05.07.2014 Aufrufe

Thüringen - SFB 580 - Friedrich-Schiller-Universität Jena

Thüringen - SFB 580 - Friedrich-Schiller-Universität Jena

Thüringen - SFB 580 - Friedrich-Schiller-Universität Jena

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Friedrich</strong>- <strong>Schiller</strong>- <strong>Universität</strong><br />

Teilprojekt A3:<br />

Delegationseliten nach dem<br />

Systemumbruch<br />

<strong>Jena</strong><br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Gesellschaftliche<br />

Entwicklungen<br />

nach dem Systemumbruch<br />

Diskontinuität<br />

Tradition<br />

Strukturbildung<br />

Zwischenauswertung der<br />

Deutschen<br />

Abgeordnetenbefragung<br />

2003/04<br />

T h ü r i n g e n<br />

18<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3<br />

Sitzverteilung 3. Legislatur<br />

(1999 - 2004)<br />

21<br />

49<br />

CDU SPD PDS<br />

© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />

Heinrich Best | Michael Edinger | Stefan Jahr | Karl Schmitt


<strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />

Sonderforschungsbereich <strong>580</strong><br />

Teilprojekt A3:<br />

Delegationseliten nach dem Systemumbruch<br />

Das Projekt ist Teil des europäischen Forschungsnetzwerks<br />

„European Political Elites in<br />

Comparison: The Long Road to Convergence.“<br />

(EurElite)<br />

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat<br />

nach positiver Begutachtung durch externe Wissenschaftler<br />

und Experten im Frühjahr 2004<br />

entschieden, das Teilprojekt A3 des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> in<br />

der 2. Antragsperiode für weitere vier Jahre zu<br />

fördern.<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Befragungsziele S. 3<br />

Forschungsdesign S. 4<br />

Ausschöpfungsquoten S. 5<br />

Zufriedenheit mit dem Mandat S. 7<br />

Probleme der Abgeordnetentätigkeit S. 8<br />

Parlamentsreform S. 9<br />

Koalitionspräferenzen S. 10<br />

Politische Grundeinstellungen S. 11<br />

Einstellungen zu politischen Streitfragen S. 13<br />

Bewertung politischer Verfahren S. 15<br />

Berufliche und politische Zukunft S. 17<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3


Ein wissenschaftlich solides und wirklichkeitsnahes Bild der parlamentarischen Demokratie und ihrer<br />

Akteure wird nur zeichnen können, wer auch mit den Perspektiven von Parlamentariern, ihren<br />

Einschätzungen und ihren (Selbst-)Wahrnehmungen vertraut ist. Entsprechend stellen Erkenntnisse über<br />

Bewertungen und Erfahrungen der gewählten Repräsentanten in den Landtagen, im Deutschen<br />

Bundestag und im Europäischen Parlament (deutsche Mitglieder) das zentrale Anliegen der Deutschen<br />

Abgeordnetenbefragung 2003/04 dar.<br />

Unsere Befragung, die mittels computerunterstützter Telefoninterviews im Herbst und Winter 2003/04<br />

durchgeführt wurde, hatte drei Schwerpunkte:<br />

1. Politischer Werdegang und<br />

Weg ins Mandat<br />

- politische Erfahrungen und Parteifunktionen<br />

vor Mandat<br />

3. Politische Einstellungen und<br />

Bewertung politischer Institutionen<br />

- politische Grundeinstellungen<br />

Befragungsziele<br />

- Barrieren und Quellen<br />

der Unterstützung auf<br />

2. Rollenverständnis als<br />

dem Weg ins Mandat<br />

Abgeordnete(r) und<br />

- politische Zukunftspläne Ausübung des Mandats<br />

- Repräsentationsverständnis<br />

und -verhalten<br />

- Verhältnis zur eigenen und zu<br />

anderen Fraktionen<br />

- Bewertung der Institution Parlament und etwaiger<br />

Parlamentsreformen<br />

- Einstellungen zur Politikgestaltung und zum<br />

demokratischen Prozess<br />

- Positionen zu einzelnen politischen<br />

Themen/Streitfragen<br />

© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />

Darüber hinaus wurden im Rahmen der Erhebung weitere Themenfelder angesprochen:<br />

- die generelle Mandatszufriedenheit<br />

- die soziale Herkunft (Bildung, Beruf und politische Präferenzen der Eltern)<br />

- die Bedeutung beruflicher Erfahrungen/Qualifikationen für den politischen Werdegang<br />

- Politik als Beruf<br />

Für die Zwecke dieser Zwischenauswertung ist der Schwerpunkt auf das<br />

Rollenverständnis der Abgeordneten und ihre politischen Orientierungen gelegt worden.<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3


Die Abgeordnetenbefragung als Teil der Forschung zu<br />

parlamentarischen Führungsgruppen<br />

Das Kernanliegen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekts zu<br />

parlamentarischen Führungsgruppen ist die Analyse von Rekrutierungsmustern, Karrierepfaden und<br />

politischen Orientierungen der Abgeordneten in Ost- und Westdeutschland seit der Vereinigung. Mit<br />

seinen Ergebnissen möchte das Projekt zu einem besseren Verständnis von Entwicklungen der<br />

parlamentarischen Demokratie und ihrer Akteure beitragen.<br />

Die Abgeordnetenbefragung 2003/04 stellt dabei den zentralen von insgesamt drei Pfeilern des<br />

Untersuchungsdesigns bzw. der Datenstruktur dar (siehe Grafik). Sie bietet Informationen über<br />

Wahrnehmung, Einstellungen und Bewertungen sowie Verhaltensdispositionen, wie sie nur von den<br />

Parlamentariern selbst zu erfahren sind. Ergänzt wird diese Erhebung durch die ebenfalls 2003 erfolgte<br />

Befragung ehemaliger Abgeordneter. Karrierewege und -stationen bilden hingegen den Schwerpunkt der<br />

biografischen Datenbank. Anders als die Befragung ermöglicht sie eine Totalerfassung aller<br />

Parlamentarier. Als Quellen für die biografischen Angaben dienen die Parlamentshandbücher, die<br />

Homepages der Abgeordneten, einschlägige biografische Lexika sowie Angaben von<br />

Parlamenten, Parteien, Fraktionen und Wahlleitern.<br />

Forschungsdesign<br />

Während der innerdeutsche Ost-West-, der Ebenen- und der Fraktionen-Vergleich im<br />

Zentrum des Erkenntnisinteresses stehen, hat sich das Forschungsprojekt in den<br />

vergangenen Jahren mit Erfolg um wissenschaftliche Partner für Vergleiche über die<br />

deutschen Grenzen hinaus bemüht. Durch die internationale Erweiterung unserer<br />

Forschung wird es möglich, die Untersuchungsergebnisse für ost- und westdeutsche<br />

Mandatsträger in einen gesamteuropäischen Rahmen einzuordnen.<br />

Biografische Information Abgeordnetenbefragung Vergleichsdaten<br />

Variablen<br />

- sozialstrukturelle Faktoren<br />

- Berufsbiografie vor und während Mandat<br />

- kommunalpolitische Erfahrungen<br />

- politische Ämter in der DDR und zur<br />

"Wendezeit"<br />

- Parteifunktionen<br />

- Funktionen in Parlament und Exekutive<br />

Parlamente (jeweils 1946 – ca. 1961):<br />

Baden, Baden-Württemberg, Hessen,<br />

Saarland (ab 1957), Schleswig-Holstein,<br />

Württemberg-Hohenzollern<br />

Parlamente (jeweils seit 1990):<br />

• alle ostdeutschen Landesparlamente (1.023)<br />

• Berliner Abgeordnetenhaus (475)<br />

• westdeutsche Parlamente: Baden-<br />

Württemberg, Hessen, Saarland und<br />

Schleswig-Holstein (871)<br />

• Deutscher Bundestag (1.295)<br />

• deutsche Mitglieder des Europäischen<br />

Parlaments (179)<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3<br />

Variablen<br />

- Karriereambitionen vor erstem Mandat<br />

- Rollenverständnis/Mandatsausübung<br />

- Berufstätigkeit neben dem Mandat<br />

- parlamentarische/berufliche Zukunftspläne<br />

(derzeitige Abgeordnete)<br />

- postparlamentarische berufliche und<br />

politische Karriere (ehemalige<br />

Abgeordnete)<br />

- Verhältnis von Politik und Beruf<br />

- Politikverständnis und politische<br />

Einstellungen<br />

Grundgesamtheit<br />

• 1.001 Landtagsabgeordnete (MdL)<br />

• 603 Bundestagsabgeordnete (MdB)<br />

• 99 deutsche Mitglieder des EU-Parlaments<br />

(MdEP)<br />

• 1.368 ehemalige Landtagsabgeordnete<br />

• 692 ehemalige Bundestagsabgeordnete<br />

Ausschöpfungsquoten<br />

•Landesparlamente: 76,4 %<br />

• Bundestag: 25,9 %<br />

• Europäisches Parlament: 33,3 %<br />

• 396 Interviews mit früheren MdL<br />

• 163 Interviews mit früheren MdB<br />

Vergleichsszenarien<br />

synchron:<br />

- postkommunistische<br />

Transformationsstaaten<br />

Osteuropas<br />

- ausgewählte Staaten<br />

Westeuropas<br />

diachron:<br />

- postfaschistische Demokratien<br />

Westeuropas (Italien,<br />

Österreich, Spanien, Portugal)<br />

• Expertengespräche in<br />

Ungarn, Rumänien, Kroatien,<br />

Polen und Tschechien<br />

• Aufbau eines europäischen<br />

Netzwerkes<br />

• Internationale Konferrenzen<br />

in <strong>Jena</strong>, Bukarest, Siena,<br />

Granada, Leuven und Odense<br />

• Fortsetzung der Akquisition<br />

biografischer und Umfragedaten<br />

© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>


Gründe, sich nicht an einer wissenschaftlichen Abgeordnetenbefragung zu beteiligen, gibt es wie<br />

Sand am Meer: Desinteresse und ein knappes Zeitbudget gehören ebenso dazu wie - unbegründete -<br />

datenschutzrechtliche Bedenken oder grundsätzliche Vorbehalte gegenüber sozialwissenschaftlichen<br />

Methoden. Ein beeindruckend hoher Prozentsatz gerade der Landtagsabgeordneten hat sich<br />

ungeachtet dessen zur Teilnahme an der Befragung entschieden. Mit einer durchschnittlichen<br />

Teilnahmequote von über 75% konnte eine hervorragende Ausschöpfung erreicht werden. Sie<br />

signalisiert eine wachsende Bereitschaft von Parlamentariern, Auskunft über ihre Tätigkeit zu geben,<br />

und zeugt zudem von einem erheblichen Interesse an der parlamentsbezogenen<br />

sozialwissenschaftlichen Forschung.<br />

Unter allen in die Untersuchung einbezogenen Parlamenten weist der Thüringer Landtag die mit<br />

deutlichem Abstand höchste Teilnahmequote bei der Abgeordnetenbefragung auf. Lediglich zehn der<br />

88 Parlamentarier lehnten eine Beteiligung ab. Mit 88,6% ist nach dem Kenntnisstand der Autoren im<br />

Freistaat die höchste Ausschöpfungsquote erreicht worden, die es jemals bei einer<br />

Abgeordnetenbefragung in Deutschland gegeben hat. Die bemerkenswerte<br />

Unterstützung, die das Forschungsprojekt aus dem Thüringer Landtag erfahren hat,<br />

bedeutet zugleich, dass die Aussagekraft der Antworten sehr hoch ist.<br />

T h ü r i n g e n<br />

Ausschöpfungsquoten I: Landesparlamente<br />

Zahl der<br />

Abgeordneten<br />

realisierte<br />

Interviews<br />

Ausschöpfungsquoten<br />

<strong>Thüringen</strong> 88 78 88,6<br />

Sachsen-Anhalt 115 95 82,6<br />

Berlin 141 116 82,3<br />

Brandenburg 88 71 80,7<br />

Saarland 51 41 80,4<br />

Schleswig-Holstein 89 71 79,8<br />

Sachsen 120 89 74,2<br />

Mecklenburg-Vorpommern 71 51 71,8<br />

Hessen 110 77 70,0<br />

Baden-Württemberg 128 76 59,4<br />

Befragungszeitraum: September 2003 bis Januar 2004<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3<br />

© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>


© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />

T h ü r i n g e n<br />

Die generell hohe Ausschöpfungsquote findet sich für alle drei im Landtag vertretenen<br />

Fraktionen bestätigt. Bei der thüringischen SPD-Fraktion konnte sogar eine Vollerhebung<br />

realisiert werden - dies ist unter den insgesamt 32 Landtagsfraktionen mit mehr als neun<br />

Mitgliedern lediglich noch bei zwei weiteren Fraktionen gelungen: bei der PDS im Landtag<br />

Sachsen-Anhalt und bei Bündnis 90/Die Grünen im Hessischen Landtag. Im<br />

länderübergreifenden Vergleich von Fraktionen gleicher politischer Couleur zeigt sich,<br />

dass in <strong>Thüringen</strong> sowohl bei der CDU als auch bei der SPD die höchste Teilnahmequote<br />

erreicht wurde. Obwohl die Thüringer PDS-Fraktion eine ebenso hohe Ausschöpfung<br />

aufweist wie die CDU, belegt sie im Vergleich der sechs PDS-Landtagsfraktionen nur den<br />

letzten Platz - ein Resultat der generell hohen Teilnahmebereitschaft von<br />

PDS-Abgeordneten.<br />

CDU<br />

SPD<br />

PDS<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3<br />

© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>


Das generelle Bild<br />

überwiegend<br />

zufriedener Abgeordneter findet sich auch für <strong>Thüringen</strong> bestätigt: Mehr als drei Viertel der Abgeordneten<br />

empfindet die parlamentarische Tätigkeit als weitgehend oder sogar sehr befriedigend. Damit liegt die<br />

Mandatszufriedenheit im Freistaat weit über dem ostdeutschen Durchschnitt, allerdings auch erkennbar<br />

unter den Werten in den westdeutschen Landtagen.<br />

© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />

T h ü r i n g e n<br />

Fragetext: Einmal ganz allgemein betrachtet: Wie befriedigend ist für Sie persönlich Ihre Tätigkeit als<br />

Parlamentarier(-in): Ist sie sehr befriedigend, weitgehend befriedigend, einigermaßen befriedigend oder eher<br />

unbefriedigend?<br />

[Mittelwerte mit 1 = "eher unbefriedigend" und 4 = "sehr befriedigend"]<br />

Erwartungsgemäß weit auseinander liegen angesichts der ungleich verteilten<br />

Gestaltungs- und Erfolgschancen die Einschätzungen von Regierungs- und<br />

Oppositionspolitikern. So zeigt sich jeder dritte CDU-Abgeordnete sehr zufrieden, unter<br />

den Abgeordneten der beiden Oppositionsfraktionen hingegen kein einziger. 40% der MdL<br />

von PDS und SPD bezeichnen ihre Tätigkeit als lediglich einigermaßen befriedigend oder<br />

sogar unbefriedigend; unter den Abgeordneten der Union sind es zwei von 42 Befragten.<br />

Die Mandatszufriedenheit steht in <strong>Thüringen</strong> kaum mit den wahrgenommenen<br />

Gestaltungsmöglichkeiten in Verbindung. Sie ist auch unter den Parlamentariern relativ<br />

groß, die mehr Gestaltungsspielraum erwartet haben - und unter denjenigen, die in ihrer<br />

eigenen Fraktion über eher geringen Einfluss verfügen.<br />

Der Kandidaturabsicht tut eine geringe Zufriedenheit kaum Abbruch. Fast 60% der eher<br />

Unzufriedenen sind sich sicher, dass sie bei den kommenden Wahlen wieder antreten<br />

werden. Offenbar wird im Konfliktfall die persönliche Befriedigung den politischen Zielen<br />

und dem Streben nach ihrer Realisierung untergeordnet.<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3


Auch wenn sich die Abgeordneten in ihrer überwiegenden Mehrheit mit der eigenen Tätigkeit zufrieden<br />

zeigen, sind mit der Mandatsausübung doch eine Reihe unabweisbarer Schwierigkeiten und Belastungen<br />

verbunden. Diese können sich aus zeitlichen Restriktionen oder der Komplexität der inhaltlichen Arbeit<br />

ergeben, aber auch in mangelnder Akzeptanz oder fraktionellen Zwängen gesehen werden.<br />

Problemwahrnehmungen mit Bezug auf das Mandat (in %)<br />

(Nennungen: „sehr großes Problem“ und „großes Problem“ zusammengefasst)<br />

<strong>Thüringen</strong> MdL Ost<br />

MdL West<br />

zu wenig Zeit für das Privatleben 68 63 67<br />

zu wenig Zeit, um über Probleme vertiefend<br />

nachzudenken<br />

Frustration, da Probleme nur unzureichend<br />

gelöst werden können<br />

53 62 61<br />

44 49 36<br />

unzureichende Akzeptanz in der Öffentlichkeit 36 49 42<br />

Kluft zwischen eigenen politischen<br />

Vorstellungen und dem, was man als<br />

Abgeordneter im polit. Alltag vertreten muss<br />

31 34 25<br />

© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />

T h ü r i n g e n<br />

Wie die Tabelle illustriert, nennen die Thüringer Landtagsabgeordneten unter fünf<br />

vorgegebenen Problemen mit Abstand am häufigsten die negativen Auswirkungen auf das<br />

Privatleben. Die sich aus der Mandatsausübung ergebenden Belastungen treffen<br />

demnach vorwiegend den Privatmenschen Abgeordneter - dabei Frauen wie Männer<br />

gleichermaßen - und erst danach den Politiker. Als besonders gravierend gelten generell<br />

die geringen zeitlichen Ressourcen, während inhaltliche oder kommunikative<br />

Schwierigkeiten jeweils nur von einer (starken) Minderheit angeführt werden. Unmittelbar<br />

mandatsbezogene Probleme nehmen die Mitglieder des Thüringer Landtags im Vergleich<br />

zu ihren ostdeutschen Kollegen durchweg als weniger prekär wahr - was zugleich eine<br />

Teilerklärung für ihre überdurchschnittlich hohen Zufriedenheitswerte darstellt.<br />

Die Problemwahrnehmungen von Regierungs- und Oppositionspolitikern unterscheiden<br />

sich kaum. Eine Ausnahme besteht bei der Zeit für die Problemreflexion, die von nahezu<br />

doppelt so vielen Parlamentariern der Opposition als von CDU-Abgeordneten als<br />

unzureichend empfunden wird. Überraschenderweise sehen die Mitglieder der<br />

Regierungsfraktion ihre eigenen Vorstellungen auch nur selten im Widerspruch zu den<br />

Positionen, die sie öffentlich vertreten sollen. Eine solche Kluft nimmt hingegen jeder<br />

dritte PDS-Abgeordnete und jeder zweite Sozialdemokrat wahr. Die hohen Werte bei den<br />

SPD-Politikern dürften sich dadurch erklären, dass auch in den eigenen Reihen Agenda<br />

2010 umstrittenen ist.<br />

Zwischen “altgedienten” Parlamentariern und Novizen gibt es keine Unterschiede bei der<br />

Wahrnehmung von mit dem Mandat verbunden Problemen. So wird auch die fehlende<br />

Akzeptanz in der Öffentlichkeit wird von den Neulingen kaum als problematisch erachtet.<br />

Dafür beklagen die Newcomer im Thüringer Landtag überdurchschnittlich oft die geringe<br />

Zeit, die für das Privatleben verbleibt.<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3


Die Reform der parlamentarischen Arbeit gehört zu den<br />

Dauerbrennern auf der politischen Agenda, wenngleich<br />

sie in der Öffentlichkeit nur auf begrenztes Interesse stößt und damit kaum Möglichkeiten der<br />

parteipolitischen Profilierung bietet. So verschieden die Positionen zu einer Parlamentsreform ausfallen,<br />

so unterschiedlich sind ihre Gegenstände: Reformen können sich auf die Binnenstruktur der<br />

parlamentarischen Arbeit, die Vermittlung nach außen oder - und dies dürfte seit der<br />

schleswig-holsteinischen Verfassungsreform 1990 den eigentlichen Konfliktstoff darstellen - das<br />

Verhältnis zwischen Parlament und Exekutive beziehen.<br />

Im politischen Betrieb sind nur jene Reformvorhaben aussichtsreich, die bei einer hinreichend Zahl von<br />

Akteuren für vordringlich befunden werden. Deshalb weist die Tabelle allein die entsprechenden Anteile<br />

aus. Demnach genießt eine Erweiterung der Informationsansprüche des Parlaments gegenüber der<br />

Regierung Priorität unter den aufgeführten Reformvorschlägen. Dass sich aber auch dafür keine absolute<br />

Mehrheit findet, kann kaum überraschen, positionieren sich die Thüringer Abgeordneten in dieser Frage<br />

doch ganz entlang der Konfliktlinie zwischen Regierung und Opposition. Während die Abgeordneten der<br />

Minderheitsfraktionen nahezu geschlossen für erweiterte Informationspflichten plädieren, hält kaum ein<br />

CDU-Parlamentarier dieses Anliegen für prioritär. Maßgeblich von dieser für parlamentarische Systeme<br />

charakteristischen Trennlinie wird auch die Haltung zu einer besseren<br />

Öffentlichkeitsarbeit des Parlaments bestimmt. Den Oppositionsfraktionen ist dies kein<br />

wichtiges Anliegen, während es immerhin bei 40% der christdemokratischen<br />

Abgeordneten als vordringlich gilt.<br />

T h ü r i n g e n<br />

Fragetexte:<br />

Wichtigkeit von Reformen der parlamentarischen Arbeit (in %)<br />

Zur Reform der parlamentarischen<br />

Arbeit gibt es ja eine breite<br />

Es gilt als “vordringlich”... <strong>Thüringen</strong> MdL Ost MdL West<br />

Debatte. Wie stehen Sie zu den<br />

...erweiterte Informationspflichten der Regierung<br />

gegenüber dem Parlament<br />

41 43 34<br />

folgenden Reformvorschlägen ...<br />

...verbesserte Selbstdarstellung des Parlaments<br />

30<br />

in der Öffentlichkeit<br />

29 35<br />

...besseren Personal- und Sachmittelausstattung<br />

(Mögliche Antworten: vordringlich;<br />

8<br />

des Parlaments<br />

15 38<br />

dringlich; weniger dringlich)<br />

...bessere Initiativmöglichkeiten und erweitertes<br />

6 9 7<br />

Rederecht für den einzelnen Abgeordneten<br />

[Hier: Werte für “vordringlich”]<br />

© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />

In ihren Positionen zur Parlamentsreform unterscheiden sich die Thüringer kaum von<br />

anderen Landtagsabgeordneten. Die einzige Ausnahme stellt - vor allem im Vergleich zu<br />

westdeutschen Parlamentariern - die Ausstattung des Parlaments dar. Nur acht Prozent<br />

im Freistaat betrachten eine Verbesserung als vordringlich, während es in den alten<br />

Ländern fast 40% sind. Selbst unter den Abgeordneten, die über fehlende Zeit zum<br />

vertiefenden Nachdenken klagen, unterstützt kaum einer nachdrücklich eine<br />

Verbesserung der Personal- und Sachmittelausstattung. Offenbar sind die Befragten mit<br />

den Ressourcen, die ihnen als Landesparlamentarier zur Verfügung stehen, äußerst<br />

zufrieden. Möglicherweise gelten ihnen die zeitlichen Freiräume, die durch eine<br />

verbesserte parlamentarische Infrastruktur gewonnen werden können aber auch nicht<br />

nicht als bedeutsam.<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3


Die Abgeordnetenbefragung 2003/04 fand wenige Monate vor der Wahl zum vierten Thüringer Landtag<br />

am 13. Juni 2004 statt. Im Vorfeld der Wahlen erfuhr die - durch das Wahlergebnis obsolet gewordene -<br />

Frage der Koalitionsoptionen starke politische und mediale Beachtung. Vor diesem Hintergrund<br />

erscheinen die Koalitionspräferenzen der Abgeordneten gegen Ende der Legislaturperiode von<br />

besonderem Interesse.<br />

Entsprechend den einschlägigen offiziellen Verlautbarungen der Parteien schließen CDU und PDS<br />

einander als Koalitionspartner aus. Im Kontrast dazu zeigen sich Union und SPD beinahe einstimmig zu<br />

einer gemeinsamen Koalition bereit. Allerdings handelt es sich aus der Sicht der Abgeordneten jeweils<br />

mitnichten um eine favorisierte Koalitionsvariante; eher drängt sich das vielfach bemühte Bild einer<br />

politischen Vernunftheirat auf. Nur fünf Sozialdemokraten gaben die CDU als präferierten<br />

Koalitionspartner an; umgekehrt nannte kein einziges Mitglied der Regierungsfraktion die SPD. Die<br />

Wunschpartner für Koalitionen befanden (und befinden) sich jeweils außerhalb des Parlaments: die FDP<br />

(für die Union) und Bündnis 90/Die Grünen (für die SPD).<br />

Koalitionspräferenzen nach Fraktion (gewünscht / akzeptabel [in %])<br />

T h ü r i n g e n<br />

Fragetext: Nehmen wir<br />

einmal an, nach den<br />

nächsten Landtagswahlen<br />

in <strong>Thüringen</strong> wären SPD,<br />

CDU, Bündnis 90/Die<br />

Grünen, FDP und PDS in<br />

Fraktionsstärke im Landtag<br />

vertreten. Mit welcher<br />

dieser Parteien würden<br />

Sie sich eine formelle<br />

Koalition sehr wünschen,<br />

mit welcher wäre eine<br />

Koalition akzeptabel und<br />

mit wem sollte Ihre<br />

Fraktion auf keinen Fall<br />

eine Koalition eingehen?<br />

Asymmetrisch gestaltet sich die Koalitionsbereitschaft zwischen SPD und PDS. Während<br />

die Abgeordneten der PDS die Sozialdemokraten wie selbstverständlich als<br />

Koalitionspartner akzeptieren, teils sogar wünschen, gehen die Parlamentarier der<br />

kleineren Oppositionsfraktion auf Distanz. Nicht einmal jeder dritte Sozialdemokrat ist zu<br />

einer Koalition mit der SED-Nachfolgepartei bereit. Die Koalitionsaussage des<br />

SPD-Spitzenkandidaten Matschie vor der Landtagswahl zugunsten der Union konnte sich<br />

demnach offenkundig auf einen starken Rückhalt in der Landtagsfraktion stützen.<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3<br />

© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>


© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />

Die Selbstpositionierung der Befragten auf Links-Rechts-Skalen findet in repräsentativen<br />

Bevölkerungsumfragen ebenso regelmäßig Verwendung wie in den eher seltenen Befragungen politischer<br />

Führungsgruppen. Bei aller Vagheit der Begriffe “Rechts” und “Links” versprechen diese Positionierungen<br />

bei einer Parlamentarierbefragung gleichwohl einen doppelten Erkenntnisgewinn: einerseits über die<br />

weltanschauliche Nähe zwischen den Mitgliedern der im Parlament vertretenen Parteien/Fraktionen,<br />

andererseits bezüglich der relativen Distanz, die die Abgeordneten zwischen ihrer eigenen politischen<br />

Grundhaltung und der ihrer Fraktion sehen.<br />

Erwartungsgemäß nimmt die SPD sowohl bei der Selbsteinschätzung als auch bei der Parteieinschätzung<br />

eine mittlere Position zwischen CDU und PDS ein. Sie befindet sich jeweils näher am Skalenmittelpunkt<br />

als die PDS, zugleich aber deutlich links davon; einzig die CDU-Parlamentarier ordnen sich und ihre<br />

Partei rechts des Mittelpunkts ein. Während die Oppositionsfraktionen bei der jeweiligen<br />

Selbsteinschätzung durch ihre Mitglieder nahe beieinander liegen, befindet sich die SPD bei der<br />

Parteieinschätzung in einer Äquidistanz zu den beiden anderen Fraktionen. Trotz eines dezidiert "linken"<br />

Selbstverständnisses ihrer Abgeordneten bleibt sie als Partei in beide Richtungen bindungsfähig - Vorteil<br />

und Last ihrer Mittelstellung im regionalen Parteiensystem.<br />

Selbsteinschätzung und Einschätzung der eigenen Partei<br />

auf dem Links-Rechts-Kontinuum (Durchschnittswerte)<br />

Selbsteinschätzung<br />

T h ü r i n g e n<br />

1<br />

3,1 3,8<br />

5,5<br />

6,3<br />

10<br />

ganz links<br />

Mittelwert<br />

ganz rechts<br />

1 2,8 4,5 5,5 6,3<br />

10<br />

Einschätzung der eigenen Partei<br />

Fragetexte:<br />

Viele Leute verwenden die Be- griffe "links" und "rechts", wenn es darum geht, unterschiedliche politische Einstellungen zu kennzeichnen.<br />

Wo würden Sie sich auf einer Links-Rechts-Skala von 1 bis 10 einordnen, wenn 1 für "(ganz) links" und 10 für "(ganz) rechts"<br />

steht?<br />

Und wo würden Sie Ihre Partei auf einer Links-Rechts-Skala von 1 bis 10 einordnen? Wiederum steht die 1 für "(ganz) links" und die 10 für<br />

"(ganz) rechts" ?<br />

Bei keiner anderen Fraktion weisen sowohl die Selbst- als auch die Parteieinschätzung<br />

eine so große Heterogenität auf wie bei den SPD-Abgeordneten. Die Spanne der<br />

Parteiverortung auf der Links-Rechts-Skala reicht hier von 1 bis 8, bei der PDS hingegen<br />

endet sie bei 5, im Fall der Union reicht sie von 4 bis 9.<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3


Die Nähe und Distanz von Fraktionen auf den Links-Rechts-Skalen determiniert noch nicht ihre<br />

Politikziele oder ihre Haltung gegenüber (zumal tages-)politischen Streitfragen. Dies gilt auch dann, wenn<br />

es um die Festlegung politischer Prioritäten in Entscheidungskonflikten zwischen wichtigen politischen<br />

Zielen geht. Ein Beispiel dafür bietet das "Trilemma" zwischen Wirtschaftswachstum, der Sanierung der<br />

Staatsfinanzen und der Verringerung der sozialen Ungleichheit. Zwar stehen die drei Ziele in einem<br />

Zusammenhang, in der konkreten politischen Entscheidungssituation sind die parlamentarischen Akteure<br />

jedoch immer wieder genötigt, einem dieser Ziele (mindestens zeitweilig) Vorrang gegenüber den<br />

anderen einzuräumen.<br />

In markantem Kontrast zur Selbsteinstufung auf der Links-Rechts-Skala unterscheiden sich Christ- und<br />

Sozialdemokraten im Thüringer Landtag bei der den Prioritäten (wirtschafts-)politischer Kernanliegen<br />

kaum voneinander. Eine absolute Mehrheit spricht sich jeweils für das wirtschaftliche Wachstum als<br />

primäres Ziel aus. Erst bei der zweiten Präferenz treten deutliche Unterschiede zu Tage: Während bei<br />

den SPD-Abgeordneten die Realisierung sozialer Gleichheit knapp vor der Haushaltskonsolidierung<br />

rangiert, stellt sie für die meisten Unionspolitiker erst die dritte Wahl dar.<br />

T h ü r i n g e n<br />

Fragetext:<br />

Die Sanierung der Staatsfinanzen, das wirtschaftliche Wachstum und die Verringerung der sozialen Ungleichheit gelten<br />

allesamt als wichtige politische Ziele. Wenn Sie diese Ziele bewerten müssten, welches Ziel käme für Sie an erster Stelle:<br />

die Verringerung der sozialen Ungleichheit, das wirtschaftliche Wachstum oder die Sanierung der Staatsfinanzen?<br />

Eine Sonderstellung im Drei-Fraktionen-Parlament nimmt hier die PDS ein. Die Grafik<br />

macht anschaulich, dass nahezu alle ihrer Abgeordneten der Verringerung der sozialen<br />

Ungleichheit politische Priorität einräumen. Ihre Einigkeit in wirtschaftspolitischen<br />

Grundorientierungen hebt sich deutlich von den großen innerfraktionellen Dissens unter<br />

den Sozialdemokraten ab.<br />

12<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3<br />

© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>


Nicht nur bei politischen Grundsatzfragen, sondern auch bei bestimmten politischen Streitfragen sind<br />

markante Unterschiede zwischen den Fraktionen zu erwarten. Politische Profilierung und klare<br />

Abgrenzung von anderen Parteien entsprechen der Logik des Parteienwettbewerbs und werden zudem<br />

durch divergierende Grundpositionen nahe gelegt. Vor diesem Hintergrund ist von besonderem Interesse,<br />

ob sich interfraktionelle Differenzen auch in solchen Themenfeldern finden, die ihrer Struktur nach eher<br />

quer zu parteipolitischen Konfliktlinien liegen. Dies gilt im deutschen Bundesstaat vor allem für das<br />

Spannungsfeld zwischen starkem Föderalismus auf der einen und Unitarisierung sowie Europäisierung<br />

auf der anderen Seite. Wie sehr werden diesbezügliche Konflikte parteipolitisch überformt bzw.<br />

unterfüttert?<br />

Zunächst zeigt sich, dass das föderative System trotz aller Mängel und Kritik sowie unbeschadet der<br />

laufenden, im Rahmen der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung<br />

institutionalisierten Reformbestrebungen nicht grundsätzlich zur Disposition steht. Neun von zehn<br />

Thüringer Abgeordneten möchten die föderale Struktur in Deutschland erhalten, auch wenn sie politische<br />

Entscheidungen erschwert.<br />

Fragetexte:<br />

Als Parlamentarier muss man<br />

sich ja beständig eine Meinung<br />

T h ü r i n g e n<br />

zu Entscheidungen in einzelnen<br />

Politikfeldern bilden. Wie<br />

beurteilen Sie die folgende<br />

Aussage: In Deutschland sollte<br />

bundesweit das Zentralabitur<br />

eingeführt werden.<br />

(Mögliche Antworten: trifft voll<br />

und ganz zu; trifft eher zu; trifft<br />

eher nicht zu; trifft gar nicht zu)<br />

[Antworten “trifft voll und ganz<br />

zu” und “trifft eher zu”<br />

zusammengefasst]<br />

Freilich findet eine Stärkung des Föderalismus nicht in allen Politikfeldern Unterstützung.<br />

In Teilen der Bildungs- und Schulpolitik, wo den Ländern ein beträchtlicher<br />

Entscheidungsspielraum verblieben ist, setzen auch die Thüringer Parlamentarier eher<br />

auf Vereinheitlichung.<br />

Die Einführung eines bundesweiten Zentralabiturs wünschen in Zeiten von PISA und<br />

anderen internationalen Vergleichsstudien zu Lernerfolgen zwei Drittel der Thüringer<br />

Abgeordneten. Auch wenn sie damit noch deutlich unter dem Durchschnitt ihrer<br />

ostdeutschen Kollegen liegen, bestätigen sie die beträchtlichen Ost-West-Unterschiede.<br />

Während in den Reihen der Oppositionsfraktionen die Zustimmung überwältigend ausfällt,<br />

zeigt sich die Regierungsfraktion gespalten.<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3<br />

© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong>


Erweist sich beim bundesweiten Zentralabitur die Konfliktlinie zwischen Regierung und Opposition als<br />

prägend, ergeben sich hinsichtlich der Europäisierung - bei geringer ausgeprägten<br />

Ost-West-Unterschieden - andere Konstellationen im Fraktionenvergleich. Die Abgabe von weiteren<br />

Entscheidungskompetenzen der Nationalstaaten an europäische Institutionen, wie sie sich etwa aus dem<br />

Verfassungsentwurf des Konvents in einigen Politikbereichen ergibt, stößt im Thüringer Landtag wie in<br />

den meisten ostdeutschen Landtagen auf deutliche Vorbehalte. Nur knapp 30 Prozent der befragten<br />

Parlamentarier unterstützen eine solche Verlagerung von Entscheidungskompetenzen, kaum einer tut<br />

dies ohne Vorbehalte.<br />

T h ü r i n g e n<br />

In Ablehnung vereint finden sich die Abgeordneten von Union und PDS. Dabei fällt die<br />

Ablehnung in den Reihen der Christdemokraten noch deutlicher aus als unter den<br />

PDS-Politikern. Einzig unter den Parlamentariern der SPD findet eine weitere Abgabe von<br />

nationalstaatlichen Kompetenzen an die Europäische Union mehrheitlich Zustimmung.<br />

Allerdings fällt diese Zustimmung eher verhalten aus.<br />

Die hier zu konstatierende Übereinstimmung von CDU- und PDS-Abgeordneten stellt im<br />

Bereich der politikfeldbezogenen Einstellungen eine Ausnahme dar. In aller Regel liegen<br />

beide Fraktionen in <strong>Thüringen</strong> weit auseinander, während die sozialdemokratischen<br />

Landesparlamentarier mal näher bei den Positionen der Union (so etwa bei der Skepsis<br />

gegenüber einer primären Verantwortlichkeit des Staates für die Schaffung und Erhaltung<br />

von Arbeitsplätzen), mal näher bei denen der PDS liegen (z.B. bei der überwiegenden<br />

Ablehnung von Grundrechtseinschränkungen zum Zweck der Terrorismusbekämpfung).<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3


© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />

Mehr noch als die Haltungen der Thüringer Abgeordneten zu politischen Inhalten, die bisher dargestellt<br />

wurden, sind aus demokratie- und elitentheoretischer Perspektive ihre Einstellungen zu politischen<br />

Verfahren und demokratischen Entscheidungsprozessen relevant. Sie konturieren das<br />

Demokratieverständnis der politischen Führungskräfte im Parlament und geben Aufschluss darüber, ob<br />

ungeachtet des Meinungsstreits über einzelne politische Fragen eine über Parteigrenzen hinausgehende<br />

Übereinstimmung hinsichtlich der Demokratie als Verfahren besteht. Inwiefern erweisen sich die<br />

Parlamentarier also als Teil einer konsensuell geeinten Elite, deren Existenz für die alte Bundesrepublik<br />

prägend und stabilisierend gewesen ist?<br />

Aussagen zu politischen Verfahren und zum demokratischen Prozess<br />

(Zustimmung in %)<br />

Dimension 1: Entscheidungsverfahren<br />

+ + + – – –<br />

Auch wer in einer Auseinandersetzung Recht hat,<br />

sollte den Kompromiss suchen.<br />

34 44 16 6<br />

T h ü r i n g e n<br />

Demokratie ist auf Dauer nur möglich, wenn eine<br />

starke politische Führung die widerstreitenden<br />

Gruppeninteressen zurückdrängt.<br />

Dimension 2: Parteienstaatliche Demokratie<br />

Volksbegehren und Volksentscheide sind eine<br />

notwendige Ergänzung der repräsentativen<br />

Demokratie.<br />

Wenn Parteien in der Demokratie eine wichtige<br />

Rolle spielen, so werden durch sie doch politische<br />

Konflikte oft unnütz verschärft.<br />

Wie der Tabelle zu entnehmen ist, findet lediglich ein einziges der vier Statements die<br />

Zustimmung fast aller Parlamentarier. Die Einhelligkeit, mit der die Volksgesetzgebung<br />

zur notwendigen Ergänzung der repräsentativen Demokratie erklärt wird, überrascht<br />

insofern, als sich deutsche Eliten in der Vergangenheit eher positiv zu einer dezidiert<br />

repräsentativ verfassten Demokratie geäußert haben. Darüber hinaus liegt es in der<br />

Konsequenz der Zustimmung, eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes zu<br />

unterstützen - für die sich bislang jedoch keine Zweidrittelmehrheit gefunden hat. Zwar<br />

stellen die Befürworter dieser Meinung in allen Landesparlamenten eine deutliche<br />

Mehrheit, in keinem anderen Land aber fällt die Zustimmung so stark aus wie in<br />

<strong>Thüringen</strong>. Selbst unter den CDU-Landtagsabgeordneten lehnt nur jeder siebte Befragte<br />

die Aussage ab. Es liegt auf der Hand, in dieser Sonderstellung des Freistaats eine<br />

Spätwirkung des erfolgreichen Volksbegehrens für mehr (direkte) Demokratie im Jahr<br />

2000 auszumachen.<br />

Die Einstellung zur Volksgesetzgebung steht in einem starken Zusammenhang mit der<br />

Parteienkritik, wie sie in der letzten Aussage formuliert ist. Beide Aussagen lassen sich<br />

auf einen gemeinsamen Hintergrundfaktor zurückführen, die Skepsis gegenüber der<br />

parteienstaatlichen Demokratie.<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3<br />

15 30 42 13<br />

56 35 8 1<br />

20 35 32 13<br />

+ + trifft voll und ganz zu; + trifft eher zu; – trifft eher nicht zu; – – trifft gar nicht zu


© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />

Die Unterstützung der Volksgesetzgebung und die Kritik an der unnötigen Konfliktverschärfung durch die<br />

Parteien sind demnach unterschiedliche Ausprägungen dieser Skepsis. Angesichts der Tatsache, dass es<br />

sich bei den Parlamentariern beinahe ausnahmslos um Parteipolitiker handelt, die ihr Mandat neben dem<br />

Wählervotum vor allem der eigenen Partei "verdanken", muss ihre Distanzierung von der<br />

parteienstaatlichen Demokratie verblüffen. Besonders kritisch äußern sich die Oppositionspolitiker,<br />

während lediglich ein gutes Drittel der CDU-Abgeordneten beipflichtet.<br />

Neben der parteienstaatlichen Demokratie gibt es einen zweiten Hintergrundfaktor, der als<br />

integrationsbedachte Führungsstärke umschrieben werden kann. Er umfasst die Aussagen zur<br />

Kompromissorientierung und zur Zurückdrängung der Gruppeninteressen. Letztere erfährt angesichts<br />

eines Wortlauts, der pluralismuskritische Politikvorstellungen anklingen lässt, beträchtliche<br />

Unterstützung. Nahezu jeder zweite Parlamentarier, in den Reihen der Mehrheitsfraktion mehr als die<br />

Hälfte der Abgeordneten, äußert sich zustimmend.<br />

Noch stärker als die Parteizugehörigkeit bestimmt die Selbsteinstufung auf dem Links-Rechts-Kontinuum<br />

das Demokratieverständnis. Je geringer die Unterstützung der Volksgesetzgebung und je schwächer die<br />

Parteienkritik, desto weiter rechts stufen sich die Abgeordneten ein.<br />

Fragetexte:<br />

T h ü r i n g e n<br />

siehe vorherige Seite<br />

[Mittelwerte von 1 = „trifft<br />

gar nicht zu“ bis 4 = „trifft<br />

voll und ganz zu“]<br />

Ein umgekehrter Zusammenhang ergibt sich für die Forderung nach einer starken<br />

politischen Führung: Je deutlicher die Ablehnung ausfällt, desto weiter links die<br />

Selbsteinstufung. Lediglich die Bereitschaft zum Kompromiss bleibt von der<br />

Links-Rechts-Verortung unbeeinflusst. In ihrer generell stark ausgeprägten Kompromissorientierung<br />

erweisen sich die Thüringer Landesparlamentarier tatsächlich als eine<br />

konsensuell geeinte Elite.<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3


© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />

Die befragten<br />

T h ü r i n g e r<br />

Abgeordneten waren zum Zeitpunkt der Befragung durchschnittlich 50 Jahre alt und stehen somit noch<br />

mitten im Erwerbsleben. Vor dem Hintergrund, dass fast 80% der Befragten bei Antritt des Mandats aber<br />

nur von einer vorübergehenden Tätigkeit in der Politik ausgegangen waren, stellen sich die Fragen,<br />

welche Pläne die Thüringer Parlamentarier hinsichtlich ihrer weiteren Zukunft als Abgeordnete haben und<br />

wie sie sich die Zeit nach dem Mandat vorstellen.<br />

Zunächst hatten weit über 70% der Thüringer Abgeordneten vor, weiter als Landesparlamentarier in der<br />

Politik zu bleiben und auch bei den Landtagswahlen am 13. Juni 2004 zu kandidieren. Weitere fünf<br />

Abgeordnete waren sich zum Zeitpunkt der Befragung über eine erneute Kandidatur noch nicht im Klaren.<br />

Von den verbleibenden 17 Abgeordneten, die nicht wieder kandidieren wollen, steht keineswegs allen der<br />

Abschied aus der Politik vor Augen. Vielmehr strebt ein Drittel statt des Landtagsmandats andere<br />

politische Funktionen an, vor allem solche auf der kommunalen Ebene, aber auch ein Mandat im<br />

Europäischen Parlament.<br />

Für sechs befragte Thüringer Abgeordnete soll das Mandat nur Zwischenstation auf dem Weg in<br />

Exekutivfunktionen sein. Weitere 15 kalkulieren die Übernahme eines solchen Amtes ein, wenngleich es<br />

nicht forciert angestrebt wird.<br />

Fragetext:<br />

Haben Sie die Absicht, für<br />

T h ü r i n g e n<br />

weitere Legislaturperioden<br />

zu kandidieren?<br />

Mögliche Antworten:<br />

- Nein<br />

- Ja, vielleicht<br />

- Ja, sicher.<br />

Auch wenn sich nur ein Drittel der Parlamentarier mit fester Kandidaturabsicht sicher ist,<br />

als Kandidat wieder aufgestellt zu werden, was auf einen harten Nominierungskampf in<br />

den Parteikreisverbänden und auf den entsprechenden Parteitagen hindeutet, erscheinen<br />

die Wiederwahlchancen nicht so schlecht, wie von den Befragten selbst empfunden. Bis<br />

auf fünf haben es alle der 56 Parlamentarier mit fester Kandidaturabsicht geschaft, wieder<br />

nominiert zu werden; 46 von ihnen gelang auch der Wiedereinzug in den Thüringer<br />

Landtag.<br />

Doch trotzt der offenbar guten Wiederwahlchancen bleibt eine politische Karriere im<br />

Thüringer Landtag wie in allen Parlamenten mit Unsicherheit verbunden und entzieht sich<br />

in vielen Fällen der Planbarkeit. Diese Erfahrung haben über zwei Drittel der befragten<br />

ehemaligen Thüringer Abgeordenten gemacht und auch bei den befragten aktuellen<br />

Parlamentariern in <strong>Thüringen</strong> zeigt sich diese Unsicherheit, denn nur sehr wenige planen<br />

über die aktuelle Legislaturperiode hinaus und streben eine Kandidatur bei den Wahlen<br />

2009 an.<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3


© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />

Das durchschnittliche Alter, mit dem Thüringer Abgeordnete ihr Mandat beenden, liegt bei knapp 52<br />

Jahren. Für die Zeit nach dem Mandat und anderen politischen Funktionen, also dem "Leben nach der<br />

Politik" streben die meisten befragten Thüringer Parlamentarier wieder eine berufliche Tätigkeit an. 39%<br />

von ihnen wollen eine neue berufliche Tätigkeit aufnehmen und 19% wollen wieder in ihrem Beruf vor<br />

Mandatsantritt arbeiten. Von den 15 Personen, die wieder in ihren alten Beruf zurück kehren möchten,<br />

waren insgesamt neun auch während des Mandates beruflich tätig, die meisten davon aber schon in<br />

einem anderen Beruf als vor dem Mandat. Nur drei der 15 Personen sehen es als schwierig an, in ihrem<br />

alten Beruf wieder Fuß zu fassen. Alle drei standen vor dem Mandat in einem Angestelltenverhältnis.<br />

Keiner der vier Freiberufler möchte nach Ablauf seines Mandats wieder seiner alten Tätigkeit nachgehen,<br />

sondern lieber eine neue berufliche Tätigkeit ausüben. Von den fünf Personen, die noch nicht wissen,<br />

was sie nach dem Mandat machen, sind alle fünf kurzfristig keineswegs perspektivlos. Vier streben noch<br />

ein weiteres Mandat an und die fünfte Person hat bereits das Rentenalter erreicht.<br />

Trotz dieser recht klaren Vorstellungen von der beruflichen Zukunft möchten immerhin 61% der befragten<br />

Thüringer Abgeordneten das Parlament bei der Gestaltung des Übergangs vom Mandat in einen neuen<br />

Beruf in die Pflicht nehmen. Fast ebenso viele halten es aber auch für eine Aufgabe ihrer Partei, sich um<br />

die berufliche Zukunft ehemaliger Mandatsträger zu kümmern.<br />

T h ü r i n g e n<br />

Erwartungen für die Zeit nach der politischen Tätigkeit (in %)<br />

neue berufliche Tätigkeit<br />

39<br />

Rente<br />

30<br />

Rückkehr in alten Beruf<br />

19<br />

sonstiges 6<br />

weiß nicht 6<br />

0 10 20 30 40 50<br />

Fragetext:<br />

Wenn Sie einmal an die Zeit denken, wenn Sie kein politisches Mandat oder politisches Amt mehr ausüben, was werden Sie dann<br />

voraussichtlich tun? Werden Sie wahrscheinlich in Ihren alten Beruf zurückgehen, eine neue berufliche Tätigkeit anstreben oder werden Sie<br />

dann nicht weiter berufstätig sein?<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3


Projektteam<br />

Projektleitung<br />

Prof. Dr. Heinrich Best<br />

Institut für Soziologie<br />

Prof. Dr. Karl Schmitt<br />

Institut für Politikwissenschaft<br />

Mitarbeiter<br />

Dr. Michael Edinger<br />

Tel. +49 (0)3641-9 45055<br />

Fax +49 (0)3461-9 45052<br />

E-mail: s6edmi@nds.rz.uni-jena.de<br />

Dipl.-Soz. Stefan Jahr<br />

Tel. +49 (0)3641-9 45054<br />

Fax +49 (0)3461-9 45052<br />

E-mail: stefanjahr@gmx.de<br />

Adresse:<br />

I m p r e s s u m<br />

<strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />

Sonderforschungsbereich <strong>580</strong><br />

Teilprojekt A3:<br />

Delegationseliten nach dem Systemumbruch<br />

Carl-Zeiss-Straße 2<br />

D-07743 <strong>Jena</strong><br />

Das Projekt ist Teil des europäischen<br />

Forschungsnetzwerks "European Political<br />

Elites in Comparison: The Long Road to<br />

Convergence." (EurElite)<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3<br />

Die folgenden länderspezifischen<br />

Abgeordnetenstudien<br />

sind im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> unter<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/a3<br />

als PDF-Broschüre abrufbar.<br />

Baden-Württemberg<br />

Berlin<br />

Brandenburg<br />

Bundestag<br />

Hessen<br />

Mecklenburg-Vorpommern<br />

Rheinland-Pfalz*<br />

Saarland<br />

Sachsen<br />

Sachsen-Anhalt<br />

Schleswig-Holstein<br />

<strong>Thüringen</strong><br />

* Teilstudi e<br />

layout by grafiker.org

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!