
weder im erwähnten ADM-Geschäftsbericht<br />
noch aus einer anderen Quelle. Beide<br />
Befragungstypen verlangen allerdings sehr<br />
unterschiedliche und differenzierte Arbeitsweisen.<br />
Da sich der Forschungsgegenstand der hiesigen<br />
CATI-Nutzer, vorrangig auf politische<br />
und wirtschaftliche Eliten bezieht, beeinflusst<br />
es zwangsläufig auch das Arbeitsprofil des Labors.<br />
Die Interviewer müssen hier ausdrücklich<br />
auf die Besonderheit in der Akquise und in<br />
der Interviewsituation vorbereitet und auf die<br />
unterschiedlichen Erfordernisse eines telefonischen<br />
Experteninterviews geschult werden, um<br />
angemessen reagieren und agieren zu können.<br />
Ein Schlüsselmoment, der über Erfolg oder<br />
Misserfolg einer Telefonbefragung entschei-
EINLEITUNG<br />
det, ist die Akquisition von Interviewpartnern.<br />
Dies erfordert sowohl eine wohlüberlegte Anbahnungsphase<br />
im Vorfeld, als auch die Arbeit<br />
im Nachgang (Feldpflege durch Information<br />
über die Forschungsergebnisse). Der „behutsame“<br />
Umgang mit den Befragten und deren<br />
Zufriedenheit ist für die weitere Forschung<br />
elementar. Wenn sich hierzulande ähnliche<br />
Zugangsschwierigkeiten wie in England einstellen<br />
sollten 3 , dann wäre es für die hiesige<br />
Forschung, die auf Expertenbefragungen<br />
angewiesen ist, hochproblematisch und würde<br />
erhebliche Mehrkosten verursachen.<br />
Per Definition sind „Experten bzw. Expertinnen<br />
Personen, die sich -ausgehend<br />
von spezifischem Praxis- oder Erfahrungswissen,<br />
das sich auf einen klar begrenzbaren<br />
Problemkreis bezieht - die Möglichkeiten<br />
geschaffen haben, mit ihren Deutungen das<br />
konkrete Handlungsfeld sinnhaft und handlungsleitend<br />
zu strukturieren“ (Bogner/Menz<br />
2002, 45). Bogner und Menz verknüpfen mit<br />
dieser Definition die Forderung nach einem<br />
„Interaktionsmodell, das die konstitutive und<br />
produktive Seite begreifbarer macht“ (ebd.,<br />
46). Die allgemeine methodische Problemstellung<br />
des Experteninterviews, wird durch<br />
die Besonderheiten einer computergestützten<br />
Telefonbefragung erweitert. Diese Verfahrenskombination<br />
scheint sich heute als alltägliche<br />
Forschungspraxis durchzusetzen.<br />
Das „quick and dirty“ Stigma, welches der<br />
Telefonbefragung jahrzehntelang anhaftete,<br />
bezog sich gerade auf die qualitative Unsauberkeit<br />
des Verfahrens und schien deshalb im<br />
Besonderen nicht für Experten oder Elitenbefragungen<br />
geeignet zu sein. Die zunehmende<br />
Anforderung an sozialwissenschaftliche<br />
Forschungsvorhaben, repräsentativ-belastbare<br />
Aussagen aus Daten zu gewinnen und die<br />
neuen technischen Möglichkeiten (Computerisierung)<br />
erklären den verstärkten Rückgriff<br />
auf das CATI-Instrument. 4 Die neuen Bedingungen<br />
erfordern im Gegenzug aber auch eine<br />
inhaltliche Auseinandersetzung mit telefonisch<br />
geführten Experteninterviews.<br />
Der <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> bietet im Rahmen der projektübergreifenden<br />
Methodendiskussion die<br />
Basis für eine vertiefte Beschäftigung mit dem<br />
telefonischen Experteninterview. Die langfristig<br />
angelegten Teilprojekte im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> ermöglichen<br />
eine synergetische Reflexionsfläche, die<br />
sowohl dem Telefonlabor als auch den Projekten<br />
in ihrer Arbeit zugute kommt.<br />
Hauptanliegen des hier vorgelegten Heftes<br />
ist die Darstellung von Erfahrungen bei der<br />
telefonischen Befragung von ökonomischen<br />
Funktionseliten (Bernd Martens), von parlamentarischen<br />
Eliten (Stefan Jahr) sowie von<br />
Personalverantwortlichen in Industrieunternehmen<br />
im Rahmen einer telefonischen Panelbefragung<br />
(Ina Götzelt). In der Diskussion<br />
um personalisierte Fragebögen am Beispiel von<br />
Netzwerkerhebungen (Sören Petermann) und<br />
in einem zusammenfassenden Diskussionsbeitrag<br />
über telefonische Experteninterviews<br />
von Managern (Michael Behr und Thomas<br />
Engel) wird versucht, erste verallgemeinernde<br />
Schlussfolgerungen zur Anwendung<br />
des CATI-Instrumentes für die Befragung<br />
von Experten vorzulegen.<br />
Von höchstem Interesse wäre resümierend<br />
ein forschungsbegleitendes Projekt, das die<br />
strukturellen Merkmale und Besonderheiten<br />
telefonischer Experteninterviews untersucht.<br />
Seite 7
EINLEITUNG<br />
Das vorliegende Heft möchte für die Fragestellung<br />
eines solchen Forschungsprojektes<br />
einen ersten Beitrag leisten.<br />
LITERATUR<br />
ADM-Jahresbericht (2004): http://www.adm-ev.de/pdf/Jahresbericht_04.pdf<br />
FUSSNOTEN<br />
1<br />
Als Download einzusehen auf der Web-Präsenz des <strong>SFB</strong>:<br />
http://www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/veroeffentlichungen/zeitschrift/heft4.pdf<br />
(09/2005)<br />
2<br />
Zwei Referate (Christina Buchwald und Ralf Schünemann)<br />
die ebenfalls während des Kolloquiums vorgetragen wurden,<br />
werden in einem gesonderten Heft veröffentlicht.<br />
3<br />
Eine Vergleichsstudie (Teilprojekt A2) in England ließ sehr<br />
bittere Erfahrungen zurück, da sich das Management in den<br />
angerufenen Betrieben nur höchst selten zu einem Interview<br />
bereit erklärte. Von ca. 302 angerufenen Betriebe konnten nur 16<br />
Interviews realisiert werden.<br />
Bogner, A.; Menz, W. (2002): Das theoriegenerierende Experteninterview<br />
– Erkenntnisinteresse, Wissensformen, Interaktion.<br />
In: Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (Hg.) 2002: Das Experteninterview.<br />
Theorie, Methode, Anwendung – Wiesbaden, S.<br />
33-70<br />
Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (Hg.) (2002): Das Experteninterview.<br />
Theorie, Methode, Anwendung – Wiesbaden<br />
Sahner, H. (Hg.) (2002): Zur Leistungsfähigkeit telefonischer<br />
Befragungen. Das Methodenprojekt des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> zwischen Methodenentwicklung<br />
und Dienstleistung (<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>-Mitteilungen,<br />
Heft 4) – <strong>Jena</strong>, Halle<br />
4<br />
Behr und Engel führen den gestiegenen Anteil an computergestützten<br />
Telefonbefragungen im universitären Bereich unter<br />
anderen auch auf diese veränderte Rahmenbedingung zurück.<br />
(vgl. Behr/Engel in diesem Heft).<br />
Seite 8
Seite 9
DAS<br />
CATI-INSTRUMENT<br />
IN DER ANWENDUNG<br />
FÜR EXPERTEN-<br />
BEFRAGUNGEN<br />
Seite 10
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - EINLEITUNG B2 - BETRIEBSPANEL<br />
Kapitel 2<br />
us/ Reuband 1995). Die Zunahme der Bedeutung<br />
computergestützter Telefonbefragungen<br />
in der modernen empirischen Sozialforschung<br />
erklärt sich durch die zahlreichen Vorteile,<br />
die dieses Instrument bei der Erhebung von<br />
Massendaten bietet. Um einige Vorteile näher<br />
am Beispiel zu beleuchten, ist es sinnvoll die<br />
zentralen Merkmale in Abgrenzung zu anderen<br />
Befragungsmethoden herauszustellen. Wie<br />
Abbildung 1 zeigt, zeichnet sich die computergestützte<br />
Telefonbefragung durch drei zentrale<br />
Merkmale aus.<br />
DAS CATI-INSTRUMENT IN DER<br />
AN-<br />
1.) Die Interviews werden von einem<br />
Interviewer geleitet, welcher aktiv die Situation<br />
und den Verlauf der Befragung beeinflusst.<br />
GEN AM BEISPIEL DES <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2<br />
BETRIEBSPANELS<br />
Ina Götzelt<br />
(unter Mitarbeit von Sabrina Laufer)<br />
2.) Die Terminvereinbarung sowie die<br />
Befragung finden über das Kommunikationsmedium<br />
Telefon statt.<br />
3.) Die Befragung erfolgt computergestützt,<br />
was bedeutet, dass z.B. die Filterführung<br />
und die Reihenfolge der Präsentation von<br />
Fragen und Antwortkategorien automatisch<br />
ablaufen und vom Interviewer nicht direkt<br />
zu beeinflussen sind sowie dass Antworten<br />
während der Befragung bereits in den PC<br />
eingegeben werden.<br />
WENDUNG FÜR EXPERTENBEFRAGUN-<br />
Computergestützte Telefonbefragungen<br />
(CATI-Befragungen) ersetzen<br />
in der empirischen Sozialforschung<br />
zunehmend schriftlich-postalische sowie<br />
persönliche Befragungen. Insbesondere in der<br />
quantitativen Sozialforschung findet diese Methode<br />
immer häufiger Anwendung (vgl. Blasi-<br />
Sowohl durch die Einflussnahme<br />
eines Interviewers auf den Verlauf<br />
sowie durch den Modus telefonisches<br />
Interview als auch durch die<br />
Computerunterstützung werden<br />
Qualität, Quantität und Kosten der Befragung<br />
bestimmt. Im Folgenden sollen die Vor- und<br />
Nachteile der CATI-Methode, auch in Bezug<br />
Seite 11
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - EINLEITUNG B2 - BETRIEBSPANEL<br />
Abbildung 1<br />
auf die Besonderheiten, die dieses Instrument<br />
bietet, anhand des <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2 Betriebspanels<br />
diskutiert werden.<br />
<strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2 BETRIEBSPANEL<br />
Bei dem <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2-Betriebspanel handelt<br />
es sich um eine Expertenbefragung zu dem<br />
Thema “Beschäftigungsstruktur und Beschäftigungsentwicklung”<br />
(vgl. Köhler et al. 2004,<br />
S. 17ff ). In den Jahren 2002 und 2004 wurden<br />
Personalverantwortliche in vorwiegend kleinund<br />
mittelständischen Unternehmen befragt.<br />
Eine dritte Welle ist für das Jahr 2006 geplant.<br />
Die Erhebungen wurden jeweils in Form von<br />
CATI-Befragungen durchgeführt.<br />
Seite 12 Das <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2 Betriebspanel<br />
weist diverse Spezifika im Vergleich<br />
zu ähnlichen Erhebungen auf. So<br />
handelt es sich um eine Panelstudie in betrieblichen<br />
Organisationen. Die Interviewpartner<br />
sind Experten im Bereich betrieblicher Personalplanung<br />
und -entwicklung. Weiterhin fand<br />
in der zweiten Welle ein Mixed-Mode-Verfahren,<br />
in Form der Kombination des CATI-<br />
Instrumentes und der schriftlich-postalischen<br />
Befragung, Anwendung.<br />
Die Stichprobenziehung für das <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-<br />
B2 Betriebspanel fand im Jahre 2002 am<br />
Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung<br />
(IAB) statt. Die Grundgesamtheit stellten alle<br />
Betriebsstätten klein- und mittelständischer<br />
Unternehmen in zehn Branchen 1 und fünf<br />
Bundesländern 2 dar, wobei die Erststichprobe<br />
anhand eines Quotenauswahlverfahrens 3 ermittelt<br />
wurde.<br />
Von den 3874 ausgewählten Betriebsstätten<br />
konnten etwa 3200 kontaktiert werden. Dies<br />
bedeutet, für knapp 20 Prozent der ausgewählten<br />
Betriebsstätten war eine falsche Telefonnummer<br />
vorhanden oder diese Betriebsstätten<br />
waren bereits nicht mehr existent. 4 Weiterhin<br />
wurde die Erhebung im Jahre 2002 zu einem<br />
festgelegten Stichtag beendet, was zur Folge<br />
hatte, dass in etwa 400 Fällen die bis dato<br />
erfolgreiche Anbahnung abgebrochen wurde.<br />
Insgesamt konnten somit im Jahre 2002 in
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - EINLEITUNG B2 - BETRIEBSPANEL<br />
874 Betriebsstätten telefonische Interviews<br />
realisiert werden. Von diesen 874 realisierten<br />
Interviews waren 809 gültig 5 . Somit ergab sich<br />
eine Nettorücklaufquote 6 von 29 Prozent der<br />
kontaktierten Unternehmen.<br />
konnten somit 605 gültige Interviews durchgeführt<br />
werden, was einer Nettorücklaufquote<br />
von 56 Prozent entspricht (vgl. Tabelle 1).<br />
Stichprobe<br />
Brutto-<br />
Stichprobe<br />
Netto-<br />
Stichprobe<br />
Brutto Rücklauf<br />
Brutto<br />
Rücklaufquote<br />
Netto Rücklauf<br />
(nach Plausibilitätsprüfung)<br />
Netto<br />
Rücklaufquote<br />
(nach Plausibilitätsprüfung)<br />
Welle 1 3874 2813 854 30,36 809 28,75<br />
Welle 2<br />
Wiederholung 785 771 538 69,77 528 68,48<br />
Neuziehung 220 210 89 40,45 45 21,42<br />
Nachziehung 107 91 26 24,29 25 27,47<br />
Welle 2 gesamt: 1112 1072 653 60,91 605 56,44<br />
Pretest 267 k.A.m. 8 6<br />
Tabelle 1 Rücklaufquoten Welle 1 und 2<br />
Im Jahre 2004 konnten in 67 Prozent der<br />
Betriebsstätten, in denen bereits im Jahre<br />
2002 befragt wurde, gültige Interviews realisiert<br />
werden. Aufgrund der angenommenen<br />
Panelmortalität wurden in Vorbereitung der<br />
Befragung der zweiten Welle zusätzlich 220<br />
Betriebsstätten aus der Grundgesamtheit neu<br />
ausgewählt. Des Weiteren wurde die Stichprobe<br />
im Verlauf der Befragung nochmals um<br />
etwa 100 Betriebsstätten erhöht. 7 Insgesamt<br />
Die Bruttorücklaufquote aller erreichten<br />
und noch existierenden Panelunternehmen 8<br />
in der zweiten Welle ist etwa eineinhalbmal<br />
so hoch wie die Bruttorücklaufquote aller<br />
vor Beginn der Befragung neu gezogenen<br />
Betriebsstätten. 9 Dies zeigt, die Bereitschaft<br />
von Panelunternehmen an<br />
der Befragung teilzunehmen, war, ge-<br />
Seite 13<br />
messen an neu gezogenen Betrieben,<br />
höher. Hier wirkten vor allem Selbstselektionseffekte.<br />
Zudem ergaben sich bei Panelunternehmen<br />
auch Vorteile in Hinsicht auf<br />
den Erfolg des Anbahnungsgesprächs, welche
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - EINLEITUNG B2 - BETRIEBSPANEL<br />
im folgenden Abschnitt diskutiert werden. Die<br />
im Vergleich zu den vor der Befragung neu<br />
gezogenen Unternehmen nochmals um die<br />
Hälfte geringere Bruttorücklaufquote der im<br />
Verlauf nachgezogenen Unternehmen lässt<br />
sich auf zwei entscheidende Unterschiede des<br />
Befragungsverlaufs zurückführen. Zum einen<br />
betrug der Befragungszeitraum für die im Verlauf<br />
nachgezogenen Unternehmen lediglich<br />
eineinhalb Monate, während der Gesamtbefragungszeitraum<br />
für die vorher neu gezogenen<br />
Betriebe dreieinhalb Monate ausmachte. Zum<br />
anderen wurden zur postalischen Ankündigung<br />
bei den ersteren Unternehmen keine<br />
Broschüren mit einer Ergebnispräsentation aus<br />
den Daten der ersten Welle versandt. 10<br />
Da es nur wenige Studien zum Thema<br />
Ausschöpfung und Ausschöpfungsquoten in<br />
Expertenbefragungen gibt und ein Vergleich<br />
zwischen Studien mit unterschiedlichem<br />
Expertenklientel aufgrund unterschiedlicher<br />
Auswahlprobleme und somit verschiedenen<br />
Ausfallgründe kaum möglich ist, fällt es schwer,<br />
die vorgestellten Rücklaufquoten allgemein<br />
zu bewerten. Die Gründe der Verweigerung<br />
der Teilnahme an einer Expertenbefragung<br />
zum Thema Beschäftigung von Seiten der<br />
Personalverantwortlichen sind auch anders<br />
strukturiert als in allgemeinen CATI-Bevölkerungsumfragen.<br />
Bei Expertenbefragungen in<br />
betrieblichen Kontexten wirken sich Befugnis-,<br />
Zuständigkeits- und Erreichbarkeitsprobleme<br />
(vgl. Hartmann/ Kohaut<br />
Seite 14 2000, S. 612ff ) zusätzlich auf Ausfälle<br />
und Teilnahmebereitschaft aus. Somit<br />
wird klar, dass der aus allgemeinen<br />
CATI-Bevölkerungsumfragen bekannte Wert<br />
von 40 bis 60 Prozent Rücklauf (vgl. Porst<br />
1991) in CATI-Expertenbefragungen nur mit<br />
wesentlich größeren Anstrengungen erreichbar<br />
ist.<br />
BESONDERHEITEN DER ANREIZSTRATEGIE BEI<br />
BETRIEBSBEFRAGUNGEN IM PANELDESIGN<br />
Die Spezifik von Betriebsbefragungen<br />
erzeugt, wie bereits angesprochen, einige<br />
Probleme hinsichtlich der Erreichbarkeit der<br />
zu befragenden Person sowie bei der Vereinbarung<br />
von Befragungsterminen. Bei CATI-Expertenbefragungen<br />
in Organisationen besteht<br />
eben nicht nur das Problem, den richtigen<br />
Zeitpunkt zu wählen, um den Experten am<br />
Arbeitsplatz zu erreichen. Die Schwierigkeiten<br />
liegen zum einen darin, Gatekeeper (vgl. Jahr in<br />
diesem Heft) zu überzeugen, und zum anderen<br />
auch den zuständigen, kompetenten und zur<br />
Teilnahme an Umfragen befugten Gesprächspartner<br />
zu erreichen. Wobei diese Schwierigkeiten<br />
durch die Panelstruktur ab der zweiten<br />
Welle etwas leichter zu bewältigten sind.<br />
In Vorbereitung der zweiten Welle sollte,<br />
wie bereits in der ersten Welle durchgeführt,<br />
den Unternehmen der Stichprobe eine schriftliche<br />
Ankündigung der Befragung zugesandt<br />
werden. Die schriftliche Ankündigung enthielt<br />
neben einem Anschreiben auch eine in<br />
Broschürenform erstellte Zusammenfassung<br />
der Ergebnisse der ersten Welle. Für neu<br />
ausgewählte Unternehmen ergab sich, wie<br />
schon in der ersten Welle, das Problem, dass<br />
kein Ansprechpartner bekannt war; die Briefe<br />
konnten somit lediglich an „den Personalverantwortlichen“<br />
adressiert werden. Dies<br />
führte dazu, dass die Briefe häufig ungelesen<br />
in Papierkörben oder der Ablage „Sonstiges“<br />
verschwanden. Zum Teil wurden sie von
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - EINLEITUNG B2 - BETRIEBSPANEL<br />
Versendung von<br />
Infomatrial via<br />
E-Mail<br />
%<br />
alle kontaktierte<br />
Betriebe<br />
%<br />
Betriebe<br />
CATI-Interview<br />
%<br />
Betriebe<br />
schrift.-postalisches<br />
Interview<br />
%<br />
Betriebe<br />
Interview gesamt<br />
%<br />
Betriebe<br />
Ablehnung<br />
Netto-stichprobe<br />
Betriebe<br />
Netto<br />
Rücklauf<br />
Wiederholung 39,95 43,62 44,12 43,68 31,33 771 538<br />
Neuziehung 40,47 65,33 35,71 60,67 25,62 210 89<br />
Nachziehung 43,93 82,61 - 84,61 38,46 91 26<br />
Welle 2 gesamt: 41,04 48,06 44,7 47,62 20,28 1072 653<br />
N 440 273 38 311 85<br />
Basis N 771 568 85 653 419 8<br />
Tabelle 2<br />
Personalverantwortlichen nach telefonischer<br />
Kontaktierung ausfindig gemacht. Häufiger<br />
wurde den Personalverantwortlichen oder den<br />
Gatekeepern Informationsmaterial 11 nochmals<br />
per E-Mail zugesandt (vgl. Tabelle 2).<br />
Aber auch für Panelunternehmen, bei denen<br />
ein Ansprechpartner bekannt war, ergaben<br />
sich Probleme. Waren Ansprechpartner nicht<br />
mehr in der Betriebsstätte beschäftigt, wurden<br />
die Briefe häufig ungelesen zurückgesandt<br />
oder landeten ebenfalls in unbekannten Ablagen.<br />
Auch hier bewährte sich das Angebot,<br />
das Informationsmaterial auf elektronischem<br />
Wege zu versenden. Etwa 41 Prozent der<br />
kontaktierten Betriebsstätten machten von<br />
dieser Möglichkeit Gebrauch (vgl. Tabelle 2).<br />
Wie Tabelle 2 zeigt, nutzte etwa die Hälfte<br />
aller Betriebsstätten, die an der Befragung<br />
tatsächlich teilnahmen, die Möglichkeit sich<br />
Informationsmaterial per E-Mail zusenden<br />
zu lassen. Bei den neu gezogenen Betrieben<br />
waren es etwa 61 Prozent. Dies deutet darauf<br />
hin, dass häufiger als bei den Panelbetrieben<br />
Anschreiben und Ergebnisbroschüre auf postalischem<br />
Wege nicht ankamen. Bei den nachgezogenen<br />
Unternehmen waren es sogar 84<br />
Prozent, die die angebotene Möglichkeit der<br />
Zusendung in Anspruch nahmen. Dies erklärt<br />
sich daraus, dass im Vorfeld postalisch nur ein<br />
Anschreiben versandt wurde und erst bei der<br />
telefonischen Kontaktierung die Zusendung<br />
von Informationsmaterial angeboten wurde.<br />
Rückblickend lässt sich festhalten, dass eine<br />
schriftlich-postalisch zugestellte Vorankündigung<br />
generell positiv auf die Erreichbarkeit<br />
und das Antwortverhalten<br />
der Personalverantwortlichen wirkt.<br />
Seite 15<br />
Über die Rückfrage nach Eingang<br />
des Ankündigungsbriefes können<br />
Interviewer eine Verbindlichkeit schaffen, die<br />
hilft, zur zu befragenden Person überhaupt<br />
erst vorzudringen.
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - EINLEITUNG B2 - BETRIEBSPANEL<br />
Der postalische Versand von Informationsmaterial<br />
im Voraus kann allerdings als wenig<br />
sinnvoll erachtet werden, da eine elektronische<br />
Zusendung oder eine postalische Zusendung<br />
von Informationsmaterial lediglich auf<br />
Wunsch nach telefonischer Kontaktierung sich<br />
als wesentlich preiswerter und ebenso effektiv<br />
darstellt. Dennoch ist das Angebot der Zusendung<br />
von Informationsmaterial generell sehr<br />
wichtig; die Befragung wirkt dadurch seriöser<br />
und es wird seltener in Frage gestellt, ob die<br />
Interviewer tatsächlich im Auftrag einer Forschungseinrichtung,<br />
wie im vorliegenden Falle<br />
der FSU <strong>Jena</strong>, Daten erheben.<br />
Für die Panelunternehmen der Befragung<br />
im Jahre 2004 stellten sich die Nennung eines<br />
Ansprechpartners sowie der Hinweis auf die<br />
Beteiligung an der Befragung im Jahre 2002<br />
als sehr gute „foot-in-the-door“ Techniken<br />
(Diekmann/ Jahn 2001) heraus. Anstrengende<br />
Überzeugungsarbeit, um zu einem<br />
Personalverantworlichen vorzudringen, wurde<br />
bei Panelunternehmen so häufig vermieden.<br />
Konnte, wie bei neu- und nachgezogenen, Betrieben<br />
kein Ansprechpartner genannt werden,<br />
bot dies eine Angriffsfläche, um die Anfrage<br />
nach Teilnahme an der Befragung bereits auf<br />
Vorzimmerebene abzulehnen. Die einzige<br />
Gegenstrategie gegen dieses generelle Problem<br />
von Befragungen in Organisationen ist es, auf<br />
überzeugungsstarke und gleichzeitig freundliche<br />
Interviewer zu setzen. Hilfreich<br />
für die Lösung dieses Problems sind<br />
Seite 16 dabei auch eine gute Protokollführung<br />
der Kontaktierungsversuche und<br />
eine gute Kommunikation unter den<br />
Interviewern.<br />
wieder die Frage der Befragungseinheit<br />
(Abteilung, Betriebsstätte, Unternehmen,<br />
Gesamtunternehmen, Unternehmensgruppe)<br />
diskutiert. Für das <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2-Betriebspanel<br />
wurde - analog zum IAB-Betriebspanel - das<br />
Betriebsstättenprinzip festgelegt. Das heißt, es<br />
sollte jeweils der Personalverantwortliche einer<br />
Betriebsstätte vor Ort Auskunft über die Personalstruktur<br />
etc. lediglich dieser Betriebsstätte<br />
geben. Bereits im Vorfeld der Erhebung wurde<br />
klar, dass sich auf Grund der Fragenvielfalt,<br />
der unterschiedlichen Betriebsstätten und<br />
Branchen Schwierigkeiten ergeben würden;<br />
konkrete Intervieweranweisungen schafften<br />
in diesem Fall Abhilfe. Dennoch wurde in der<br />
ersten Auswertung der erhobenen Daten der<br />
zweiten Welle deutlich, dass die Befragung<br />
nicht immer auf der richtigen Ebene stattfand.<br />
In etwa fünf Prozent aller realisierten Interviews<br />
wurden Daten für die falsche Aggregationsebene<br />
erhoben. Einerseits erklärt sich dieser<br />
Befragungsfehler durch organisatorische Gegebenheiten<br />
der Untersuchungsunternehmen, die<br />
eben nicht bereit waren, Aussagen für die tiefer<br />
liegende Ebene zu machen. Andererseits liegt<br />
hier ein Interviewerfehler vor, der nur durch<br />
eine intensivere Schulung behoben werden<br />
kann. Zu erwähnen ist auch, dass insbesondere<br />
in einer Panelstruktur Befragungen auf falscher<br />
Ebene fatal für die Qualität der Daten sind.<br />
Denn gerade Längsschnittmessungen, beispielsweise<br />
die Analyse von Wachstums- und<br />
Schrumpfungsprozessen, werden durch diesen<br />
Fehler unmöglich.<br />
Bei Betriebsbefragungen wird immer
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - EINLEITUNG B2 - BETRIEBSPANEL<br />
VOR- UND NACHTEILE VON CATI-EXPERTEN-<br />
BEFRAGUNG<br />
Zentrales Merkmal einer Expertenbefragung<br />
ist es, dass fachkundige Personen<br />
Auskunft über einen ihnen gut bekannten<br />
Sachverhalt geben. Dies steht im Gegensatz<br />
zu allgemeinen Bevölkerungsumfragen, wo<br />
Probanden Auskunft über eigene Eigenschaften<br />
und Einstellungen geben und somit selbst<br />
Merkmalsträger des zu beobachtenden Untersuchungsgegenstandes<br />
sind. Im <strong>SFB</strong><strong>580</strong> – B2<br />
Betriebspanel werden Experten zum Thema<br />
Beschäftigungsstruktur, Beschäftigungsentwicklung<br />
sowie Personalstrategien einzelner<br />
Betriebsstätten befragt.<br />
Die zu befragenden Personalverantwortlichen<br />
des Betriebspanels stellen eine sehr heterogene<br />
Gruppe dar. Befragt wurden Inhaber/<br />
innen, Geschäftsführer/innen, Personalleiter<br />
und –referenten/innen, Abteilungsleiter/innen,<br />
Gruppenleiter/innen, Sekretäre/innen, Sachbearbeiter/innen<br />
und Verwaltungsangestellte.<br />
Aber nicht nur die zu befragenden Personen<br />
bilden eine heterogene Gruppe, auch die Organisationseinheiten<br />
über die die Person in ihrer<br />
Funktion als Experte Auskunft erteilen, stellen<br />
aufgrund der befragten Branchenvielfalt und<br />
der unterschiedlichen Betriebstättengrößen<br />
nur schwer miteinander vergleichbare Beobachtungsobjekte<br />
dar.<br />
Das <strong>SFB</strong><strong>580</strong>- B2-Betriebspanel wird in<br />
Form einer standardisierten Befragung durchgeführt.<br />
Es ist leicht nachzuvollziehen, dass<br />
ein Fragebogen, der die genannten Untersuchungsgegenstände<br />
im beschriebenen Untersuchungsfeld<br />
realitätsgetreu messen möchte,<br />
sehr umfangreich sein muss. Um die Vergleichbarkeit<br />
der zu erhebenden Daten zu gewährleisten,<br />
unterlagen die Befragungsinhalte in<br />
dem, vom Projekt B2 des <strong>SFB</strong><strong>580</strong> entwickelten,<br />
standardisierten Fragebogen einer starken<br />
Strukturierung nach Fragen, Antwort- und<br />
Filtervorgaben. Der Fragebogen umfasste etwa<br />
320 Teilfragen und zeichnete sich durch eine<br />
komplexe Filterführung aus. Dank des computergestützten<br />
Modus war es möglich auch<br />
eine komplexe Filterführung, erste Konsistenzprüfungen<br />
sowie Intervieweranweisungen vor<br />
der Befragung für den Eingabefragebogen,<br />
das Erhebungsinstrument, zu programmieren.<br />
Während der Befragung wurden den Experten<br />
somit lediglich relevante Fragen gestellt, wobei<br />
diese in der vom Forscher gewünschten Reihenfolge<br />
präsentiert wurden. Zudem konnten<br />
den Interviewern hilfreiche Anweisungen zu<br />
einzelnen Fragen im entscheidenden Moment<br />
eingeblendet werden.<br />
Die durchschnittliche Befragungsdauer<br />
betrug 46 Minuten. Erhoben wurden Daten<br />
für Mitarbeitergruppen mit speziellen Arbeitsvertragsformen<br />
oder Perspektiven der Beschäftigungsdauer.<br />
Je heterogener die Gruppe<br />
der beschäftigten Mitarbeiter hinsichtlich der<br />
genannten Merkmale, desto umfangreicher<br />
war die Befragung.<br />
Bei telefonischen Expertenbefragungen<br />
kommt dem Interviewerhandeln ein zentraler<br />
Stellenwert zu, um die Qualität der<br />
erhobenen Daten zu sichern und<br />
zu verbessern (vgl. auch Martens<br />
Seite 17<br />
in diesem Heft). Insbesondere bei<br />
heterogener Belegschaft sind oftmals<br />
für einzelne Befragungsinhalte zusätzliche Erläuterungen<br />
notwendig. Dabei gilt, nur dann,<br />
wenn der Interviewer selbst keine Verständnis-
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - EINLEITUNG B2 - BETRIEBSPANEL<br />
probleme in Bezug auf Befragungsinhalte und<br />
Fragenformulierung hat, wird erhoben, was<br />
erhoben werden soll. Es ist hervorzuheben,<br />
dass bei computergestützten telefonischen<br />
Interviews im Vergleich zu face-to-face Expertenbefragungen<br />
häufig Interviewer zum Einsatz<br />
kommen, die sowohl an der Erarbeitung<br />
des Fragebogens sowie bei der Auswertung der<br />
erhobenen Daten nicht mitwirken. Interviewer<br />
in CATI-Expertenbefragungen müssen selbst<br />
keine Experten sein. Ermöglicht wird dies<br />
durch die Distanz, welche durch das Medium<br />
Telefon geschaffen wird. Akzeptanzprobleme 12<br />
spielen in der Anbahnungsphase von telefonischen<br />
Experteninterviews keine so zentrale<br />
Rolle wie bei der Face-to-Face Befragung.<br />
Ferner steht dem Interviewer während des<br />
Interviews das Hilfsmedium Computer zur<br />
Verfügung, um den Befragungsverlauf entsprechend<br />
der Situation zu gestalten und gleichzeitig<br />
auf wichtige Zusatzinformationen in Form<br />
von Intervieweranweisungen oder inhaltlich<br />
richtige Frage- und Antwortformulierungen<br />
zurückzugreifen.<br />
Umso wichtiger ist es dennoch, dass die<br />
eingesetzten Interviewer gut informiert und auf<br />
Rückfragen vorbereitet sind. Befragungsfehler,<br />
die auf Verständnisfehlern beruhen, können<br />
durch eine sehr gründliche methodische und<br />
inhaltliche Einarbeitung der Interviewer<br />
verringert werden (vgl. Fuchs 1994, S. 178ff ).<br />
Hilfreich ist auch eine intensive Pretestphase<br />
unter Einbezug der späteren<br />
Seite 18 Interviewer. Außerdem eignen sich<br />
regelmäßige Gesprächsrunden um<br />
Verständnisprobleme der Interviewer,<br />
aber auch der Befragten zu erkennen, zu diskutieren<br />
und entsprechend dem Ziel der Studie<br />
zu lösen.<br />
Im Zuge einer CATI-Expertenbefragung<br />
können darüber hinaus Probleme auftreten,<br />
die dem telefonischen Modus der Befragung<br />
geschuldet sind. Insbesondere wenn, wie<br />
beim <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2-Betriebspanel, Schätzungen<br />
von Anteilswerten oder Anzahlen einen<br />
großen Teil der Antworten ausmachen. In<br />
Telefonbefragungen werden den Probanden<br />
die Fragen lediglich verbal präsentiert, somit<br />
treten häufiger Verständnisprobleme auf, die<br />
nicht in jedem Fall kommuniziert werden (vgl.<br />
Fuchs 1994, S. 97). Hinzu kommt eine Distanz<br />
zwischen Interviewer und Experten, die das<br />
Medium Telefon in die Befragungssituation<br />
hineinträgt und welche eine gewisse Unverbindlichkeit<br />
in Bezug auf wahrheitsgetreue<br />
Antworten hervorruft. Außerdem verleitet das<br />
Kommunikationsmedium Telefon zu „ad hoc<br />
Antworten“; ein Nachschlagen nach Fakten<br />
würde den selbst gesetzten Zeitrahmen sprengen,<br />
wobei von Expertenseite für Telefonbefragungen<br />
meist nur kurze Zeitfenster eingeplant<br />
werden.<br />
Um die angesprochenen Probleme zu verringern,<br />
sind erneut die Interviewer gefordert.<br />
Im Einzelnen können nur Interviewer Motivations-<br />
und Konzentrationsschwächen oder<br />
Fehlimplikationen des Befragten erkennen und<br />
durch geeignete Strategien beheben. Aber auch<br />
die Flexibilität, die das Instrument CATI bietet,<br />
muss richtig eingesetzt werden. Wird klar,<br />
dass ein Proband in Zeitnot gerät oder Fakten<br />
nachschlagen beziehungsweise recherchieren<br />
möchte, sollte die Befragung unterbrochen<br />
und zu einem späteren Zeitpunkt fortgeführt<br />
werden. Bei der Terminvereinbarung ist die<br />
wahrscheinliche Zeitdauer des Interviews klar<br />
anzukündigen, auch wenn dies teilweise zu<br />
Abbrüchen in der Anbahnungsphase führt.
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - EINLEITUNG B2 - BETRIEBSPANEL<br />
Hilfreich für den Befragungsverlauf allgemein<br />
ist es, eine elektronische Version des Fragebogens<br />
nach Terminvereinbarung und einige<br />
Tage vor dem Interviewtermin dem Experten<br />
zukommen zu lassen. Auf diese Weise ist der<br />
Experte in der Lage, sich auf das vereinbarte<br />
CATI-Interview vorzubereiten. 13<br />
Zu betonen ist, dass mit den Interviewern<br />
im Vorfeld der Befragung, Strategien des Verhaltens<br />
während des Interviews und in problematischen<br />
Interviewersituationen besprochen<br />
und vereinbart werden müssen.<br />
MIXED-MODE ERHEBUNGSVERFAHREN IM<br />
<strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2 BETRIEBSPANEL<br />
Im Verlauf der zweiten Befragungswelle<br />
des <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2- Betriebspanels sollte bei<br />
den Panelunternehmen eine möglichst hohe<br />
Ausschöpfungsquote erzielt werden, um<br />
Längsschnittuntersuchungen zu gewährleisten.<br />
Einige der Panel-Betriebsstätten waren allerdings<br />
nicht bereit, erneut an einer telefonischen<br />
Befragung teilzunehmen, erklärten sich aber<br />
damit einverstanden, schriftlich-postalisch den<br />
Fragebogen zu beantworten. Gründe für die<br />
Ablehnung eines Telefoninterviews stellten<br />
aktuelle Zeitnot, schlechte telefonische Erreichbarkeit<br />
oder aber die Unmöglichkeit, das<br />
einzig vorhandene Telefon für längere Zeit zu<br />
blockieren, dar.<br />
Von den insgesamt 210 Personalverantwortlichen,<br />
die sich am Telefon bereit erklärten,<br />
an der Befragung auf schriftlich-postalischem<br />
Wege teilzunehmen, sendeten letztlich 85<br />
Probanden den Fragebogen tatsächlich zurück.<br />
Dies entspricht einem Rücklauf von etwa 40<br />
Prozent. Dabei ist jedoch darauf hinzuweisen,<br />
dass die Befragten, die schriftlich postalisch am<br />
<strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2 Panel teilnehmen wollten, etwa<br />
eine Woche nach Versendung des Fragebogens<br />
und anschließend im wöchentlichen Rhythmus<br />
nochmals, mit der Bitte nach Rücksendung des<br />
Fragebogens, telefonisch kontaktiert wurden.<br />
Es ist zu vermuten, dass die Rücklaufquote<br />
der postalischen Fragebögen durch diese Art<br />
der Erinnerung wesentlich gesteigert werden<br />
konnte.<br />
Wenn auch ein Mixed-Mode Verfahren,<br />
insbesondere in Betriebspanelerhebungen<br />
äußerst hilfreich ist um Ausfälle zu vermeiden<br />
(vgl. Dillman 2000, S. 217; 323 ff ), so gehen<br />
doch auch zahlreiche Probleme mit der Auswertung<br />
dieser Daten einher. Probleme entstehen<br />
dadurch, dass jede der Erhebungsmethoden<br />
ihre eigenen Vor- und Nachteile besitzt.<br />
Das Selbstausfüllen des Fragebogens durch<br />
den Experten bietet beispielsweise die Vorteile<br />
größere Anonymität zu gewährleisten und die<br />
Möglichkeit, einzelne Fakten in Ruhe nachschlagen<br />
zu können. Allerdings entstehen auch<br />
entscheidende Nachteile; beispielsweise muss<br />
die komplexe Filterführung im Fragebogen<br />
vom Probanden allein bewerkstelligt werden<br />
und bei eventuellen Verständnisproblemen zu<br />
Frageninhalten oder Antwortkategorien steht<br />
nicht sofort ein Ansprechpartner für Rückfragen<br />
zur Verfügung.<br />
Wie sich anhand Tabelle 3 zeigen<br />
lässt, wirkte sich im <strong>SFB</strong><strong>580</strong>-B2-<br />
Seite 19<br />
Betriebspanel der Befragungsmodus<br />
nicht darauf aus, ob heikle Fragen,<br />
wie beispielsweise die Frage nach Entlassungsgründen,<br />
beantwortet wurden. Sowohl<br />
bei CATI als auch bei selbst ausgefüllten und
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - EINLEITUNG B2 - BETRIEBSPANEL<br />
Strategien bei sinkendem Arbeitsvolumen<br />
Angabe “ja”<br />
CATI<br />
Angabe “ja” post. Differenz Phi<br />
Überstunden abgebaut 62,70% 64,30% (-)1,6 (-)0,011<br />
Urlaube vorgezogen 34,30% 39,50% (-)5,2 (-)0,036<br />
unbezahlten Urlaub gewährt 11,90% 17,10% (-)5,1 (-)0,051<br />
Arbeitskräfte innerbetrieblich umgesetzt 55,60% 45,50% 10,1 0,068<br />
Reduzierung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich 13,50% 7,00% 6,5 0,065<br />
Lohnsenkung 14,20% 4,70% 9,7 0,094*<br />
Kurzarbeit angeordnet 10,60% 11,60% (-)1 (-)0,011<br />
ausscheidendes Personal nicht ersetzt 69,90% 84,10% (-)14,2 (-)0,105 **<br />
Verträge mit Zeitarbeitern/ Freien nicht verlängert 21,70% 19,00% 1,7 0,022<br />
Mitarbeiter entlassen/ Aufhebungsverträge 48,50% 60,50% (-)12 (-)0,079<br />
Aufträge an Fremdfirmen verringert 22,10% 22,50% (-)0,4 (-)0,003<br />
Bearbeitungsrückstände abgebaut 42,10% 25,60% 16,5 0,107**<br />
N 303 43<br />
Mittelwert SV-pflichtig Beschäftigte 120 175<br />
Fragen wurden nur gestellt, wenn Rückgänge Arbeitsvolumen; die Verteilung in den Gruppen ist nach Region und<br />
Branche in etwa gleich; * p
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - EINLEITUNG B2 - BETRIEBSPANEL<br />
Günde des Personalabbau<br />
fehlende Werte<br />
CATI<br />
fehlende Werte post. Differenz Cramers V<br />
technische Rationalisierung 40,28% 41,77% 1,49 0,01<br />
Auslagerung 40,28% 40,50% 0,32 0,002<br />
innerbetriebliche Reorganisation 40,63% 40,50% -0,13 0,001<br />
Ausschöpfung Personalkapazität 40,28% 41,77% 1,49 0,01<br />
Auftragsrückgänge 40,45% 39,24% -1,21 0,008<br />
* p
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - EINLEITUNG B2 - BETRIEBSPANEL<br />
Seite 22<br />
Antwortfehler auftraten. Häufigste Fehler<br />
waren Additionsfehler der Vertragsformen<br />
einzelner Mitarbeitergruppen zur Gesamtbeschäftigtenzahl<br />
14 und eine oftmals nicht<br />
disjunkte sowie erschöpfende Einordnung von<br />
Mitarbeitern zu den Funktionsbereichen 15 .<br />
Wie zu sehen ist, gibt es hinsichtlich Anteilsund<br />
Anzahlangaben kaum Unterschiede in der<br />
Güte der Daten, die in unterschiedlichen Modi<br />
erhoben worden. Dies lässt sich zum Großteil<br />
darauf zurückführen, dass in Fällen, in denen<br />
die Betriebsstätte eine nicht überschaubare<br />
Anzahl an Mitarbeitern besaß, den Personalverantwortlichen<br />
die Möglichkeit angeboten<br />
wurde, in Vorbereitung des CATI-Interviews<br />
den Fragebogen auf elektronischem oder postalischem<br />
Wege zuzusenden.<br />
Zusammenfassend lässt sich feststellen,<br />
dass sich die in unterschiedlicher Form erhobenen<br />
Daten hauptsächlich hinsichtlich sozial<br />
erwünschter Antworten auf heikle Fragen<br />
unterscheiden. Da allerdings im vorgestellten<br />
Betriebspanel nur wenig heikle Sachverhalte<br />
erhoben wurden, wirkt sich also der gewählte<br />
Mixed-Mode kaum auf die Auswertungsstrategien<br />
aus. Letztlich lässt sich mit Blick auf<br />
eine Koppelung von CATI und schriftlichpostalischer<br />
Befragung für das vorgestellte<br />
Beispiel eine positive Bilanz ziehen, da durch<br />
die zusätzliche Möglichkeit der postalischen<br />
Beantwortung noch weitere fünfundsiebzig<br />
gültige und stichprobenrelevante<br />
Interviews durchgeführt werden<br />
konnten.<br />
BILANZ ZUM EINSATZ DES CATI-INSTRU-<br />
MENTS IM <strong>SFB</strong><strong>580</strong> B2 BETRIEBSPANEL<br />
Telefonische Interviews galten in der empirischen<br />
Sozialforschung im Vergleich zu persönlichen<br />
Befragungen lange Zeit als „quick,<br />
cheap and dirty“ (vgl. Dillman 1978, S. 1ff ).<br />
Dies meint, dass mittels Telefonbefragungen<br />
schnell und billig Daten erhoben werden, wobei<br />
die Daten aber eine geringere Qualität im<br />
Vergleich zum traditionellen Erhebungsinstrument<br />
persönliches Interview aufweisen (vgl.<br />
Noelle-Neumann/ Petersen 2000, S. 183ff ).<br />
Allerdings hat sich die Einstellung gegenüber<br />
der Erhebungsmethode aufgrund<br />
zahlreicher technischer Innovationen, wie der<br />
Durchsetzung von CATI, und der zunehmenden<br />
Erweiterung des Telefonnetzes in neuester<br />
Zeit stark gewandelt. CATI-Befragungen sind<br />
heutzutage die gängige Praxis in der quantitativen<br />
Sozialforschung, nicht nur zur Erhebung<br />
von Massendaten.<br />
Nach wie vor gelten Telefoninterviews als<br />
preiswert gegenüber anderen Methoden der<br />
Erhebung, wobei vielleicht gerade dieser Fakt<br />
in Expertenbefragungen zu relativieren ist.<br />
Sicherlich sind die Kosten eines persönlichen<br />
Experteninterviews nicht mit den Kosten eines<br />
CATI – Experteninterviews zu vergleichen,<br />
dies ergibt sich schon allein aus der Erfordernis<br />
heraus, in persönlichen Experteninterviews,<br />
nur einschlägig qualifizierte Interviewer einzusetzen.<br />
Aber gerade schriftlich-postalische<br />
Interviews können unter Einsatz von Mixed-<br />
Mode Verfahren eine preiswertere Alternative<br />
darstellen und bieten, wie oben diskutiert, Vorteile<br />
bei der Erhebung heikler Sachverhalte.
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - EINLEITUNG B2 - BETRIEBSPANEL<br />
Allerdings bieten CATI-Befragungen einen<br />
entscheidenden Vorteil gegenüber schriftlich-postalischen<br />
und persönlichen Befragung,<br />
der sich zum einen durch das Medium Telefon<br />
als Kommunikationsweg und zum anderen<br />
aus dem computergestützten Modus ergibt.<br />
Die Methode erweist sich als „quick“. Die<br />
Daten können schnell erfasst, bewertet und<br />
ausgewertet werden. Der computergestützte<br />
Modus ermöglicht außerdem die Abfrage von<br />
Zwischenständen und damit die regelmäßige<br />
Datenkontrolle (Bayer, S. 22). Aber nicht nur<br />
die Datenverarbeitung ist schnell, auch die<br />
computergestützte Präsentation von einzelnen<br />
Fragen gewährleistet eine überschaubare,<br />
gut strukturierte Befragung. Das Interview<br />
wird auf diesem Wege erleichtert, das lästige,<br />
aufhaltende Blättern im Fragebogen entfällt<br />
(Fuchs 1995, S. 287). Organisatorischer Vorteil<br />
ist die Terminmanagementfunktion des<br />
CATI-Programmes (vgl. Buchwald in Sahner<br />
2002, S. 37), welche jedoch in Betriebsbefragungen<br />
nur zum Teil in Anspruch genommen<br />
werden kann. Die Befragung in betrieblichen<br />
Organisationen erfordert nicht zeitnahe sondern<br />
zeitgenaue Kontaktierung des Experten.<br />
Dies ist bei einer zufälligen Zuordnung von<br />
vereinbarten Rückrufen an freie Interviewplätze,<br />
wie es das CATI-Programm anbietet,<br />
nur schwer zu gewährleisten. Teilweise ergibt<br />
sich in Anbahnungsgesprächen auch eine<br />
persönliche Bindung von Interviewer und<br />
Experten; eine zufällige Zuordnung des Interviewtermins<br />
zu einem anderen Interviewer<br />
kann hier zu Verunsicherung und Abbruch<br />
führen. Allerdings stellt die automatische<br />
Terminvereinbarungsfunktion des CATI-<br />
Programmes eine hilfreiche Ergänzung zu<br />
einem von Hand geführten Terminkalender<br />
der „konkreten Interviewtermine“ dar, wobei<br />
einfache Rückrufe zur Terminvereinbarung automatisch<br />
den Interviewern, die gerade keinen<br />
„konkreten Termin“ wahrnehmen, zugespielt<br />
werden. Somit kann auch der Organisationsaufwand<br />
einer Expertenbefragung durch die<br />
automatische Terminvereinbarungsfunktion<br />
im Wesentlichen verringert werden. Dennoch<br />
besteht hier Handlungsbedarf von Seiten der<br />
CATI-Software Anbieter.<br />
Zur Bewertung der Qualität, der in CATI-<br />
Expertenbefragungen erhobenen Daten ist<br />
nochmals die zentrale Rolle der Telefoninterviewer<br />
hervorzuheben. Das Verhalten der<br />
Interviewer hat entscheidenden Einfluss auf<br />
die Anbahnungsphase und den Befragungsverlauf.<br />
Somit wirken sich Interviewerfehler<br />
zentral auf die Antwortquote (Quantität) und<br />
die Güte der Daten (Vermeidung von Verständnisproblemen,<br />
Item-Non-Response, Abbrüche)<br />
aus. Eine intensive Schulung und der<br />
Einbezug der Interviewer in die Pretestphase<br />
sind somit grundlegend für eine hohe Qualität<br />
der erhobenen Daten. Zudem ist es sinnvoll<br />
in CATI-Expertenbefragungen das Angebot<br />
der Zusendung zusätzlicher Informationen<br />
(wie eine Übersicht über den Fragenkatalog,<br />
den vollständigen Fragebogen, Ergebnisberichte<br />
vorangegangener Forschung o.ä.) via<br />
E-Mail, Fax oder Briefpost zu unterbreiten.<br />
Dies steigert nicht nur das Interesse an den<br />
Forschungsinhalten; zusätzliche Informationen<br />
helfen vor allem den Experten<br />
zur besseren Vorbereitung auf das<br />
Interview und verkürzen damit die<br />
Interviewdauer.<br />
Seite 23
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - EINLEITUNG B2 - BETRIEBSPANEL<br />
FUSSNOTEN<br />
1<br />
Dies sind Verlagsgewerbe, Maschinenbau, Chemische Industrie,<br />
Baugewerbe, Einzelhandel, Kreditwesen, Software, Beratung,<br />
Erwachsenenbildung und Gesundheitsdienste.<br />
2<br />
Befragt wurde in den Regionen Bayern, Niedersachsen, Hansestadt<br />
Bremen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen.<br />
3<br />
Kriterien für die Quotenauswahl waren dabei die Branche, die<br />
Region und die Größen, wobei eine Gleichverteilung bezogen auf<br />
die Kriterien angestrebt wurde.<br />
4<br />
Gründe hierfür sind Meldefehler oder verspätete Meldung einer<br />
Anschriftsänderungen bzw. Betriebsstättenschließung bei der<br />
Bundesanstalt für Arbeit.<br />
5<br />
809 Interviews konnten für die Auswertung herangezogen<br />
werden, d.h. die Interviews waren plausibel und stichprobenrelevant.<br />
6<br />
Die Nettorücklaufquote entspricht dem Anteil der fertig gestellten<br />
und für die Auswertung verwendbaren Interviews an der<br />
Gesamtstichprobe.<br />
11<br />
Informationsmaterial meint hier: hauptsächlich das postalische<br />
Anschreiben und die Broschüre mit Ergebnissen aus der ersten<br />
Welle. Weiterhin wurden in Vorbereitung auf Interviews eine<br />
Kurzübersicht über die Frageninhalte, der aufbereitete Fragebogen,<br />
welcher auch postalisch versandt wurde, z.T. Heft 11 und 14<br />
der <strong>SFB</strong><strong>580</strong> – Mitteilungen versandt.<br />
12<br />
Gemeint sind Akzeptanzprobleme von Seiten der Experten<br />
gegenüber einem nicht einschlägig fachlich qualifizierten Interviewer<br />
(vgl. Einwurf von Michael Behr in Diskussion des dem<br />
Heft zu Grunde liegenden Workshops – siehe Diskussionszusammenfassung).<br />
13<br />
Dies empfiehlt sich allerdings nur dann, wenn durch das<br />
vorherige Lesen oder Mitlesen von Fragen nicht Probleme hinsichtlich<br />
sozial erwünschter Antworten provoziert werden.<br />
14<br />
Das heißt, einzelne Mitarbeitergruppen bspw. freie Mitarbeiter<br />
oder geringfügig Beschäftigte wurden in Folgefragen, wie<br />
der Aufteilung in Funktionsbereich oder Dauerbereiche nicht<br />
berücksichtigt.<br />
15<br />
Nach der im Fragebogen verfolgten Logik sollten Mitarbeiter<br />
entweder dem Führungs-, dem Forschungs- und Entwicklungs-,<br />
dem Verwaltung-, dem Service-(bspw. Kantine, Hausmeister)<br />
oder dem Kernbereich (der Erstellung oder Dienstleistung)<br />
zugeordnet werden.<br />
7<br />
Dies geschah um eine gleich verteilte Zellenbesetzung hinsichtlich<br />
der Merkmale: Branche, Region, Größe auch in der Welle 2<br />
zu gewährleisten.<br />
8<br />
Mit Panelunternehmen sind im Folgenden die bereits in der<br />
ersten Welle befragten Betriebsstätten gemeint.<br />
LITERATUR<br />
Blasius, Jörg / Reuband, Karl-Heinz (1995): Telefoninterviews<br />
in der empirschen Sozialforschung: Ausschöpfungsquoten und<br />
Antwortqualität. In: ZA-Informationen 37, S. 64-87<br />
Seite 24<br />
9<br />
Die Nettorücklaufquote ist geringer, da aufgrund<br />
der quotierten Stichprobenauswahl im Zuge der<br />
Datensatzbereinigung etwa 40 Weiterbildungseinrichtungen<br />
aus dem Datensatz gelöscht wurden.<br />
Bayer, Michael (1998): Computer Assisted Telephon Interviewing<br />
- Methodik und praktische Umsetzung, Der Hallesche Graureiher<br />
1998,1. Forschungsberichte des Instituts für Soziologie.<br />
Martin-Luther-<strong>Universität</strong> Halle-Wittenberg: (PDF-Datei:<br />
Graureiher 1998,1)<br />
10<br />
Versendet wurden lediglich Ankündigungsschreiben mit der<br />
Bitte um Beteiligung an der Befragung.<br />
DeLeeuw, Edith (1999): The Effect of Computer-Assisted Interviewing<br />
on Data Quality: A Review of the Evidence. Methods<br />
and Statistics Series Nr. 66. Amsterdam
<strong>SFB</strong><strong>580</strong> - EINLEITUNG B2 - BETRIEBSPANEL<br />
Diekmann, Andreas / Ben Jahn (2001): Anreizformen und<br />
Ausschöpfungsquoten bei postalischen Befragungen. Eine Prüfung<br />
der Reziprozitätshypothese. In: ZUMA-Nachrichten 48.<br />
Mannheim<br />
Dillman, Don A. (2000): Mail and Internet Surveys – The<br />
tailored Design Method. New York: Wiley<br />
Dillman, Don A. (1978): Mail and Telephon Surveys. The Total<br />
Design Method. New York: Wiley<br />
Fuchs, Marek (1994): Umfrageforschung mit Telefon und Computer.<br />
Weinheim: Psychologie Verlags Union<br />
Fuchs, Marek (1995): Die computergestützte telefonische Befragung<br />
– Antworten auf Probleme der Umfragenforschung.<br />
In: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 24, Heft 4. Stuttgart: F. Enke<br />
Verlag, S. 284-299<br />
Hartmann, Josef / Kohaut, Susanne (2000): „Analysen zu Ausfällen<br />
(Unit-Nonresponse) im IAB-Betriespanel“ In: Mitteilung<br />
aus der Arbeitsmarkt und Berufsforschung. Jg. 33<br />
Köhler, Christoph / Struck, Olaf / Schröder, Tim / Schwiedereck,<br />
Frank (2004): Betriebe und Beschäftigungsperspektiven. Ergebnisse<br />
einer Betriebsbefragung in zehn Wirtschaftszweigen.<br />
In: Köhler a.al.: Beschäftigungsstabilität und betriebliche<br />
Beschäftigungssysteme in West- und Ostdeutschland (<strong>SFB</strong><strong>580</strong><br />
– Mitteilung Heft 14). <strong>Jena</strong>, Halle<br />
Noelle-Neumann, Elisabeth / Petersen, Thomas (2000): Das<br />
halbe Instrument, die halbe Reaktion. Zum Vergleich von Telefon-<br />
und Face-to-Face-Umfragen. In: Hüfken, Volker: Methoden<br />
in Telefonumfragen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag<br />
Porst, Rolf (1991): Ausfälle und Verweigerungen bei einer telefonischen<br />
Befragung. In: ZUMA-Nachrichten 29, S.57-69<br />
Reuband, Karl-Heinz (2000): Telefonische und postalische<br />
Bevölkerungsumfragen in Ostdeutschland. In: Hüfken, Volker:<br />
Methoden in Telefonumfragen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag<br />
Seite 25<br />
Sahner, Heinz (Hrsg.) (2002): Zur Leistungsfähigkeit telefonischer<br />
Befragungen (<strong>SFB</strong><strong>580</strong>-Mitteilung Heft 4). <strong>Jena</strong>, Halle
T E L E F O N -<br />
BEFRAGUNGEN –<br />
ERFAHRUNGEN UND<br />
S C H L U S S F O L G E -<br />
RUNGEN<br />
Seite 26
ELITENBEFRAGUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
Kapitel 3<br />
TELEFONBEFRAGUNGEN ÖKONOMI-<br />
SCHER FUNKTIONSELITEN – ERFAH-<br />
RUNGEN UND SCHLUSSFOLGERUNGEN<br />
belegen, dass die Unterschiede zwischen persönlichen<br />
Interviews und Telefonbefragungen<br />
nach verschiedenen Bewertungskriterien eher<br />
gering sind. Die Vergleichbarkeit von Telefonbefragungen<br />
und Face-to-Face-Interviews<br />
bezieht sich beispielsweise auf die Ausschöpfungsquoten,<br />
die Dauer der Gespräche, auf die<br />
Komplexität von Erhebungsinstrumenten und<br />
die Datenqualität (Diekmann 2001, S. 429ff.).<br />
Als Vorteil gegenüber anderen Verfahren der<br />
Datenerhebung werden die geringeren Kosten<br />
angeführt – doch ist hier kritisch anzumerken,<br />
dass sich die Aussagen über Vergleichbarkeit<br />
und Vorteile zum überwiegenden Teil auf allgemeine<br />
Bevölkerungsumfragen beziehen. In<br />
diesem Aufsatz wird stattdessen über Erfahrungen<br />
mit einer computerunterstützten Telefonbefragung<br />
(CATI) von Unternehmensleitern<br />
mittelständischer Industriebetriebe berichtet,<br />
eines Personenkreises, der als ökonomische<br />
Funktionselite angesehen werden kann.<br />
Bernd Martens<br />
1. DIE JENAER STUDIE ÜBER LEITER MITTEL-<br />
STÄNDISCHER INDUSTRIEUNTERNEHMEN<br />
Das Telefon als technisches Hilfsmittel<br />
bei sozialwissenschaftlichen Datenerhebungen<br />
ist inzwischen zum<br />
Standard geworden (vgl. auch den Beitrag von<br />
Jahr in diesem Heft). Dieses Erhebungsverfahren<br />
wird nicht mehr als „quick and dirty“<br />
angesehen, denn langjährige Erfahrungen<br />
insbesondere von Marktforschungsinstituten<br />
Die Befragung fand im Rahmen des<br />
Sonderforschungsbereichs <strong>580</strong>, Projekt A2<br />
„Generationswechsel im Management“ im Telefonlabor<br />
des Zentrums für Sozialforschung<br />
Halle statt (Martens/Michailow 2003). Im<br />
Zeitraum August bis Oktober 2002 wurden<br />
insgesamt 778 Interviews durchgeführt. Zielpersonen<br />
der Befragung waren Personen der<br />
obersten Leitungsebene – also Geschäftsführer,<br />
Eigentümer, Vorstandsvorsitzende – mittelständischer<br />
Industrieunternehmen<br />
mit 50-1000 Beschäftigten in fünf<br />
Bundesländern (Bayern, Nord-rhein-<br />
Seite 27<br />
Westfalen, Sachsen-Anhalt, Sachsen<br />
und Thüringen). Es handelte sich um<br />
eine Vollerhebung relevanter Unternehmen,<br />
entweder auf der Ebene der Bundesländer (das<br />
ist für Ostdeutschland der Fall) oder hinsicht-
ELITENBEFRAGUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
lich ausgewählter Regionen (Industrie- und<br />
Handelskammerbezirke in Bayern und Nordrhein-Westfalen).<br />
Der gesamte Adressenpool<br />
beinhaltete 3000 Unternehmen.<br />
Die Befragten wurden auf Grund ihrer Position<br />
als Mitglied der Unternehmensleitung<br />
angesprochen. Die Erhebung lässt sich also als<br />
eine Expertenbefragung 1 ansehen, bei der die<br />
Befragten wegen ihres beruflichen Aufgabenspektrums<br />
Auskunft geben können über das<br />
Unternehmen, ihre eigene Person oder andere<br />
Sachverhalte, über die sie in besonderer Weise<br />
informiert sind. Gläser und Laudel (2004, S.<br />
11) betonen zu Recht, dass Expertenbefragungen<br />
nicht die Festlegung auf ein bestimmtes<br />
Erhebungsverfahren beinhalten. „Entscheidend<br />
sind vielmehr das Ziel der Untersuchung,<br />
der daraus abgeleitete Zweck des Interviews<br />
und die sich daraus ergebende Rolle des Interviewpartners.“<br />
In dem Projekt „Generationswechsel im<br />
Management“ stand im Mittelpunkt des Interesses,<br />
einen umfassenden Überblick über<br />
die Situation an der Spitze mittelständischer<br />
Industrieunternehmen in Deutschland zu erhalten.<br />
Daher wurde eine größere quantitative<br />
Erhebung mit einem weitgehend standardisierten<br />
Fragebogen konzipiert (auf die Folgen<br />
für die Interviewsituation, die sich aus dieser<br />
Methodenwahl und der spezifischen Befragtengruppe<br />
ergeben, wird noch weiter<br />
unten eingegangen). Das Erhebungs-<br />
Seite 28 instrument umfasste Fragen nach dem<br />
Betrieb (u.a. Nachfolgeregelungen,<br />
Finanzierungsbedingungen, betriebliche<br />
Umstrukturierungsmaßnahmen), nach der<br />
Person (u.a. Qualifikationen, Karrieren, soziale<br />
Herkunft) sowie nach Einstellungen (beispielsweise<br />
Führungsstile und gesellschaftspolitische<br />
Wertorientierungen, Martens / Michailow<br />
2003, S. 14). Im Durchschnitt dauerte ein Telefoninterview<br />
ungefähr 30 Minuten. Von den<br />
in Halle durchgeführten 778 Interviews waren<br />
770 vollständig, d.h. Abbrüche während einer<br />
Befragung kamen kaum vor.<br />
Weil das Telefonlabor in Halle nur während<br />
eines beschränkten Zeitraums zur Verfügung<br />
stand und zudem die finanziellen Ressourcen<br />
erschöpft waren, wurde die Befragung im Oktober<br />
2002 abgebrochen. Bereits vereinbarte<br />
Interviewtermine wurden dann noch ohne<br />
Computerunterstützung von <strong>Jena</strong> aus wahrgenommen.<br />
2 Bis zum Jahresende konnten auf<br />
diese Weise 29 zusätzliche Interviews realisiert<br />
werden, so dass schließlich eine Stichprobe von<br />
799 Fällen zu Stande kam. Außerdem führten<br />
wir noch 48 Interviews mit Unternehmensnachfolgern,<br />
die einen kürzeren Fragebogen im<br />
Umfang von ca. 15 Minuten beantworteten.<br />
In der Tabelle 1 sind die Verweigerungsraten<br />
und Ausschöpfungsquoten der<br />
Telefonbefragung für die fünf Bundesländer<br />
gegenübergestellt worden. Die hohe Teilnahmebereitschaft<br />
in Thüringen korreliert vermutlich<br />
mit der Wahrnehmung der <strong>Universität</strong><br />
<strong>Jena</strong> als Hochschule des Landes. Außerdem<br />
wurden in der Vergangenheit etliche industrie-<br />
und arbeitssoziologische Projekte am<br />
Jenenser Institut für Soziologie durchgeführt,<br />
welche sicherlich einen positiven Einfluss auf<br />
die regionale Teilnahmebereitschaft hatten.<br />
Die niedrige Quote für Nordrhein-Westfalen<br />
hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass<br />
zwar alle Adressen im Befragungszeitraum angerufen<br />
wurden. Weitere Kontakte jedoch auf<br />
Grund der beschränkten Nutzungsdauer des
ELITENBEFRAGUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
Bundesland<br />
Zahl der Adressen<br />
Explizite Verweigerung,<br />
kein Interesse an einem Interview<br />
Zahl der Interviews<br />
(Ausschöpfungsquoten)<br />
Bayern<br />
NRW<br />
Sachsen<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Thüringen<br />
663<br />
1354<br />
422<br />
213<br />
371<br />
363 (54,7 %)<br />
800 (59,1 %)<br />
212 (50,2 %)<br />
93 (43,7 %)<br />
133 (35,8 %)<br />
176 (26,5 %)<br />
244 (18,0 %)<br />
143 (33,9 %)<br />
69 (32,4 %)<br />
167 (45,0 %)<br />
Gesamt 3023 1601 (52,9 %) 799 (26,4 %)<br />
Tabelle 1 - Übersicht über die Stichprobe, Zahl der<br />
Adressen und Ausschöpfungsquoten nach Bundesländern<br />
CATI-Labors in Halle gerade für einige der<br />
nordrhein-westfälischen Adressen nicht mehr<br />
wahrgenommen werden konnten.<br />
Häufiger wurde von Seiten der angerufenen<br />
Unternehmensleiter moniert, dass die Dauer<br />
der Befragung mit 30 Minuten an der Grenze<br />
des Akzeptierbaren sei. Hier war es hilfreich,<br />
dass ab und zu von der Möglichkeit des<br />
CATI-Systems, Interviews zeitlich aufzuteilen,<br />
Gebrauch gemacht werden konnte. Auch<br />
wurde angemerkt, dass sie als Verantwortliche<br />
für das Unternehmen von einer Vielzahl von<br />
Befragungen unterschiedlicher Institutionen<br />
oder auch Anfragen der amtlichen Statistik<br />
behelligt würden – beides wurde zusammen<br />
gesehen und zu letzteren sei man verpflichtet<br />
–, da beteilige man sich an weiteren Befragungsaktionen<br />
nicht mehr. 3 Befragte äußerten<br />
sich im Allgemeinen positiv dazu, dass in dem<br />
Forschungsprojekt Ost/West-Vergleiche und -<br />
Probleme aufgegriffen werden. Demgegenüber<br />
war mangelnde Praxisrelevanz der Forschung<br />
ein häufig genannter Kritikpunkt und zugleich<br />
die Begründung, weshalb man sich an der<br />
Befragung nicht beteiligen wolle. Angesichts<br />
des Erkenntnisinteresses der Grundlagenforschung,<br />
die im Sonderforschungsbereich im<br />
Vordergrund steht, ist dieser Eindruck der relativen<br />
Praxisferne nicht so ohne weiteres von<br />
der Hand zu weisen. Hilfreich war in diesem<br />
Zusammenhang der Hinweis darauf, dass den<br />
Befragten eine Kurzfassung der Projektergebnisse<br />
zu Verfügung gestellt werde. Das stieß auf<br />
ein breites Interesse und steigerte vermutlich<br />
die Akzeptanz.<br />
Die folgenden Aussagen beziehen sich<br />
überwiegend auf die Erfahrungen, die mit dem<br />
CATI-System 4 in Halle gesammelt wurden,<br />
die jedoch für Telefonbefragungen mit wirtschaftlichem<br />
Führungspersonal verallgemeinerbar<br />
sind.<br />
2. BESONDERHEITEN VON TELEFONBE-<br />
FRAGUNGEN ÖKONOMISCHER FUNKTI-<br />
ONSELITEN<br />
2.1 Hohe Kontakthäufigkeiten<br />
Ähnlich wie bei anderen Expertenbefra-<br />
Seite 29
ELITENBEFRAGUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
gungen (vgl. die Beiträge von Engel, Götzelt<br />
und Jahr in diesem Heft) waren auch bei der<br />
Befragung der ökonomischen Funktionseliten<br />
viele Kontakte notwendig, um Interviews zu<br />
realisieren. Es liegt eine gänzlich andere Situation<br />
als bei allgemeinen Bevölkerungsumfragen<br />
vor, bei denen methodische „Faustregeln“<br />
angewendet werden können, etwa dass eine<br />
Person, die dreimal nicht erreicht wurde, aus<br />
dem Adressenpool zu entfernen ist, um den<br />
Erhebungsaufwand in Grenzen zu halten. Auf<br />
Grund der beschränkten Zahl von Unternehmen,<br />
insbesondere in Ostdeutschland, wo wir<br />
schon mit relativ überschaubaren Fallzahlen<br />
eine Vollerhebung realisierten, verbietet sich ein<br />
solches Vorgehen. Ein wichtiges Grundprinzip<br />
der Akquisition war stattdessen, dass möglichst<br />
jedes relevante Unternehmen so lange kontaktiert<br />
wurde, bis ein Interview zu Stande kam<br />
oder eine Verweigerung ausgesprochen wurde.<br />
Zusätzlich zu dem, im Vergleich mit allgemeinen<br />
Bevölkerungsumfragen, eher geringen<br />
Umfang der Grundgesamtheit, ist auch in<br />
Rechnung zu stellen, dass die zu befragenden<br />
Personen, in unserem Fall die „Chefs“ mittelständischer<br />
Industrieunternehmen, schwierig<br />
direkt zu kontaktieren sind. Zumeist muss der<br />
Kontakt über Sekretariate hergestellt werden,<br />
die eine nicht zu unterschätzende Selektions-<br />
oder „Gatekeeper“-Funktion ausüben.<br />
Geschka (1997, S. 31) schreibt in seiner Studie<br />
zur Arbeitsweise ökonomischen Führungspersonals:<br />
„Alle Spitzenmanager<br />
Seite 30 besitzen und nutzen auch die Möglichkeit,<br />
sich durch ihre Sekretärin<br />
abschotten zu lassen.“ Diese Aussage<br />
können wir gleichfalls für die mittelständische<br />
Industrie im Wesentlichen bestätigen.<br />
Um die Akzeptanz der Befragung zu erhöhen,<br />
wurden im Vorfeld der eigentlichen Erhebung<br />
alle Betriebe von uns angeschrieben. Ob<br />
beispielsweise dieser Brief hilfreich war, um die<br />
erste „Hürde“ des Sekretariats zu überwinden,<br />
lässt sich auf Grund unserer Erfahrungen nicht<br />
klären. Häufig schien dieses Anschreiben nicht<br />
zur Kenntnis genommen worden zu sein. Aber<br />
von dem Angebot ein Fax oder eine Email mit<br />
schriftlichen Erläuterungen zur Befragung<br />
und zum Forschungsprojekt nach dem ersten<br />
telefonischen Kontakt zu verschicken, um dem<br />
Interviewwunsch „Nachdruck“ zu verleihen<br />
und um die „Legitimation“ nachzuweisen,<br />
wurde rege Gebrauch gemacht. Für den Erfolg<br />
der Befragung war das unerlässlich. Die<br />
Akquisition für Telefonbefragungen ökonomischer<br />
Funktionseliten bedarf auf jeden Fall der<br />
zeitnahen Unterstützung mit einem Anschreiben,<br />
das heute am besten per Fax oder Email<br />
übermittelt wird.<br />
Unternehmensleiter sind jedoch nicht nur<br />
in dem Sinne schwierig zu erreichen, dass sie<br />
vom Personal gegen Außenkontakte mehr oder<br />
minder stark abgeschirmt werden, sondern sie<br />
haben auch hochgradig flexible Arbeitsplätze.<br />
Häufig befinden sie sich in Besprechungen,<br />
auf Dienstreisen oder sind im Betrieb unterwegs.<br />
In einigen Fällen war es möglich, gerade<br />
mit Hilfe des Instruments der telefonischen<br />
Befragung sich dieser Flexibilität anzupassen,<br />
indem Interviews per Handy beispielsweise bei<br />
Autofahrten durchgeführt wurden.<br />
Eberwein und Tholen (1990, S. 159) konstatieren,<br />
dass Führungskräfte in Wirtschaftsunternehmen<br />
keinen festen Arbeitsplatz haben.<br />
Ihr Arbeitstag sei angefüllt mit „unvorhergesehenen<br />
bzw. ungeplanten Kontakten oder
ELITENBEFRAGUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
Maßzahlen für Kontakthäufigkeiten An der Befragung teilgenommen An der Befragung nicht teilgenommen<br />
Mittelwert<br />
Median<br />
Standardabweichung<br />
Maximum<br />
7,3<br />
6<br />
5,7<br />
57<br />
4,4<br />
3<br />
4,7<br />
38<br />
Zahl der Fälle 2223 777<br />
Tabelle 2 - Einträge des CATI-Systems, Kontakthäufigkeiten,<br />
Quelle: CATI-System<br />
Ereignissen“. Hierzu gehört dann auch das von<br />
uns vorgebrachte Ansinnen, sich an einer Telefonbefragung<br />
zu beteiligen. Nur vereinzelt ließen<br />
sich die angesprochenen Manager spontan<br />
auf diesen Interviewwunsch ein. Die Quote für<br />
solche Spontaninterviews liegt bei 5,8 %. Für<br />
94,2 % der abgeschlossenen Befragungen war<br />
mehr als ein Telefonanruf notwendig. 5<br />
In der Tabelle 2 werden die durchschnittlichen<br />
Kontakthäufigkeiten für sämtliche<br />
Fälle, die im CATI-System gespeichert<br />
sind, aufgeführt. Demnach mussten im<br />
Mittel 7,3 Anrufe für den erfolgreichen<br />
Abschluss eines Interviews getätigt werden.<br />
Doch das Maximum von 57 Kontakten<br />
verdeutlicht, dass in bestimmten Fällen<br />
ein großer Akquisitionsaufwand getrieben<br />
werden musste, der oft nicht von Erfolg<br />
gekrönt war, wie das analoge Maximum<br />
der Kontaktversuche für die Unternehmensleiter<br />
veranschaulicht, die sich nicht<br />
an der Befragung beteiligten.<br />
Abbildung 1 - Zahl der Kontaktversuche differenziert<br />
nach der Teilnahme an der Befragung, Quelle: CATI-<br />
Datenbank<br />
Dieser große Aufwand wird<br />
Seite 31<br />
gleichfalls in den Verteilungen<br />
der Kontaktversuche sichtbar (Abbildung<br />
1): die absolute Zahl nicht erfolgreicher<br />
Akquisitionsverläufe liegt auch bei mehr als 20<br />
Kontaktversuchen immer noch in der Größen-
ELITENBEFRAGUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
ordnung der schließlich erfolgreichen Interviewanbahnungen.<br />
Deshalb mag es sein, dass die<br />
Verteilung der expliziten Verweigerungen bei<br />
der hier vorgestellten Befragung ökonomischer<br />
Funktionseliten weitgehend der allgemeiner<br />
Bevölkerungsbefragungen entspricht (Aussage<br />
im Arbeitsbericht des M-Projekts, Sonderforschungsbereich<br />
2004, S. 339). Doch wird<br />
der Umfang der Bemühungen, der im Falle<br />
von Experteninterviews<br />
hiermit notwendigerweise<br />
verbunden ist, nur<br />
unzureichend dargestellt,<br />
wenn in dem gleichen<br />
Forschungsbericht formuliert<br />
wird: Der „Unterschied<br />
[zwischen Experten-<br />
und allgemeiner<br />
Bevölkerungsumfrage per<br />
Telefon] resultiert hierbei<br />
nur aus der größeren<br />
Anzahl der Kontaktaufnahmen,<br />
weshalb die<br />
Verweigerungen sich auf<br />
eine größere Spannweite<br />
erstrecken und die Kurven<br />
flacher abfallen“ (Sonderforschungsbereich<br />
2004,<br />
S. 339).<br />
Im Laufe der Datenerhebung<br />
stellte sich<br />
außerdem eher zufällig heraus, dass<br />
gängige CATI-Software sehr infle-<br />
Seite 32 xibel auf Experteninterviews zugeschnitten<br />
ist: Eine Verwaltung hoher<br />
Kontakthäufigkeiten war insoweit<br />
nicht möglich, als Fälle, bei denen einige Male<br />
hintereinander das Telefon besetzt war, eine so<br />
niedrige Priorität gegenüber noch nicht angerufenen<br />
Adressen erhielten, dass diese Telefonnummern<br />
über Wochen hinweg nicht erneut<br />
vom System ausgewählt wurden. Um dieses<br />
Problem zu beseitigen, blieb nichts anderes<br />
übrig als das CATI-System zu „überlisten“.<br />
Bestimmte Dispositionscodierungen, wie „besetzt“,<br />
wurden nicht mehr vergeben. In solchen<br />
Fällen legte der Interviewer stets einen definitiven<br />
Termin für den folgenden Anruf fest.<br />
Abbildung 3 - Verteilung der Zeitdauer zwischen erstem<br />
und letztem Anruf, differenziert nach dem letzten<br />
Dispositionscode, Quelle: 70-%-Stichprobe der CATI-<br />
Datenbank<br />
Um den in diesen 3000 Fallgeschichten<br />
dokumentierten Aufwand etwas konkreter zu<br />
illustrieren, werden in der Abbildung 2 zwei
ELITENBEFRAGUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
Kontaktverläufe mittels ihrer Memofelder<br />
wiedergegeben. 6 Die Memofelder des CATI-<br />
Systems dienen zum Informationsaustausch<br />
zwischen den Interviewern. Die dargestellten<br />
Fallgeschichten sind in der Weise typisch, dass<br />
sie vor allem Schwierigkeiten wiedergeben,<br />
die Zielpersonen zu erreichen. (Gründe für<br />
Teilnahme oder Verweigerung wurden schon<br />
kurz angerissen.)<br />
Auch in den erfolgreichen Fällen kam es<br />
wiederholt vor, dass mehrere Termine abgesprochen<br />
werden mussten. Im Durchschnitt<br />
waren 1,4 Termine für die Realisierung eines<br />
Interviews erforderlich 7 , d.h. Terminabsprachen<br />
wurden aus diversen Gründen nicht<br />
eingehalten.<br />
betrachtet, werden die Hälfte aller kompletten<br />
Interviews innerhalb von neun Tagen realisiert,<br />
während 50 % aller Befragten, die schließlich<br />
verweigern, das innerhalb von drei Tagen tun<br />
(vgl. Tabelle 3). Bei einer beschränkten Anzahl<br />
von Telefonnummern führt dieses Verhalten<br />
zwangsläufig dazu, dass die Zahl möglicher<br />
Anrufe pro Zeiteinheit immer kleiner wird.<br />
Gleichwohl ist es nicht opportun Termine<br />
nicht wahrzunehmen, weil auch nach längeren<br />
Zeiträumen hinweg immer noch Interviews<br />
möglich sind (Abbildung 3). Bei unserer Befragung<br />
wurden die letzten Interviews nach<br />
vier Monaten durchgeführt. Das „Ausdünnen“<br />
von Terminen kann hinsichtlich der Auslastung<br />
von Interviewern oder des Telefonlabors<br />
negative Folgen haben und höhere Kosten<br />
Maßzahlen Interview verweigert Terminvereinbarung Interview durchgeführt<br />
Mittelwert<br />
Median<br />
Standardabweichung<br />
Maximum<br />
9,2<br />
3<br />
13,1<br />
62<br />
20,9<br />
11<br />
21,0<br />
67<br />
14,3<br />
9<br />
14,2<br />
63<br />
Zahl der Fälle 1327 214 539<br />
Tabelle 3 - Zeitdauer in Tagen zwischen dem ersten<br />
und letzten Anruf, differenziert nach dem letztem Dispositionscode,<br />
der in der CATI-Datenbank eingetragen<br />
wurde, Quelle: 70-%-Stichprobe aller CATI-Einträge<br />
Ein weiterer Aspekt, der mit der Notwendigkeit<br />
hoher Kontakthäufigkeiten und der<br />
Endlichkeit des Adressenpools in Verbindung<br />
steht, ist das „Ausdünnen“ der Termine mit der<br />
Zeit. Wird die Zeitdauer zwischen dem ersten<br />
und letzten Kontakt bei der Telefonbefragung<br />
ost- und westdeutscher Unternehmensleiter<br />
bewirken. Es ist aber beispielsweise bei telefonischen<br />
Panelerhebungen, die sich auf Eliten<br />
beziehen, nicht zu vermeiden. 8<br />
Auf Grund der eingeschränkten<br />
Analysemöglichkeiten der CATI-<br />
Datenbank lassen sich nur statistische<br />
Seite 33<br />
Zusammenhänge zwischen den Kontaktgeschichten<br />
und dem Standort des<br />
Unternehmens belegen. Hier zeigt sich, dass<br />
die Leiter der westdeutschen Unternehmen,<br />
sowohl nach der Zahl der Kontakte als auch
ELITENBEFRAGUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
Beispiel einer erfolgreichen Akquisition mit 11 Telefonanrufen<br />
1,29/08/2002,09:24,29/08/2002,09:28,15,<strong>580</strong>208, herr k. wollte das infoschreiben per mail, möchte auch interview geben,<br />
2,30/08/2002,10:57,30/08/2002,11:04,15,<strong>580</strong>201, herr k. wusste von nichts! termin muss noch vereinbart werden,<br />
3,30/08/2002,12:19,30/08/2002,12:23,15,<strong>580</strong>204, termin direkt mit herrn k. vereinbart,<br />
4,30/08/2002,12:24,30/08/2002,12:24,15,<strong>580</strong>204, termin direkt mit herrn k. vereinbart,<br />
5,03/09/2002,09:02,03/09/2002,09:05,15,<strong>580</strong>201, war krank, kommt erst am mittag, s.o.,<br />
6,03/09/2002,14:05,03/09/2002,14:08,15,<strong>580</strong>201, interview ist wg krankheit ausgefallen, neuen termin absprechen,<br />
7,04/09/2002,10:18,04/09/2002,10:19,15,<strong>580</strong>208, ging keiner ran - siehe versuche-,<br />
8,04/09/2002,10:28,04/09/2002,10:31,15,<strong>580</strong>208, herr k. möchte interview im auto machen, er ist natürlich nur beifahrer Nr.<br />
0160/xxx klang sehr nett,<br />
9,04/09/2002,11:30,04/09/2002,11:38,15,<strong>580</strong>203, ist noch im büro...warten bis er im auto ist...handy nr.,<br />
10,04/09/2002,12:00,04/09/2002,12:25,15,<strong>580</strong>203,auf handy anrufen....interview fertigstellen!,<br />
11,04/09/2002,14:00,04/09/2002,14:15,99,<strong>580</strong>203,<br />
Beispiel einer nicht erfolgreichen Akquisition mit 17 Kontakten<br />
Seite 34<br />
1,12/09/2002,14:58,12/09/2002,15:00,15,<strong>580</strong>206, haben fax bekommen,<br />
2,16/09/2002,15:38,16/09/2002,15:39,15,<strong>580</strong>209, Assistentin der GF Frau S. -202 fragen, wegen GF,<br />
3,17/09/2002,10:09,17/09/2002,10:11,15,<strong>580</strong>209, -202,<br />
4,18/09/2002,10:14,18/09/2002,10:15,15,<strong>580</strong>209, Assis. -202 fragen ob Herr F. da ist,<br />
5,18/09/2002,14:15,18/09/2002,14:16,15,<strong>580</strong>209, DW oben fragen ob Herr F. da ist (Frau S. ist auch Soziologin!!),<br />
6,20/09/2002,09:51,20/09/2002,09:53,15,<strong>580</strong>201, niemand erreicht,<br />
7,26/09/2002,13:54,26/09/2002,13:54,15,<strong>580</strong>209, -202 war gerade Aufsichtsratsitzung,<br />
8,01/10/2002,09:36,01/10/2002,09:38,15,<strong>580</strong>204, war gerade besetzt bei assistentin, dw. s.o.,<br />
9,01/10/2002,10:22,01/10/2002,10:24,15,<strong>580</strong>205, erst morgen wieder im Haus,<br />
10,02/10/2002,09:54,02/10/2002,09:56,15,<strong>580</strong>208,herr f. war zwar im haus, aber steht längere besprechung an,<br />
DW zur assistentin 202,<br />
11,07/10/2002,16:47,07/10/2002,16:49,15,<strong>580</strong>201,war nicht da,<br />
12,08/10/2002,16:52,08/10/2002,16:56,15,<strong>580</strong>201,war nicht da,<br />
13,09/10/2002,09:06,09/10/2002,09:07,15,<strong>580</strong>207,besetzt,<br />
14,09/10/2002,09:25,09/10/2002,09:26,15,<strong>580</strong>209,-202 hat vorher die ganze zeit beratung,<br />
15,10/10/2002,14:01,10/10/2002,14:02,15,<strong>580</strong>209,nicht im haus,<br />
16,14/10/2002,11:02,14/10/2002,11:06,15,<strong>580</strong>209,202 bei frau s. nachfragen ob der herr f. interesse hat und dann<br />
eventuell termin für später ausmachen,<br />
17,16/10/2002,11:17,16/10/2002,11:21,5,<strong>580</strong>207,<br />
Abbildung 2 - Memofelder von zwei Kontaktgeschichten,<br />
Quelle: CATI-Datenbank
ELITENBEFRAGUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
Maßzahlen<br />
Ostdeutsches Unternehmen<br />
An der Befragung<br />
beteiligt<br />
Befragung<br />
verweigert<br />
Westdeutsches Unternehmen<br />
An der Befragung<br />
beteiligt<br />
Befragung<br />
verweigert<br />
Bis drei Kontakte 24,4 % 50,2 % 28,9 % 62,5 %<br />
Bis sechs Kontakte 56,0 % 75,1 % 58,2 % 86,3 %<br />
Zeitdauer zwischen erstem<br />
und letztem Anruf (in Tagen)<br />
Mittelwert<br />
Median<br />
Standardabweichung<br />
14,7<br />
9,5<br />
13,9<br />
12,0<br />
6,0<br />
14,5<br />
13,9<br />
9,0<br />
14,4<br />
8,8<br />
3,5<br />
12,5<br />
Zahl der Fälle 266 313 273 802<br />
Tabelle 4 - Befragtenverhalten (Kontakthäufigkeiten<br />
und Zeitdauer zwischen dem ersten und letzten Anruf )<br />
differenziert nach der Befragungsregion, Quelle: 70-%-<br />
Stichprobe aller CATI-Einträge<br />
nach der verstrichenen Zeit zwischen dem<br />
ersten und letzten Anruf, schneller Verweigerungen<br />
aussprechen als die Leiter ostdeutscher<br />
Unternehmen (vgl. Tabelle 4). Hingegen gibt<br />
es eine weitgehende Entsprechung bei der<br />
Teilnahmebereitschaft, was beispielsweise<br />
der Hypothese widerspricht, dass die schnelleren<br />
Verweigerungen im westdeutschen<br />
Fall unter Umständen mit komplizierteren<br />
Gesellschafterstrukturen in Ostdeutschland<br />
zusammenhängen, bei denen möglicherweise<br />
auskunftsberechtigte Personen (etwa Eigentümer)<br />
erst aufwändig kontaktiert werden<br />
müssen. Detaillierte Regressionsanalysen der<br />
erfolgreich abgeschlossenen Interviews mit der<br />
Zahl der Kontakte als abhängiger Größe und<br />
unterschiedlichen Akteurs- und Betriebsvariablen<br />
als unabhängigen Merkmalen belegen<br />
keine Zusammenhänge. Die erklärte Varianz<br />
bewegte sich in der Größenordnung von 1%.<br />
Analoge Auswertungen für die Verweigerungen,<br />
bei denen ja gerade Unterschiede im<br />
Verhalten sichtbar sind, lassen sich mit den<br />
verfügbaren Daten nicht durchführen.<br />
Das methodische Fazit dieses Abschnitts<br />
lautet also: Hohe Kontakthäufigkeiten sind bei<br />
Telefonbefragungen ökonomischer Eliten notwendig,<br />
weil dieser Personenkreis nach außen<br />
abgeschirmt wird, über flexible Arbeitsplätze<br />
verfügt und seine Arbeitszeiten wenig planbar<br />
sind. Es können Ost/West-Unterschiede etwa<br />
bei den Interviewverweigerungen beobachtet<br />
werden, die sich in den Kontakthäufigkeiten<br />
sowie der Zeitdauer zwischen erstem und letztem<br />
Anruf niederschlagen. Auf Grund der Datenlage<br />
stehen statistisch abgesicherte<br />
Erklärungen hierfür noch aus.<br />
Seite 35<br />
Nach unseren Erfahrungen hat<br />
die eingesetzte CATI-Software mit<br />
der Verwaltung dieser Art von Befragungen<br />
teilweise Schwierigkeiten. Zudem existiert das<br />
Phänomen des „Ausdünnens“ der Termine,
ELITENBEFRAGUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
welches unter dem Aspekt der Auslastung<br />
von Interviewern und der CATI-Infrastruktur<br />
problematisch sein kann.<br />
2.2 Die Interviewsituation<br />
Wenn schließlich die verschiedenen „Hürden“<br />
genommen werden und die Akquisitionsaktivitäten<br />
einen erfolgreichen Abschluss<br />
finden, was lässt sich zur Interviewsituation<br />
bei telefonischen Befragungen ökonomischer<br />
Funktionseliten sagen?<br />
Eberwein und Tholen (1990, S. 156)<br />
zitieren in ihrer vergleichenden Studie zum<br />
deutschen und englischen Management<br />
Zeitbudgetuntersuchungen. Demnach nehmen<br />
Kommunikation und Interaktion mit<br />
anderen innerhalb und außerhalb der Firma<br />
einen Umfang von 60-75 % der Arbeitszeit<br />
von Managern ein. Ähnliche Zahlen finden<br />
sich auch bei Geschka (1997, S. 30), der auf<br />
der Grundlage einer Studie über Topmanager<br />
den Anteil der Kommunikation mit anderen<br />
an der Arbeitszeit sogar mit 85 % angibt. Die<br />
unterschiedlichen Autoren kommen zu dem<br />
Schluss, dass telefonisch vermittelte Kommunikation<br />
ungefähr die Größenordnung von<br />
13-15 % der Arbeitzeit von Managern einnehme<br />
(Eberwein/Tholen 1990, S. 156; Geschka<br />
1997, S. 30). Es bleibt also festzuhalten, dass<br />
Manager einen hoch kommunikativen<br />
Beruf ausüben und dass das technische<br />
Kommunikationsmittel Telefon<br />
Seite 36 häufig von ihnen genutzt wird.<br />
Telefonbefragungen knüpfen also<br />
an das übliche Arbeitsverhalten von<br />
Managern an. Diese Form der Datenerhebung<br />
scheint daher das Mittel der Wahl für diese<br />
Untersuchungsgruppe zu sein. Das zeigte sich<br />
beispielsweise bei unserer Studie auch darin,<br />
dass nur vereinzelt Wünsche geäußert wurden,<br />
schriftliche Versionen des Fragebogens<br />
zu erhalten. 9<br />
Trinczek (2005) hat sich mit Besonderheiten<br />
des Interviewverhaltens von Managern<br />
auseinandergesetzt. Am Beispiel von Leitfadeninterviews<br />
– was m.E. jedoch durchaus<br />
für standardisierte Befragungen vor allem<br />
von hierarchisch hochstehenden Führungskräften<br />
verallgemeinerbar ist – unterscheidet<br />
er zwei Phasen des Gesprächsverlaufs. In<br />
der Anfangssequenz sei man als Interviewer<br />
zunächst mit den Erwartungen der Manager<br />
an ein solches Gespräch konfrontiert. Diese<br />
Erwartungen seien stark durch das übliche<br />
betriebliche Kommunikationsverhalten geprägt<br />
(Trinczek 2005, S. 213). In der Interaktion<br />
mit Mitarbeitern überwiegen seitens<br />
des Führungspersonals Frage-Antwort-Situationen<br />
ohne große verbale Abschweifungen,<br />
weil diese angesichts des permanenten Zeitdrucks<br />
als dysfunktional wahrgenommen<br />
werden. Deshalb plädiert Trinczek für die<br />
Eingangsphase des Interviews mit Managern<br />
eher für geschlossene Varianten der<br />
Befragung. 10 In einer zweiten Phase solcher<br />
Gespräche, wenn sich eher ein Vertrauen<br />
eingestellt habe, sei es möglich in Bezug auf<br />
außerbetriebliche „Lebensarrangements“<br />
auch Erzählungen bei den Managern zu<br />
initiieren (Trinczek 2005, S. 215). Hingegen<br />
sei die dominante Kommunikationsform für<br />
fachbezogene, betriebliche Sachverhalte das<br />
„Fachgespräch“, „so wie es Manager in seiner<br />
kommunikativen Grundstruktur vorrangig<br />
aus offenen Diskussionen in teamartigen<br />
Arbeitszusammenhängen kennen“ (Trinczek<br />
2005, S. 216). 11 Der Interviewer sei in dieser
ELITENBEFRAGUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
Phase des Gespräches weniger Publikum des<br />
Managers, wie es zum Beispiel Kern, Kern und<br />
Schumann (1988, S. 88) beschreiben, sondern<br />
er werde im Idealfall seinerseits von der Führungskraft<br />
als Experte und Diskurspartner<br />
angesehen (Trinczek 2005, S. 217).<br />
Der damit implizierte Wunsch nach<br />
kompetenten und gleichgewichtigen Interviewern<br />
ergibt sich folglich zum Teil aus der<br />
Situationsdeutung des Managers, dass es sich<br />
bei dem Interview um ein Fachgespräch unter<br />
wohlinformierten Gesprächspartnern handle.<br />
„Je höher die eigene Qualifikation, der formale<br />
Status oder der Umfang des Verantwortungsbereiches<br />
ist, umso höher steigt auch die implizite<br />
Erwartung von Managern an die formelle<br />
Ausgewiesenheit des Gegenübers. […] Wenigstens<br />
promoviert sollte der Sozialforscher<br />
sein, wenn die <strong>Universität</strong> schon keinen ‚richtigen<br />
Professor’ geschickt hat“ (Trinczek 2005,<br />
S. 219). Diese Erwartungen an Eigenschaften<br />
des Interviewers sind nach dieser Lesart nicht<br />
gänzlich „irrational“, nur durch Status- und<br />
Machtfragen bestimmt, sondern sie ergeben<br />
sich aus der Struktur des Fachgesprächs.<br />
Angenommen diese Beschreibung der<br />
Gesprächssituation ist zutreffend, dass nämlich<br />
Frage-Antwort-Situationen sowie Fachgespräche<br />
im Kontakt mit Sozialforschern von Managern<br />
erwarten werden, und dass diese Situationsdeutung<br />
auch Gültigkeit für telefonische<br />
Befragungen besitzt, dann ergeben sich einige<br />
Schlussfolgerungen: Zunächst entsprechen sie<br />
insbesondere in einer standardisierten Variante<br />
dem geschlossenen Frage-Antwort-Charakter.<br />
Doch erfordert das Fachgespräch einen kompetenten,<br />
professionellen und gleichgewichtigen<br />
Gesprächspartner, und – auf Grund unserer<br />
Erfahrungen mit der ersten Leitungsebene<br />
mittelständischer Firmen – scheint es auch<br />
bei einer quantitativ orientierten, weitgehend<br />
standardisierten Erhebungsform wichtig zu<br />
sein, eine Gesprächssituation zu schaffen, die<br />
mehr als ein bloßes „Abspulen“ von Fragen ist.<br />
Die Wertschätzung des Befragten durch den<br />
Interviewer korrespondiert mit der Verallgemeinerung<br />
der Situationsdeutung, dass es sich<br />
nämlich um ein Fachgespräch handelt. Insbesondere<br />
diese Erwartungshaltung der Befragten<br />
kann jedoch zu Komplikationen führen,<br />
weil sie mit den methodischen Standards gleicher<br />
Erhebungssituationen als Vorbedingung<br />
für die Vergleichbarkeit der Antworten nicht<br />
einfach zu vereinbaren ist.<br />
Bei unserer Erhebung haben wir besonderes<br />
Augenmerk auf die fachlichen Kompetenzen<br />
der Interviewer gelegt. Interviewerinnen 12<br />
wurden im Rahmen einer zweisemestrigen<br />
Lehrveranstaltung zu managementsoziologischen<br />
Inhalten rekrutiert, so dass hinsichtlich<br />
der Themenbereiche des Fragenbogens Kompetenzen,<br />
welche über normales studentisches<br />
Wissen hinausgingen, vorausgesetzt werden<br />
konnten. Bei den Kontaktgesprächen und<br />
in der Interviewsituation wurde zudem der<br />
professionelle Kontext der Befragung deutlich<br />
gemacht.<br />
Schwieriger ist die Forderung nach Gleichgewichtigkeit<br />
der Gesprächspartner zu<br />
realisieren – bei größeren Telefonbefragungen<br />
ist diese Erwartung seitens<br />
Seite 37<br />
der ökonomischen Funktionseliten<br />
sogar unmöglich zu erfüllen. „Einen<br />
Werksleiter in den Mitfünfzigern zu interviewen,<br />
wird einem ähnlich alten Sozialforscher<br />
leichter gemacht als einem Kollegen Anfang
ELITENBEFRAGUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
30; allerdings scheint es so zu sein, dass Alter<br />
in gewissen Grenzen über Titel und Status<br />
kompensiert werden kann“ (Trinczek 2005, S.<br />
219). Diese Variante der Problembewältigung<br />
scheidet bei der Beschäftigung studentischer<br />
Interviewer definitiv aus, gleichwohl haben<br />
wir mit unserem kompetenten, relativ jungen<br />
Interviewerinnenstab gute Erfahrungen gemacht.<br />
Es mag eine Rolle gespielt haben, dass<br />
es die Interviewerinnen überwiegend mit einer<br />
männlichen Untersuchungsgruppe zu tun hatten,<br />
der Frauenanteil in der realisierten Stichprobe<br />
beträgt nur 7,5 % (Martens/Michailow<br />
2003, S. 19). Das heißt, dass es den Unternehmensleitern<br />
möglicherweise leichter fiel<br />
sich auf Gespräche mit jungen kompetenten<br />
Damen einzulassen. 13<br />
In diesem Zusammenhang hat Michael<br />
Behr einen interessanten Gedanken geäußert 14 ,<br />
der auf einen strukturellen Vorteil telefonischer<br />
Befragungen verweist: die Einschränkungen<br />
telefonisch vermittelter Kommunikation<br />
ermöglichen gerade bei Elitebefragungen,<br />
die Illusion 15 der Gleichgewichtigkeit von<br />
Interviewpartnern zu etablieren und aufrechtzuerhalten.<br />
Für die Befragten stellt diese Art<br />
der Kommunikation Ausweichmöglichkeiten<br />
parat, Gesprächspartner – beispielsweise junge<br />
Studentinnen – als gleichgewichtig zu akzeptieren,<br />
was sie vermutlich in der Face-to-Face-<br />
Kommunikation so nicht täten. 16 Telefonische<br />
Befragungen hätten demnach<br />
eine nicht zu unterschätzende Entlas-<br />
Seite 38 tungsfunktion bei Datenerhebungen<br />
unter ökonomischen Experten oder<br />
Funktionseliten, durch die Einschränkungen<br />
der Wahrnehmungsmöglichkeiten bei<br />
der Kommunikation. Dieses Erhebungsverfahren<br />
ermöglicht erst größere Fallzahlen bei<br />
Managerbefragungen, weil größere Stichproben<br />
von Face-to-Face-Interviews weder<br />
zu finanzieren noch zu organisieren wären;<br />
aber auch weil die Vorstellung der Gleichgewichtigkeit<br />
in der direkten Interaktion nicht<br />
aufrechtzuerhalten wäre.<br />
Telefonbefragungen scheinen also zusammengefasst<br />
das Mittel der Wahl bei Umfragen<br />
unter Managern zu sein, weil sie an<br />
deren normalen Kommunikationsverhalten<br />
in der Arbeitsumgebung anknüpfen. Werden<br />
Aussagen zur Methode des Experteninterviews<br />
von Managern auf Telefonbefragungen<br />
übertragen, und das scheint insbesondere<br />
bei hierarchisch hochstehenden Personen<br />
plausibel zu sein, ergeben sich aus der Situationsdeutung<br />
des Interviews als diskursivem<br />
Fachgespräch Forderungen nach Kompetenzen,<br />
Professionalität und Gleichgewichtigkeit<br />
der Interviewer, die sich bei allgemeinen Bevölkerungsumfragen<br />
so nicht stellen und die<br />
schwierig zu erfüllen sind. Interessanterweise<br />
schränkt die Methode der Telefonbefragung<br />
durch die Illusion der Statusähnlichkeit diese<br />
Forderungen zum Teil wieder ein, so dass sie<br />
auch aus diesem Grunde als probate Methode<br />
der Datenerhebung bei ökonomischen<br />
Funktionseliten anzusehen ist.<br />
3. TELEFONISCHE BEFRAGUNGEN ÖKONOMI-<br />
SCHER ELITEN BEWERTET NACH WIRTSCHAFT-<br />
LICHEN UND ANDEREN GESICHTSPUNKTEN<br />
In der Konsequenz steht also ein positives<br />
Votum: Telefonbefragungen sind für die<br />
vorgestellte Untersuchungsgruppe sehr gut<br />
geeignet. Postalische Befragungen erreichen<br />
kaum die Ausschöpfungsquoten, persönli-
ELITENBEFRAGUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
che Face-to-Face-Interviews wären in einer<br />
ähnlichen Größenordnung und Stichprobenzusammensetzung<br />
nur mit noch größerem<br />
Ressourceneinsatz und damit mit höheren<br />
Transaktionskosten zu realisieren. Doch sollte<br />
man sich durch einen komparativen Blickwinkel<br />
nicht dazu verleiten lassen anzunehmen,<br />
Elitebefragungen wie wir sie durchgeführt<br />
haben, seien billig.<br />
Der hohe Aufwand bei der Akquisition<br />
ist mit Kosten verbunden. Zur Abschätzung<br />
der Kosten kann man auf unterschiedliche<br />
Berechnungsgrundlagen zurückgreifen. Eine<br />
halbwegs realistische Kalkulation bezieht sich<br />
auf den Arbeitsumfang, der notwendig ist, um<br />
ein Interview zu realisieren. Dieses Arbeitsvolumen<br />
der Interviewerinnen – in das aber nicht<br />
die Arbeitszeit von Operateuren des CATI-<br />
Labors und von Supervisoren der Erhebung<br />
eingeht – schließt nicht nur das Interview (einschließlich<br />
Akquisition) mit ein, sondern auch<br />
die vergeblichen Kontakte und die erfolglosen<br />
Fälle. Auf der Grundlage unseres Projektes in<br />
Halle lässt sich abschätzen, dass für die Durchführung<br />
eines erfolgreichen Interviews im<br />
Schnitt 3,25 Stunden von den Interviewerinnen<br />
gearbeitet werden musste. Für studentische<br />
Interviewerinnen liegen demnach die „reinen“<br />
Kosten eines Interviews mit einem Unternehmensleiter<br />
in der Größenordnung von 26 €.<br />
Werden jedoch die in unserem Fall höheren<br />
Transaktionskosten (Reisekosten, Übernachtungskosten,<br />
Tagegelder), die notwendig<br />
waren, um das Kriterium der Kompetenz der<br />
Interviewer zu erfüllen und die Telefongebühren<br />
hinzugerechnet, ergibt sich ein Preis von<br />
43 €/Interview. Und auch das scheint eher eine<br />
untere Grenze für die tatsächlichen Kosten zu<br />
sein, weil hier die laufenden Ausgaben für das<br />
Telefonlabor (Personal, Geräte, Räume, Software<br />
etc.), Abschreibungen und Gehälter für<br />
höher qualifiziertes Interviewerpersonal nicht<br />
mit eingerechnet wurden. Angesichts dessen<br />
sind Telefonbefragungen von Eliten und Experten<br />
vergleichsweise preiswert. 17<br />
Offensichtliche Optimierungsmöglichkeiten<br />
für telefonische Befragungen von Experten<br />
und Eliten liegen im Bereich der Software,<br />
die bislang auf die Bedürfnisse der herkömmlichen<br />
Umfrageforschung zugeschnitten<br />
ist. Auch wäre es unter dem Gesichtspunkt<br />
einer systematischen Methodenforschung<br />
wünschenswert, die Akquisitionsverläufe in<br />
einem stärkeren Maße statistischen Analysen<br />
zugänglich zu machen (schließlich handelt es<br />
sich um sekundengenau aufgezeichnete, prozessproduzierte<br />
Ereignisdaten), weil Gründe<br />
für Teilnahme oder Verweigerung sich mit<br />
den heute verfügbaren Daten nicht eindeutig<br />
eruieren lassen. Das Beispiel der hier behandelten<br />
ökonomischen Funktionseliten zeigt,<br />
dass die Anreizstrukturen für die Teilnahme<br />
an solchen Befragungen eher unklar sind, was<br />
auf Desiderate der Forschung über telefonische<br />
Befragungen verweist.<br />
Seite 39
ELITENBEFRAGUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
FUSSNOTEN<br />
7<br />
Die Angabe bezieht sich auf die 70-%-Stichprobe der CATI-<br />
Einträge.<br />
Seite 40<br />
1<br />
„Experten sind Menschen, die ein besonderes Wissen über<br />
soziale Sachverhalte besitzen, und Experteninterviews sind eine<br />
Methode, dieses Wissen zu erschließen“ (Gläser/Laudel 2004, S.<br />
10). Zur Begrifflichkeit von Experten und Funktionseliten vgl.<br />
a. Meuser/Nagel (1994).<br />
2<br />
Im Vorwege der eigentlichen Erhebung wurden im Rahmen<br />
eines Pretests insgesamt 21 Telefoninterviews mit Unternehmensleitern<br />
in Brandenburg durchgeführt, ebenfalls ohne<br />
CATI-System, was insbesondere bei der Terminabsprache und<br />
-verwaltung gravierende Nachteile hat. Es besteht ein hoher<br />
Koordinationsaufwand, der sonst durch das CATI-System<br />
abgedeckt wird. Gleichwohl sind Telefonbefragungen ohne<br />
Computerunterstützung durchaus möglich.<br />
3<br />
Angesichts geringer Zahlen von Unternehmen in Ostdeutschland<br />
besteht hier das ernste Problem der Überforschung.<br />
4<br />
Nach Abschluss der Telefonbefragung wurde uns vom Telefonlabor<br />
in Halle ein Gesamtauszug der CATI-Datenbank als<br />
ASCII-Text zur Verfügung gestellt. Das Interessante an den<br />
dort abgespeicherten Informationen sind die Kontaktgeschichten,<br />
die vollständig für sämtliche angerufenen Telefonnummern<br />
in Form von Memofeldern vorliegen, in die die Interviewer<br />
Nachrichten eintragen, um künftige Anrufer über die bisherigen<br />
Akquisitionsaktivitäten zu unterrichten (vgl. Abbildung 2, in<br />
der Beispiele für solche Memofelder aufgeführt werden). Leider<br />
sind diese reichhaltigen Informationen nicht unmittelbar statistischen<br />
Auswertungen zugänglich. Um jedoch Eindrücke dieses<br />
Materials zu geben, wurde eine 70-%-Stichprobe der 3000<br />
Kontaktgeschichten gezogen. Die Informationen wurden anhand<br />
eines Kategorienschemas codiert. Für diese Codierarbeiten<br />
danke ich Monika Bialojan, Marléne Dietzel, <strong>Friedrich</strong> Döhrer<br />
und Jens Hennig. Aussagen über das CATI-System beziehen sich<br />
auf diese inhaltsanalytisch bearbeitete Stichprobe der CATI-<br />
Datenbank und auf die gesamte Datenbank.<br />
5<br />
Die Aussage bezieht sich auf die 70-%-Stichprobe<br />
der Einträge des CATI-Systems.<br />
8<br />
CATI-Systeme haben anscheinend Probleme mit dem Ausdünnen<br />
der Termine umzugehen, so dass im <strong>Jena</strong>er Telefonlabor<br />
bei Expertenbefragungen häufig die Terminverwaltung<br />
ohne Datenbankunterstützung durchgeführt wurde.<br />
9<br />
Aus Gründen der Vergleichbarkeit wurde diesen Wünschen<br />
nicht entsprochen. – Im Rahmen einer internationalen Kooperation<br />
des A2-Projektes fand eine Telefonbefragung im Juli<br />
2005 unter Leitern mittelständischer Industrieunternehmen<br />
in England statt. Das Erhebungsinstrument entsprach<br />
weitgehend dem 2002 von uns eingesetztem Fragebogen. Auf<br />
Wunsch der Befragten wurden auch Fragebögen verschickt.<br />
Der Erfolg dieser Aktion war aber vergleichsweise gering.<br />
Von 224 per Email verschickten Fragebögen kamen 11 zurück<br />
(entsprechend 4,9 %). Die Erfolgsquote der Telefonkontakte<br />
lag bei etwa 11,9 % (Auskünfte von Mike Geppert, Queen<br />
Mary University London).<br />
10<br />
„Die Einführung anderer Verfahren [der qualitativen<br />
Datenerhebung, auf die sich Trinczek bezieht] bedürfen des<br />
behutsamen Überwindens dieser dominanten Frage-Antwort-Orientierung<br />
von Managern […]. Ein Interview<br />
mit einer Führungskraft etwa relativ rasch mit der Bitte um<br />
eine möglichst lange Narration einzuleiten, birgt die Gefahr<br />
des Scheiterns des gesamten Interviews – eben weil eine<br />
solche Interviewsituation den alltäglichen Kommunikationsstrukturen<br />
in Betrieben nahezu diametral entgegensteht“<br />
(Trinczek 2005, S. 214). Im Prinzip halte ich diese Aussage<br />
für zutreffend, doch auf der Basis von Leitfadeninterviews,<br />
die wir zusätzlich zu den standardisierten Telefonbefragungen<br />
durchgeführt haben, denke ich, dass in unserem Fall die<br />
Bereitschaft seitens der Unternehmensleiter zu einem solchen<br />
Interviewtermin auch mit besonderen Erwartungshaltungen<br />
an die Gesprächsthemen verbunden war (A2-Projekt,<br />
Sonderforschungsbereich 2004, S. 71). Und diese spiegelten<br />
sich beispielsweise bei ostdeutschen Managern darin wider,<br />
dass Erzählungen über die Wendezeit und die Geschichte des<br />
Unternehmens und damit auch die eigene Biographie einen<br />
größeren Stellenwert einnahmen als Trinczek konstatiert.<br />
Dadurch bekamen die Gespräche teilweise von vornherein<br />
einen narrativen Charakter.<br />
6<br />
Ein weiteres Beispiel findet sich bei Martens/<br />
Michailow (2003, S. 15).<br />
11<br />
„Die Attraktivität dieser folgenentlasteten Gesprächssituation<br />
[des Experteninterviews mit Sozialforschern] zeigt<br />
sich auch darin, dass die Befragten die Dauer der Interviews<br />
mitunter beträchtlich überziehen, auch wenn bei der Vereinbarung<br />
des Gesprächstermins noch um jede Viertelstunde
ELITENBEFRAGUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
gefeilscht worden war“ (Trinczek 2005, S. 216). Nicht nur bei<br />
Leitfadeninterviews mit Unternehmern und Managern haben<br />
wir ähnliche Erfahrungen gemacht. Die Dauer der vollständigen<br />
Interviews im CATI-Labor variierte im Bereich von 12 bis 134<br />
Minuten (M-Projekt, Sonderforschungsbereich 2004, S. 335).<br />
LITERATUR<br />
Diekmann, A. (2001): Empirische Sozialforschung. Reinbek:<br />
Rowohlt. 7. Aufl.<br />
12<br />
Durch Zufall wurden außer den zwei Projektmitarbeitern nur<br />
Studentinnen als Interviewer beschäftigt.<br />
13<br />
Bei der erwähnten Telefonbefragung in England (vgl. Fußnote<br />
9) ließ sich das laut Auskunft unseres englischen Kooperationspartners<br />
ebenfalls beobachten.<br />
Eberwein, W./ Tholen, J. (1990): Managermentalität. Industrielle<br />
Unternehmensleitung als Beruf und Politik. Frankfurt:<br />
FAZ<br />
Gläser, J./ Laudel, G. (2004): Experteninterviews und qualitative<br />
Inhaltsanalyse als Instrumente rekonstruktiver Untersuchungen.<br />
Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften<br />
14<br />
Mündlicher Beitrag bei dem <strong>SFB</strong>-Kolloquium „Computer<br />
Aided Telephone Interviewing“, in <strong>Jena</strong> 27.4.2005.<br />
Geschka, H. (1997): Einsam an der Spitze. Perspektiven für die<br />
Arbeits- und Lebensweise des Topmanagers. Berlin: Springer<br />
15<br />
„Illusion“ wird hier als nicht ganz zutreffende Vorstellung<br />
verstanden.<br />
Kern, B./ Kern, H./ Schumann, M. (1988): Industriesoziologie<br />
als Kartharsis. In: Soziale Welt 39, S. 86-96<br />
16<br />
Ein Beispiel für „Manager-Machtspiele“ in der persönlichen<br />
Interviewsituation ist bei Kern, Kern und Schumann (1988,<br />
S. 88f.) nachzulesen. – Eine selbst erlebte Episode, in der Besonderheiten<br />
der direkten Interaktion mit Managern anklingen,<br />
gibt ein Auszug eines Gesprächsprotokolls wieder: Im Vorwege<br />
des Interviews waren der Werks- und der Personalleiter eines<br />
größeren ostdeutschen Betriebes mit 800 Beschäftigten einige<br />
Male kontaktiert worden, und sie hatten in ein Interview eingewilligt.<br />
Das eigentliche Face-to-Face-Interview gestaltete sich<br />
gleichwohl zunächst viel schwieriger als gedacht. „Anfangs waren<br />
beide Gesprächspartner sehr reserviert. Der Sinn des ganzen<br />
Gesprächs wurde vehement in Frage gestellt und ich erwartete eigentlich<br />
einen Gesprächsabbruch. Erst nach etlichen erklärenden<br />
Worten von unserer Seite willigten X [der Werksleiter] und Y [der<br />
Personalleiter] schließlich ein und nahmen sich dann erstaunlich<br />
viel Zeit. Es war auch noch ein besonderes Anliegen von X, dass<br />
uns das Werk gezeigt wurde. Ich vermute, dass hier ein gewisser<br />
Stolz auf das Erreichte mitspielte, wir sollten einen Eindruck<br />
von den neuen bzw. renovierten Hallen erhalten“ (Gespräch<br />
10.12.2004). Anstelle der ursprünglich eingeplanten maximal<br />
zwei Stunden brachten die beiden Interviewer schließlich vier<br />
Stunden in dem Betrieb zu.<br />
Martens, B./ Michailow, M. (2003): Konvergenzen und<br />
Divergenzen zwischen dem ost- und westdeutschen Management.<br />
In: Martens, B./ Michailow, M./ Schmidt, R. (Hrsg.):<br />
Managementkulturen im Umbruch. <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mitteilungen 10,<br />
S. 13-55<br />
Meuser, M./ Nagel, U. (1994): Expertenwissen und Experteninterviews.<br />
In: Hitzler, R./ Honer, A./ Maeder, C. (Hrsg.):<br />
Expertenwissen. Die institutionalisierte Kompetenz zur Konstruktion<br />
von Wirklichkeit. Opladen: Westdeutscher Verlag, S.<br />
180-192<br />
Sonderforschungsbereich <strong>580</strong> (2004): Gesellschaftliche Entwicklungen<br />
nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition<br />
und Strukturbildung. Arbeits- und Ergebnisbericht 2001-2004.<br />
<strong>Jena</strong> und Halle<br />
Trinczek, R. (2005): Wie befrage ich Manager?<br />
In: Bogner, A./ Littig, B./ Menz, W. (Hrsg.): Das<br />
Experteninterview. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.<br />
2. Aufl., S. 209-222<br />
Seite 41<br />
17<br />
800 persönliche Interviews mit Unternehmensleitern in fünf<br />
Bundesländern zu realisieren, wären vermutlich auf Grund noch<br />
höherer Transaktionskosten sehr viel teurer geworden.
TELEFONISCHE BE-<br />
FRAGUNG VON PAR-<br />
L A M E N TA R I S C H E N<br />
ELITEN<br />
Seite 42
CATI - UND PARLAMENTARISCHE EINLEITUNG ELITEN<br />
EINLEITUNG<br />
Kapitel 4<br />
TELEFONISCHE BEFRAGUNG VON<br />
PARLAMENTARISCHEN ELITEN - CATI<br />
AUF ABWEGEN?<br />
ANMERKUNGEN ZUR CATI-METHODE<br />
AUF DER BASIS DER BEFRAGUNG PAR-<br />
LAMENTARISCHER ELITEN IM PROJEKT<br />
A3 DES <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> AN DER FRIEDRICH-<br />
SCHILLER-UNIVERSITÄT JENA<br />
Stefan Jahr<br />
Ungeachtet der jungen Geschichte<br />
telefonischer Befragungen als wissenschaftliche<br />
Datenerhebungsmethode<br />
und der teilweise gravierenden Pannen in ihren<br />
Anfangsjahren können deutsche Umfrageinstitute<br />
seit der Mitte der 80er-Jahre eine stetig<br />
wachsende Anzahl telefonisch durchgeführter<br />
Befragungen verzeichnen. Laut ADM-Geschäftsbericht<br />
2003 waren 43 Prozent der 2003<br />
durchgeführten Befragungen CATI-Erhebungen.<br />
Damit war die Anzahl der durchgeführten<br />
telefonischen Befragungen mehr als doppelt so<br />
hoch wie die Zahl durchgeführter postalischer<br />
Interviews und um ein Drittel höher als der<br />
Anteil von face-to-face Umfragen (vgl. ADM<br />
2003). Allerdings lassen sich im Zentralarchiv<br />
Köln keine telefonisch durchgeführten Elitebefragungen<br />
finden (Stand: Juni 2005). Angesichts<br />
der in der Literatur dargelegten Vorteile<br />
von CATI-Erhebungen in Bevölkerungsumfragen<br />
eine etwas unverständlich anmutende<br />
Tatsache. Mangelnde Telefonabdeckung, welche<br />
flächendeckende Bevölkerungsumfragen<br />
teilweise bis weit in die 90er-Jahre behinderte,<br />
kann nicht der Grund dafür gewesen sein. Wie<br />
das Beispiel des Deutschen Bundestags illustriert,<br />
dessen Abgeordneten bereits seit 1949<br />
direkt per Telefon erreichbar sind 1 , gehören<br />
gerade Eliten zu den ersten Nutzern neuer<br />
Kommunikationstechnologien. Auch auf dem<br />
Gebiet der politisch-administrativen<br />
Eliten bediente sich außerhalb<br />
des Sonderforschungsbereichs <strong>580</strong><br />
Seite 43<br />
bislang keine Untersuchung telefonisch<br />
durchgeführter Interviews.<br />
Die folgenden methodischen Ausführungen<br />
basieren daher alleine auf den Erfahrungen<br />
der im Projekt A3 durchgeführten Befragung
CATI - UND PARLAMENTARISCHE EINLEITUNG ELITEN<br />
von Landes-, Bundes- und Europaparlamentariern.<br />
Schon aus diesem Grund kann dieser<br />
Beitrag keine erschöpfende Diskussion der<br />
Vor- und Nachteile des CATI-Einsatzes zur<br />
Datenerhebung in Elitenpopulationen leisten.<br />
Vielmehr soll ein erster Eindruck von der Leistungsfähigkeit<br />
telefonischer Interviews bei der<br />
Befragung parlamentarischer Eliten vermittelt<br />
und der Vergleich zu anderen in diesem Heft<br />
vorgestellten Eliten- und Expertenbefragungen<br />
ermöglicht werden.<br />
Zunächst werden die Befragungsziele des<br />
<strong>SFB</strong>-Teilprojektes A3 skizziert, um im Anschluß<br />
die Grundgesamtheit in ihren wesentlichsten,<br />
befragungsrelevanten Merkmalen<br />
zu charakterisieren. Daran schließt als erster<br />
Schwerpunkt eine Darstellung der für die Erhebung<br />
durchgeführten flankierenden Maßnahmen<br />
an, welche mit Blick auf eine geplante<br />
Wiederholungsbefragung auch hinsichtlich<br />
ihrer Wirksamkeit und Modifikationsnotwendigkeit<br />
geprüft werden. Den zweiten Schwerpunkt<br />
bilden die aus den Ergebnissen der<br />
Befragung abgeleiteten Erkenntnisse über<br />
die Faktoren der Stichprobenrepräsentativität<br />
sowie eine Diskussion möglicher Veränderungen<br />
im Erhebungsdesign.<br />
BEFRAGUNGSZIELE UND GRUNDGESAMTHEIT<br />
Die im Projekt angelegte vergleichende<br />
Analyse der Rekrutierungs-<br />
Seite 44 muster und Karrierepfade von Delegationseliten<br />
der Landes-, Bundes- und<br />
Europaebene seit 1990 basiert auf zwei<br />
empirischen Säulen. Die erste Säule bilden die<br />
aus den Parlamentshandbüchern erhobenen<br />
Strukturdaten, welche es ermöglichen, die Positionssequenzen<br />
der Mandatsträger seit ihren<br />
ersten beruflichen Schritten bis zum aktuellen<br />
Zeitpunkt bzw. Ausscheiden aus dem Mandat<br />
nachzuzeichnen. Aus den Strukturdaten<br />
können jedoch den Karriereweg bestimmende<br />
Motive, Aspirationen, Situations- und Selbstdeutungen<br />
sowie Bewertungen politischer Institutionen<br />
nicht abgeleitet werden. Derlei zum<br />
Verständnis von Karrieremustern notwendige<br />
Daten lassen sich nur durch eine Befragung<br />
der Parlamentarier selbst erheben. Eine solche<br />
Erhebung wurde zwischen September 2003<br />
und Januar 2004 am Zentrum für Sozialforschung<br />
Halle durchgeführt und bildet die<br />
zweite empirische Säule des Projekts. Die zu<br />
bearbeitende Grundgesamtheit der Parlamentarier,<br />
welche seit 1990 in mindestens einem der<br />
Untersuchungsparlamente 2 ein Mandat wahrgenommen<br />
hatten, umfasste ca. 3700 Personen.<br />
Aufgrund der zum Zeitpunkt der Befragung<br />
unterschiedlichen Karrierestadien der betrachteten<br />
Abgeordneten erschien es sinnvoll, zwei<br />
Teilpopulationen zu bilden. Die erste Teilpopulation<br />
umfasste die zum Feldphasenbeginn<br />
ehemaligen Parlamentarier (n = 2011), die<br />
zweite Teilpopulation die zum Erhebungsbeginn<br />
aktuellen Parlamentarier (n = 1703). Aufgrund<br />
des besonderen Stichprobendesigns und<br />
der unerwarteten Stichprobenentwicklung bei<br />
der Befragung der ehemaligen Parlamentarier 3<br />
werden sich die folgenden Ausführungen nur<br />
auf die Befragungspopulation der aktuellen<br />
Parlamentarier beziehen.
CATI - UND PARLAMENTARISCHE EINLEITUNG ELITEN<br />
BEFRAGUNGSRELEVANTE EIGENSCHAFTEN DER<br />
GRUNDGESAMTHEIT UND KONSEQUENZEN FÜR<br />
DIE TELEFONISCHE BEFRAGUNG<br />
Zentrales Kriterium einer auf einem quantitativen<br />
Forschungsdesign beruhenden wissenschaftlichen<br />
Untersuchung ist die Repräsentativität<br />
der Aussagen über die beforschte<br />
Grundgesamtheit. Auch wenn Repräsentativität<br />
nicht zwingend an große Fallzahlen geknüpft<br />
ist, gelten eine große Stichprobe und eine entsprechend<br />
hohe Ausschöpfung als Garant für<br />
eine strukturgetreue verkleinerte Abbildung<br />
der Grundgesamtheit im Untersuchungssample.<br />
Im Vergleich zu allgemeinen Bevölkerungsumfragen<br />
muß bei Elitenbefragungen das Ziel<br />
einer hohen Ausschöpfung allerdings unter<br />
verschärften Randbedingungen erfüllt werden.<br />
So sind Elitenpopulationen meist relativ<br />
klein, oft stark beforscht und entsprechend<br />
interviewgesättigt. Die sich daraus ergebende<br />
Befragungsresistenz wird einerseits durch das<br />
knappe Zeitbudget parlamentarischer Eliten<br />
und andererseits durch die schlechte direkte<br />
Erreichbarkeit noch verstärkt. Natürlich wirken<br />
sich diese Umstände nicht nur auf telefonische<br />
Befragungen negativ aus. Die These ist aber,<br />
dass dadurch Elitenbefragungen per Telefon<br />
stärker flankierender Maßnahmen bedürfen als<br />
entsprechende face-to-face Befragungen.<br />
Bei face-to-face Interviews wird von<br />
amerikanischen Forschern in besonders<br />
befragungsresistenten Grundgesamtheiten<br />
gerne eine Holdup-Strategie praktiziert - man<br />
erscheint einfach ohne Termin im Büro der<br />
zu befragenden Person und bemüht sich um<br />
ein sofortiges Interview oder einen Termin<br />
(vgl. Frey/Kunz/Lüschen 1990, S. 44). Dieses<br />
teilweise sehr erfolgreiche Vorgehen lässt sich<br />
leider nur bedingt auf das Telefon übertragen.<br />
Bei den hier untersuchten Parlamentariern<br />
wurden lediglich 5,5 Prozent der Interviews<br />
beim ersten Kontaktversuch realisiert. Im<br />
Durchschnitt mussten 11 Versuche unternommen<br />
werden, bevor ein Interview zustande kam<br />
(vgl. Edinger/Jahr 2006). Meistens endeten die<br />
Kontaktversuche jedoch „schon bei denjenigen,<br />
die Zeit und Energie ihres Chefs überwachen“<br />
(vgl. Frey/Kunz/Lüschen 1990, S. 44). Mit dieser<br />
Einschätzung weisen Frey/Kunz/Lüschen<br />
auf die besondere Stellung der Sekretariate<br />
der Untersuchungspersonen hin. Im Regelfall<br />
laufen Interviewanfragen über die Büros der<br />
zu befragenden Person und unterliegen dort<br />
einer Vorsortierung (vgl. auch den Beitrag<br />
von Bernd Martens in diesem Heft). Diese<br />
Gatekeeper-Stellung zwischen Forscher und<br />
Elitenpositionsinhaber bedarf bei der Wahl der<br />
zur Interviewanbahnung eingesetzten Signalling-Strategien<br />
4 besonderer Berücksichtigung.<br />
Oftmals führt nur eine Kombination direkter<br />
und indirekter Signalisierungsaktivitäten zum<br />
Erfolg. Im Falle der hier untersuchten parlamentarischen<br />
Eliten wurde auf direktem Wege<br />
über persönliche Projektvorstellungen in den<br />
Fraktionssitzungen, personalisierte Anschreiben,<br />
Faxe und E-Mails als auch auf indirektem<br />
Wege über Presse- und Forschungsberichte<br />
sowie Internetauftritt versucht, Informationen<br />
über das Forschungsvorhaben an die Befragungspopulation<br />
heranzutragen.<br />
Einen besonders positiven Effekt<br />
auf die Teilnahmewahrscheinlichkeit<br />
Seite 45<br />
versprach sich das Projektteam von<br />
der persönlichen Vorstellung der<br />
Erhebung in den jeweiligen Fraktionen. Aufgrund<br />
des damit verbundenen hohen Aufwandes<br />
wurde aber nur in den Landesparlamenten
CATI - UND PARLAMENTARISCHE EINLEITUNG ELITEN<br />
von Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt,<br />
Hessen, Berlin sowie im Bundestag um einen<br />
Vorstellungstermin gebeten. Zwar konnte das<br />
Projekt nur in lediglich neun der angesprochenen<br />
Fraktionen vorgestellt werden, wie<br />
ausTabelle 1 aber zu entnehmen ist, lassen<br />
sich weder ein eindeutig positiver Effekt der<br />
Vorstellungen an sich, noch ihrer Qualität<br />
auf die erreichte Ausschöpfung feststellen. Es<br />
erwies sich als wesentlich wichtiger für die erreichten<br />
Ausschöpfungsquoten, die jeweiligen<br />
Fraktionsführungen von der Untersuchungsteilnahme<br />
zu überzeugen. Für die erneute<br />
Durchführung der Befragung lässt sich daher<br />
festhalten, dass solche aufwendigen Informationsangebote<br />
primär auf die Fraktionsführungen<br />
zugeschnitten und beschränkt werden<br />
sollten.<br />
Qualität der Präsentation (Selbsteinschätzung)<br />
[s. gut - gut – mittel – schlecht – s. schlecht]<br />
Ausschöpfung im Vergleich (Befragungsbestes<br />
– erreichtes – Befragungsschlechtestes<br />
Fraktionsergebnis)* [in %]<br />
Hessen<br />
SPD gut 100-73-70<br />
FDP sehr gut 79-67-44<br />
B90/Die Grünen sehr gut 100-100-70<br />
Sachsen<br />
CDU mittel 84-66-45<br />
PDS gut 100-93-88<br />
Sachsen-Anhalt<br />
PDS sehr gut 100-100-88<br />
FDP schlecht 79-65-44<br />
Thüringen<br />
CDU sehr gut 86-86-45<br />
SPD gut 100-100-70<br />
Seite 46<br />
Tabelle 1 - Auswirkungen der Projektvorstellungen in<br />
den Fraktionen auf die Ausschöpfungsrate<br />
* Der erste Prozentwert gibt die höchste<br />
Ausschöpfung, der zweite Prozentwert die<br />
in diesem Parlament erreichte und der letzte<br />
Prozentwert die geringste Ausschöpfung der<br />
Partei über alle befragten Parlamente wieder.<br />
Das Versenden von personalisierten<br />
Anschreiben, Faxen und E-Mails mit Informationen<br />
zum Forschungsanliegen ist in<br />
einer solchen Untersuchungspopulation Standardvorgehen<br />
und schon aus diesem Grund<br />
unverzichtbar. Zudem ermöglicht der Hinweis<br />
auf die bereits versendeten Informationen dem<br />
Interviewer einen leichteren Gesprächseinstieg<br />
beim ersten telefonischen Kontakt. Obwohl<br />
die Informationen ca. zwei bis drei Wochen<br />
vor dem Befragungsbeginn verschickt wurden,<br />
forderte ungefähr ein Drittel der Befragten<br />
nochmals Informationsmaterial an.
CATI - UND PARLAMENTARISCHE EINLEITUNG ELITEN<br />
Trotz dieser verschiedenen Strategien der<br />
Informationsverbreitung, die unter anderem<br />
auch darauf ausgerichtet waren die Monopolstellung<br />
der Sekretariate bei der Informationsverteilung<br />
abzuschwächen, mussten teilweise<br />
die Mitarbeiter der Parlamentarier ebenso<br />
intensiv von der Teilnahme ihrer Chefs an der<br />
Untersuchung überzeugt werden, wie die Abgeordneten<br />
selbst.<br />
Die in der Literatur dargelegten Erfahrungen<br />
mit Elitenbefragungen deuteten darauf hin,<br />
dass Eliten persönliche Interviews bevorzugen<br />
(vgl. Lüschen 1979; zusammenfassend Frey/<br />
Kunz/Lüschen 1990). Ein Grund dafür könnte<br />
sein, dass der recht unpersönliche Kontakt am<br />
Telefon nicht im gleichen Maße wie ein direktes<br />
persönliches Gespräch Wertschätzung und<br />
Wichtigkeit des Interviewpartners vermittelt.<br />
Bei face-to-face Befragungen lassen sich über<br />
„nonverbale“ Kommunikationselemente (z.B.<br />
Interviewerauftreten und nicht zuletzt den<br />
persönlichen Besuch an sich) die Wichtigkeit<br />
des Befragten für die Untersuchung unterstreichen<br />
(vgl. Edinger/Jahr 2006). Dieses Moment<br />
fehlt der telefonischen Befragung völlig. Bei<br />
gesellschaftlich höher gestellten Persönlichkeiten,<br />
wie es Eliten qua definitionem sind,<br />
kann sich das negativ auf die Teilnahmebereitschaft<br />
auswirken. Dennoch lässt sich auf<br />
der Basis der gemachten Erfahrungen das<br />
Verweigerungsrisiko aufgrund dieses Aspektes<br />
telefonischer Kommunikation als gering<br />
einschätzen. Offensichtlich werden Statusunterschiede<br />
durch den recht unpersönlichen und<br />
technisch vermittelten Kontakt zwischen den<br />
Kommunikationspartnern in den Hintergrund<br />
gedrängt, so dass auch aus Sicht der Befragten<br />
nicht ebenbürtige Kommunikationspartner<br />
akzeptiert werden. 5. Allerdings darf diese<br />
Erkenntnis nicht vergessen lassen, dass sich<br />
parlamentarische Eliten sehr wohl ihrer herausgehobenen<br />
Stellung in der Gesellschaft<br />
bewusst sind. Dieses Statusbewusstsein zeigt<br />
sic jedoch nicht in der ausschließlichen Präferenz<br />
für ein persönliches Interview oder einen<br />
statusäquivalenten Gesprächspartner, sondern<br />
äußert sich in entsprechenden Erwartungen an<br />
die Qualität der Befragung und Expertise der<br />
Interviewer.<br />
Aus den im Vorfeld der Erhebung geführten<br />
Leitfadeninterviews war bekannt, dass die<br />
Qualität der Befragung von den Parlamentariern<br />
auch daran gemessen wird, wie detailliert<br />
die politische Laufbahn und speziell politische<br />
(Führungs-)Positionen erfragt werden. Diese<br />
Erwartungshaltung erwies sich bei der Konstruktion<br />
des Fragebogens mitunter als problematisch.<br />
Einerseits sollte der Fragebogen<br />
durch den Verzicht auf Fragen nach bereits<br />
aus den erhobenen Strukturdaten bekannten<br />
Stationen der politischen Werdegänge möglichst<br />
kurz gehalten werden, auf der anderen<br />
Seite waren diese Fragen notwendig, um den<br />
Befragten Vollständigkeit und somit Wissenschaftlichkeit<br />
und Seriosität der Erhebung zu<br />
vermitteln. Vor dem Hintergrund des geringen<br />
Zeitbudgets der Parlamentarier und der von<br />
im Vorfeld befragten Parlamentariern angemahnten<br />
Zeitdauer von maximal 30 Minuten<br />
pro Interview erhielt aber die Kürzung des<br />
Fragebogens Vorrang.<br />
Das maximale Zeitfenster von<br />
Seite 47<br />
einer halben Stunde wurde sehr oft<br />
von den mit der Terminkoordination<br />
betrauten Sekretariaten der Untersuchungspersonen<br />
bestätigt. Wie aber die Auswertung<br />
der tatsächlichen Befragungszeiten zeigte, lag
CATI - UND PARLAMENTARISCHE EINLEITUNG ELITEN<br />
die durchschnittliche Interviewdauer bei ca. 42<br />
Minuten. Somit ist die von vielen Seiten dem<br />
Projekt empfohlene maximale Interviewdauer<br />
von 30 Minuten als zu pessimistisch zu bewerten.<br />
Allerdings glich es einer Gratwanderung,<br />
die im Einleitungstext des Interviews zu nennende<br />
Interviewdauer festzulegen. Es musste<br />
eine Zeitangabe gefunden werden, die einerseits<br />
nicht abschreckte und andererseits eine<br />
nicht allzu große Diskrepanz zur tatsächlichen<br />
Interviewdauer aufwies (vgl. Wüst 1998, S. 16).<br />
In den ersten 14 Tagen der Befragung wurde<br />
mit der empfohlenen, aber faktisch zu kurzen<br />
Interviewdauer von 30 Minuten operiert.<br />
Nach dem sich die Unmutsbekundungen der<br />
befragten Abgeordneten über die tatsächliche<br />
Dauer häuften, wurde im Einleitungstext für<br />
den weiteren Befragungsverlauf die voraussichtliche<br />
Interviewdauer der Befragung auf<br />
„in der Regel etwa 40 Minuten“ geändert.<br />
Laut Interviewerbemerkungen hatte diese<br />
Erhöhung nicht den von Collins et al. (1988)<br />
befürchteten negativen Einfluss auf die Teilnahmewahrscheinlichkeit,<br />
reduzierte aber<br />
merklich die Beschwerden über die tatsächliche<br />
Befragungsdauer.<br />
Unmutsbekundungen der Befragten über<br />
die Länge und inhaltliche Ausrichtung des<br />
Interviews waren nicht die einzigen Herausforderungen,<br />
denen sich die Interviewer<br />
stellen mussten. Neben den allgemein<br />
bekannten Anforderungen an<br />
Interviewer (für Details siehe: Fuchs<br />
Seite 48 1995, S. 289f; Diekmann 1999, S.<br />
399ff; <strong>Friedrich</strong>s 2000, S. 216f ) erwarteten<br />
die Befragten vor allem hohe<br />
fachliche Kompetenz und eine grundlegende<br />
Vertrautheit mit ihrer Biographie von den<br />
Interviewern.<br />
Bei der Befragung von Eliten gehen weite<br />
Teile der erfragten Inhalte über das übliche<br />
Allgemeinwissen hinaus. Soll der Interviewer<br />
aber ein kompetenter Gesprächspartner sein,<br />
muss er über entsprechendes Fachwissen<br />
verfügen, welches sich nur bedingt in Interviewerschulungen<br />
vermitteln lässt. Die Folgen<br />
schlechter fachlicher Interviewerkompetenz<br />
sind aber nicht nur Daten minderer Qualität.<br />
Bei einer untereinander hochgradig vernetzten<br />
Grundgesamtheit, wie es Parlamentarier<br />
in der Regel sind, können einzelne schlecht<br />
geführte Interviews schnell die Akzeptanz der<br />
Befragung in der gesamten Untersuchungspopulation<br />
verringern. Im schlimmsten Fall<br />
würden noch zu befragende Abgeordnete die<br />
Teilnahme an der Befragung verweigern, weil<br />
Parlamentskollegen ihnen aufgrund ihrer negativen<br />
Interviewerfahrung davon abgeraten<br />
haben. Daher ist die Rekrutierung entsprechend<br />
geschulten Personals, z.B. Studenten<br />
der Politikwissenschaften, für solche speziellen<br />
Befragungen unumgänglich.<br />
Um die raportfördernde Vertrautheit der<br />
Interviewer mit den Viten der zu befragenden<br />
Abgeordneten zu erreichen, müssten sich die<br />
Interviewer bei face-to-face Befragungen das<br />
für die Befragung notwenige Wissen vor dem<br />
Gespräch aneignen. Im Falle von telefonischen<br />
Befragungen lassen sich dem Interviewer durch<br />
die ausschließlich verbale Kommunikation bei<br />
fehlendem Sichtkontakt Hilfsmittel zur Verfügung<br />
stellen, die im persönlichen Interview<br />
nicht im gleichen Umfang möglich wären. Unterstützende<br />
Listen, Institutionsorganigramme,<br />
Definitionen von Fachtermini oder Eckpunkte<br />
der Befragtenbiographie sind jederzeit im Gesprächsverlauf<br />
und ohne Wissen des Interviewten<br />
nutzbar. Dadurch ist die Vorbereitungszeit
CATI - UND PARLAMENTARISCHE EINLEITUNG ELITEN<br />
auf ein Interview im Vergleich deutlich kürzer,<br />
ohne dass der Befragte eine geringere fachliche<br />
Qualifikation des Interviewers wahrnehmen<br />
kann.<br />
Die Anforderungen an den Interviewer sind<br />
jedoch trotz dieser möglichen Entlastungen<br />
nicht zu unterschätzen, denn während der Befragung<br />
müssen viele Dinge simultan erledigt<br />
werden. Um keine Zweifel an der Kompetenz<br />
des Interviewers aufkommen zu lassen, ist ein<br />
mehr oder weniger kontinuierlicher Sprachfluss<br />
am Telefon erforderlich. Gleichzeitig sind die<br />
Daten zu erfassen und eventuell Auskünfte über<br />
den Befragungsfortschritt zu geben. Erschwerend<br />
kommt hinzu, dass es durch den leichten<br />
Einsatz von Filtern im Computerfragebogen<br />
möglich ist, den Befragungsverlauf fast individuell<br />
an den Gesprächspartner anzupassen.<br />
Daraus resultieren jedoch fast unüberschaubare<br />
Fragebogenvarianten und machen es dem<br />
Interviewer schwer, den Überblick über den<br />
Befragungsverlauf zu behalten. Zwar ist durch<br />
die computergesteuerte Interviewführung dieser<br />
Überblick nicht im gleichen Maße wie bei<br />
face-to-face Befragungen notwendig, allerdings<br />
gilt es zu beachten, dass sich durch die exzessive<br />
Nutzung möglicher Regulierungs- und Steuerungsmechanismen<br />
eine gewisse Starrheit und<br />
Unnatürlichkeit in der Befragungssituation<br />
ergibt. Es ist fast unmöglich, alle durch die<br />
unterschiedlichen Filterführungen möglichen<br />
Fragereihenfolgen sprachlich und inhaltlich<br />
so aufeinander abzustimmen, dass keine mehr<br />
oder minder abrupten Themenwechsel während<br />
der Befragung auftreten. Ebenfalls leidet<br />
die Natürlichkeit des Gesprächsverlaufes unter<br />
einer intensiven Nutzung von befragungssimultanen<br />
Plausibilitätsprüfungen. 6 Zu häufige<br />
Nachfragen bzw. Hinweise auf Inkonsistenzen<br />
bergen die Gefahr, den Befragten über Gebühr<br />
zu strapazieren und somit einen Abbruch des<br />
Interviews zu provozieren. Die Erfahrungen<br />
aus dieser Befragung bestätigen daher die<br />
Einschätzungen von Fuchs (1995, S. 289), dass<br />
die Gestaltung der sozialen Interviewsituation<br />
durch die Möglichkeiten des Computers<br />
schnell übertrieben werden und dadurch ein<br />
Teil der durch Standardisierung gewonnenen<br />
Datenqualität wieder verloren gehen kann.<br />
FAKTOREN DER REPRÄSENTATIVITÄT<br />
Der Begriff der Repräsentativität spricht<br />
in jedem Stichprobendesign einen der wichtigsten<br />
Punkte an. Eine Stichprobe gilt dann<br />
als repräsentativ, wenn sie „alle für die Grundgesamtheit<br />
typischen und charakteristischen<br />
Erhebungsmerkmale nebst deren verschiedenen<br />
Kombinationen genau entsprechend ihrer<br />
relativen Häufigkeit in der Grundgesamtheit<br />
enthält und somit ein getreues Miniaturbild<br />
der Grundgesamtheit, sozusagen ihr verkleinertes<br />
Modell darstellt.“ (Büschges 1961, S. 6).<br />
Damit wird auch deutlich, dass Repräsentativität<br />
und Stichprobenumfang keine Synonyme<br />
sind. Zwar steigt die Wahrscheinlichkeit der<br />
Repräsentativität einfacher Zufallsstichproben<br />
mit deren Umfang, jedoch ist damit nicht<br />
ausgeschlossen, dass auch kleine Stichproben<br />
strukturgetreue Abbilder der Grundgesamtheit<br />
darstellen können. Da im Falle der hier<br />
vorgestellten Studie auf keinerlei empirische<br />
Erfahrungen zurückgegriffen<br />
Seite 49<br />
werden konnte, wie Parlamentarier auf<br />
telefonische Befragungen reagieren,<br />
ließen sich auch mögliche Ausfälle im Vorfeld<br />
nicht abschätzen. Somit war es unumgänglich,<br />
eine Totalerhebung der Untersuchungsparla-
CATI - UND PARLAMENTARISCHE EINLEITUNG ELITEN<br />
mente anzustreben, welche gleichzeitig als Referenzmessung<br />
der Befragungswilligkeit parlamentarischer<br />
Eliten am Telefon dienen sollte.<br />
Natürlich konnte nicht angenommen werden,<br />
dass sich alle Mitglieder der Grundgesamtheit<br />
an der Befragung beteiligen würden. Die dadurch<br />
- wenn auch ungewollt - entstandene<br />
Stichprobe galt es hinsichtlich der Merkmale<br />
Geschlecht, regionale Herkunft (Ost-/Westdeutschland),<br />
Verhältnis zwischen Mitgliedern<br />
der Regierungs- und Oppositionsfraktionen<br />
sowie dem Anteil an parlamentarischen Führungspersonen<br />
auf Repräsentativität zu prüfen.<br />
Die Auswahl dieser genannten Repräsentativitätsmerkmale<br />
bestimmte sich aus den im Projekt<br />
angelegten Untersuchungsschwerpunkten<br />
und Vergleichsperspektiven.<br />
Zur vollständigen Bearbeitung aller 1703<br />
Personen der Grundgesamtheit bedurfte es<br />
95 Befragungstage. Die erreichte Ausschöpfungsquote<br />
lag bei insgesamt 56 Prozent,<br />
differierte allerdings erheblich zwischen den<br />
einzelnen parlamentarischen Ebenen. Eine<br />
mit gut 76 Prozent außerordentlich hohe<br />
Ausschöpfung wurde auf der Landesebene<br />
erreicht, hingegen konnten nur 33 Prozent der<br />
deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments<br />
und nur 26 Prozent der Mitglieder des<br />
Deutschen Bundestages befragt werden. Um<br />
die Entwicklung der Stichprobengröße der<br />
einzelnen Befragungen untereinander<br />
vergleichen zu können und die unterschiedlichen<br />
Ausschöpfungsraten<br />
Seite 50 in der Darstellung zu neutralisieren,<br />
wurde in Abbildung 1 die zu einem<br />
bestimmten Zeitpunkt erreichte<br />
Interviewanzahl in Relation zu der am Befragungsende<br />
erreichten Stichprobengröße<br />
gesetzt (vgl. Edinger/Jahr 2006).<br />
Zu erkennen ist, dass sich die Bundes- und<br />
Europaparlamentarierbefragungen in der Anfangsphase<br />
nicht so gut entwickelten wie die<br />
Befragung der Landtagsabgeordneten. Gut die<br />
Hälfte der insgesamt 765 realisierten Landtagsinterviews<br />
war bereits nach 13 Befragungstagen<br />
abgeschlossen. Um die 50-Prozentmarke<br />
bei den Bundestagsabgeordneten zu erreichen,<br />
waren 21 und bei den EU-Parlamentariern<br />
30 Befragungstage notwendig. Im weiteren<br />
Befragungsverlauf glichen sich jedoch die<br />
unterschiedlichen Entwicklungen einander<br />
an und nach ca. 56 Befragungstagen waren<br />
auf allen drei Ebenen 90 Prozent der finalen<br />
Stichprobengröße erreicht.<br />
Die im Befragungsverlauf abflachenden<br />
Kurven zeigen das typische Bild einer angestrebten<br />
Vollerhebung. Der steile Kurvenanstieg<br />
in den ersten Befragungswochen erklärt sich<br />
daraus, dass aus dem Pool der Untersuchungseinheiten<br />
zuerst die leicht zu befragenden<br />
Personen abgeschöpft wurden. Die im späteren<br />
Befragungsverlauf degressiven Kurvenanstiege<br />
verdeutlichen, dass sich mit zunehmender Befragungsdauer<br />
nur noch schwer zu befragenden<br />
Personen im Adressenpool befanden.<br />
Es stellt sich die Frage, ob eine aus ökonomischen<br />
Gründen früher beendete Befragung<br />
(etwa nach 54 Befragungstagen) auch unter<br />
Repräsentativitätsgesichtspunkten gerechtfertigt<br />
gewesen wäre. Tabelle 2 zeigt die Abweichungen<br />
der Merkmalszusammensetzung der<br />
einzelnen finalen Ebenenstichproben von ihren<br />
jeweiligen Teilgrundgesamtheiten. Wie auf<br />
der Landesebene an den geringen Differenzen<br />
der Anteilswerte in den einzelnen Merkmalen<br />
zwischen Stichprobe und Grundgesamtheit<br />
zu erkennen ist, bildet die erreichte Auswahl
CATI - UND PARLAMENTARISCHE EINLEITUNG ELITEN<br />
Abbildung 1 - Entwicklung der Stichprobengrößen im<br />
Befragungszeitraum<br />
(Alle Zahlen in %)<br />
Ost-West (Ost)<br />
Regierung – Opposition<br />
(Regierung)<br />
Geschlecht (weiblich)<br />
high-flyer – Backbencher<br />
(high-flyer)<br />
GG SP GG SP GG SP GG SP<br />
Landesebene 53 56 58 54 32 35 31 28<br />
Bundesebene 16 26 51 53 33 32 16 10<br />
EU-Parlament1 17 27 - - 38 30 13 9<br />
Tabelle 2 - Merkmalsrelationen in Grundgesamtheit<br />
(GG) und Stichprobe (SP)<br />
Seite 51<br />
[Aktuelle Parlamentarier]
CATI - UND PARLAMENTARISCHE EINLEITUNG ELITEN<br />
Abbildung 2 - Repräsentativitätsentwicklung der<br />
Landtagsstichprobe im Befragungsverlauf [Durchgezogene<br />
Linien zeigen den Soll-Anteil der Merkmale in<br />
der Grundgesamtheit, die von Marken unterbrochenen<br />
Linien die Anteilsentwicklung in der Stichprobe]<br />
die Grundgesamtheit recht gut ab. Auf der<br />
Bundesebene sind lediglich die Relationen<br />
zwischen Ost- und Westdeutschen sowie highflyern<br />
7 und backbenchern nicht strukturgetreu<br />
(vgl. Edinger/Jahr 2006).<br />
Die Gegenüberstellung der Stich-<br />
Seite 52 probenparameter mit den Sollwerten<br />
der Grundgesamtheit im Zeitverlauf<br />
der Befragung zeigt, dass sich die gute<br />
Repräsentativität der Landesebenenstichprobe<br />
nicht allein auf die hohe Ausschöpfung von 76<br />
Prozent zurückführen lässt (vgl. Abbildung 2).<br />
Bereits nach 17 Befragungstagen und einer erreichten<br />
Ausschöpfung von 45 Prozent wichen<br />
die Merkmalsanteile in der Stichprobe der<br />
Landesparlamente nur noch gering von ihren<br />
am Ende der Befragung erreichten Werten und<br />
der Verteilung in der Grundgesamtheit ab.<br />
Auf der Bundesebene findet sich ein ähnliches<br />
Bild, nur stellen sich die endgültigen<br />
Anteile erst nach ungefähr 41 Befragungstagen<br />
aber schon bei einer Ausschöpfung von 22 Prozent<br />
ein (Abbildung 3).
CATI - UND PARLAMENTARISCHE EINLEITUNG ELITEN<br />
Abbildung 3 - Repräsentativitätsentwicklung der<br />
Bundestagsstichprobe im Befragungsverlauf [Durchgezogene<br />
Linien zeigen den Soll-Anteil der Merkmale in<br />
der Grundgesamtheit, die von Marken unterbrochenen<br />
Linien die Anteilsentwicklung in der Stichprobe]<br />
FAZIT<br />
Unter (befragungs-)ökonomischen Gesichtpunkten<br />
lässt sich aus der Repräsentativitätsbetrachtung<br />
schließen, dass die Erhebung<br />
auf der Landesebene nach 17 Befragungstagen<br />
und auf der Bundesebene nach 41 Tagen hätte<br />
abgebrochen werden können. Grund dafür ist,<br />
dass sich in den hier untersuchten Merkmalen<br />
bei einer bis zu diesen Tagen erreichten<br />
Ausschöpfung von ungefähr 45 Prozent auf<br />
der Landesebene und 22 Prozent auf der Bundesebene<br />
kaum noch Anteilsverschiebungen<br />
ergaben. Bei gravierenden Abweichungen<br />
der Stichprobenzusammensetzung von der<br />
Grundgesamtheit hätten demzufolge bis spätestens<br />
zu diesen Zeitpunkten Korrekturen im<br />
Auswahlplan vorgenommen werden müssen.<br />
Als Argument für eine Kürzung des<br />
Stichprobenumfangs sind die gefundenen<br />
Erkenntnisse jedoch nicht verwendbar. Viele<br />
der im Untersuchungsdesign des Projektes<br />
angelegten Vergleichsperspektiven erfordern<br />
Analysen auf der Ebene einzelner<br />
Parlamentsfraktionen, die selbst bei<br />
einer 45-prozentigen Ausschöpfung<br />
Seite 53<br />
auf der Landesebene teilweise nur<br />
durch eine oder zwei Personen repräsentiert<br />
wären und somit keine statistischen<br />
Auswertungen ermöglichen.
CATI - UND PARLAMENTARISCHE EINLEITUNG ELITEN<br />
Seite 54<br />
Mit Blick auf die geplante Wiederholungsbefragung<br />
lässt sich als Fazit der Erfahrungen<br />
aus der Erhebung und der methodischen<br />
Betrachtungen befragungsrelevanter Eigenschaften<br />
der Untersuchungspopulation ziehen,<br />
dass CATI-Befragungen zur Datenerhebung<br />
in parlamentarischen Elitepopulationen<br />
durchaus geeignet sind. Die aus der Literatur<br />
über den Einsatz telefonischer Bevölkerungsumfragen<br />
bekannten positiven Eigenschaften<br />
wie z.B. schnelle Feldphase und im Vergleich<br />
hohe Responsraten, bleiben auch bei der<br />
Befragung parlamentarischer Eliten erhalten.<br />
Im Vergleich mit bisher postalisch oder<br />
persönlich durchgeführten Befragungen von<br />
Parlamentariern konnte eine deutlich höhere<br />
Ausschöpfungsquote erzielt werden (vgl. Best<br />
et al. 2004, S. 5). Beschränkt man die Kostenbetrachtung<br />
nur auf die Erhebungsphase,<br />
lässt sich der telefonischen Befragung von<br />
parlamentarischen Eliten auch eine sehr gute<br />
Kosten-Nutzen-Relation konstatierten. Ebenfalls<br />
war die Akzeptanz des Telefons als bis<br />
dato neues Kommunikationsmedium für wissenschaftliche<br />
Befragungen unter den Abgeordneten<br />
sehr hoch. Allerdings darf bei dieser<br />
positiven Einschätzung der hohe betriebene<br />
Aufwand in der Vorbereitung und Flankierung<br />
der Befragung nicht vergessen werden. Auch<br />
wenn noch einiges Optimierungspotential in<br />
den angesprochenen Signalling-Aktivitäten<br />
liegt, sind sie in ihrem Finanz- und<br />
Zeitaufwand nicht zu unterschätzen<br />
und relativieren teilweise die kostengünstige<br />
und schnelle Feldphase.<br />
FUSSNOTEN<br />
1<br />
Der Verfasser dankt Wilhelm Weege für seine intensiven Recherchen<br />
zu dieser Fragestellung.<br />
2<br />
Untersucht wurden die deutschen Mitglieder des Europäischen<br />
Parlaments, die Abgeordneten des Bundestages und die Mitglieder<br />
der Landtage Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg,<br />
Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen, Sachsen-<br />
Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen.<br />
3<br />
Die Ankündigung der Befragung löste einen so hohen Respons<br />
aus, dass zwar der anvisierte Stichprobenumfang weit übertroffen<br />
wurde, aber auch die Stichprobe nur sehr begrenzt gesteuert<br />
werden konnte.<br />
4<br />
Unter Signalling werden alle Aktivitäten des Forschers verstanden,<br />
die zu befragenden Personen über das Forschungsprojekt<br />
zu informieren, um somit das mit einem unerwarteten Telefonanruf<br />
verbundene Element der Überraschung zu reduzieren<br />
(Frey/Kunz/Lüschen 1990, S. 121).<br />
5<br />
Vgl. Diskussionsanmerkung von Michael Behr auf Seite 20.<br />
6<br />
Z. B. ob die prozentualen Anteile an Wahlkreis- und Parlamentsarbeit<br />
sich zu 100 Prozent addieren.<br />
7<br />
Als high-flyer wurden alle Inhaber von Exekutivfunktionen,<br />
parlamentarische Geschäftführer, Mitglieder der Fraktionsvorstände<br />
und des Parlamentspräsidiums verstanden.<br />
LITERATUR<br />
ADM-Jahresbericht (2003): http://www.adm-ev.de/pdf/Jahresbericht_03.pdf<br />
Best et al. (2004): Zwischenauswertung der Deutschen Abgeordnetenbefragung<br />
2003/04. Informationsbroschüre. <strong>SFB</strong><strong>580</strong>/<strong>Universität</strong>-<strong>Jena</strong>
CATI - UND PARLAMENTARISCHE EINLEITUNG ELITEN<br />
Büschges, Günter (1961): Die Gebietsauswahl als Auswahlmethode<br />
in der empirischen Sozialforschung. Dissertation. <strong>Universität</strong><br />
Köln<br />
Collins, Martin et al. (1988): Nonresponse: the UK experience.<br />
In: Groves, Robert M. / Biemer P.P. / Lyberg L.E., et al., (eds.),<br />
Telephone Survey Methodology. New York, NY: John Wiley &<br />
Sons, S. 213-232<br />
Diekmann, Andreas (1999): Empirische Sozialforschung. 5.<br />
Auflage. Hamburg: Reinbek<br />
Edinger, Michael / Jahr, Stefan (2006: Telefoninterviews mit<br />
Repräsentationseliten. Methodische Aspekte am Beispiel der <strong>Jena</strong>er<br />
Abgeordnetenstudie. ZUMA-Nachrichten. Im Erscheinen<br />
Frey H. James / Kunz, Gerhard / Lüschen, Günther (1990):<br />
Telefonumfragen in der Sozialforschung. Methoden, Techniken,<br />
Befragungspraxis. Opladen: Westdeutscher Verlag<br />
<strong>Friedrich</strong>s, Jürgen (2000): Methoden empirischer Sozialforschung.<br />
14. Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag<br />
Fuchs, Marek (1995): Die computergestützte telefonische Befragung:<br />
Antworten auf Probleme der Umfrageforschung? In:<br />
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 24, Heft 4 S. 284-299<br />
Lüschen, Günther (1979): Social Equality and the Impact of<br />
Education in Western Europe. Comparative Social Research 2,<br />
S. 41-69<br />
Wüst, Andreas M. (1998): Die Allgemeine Bevölkerungsumfrage<br />
der Sozialwissenschaften als Telefonumfrage. ZUMA-Arbeitsbericht<br />
98/04<br />
Seite 55
INTERVIEWFORMEN<br />
FÜR NETZWERKER-<br />
HEBUNGEN<br />
Seite 56
NETZWERKERHEBUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
Kapitel 5<br />
PERSONALISIERTE FRAGEBÖGEN AM<br />
BEISPIEL VON NETZWERKERHEBUNGEN<br />
Sören Petermann<br />
Jahrzehntelang war das Face-to-Face-<br />
Interview das Maß aller Dinge, wenn<br />
standardisierte Befragungen sozialer<br />
Netzwerke durchzuführen waren. Dies hing<br />
in der Vergangenheit mit deren Komplexität<br />
und der damit verbunden komplizierten Erhebung<br />
von Generatoren und Interpretatoren<br />
zusammen. So wurden relevanten Studien im<br />
deutschsprachigen Raum, auf die das Teilprojekt<br />
A4 verweist, als Face-to-Face-Interviews<br />
durchgeführt (Däumer 1997, Laumann/Pappi<br />
1976). Man benötigt also gute Argumente, will<br />
man vom Face-to-Face- zum Telefoninterview<br />
wechseln. Wie lässt sich also begründen, dass<br />
im Teilprojekt A4 zur Untersuchung politisch-administrativer<br />
Eliten in sechs Untersuchungsgebieten<br />
in Ost- und Westdeutschland<br />
eine computerunterstützte Telefonbefragung<br />
(CATI) durchgeführt wird? Zunächst wird<br />
vorausgesetzt, dass die zu untersuchende<br />
Population telefonisch erreichbar ist (Fuchs<br />
1994, Petermann 2001). Die zu untersuchenden<br />
Kommunalpolitiker des Teilprojekts A4<br />
bilden eine Spezialpopulation, die aufgrund<br />
ihres Status ohnehin telefonisch erreichbar sein<br />
sollte. Die Voraussetzung der telefonischen<br />
Erreichbarkeit ist für sämtliche ausgewählte<br />
und befragbare Kommunalpolitiker gegeben<br />
(<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> 2004). Aus Vergleichen zwischen<br />
Face-to-Face- und Telefoninterviews sind in<br />
der Methodenforschung zahlreiche Vorteile<br />
für Telefonbefragungen hervorgehoben worden,<br />
die sich auf den Ablauf sowohl in der<br />
Kontaktphase als auch in der Interviewphase<br />
beziehen (vgl. Fuchs 1994, Petermann 2001,<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> 2004, S. 327). Der wohl größte<br />
Vorteil ist die Zeit- und Kostenersparnis, die<br />
sich aus den zentral geführten Terminabsprachen<br />
und Interviews ergibt. Weil im Telefoninterview<br />
durch die zentral an einem Ort<br />
durchgeführte Befragung keine Reisekosten<br />
für Interviewer anfallen, müssen im Vergleich<br />
von Telefon- und Face-to-Face-Interview<br />
lediglich Telefongebühren gegen Reisekosten<br />
für Interviewer abgewogen werden. Gerade für<br />
räumlich ausgedehnte Befragungen<br />
können Fahrtkosten und Interviewerentlohnung<br />
für diese „Rüstzeit“<br />
Seite 57<br />
enorm hoch sein; Telefongebühren<br />
stellen dann nur noch einen Bruchteil<br />
dieser Reisekosten dar. Das Teilprojekt<br />
A4 untersucht ehemalige und gegenwärtige<br />
Kommunalpolitiker aus Nordrhein-Westfalen
NETZWERKERHEBUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
und Sachsen-Anhalt. Gerade ehemalige Eliten<br />
müssen nicht zwangsläufig am Ort ihrer<br />
alten Tätigkeit wohnen - entsprechend hoch<br />
und schwierig kalkulierbar sind die für diese<br />
Gruppe zu veranschlagenden Reisekosten.<br />
Zwar liegen in der Regel die Telefongebühren<br />
unter den Fahrtkosten der Face-to-Face-<br />
Interviews. Die Entscheidung fällt jedoch<br />
deutlicher zugunsten der Telefoninterviews<br />
aus, wenn man die Kosten für das „Aufsuchen“<br />
der Interviewpartner einbezieht (Kreiselmaier/Porst<br />
1989). Mittlerweile machen die<br />
Kosten für Terminabsprachen, Terminverwaltung<br />
und Koordination von Interviewern<br />
und Befragungsterminen einen Großteil der<br />
Feldkosten aus. Dadurch das Kontakt- und<br />
Interviewphasen über das gleiche, preiswertere<br />
Kommunikationsmedium ablaufen, werden<br />
enorme Einsparpotenziale genutzt. Gerade<br />
vielbeschäftigte Elitenmitglieder, wie sie vom<br />
Teilprojekt A4 zu befragen waren, sind trotz<br />
hoher Teilnahmebereitschaft schwer zur<br />
Mitarbeit am Interview zu bewegen. Oftmals<br />
ist die Kontaktanbahnung umständlich, weil<br />
Sekretärinnen oder Referenten den direkten<br />
Zugang nur zögerlich gewähren, weil Kommunalpolitiker<br />
keine Büroarbeiter sind und<br />
weil Terminvereinbarungen auch mal platzen<br />
können. In unserer Untersuchung lag die<br />
mittlere Anzahl der Kontaktversuche bei 20.<br />
Damit haben wir es noch mit vergleichsweise<br />
kooperativen Eliten zu<br />
tun, wie die Ergebnisse von Jahr und<br />
Seite 58 Martens in diesem Heft belegen. Ein<br />
weiterer Vorteil einer computergestützten<br />
Telefonbefragung ergibt sich<br />
für spontane Interviews. In unserer Befragung<br />
bestand immer die Möglichkeit, bereits in der<br />
Kontaktphase spontan, d.h. ohne Terminvereinbarung,<br />
ein Interview durchzuführen. Diese<br />
Möglichkeit wurde in der Elitenbefragung des<br />
A4-Projekts rege genutzt, denn allein 23% der<br />
Interviews wurden beim telefonischen Erstkontakt<br />
geführt. Für Face-to-Face-Interviews mit<br />
telefonischer Terminvereinbarung ergäbe sich<br />
in solchen Fällen ein logistisches Problem.<br />
Neben den Kosten bringt das Telefoninterview<br />
durch die Verknüpfung von Kontakt- und<br />
Interviewphase enorme Zeitsparpotenziale,<br />
wenn es sich um räumlich ausgedehnte Untersuchungsgebiete<br />
handelt. Dies kann anhand<br />
der Feldzeiten der Laumann/Pappi-Studie<br />
(1976) und der Däumer-Studie (1997) verdeutlicht<br />
werden. Laumann und Pappi hatten<br />
eine westdeutsche Kleinstadt als Untersuchungsgebiet<br />
ausgewählt und befragten 46<br />
Elitenmitglieder dieser Gemeinde innerhalb<br />
eines Monats. Däumer wählte einen Kreis als<br />
Untersuchungsgebiet und befragte eine nur<br />
unbedeutend größere Anzahl Bürgermeister<br />
(57). Zwar konstatiert Däumer eine hohe<br />
Teilnahmebereitschaft, allerdings war für<br />
Terminabsprachen und aufgrund der permanenten<br />
Zeitknappheit der Bürgermeister eine<br />
lange Feldphase von beinahe vier Monaten zu<br />
veranschlagen. Neben der Zeitersparnis in der<br />
Kontaktphase gibt es auch eine Zeitersparnis in<br />
der Interviewphase. Im computerunterstützten<br />
Telefoninterview können pro Zeiteinheit mehr<br />
Fragen gestellt werden als im Face-to-Face-<br />
Interview (Fuchs 1994). Bisher wurde diesem<br />
Argument entgegengehalten, dass telefonische<br />
Befragungen nicht länger als 30 Minuten dauern<br />
sollten. Faktisch können Telefoninterviews<br />
jedoch wesentlich länger dauern. Die durchschnittliche<br />
Interviewdauer in der Elitenbefragung<br />
des Teilprojekts A4 betrug mehr als eine<br />
Stunde (63 Minuten) mit einem Maximum
NETZWERKERHEBUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
von über zwei Stunden (127 Minuten). Damit<br />
beläuft sich die Befragung auf insgesamt 147<br />
Interviewstunden. Bei einem Zeitverhältnis<br />
zwischen Telefoninterview und Face-to-Face-<br />
Interview von 1 zu 1,5 ergibt sich eine Ersparnis<br />
von etwa 74 Interviewstunden. Somit<br />
ist deutlich geworden, dass computergestützte<br />
Telefoninterviews mit integrierter telefonischer<br />
Kontaktierung und Terminvereinbarung,<br />
deutliche Zeit- und Kostenvorteile gegenüber<br />
Face-to-Face-Interviews haben.<br />
In älteren Methodenvergleichen wurde ein<br />
zweiter Vorteil für telefonische Befragungen<br />
in der besseren Ausschöpfung gesehen. Mittlerweile<br />
belegen jedoch vergleichende Meta-<br />
Analysen, dass hinsichtlich der Ausschöpfung<br />
keine Unterschiede zwischen Face-to-Faceund<br />
Telefoninterviews bestehen (Kreiselmaier/Porst<br />
1989). Für die hier untersuchten<br />
Kommunalpolitiker scheint die Ausschöpfung<br />
ohnehin kein relevantes Problem zu sein. Mit<br />
81% Ausschöpfung ist die Elitenbefragung des<br />
A4-Projekts mit Abstand die erfolgreichste<br />
Telefonbefragung im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> (<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
2004). Dies scheint aber der besonderen Befragungsklientel<br />
kommunaler Eliten geschuldet<br />
zu sein. Diese scheinen generell hoch motiviert<br />
an Befragungen teilzunehmen. So haben Laumann<br />
und Pappi (1976, S. 273) 46 Interviews<br />
mit einflussreichen Personen geführt und damit<br />
eine Ausschöpfung von 90% erzielt. Däumer<br />
(1997) berichtet gar eine Ausschöpfungsquote<br />
von 100% seiner Face-to-Face- Befragung<br />
unter Bürgermeistern des Saalkreises. Im Referenzbundesland<br />
Nordrhein-Westfalen gab es<br />
in der jüngeren Vergangenheit zwei schriftliche<br />
Befragungen unter (hauptamtlichen) Bürgermeistern,<br />
wobei Schulenburg (1999) eine<br />
Ausschöpfungsquote von 77% (57 Befragte)<br />
und Nienaber (2004) eine Rücklaufquote von<br />
66% (260 Befragte) erzielten. Vergleicht man<br />
die Ausschöpfungen von Befragungen kommunaler<br />
Eliten, ergibt sich ein Vorteil für die<br />
Face-to-Face-Interviews. Gleichzeitig zeigt<br />
sich, dass Telefoninterviews den schriftlichen<br />
Befragungen überlegen sind.<br />
Ein dritter Vorteil ergibt sich insbesondere<br />
durch die Verknüpfung von Telefon und Computerunterstützung<br />
für die Organisation und<br />
den Ablauf von Kontakt- und Interviewphasen<br />
insgesamt. Die Computerunterstützung<br />
erlaubt eine automatische Steuerung der<br />
Terminverwaltung, des Interviewereinsatzes<br />
und eine automatische Filterführung. Dadurch<br />
wird der Interviewer von Nebenaufgaben<br />
entlastet und kann sich voll auf Kontaktierung<br />
und Interviewführung konzentrieren. Dieser<br />
Vorteil ergibt sich allerdings erst, wenn in<br />
der Kontaktphase ein hohes Aufkommen an<br />
Nachrecherche, Rücksprachen, unverbindlichen<br />
und verbindlichen Terminen usw. anfällt.<br />
Bei einer verhältnismäßig kleinen (Brutto-)<br />
Stichprobe von 186 Personen ist das scheinbar<br />
kein Problem. Zumal die Eliten bedingt durch<br />
ihr Tätigkeitsfeld generell häufig ein Telefon<br />
als Kommunikationsmittel nutzen. Dennoch<br />
ist diese Spezialpopulation schwer erreichbar.<br />
Denn gerade weil das Telefon ein häufiges<br />
Kommunikationsmittel für Eliten ist, werden<br />
eingehende Anrufe nach Wichtigkeit „sortiert“.<br />
Interviewgesuche, wenn sie nicht<br />
gerade von namhaften Journalisten<br />
kommen, dürften allgemein niedrige<br />
Seite 59<br />
Rangplätze erhalten. Darüber hinaus<br />
sind Elitenmitglieder wegen zahlreicher<br />
Verpflichtungen außerhalb des Büros<br />
oftmals nicht telefonisch anzutreffen bzw.<br />
interviewbar. So waren in der Elitenbefragung
NETZWERKERHEBUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
mit 181 zu kontaktierenden Personen nicht<br />
weniger als 882 Telefonkontakte notwendig,<br />
um letztendlich 138 Interviews zu führen. Das<br />
sind durchschnittlich 6,4 Kontakte pro erfolgreichem<br />
Interview. Der Interviewereinsatz war<br />
ebenfalls beträchtlich, so haben 18 Personen<br />
Kontakte geknüpft und Interviews geführt.<br />
Ein Interviewer hat im Durchschnitt bei 49<br />
Kontaktversuchen nicht mehr als 8 Interviews<br />
geführt. Mit anderen Worten, bei Haustürkontakten<br />
und bei geringerem Personaleinsatz, wie<br />
in Face-to-Face-Interviews üblich, hätte ein<br />
deutlich größerer Zeitrahmen als die benötigten<br />
3,5 Monate veranschlagt werden müssen.<br />
Als Zwischenresümee lässt sich konstatieren,<br />
dass Telefoninterviews für die Elitenbefragung<br />
des Teilprojekts A4 die bessere<br />
Erhebungsalternative gegenüber dem Faceto-Face-Interview<br />
ist. Deutliche Kosten- und<br />
Zeitersparnisse sind durch die CATI-Methode<br />
eingetreten. Die Interviewer können sich<br />
auf ihre Hauptaufgabe - den Frage-Antwort-<br />
Dialog - konzentrieren. Doch ein, für unsere<br />
Elitenbefragung wesentlicher Punkt ist bis<br />
jetzt noch gar nicht angesprochen worden,<br />
nämlich die Möglichkeit der Personalisierung<br />
des Interviews.<br />
PERSONALISIERUNG IN NETZWERKERHEBUN-<br />
GEN<br />
Personalisierung bedeutet, dass<br />
Seite 60 nicht allen Befragten die gleichen<br />
Fragen gestellt werden, sondern dass<br />
aufgrund bekannter Informationen<br />
über die befragte Person der Befragungsablauf<br />
gesteuert wird, indem zum Beispiel bestimmte<br />
Fragen zu stellen sind oder gerade nicht gestellt<br />
werden. Zunächst ist unter Personalisierung im<br />
CATI die automatische Filterführung zu verstehen.<br />
Automatische Filterführung bedeutet<br />
eine enorme Entlastung der Interviewer von<br />
Entscheidungen hinsichtlich der Fragenreihenfolge.<br />
Beispielsweise wird zunächst der<br />
Familienstand der befragten Person erhoben.<br />
Nichtverheiratete Personen werden herausgefiltert<br />
und können nun befragt werden, ob sie<br />
einen Lebenspartner haben. Im computergestützten<br />
Interview wird die Entscheidung, welche<br />
Frage als nächste zu beantworten ist, vom<br />
programmierten Fragebogen übernommen,<br />
d.h. der Interviewer trifft die Entscheidung<br />
nicht selbst, sondern muss nur noch die jeweilige<br />
Frage vorlesen. Entsprechende Intervieweranweisungen<br />
sind nicht notwendig, wodurch<br />
der Interviewer entlastet wird.<br />
Nun traue ich den meisten Interviewern zu,<br />
die richtige Filterentscheidung im Familienstand-<br />
Lebenspartner-Beispiel zu fällen. Personalisierung<br />
bedeutet in der Tat mehr als nur<br />
simple Filterführung. Mit bekannten Informationen<br />
sind nicht nur während der Befragung<br />
generierte Angaben gemeint, sondern auch<br />
relevante, vor dem Interview bekannte Angaben,<br />
die quasi als Input in die Befragung genommen<br />
werden. Für die Elitenbefragung des<br />
Teilprojekts A4 wurden im Vorfeld zahlreiche,<br />
öffentlich zugängliche Informationen über die<br />
Kommunalpolitiker gesammelt. Dies war aufgrund<br />
der Stichprobenziehung notwendig. Da<br />
wir den Positionsansatz gewählt haben, wurden<br />
Daten für alle sechs Untersuchungsgebiete zu<br />
den Elitenpositionen erhoben, um anschließend<br />
die Personen zu identifizieren, die diese<br />
Positionen besetzen bzw. nach 1990 besetzten.<br />
Neben den Namen und Telefonnummern der<br />
Kommunalpolitiker, die zur Identifizierung
NETZWERKERHEBUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
und Ingangsetzung der Telefoninterviews als<br />
Input in das CATI-System eingingen, wurde<br />
das CATI-System zusätzlich mit Informationen<br />
zur bekleideten Elitenposition (politische<br />
oder administrative Elite) sowie der Spezifikation<br />
dieser Positionen (Partei- bzw. Dezernatszugehörigkeit)<br />
versorgt. Diese Informationen<br />
gaben der Befragung eine persönlichere Note:<br />
Die Befragten wurden direkt mit Namen<br />
angesprochen, in verschiedenen Fragen floss<br />
die genaue Dienstbezeichnung ein und signalisierte<br />
dem Befragten, dass der Interviewer<br />
Vorkenntnisse über ihn hat, dass ein erhöhtes<br />
Werdegang nach dem Ausscheiden. Für gegenwärtige,<br />
nicht aber für ehemalige Elitenmitglieder<br />
gibt es Fragen zur Zufriedenheit<br />
mit der lokalen Politik.<br />
Die eigentliche Personalisierung erfolgt<br />
nun in der Verknüpfung der Informationen<br />
zum Untersuchungsgebiet und den Namen<br />
der 181 Elitenmitglieder. Damit lassen sich die<br />
Elitennetzwerke dieser Untersuchungsgebiete<br />
abbilden.<br />
Ost<br />
West<br />
Großstadt 43 42<br />
Mittelstadt 33 14<br />
Landkreis 26 23<br />
Abbildung 1 - Anzahl der Eliten (= Netzwerkgröße) in<br />
den sechs Untersuchungsgebieten<br />
Interesse an seiner Person besteht und er kein<br />
x- beliebiger Interviewpartner unter Tausenden<br />
ist. Dies trägt zu einer vertrauensvolleren<br />
und für den Befragten angenehmeren Befragungsatmosphäre<br />
bei. Diese Informationen<br />
hatten allerdings keine Auswirkungen auf den<br />
Befragungsablauf in dem Sinne, dass eine automatische<br />
Filterführung daran gebunden ist.<br />
Filterführungen erfolgen zunächst mit der<br />
Angabe zum Positionsstatus (ehemaliges oder<br />
gegenwärtiges Elitenmitglied). Beispielsweise<br />
gibt es für ehemalige Elitenmitglieder einen<br />
Fragenblock zum Ausscheiden aus der Elitenposition<br />
und zum politischen und beruflichen<br />
Zu beachten ist, dass sich für jeden Befragten<br />
eine einmalige Informationsmenge<br />
ergibt, weil das Netzwerk natürlich immer<br />
aus dem Blickwinkel des Befragten erhoben<br />
wird. Insgesamt werden bis zu 50 verschiedene<br />
Informationen pro Befragten im Interview<br />
verwendet. Ich glaube, diese Informationen<br />
einzustudieren dauert länger als das eigentliche<br />
Interview. Ob der Interviewer im entscheidenden<br />
Moment die richtigen Informationen<br />
für die etwa 300 Filterentscheidungen unseres<br />
Fragebogens heranziehen kann, ist<br />
damit noch gar nicht gesagt. Diese<br />
Fähigkeit scheint mir aber doch eine<br />
Seite 61<br />
Meisterleistung zu sein, so dass man<br />
mit Fug und Recht behaupten kann,<br />
dass die Computerunterstützung im Hinblick<br />
auf die Personalisierung einen bedeutenden<br />
Beitrag zur Interviewerentlastung leistet.
NETZWERKERHEBUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
Personalisierung ist aber auch mehr als<br />
nur Filterführung - es bedeutet auch Fragengenerierung.<br />
Im Netzwerkprojekt Halle (vgl.<br />
Petermann 2001, 2002), einer Untersuchung<br />
zu sozialer Unterstützung durch egozentrierte<br />
Netzwerke, wurden die Netzwerke durch<br />
Namensgeneratoren erhoben. Anders als die<br />
Erhebung der Netzwerke in der Elitenbefragung<br />
war der Umfang der Netzwerke vor dem<br />
Interview nicht bekannt. Erst im Interview<br />
wurden die Namen der Netzwerkpersonen<br />
erhoben, wobei die Ego-Netzwerke bis zu<br />
33 Personen umfassen. Zu diesen Netzwerkpersonen<br />
waren zusätzlich etwa 40 Angaben,<br />
beispielsweise der Verwandtschaftsgrad oder<br />
die Stärke der Beziehung, zu erheben. Durch<br />
die Personalisierung wurden also bis zu 1.300<br />
Informationen generiert. Ohne Auswahl besonders<br />
fähiger Interviewer, ohne umfangreiche<br />
Interviewschulungen und vor allem ohne<br />
Computerunterstützung sind solche Datenerhebungen<br />
in einem zeit- und kostengünstigen<br />
Rahmen nur schwerlich möglich.<br />
Personalisierung bedeutet gerade im<br />
Zusammenhang mit Netzwerkbefragungen<br />
auch eine realitätsnähere Datenerhebung<br />
durch offene Fragen. Gewöhnlich werden<br />
aufgrund der Komplexität der Netzwerkdaten<br />
Namensgeneratoren durch eine Höchstzahl<br />
und gelegentlich durch eine Mindestzahl<br />
begrenzt. Im General Social Survey<br />
1985 wurde erstmals ein Namensgenerator<br />
eingesetzt, der nach Personen<br />
Seite 62 fragt, mit denen man wichtige Dinge<br />
besprochen hat (Marsden 1987).<br />
Zwar konnten beliebig viele Personen<br />
genannt werden, nachfolgende Namensinterpretatoren<br />
(Alter, Geschlecht, Bildung usw.)<br />
wurden aber nur für die ersten fünf Personen<br />
erfragt. Eingeschränkter geht der ALLBUS<br />
2000 vor, denn in dieser Bevölkerungsumfrage<br />
konnten nicht mehr als drei Personen genannt<br />
werden, mit denen man am häufigsten privat<br />
zusammen ist (ALLBUS 2000 CAPI-PAPI).<br />
Doch nicht nur in allgemeinen Bevölkerungsumfragen<br />
sondern auch in Elitenbefragungen<br />
wird dieser Weg gewählt. Ein Beispiel ist die<br />
Elitenstudie von Laumann und Pappi (1976).<br />
Zunächst können (beinahe) beliebig viele<br />
Personen einer Liste zu verschiedenen Namensgeneratoren<br />
genannt werden, schließlich<br />
werden davon jeweils drei mit dem intensivsten<br />
Kontakt ausgewählt. Solche zahlenmäßigen<br />
Begrenzungen der Netzwerke erfolgen zumeist<br />
aus forschungsökonomischen und datenanalytischen<br />
Gründen. Bayer (2004) betont jedoch<br />
die Bedeutung offener Fragen für die Operationalisierung<br />
theoretischer Konzepte im Telefoninterview.<br />
Hierdurch wird eine realitätsnähere<br />
Erhebung gewährleistet. Für Netzwerkerhebungen<br />
bedeutet das, den Interviewten keine<br />
zahlenmäßige Begrenzung für die Antworten<br />
auf Netzwerkgeneratoren vorzugeben. Diese<br />
Forderung wurde in der Elitenbefragung des<br />
Teilprojekts A4 umgesetzt. Netzwerkfragen<br />
wurden ohne vorgegebene Höchstzahl an zu<br />
nennenden Personen gestellt, d.h. es konnte<br />
minimal niemand und maximal alle Personen<br />
des jeweiligen Netzwerks ausgewählt werden.<br />
Eine weitere Anmerkung, die gleichzeitig<br />
den Bogen zum Vergleich von Netzwerkerhebungen<br />
in Telefon- und Face-to-Face-Interviews<br />
spannt, betrifft die Personalisierung<br />
durch Erfragung persönlicher Angaben der<br />
Netzwerkbeziehungen. Diese Angaben und<br />
hier insbesondere die Nennung von Namen<br />
nahe stehender Personen sind heikle Fragen,<br />
die viele Befragte dazu veranlassen kann, Antworten<br />
auf diese Fragen zu verweigern oder
NETZWERKERHEBUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
gar das Interview abzubrechen (vgl. Petermann<br />
2000). Werden Antworten auf heikle oder<br />
sensitive Fragen gegeben, wird eine eher geringe<br />
Zuverlässigkeit der Antworten erwartet.<br />
Verzerrte Antworten, Antwortverweigerungen<br />
und Interviewabbrüche sind Versuche des<br />
Interviewten, sich dem Diktum des Interviewablaufs<br />
und dem normativen Einfluss des Interviewers<br />
zu entziehen. Ein solches Blockadebzw.<br />
Verweigerungshandeln zeigen Interviewte<br />
eher, wenn die Kosten des normabweichenden<br />
Verhaltens geringer sind. Eine solche Low-<br />
Cost-Situation trifft eher für das anonymere<br />
Telefoninterview zu. Entsprechend größer sind<br />
diese Kosten, wenn man dem Interviewer „ins<br />
Gesicht“ sagen muss, dass man die Antwort<br />
oder das weitere Interview verweigert.<br />
Leider liegen keine Vergleichsdaten von<br />
den oben erwähnten Face-to-Face-Interviews<br />
kommunaler Eliten vor. Für die Elitenbefragung<br />
des Teilprojekts A4 lassen sich aber<br />
folgende Ergebnisse anführen. Interviewabbrüche<br />
waren mit einem Anteil von 1% an der<br />
Nettostichprobe äußerst gering, wobei kein<br />
Abbruch nach einer heiklen Netzwerkfrage<br />
erfolgte. Die Antwortverweigerungen bei<br />
den Netzwerkabfragen lagen im Schnitt bei<br />
1% mit einem einmaligen Maximum von 7%.<br />
Antwortverzerrungen konnten nicht geprüft<br />
werden. Abbrüche und Antwortverweigerungen<br />
aufgrund heikler Netzwerkfragen sind<br />
für die Elitenbefragung demnach praktisch<br />
nicht zu konstatieren. Ähnliche und dennoch<br />
problematischere Ergebnisse wurden im bereits<br />
erwähnten Netzwerkprojekt Halle erzielt.<br />
Der Anteil vorzeitiger Abbrüche durch die<br />
Befragten an der Nettostichprobe lag mit 3%<br />
geringfügig höher. 1% davon erfolgte allerdings<br />
während der Erhebung der Namensgeneratoren.<br />
Antwortverweigerungen kamen dagegen<br />
praktisch überhaupt nicht vor. Über die 17<br />
Namensgeneratoren schwankt der Anteil<br />
fehlender Werte (weiß nicht - Antworten und<br />
Antwortverweigerungen) lediglich zwischen 0<br />
und 1%. Zwar sind die Probleme der Netzwerkfragen<br />
äußerst gering und unterscheiden sich<br />
nicht von anderen Fragen, aber es zeigt sich,<br />
dass Eliten eher die Antworten verweigern,<br />
während die Bevölkerung eher das Interview<br />
gänzlich abbricht. Dieser Befund könnte mit<br />
größerer Kompromissbereitschaft der Eliten<br />
interpretiert werden.<br />
Für die Befragung des Netzwerkprojekts<br />
Halle liegt darüber hinaus ein Indikator für<br />
Antwortverzerrungen vor. Im unmittelbaren<br />
Anschluss an die Interviews wurden die Interviewer<br />
gebeten, Fragen zum Interviewverlauf<br />
zu beantworten. Bezüglich der Namensgeneratoren<br />
wurde gefragt, ob zu viel oder zu wenig<br />
Namen genannt wurden. Zunächst deuten die<br />
Ergebnisse darauf hin, dass in der Mehrheit<br />
der Interviews (81%) keine Verzerrungen vorliegen.<br />
In nur 1% der Interviews wurden nach<br />
Interviewerangaben zu viele Namen genannt.<br />
Gleichzeitig geben die Interviewer eine massive<br />
Zurückhaltung bei der Namensnennung an.<br />
In 18% der geführten Interviews schätzten die<br />
Interviewer eine zögerliche Namensnennung,<br />
vorrangig bei Fragen zur Geselligkeitsunterstützung,<br />
wie dem gemeinsamen Verbringen<br />
der Freizeit, gemeinsamen Hobbygesprächen<br />
oder dem Einladen<br />
von Geburtstagsgästen. Auch wenn<br />
Seite 63<br />
Interviewerangaben nicht die zuverlässigsten<br />
und validesten Indikatoren<br />
für Antwortverzerrungen bei Netzwerkfragen<br />
darstellen, weisen doch die Ergebnisse in die<br />
erwartete Richtung.
NETZWERKERHEBUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
Ein möglicher Einwand gegen diese Formen<br />
der Personalisierung liegt im Verlust standardisierter<br />
Angaben: Befragte können nicht<br />
ohne weiteres miteinander verglichen werden.<br />
Doch hierfür gibt es spezielle Analyseverfahren<br />
(Burt 1980, Petermann 2005). So können<br />
die Netzwerkdaten der Elitenbefragung mittels<br />
Blockmodellanalysen verdichtet werden.<br />
Die Ergebnisse dieser Analysen können dann<br />
als Input herkömmlicher Datenanalyseverfahren<br />
dienen. Angaben aus egozentrierten<br />
Netzwerken können in Mehrebenenanalysen<br />
einfließen, welche die Gruppierung von<br />
Netzwerkbeziehungen zu Ego-Akteuren<br />
berücksichtigen. Die Datenauswertung stellt<br />
heute kein Hindernis für die personalisierte<br />
Erfassung von Netzwerken dar.<br />
Abschließend kann festgehalten werden,<br />
dass in Bezug auf Netzwerkerhebungen sowohl<br />
in Eliten- als auch in Bevölkerungsbefragungen<br />
computerunterstützte Telefoninterviews zum<br />
Einsatz kommen können. Vorteilhaft ist der<br />
Einsatz von Telefon- gegenüber Face-to-Face-<br />
Interviews für Netzwerkerhebungen aber nur<br />
dann, wenn die Erhebungseinheiten räumlich<br />
weit verstreut sind und/oder wenn der Kontaktaufwand<br />
vor dem eigentlichen Interview<br />
hoch ist (wie im Falle von Elitenbefragungen<br />
üblich). Dagegen werden<br />
mit Telefoninterviews keine besseren<br />
Seite 64 Ausschöpfungsquoten erreicht. Die<br />
Computerunterstützung erlaubt die<br />
für Netzwerkerhebungen essentielle<br />
Personalisierung der Fragebögen. Personalisierung<br />
ist eine quantitative und qualitative<br />
Weiterentwicklung herkömmlicher Filterfragen<br />
und Filterführungen. Maßgeschneiderte<br />
Fragebögen, die eine große Zahl persönlicher<br />
Informationen als Befragungsinput verarbeiten<br />
oder sogar erst im Interview erzeugen können,<br />
werden dadurch möglich. Moderne Verfahren<br />
erlauben sinnvolle Verknüpfungen dieser idiosynkratischen<br />
Informationen in quantitativen<br />
Datenanalysen. Soziale Netzwerkdaten können<br />
damit valider als bisher erhoben werden.<br />
Allerdings erlaubt die Offenheit der Namensgeneratoren<br />
zugleich eine Antwortverzerrung<br />
„nach unten“.<br />
FAZIT
NETZWERKERHEBUNGEN<br />
EINLEITUNG<br />
LITERATUR<br />
ALLBUS 2000 CAPI - PAPI: Codebuch ZA-Nr. 3450.<br />
Bayer, Michael (2004): Ein Versuch, das telefonische Interview<br />
zu verstehen In: Michael Bayer und Sören Petermann (Hrsg.):<br />
Soziale Struktur und wissenschaftliche Praxis im Wandel. Festschrift<br />
für Heinz Sahner. Wiesbaden: VS Verlag. S. 157-180<br />
Burt, Ronald S. (1980): Models of Network Structure, Annual<br />
Review of Sociology 6, S. 79-141.<br />
Däumer, Roland (1997): Vom demokratischen Zentralismus<br />
zur Selbstverwaltung: Verwaltungen und Vertretungen kleiner<br />
kreisangehöriger Gemeinden Ostdeutschlands im Transformationsprozeß<br />
(Raum Halle: Saalkreis). Hamburg: Kovac<br />
Fuchs, Marek (1994): Umfrageforschung mit Telefon und<br />
Computer. Einführung in die computergestützte telefonische<br />
Befragung. Weinheim: Beltz<br />
Kreiselmaier, Jutta / Porst, Rolf (1989): Methodische Probleme<br />
bei der Durchführung telefonischer Befragungen. Stichprobenziehung<br />
und Ermittlung von Zielpersonen, Ausschöpfungen und<br />
Non-Response, Qualität der Daten. Mannheim: Zentrum für<br />
Umfragen, Methoden und Analysen<br />
Laumann, Edward O. / Pappi, Franz Urban (1976): Networks<br />
of Collective Action. A Perspective on Community Influence<br />
Systems. New York: Academic Press<br />
Petermann, Sören (2000): Die Erhebung sozialer Netzwerke im<br />
computerunterstützten Telefoninterview. Eine Methodendiskussion<br />
zum Forschungsprojekt Soziale Vernetzung städtischer und<br />
ländlicher Bevölkerungen am Beispiel der Stadt Halle/Saale.<br />
Halle: Martin- Luther-<strong>Universität</strong> Halle-Wittenberg, Institut<br />
für Soziologie<br />
Petermann, Sören (2001): Soziale Vernetzung städtischer und<br />
ländlicher Bevölkerungen am Beispiel der Stadt Halle. Abschlussbericht<br />
und Codebuch. Der Hallesche Graureiher 2001-2.<br />
Forschungsberichte des Instituts für Soziologie. Martin-Luther-<br />
<strong>Universität</strong> Halle-Wittenberg<br />
Petermann, Sören (2002): Persönliche Netzwerke in Stadt und<br />
Land: Siedlungsstruktur und soziale Unterstützungsnetzwerke<br />
im Raum Halle/Saale. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag<br />
Petermann, Sören (2005): Einsatzmöglichkeiten der Netzwerkanalyse<br />
am Beispiel politischer und administrativer Führungskräfte.<br />
Erscheint In: Aderhold, Jens / Meyer, Matthias / Wetzel,<br />
Ralf (Hrsg.): Modernes Netzwerkmanagement. Anforderungen<br />
- Methoden - Anwendungsfelder. Wiesbaden: Gabler,S. 343-<br />
365<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>, 2004: Arbeits- und Ergebnisbericht 2001 - 2004.<br />
<strong>Jena</strong>/Halle: Sonderforschungsbereich <strong>580</strong><br />
Schulenburg, Klaus (1999): Direktwahl und kommunalpolitische<br />
Führung. Der Übergang zur neuen Gemeindeordnung in<br />
Nordrhein-Westfalen. Basel: Birkhäuser<br />
Nienaber, Georg (2004): Direkt gewählte Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen:<br />
Positionierung zwischen Bürgern, Politik und<br />
Verwaltung im Fokus von Effektivierung und Demokratisierung<br />
der lokalen Ebene. Marburg: Tectum<br />
Marsden, Peter V. (1987): Core Discussion Networks of Americans,<br />
American Sociological Review 52, S. 122-131<br />
Seite 65
CATI IM EINSATZ<br />
DER INDUSTRIE-<br />
S O Z I O L O G I S C H E N<br />
UND PERSONAL-<br />
WIRTSCHAFTLICHEN<br />
FORSCHUNG<br />
Seite 66
TELEFONISCHE EINLEITUNG EXPERTENINTERVIEWS<br />
Kapitel 6<br />
TELEFONISCHE EXPERTENINTERVIEWS<br />
MIT MANAGERN – NUTZEN, ANFORDE-<br />
RUNGEN, PRAXIS<br />
CATI IM EINSATZ DER INDUSTRIESO-<br />
ZIOLOGISCHEN FORSCHUNG ZU PER-<br />
SONALWIRTSCHAFT UND REGIONALEN<br />
ARBEITSMÄRKTEN<br />
Thomas Engel, Michael Behr<br />
In der Werkzeugkiste der Methoden, derer<br />
sich Sozialforscher bei der Konzeption ihrer<br />
Forschungsdesigns bedienen, spielt das<br />
Experteninterview oder die Expertenbefragung<br />
als Instrument für einen qualitativen Ansatz<br />
eine Schlüsselrolle. Eine Expertenbefragung<br />
lässt sich definieren als „eine ermittelnde<br />
Befragung, bei der sich die Befragungsperson<br />
durch einschlägiges Wissen auszeichnet und<br />
Zielobjekt der Informationsbeschaffung ist“<br />
(Frackmann 1980, S. 34). Im Gegensatz zu<br />
anderen Interviewformen z.B. des narrativen,<br />
des fokussierten, des biographischen oder des<br />
Leitfadeninterviews – orientiert sich dieses<br />
Instrument von vornherein auf eine Zielgruppe<br />
und richtet seine Vorgehensweise an deren<br />
„vorgängigen Regeln der alltagsweltlichen<br />
Kommunikation“ (Schütze u.a. 1981, S. 434)<br />
aus. 1 Lange Zeit stand in der qualitativen Sozialforschung<br />
das Paradigma des narrativen<br />
Interviews im Vordergrund, in dem sich der<br />
Interviewer neutral, auf keinen Fall intervenierend,<br />
zu verhalten hat. Rainer Trinczek (1995)<br />
arbeitet besonders pointiert heraus, dass das<br />
Experteninterview dagegen in der Alltagswelt<br />
Betrieb auf eine argumentativ-diskursive<br />
Gesprächsführung setzen muss, weil die Gesprächspartner<br />
diese Kommunikationsstruktur<br />
kennen und diesen Stil von ihrem Gegenüber<br />
gleichermaßen erwarten. Diese völlig zu Recht<br />
formulierte Anforderung an das Experteninterview<br />
darf aber nicht zu der Schlussfolgerung<br />
führen, das Instrument sei kein geeignetes Verfahren<br />
zur systematischen Datengenerierung<br />
(vgl. Pfadenhauer 2002), wie wir am Beispiel<br />
des telefonischen Experteninterviews<br />
zeigen wollen.<br />
Seite 67<br />
Der vorliegende Text schlägt den<br />
Bogen von den kommunikativen<br />
Anforderungen, die herkömmliche Faceto-Face-Experteninterviews<br />
mit Managern<br />
sowie anderen betrieblichen Akteuren mit sich
TELEFONISCHE EINLEITUNG EXPERTENINTERVIEWS<br />
bringen, zu den kommunikativ-technischen<br />
Möglichkeiten computergestützter Telefoninterviews<br />
(CATI). Es soll gezeigt werden,<br />
dass telefonische Experteninterviews mit<br />
Managern unter anspruchsvollen Voraussetzungen<br />
sehr gute Ergebnisse generieren, und<br />
unabhängig von rein forschungsökonomischen<br />
und budgettechnischen Erwägungen durchaus<br />
sowohl qualitativen als auch quantitativen Ansprüchen<br />
2 genügen können.<br />
Eine weitere Intention des Beitrags ist es,<br />
methodische Gestaltungsspielräume und Grenzen<br />
von computergestützten Telefoninterviews<br />
bei der Expertenbefragung zu diskutieren. Herausgearbeitet<br />
werden verschiedene Aspekte<br />
der Qualitätssicherung und Anforderungen,<br />
die sich im Laufe des Forschungsprozesses<br />
durch Einsatz dieses Instruments ergeben.<br />
Im folgenden wird die These vertreten, dass<br />
CATI besonders geeignet ist für die Befragung<br />
von Mitgliedern des betrieblichen Managements,<br />
von Vertretern aus dem Bildungs- und<br />
Forschungsbereich sowie Leitungspersonal<br />
sowie Fachexperten aus intermediären Organisationen,<br />
für die generell strukturierte<br />
Kommunikation eine große Rolle spielt und<br />
deren tägliche Arbeit stark durch das Kommunikationsmedium<br />
Telefon geprägt ist. Diese<br />
Zielgruppen erfordern einen professionellen<br />
Umgang in der Vor- und Nachbereitung und<br />
in der Durchführung von Interviews.<br />
Dieser Befragungstyp hat wenig ge-<br />
Seite 68 meinsam mit Haushaltsbefragungen<br />
in der Markt-, Produktimage- oder<br />
Wahlforschung, die typischerweise im<br />
Auftrag von größeren Firmen oder Instituten<br />
von professionellen Call-Centern abgewickelt<br />
werden.<br />
Die empirische Grundlage für unsere<br />
Überlegungen liefern Erfahrungen aus einer<br />
großen Zahl von Telefonbefragungen, die von<br />
den Autoren seit 1998 – ursprünglich angeregt<br />
durch Burkart Lutz während des von der<br />
VW-Stiftung geförderten Projekts „Bildung,<br />
Arbeitsmarkt und Beschäftigung in postsozialistischen<br />
Gesellschaften – Destrukturierung<br />
und mühsame Restrukturierung einer komplexen<br />
Beziehung“ – im Rahmen zahlreicher<br />
Untersuchungen zum ostdeutschen Arbeitsmarkt,<br />
zur Wirtschaftsstruktur und zum Beschäftigungssystem<br />
durchgeführt wurden. 3<br />
Dazu gehören Studien zur Regionalentwicklung,<br />
Branchenpotential- sowie Personal- und<br />
Qualifikationsbedarfsanalysen. Dabei wurden<br />
Geschäftsführer aus Unternehmen in einigen<br />
Schwerpunktregionen Mitteldeutschlands wie<br />
der Region Dessau im Bereich Metall / Elektro,<br />
der Optikregion <strong>Jena</strong>, der Automobil- und<br />
Maschinenbauregion Südwestsachsen bereits<br />
mehrfach befragt. 4<br />
Die Reflexionen über das Instrument ,Telefonische<br />
Expertenbefragung’ beruhen auf<br />
intensiven Diskussionen über die Vor- und<br />
Nachteile sowie den laufenden Verbesserungen<br />
von CATI unmittelbar im konkreten Forschungskontext<br />
und dem Vergleich mit ähnlich<br />
gelagerten, aber auf Fallstudien setzenden<br />
Projekten. 5<br />
1. WANDEL DER FORSCHUNGSDESIGNS: VON<br />
FALLSTUDIEN MIT FACE-TO-FACE-EXPERTEN-<br />
INTERVIEWS ZU CATI-BEFRAGUNGEN MITTLE-<br />
RER FALLZAHLEN<br />
Seit Ende der 90er Jahre erschließt sich die<br />
Industrie- und Wirtschaftssoziologie sowie
TELEFONISCHE EINLEITUNG EXPERTENINTERVIEWS<br />
die Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Managementforschung<br />
zunehmend die Möglichkeiten<br />
der CATI-Befragung. Vergleicht man Forschungsdesigns<br />
aus Projektanträgen der 70er<br />
Jahre und Anfang der 80er Jahre mit denen der<br />
90er Jahre fällt auf, dass die Orientierung an<br />
größeren Fallzahlen stark zugenommen hat.<br />
Die Bewilligungschancen qualitativer Studien,<br />
die sich ausschließlich auf einige wenige<br />
vertiefende Einzelfallanalysen im Rahmen<br />
elaborierter Fallstudiendesigns stützen, sind<br />
geringer geworden. Demgegenüber werden<br />
mittlere Fallzahlengrößen gefordert, um der<br />
Gefahr einer kurzschlüssigen Generalisierung<br />
einzelner Fälle entgegenzuwirken. Gestützt<br />
wurde die Forderung nach größeren Fallzahlen<br />
durch die zunehmende Infragestellung des<br />
ursprünglichen modernisierungstheoretischen<br />
Ansatzes in der Industrie-, Arbeits- und<br />
Wirtschaftssoziologie, demzufolge Kapitalverwertungsimperative<br />
relativ bruchlos in betriebliche<br />
Arbeitsstrukturen und Personalpolitiken<br />
durchschlagen. Mit der Stärkung der Position,<br />
dass mikropolitische und akteurspezifische<br />
Konstellationen in hohem Maße an Bedeutung<br />
gewinnen und damit das Maß an Kontingenz<br />
und Konzeptionspluralismus steigt, steigt<br />
der Bedarf an Studien und Fallzahlen, die es<br />
möglich machen, das Spektrum an Varianz<br />
abzubilden.<br />
Darüber hinaus stieg das Interesse, das<br />
Maß an ‚qualitativer Repräsentanz’ von Aussagen<br />
aus Fallstudien auf die Grundgesamtheit<br />
insgesamt zu übertragen. Auch von Seiten der<br />
Auftraggeber und Projektfinanziers erhöht<br />
sich der Druck auf das wissenschaftliche<br />
Gütekriterium der Repräsentativität von Forschungsergebnissen.<br />
Aus diesem Anspruch<br />
heraus, entwickelten sich teilweise Mix-Designs,<br />
die sowohl vertiefende Einzelfallstudien<br />
– in denen die Fallspezifik besonders<br />
gründlich herausgearbeitet werden konnte<br />
– als auch Breitenerhebungen vorsahen. Der<br />
Industrie- und Arbeitssoziologie kommt dabei<br />
zugute, dass sie methodische Grundsatzfragen<br />
ohnehin leichter zugunsten einer an Theoriebildung<br />
und der Gewinnung nachvollziehbarer<br />
empirischer Ergebnisse zurückzustellen bereit<br />
war. Der ‚methodologische Pragmatismus’ der<br />
Industrie- und Arbeitssoziologie befördert dabei<br />
Entwicklungen, die Forschungsdesigns mit<br />
breiter Instrumentennutzung vorsehen.<br />
Genau für diese Strategie der Ausweitung<br />
von Fallzahlen bei gleichzeitig hoher Skepsis<br />
gegenüber standardisierten schriftlichen Befragungen<br />
bot sich das qualifizierte Telefoninterview<br />
auf Basis der Methodik des systematisierenden<br />
Expertengespräches (im Gegensatz<br />
zum explorativen und theoriegenerierenden<br />
Expertengespräch – zur Unterscheidung vgl.<br />
Bogner/Menz 2002) an.<br />
In dem Maße wie sich die Einsatzmöglichkeiten<br />
des Instruments verbesserten und<br />
effizienter wurden, kann die Forschung diesem<br />
gestiegenem Anspruch nachkommen. Klassische<br />
Face-to-Face-Interviews werden weiterhin<br />
eine wichtige Rolle in der explorativen<br />
Phase und der Problemgenerierung behaupten.<br />
Methodisch belastbar werden dagegen die<br />
Aussagen, die sich auf größere Fallzahlen<br />
stützen, und unter kontrollierten<br />
Bedingungen entstanden sind.<br />
Sieht man einmal von der<br />
Möglichkeit sehr ausführlicher und langer<br />
Vor-Ort-Interviews ab, in denen zwischen<br />
Interviewer und Interviewtem ein besonderes<br />
Seite 69
TELEFONISCHE EINLEITUNG EXPERTENINTERVIEWS<br />
Vertrauensverhältnis entsteht, wobei die Gesprächspartner<br />
regelrecht eine Deutungs- und<br />
Interpretationsgemeinschaft bilden und sich<br />
gemeinsam in den „Entdeckungszusammenhang“<br />
wissenschaftlicher Forschungsprobleme<br />
verstricken lassen, lässt sich zwischen beiden<br />
Interviewformen kein wesentlicher Qualitätsverlust<br />
feststellen. Im Gegenteil, das Telefon<br />
bringt gegenüber dem direkten Gespräch vor<br />
Ort sogar gewisse Vorteile für die Interviewführung.<br />
6<br />
2. KOMMUNIKATIV-TECHNISCHE ANFORDE-<br />
RUNGEN AN EXPERTENINTERVIEWS<br />
2.1 Erwartungen der Probanden<br />
Ausgehend von einem Ansatz der Methodenwahl<br />
entsprechend der alltagsweltlichen<br />
Kommunikationserfahrungen unserer Probanden<br />
ist zunächst die Frage zu beantworten,<br />
welche (kommunikativen) Erwartungen haben<br />
Manager und andere betriebliche Akteure an<br />
eine Interviewsituation, vor die sie sich durch<br />
Sozialwissenschaftler gestellt sehen. Der<br />
betriebliche Alltag enthält eine Reihe von Gesprächsroutinen,<br />
die regelmäßig zu absolvieren<br />
sind (wöchentliche Arbeitsgruppenbesprechungen,<br />
Betriebsversammlungen, Vorstandssitzungen,<br />
Mitarbeitergespräche u.ä.), aber<br />
auch spontane oder kurzfristig anberaumte<br />
Problemlösungs- und Fachgespräche.<br />
Ergebnisse dieser Gespräche<br />
Seite 70 sind immer handlungsstrukturierende<br />
Termine, Zielverabredungen und eine<br />
Planung nächster Tätigkeitsschritte.<br />
Das Interview mit einer Forschungsgruppe<br />
bedeutet zunächst ein Ausnahmezustand im<br />
Tagesablauf, weil dieses Gespräch voraussichtlich<br />
keine Handlungsstrukturierung hervorbringen<br />
wird, man also ohne ein strategisches<br />
Ziel in das Treffen gehen kann. Zudem zieht es<br />
Zeit von der Erledigung des Alltagsgeschäftes<br />
ab, ohne dass dies als Investition interpretiert<br />
werden kann. 7<br />
Diese Prämissen zwingen den Interviewer<br />
dazu, den Gesprächspartner zunächst bei seinem<br />
(Spezial-)Thema abzuholen, um ihn für<br />
das Gespräch zu gewinnen. Aus den ersten Frage-Antwort-Sequenzen<br />
muss deutlich werden,<br />
warum das Gespräch mit dieser Person geführt<br />
werden muss, weil nur dieser Weg zu im Sinne<br />
des Studienzieles wertvollen Erkenntnissen<br />
führt. Dies leistet kein Ansatz besser als die Anerkennung<br />
des Gesprächspartners als Experten<br />
für den betrieblichen Alltag. Solche Themen<br />
beziehen sich in unseren Studien vor allem auf<br />
konkrete Handlungsfelder betrieblicher Politik<br />
– wie Fragen zur Qualifizierung, Personalrekrutierung,<br />
Innovationsroutinen, Produktionsabläufe,<br />
Arbeitszeitregelungen, Fragen zur<br />
Marktintegration, Kooperationsbeziehungen,<br />
Austausch mit Aus- und Weiterbildungsträgern<br />
u.a.. Durch die Ansprache dieser Themen<br />
weist der Interviewer sein Interesse aus, macht<br />
aber auch deutlich, dass er ebenso als Experte<br />
(zwar mit einem anderen, möglicherweise zur<br />
betrieblichen Realität komplementären Blickwinkel)<br />
angesehen werden kann 8 : „Je mehr<br />
man im Verlauf des Interviews in der Lage ist,<br />
immer wieder kompetente Einschätzungen,<br />
Gründe und Gegenargumente einfließen zu<br />
lassen, umso eher sind Manager bereit, nun<br />
ihrerseits ihr Wissen und ihre Positionen auf<br />
den Tisch zu legen – und ihre subjektiven<br />
Relevanzsstrukturen und Orientierungsmuster<br />
in nicht-strategischer Absicht offenzulegen.“<br />
(Trinczek 1995, S. 65)
TELEFONISCHE EINLEITUNG EXPERTENINTERVIEWS<br />
Würde man dagegen mit der Bitte um eine<br />
längere narrative Sequenz starten, setzt man<br />
den Gesprächspartner einer Situation aus, die<br />
er aus seiner Kommunikationserfahrung des<br />
betrieblichen Alltags nicht kennt und möglicherweise<br />
als Provokation bewertet. Die enge<br />
Zeitplanung von Vertretern des Managements<br />
hat zur Folge, dass bereits im Vorfeld der<br />
Terminvereinbarung „um jede Viertelstunde<br />
gefeilscht worden war“ (ebd., S. 63). Schon<br />
allein dieses hohe Zeitreglement muss auf der<br />
Forschungsseite zu einer angepassten Interviewstrategie<br />
führen, die Rücksicht auf den<br />
durch den Gesprächspartner vorgegebenen<br />
Zeitrahmen nimmt.<br />
Ist das Interesse erst einmal geweckt, können<br />
persönliche Expertengespräche schnell<br />
einige Stunden beanspruchen. 9 Dann erzielen<br />
sie auch den Effekt, dass sich Geschäftsführer<br />
ausgiebig der Reflexionsmöglichkeiten über ihr<br />
Handeln und ihre Strategien bedienen und sich<br />
am Ende für das Gespräch bei dem Interviewer<br />
bedanken.<br />
Rudi Schmidt spricht sogar davon 10 , dass<br />
Befragte aus der Gruppe des betrieblichen Managements<br />
immer auch einen Nutzeneffekt erwarten,<br />
weshalb eine annähernd symmetrische<br />
Kommunikation unabdingbar sei (vgl. Sahner<br />
2002, S. 33). Tatsächlich lässt sich diese Erwartungshaltung<br />
beobachten, wenn beispielsweise<br />
ein noch sehr junges Forscherteam gestandenen<br />
Geschäftsführern mittleren Alters gegenüber<br />
sitzt und diese ihre Enttäuschung, „warum<br />
denn der Professor nicht selbst hat kommen<br />
können“ nicht verhehlen. Der (vermeintlich)<br />
ausbleibende Nutzeneffekt resultiert in diesem<br />
Fall aus nicht erfüllten Statuserwartungen.<br />
D.h., hier erfüllt das Expertengespräch auch<br />
eine Funktion als Gelegenheit zur Selbstdarstellung<br />
bzw. Selbstinszenierung des Managements,<br />
in der die Expertenrolle gegenüber dem<br />
Forscher besonders herausgestellt wird.<br />
Für telefonische Expertenbefragungen<br />
gehen wir von vergleichbaren Erwartungsmustern<br />
aus und nutzen diese, um unsere<br />
Befragungsdesigns zu konzipieren. Das<br />
Gespräch per Telefon gehört unbestritten zu<br />
den wichtigsten Kommunikationsroutinen<br />
im Manageralltag. Die Diskrepanz zwischen<br />
handlungsstrukturierender Funktion eines solchen<br />
Telefongespräches gegenüber dem Telefoninterview<br />
hat vergleichbare Konsequenzen<br />
der Gesprächsgestaltung zur Folge wie die<br />
Face-to-Face-Variante. Auch hier gilt es das<br />
Expertenwissen unter Berücksichtigung der<br />
zeitlich engen Vorgaben abzufragen und möglichst<br />
einen Nutzen-effekt für den Gesprächspartner<br />
zu erzielen. Allerdings spielt der letztgenannte<br />
Aspekt keine so starke Rolle beim<br />
Telefoninterview: Der subjektiv empfundene<br />
zeitliche Gewinn bei der Entscheidung für das<br />
Telefongespräch (gegenüber dem Gespräch<br />
vor Ort) führt auch dazu, dass die Erwartung<br />
an den persönlichen unmittelbar-erfahrbaren<br />
Reflexionsnutzen deutlich abgesenkt wird. Das<br />
Telefon ist in dieser Wahrnehmung in erster<br />
Linie ein Koordinations- kein Gesprächsinstrument.<br />
11<br />
Einen entscheidenden Vorteil<br />
gegenüber dem klassischen Face-to-<br />
Face-Gespräch kann das telefonische<br />
Seite 71<br />
Experteninterview von vornherein für<br />
sich verbuchen: Die Statusasymmetrie<br />
zwischen Interviewer und Interviewtem stellt<br />
einen geringeren Grund für Interviewscheitern<br />
dar, da sich der Kontakt und die damit
TELEFONISCHE EINLEITUNG EXPERTENINTERVIEWS<br />
Seite 72<br />
einhergehende soziale Verortung nur über<br />
die Stimme erschließen. Das ermöglicht den<br />
Einsatz von erfahrenen in Fragestellung und<br />
Instrument gut eingearbeiteten Studenten und<br />
jungen Wissenschaftlern, die im Gespräch vor<br />
Ort wesentlich größere Akzeptanzschwierigkeiten<br />
hätten. Damit geht eine größere Akzeptanz<br />
von Positionsdifferenzen auf Seiten der<br />
Manager einher. Dagegen ist im Gespräch vor<br />
Ort das jüngere Alter sofort ein Anhaltspunkt<br />
für die Zuschreibung von Wissens- und Erfahrungsdefizite<br />
in Bezug auf die betriebliche<br />
Realität – gleichgültig ob gerechtfertigt oder<br />
nicht.<br />
2.2 Verlauf und Typen von Expertengesprächen<br />
Wie bereits angedeutet, können sich im<br />
Verlauf des klassischen Face-to-Face-Expertengespräches<br />
Erwartungshaltung und<br />
Offenheit des Interviewpartners verändern,<br />
vorausgesetzt grundlegende Bedingungen<br />
wie eine annähernde Statussymmetrie oder<br />
das Einlassen auf „Small-Talk“ in der Begrüßungsprozedur<br />
sind erfüllt. Aus einem Frage-<br />
Antwort-Spiel zu Beginn entwickelt sich im<br />
Idealfall ein diskursives Gespräch, in dem Argumente<br />
ausgetauscht werden. Auf dem Höhepunkt<br />
des Gesprächs zielt die Fragestellung<br />
auf ein anspruchsvolles Reflexionsniveau, wie<br />
z.B. durch die Einordnung des Forschungsgegenstands<br />
in die subjektive<br />
Relevanzstruktur oder die sachliche,<br />
zeitliche und soziale Reflexion von<br />
Strategien, Handlungsweisen, Wissensgrundlagen.<br />
Gewinnbringende<br />
Einsichten in diesem Stadium des Interviews<br />
resultieren aus dem Vermögen des Interviewers,<br />
die Position des Gegenübers (zumindest theoretisch)<br />
zu verstehen und diese Position dann<br />
kontrovers zu diskutieren. Zu diesem Zeitpunkt<br />
entwickelt sich das Expertengespräch<br />
tatsächlich zu einem Gespräch unter Experten.<br />
In einem Face-to-Face-Expertengespräch erreicht<br />
man dieses Stadium mitunter mehrmals<br />
– gleichsam Höhepunkte im Gesprächsverlauf,<br />
deren Häufigkeit bzw. Konstanz der Dauer von<br />
dem Geschick der interviewenden Forscher<br />
abhängt. Inhaltlicher Gegenstand zu diesem<br />
Zeitpunkt sind natürlich die Kernthemen und<br />
-thesen der Befragung. Schließlich das formale<br />
Ende, bei erfolgreichen Gesprächen häufig<br />
verbunden mit dem Angebot, jederzeit wieder<br />
nachfragen und mit einer Fortsetzung der Diskussion<br />
rechnen zu können.<br />
Dieser idealtypische Verlauf eines Face-to-<br />
Face-Expertengespräches birgt einige Fallstricke<br />
für telefonische Expertenbefragungen, die<br />
sich zum einen strukturell am Verlauf erklären<br />
lassen aber auch Gründe in den unterschiedlichen<br />
Darstellungsbedürfnissen von Gesprächspartnern<br />
haben können. Grundlegend folgt das<br />
telefonische Expertengespräch dem gleichen<br />
Muster (1) Frage-Antwort-Spiel zu Beginn,<br />
(2) Bearbeitung der Kernthesen unter Berücksichtigung<br />
diskursiver, argumentativ-strukturierender<br />
Elemente und (3) Herbeiführung<br />
des Gesprächsendes mit der Vergewisserung<br />
des Interesses an weiterer Kontaktpflege und<br />
Austausch über die Ergebnisse.<br />
Die starke, durch CATI vorgegebene Strukturierung<br />
des Gesprächsverlaufes entspricht<br />
jedoch nicht dem mehr oder weniger stark<br />
strukturierenden Leitfaden des Face-to-Face-<br />
Experteninterviews (vgl. Kanwischer 2002, S.<br />
98). D.h., insbesondere die diskursive Ebene<br />
spielt in der Anlage des Telefoninterviews
TELEFONISCHE EINLEITUNG EXPERTENINTERVIEWS<br />
eine geringere Rolle. Das bedeutet auch eine<br />
Einschränkung der explorativen Erkenntnisgewinnerwartung<br />
zugunsten stärker vergleichbarer<br />
und damit belastbarerer Daten.<br />
Ein weiterer Unterschied besteht in der<br />
Anzahl und Dauer der „Höhepunkte“ des<br />
Gespräches. Die Zahl der Kernthesen, die<br />
behandelt werden können, mag aufrechtzuerhalten<br />
sein. Die standardisierte oder die durch<br />
die automatisierte Filterführung für bestimmte<br />
Betriebs- und Expertentypen immer gleich<br />
modifizierte Abfrage von Daten, Erfahrungen,<br />
Handlungsweisen erlaubt jedoch keine spezifisch<br />
angepasste Kommunikationsstrategie, um<br />
wie in leitfadengestützten Interviews Seitenpfaden,<br />
Hinweisen auf besondere Vorkommnisse<br />
im Betriebsalltag o.ä. nachzugehen. Auf<br />
diese Weise sinken natürlich Zahl und Dauer<br />
der Gesprächshöhepunkte entsprechend der<br />
Verkürzung des Zeitrahmens gegenüber herkömmlichen<br />
Face-to-Face-Interviews. Ein<br />
entsprechend geschultes Interviewerpersonal<br />
und ein vorab dafür berücksichtigter Zeitraum<br />
im Fragenverlauf können diese Schwäche etwas<br />
kompensieren.<br />
Eine wichtige Einflussgröße für die erfolgreiche<br />
Durchführung klassischer Experteninterviews<br />
können unterschiedliche Typen von<br />
Interviewpartnern darstellen. Das Spektrum<br />
reicht dabei von Störgrößen wie „Selbstinszenierung<br />
mit kathartischen Effekten“ (Trinczek<br />
1995, S. 64), einem „Nicht-Zulassen-Können<br />
an diskursiver Kommunikation“ (Kern/Kern/<br />
Schumann 1988, S. 93) und der „Verdrängung<br />
anderer berechtigter Weltsichten“ (ebd., S. 94)<br />
bis hin zu begünstigendem Interviewverhalten,<br />
das die komplementäre Expertensicht des<br />
Sozialwissenschaftlers ernsthaft in der Diskussion<br />
zu berücksichtigen bereit ist: „Manager<br />
sind offensichtlich impliziten Diskursnormen<br />
verpflichtet. Inhaltlich begründete Interviewinterventionen<br />
werden nicht primär als lästige<br />
Störungen im Prozess der Selbstinszenierung<br />
empfunden; es scheint mitunter eher so zu sein,<br />
dass die Befragten nachgerade auf Gegenargumente<br />
warten, um diese mit ihren Argumenten<br />
dann umso effektvoller als inadäquat,<br />
weltfremd oder betriebsblind zurückweisen zu<br />
können.“ (Trinczek 1995, S. 64)<br />
Dagegen konnten wir in der telefonischen<br />
Expertenbefragung die Erfahrung machen,<br />
dass diese Unterschiede zwischen den verschiedenen<br />
Interviewverhaltensmustern nivelliert<br />
wurden. Der disziplinierende Charakter des<br />
Kommunikationsmediums Telefon – Erfahrungen<br />
mit Frage-Antwort-Routinen am Telefon<br />
hat jeder der befragten Manager – und die<br />
Beschränkung auf Hören und Sprechen sorgen<br />
für die Minderung dieser Störgröße. Natürlich<br />
kommt es auch vor, dass ein Gesprächspartner<br />
partout nicht mehr an die vorgegebene<br />
Fragestruktur zurückzuführen ist – aber diese<br />
Art von Ausschweifungen und Bevorzugung<br />
diskursiver oder gar konfrontativer Gesprächsformen<br />
sind außerordentlich selten.<br />
Trotz dieser Einschränkungen hinsichtlich<br />
der Diskursivität gegenüber der ursprünglichen<br />
Intentionen dieses Verfahrens halten wir daran<br />
fest: Experteninterviews per Telefon<br />
sind ein geeignetes Instrument, wenn<br />
bestimmte Voraussetzungen erfüllt<br />
Seite 73<br />
sind (siehe Abschnitt 3), und wenn<br />
die Zielstellung auf eine mittlere<br />
Fallzahl und hohe Vergleichbarkeit, also weniger<br />
auf Exploration ausgerichtet sind. Denn:<br />
Das Instrument ist den Ansprüchen des For-
TELEFONISCHE EINLEITUNG EXPERTENINTERVIEWS<br />
schungsgegenstandes angemessen, diszipliniert<br />
Interviewer und Interviewte, was sowohl den<br />
Kommunikationserwartungen der Probanden<br />
entgegenkommt als auch einen stark vorstrukturierten<br />
Output hervorbringt, es stellt nicht<br />
den Expertenstatus des Gesprächspartners<br />
infrage und ändert nichts am grundlegenden<br />
Charakter eines „handlungsentlastenden intellektuellen<br />
Austauschs“ (Trinczek 1995, S. 64)<br />
des Expertengespräches.<br />
3. ERFAHRUNGEN AUS DER PRAXIS CATI-<br />
GESTÜTZTER EXPERTENBEFRAGUNGEN<br />
3.1 Fragen- und Variablenumfang<br />
Insgesamt wurden im Rahmen unserer<br />
Forschungstätigkeiten in rund zehn Studien<br />
seit 1998 knapp 2.500 telefonische Interviews<br />
durchgeführt, darunter waren etwa 400 Wiederholbefragungen.<br />
Der Fragenumfang kann<br />
dabei sehr stark schwanken, im Durchschnitt<br />
arbeiten wir mit einer Fragenanzahl zwischen<br />
60 und 70. Diese Zahl kann zwischen dem<br />
doppelten und dem halben Umfang variieren.<br />
Für eine Bewertung des Aufwands einer<br />
Befragung ist darüber hinaus die Zahl der<br />
Variablen eine relevante Größe. Die aufwändigste<br />
Erhebung beinhaltete 430 Variablen,<br />
in der kleinsten Erhebung arbeiteten wir mit<br />
60 Variablen. Fragefilter spielen bei<br />
unserem Befragungstyp eine untergeordnete<br />
Rolle, d.h. ein Großteil<br />
Seite 74 der Fragen/Variablen kommt für die<br />
meisten Befragten tatsächlich zur<br />
Anwendung. Neben dem Fragen- und<br />
Antwortaufwand, der eine große Variablenzahl<br />
erzeugt, kalkulieren wir bei der Fragebogenentwicklung<br />
zunehmend auch den Auswertungsaufwand.<br />
Mitunter wird deshalb einer<br />
aggregierten Einschätzungsfrage der Vorzug<br />
gegeben vor einer Reihe von Einzelfragen, die<br />
den zu untersuchenden Aspekt gründlicher<br />
und in allen Einzelheiten erfassen könnten.<br />
Kurze Projektlaufzeiten können bei einem<br />
überbordenden, zu anspruchsvollen Instrument<br />
dazu führen, dass ein Teil der Variablen<br />
nie ausgewertet wird. Der Blick auf das zu<br />
erwartende Ergebnis und die Abschätzung des<br />
zu leistenden Aufwandes hilft das Instrument<br />
schlank zu halten.<br />
Für eine Befragung zur Erfassung der<br />
Tarifgestaltung in ostdeutschen Unternehmen<br />
der Metall- und Elektrounternehmen, die wir<br />
bei der Durchführung 2002 unterstützten,<br />
wurde ein Fragebogendesign entwickelt, das<br />
mit knapp 1.000 Variablen arbeitete (vgl.<br />
Hinke/Röbenack/Schmidt 2002). Aufgrund<br />
der Filterführung kamen im Durchschnitt 30%<br />
der Variablen pro Unternehmensfall zum Einsatz.<br />
Etwa 12% der Variablen liefen über alle<br />
Unternehmensfälle, der Rest blieb spezifischen<br />
Gruppen von Unternehmen vorbehalten, die<br />
in einem aufwändigen Verfahren ausgefiltert<br />
wurden. Die Gespräche dauerten entsprechend<br />
lange und waren in der Gestaltung zum Teil<br />
schwer zu führen, weil die Fragebogenstruktur<br />
kaum Spielraum für die Unwägbarkeiten einer<br />
Gesprächssituation zuließ.<br />
Eine der entscheidenden Vorteile von<br />
CATI, die antwortabhängige Navigation durch<br />
den Fragebogen, kann zu einem Handicap<br />
werden, wenn die Antwortvorgaben zu stark<br />
einschränken und zu eng an einer Fallspezifik<br />
orientiert sind. Die empirische Realität, wie<br />
sie in der Beschreibung der Unternehmenssituation<br />
und der persönlichen Vorlieben für
TELEFONISCHE EINLEITUNG EXPERTENINTERVIEWS<br />
eine Gesprächsführung bei den Experten zum<br />
Ausdruck kommt, beugt sich nur ungern einer<br />
‚Fragebogendiktatur’ von Sozialwissenschaftlern.<br />
3.2 Quantitativer vs. qualitativer Ansatz? Mix<br />
aus geschlossenen und offenen Fragen!<br />
In unseren Studien werden überwiegend betriebliche<br />
Experten befragt, darunter vor allem<br />
Geschäftsführer und Werksleiter sowie Personalleiter,<br />
kaufmännische Leiter, Abteilungsleiter<br />
Öffentlichkeitsarbeit, Ausbildungsleiter,<br />
Betriebsräte und andere aus den verschiedenen<br />
Bereichen der Geschäftsführung bzw. der<br />
Leitungsebene von Unternehmen. Wenn nicht<br />
Unternehmen im Interesse stehen, sondern<br />
Forschungs- und Bildungseinrichtungen oder<br />
Organisationen (z.B. aus dem öffentlichen<br />
Bereich), werden Träger entsprechender Leitungsfunktionen<br />
angesprochen.<br />
Die Eingrenzung unseres Untersuchungsgegenstandes<br />
‚Betrieb’ erfolgt meist entlang eines<br />
regionalen Branchenzuschnitts. Ein typisches<br />
empirisches Design sieht nach sondierenden<br />
Expertengesprächen in der zu untersuchenden<br />
Region und Branche – auf diese explorativen<br />
oder iterativen Face-to-Face-Gespräche kann<br />
in der Phase der Instrumententwicklung meistens<br />
nicht verzichtet werden – eine Reihe von<br />
Telefoninterviews vor. Die zu behandelnden<br />
Fragestellungen – Themen sind z.B.: der betriebliche<br />
Zugriff auf Arbeitsmärkte, Aus- und<br />
Weiterbildungsengagement von Unternehmen,<br />
Kooperationsentwicklung und Einbindung in<br />
Innovationsnetzwerke – lassen kein hochstandardisiertes<br />
Instrument zu. Sowohl Themenstellung<br />
als auch die zu befragende Gruppe<br />
erfordern ein Instrument, das sowohl Zahlen<br />
(Beschäftigte, Umsatz o.ä.), Fakten (Ausbildungsberufe,<br />
Produktprofil, o.ä.), Einschätzungen<br />
(z.B. die Versorgungssituation mit Ingenieuren<br />
auf dem Arbeitsmarkt) systematisch<br />
und vergleichbar erfasst, als auch offene Fragen<br />
und damit ein eher am Leitfaden orientiertes<br />
Gespräch zulässt. Die einschlägige Literatur<br />
über das CATI-Instrument hinterlässt den<br />
Eindruck, dass es für diese hohen Qualitätsund<br />
Flexibilitätsanforderungen nicht geeignet<br />
sei. 12 Entgegen dieser Intention haben wir gute<br />
Erfahrungen gesammelt mit dem Einsatz<br />
eines Fragebogens, der sowohl offene als auch<br />
geschlossene Fragen zulässt – das Verhältnis<br />
beträgt in der Regel etwa 1:2. Drei Gründe<br />
sprechen für die systematische Berücksichtigung<br />
von offenen Fragen:<br />
1. Offene Fragen lockern eine streng am<br />
Fragebogen geführte Interviewatmosphäre erheblich<br />
auf. Sie vermitteln dem Interviewpartner<br />
das Gefühl, an einem Gespräch teilzunehmen<br />
und erlauben Einschätzungen in eigenen<br />
Worten (ohne die üblichen Antwortvorgaben).<br />
Zum Teil gestalten wir die Fragen so, dass<br />
wir offen fragen und dann eine vorbereitete<br />
passende Antwortkategorie anbieten und<br />
vom Gesprächspartner bestätigen lassen: „Sie<br />
stimmen also dieser Aussage … eher zu/eher<br />
nicht zu?“. Außerdem lässt sich auf diese Weise<br />
eine Temposteuerung des Gespräches<br />
erreichen. Der Gesprächspartner<br />
braucht das Gefühl, dass er Teile des<br />
Seite 75<br />
Interviews schnell absolviert, aber<br />
auch die Gelegenheit hat, sich für<br />
wichtige Fragen Zeit nehmen zu können. Der<br />
Interviewer kann diese Dynamik durch offene<br />
und geschlossene Fragen vermitteln – Ant-
TELEFONISCHE EINLEITUNG EXPERTENINTERVIEWS<br />
wortvorgaben beschleunigen das Gespräch,<br />
offene Fragen nehmen das Tempo heraus.<br />
2. Neben der Wahrnehmung eines ‚echten‘<br />
Gespräches, das auf diese Weise entsteht, wird<br />
dem Experten durch offene Fragen Raum<br />
eingeräumt, seine Einschätzung ungefiltert<br />
mitzuteilen, anstatt ihn in eine starre Abfrageroutine<br />
einzuschließen. Diese Fragen bieten<br />
darüber hinaus die Möglichkeit, vom Thema<br />
abzuschweifen – bei sorgfältiger Dokumentation<br />
bieten diese ‚Nebenantworten’ wertvolle<br />
Hinweise für eine hochwertige Diskussion<br />
bei der Auswertung der empirischen Befunde<br />
und eine Weiterentwicklung der Fragestellung.<br />
Auch ein Verschlagwortungsverfahren (z.B.<br />
mit Hilfe des Auswertungsprogrammes MA-<br />
XQDA) bietet sich dafür an. Dieser Fragetyp<br />
stärkt somit den Expertenstatus des Befragten,<br />
indem es tatsächlich die Mitteilung von Expertenwissen<br />
zulässt.<br />
3. Michael Bayer (2002, S. 15) weist darauf<br />
hin, dass die Vorgabe von Antworten durch<br />
die telefonische Präsentation stark begrenzt<br />
wird. Dieses Defizit des Instruments könne<br />
man ausgleichen durch eine Einschränkung<br />
und randomisierte Vorgabe der Antwortmöglichkeiten<br />
(bei kleineren, für unser Design<br />
typischen Fallzahlen unter 300 problematisch)<br />
oder durch offene Fragen. Für Experteninterviews<br />
des hier vorgestellten Typs<br />
eignet sich vor allem letztere Variante.<br />
Seite 76 Schließlich bieten neuere CATI-<br />
Versionen die Möglichkeit, jede Frage<br />
bzw. Antwort zusätzlich mit einem<br />
Kommentar zu versehen. Diese Option ist<br />
fast genau so wertvoll wie die offenen Fragen<br />
selbst, denn häufig erzeugen geschlossene<br />
Fragen zusätzlichen Erklärungsbedarf auf<br />
Seiten der Befragten. Diese Abweichung vom<br />
vorgegebenen Frage-Antwort-Spiel stellt eigentlich<br />
eine Störung im Interviewverlauf dar.<br />
Die Interviewer werden entsprechend geschult,<br />
dass die zusätzlich gewonnenen Informationen<br />
protokolliert werden und die Gesprächspartner<br />
den vorgesehenen Leitfaden wieder aufnehmen.<br />
In Ausnahmefällen kommt es zu gravierenden<br />
Abweichungen. In diesem Fall kann<br />
das Klammern an die vorgegebene Fragedramaturgie<br />
den Gesprächspartner verärgern,<br />
wenn nicht sogar zu einem Interviewabbruch<br />
veranlassen. Auch hier ist ein geschickter<br />
Interviewer gefragt, der in der Lage ist, das<br />
Frageset ohne die vorgegebene Reihenfolge abzuarbeiten.<br />
Voraussetzung dafür ist als ‚Sicherheitsleine’<br />
die Vorlage einer Papierversion des<br />
Fragebogens. Mit dieser Hilfe kann zwischen<br />
verschiedenen Fragen hin- und hergesprungen<br />
werden, was die herkömmlichen CATI-Programme<br />
nur umständlich erlauben, ohne dass<br />
der Gesprächspartner große Störungen im<br />
Gesprächsverlauf bemerkt.<br />
3.3 Zeitlicher Umfang – Anforderungen an<br />
eine schnelle und effektive Durchführung<br />
Eine solche Fragebogengestaltung, die<br />
nicht ausschließlich starre Antwortvorgaben<br />
anbieten und die den Unwägbarkeiten eines<br />
Interviews Platz einräumen, führt natürlich<br />
insgesamt zu längeren Gesprächen. 20 bis 30<br />
Minuten sind für einen Fragebogen mit 200 bis<br />
300 Variablen (mit selten und kurz gesetzten<br />
Filtern) Standard. In einer Reihe von Erhebungen<br />
lag die mittlere Interviewdauer auch<br />
schon bei 45 Minuten.
TELEFONISCHE EINLEITUNG EXPERTENINTERVIEWS<br />
Man hat aber geringe Akzeptanzprobleme,<br />
wenn die Gesprächspartner dadurch tatsächlich<br />
den Eindruck bekommen, als Experten<br />
und nicht ausschließlich als Datenlieferanten<br />
befragt worden zu sein. Einige Geschäftsführer,<br />
begreifen eine telefonische Befragung als<br />
Gelegenheit, über langfristige Strategien und<br />
regionale, branchenbezogene oder gesellschaftliche<br />
Entwicklungen nachzudenken, die Ihnen<br />
im Alltagsgeschäft selten eingeräumt wird.<br />
Der insgesamt zu kalkulierende Zeitaufwand<br />
bei einem solchen Befragungstyp mit<br />
etwa 300 Fällen liegt bei etwa einem Monat.<br />
Eine derart schnelle Laufzeit lässt sich aber<br />
nur realisieren, wenn bestimmte Bedingungen<br />
erfüllt sind. Einige dieser, im folgenden aufgelisteten<br />
Faktoren können als Optimierungskriterien<br />
für CATI-Befragungen von Experten<br />
im Rahmen der skizzierten Forschungs- und<br />
Fragedesigns gelesen werden. 13<br />
- Die Verfügbarkeit über einen Interviewerstamm<br />
von etwa fünf bis sechs erfahrenen<br />
Studenten und Mitarbeitern, die die Fragestellung<br />
kennen und den Gesprächstyp kommunikativ<br />
gut beherrschen, ist ein wichtiger<br />
Erfolgsfaktor. Eine solche Gruppe muss systematisch<br />
aufgebaut und gepflegt werden. Die<br />
Interviewer müssen zudem in der Lage sein, sich<br />
intern schnell und effektiv abzustimmen, z.B.<br />
um vereinbarte Interviewtermine bei Terminhäufung<br />
mit den notwendigen, fallspezifischen<br />
Hintergrundinformationen weiterzugeben. Als<br />
erfolgreiche Instrumente zur Sicherstellung<br />
dieses Interviewerstammes haben sich nicht<br />
nur ausführliche Vorbesprechungen, Fragebogenschulungen<br />
und CATI-Trainings erwiesen,<br />
sondern auch eine erste Diskussionsrunde mit<br />
allen Interviewern (Interviewerworkshop) direkt<br />
nach dem Abschluss der Erhebungsarbeiten.<br />
In diesem Gespräch werten die Interviewer<br />
als Experten die Erhebung aus, angeleitet und<br />
moderiert vom Untersuchungsleiter. Auf diese<br />
Weise lässt sich schnell ein erster Eindruck<br />
verdichten, durch die anderen Interviewer<br />
gibt es Zustimmung oder wird die Meinung<br />
differenziert, bis hin zur Neuformulierung von<br />
Thesen. Für die anstehenden Auswertungen<br />
erhält man auf diese Weise wertvolle Hinweise,<br />
welche Suchstrategien für statistische Zusammenhänge<br />
neben den im Forschungsantrag<br />
gestellten Ausgangsthesen man noch verfolgen<br />
könnte. Schließlich erfahren die Interviewer die<br />
Wertschätzung und unmittelbare Einbindung<br />
in den Forschungsprozess, wenn die Analysen<br />
abgeschlossen sind und der Forschungsbericht<br />
verfasst wurde – nicht zuletzt durch eine Einladung<br />
zu einem Abschlussessen, bei dem neben<br />
der Darstellung der Projekte die persönliche<br />
Kommunikation nicht zu kurz kommt.<br />
- Eine Mindestausstattung zur Erreichung der<br />
angegebenen Fallzahl in diesem kurzen Zeitraum<br />
erfordert mindestens zwei, besser drei<br />
CATI-Arbeitsplätze, die werktags durchgehend<br />
zwischen 7 und 19 Uhr zu besetzen sind.<br />
Die Erreichbarkeit der Experten ist häufig<br />
stark eingeschränkt, so dass die Hinweise der<br />
Sekretärinnen oder der anderen Mitarbeiter,<br />
wann der Gesprächspartner in den nächsten<br />
Stunden oder Tagen wieder zu erreichen ist,<br />
sehr ernst genommen werden sollten.<br />
Diese Zeitvorgaben lassen sich nur<br />
mit einer entsprechenden CATI-Besetzung<br />
realisieren.<br />
- Eine Zielvorgabe von 300 zu realisierenden<br />
Interviews lässt sich gut erreichen bei der<br />
Verfügbarkeit einer entsprechend hohen Zahl<br />
Seite 77
TELEFONISCHE EINLEITUNG EXPERTENINTERVIEWS<br />
von verfügbaren Kontakten und bei einer im<br />
Vorhinein bereits sichergestellten hohen Teilnahmebereitschaft<br />
der Befragungskandidaten.<br />
Je höher die Zahl der verfügbaren Kontakte,<br />
desto weniger ist man auf eine hohe Teilnahmebereitschaft<br />
angewiesen – eine typische<br />
Ausgangskonstellation bei Haushaltsbefragungen.<br />
Je höher die Teilnahmebereitschaft,<br />
die durch bestimmte Strategien in gewissem<br />
Maße beeinflusst werden kann, desto kleiner<br />
kann die verfügbare Zahl von Kontakten sein.<br />
Oder anders ausgedrückt: Wenn man nur über<br />
eine kleine Grundgesamtheit verfügt, sollte<br />
man jeden Kontakt sehr sorgfältig behandeln,<br />
um eine hohe Teilnahmequote zu erreichen.<br />
Mit dieser Konstellation haben wir es eher<br />
bei einer durch Region und Branche eingegrenzten<br />
Grundgesamtheit zu tun. So kann<br />
z.B. die Einbindung von Unternehmen in<br />
ein Netzwerk von Vorteil sein, wenn die Geschäftsführung<br />
des Netzwerkes die Erhebung<br />
unterstützt und seine Mitglieder dazu auffordert,<br />
möglichst zahlreich daran teilzunehmen.<br />
Auf diese Weise reichen auch weniger als 400<br />
verfügbare Unternehmenskontakte, um 300<br />
Fälle zu erzielen. Voraussetzung dafür ist jedoch<br />
eine sorgfältige Sondierung und Anwerbung<br />
von Unterstützungsleistung durch die<br />
unmittelbaren Organisationsumwelten, denen<br />
die Unternehmensvertreter vertrauen. Auch<br />
eine gehaltvolle Feldpflege nach Abschluss<br />
der Studie („Bericht an die Betriebe“,<br />
Präsentation der Forschungsergebnisse,<br />
u.a.) sorgt für eine Erhöhung der<br />
Seite 78 Ausschöpfungsquote. Im Bereich der<br />
Optischen Technologien begleiten<br />
wir Unternehmensnetzwerke mit<br />
Mitgliederbefragungen seit mehreren Jahren<br />
und erreichen unter diesen Bedingungen Ausschöpfungsquoten<br />
zwischen 60% und 80%,<br />
vereinzelt sogar bis zu 100%. 14<br />
4. FAZIT<br />
Das telefonische Experteninterview scheint<br />
ein sehr geeignetes Instrument zu sein, um in<br />
verhältnismäßig kurzer Zeit Daten mit hoher<br />
Qualität und Statements mit ergiebigen Deutungs-<br />
und Interpretationsmöglichkeiten zu<br />
gewinnen. In Feldern mit Grundgesamtheiten<br />
zwischen 100 und 1.000 Fällen ist es das Mittel<br />
der Wahl, weil in dieser Größenordnung nur<br />
Ausschöpfungsquoten von 40% und mehr eine<br />
zufrieden stellende Datenbasis generieren, die<br />
am Ende auch belastbare Aussagen mit Blick<br />
auf die Grundgesamtheit ermöglichen.<br />
Bei Interviews zwischen 20 und 60 Minuten<br />
und aussagekräftigen qualitativen Statements<br />
der Befragten vereint es Vorteile des<br />
klassischen, eher qualitativ orientierten Faceto-Face-Experteninterviews<br />
mit Verfahren<br />
der Generierung von Massendaten. Eine Ausschöpfungsquote<br />
von bis zu 100% – meistens<br />
werden 50% bis 60% erreicht – erfordert auf<br />
allen Ebenen der Vorbereitung, Gesprächsakquisition<br />
und Durchführung eine sehr hohe<br />
Qualität. Wichtig sind ein vorbereitendes<br />
Schreiben und eine Gesprächsanbahnung, bei<br />
der der Interviewer nicht mit der Tür ins Haus<br />
fällt. Meistens lassen sich die Geschäftsführer<br />
auf einen späteren Termin ein, den sie dann<br />
– wie in ihrem Arbeitsalltag auch – fest einplanen<br />
(Terminkalender).<br />
Von großer Bedeutung für die Stimulierung<br />
der Teilnahmebereitschaft ist es, den Interviewpartner<br />
über ein Thema anzusprechen,<br />
mit dem er sich identifiziert und über das er
TELEFONISCHE EINLEITUNG EXPERTENINTERVIEWS<br />
sich als Experte profilieren kann. Der Schlüssel<br />
dazu ist ein ausgewogener Mix aus offenen und<br />
geschlossenen Fragen. Zugehörigkeit zu einer<br />
Branche, einem Netzwerk oder einer Region<br />
erhöhen die Teilnahmebereitschaft, wenn<br />
dem Interviewpartner klar gemacht werden<br />
kann, dass eine Teilnahmeverweigerung seiner<br />
Person zu Qualitätseinbußen bei den späteren<br />
Untersuchungsergebnissen führen würde.<br />
Insgesamt muss die hohe Bedeutung von<br />
Reziprozität unterstrichen werden: Ergebnisse<br />
werden zugeschickt, der Gesprächspartner wird<br />
zum Abschlussworkshop eingeladen.<br />
Von eminenter Bedeutung sind Qualifikation<br />
und Motivation der Interviewer. Telefonische<br />
Interviews mit CATI sind kein Instrument<br />
zur Dequalifizierung des Interviewerpersonals,<br />
sondern stellen besonders hohe Ansprüche.<br />
Dies gilt nicht nur für wichtige Schlüsselqualifikationen,<br />
die auch in Call-Centern von<br />
Bedeutung sind, wie Freundlichkeit, deutliche<br />
Aussprache, Frustrationstoleranz und Geduld.<br />
Die Interviewer müssen im Rahmen der<br />
Schulung intensiv mit der Fragestellung und<br />
dem Erkenntnisinteresse der Studie vertraut<br />
gemacht werden.<br />
Der Interviewermotivation dienen regelmäßige<br />
Feedbacks, in denen die Interviewer<br />
ihre Erfahrungen rückkoppeln und erkennbar<br />
daraus Konsequenzen gezogen werden, die auf<br />
eine Feinjustierung des Erhebungsinstruments<br />
hinauslaufen. Von großem Vorteil ist es, die Interviewer<br />
regelmäßig nach ihren Eindrücken zu<br />
fragen. Diese summarischen ersten Eindrücke<br />
können zum Teil erheblich bei der Interpretation<br />
der Daten helfen. Ein Interviewerworkshop<br />
sollte zum Abschluss der Erhebungsphase ein<br />
wichtiges Element im Methodendesign sein.<br />
Will man die Entwicklung von regionalen<br />
Arbeitsmärkten, Branchen und Wirtschaftsstandorten<br />
über einen längeren Zeitraum<br />
beobachten, ist man angesichts der relativ<br />
kleinen Grundgesamtheit an Unternehmen<br />
– gerade in den neuen Ländern – auf eine<br />
enorme Feldpflege angewiesen. Bisher haben<br />
wir die Erfahrung gemacht, dass bei Wiederholbefragungen<br />
offenkundig ein Hinweis<br />
auf die richtige Strategieentscheidung höhere<br />
Ausschöpfungsquoten erreicht werden konnten,<br />
als bei der ursprünglichen Akquisition.<br />
Die Sicherung der Qualitätsstandards auf<br />
allen Ebenen des Erhebungsprozesses ist dabei<br />
großer Bedeutung wie die Motivation des einbezogenen<br />
Personals.<br />
Seite 79
TELEFONISCHE EINLEITUNG EXPERTENINTERVIEWS<br />
FUSSNOTEN<br />
1990), der Kosten, der Stichprobengröße, der Ablaufsteuerung,<br />
der Datengenauigkeit sowie des Interviewereinflusses (vgl. Porst<br />
1998).<br />
1<br />
Eine gründliche theoretische und methodische Fundierung des<br />
Instruments ‚Experteninterview’ wird in mehreren Beiträgen<br />
des von Bogner/Littig/Menz (2002) herausgegebenen Sammelbandes<br />
vorgenommen.<br />
7<br />
Allein angesichts dieser ökonomisch ungünstigen Ausgangslage<br />
erstaunt die hohe Teilnahmebereitschaft der wirtschaftlichen<br />
Subeliten.<br />
Seite 80<br />
2<br />
Gerald Prein (2002) weist zu recht auf die rückschrittliche<br />
und völlig überflüssig aufrechterhaltene Methodenkonkurrenz<br />
zwischen „Qualis“ und „Quantis“ hin, wenn er dabei sogar ganz<br />
bewusst Literatur aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts<br />
zitiert, die den notwendig komplementären Charakter beider<br />
Forschungsmethoden herausstellt und eine enge Interaktion als<br />
fruchtbringend empfiehlt.<br />
3<br />
Vgl. Lutz/Grünert/Steiner (Hg.) 2000; vgl. Lutz/Gründert/<br />
Steiner (Hg.) 2004; vgl. Behr 2000; vgl. Behr/Engel 2001; vgl.<br />
Behr 2004.<br />
4<br />
Ein Teil der Untersuchungen fand am Institut für Soziologie<br />
der <strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong> statt, ein Teil am Institut<br />
für praxisorientierte Sozialforschung und Beratung (IPRAS<br />
e.V. <strong>Jena</strong>) jeweils unter der Leitung von Michael Behr und<br />
unterstützt von Rudi Schmidt.<br />
5<br />
An der ständigen Diskussion über den Einsatz von CATI für<br />
Expertenbefragungen, insbesondere von Managern, sind seit<br />
Jahren Thomas Ritter, Tina Seiwert und Christoph Thieme<br />
beteiligt. Ihnen verdanken wir zahlreiche Anregungen für<br />
Optimierungen des Instruments und Thesen, die auch in diesen<br />
Text eingeflossen sind.<br />
6<br />
Folgt man dem Vergleich von Frey/Kunz/Lüschen (1990) lassen<br />
sich alle großen Faktorvorteile der Face-to-Face-Befragung<br />
auf die telefonische Umfragetechnik übertragen. Ausnahmen sind<br />
das „Stellen komplexer Fragen“ und die „Benutzung<br />
visueller Hilfen“, letzteres lässt sich tatsächlich nicht<br />
für CATI verwenden. Allerdings sind die Möglichkeiten<br />
der Fragenkomplexität noch nicht ausreichend<br />
getestet und werden deshalb unentschieden bewertet<br />
(vgl. Porst 1998). Intention des hier vorgelegten Textes<br />
ist es auch, die Unterschätzung des Instruments<br />
in dieser Hinsicht abzubauen. Darüber hinaus bietet CATI<br />
eine Reihe von Vorteilen, über die Face-to-Face nicht oder nur<br />
eingeschränkt verfügen kann: z.B. hinsichtlich der Durchführungszeit,<br />
der Interviewer-Kontrolle (vgl. Frey/Kunz/Lüschen<br />
8<br />
Pfadenhauer (2002) spricht vom Interviewer als „Quasi-Experten“,<br />
um ihn vom Interviewpartner als Experten deutlicher<br />
abzugrenzen und die Notwendigkeit hoher Qualität bei der<br />
Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung des Gespräches<br />
zu begründen. Soweit in Ordnung, aber diese Rollendiskrepanz<br />
allein ist keine ausreichende Begründung für eine behauptete<br />
strukturelle Schwäche des Instruments, systematisch Daten<br />
gewinnen zu können (ebd., S. 128). Gerade die telefonische<br />
Variante des Expertengespräches macht es möglich, dieses Defizit<br />
auszugleichen.<br />
9<br />
Hier ist von Face-to-Face-Interviews die Rede. Wir haben<br />
nicht selten telefonische Experteninterviews mit einer Länge von<br />
1 bis 1½ Stunden geführt.<br />
10<br />
in der Diskussion auf dem <strong>SFB</strong>-<strong>580</strong>-Methodenworkshop<br />
„Zur Leistungsfähigkeit telefonischer Befragungen“ (vgl. Sahner<br />
(Hg.) 2002, S. 33)<br />
11<br />
Trotzdem lohnt sich das Angebot eines mittelbaren Nutzeneffekts<br />
bei telefonischen Expertenerhebungen: Unser an die<br />
Studienteilnehmer versendeter „Bericht an die Betriebe“ wird<br />
von vielen der Befragten aktiv zur Kenntnis genommen. In<br />
einigen Fällen hatten unsere Analysen sogar Einfluss auf Entscheidungsgrundlagen<br />
von Managementhandeln (z.B. bei der<br />
Entscheidung, Ausbildungsaktivitäten zu verstärken, weil die<br />
betrieblichen Altersstrukturen in einer Branche zu künftigen<br />
Knappheitskonstellationen spezifischer Qualifikationen auf dem<br />
Arbeitsmarkt führen können). Ein auf diese Weise gepflegtes Feld<br />
lässt sich leichter für Paneluntersuchungen gewinnen, wie wir in<br />
der wiederholten Befragung von Unternehmensvertretern der<br />
Optischen Industrie Thüringens erfahren konnten. Die Ausschöpfungsquoten<br />
konnten gesteigert werden, in einigen Fällen<br />
haben wir bereits das vierte Telefoninterview geführt.<br />
12<br />
Diesen schlechten Ruf hatte sich das Telefoninterview bereits<br />
1936 durch eine falsche Prognose der amerikanischen Präsidentschaftswahl<br />
eingehandelt (vgl. Frey/Kunz/Lüschen 1990, S.
TELEFONISCHE EINLEITUNG EXPERTENINTERVIEWS<br />
24). Später festigte sich das Vorurteil durch die ‚quick and dirty’<br />
arbeitende Konsumentenforschung (vgl. Haase 2003, S. 10).<br />
Inzwischen sind die Start- und Akzeptanzschwierigkeiten des<br />
Instruments, vor allem aufgrund verbesserter Stichprobenziehungsverfahren,<br />
behoben – mit dem Effekt, dass es als besonders<br />
geeignet für repräsentative Haushaltsbefragungen angesehen<br />
wird . Nach wie vor finden sich jedoch in der Literatur qualitative<br />
Einschränkungen, die dem Instrument zugeschrieben<br />
werden und einen Einsatz in der Expertenbefragung verbieten<br />
würden, z.B. in dem Interviewer auf ihre Rolle als Fragesteller<br />
und Dokumentar der Antworten von Befragten, die wiederum<br />
ihre Subjektivität reduziert werden: „Der Interviewer ist nicht<br />
für den Fragebogen verantwortlich: er ist nur Interviewer. Umgekehrt<br />
sollte auch dem Befragten seine Rolle bewusst sein.“ (ebd.,<br />
S. 19 – Hervorhebung im Original)<br />
und Beschäftigung in Ostdeutschland. Band 1. Berliner Debatte<br />
Wissenschaftsverlag 2000, S. 87-146<br />
Behr, M (2004): Jugendentwöhnte Unternehmen in Ostdeutschland<br />
– Eine Spätfolge des personalwirtschaftlichen Moratoriums.<br />
In: Burkart Lutz (Hg.): Bildung und Beschäftigung Band 2.<br />
Berliner Debatte Wissenschaftsverlag<br />
Behr, M. / Engel, T. (2001): Entwicklungsverläufe und Entwicklungsszenarien<br />
ostdeutscher Personalpolitik. Ursachen,<br />
Folgen und Risiken der personalpolitischen Stagnation. In:<br />
Pawlowsky, P. / Wilkens, U. (Hg.): Zehn Jahre Personalarbeit<br />
in den neuen Bundesländern. Transformation und Demographie<br />
(Arbeit, Organisation und Personal im Transformationsprozess,<br />
Band 16). München und Mering 2001: S. 255-278<br />
13<br />
Auf einige andere grundlegende Voraussetzungen – wie die<br />
gründliche Vorbereitung des Erhebungsdesigns unter Einbindung<br />
der Organisationsumwelt bzw. bestimmter Expertengruppen,<br />
das vorbereitende Anschreiben, das den potentiellen Gesprächspartnern<br />
zugeht, ein eingespieltes Team bei der Entwicklung<br />
des Fragebogens (Routinen) bis hin zur Programmierung und<br />
dem Pretest, die Aufbereitung der Kontaktdatei und evtl. notwendiger<br />
zusätzlicher Informationsmaterialien für Interviewer,<br />
Befragungskandidaten u.ä. – soll an dieser Stelle nicht vertieft<br />
eingegangen werden.<br />
Behr, M. / Engel, T. / Thieme, C. (2005): Trendreport 2005<br />
– Die Optische Industrie in Thüringen (IPRAS-Forschungsbericht).<br />
<strong>Jena</strong><br />
Bogner, A. / Menz, W. (2002): Das theoriegenerierende Experteninterview<br />
– Erkenntnisinteresse, Wissensformen, Interaktion.<br />
In: Bogner, A. / Littig, B. / Menz, W. (Hg.) (2002): Das<br />
Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden:<br />
S. 33-70<br />
14<br />
Als Beispiel sei hier auf den aktuellen Trendreport „Die<br />
Optische Industrie in Thüringen“ verwiesen, für den wir mit<br />
einer Ausschöpfungsquote von 78% arbeiten konnten (vgl.<br />
Behr/Engel/Thieme 2005). 100% Ausschöpfungsquote erreichten<br />
wir im Rahmen einer Befragung von Unternehmen des<br />
Firmenverbunds Bayern Photonics als Teil einer von BMBF<br />
und VDI-Technologiezentrum 2003 in Auftrag gegebenen<br />
Evaluationsstudie zur Arbeit der Kompetenznetze für Optische<br />
Technologien in Deutschland.<br />
LITERATUR<br />
Bayer, M. (2002): Das telefonische Interview. In: Sahner, H.<br />
(Hg.) (2002): Zur Leistungsfähigkeit telefonischer Befragungen.<br />
Das Methodenprojekt des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> zwischen Methodenentwicklung<br />
und Dienstleistung (<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>-Mitteilungen, Heft 4). <strong>Jena</strong>,<br />
Halle: S. 7-17<br />
Behr, M. (2000): Tradition und Dynamik, Beschäftigungsmuster,<br />
Rekrutierungsstrategien und Ausbildungsverhalten im Prozess<br />
der betrieblichen Konsolidierung, in: Lutz (Hg.), Bildung<br />
Bogner, A. / Littig, B. / Menz, W. (Hg.) (2002): Das Experteninterview.<br />
Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden<br />
Frackmann, M. (1980): Experten-Interview. In: Arbeiten +<br />
Lernen, Heft 10-10a. Velber: S. 34f<br />
Frey, J. H. / Kunz, G. / Lüschen, G. (1990): Telefonumfragen<br />
in der Sozialforschung. Methoden, Techniken, Befragungspraxis.<br />
Opladen<br />
Haase, A. (2003): Methodologische und methodische Probleme<br />
von Telefonsurveys bei Bevölkerungsbefragungen.<br />
Realisierung, Ausschöpfung und Eigenschaften von<br />
Stichproben am Beispiel verschiedener CATI-Studien<br />
(unv. Diplomarbeit TU Chemnitz). Chemnitz<br />
Hinke, R. / Röbenack, S. / Schmidt, R. (2002):<br />
Repräsentative Erhebung über die Lohn- und Leistungsbedingungen<br />
in den Betrieben der ostdeutschen Metall- und<br />
Elektroindustrie (Kurzbericht, Institut für Soziologie an der<br />
<strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>). <strong>Jena</strong><br />
Seite 81
TELEFONISCHE EINLEITUNG EXPERTENINTERVIEWS<br />
Kanwischer, D. (2002): Experteninterviews. Stellenwert,<br />
Auswertungsmethoden und Verwendungsmöglichkeiten. In:<br />
Kanwischer, D. / Rhode-Jüchtern, T. (Hg.): Qualitative Forschungsmethoden<br />
in der Geographiedidaktik (Geographiedidaktische<br />
Forschungen, Bd.35). Nürnberg: S. 90-112<br />
Kern, B. / Kern, H. / Schumann, M. (1988): Industriesoziologie<br />
als Kartharsis. In: Soziale Welt, Jg. 39: S. 86-96<br />
Lutz, B. / Grünert, H. / Steiner, C. (Hg.) (2000): Bildung und<br />
Beschäftigung in Ostdeutschland, Band 1 (Forschungsberichte<br />
aus dem ZSH). Berlin, Halle<br />
Lutz, B. / Grünert, H. / Steiner, C. (Hg.) (2004): Jugend – Ausbildung<br />
– Arbeit. Bildung und Beschäftigung in Ostdeutschland,<br />
Band 2 (Forschungsberichte aus dem ZSH). Berlin, Halle<br />
Pfadenhauer, M. (2002): Auf gleicher Augenhöhe reden: Das<br />
Experteninterview – ein Gespräch zwischen Experten und<br />
Quasi-Experten. In: Bogner, A. / Littig, B. / Menz, W. (Hg.):<br />
Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden:<br />
S. 113–130<br />
Porst, R. (1998): Im Vorfeld der Befragung. Planung, Fragebogenentwicklung,<br />
Pretesting (ZUMA-Arbeitsbericht 98/02).<br />
Mannheim<br />
Sahner, H. (Hg.) (2002): Zur Leistungsfähigkeit telefonischer<br />
Befragungen. Das Methodenprojekt des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> zwischen<br />
Methodenentwicklung und Dienstleistung (<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>-Mitteilungen,<br />
Heft 4). <strong>Jena</strong>, Halle<br />
Seite 82<br />
Schütze, F. / Meinefeld, W. / Springer, R. / Weymann, A. (1981):<br />
Grundlagentheoretische Voraussetzungen methodisch kontrollierten<br />
Fremdverstehens. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen<br />
(Hg.): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche<br />
Wirklichkeit. Opladen: S. 433-529<br />
Trinczek, R. (1995): Experteninterviews mit<br />
Managern, methodische und methodologische<br />
Hintergründe. In: Brinkmann, C. / Deeke, A. /<br />
Völkel, B. (Hg.): Experteninterviews in der Arbeitsmarktforschung.<br />
Diskussionsbeiträge zu methodischen Fragen<br />
und praktischen Erfahrungen (Beiträge zur Arbeitsmarkt- und<br />
Berufsforschung, Nr. 191). Nürnberg: S. 59-68
<strong>SFB</strong>-KOLLOQUIUM<br />
– COMPUTER AIDED<br />
TELEPHONE INTER-<br />
VIEWING<br />
Seite 83
KOLLOQUIUMSPROTOKOLL<br />
EINLEITUNG<br />
TAGESORDNUNG<br />
Kapitel 7<br />
1. Begrüßung und kurzer Rechenschaftsbericht<br />
über das neueingerichtet CATI-<br />
Labor in <strong>Jena</strong><br />
Moderation: Thomas Ritter<br />
2. „Sprechwissenschaftliche Impulse<br />
für die Arbeit im CATI-Labor“<br />
Referent: Ralf Schünemann (Uni-Halle)<br />
Seite 84<br />
PROTOKOLL 27.04.2005<br />
<strong>SFB</strong>-KOLLOQUIUM – COMPUTER<br />
AIDED TELEPHONE INTERVIEWING<br />
Referenten - Christina Buchwald, Thomas<br />
Engel, Ina Götzelt, P. Kirch, Stefan Jahr,<br />
Bernd Martens, Nicole Meingast, Sören<br />
Petermann, Ralf Schünemann, Thomas<br />
Ritter<br />
3. „Einschätzungen zum Interview:<br />
Befunde aus dem CATI-Labor des ZSH“<br />
Referentin: Christina Buchwald (ZSH- Halle)<br />
4. Erfahrungen im Rahmen von CATI-<br />
Erhebungen während der ersten und zweiten<br />
Phase des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>: Kurze Statements einiger<br />
internen und externen Projekte, sowie kurze<br />
Erfahrungsberichte von zwei Interviewern<br />
a. B2 – Paneluntersuchung aus 2 Wel<br />
len (Oktober 2004 – Februar 2005)<br />
Referentin: Ina Götzelt (FSU-<strong>Jena</strong>)<br />
b. Besonderheiten Elitenbefragung<br />
i. A2 Wirtschaftseliten<br />
Referent: Dr. Bernd Martens<br />
ii. B2 Politische Eliten (Abgeordne<br />
tenbefragung)<br />
Referent: Stefan Jahr<br />
c. Personenzentrierte Fragebögen am<br />
Beispiel von Netzwerken.<br />
Referent: Dr. Sören Petermann<br />
d. Arbeitsgruppe Dr. Michael Behr<br />
über die Instrumentenwechsel von<br />
Face to Face zu CATI Befragungen<br />
- Unterschiede Erfahrungen -
KOLLOQUIUMSPROTOKOLL<br />
EINLEITUNG<br />
Referent: Thomas Engel<br />
e. Interviewerstatements: Erfahrungs<br />
berichte von zwei Interviewerinnen<br />
aus Halle bzw. <strong>Jena</strong><br />
Referentinnen: P. Kirch, Nicole<br />
Meingast<br />
Das <strong>SFB</strong>-Kolloquium – CATI vom<br />
27. April 2005 wurde unter anderem<br />
zum knapp einjährigen Bestehen<br />
des CATI – Labors an der <strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<br />
<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong> abgehalten. Seit August 2004<br />
wurden hier ca. 2000 Interviews mit einer Gesamtdauer<br />
von 1200 Stunden durchgeführt.<br />
Im Mittelpunkt des Treffens standen die<br />
Erfahrungen der einzelnen Befragungen des<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> und externer Projekte im CATI<br />
– Labor.<br />
Nach der Begrüßung der Anwesenden<br />
durch Thomas Ritter begann Ralf Schünemann,<br />
Diplomand der Sprechwissenschaften<br />
an der Uni Halle, mit einem Vortrag zum Thema<br />
„Schreiben fürs Sprechen – Sprechdenken<br />
vs. Hörverstehen“. Inhalt des Vortrages waren<br />
verschiedene sprechwissenschaftliche Impulse,<br />
die den Umgang mit großen Textmengen und<br />
die sich daraus ergebenden Probleme mit langen<br />
unverständlichen Sätzen erleichtern und<br />
das Sprechdenken des Interviewers zu fördern.<br />
Die Anregungen der Sprechwissenschaften<br />
können helfen, ein Gleichgewicht zwischen<br />
dem Sprecher (Interviewer) und dem Befragten<br />
herzustellen.<br />
Lange Sätze in Teilen der Begrüßung sowie<br />
den Zwischentexten erschweren die Sprechum-<br />
setzung, da die herkömmlichen Textpassagen<br />
anfangs noch vollständig abgelesen, später aber<br />
durch die Interviewer abgewandelt werden.<br />
Ziel sollte es daher sein, kürzere Sätze bestehend<br />
aus 6 bis 13 Wörtern zu entwerfen, die<br />
an die spontane Mündlichkeit angelehnt sind<br />
und deren Passagen in Sinnschritte eingeteilt<br />
werden können, so dass eine überschaubare<br />
und sprechbare Sprachstruktur entsteht.<br />
Einen Schritt weiter geht das Stichwortkonzept.<br />
Dem Interviewer werden nach dieser<br />
Methode nur noch Stichworte präsentiert; die<br />
genaue Formulierung bleibt dem jeweiligen<br />
Sprecher überlassen. Diese Variante zwingt<br />
den Sprecher dazu, über den Inhalt des Gesagten<br />
nachzudenken und er erhält ein gewisses<br />
Maß an Flexibilität, das auch eine mögliche<br />
Rücksichtnahme auf den Befragten enthält.<br />
Ein wichtiges Ziel der Sprechwissenschaft<br />
kann somit erreicht werden: Der Interviewer<br />
muss Sprechdenken und der Hörer kann bzw.<br />
muss Hörverstehen.<br />
In Studien konnte nachgewiesen werden,<br />
dass normale Betonungen von den Befragten<br />
als störend empfunden werden. Durch die<br />
„Abtreppung“, d.h. eine gezielte Betonung,<br />
ist es möglich, den Eindruck der störenden<br />
Betonung zu mindern. Voraussetzung für das<br />
„Abtreppen“ sind grammatikalisch<br />
vollständige Sätze, also ist diese<br />
Methode nur in Begrüßungs- und<br />
Seite 85<br />
Zwischentexten denkbar. Es ist jedoch<br />
denkbar, dass die gewonnenen Daten<br />
durch eine festgelegte Betonung gegebenenfalls<br />
beeinflusst werden.
KOLLOQUIUMSPROTOKOLL<br />
EINLEITUNG<br />
In einem kleinen Exkurs wurde die These<br />
aufgestellt, dass während der Begrüßung<br />
eines Interviews der Name des Interviewers<br />
eine entscheidende, verbindliche Information<br />
ist, was im Folgenden ausführlich diskutiert<br />
wurde. Zusammenfassend kann behauptet<br />
werden, dass dieser Punkt je nach Klientel<br />
der Befragung abweichend behandelt werden<br />
kann. In bestimmten Elitenbefragungen ist die<br />
befragende Institution wichtiger als der Name<br />
des Interviewers, bei anderen Befragungen<br />
ist ein Zusammenspiel zwischen Name und<br />
Institution besser.<br />
Im Anschluss an den Vortrag wurden verschiedene<br />
Probleme angesprochen.<br />
So wurde erwähnt, dass die Begrüßungsund<br />
Zwischentexte nur einen sehr geringen<br />
Teil (ca. 5%) eines Fragebogens ausmachen,<br />
obwohl gerade die Begrüßungstexte entscheidend<br />
für Erfolg der Befragung sein können.<br />
Gerade dieser „Türöffner“ sollte mittels<br />
sprechwissenschaftlicher Methoden besser<br />
formuliert werden können.<br />
In einem Projekt des <strong>SFB</strong> wurden die<br />
erwähnten Probleme der freien Interpretation<br />
der gestellten Texte durch den Interviewer<br />
bestätigt. Dabei kam es zu Schwierigkeiten bei<br />
der Interpretation der gewonnenen Daten.<br />
Im zweiten Vortrag stellte Christina<br />
Buchwald vom ZSH-Halle<br />
Seite 86 Befunde aus den Befragungen zu<br />
den Einschätzungen des Interviews<br />
vor. Grundlage für die Auswertung<br />
waren 5 verschiedene Befragungen. Die Befragten<br />
und Interviewer wurden am Ende zur<br />
Wichtigkeit der Befragung, der empfundenen<br />
Belastung sowie der Verständlichkeit der Fragen<br />
bzw. zu Schwierigkeiten der Beantwortung<br />
untersucht.<br />
Zusammenfassend konnte festgestellt werden,<br />
dass der überwiegende Teil der Befragten<br />
die Untersuchungen als wichtig empfunden haben.<br />
Auch waren die Befragten nicht durch die<br />
Interviews belastet, d.h. sie empfanden überhaupt<br />
keine Anstrengung. Ebenso empfanden<br />
sie die Fragen als verständlich formuliert.<br />
Ein ähnliches Bild ergab die Auswertung<br />
des Fragebogens der Interviewer. Der überwiegende<br />
Teil der Interviewer empfand die<br />
Befragungen als sehr bis eher interessant. Die<br />
Interviewer gaben an, dass sie das Gefühl hatten,<br />
dass die Befragten kaum Schwierigkeiten<br />
hatten, auf die Fragen zu antworten. In einigen<br />
Fällen sei es aber zu Sprach- und Verständlichkeitsproblemen<br />
gekommen ist. Die große Erfahrung<br />
der Interviewer, das Interesse an den<br />
Themen und die angegebene geringe Belastung<br />
seitens der Interviewer glichen allerdings die<br />
wenigen Probleme wieder aus.<br />
Die Fragen zur Interviewdauer an die Befragten<br />
und an die Interviewer ergaben, dass<br />
die Interviewer im Großen und Ganzen mit<br />
der geschätzten Dauer sehr nah an der realen<br />
Gesprächsdauer lagen, während die Befragten<br />
die tatsächliche Gesprächsdauer mal länger,<br />
mal kürzer einschätzten.<br />
Am Ende des Vortrages wurden zwei Wege<br />
zur Qualitätssicherung und -steigerung aufgezeigt:<br />
Zum Einen ist das CATI-Labor dazu<br />
aufgefordert, sprechwissenschaftliche Übungen<br />
anzubieten und so einen geschulten Stamm an<br />
Interviewern aufzubauen. Die Projekte, die
KOLLOQUIUMSPROTOKOLL<br />
EINLEITUNG<br />
mittels CATI-Untersuchungen durchgeführt<br />
werden, sind dazu angehalten, die Interviewer<br />
inhaltlich zu schulen und vorzubereiten. Hierfür<br />
ist es nötig, den Interviewern das Ziel und den<br />
Zweck der anstehenden Untersuchung näher<br />
zu bringen, z.B. indem ein Informationsblatt<br />
mit wichtigen Hinweisen zu Fachbegriffen,<br />
Besonderheiten des Fragebogens sowie den<br />
Ansprechpartnern des Projektes ausgegeben<br />
wird.<br />
In der anschließenden Diskussion wurden<br />
die Auswertungen aus Halle kritisiert. Ein<br />
Problem der Aussagen über das Interesse an<br />
den Untersuchungen könnte sein, dass nur vollständige<br />
Interviews nach dem Interesse befragt<br />
wurden, also Interviews, in denen die Befragten<br />
durch ihre Teilenahme bereits Interesse gezeigt<br />
haben und werden auf die Frage nach dem Interesse<br />
an der Befragung höchstwahrscheinlich<br />
nicht mit „kein Interesse“ antworten werden.<br />
Auch die Interviewer haben zumindest<br />
zwei Absichten für eine solche Untersuchung:<br />
Zum einen verdienen sie durch die Telefonate<br />
Geld und zum anderen können sie wichtige<br />
Forschungspraxis sammeln.<br />
Auch wurden die Probleme der sozialen<br />
Erwünschtheit durch die bisherigen Untersuchungen<br />
nicht ausreichend erfasst und auch<br />
das mögliche Auseinanderfallen der Einschätzungen<br />
mit viel Interesse aber hoher Belastung<br />
bleibt vorerst noch ungeklärt.<br />
Ein Trend über den optimalen Einsatz von<br />
männlichen oder weiblichen Interviewern lässt<br />
sich aus den bisherigen Daten nicht ermitteln;<br />
es wurden keine derartigen Effekte festgestellt.<br />
Nach einer kurzen Pause folgen im weiteren<br />
Verlauf kurze Statements verschiedener<br />
Projekte, die Untersuchungen mittels Telefonbefragung<br />
gemacht haben.<br />
Das Projekt B2 des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>, vertreten<br />
durch Ina Götzelt, stellte kurz die bisherigen<br />
Eindrücke und Ergebnisse der Befragung der<br />
zweiten Welle von Oktober 2004 bis Februar<br />
2005 dar. Diese richtete sich an Personalverantwortliche<br />
von klein- und mittelständigen<br />
Unternehmen verschiedener Branchen in<br />
Ost- und Westdeutschland. Insgesamt wurden<br />
653 Interviews geführt. Außerdem konnten<br />
sechs Interviews aus den Pretests für die Auswertung<br />
verwendet werden. Der Fragebogen<br />
bestand aus 141 Fragen mit 323 Teilfragen<br />
und umfasste somit eine komplexe Filterführung.<br />
Die Anbahnung der Gesprächstermine<br />
wurde durch das Versenden von Broschüren<br />
und Anschreiben vorbereitet. Durchschnittlich<br />
wurden 25 Anbahnungsversuche (rechnerisch)<br />
benötigt, diese Zahl konnte jedoch durch<br />
praktische Erfahrungen auf ca. 7 bis 15 herabgesetzt<br />
werden.<br />
An der durchgeführten Studie nahmen 18<br />
Interviewer teil, die im Vorfeld in einer vierstündigen<br />
inhaltlichen Schulung eingewiesen<br />
wurden und zusätzlich zwei mindestens zweistündige<br />
Pretests durchführen mussten. Im<br />
Verlauf der Befragung kam es dann zu drei Arbeitstreffen,<br />
bei denen in Gesprächen<br />
Interviewerfehler korrigiert sowie<br />
Verständnisprobleme der Probanden<br />
und der Interviewer abgeklärt werden<br />
konnten.<br />
Die Forschungsgruppe stieß während und<br />
nach der Befragung auf einige Probleme: So<br />
Seite 87
KOLLOQUIUMSPROTOKOLL<br />
EINLEITUNG<br />
Seite 88<br />
führten lange Einführungs- und Erklärungstexte<br />
zu dem Phänomen, dass die Interviewer<br />
diese Texte unterschiedlich interpretierten und<br />
eigens auslegten/aussprachen. Die Möglichkeit<br />
einige Fragen entweder durch Angabe von Anzahlen<br />
oder durch Angabe von Prozentwerten<br />
zu beantworten verursachte bei der späteren<br />
Auswertung einige Schwierigkeiten. Besser<br />
wären wohl generell Angaben in Prozentzahlen<br />
gewesen. Des Weiteren wurde in dieser<br />
Befragung festgestellt, dass die ausnahmsweise<br />
postalisch ausgefüllten Fragebögen mehr<br />
inhaltliche Fehler aufwiesen als die im CATI-<br />
Labor ausgefüllten Fragebögen.<br />
Bernd Martens vom Projekt A2 stellt in<br />
seinem Vortrag eine Befragung vor, die im<br />
Spätsommer 2002 in Halle durchgeführt worden<br />
ist. Es wurden ökonomische Eliten, also<br />
die obere Führungsebene von Unternehmen,<br />
befragt. Die Gesprächsdauer betrug durchschnittlich<br />
30 Minuten. Bei der Befragung<br />
dieser ökonomischen Eliten war eine sehr<br />
hohe Kontakthäufigkeit nötig. Die Interviewer<br />
mussten erst die „Hürde“ Sekretariat überwinden,<br />
um einen realen Gesprächstermin zu<br />
erhalten. Dennoch sind ca. ein Drittel der vereinbarten<br />
Termine aus verschiedenen Gründen<br />
geplatzt. Diese „Verweigerung auf hohem<br />
Kontaktniveau“ konnte hinsichtlich Ost- und<br />
Westdeutschland unterschieden werden: Die<br />
in Ostdeutschland Befragten nahmen<br />
eher an der Befragung teil, als die<br />
Eliten in Westdeutschland. Gründe<br />
dafür können allerdings nicht genannt<br />
werden.<br />
Bei dieser Studie war es sehr wichtig, dass<br />
die Interviewer gut geschult waren. Zufällig<br />
ergab es sich, dass nur weibliche Interviewer an<br />
dieser Studie teilnahmen und diese einen „guten<br />
Draht“ zu den „Türöffnern“ im Sekretariat<br />
hatten. Zwar gab es kaum Abbrüche während<br />
des Gespräches, die Gesprächserfolge ließen<br />
sich aber nicht einzelnen Personen zuordnen,<br />
da die Verteilung der Teilnehmer durch das<br />
CATI-System erfolgte. Die Befragung von<br />
Managern hatte den Vorteil, dass die Zielklientel<br />
das Telefon als Hauptarbeitsmittel nutzt.<br />
Abschließend gab Martens an, dass die<br />
Nutzung des CATI-Systems zu hohen Kosten<br />
geführt hat.<br />
Stephan Jahr berichtete kurz über die gesammelten<br />
Erfahrungen bei einer Befragung<br />
von politischen Eliten aus dem <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Projekt<br />
A3. Bei dieser Zielgruppe ist es fast unmöglich<br />
ein „Face-to-face“ Interview durchzuführen, so<br />
dass hier die schnelle Verfügbarkeit bei großen<br />
räumlichen Entfernungen eine entscheidende<br />
Rolle für die Verwendung einer Telefonbefragung<br />
mittels CATI spielte.<br />
Die politischen Eliten bevorzugen wegen<br />
ihres Statusbewusstseins ein persönliches Interview<br />
und so spielte auch bei dieser Befragung<br />
die Kontaktaufnahme und das „Überwinden“<br />
des Sekretariates eine entscheidende Rolle. Die<br />
Interviewer benötigten eine hohe technische<br />
sowie eine fachliche Kompetenz, um einen<br />
starren Gesprächsverlauf zu vermeiden.<br />
Für künftige Befragungen plant die Projektgruppe<br />
eigene Hilfskräfte, die mindestens<br />
1 bis 2 Semester Erfahrung mit dem Thema<br />
besitzen, als Interviewer einzusetzen.<br />
Bisher wird das Ende der Befragungen<br />
durch zwei Variablen begrenzt: Entweder wird
KOLLOQUIUMSPROTOKOLL<br />
EINLEITUNG<br />
die gewünschte Stichprobengröße erreicht<br />
oder die Gelder zum Forschen neigen sich dem<br />
Ende zu.<br />
In der Befragung des A3-Teams entstand<br />
ein interessanter Vorschlag hinsichtlich der<br />
Formulierung von Abbruchkriterien. Es zeigte<br />
sich, dass die Befragung, welche 95 Tage<br />
dauerte, bereits nach 60 bis 65 Tagen die endgültige<br />
Repräsentativität erreicht hatte. Aus<br />
ökonomischer Sicht, hätte man die Befragung<br />
nach 60 Tagen abbrechen können und die restlichen<br />
Gelder für qualitative Ausbesserungen<br />
verwenden können.<br />
Stephan Jahr bestätigte die Wichtigkeit<br />
eines vollständigen Pretestes. Die ermittelte<br />
nötige Zeit in den gestückelten und später<br />
wieder zusammengesetzten Pretestes der Befragung<br />
wurde um 10 Minuten auf insgesamt<br />
40 Minuten überschritten. Der daraufhin<br />
einsetzenden Diskussion über die Frage, ob bei<br />
der Gesprächsanbahnung die errechnete oder<br />
die reale Gesprächsdauer angegeben werden<br />
sollte, entschied das CATI-Labor Halle für<br />
sich, die reale Zeit von ca. 40 Minuten anzugeben,<br />
so dass diese den Termin genauer fixieren<br />
und Probleme mit Folgeterminen vermeiden<br />
konnten.<br />
Zusammenfassend wurde der Verwendung<br />
von CATI als „sehr geeignet“ bei der Elitenbefragung<br />
bewertet, obwohl ist es durch lange<br />
Vorbereitungen sehr zeitaufwendig und durch<br />
die Anfertigung von Informationsmaterial sehr<br />
kostenintensiv ist.<br />
In der anschließenden Diskussion wurde<br />
aufgezeigt, dass die Anfertigung des Informationsmateriales<br />
allerdings auch ohne die<br />
Verwendung von CATI anfallen würde.<br />
Sören Petermann vom <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> A4 ging<br />
in seinem Vortrag unter Anderem auf die Personalisierung<br />
von Fragebögen mit dem Inhalt<br />
der Netzwerkerhebung ein. Auch stellte er<br />
Argumente für die Verwendung von CATI vor.<br />
Durch die hohe Telefondichte können gerade<br />
räumlich ausgedehnte Befragungen kostengünstig<br />
durchgeführt und komplexe Fragebögen<br />
mittels Filterführung für den Interviewer<br />
günstiger verwendet werden.<br />
Bei der Personalisierung der Fragebögen<br />
ist es möglich, durch die Verwendung von<br />
vorab gesammelten Informationen und gezielt<br />
eingesetzter Filterführung, die richtigen<br />
Fragen an die richtige Person zu stellen. In<br />
einer Untersuchung wurden bis zu 50 Vorab-<br />
Informationen über die befragte Person gesammelt<br />
und verwendet. Bei einer allgemeinen<br />
Bevölkerungsbefragung zu den Egozentrierten<br />
Netzwerken aus dem Jahr 2000 wurden bis zu<br />
1300 Informationen während des Interviews<br />
neu generiert.<br />
Die Behauptung, das CATI-System<br />
entlastet den Interviewer, führte anfangs zu<br />
Verständnisproblemen. Durch einen programmierten<br />
Fragebogen kann das Interview flüssiger<br />
geführt werden. Der programmierte Fragebogen<br />
könnte natürlich auch ohne Telefon<br />
verwendet werden. Jedoch ermöglicht<br />
das Telefon die Höflichkeit während<br />
des Gespräches zu wahren. Das lästige<br />
Seite 89<br />
Mitschreiben bzw. Eintippen der<br />
Antworten wird dem Blickfeld des<br />
Befragten entzogen. Das Interview bleibt am<br />
Telefon sachlich und professionell.
KOLLOQUIUMSPROTOKOLL<br />
EINLEITUNG<br />
Seite 90<br />
Thomas Engel, Mitarbeiter der Arbeitsgruppe<br />
Michael Behr, ging in seinem Vortrag<br />
auf das Verhältnis von offenen zu geschlossenen<br />
Fragen ein. Die Gruppe um Michael<br />
Behr sammelt seit 1998 Erfahrungen, vor<br />
allem bei Befragungen von Personalchefs und<br />
Geschäftsführern. Die Fragebögen variieren<br />
zwischen 20 und 100 Fragen mit bis zu 400<br />
Variablen.<br />
Die Erfahrungen der Gruppe haben gezeigt,<br />
dass offene Fragen im Telefoninterview<br />
zugelassen werden können. Bestimmte Fragen<br />
erfordern gerade dieses Design. Ein anderer<br />
Grund für die Verwendung offener Fragen ist,<br />
dass sie den Gesprächsverlauf positiv beeinflussen<br />
können, da der Befragte das Gefühl<br />
bekommt, nicht nur bloß Antworten geben zu<br />
müssen. Durchschnittlich werden ein Viertel<br />
der Fragen offen gestaltet, so dass die „Diktatur“<br />
des Fragebogens aufgebrochen wird<br />
Die speziellen Anforderungen an den<br />
Interviewer werden als sehr wichtig erachtet.<br />
Günstig wäre es, Studenten mit 1 bis 2 Semestern<br />
Erfahrung einzusetzen, deren Wissen<br />
über die Thesen der Befragung wäre im Interview<br />
von Vorteil.<br />
Das CATI-System kann unter Verwendung<br />
eines eingespielten Teams von Interviewern,<br />
der CATI-Verwaltung und<br />
der Projektleitung schnelle Ergebnisse<br />
vorweisen. So zum Beispiel wurde in<br />
nur einem Monat eine Studie mit ca.<br />
400 Interviews durchgeführt.<br />
Die Auswertung der offenen Fragen erfolgt<br />
zurzeit mit dem Programm „Max QDA“. Diese<br />
Auswertungen befinden sich aber noch im<br />
Anfangsstadium. Jedoch können schon jetzt<br />
kurze und knackige Aussagen der Befragten<br />
gewonnen werden, die als schlüssige Zitate<br />
verwendet werden können.<br />
Im Anschluss an die Statements der einzelnen<br />
Projekte haben zwei aktive Interviewer<br />
das Wort ergriffen und einige angesprochene<br />
Punkte aus Sicht der Interviewer dargestellt.<br />
P. Kirch, Soziologiestudentin aus Halle,<br />
berichtete über die Schwierigkeiten der Kontaktaufnahme<br />
und Gesprächsführung bei zwei<br />
Befragungen. Bei einer Befragung von Jugendlichen<br />
musste zunächst die Hürde „Eltern“<br />
überwunden werden, um dann ein Interview<br />
mit den Zielpersonen führen zu können. Die<br />
Opfer einer Flutkatastrophe haben auf Grund<br />
der emotionalen Betroffenheit die „geplante“<br />
Gesprächsdauer häufig überschritten, da sie<br />
umfangreichere Antworten gaben als gedacht.<br />
In beiden Fällen gab es aber im Vergleich<br />
zu einer Betriebsrätebefragung weniger Gesprächsabbrüche.<br />
Auch hatten die Interviewer<br />
oft Probleme mit der Befragung von Unternehmens-<br />
bzw. Geschäftsfilialen, da die Interviewer<br />
häufig an die entsprechende Zentrale<br />
verwiesen wurden.<br />
N. Meingast, Studentin aus <strong>Jena</strong>, betonte<br />
noch einmal die Wichtigkeit der Anschreiben<br />
vor der ersten Kontaktaufnahme. Diese<br />
Legitimation helfe oft, an den „berüchtigten“<br />
Sekretärinnen vorbei zu kommen. Hier würde<br />
auch viel Überredungskunst helfen, um zur<br />
gewünschten Zielperson durchgestellt zu werden.<br />
Die Erfahrung aus den geführten Inter-
KOLLOQUIUMSPROTOKOLL<br />
EINLEITUNG<br />
views hat gezeigt, je höher die angegebene Zeit<br />
ist, desto höher ist das Risiko des Abbruches.<br />
Bemerkten die Interviewer während der<br />
Anbahnung einen gewissen Zeitdruck beim<br />
Befragten, wurden die Zeitangaben variiert.<br />
Gelegentlich kam es dabei sogar zu Spontaninterviews.<br />
In einer anschließenden kurzen Diskussion<br />
über die Notwendigkeit von postalischen<br />
Anschreiben wurden Überlegungen angestellt,<br />
ob es nicht vielleicht sinnvoller und kostengünstiger<br />
wäre, entweder ganz auf Anschreiben<br />
zu verzichten bzw. sie per E-Mail oder Fax an<br />
die betreffende Person zur Legitimation der<br />
Befragung zu versenden. Einig war sich die<br />
Diskussionsgruppe darüber, dass Anschreiben<br />
für die Anbahnung von Gesprächen bei Unternehmensbefragungen<br />
sinnvoll sind, da sie<br />
die Seriosität und das Interesse des Institutes<br />
bekunden. Das ZSH-Halle startet im Mai eine<br />
Versuchsbefragung ohne Anschreiben bzw.<br />
werden die Anschreiben nur auf ausdrücklichen<br />
Wunsch und Interesse der Gesprächspartner<br />
verschickt.<br />
Zum Ende des Kolloquiums ergriff M.<br />
Behr das Wort. Er zeigte auf, dass sich in der<br />
Forschung ein Paradigmenwechsel weg vom<br />
„Face-to-face“ Interview hin zum Telefoninterview<br />
vollzog, da sich die Anforderungen<br />
an die Forscher drastisch gewandelt haben. So<br />
reichte es in den 1970er Jahren aus, 20 intensive<br />
Interviews zu führen, welche dann in 2 bis 4<br />
Jahren ausgewertet wurden. Heute herrscht ein<br />
enormer Druck auf die Forscher und es werden<br />
darstellbare Zahlen erwartet.<br />
CATI-System als optimales Forschungsdesign,<br />
weil es ökonomisch sinnvoll ist.<br />
Die Anforderungen an die Interviewer sind<br />
und bleiben sehr hoch. Gezielte Schulungen<br />
steigern die Kompetenz, welche bei Befragungen<br />
von Eliten nötig ist, da die „Spielchen“<br />
und Selbstdarstellungsbedürfnisse von Eliten<br />
durch die Kommunikation mittels Telefon<br />
zurückgefahren werden.<br />
Das Instrument CATI muss in weiteren<br />
Forschungen vernünftig eingesetzt werden,<br />
denn die Zufriedenheit der Befragten ist für<br />
die zukünftigen Forscher wichtig und sollte<br />
erhalten bleiben.<br />
Seite 91<br />
Gerade bei mittleren Fallgrößen, d.h.<br />
kleiner als 10.000 Interviews, erweist sich das
Seite 92<br />
VITAE
AUTOREN<br />
Michael Behr, geb. 1960, Dr. phil.,<br />
Studium der Soziologie in Freiburg, 1988 bis<br />
1989 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der<br />
<strong>Universität</strong> Bielefeld im Themenfeld sozialwissenschaftliche<br />
Begleitforschung zum Technikeinsatz<br />
in Industrieunternehmen, 1990 bis<br />
1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TH<br />
Darmstadt: Arbeiten zur Sozialstrukturanalyse<br />
und Industriesoziologie, 1993 bis 1995 wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter an der <strong>Universität</strong><br />
Erlangen/Nürnberg: Promotion zum Thema<br />
Arbeit und Subjektivität „Perspektiven eines<br />
neuen Arbeitstyps“, 1995 bis 2001 wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter an der <strong>Universität</strong><br />
<strong>Jena</strong>: Analyse regionaler Arbeitsmärkte und<br />
betrieblicher Personalpolitik, Fachkräfteentwicklung,<br />
Analysen zu Erwerbsbiographien<br />
und beruflicher Ausbildung, 2002-2004 wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter an der Forschungsstelle<br />
Sozialökonomik der Arbeit an der TU<br />
Chemnitz: Leitung eines BMBF-Projektes<br />
zum Thema Früherkennung von Personal- und<br />
Qualifizierungsbedarf in Ostdeutschland, seit<br />
2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter am <strong>Jena</strong>er<br />
Zentrum für empirische Sozial- und Kulturforschung<br />
an der <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>: Analyse von<br />
regionalen Arbeitsmärkten und betrieblicher<br />
Personalpolitik u.a. aus Beschäftigtenperspektive.<br />
Thomas Engel, geb. 1974, M.A.,<br />
1992 bis 1994 Ausbildung zum Buchhändler<br />
in Bayreuth, 1994 bis 2001 Studium der Soziologie<br />
und Politikwissenschaft in <strong>Jena</strong>, seit<br />
2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der<br />
<strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong> und der<br />
Technischen <strong>Universität</strong> Chemnitz – Arbeitsschwerpunkte:<br />
1. Arbeitsmarkt, Berufsbildung<br />
und Qualifikation in Transformationsgesellschaften,<br />
2. regionale Branchenanalysen zu<br />
Entwicklungspotentialen und betrieblicher<br />
Fachkräftesituation (Früherkennung von<br />
Personal- und Qualifizierungsbedarf ), 3. Netzwerke,<br />
Innovationssysteme und Förderpolitik.<br />
Seite 93
AUTOREN<br />
Ina Götzelt, geb. 1979, Dipl. Soz.,<br />
Studium an der TU Dresden in den Fächer<br />
Soziologie, Volkswirtschaft und öffentliches<br />
Recht. Seit 2004 wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />
am Sonder-forschungsbereich <strong>580</strong>, Projekt<br />
B2, Arbeitsschwerpunkte: Arbeitsmarktstruktur<br />
und -politik, Transformationsprozesse in<br />
Osteuropa und Methoden. Z.Z. Promotion<br />
zum Thema Arbeits-marktsegmentation und<br />
soziale Sicherheit.<br />
Stefan Jahr, geb. 1975, Studium der<br />
Soziologie und Betriebswirtschaftslehre in<br />
Leipzig; wis-senschaftliche Hilfskraft am<br />
Lehrstuhl „Vergleichende Analyse von Gegenwartsgesellschaf-ten“<br />
an der <strong>Universität</strong><br />
Leipzig; zurzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
des Forschungsprojekts zu parlamentarischen<br />
Führungskräften im Sonderforschungsbereich<br />
<strong>580</strong> sowie Dozent am Institut für Soziologie<br />
der <strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>; Arbeit<br />
an einer Promotion über Karrieren parlamentarischer<br />
Mandatsträger und ihren Werdegang<br />
nach Ausscheiden aus der Legislative.<br />
Seite 94
AUTOREN<br />
Bernd Martens, geb. 1955, Dr.<br />
phil., Soziologe, Promotion 1990 (an der<br />
<strong>Universität</strong> Hamburg), Habilitation 1998 an<br />
der <strong>Universität</strong> Tübingen. Wissenschaftliche<br />
Tätigkeiten an der <strong>Universität</strong> der Bundeswehr<br />
in Hamburg sowie an den <strong>Universität</strong>en<br />
Hamburg, Tübingen und Karlsruhe. Seit 2001<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt A2<br />
„Generationswechsel im Management“ des<br />
Sonderforschungsbereichs <strong>580</strong>. e-mail: bernd.<br />
martens@uni-jena.de<br />
Sören Petermann, geb. 1970, Dr.<br />
phil., Studium der Soziologie und allgemeinen<br />
Sprachwissen-schaft an den <strong>Universität</strong>en<br />
Leipzig und Utrecht. Seit 1997 Mitarbeiter am<br />
IfS der Martin-Luther-<strong>Universität</strong> Halle-Wittenberg.<br />
Seit 2001 Mitarbeiter im Teilprojekt<br />
A4 des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>. Forschungs-schwerpunkte<br />
sind Sozialkapitalforscchung, Analyse sozialer<br />
Netzwerke, Sozialstrukturfor-schung.<br />
Seite 95
AUTOREN<br />
Thomas Ritter, geb. 1967, M.A.,<br />
Studium der Soziologie, Medienwissenschaft<br />
und Psychologie in <strong>Jena</strong>, seit 2004 wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter an der <strong>Friedrich</strong>-<br />
<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>. Arbeitsschwerpunkt:<br />
Wissenschaftliche und organisatorische Betreuung<br />
des CATI-Labors<br />
Seite 96
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Gesellschaftliche<br />
Diskontinuität<br />
Entwicklungen<br />
Tradition<br />
nach dem Systemumbruch<br />
Strukturbildung<br />
Jahrelang haftete der telefonischen Befragung das Stigma<br />
einer „quick and dirty“ Erhebungsmethode an und schien<br />
deshalb im Besonderen nicht für Experten- oder Elitenbefragungen<br />
geeignet zu sein.<br />
Technische Innovationen wie z.B. die Computerunterstützung<br />
der telefonischen Befragung, haben sich positiv auf<br />
die Qualität wie auch die Rentabilität der erhobenen Daten<br />
ausgewirkt und der Befragung am Telefon neue Einsatzgebiete<br />
eröffnet. Dennoch gehörte die Befragung von Experten<br />
und Eliten bislang noch nicht dazu. Erstmals in Elite- und<br />
Expertenpopulationen eingesetzt wurde die CATI Erhebungsmethode<br />
im Rahmen des Sonderforschungsbereiches<br />
<strong>580</strong> an den <strong>Universität</strong>en <strong>Jena</strong> und Halle.<br />
Die Beiträge im vorliegenden Heft dokumentieren die Erfahrungen<br />
der einzelnen Projekte bei den durchgeführten<br />
telefonischen Befragungen ökonomischer und parlamentarischer<br />
Eliten und legen erste verallgemeinernde Schlussfolgerungen<br />
zur Anwendung des CATI - Instrumentes für die<br />
Befragung von Experten vor.<br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> - CATI LABOR (2006) ISSN 1619-6171