Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2014-07-07 (Vorschau)
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28<br />
7.7.<strong>2014</strong>|Deutschland €5,00<br />
2 8<br />
4 1 98065 805008<br />
Skandinavische Schönheit<br />
Die Sieger des Red Dot Design Awards<br />
Neue Erbschaftsteuer<br />
So retten Sie Ihr Vermögen<br />
Das Enders-Prinzip<br />
Wie der Airbus-Chef Europas<br />
kompliziertesten Konzern umkrempelt<br />
Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien€6,00 | TschechischeRep.CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />
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Einblick<br />
Deutschland geht es so gut wie nie zuvor. Das ist der<br />
ideale Zeitpunkt für echte Reformen. Leider fehlen<br />
Führung und Reformwille. Von Roland Tichy<br />
Ist Deutschland happy?<br />
FOTO: HEIKE ROST FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Auch ohne den letzten Fußballerfolg:<br />
Deutschland erlebt ein<br />
Sommermärchen. Die Arbeitslosigkeit<br />
auf Tiefststand, die Beschäftigung<br />
spiegelbildlich ganz oben.<br />
Auch wenn es SPD und Gewerkschaften<br />
bestreiten: Die Zahl der prekären Beschäftigungen<br />
schrumpft, es sind neue Normalarbeitsverhältnisse,<br />
die entstehen. Löhne<br />
und Gehälter steigen. Selbst der gefürchtete<br />
Blackout durch die Energiewende ist<br />
bisher ausgeblieben. Die Deutschen treten<br />
kosmopolitisch auf, lieben Europa, die<br />
Demokratie, ihr Land und ihr Wohlergehen.<br />
Es ist, als ob sie die Schatten der Vergangenheit<br />
abgestreift und sich ein Volk<br />
neu erfunden hätte – lebensfroh und friedliebend,<br />
der Welt zugewandt. Laisser-faire,<br />
und doch fahren die Züge pünktlich; hedonistisch,<br />
und doch stagniert die Staatsverschuldung.<br />
Erfolge soll man feiern, die<br />
guten Tage genießen und nicht durch Bedenken<br />
kleinreden: Let the good times<br />
roll; Denglisch ist ein Teil der neuen globalen<br />
Leitkultur dieses Landes.<br />
Aber in Wirtschaft und Politik wird heute<br />
die Zukunft organisiert. Jetzt wären die<br />
Zeit, die Kraft und die Mittel da, um<br />
Langfristthemen anzupacken – da gäbe es<br />
ja einiges zu tun für eine tatkräftige Regierung<br />
mit satter Mehrheit im Bundestag.<br />
Man könnte das weltbeste Schul- und<br />
Ausbildungssystem entwickeln und sich<br />
nicht nur damit abfinden, wenn im Pisa-<br />
Vergleich ein paar Tabellenpunkte gewonnen<br />
wurden. Denn das Niveau der Universitäten<br />
nimmt in der Breite bedenklich ab,<br />
und die Spitze ist nicht Weltspitze, Schulklassen<br />
sind überfüllt, und die Pädagogik<br />
taumelt nur von einer Verschlimmbesserung<br />
zur nächsten.<br />
Die Verkehrsinfrastruktur ist brückenweise<br />
verrottet. Straßen und Bahn werden<br />
<strong>vom</strong> Verkehr überrollt, der dem wirtschaftlichen<br />
Erfolg vorausfährt.<br />
Die Verschuldung des Bundes schmilzt<br />
wegen der Nullzinspolitik, aber viele Bundesländer<br />
und Kommunen kriegen trotzdem<br />
die Kurve nicht. Wer aber in den besten<br />
aller Zeiten die schwarze Null nicht<br />
schafft, der schafft sie nimmermehr. Die<br />
Sozialpolitik schüttet ihr Füllhorn über<br />
diejenigen aus, die in den vergangenen<br />
Jahrzehnten großen Wohlstands Ansprüche<br />
erworben haben. Die Rente mit 60 ist<br />
das nächste Ziel; im satten Wohlbefinden<br />
werden die Parteiprogramme aus den<br />
Siebzigern umgesetzt, die schon in fünf<br />
Jahren unfinanzierbar sind. Dabei gibt es<br />
die beklagte Altersarmut beim heutigen<br />
Rentner kaum – bei den heutigen Beitragszahlern<br />
wird sie pandemisch. Sozialabgaben<br />
und Löhne steigen, Investitionen sinken.<br />
Bei allem Wohlstand wächst das<br />
materielle und kulturelle Elend: Als Konsequenz<br />
einer ungesteuerten Zuwanderung<br />
und mangelnder Integration entstehen<br />
Räume der Rechtlosigkeit, die die<br />
Polizei nicht mehr betritt und in der Clans<br />
und seltsame Abarten des Islamismus die<br />
Menschen manipulieren. Ludwig Erhards<br />
Formel <strong>vom</strong> „Wohlstand für alle“ ist verwirklicht,<br />
aber die Ränder fransen aus. Rezepte?<br />
Keine.<br />
STRUKTURELLER STILLSTAND<br />
Deutschland hat sich in einer Art Komfortzone<br />
der Geschichte wohlig eingerichtet.<br />
Noch sind wenig Alte zu versorgen, das<br />
sind die Spätfolgen des Krieges. Wir haben<br />
wenige Kinder, da finanziert sich die Fernreise<br />
der Doppelverdiener von alleine. Eine<br />
neue Betroffenheitskultur erregt sich über<br />
Dinge, die weit weg oder nebensächlich<br />
sind. Veganismus und Bürgerrechte für<br />
Katz und Hund sind das Sommerthema im<br />
Feuilleton. Aber diese Pseudoerregung<br />
bleibt folgenlos. Eine ständig älter werdende<br />
Gesellschaft verbindet ihre individuelle<br />
Zügellosigkeit mit einem strukturellen<br />
Konservatismus: Es ist gut, wie es ist, und<br />
so soll es auch bleiben.<br />
Aber es muss sich bekanntlich alles ändern,<br />
damit es so nett bleibt, wie es ist. Die<br />
gesellschaftlichen Eliten schweigen. Die<br />
Wirtschaft genießt den Dax-Höchststand.<br />
Die Politik will nicht verstören. Ziel ist der<br />
schiere Machterhalt. Alternativen werden<br />
ausgeschlossen, denn sie würden das<br />
Sommermärchen nur stören. Dabei müssen<br />
die Quellen des Wohlstands neu erfunden<br />
werden.<br />
n<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 5<br />
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Überblick<br />
Menschen der Wirtschaft<br />
8 Seitenblick Park gegen Fluglärm<br />
10 Yingli: Klage aus Deutschland gegen<br />
chinesischen Solarriesen<br />
11 Rocket Internet:Samwers kassieren ab |<br />
Orange: Handyoffensive in Deutschland<br />
12 Interview: Sonys Spielechef Andrew House<br />
will mit Live-Fernsehen punkten<br />
13 EU-Kommission: Frauen gesucht |<br />
Fußball-WM: Versicherungsbetrug boomt |<br />
Drei Fragen zum Korruptionsregister<br />
14 Google: Neue Klagen drohen | Mafia: Vorbild<br />
Italien | Stahlgruber: Rückzug aus China<br />
16 Chefsessel | Start-up Bside Me<br />
18 Chefbüro Armin Papperger, Vorstandschef<br />
von Rheinmetall<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
20 Erbschaftsteuer Das alte System ist<br />
womöglich verfassungswidrig. Was Unternehmen<br />
und Erben jetzt droht | Wie das<br />
Ausland Erben besteuert<br />
26 Bundesregierung Die Zahl der handwerklichen<br />
Fehler und Gesetzespannen wächst<br />
28 Forum Grünen-Politiker Gerhard Schick<br />
über Defizite der Finanzmarktregulierung<br />
29 Frankreich Finanzminister Michel Sapin ist<br />
die Schlüsselfigur in Hollandes Reformplan<br />
31 Mongolei Trotz vieler Rohstoffe lässt das<br />
Land deutsche Investoren kalt. Warum nur?<br />
32 Japan Die Regierung will mit einer Frauenquote<br />
die Wirtschaft ankurbeln<br />
35 Berlin intern | Global Briefing<br />
Der Volkswirt<br />
36 Kommentar Argentinien vor der Staatspleite<br />
| Nachfragt Thomas Mayer<br />
37 Konjunktur Deutschland<br />
38 Serie Frühindikatoren (IV) Der ISM-Index<br />
ist Gradmesser für die globale Wirtschaft<br />
39 Weltwirtschaft Die Zinswende kommt –<br />
zunächst aber nur in Großbritannien<br />
40 Denkfabrik ifo-Präsident Hans-Werner<br />
Sinn rügt Tricks bei den EU-Schuldenregeln<br />
Unternehmen&Märkte<br />
42 Airbus Wie Vorstandschef Tom Enders den<br />
Luftfahrtkonzern umbaute | Panzerbauer<br />
suchen Auswege aus der Rüstungskontrolle<br />
50 Dossier Charles-Edouard Bouée So tickt<br />
der neue Chef von Roland Berger<br />
52 TUI Gelingt der Aufstieg zum weltgrößten<br />
Tourismuskonzern?<br />
54 Eintrittskarten Das dubiose Geschäft mit<br />
dem Weiterverkauf von Tickets<br />
56 Banken Der Rettungsfonds Soffin steht vor<br />
seiner letzten Herausforderung<br />
59 Interview: Werner Dornscheidt Warum die<br />
Messe Düsseldorf keine Stütze braucht<br />
60 Oldtimer Warum Superkarossen Millionen<br />
kosten und dubiose Geschäfte provozieren<br />
Airbus Das Enders-Prinzip<br />
Schnell entscheiden, Macht delegieren,<br />
Vorgesetzte zu Vorbildern machen: wie<br />
Vorstandschef Tom Enders Intrigen,<br />
Produktionsdesaster und Länderstreits<br />
überwand – und Europas schwierigsten<br />
Konzern zum Vorbild für moderne<br />
Unternehmenskultur machte. Seite 42<br />
Gefährliche Erbschaften<br />
Unternehmerfamilien wie die von Eben-Worlées aus Hamburg<br />
warten mit Sorge auf die Reform der Erbschaftsteuer. Was<br />
der Wirtschaft aus Karlsruhe und Berlin droht – und wie sich<br />
Unternehmer und Erben vorbereiten können. Seiten 20, 80<br />
Einfach schön<br />
Der Red Dot Award <strong>2014</strong><br />
zeigt:Skandinavisches<br />
Design ist auf dem Vormarsch<br />
– zum Beispiel<br />
mit norwegischen<br />
Stiefeln, deren<br />
Sohlen dank<br />
Mikroglasfasern<br />
rutschfest sind.<br />
Seite 98<br />
TITELFOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
6 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Nr. 28, 7.7.<strong>2014</strong><br />
Meckern? Ja, bitte!<br />
Sie haben unzufriedene Kunden? Gut – dann haben Sie auch<br />
die Chance auf eine Wiedergutmachung. Wie Unternehmen aus<br />
Beschwerden lernen und auch noch Profit schlagen. Seite 74<br />
Technik&Wissen<br />
64 Informationstechnik Die Neuerfindung<br />
des Computers | Interview: James Goodnight<br />
sucht lebensrettende Algorithmen<br />
68 Parken Apps und Sensoren sollen bei der<br />
Suche nach freien Stellplätzen helfen<br />
69 Medizin Der Ebola-Ausbruch in Westafrika<br />
schürt die Angst vor Seuchen. Zu Recht?<br />
73 Valley Talk<br />
Management&Erfolg<br />
74 Beschwerdemanagement Warum Unternehmen<br />
sich über Kritik freuen sollten<br />
78 Interview: Stefan Heissner Hochstapler<br />
haben in Unternehmen oft leichtes Spiel<br />
FOTOS: CHRISTIAN O.BRUCH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, PR, RUDOLF WICHERT FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; ILLUSTRATION: FRANCESCO BONGIORNI<br />
Die Neuerfindung des Computers<br />
Handel, Banken, Autos: Alle Branchen stecken tief im digitalen<br />
Umbruch und brauchen mehr Rechenpower. Ausgerechnet jetzt<br />
aber schwächelt die IT – radikal neue Ideen sind gefragt. Seite 64<br />
Garagengold<br />
Wegen angeblich zu teuer<br />
verkaufter Autoklassiker sitzt<br />
Kunstberater Helge Achenbach<br />
in Haft. Der Fall zeigt,<br />
wie Superreiche in Zeiten<br />
niedriger Zinsen aus dem<br />
Geschäft mit Autoklassikern<br />
eine riesige Bonanza gemacht<br />
haben. Seite 60<br />
Geld&Börse<br />
80 Erben und vererben Streit vermeiden und<br />
Steuer sparen– so geht’s | Immobilien günstig<br />
übertragen | Erben gesucht<br />
86 Grauer Kapitalmarkt Ein Immobiliendeal<br />
der Investmentfirma KGAL wirft Fragen auf<br />
88 US-Techaktien Adobe und NetApp<br />
90 Steuern und Recht Online-Bewertungen |<br />
Tippspiele im Büro | Mitarbeiteraktien |<br />
Argentinien-Anleihen | Mieteinnahmen<br />
92 Geldwoche Kommentar: Twitter aus dem<br />
Takt | Trend der Woche: Silber | Dax-Aktien:<br />
Autowerte | Hitliste: Goldpreis | Aktien: E2V<br />
Technologies, Apache | Anleihe: Sixt | Investmentfonds:<br />
Franklin Mutual European |<br />
Chartsignal: Yen | Relative Stärke: Bilfinger<br />
Perspektiven&Debatte<br />
98 Spezial Red Dot Award Prämierte<br />
Produkte aus Skandinavien | Interview mit<br />
Red-Dot-Award-Gründer Peter Zec<br />
Rubriken<br />
5 Einblick, 112 Leserforum,<br />
113 Firmenindex | Impressum, 114 Ausblick<br />
n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche<br />
weltweit auf iPad oder iPhone:<br />
Unter anderem mit einem Videointerview<br />
mit dem Düsseldorfer<br />
Kunstberater Helge<br />
Achenbach in seiner<br />
Oldtimersammlung, das<br />
wir vor seiner Verhaftung<br />
aufgenommen haben.<br />
wiwo.de/apps<br />
n Wende in Indien Harvard-Professor<br />
Martin Feldstein sieht Anzeichen<br />
für einen dramatischen Aufstieg<br />
Indiens nach dem Wahlsieg von<br />
Narendra Modi. wiwo.de/indien<br />
facebook.com/<br />
wirtschaftswoche<br />
twitter.com/<br />
wiwo<br />
plus.google.com/<br />
+wirtschaftswoche<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 7<br />
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Seitenblick<br />
FLUGLÄRM<br />
Kämme gegen<br />
den Krach<br />
Der Flughafen Amsterdam-Schiphol mindert<br />
den Fluglärm auf eine weltweit einzigartige Weise:<br />
Er legt einen Park an.<br />
1100Mal täglich starten oder<br />
landen Flugzeuge auf dem Amsterdamer Flughafen<br />
Schiphol. Die Bürger in der Nachbarschaft leiden<br />
unter ungewöhnlich hohem Lärm, denn auf dem<br />
flachen Land dort gibt es kaum Hindernisse für den<br />
Schall. Vor einigen Jahren aber stießen die Anwohner<br />
auf ein seltsames Phänomen. Wenn die Bauern im<br />
Herbst ihre Felder beackerten, Furchen und Kämme<br />
in den Boden zogen, kam das Dröhnen der Flugzeugturbinen<br />
weniger laut herüber. Niederländische<br />
Wissenschaftler fanden heraus, dass die Dreiecksform<br />
der Ackerfurchen den Schall gen Himmel lenkt.<br />
33Hektar, eine Fläche so groß wie 50<br />
Fußballfelder, ließ der Flughafenbetreiber daraufhin<br />
von Landschaftskünstler Paul de Kort in einen Park<br />
verwandeln. Mittels GPS-gesteuerter Bagger wurden<br />
Furchen und Kämme der Äcker in vergrößertem<br />
Maßstab nachgestaltet, Radwege, ein künstlicher<br />
Teich sowie eine Brücke angelegt. Mittelfristig soll der<br />
Park auf 60 Hektar wachsen, um den Flugzeuglärm<br />
im Umkreis um insgesamt zehn Dezibel zu reduzieren.<br />
3Prozent der Bevölkerung fühlen sich in<br />
Deutschland von Flugzeuglärm belästigt. Streit mit<br />
Anwohnern entbrannte etwa in Frankfurt, Düsseldorf<br />
und Berlin. Allein am neuen Hauptstadtflughafen<br />
erhalten 14 000 Haushalte Schallschutzfenster oder<br />
Dämmungen – auf Kosten der Flughafengesellschaft.<br />
thomas.stoelzel@wiwo.de<br />
Vorher<br />
8 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Grüne Wälle<br />
Der Buitenschot-Park bei Amsterdam<br />
mindert nicht nur den Fluglärm,<br />
sondern dient sogar der Erholung<br />
Bioschalldämpfer<br />
Wie Furchen und Kämme den<br />
Fluglärm umlenken<br />
Nachher<br />
FOTO: YOUR CAPTAIN LUCHTFOTOGRAFIE; ILLUSTRATION: KRISTINA DÜLLMANN<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 9<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
Scharf geschossen<br />
Fußballstar Schweinsteiger<br />
vor der Yingli-<br />
Werbung im Stadion<br />
YINGLI<br />
»Kein Geld auf dem Konto«<br />
Der größte Hersteller von Solarmodulen<br />
soll einem deutschen Mittelständler<br />
Millionen schulden. Jetzt klagt der<br />
Insolvenzverwalter gegen die Chinesen.<br />
Fußballfans kennen Yingli. Der chinesische Konzern,<br />
weltgrößter Hersteller von Solarmodulen,<br />
wirbt bei der Fußballweltmeisterschaft auf den<br />
Banden in den Stadien und sponsert den FC Bayern<br />
München. Doch während die Chinesen hoffen,<br />
berühmt zu werden, droht ihnen in Deutschland<br />
ein Gerichtsverfahren: Yingli wurde auf Schadensersatz<br />
verklagt. Das Landgericht Amberg bestätigt<br />
den Eingang der Klage. Die Forderung richtet sich<br />
gegen mehrere Gesellschaften des börsennotierten<br />
Fotovoltaikkonzerns. Einem Insider zufolge hat<br />
Christopher Seagon, Insolvenzverwalter des<br />
deutschen Unternehmens SIC Processing, die<br />
Klage eingereicht. Er beschuldigt demzufolge<br />
Yingli, Verträge mit SIC gebrochen zu haben. Der<br />
Partner der Kanzlei Wellensiek sieht darin einen<br />
„bedeutenden Grund“ für die Insolvenz des deutschen<br />
Unternehmens.<br />
SIC Processing reinigt Sägesuspension – Rückstände,<br />
die bei der Produktion von Wafern entstehen.<br />
Wafer wandeln in Solarmodulen Sonnenstrahlen<br />
in Energie um. SIC hatte auf Wunsch der<br />
Chinesen an deren Hauptsitz in Baoding 29 Millionen<br />
Euro in eine Aufbereitungsanlage investiert<br />
und sie betrieben. Im Gegenzug soll sich Yingli dazu<br />
verpflichtet haben, mindestens zehn Jahre lang<br />
Sägesuspension von SIC aufbereiten zu lassen. Für<br />
fünf Jahre sollen sogar Mindestmengen und Preise<br />
vertraglich fixiert gewesen sein.<br />
Dem Insider zufolge wirft der Insolvenzverwalter<br />
Yingli nun vor, „heimlich eine eigene Produktionsanlage<br />
zur Aufbereitung“ errichtet zu haben. Kaum<br />
sei die fertig gewesen, habe Yingli „weder offene<br />
Rechnungen von SIC fristgerecht bezahlt noch weitere<br />
Leistungen zu den vereinbarten Konditionen<br />
abgenommen“. Als Grund, schrieb der Sprecher von<br />
Seagon im Oktober, hätten Verantwortliche von Yingli<br />
genannt, dass sie „kein Geld zur Zahlung der SIC-<br />
Processing-Forderungen auf dem Konto“ hätten und<br />
SIC bei Yingli „auf der Liste der am dringendsten zu<br />
bezahlenden Gläubiger nicht weit genug oben stünde“.<br />
So konnte sich die Investition von SIC nicht<br />
amortisieren. Ende 2012 war SIC zahlungsunfähig.<br />
Der Sprecher von Seagon wollte sich nicht zu den<br />
aktuellen Informationen aus der offenen Teilklage<br />
äußern. Eine Teilklage signalisiert, dass aus Kostengründen<br />
nicht alle Ansprüche auf einmal geltend gemacht<br />
werden; zunächst fordert Seagon eine Million<br />
Euro. Anleger, die SIC 87 Millionen Euro geliehen<br />
haben, können hoffen: Dem Insider zufolge will Seagon<br />
bis zu 24 Millionen rausholen. Die Klage muss<br />
den Chinesen noch zugestellt werden. „Deshalb<br />
können wir leider zu Inhalten keine Stellung nehmen“,<br />
hieß es bei Yingli.<br />
annina.reimann@wiwo.de<br />
Abgestürzt<br />
Kursverlauf der SIC-<br />
Processing-Anleihe<br />
(in Prozent)<br />
100<br />
75<br />
50<br />
25<br />
0<br />
2011 12 13 14<br />
ISINDE000A1H3HQ1;<br />
Quelle:Börse Frankfurt<br />
10 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTO: IMAGO/SVEN SIMON, LAIF/ANDREAS CHUDOWSKI, DPA PICTURE-ALLIANCE/PATRICK SEEGER<br />
SAMWER-BRÜDER<br />
Fette Ausschüttung vorab<br />
Für den Börsengang der Berliner<br />
Internet-Holding Rocket Internet<br />
stellen die Großaktionäre<br />
rund um die Unternehmerbrüder<br />
Marc, Oliver und Alexander<br />
Samwer die Weichen. Neben<br />
der Kür von Oliver Samwer<br />
zum Vorstandschef des gerade<br />
erst in eine Aktiengesellschaft<br />
umgewandelten Unternehmens<br />
hat sich jetzt ein Aufsichtsrat<br />
formiert. Vorsitzender ist Lorenzo<br />
Grabau, Chef des schwedischen<br />
Rocket-Aktionärs<br />
Kinnevik. Vize ist Jörg Mohaupt<br />
von Access Industries, der<br />
Beteiligungsgesellschaft des<br />
Vor dem Börsengang zugelangt<br />
Rocket-Chef Oliver Samwer<br />
Milliardärs Len Blavatnik. Zugleich<br />
aber wachsen Zweifel an<br />
den Motiven für den Börsengang.<br />
Bisher hieß es, Rocket benötige<br />
mehr Geld für künftiges<br />
Wachstum. Doch ein Gutachten<br />
des Wirtschaftsprüfers Ernst<br />
& Young sowie der Gründungsbericht<br />
der Gesellschaft zeigen,<br />
dass sich die Samwers allein<br />
dieses Jahr eine Vorabausschüttung<br />
von knapp 287 Millionen<br />
Euro gegönnt haben. Kinnevik<br />
und Access Industries erhielten<br />
statt Geld direkte Anteile an<br />
Rocket-Töchtern. Schon in den<br />
Vorjahren hatten die Investoren<br />
Kasse gemacht. 2012 flossen<br />
470 Millionen Euro als Ausschüttungen<br />
an die Gesellschafter,<br />
2013 waren es 80,6 Millionen<br />
Euro.<br />
Auch die kolportierte Bewertung<br />
von drei bis fünf Milliarden<br />
Euro bezeichnet ein Frankfurter<br />
IPO-Berater als „gewagt“.<br />
Im Gründungsbericht werden<br />
„Erfolgsfähigkeit der Geschäftsmodelle<br />
der Beteiligungsgesellschaften“<br />
sowie die „Konkurrenz<br />
durch andere Inkubatoren<br />
und Gründer“ als Risiken aufgelistet.<br />
Durch die Schnelllebigkeit<br />
des Webs könne sich der<br />
Wert von Beteiligungen ändern.<br />
henryk.hielscher@wiwo.de<br />
Aufgeschnappt<br />
Villa für Promis Sogar Lady Di<br />
hat hier schon genächtigt,<br />
Aufsehen erregte das Castillo<br />
Mallorca aber erst 2010, als<br />
sich Christian Wulff hier erholte<br />
– kurz nach seiner Vereidigung<br />
als Bundespräsident. Schon da<br />
gehörte das 6000 Quadratmeter<br />
große Anwesen dem AWD-<br />
Gründer Carsten Maschmeyer.<br />
Jetzt will er es verkaufen – für<br />
38 Millionen Euro<br />
PayPal für Monaco Der Zahlungsdienst<br />
hat seinen Service<br />
auf 200 Länder ausgedehnt.<br />
Neu dabei ist auch Monaco.<br />
Dort gab es PayPal schon vor<br />
Jahren, aber dann wurden die<br />
Accounts geschlossen. Grund:<br />
PayPal hatte die Nutzer wie EU-<br />
Bürger behandelt, doch Monaco<br />
ist nicht in der EU. Daher mussten<br />
die Bedingungen geändert<br />
werden – und das dauerte.<br />
ORANGE<br />
Offensive in<br />
Deutschland<br />
Bisher hatten Deutsche Telekom<br />
und der französische Konkurrent<br />
Orange darauf verzichtet,<br />
im Heimatland des jeweils<br />
anderen anzugreifen. Damit<br />
bricht Orange, die frühere<br />
France Télécom. Die neue Sparte<br />
Orange Horizons entwickelt<br />
Geschäftsideen ausschließlich<br />
für Länder, in denen Orange<br />
keine eigene Mobilfunkinfrastruktur<br />
besitzt. Deutschland<br />
wird einer der Testmärkte. „Wir<br />
wollen vorbereitet sein, wenn<br />
die EU die unterschiedlich regulierten<br />
Telekommunikationsmärkte<br />
der 28 Mitgliedsländer<br />
vereinheitlicht“, sagt Sébastian<br />
Crozier, Chef von Orange Horizons.<br />
Ein Ziel sei es, die Marke<br />
Orange weltweit bekannter zu<br />
machen. Allerdings fängt Orange<br />
elf Jahre nach dem Ausstieg<br />
bei Mobilcom wieder ganz klein<br />
an. Einen Online-Shop mit<br />
Smartphones gibt es schon.<br />
Jetzt startet noch eine deutsche<br />
Web-Site, auf der Kunden Prepaid-Karten<br />
aufladen können.<br />
Und deutschen Frankreich-<br />
Urlaubern will Orange eine<br />
französische SIM-Karte ohne<br />
Auslandsaufschlag anbieten.<br />
juergen.berke@wiwo.de<br />
BMW hängt die Konkurrenz ab<br />
Das Image der Dax-gelisteten Autokonzerne*<br />
Die Umweltreputation<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
–10%<br />
–20%<br />
–30%<br />
–40%<br />
BMW Volkswagen Daimler<br />
positiver<br />
negativer<br />
2005 2006 20<strong>07</strong> 2008 2009 2010 2011 2012 2013 <strong>2014</strong> 2005 06 <strong>07</strong> 08 09 10 11 12 13 <strong>2014</strong><br />
*auf der Basis von Berichten in 32 deutschen und internationalen Medien; Quelle: Media Tenor International<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 11<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
FLOSKELCHECK<br />
Gewinnwarnung<br />
Vor Hausfreunden wird gewarnt<br />
– so der Titel eines Hollywoodschinkens<br />
mit Cary<br />
Grant von 1960. Vor Gewinnen<br />
wird auch gewarnt – an<br />
der Börse im Jahre <strong>2014</strong>.<br />
Aktiengesellschaften geben<br />
tatsächlich Gewinnwarnungen<br />
heraus. Warnung? Vor<br />
Gewinnen? „Gewinnwarnung“<br />
ist ein sogenanntes<br />
Oxymoron. Oxymoron? Ist<br />
das gefährlich? Kann ich das<br />
auch kriegen? Keine Angst.<br />
Ein Oxymoron ist nichts weiter<br />
als ein Widerspruch in<br />
sich. So wie Flüssiggas oder<br />
Trauerfeier. Schwarzer<br />
Schimmel, eckiger Kreis, offenes<br />
Geheimnis, herrenloses<br />
Damenrad, nüchterner Chirurg,<br />
vertrauenswürdiger<br />
Gebrauchtwagenhändler<br />
oder eingefleischter Vegetarier.<br />
Gibt ein Unternehmen<br />
eine Gewinnwarnung heraus,<br />
ist die Ursache oft ein<br />
vorangegangenes „Minuswachstum“.<br />
Dunkel war ’s,<br />
der Mond schien helle...<br />
DER FLOSKELCHECKER<br />
Hans Gerzlich, 47, Diplom-<br />
Ökonom, ehemaliger Marketing-Referent<br />
und heute<br />
Wirtschaftskabarettist und<br />
Bürocomedian.<br />
INTERVIEW Andrew House<br />
»Wir wollen Live-TV mit<br />
Videodiensten koppeln«<br />
Der Chef von Sony Computer Entertainment machte<br />
die neue Spielekonsole Playstation 4 zum Marktführer<br />
und will jetzt neue Geschäftsmodelle testen.<br />
Herr House, Sony steckt in<br />
einer finanziellen Krise, aber<br />
Ihre Playstation 4 ist derzeit<br />
die meist verkaufte Spielekonsole.<br />
Rund sieben Millionen<br />
Stück haben Sie schon abgesetzt.<br />
Was macht Sony aus<br />
dem Erfolg?<br />
Unser Ziel für die Playstation-<br />
Sparte ist es, in diesem Geschäftsjahr<br />
ein solider Profitbringer<br />
für den Konzern zu<br />
sein. Langfristig gesehen haben<br />
wir große Wachstumschancen.<br />
Es geht ja nicht nur um die Konsolen<br />
und Spiele allein, sondern<br />
auch das Angebot an Online-<br />
Diensten. Dort haben wir nun<br />
mehr als 52 Millionen Nutzer<br />
monatlich in unserem Netzwerk.<br />
Das erlaubt uns, ganz<br />
neue Geschäftsmodelle auszuprobieren.<br />
Zum Beispiel?<br />
Viele Leute haben mich über<br />
die Jahre hinweg immer wieder<br />
gefragt, warum unser Spielfilmstudio<br />
Sony Pictures nicht<br />
einfach gezielt Inhalte für die<br />
Playstation entwickelt. Ganz<br />
einfach, weil wir nicht die entsprechende<br />
Masse an Publikum<br />
hatten. Das hat sich mit unseren<br />
52 Millionen Online-Nutzern<br />
geändert.<br />
Sie wollen die Playstation also<br />
zur Medienmarke ausbauen?<br />
Ja. Es gibt das Missverständnis<br />
im Markt, dass Spiele nicht zu<br />
den Unterhaltungsformen gerechnet<br />
werden. Entweder das<br />
eine oder das andere. Nun, wir<br />
sehen das nicht so. Es ist nicht<br />
so, dass die Fans von Computerspielen<br />
keine andere Unterhaltung<br />
wünschen. Das Gegenteil<br />
ist der Fall, wie viele Marktuntersuchungen<br />
zeigen. Die Spieler<br />
sind großartige Medienkonsumenten.<br />
Das Entscheidende<br />
ist, dass die anderen Medienangebote<br />
für sie glaubwürdig sind,<br />
relevant sind und ihren Geschmack<br />
treffen. Das ist unser<br />
Ansatz.<br />
Wie sieht ein Angebot aus?<br />
In den USA haben wir einen<br />
neuen Cloud-Service angekündigt,<br />
der Live-Fernsehen mit<br />
Video-on-Demand verbindet.<br />
DER SPIELFÜHRER<br />
House, 49, arbeitet<br />
seit 1990 für Sony,<br />
baute die Spielekonsolensparte<br />
mit auf<br />
und übernahm die<br />
Führung in Europa.<br />
Seit 2011 verantwortet<br />
der gebürtige<br />
Brite weltweit das<br />
Videospielsegment,<br />
einen der wenigen<br />
Lichtblicke im drittgrößten<br />
japanischen<br />
Elektronikkonzern.<br />
Hier wollen wir unseren Vorteil<br />
ausspielen, dass wir dank unserer<br />
Blu-ray-Abspielgeräte sowie<br />
unserer Playstations 3 und 4<br />
bereits über die größte Basis an<br />
vernetzten Geräten verfügen<br />
und damit über das erforderliche<br />
Publikum für solch einen<br />
Dienst.<br />
Gibt es da mit Netflix und<br />
Amazon Video nicht schon<br />
genug starke Wettbewerber?<br />
Die verfügen allerdings nicht<br />
über Live-Fernsehkanäle. Ich<br />
denke, schon allein dieses<br />
Merkmal wird einen großen<br />
Unterschied ausmachen.<br />
Immer mehr Spiele werden auf<br />
Smartphones genutzt. Wie<br />
attraktiv sind Spielekonsolen<br />
noch?<br />
Wir sehen Smartphones als Begleitgeräte<br />
und zusätzlichen<br />
Markt. In der Vergangenheit<br />
haben unsere eigenen Studios<br />
exklusiv für Sony-Geräte entwickelt.<br />
Das sehen wir nicht<br />
mehr so streng. Man kann unsere<br />
Inhalte auch auf Geräten<br />
konkurrierender Hersteller<br />
ausprobieren, um sie dann auf<br />
Sony-Produkten vollständig<br />
oder in erweiterter Form genießen<br />
zu können. Davon machen<br />
wir in der Zukunft mehr.<br />
Ihren Datenhelm Project Morpheus,<br />
der ähnlich wie Facebooks<br />
Oculus Rift virtuelle<br />
Realität intensiver erlebbar<br />
macht, gibt es bisher nur als<br />
Prototyp. Wann starten Serienproduktion<br />
und Verkauf?<br />
Ich sehe 2015 als frühestmöglichen<br />
Zeitpunkt.<br />
Sie arbeiten schon sehr lange<br />
in der Spielebranche. Was kann<br />
Sie noch überraschen?<br />
Es gibt ständig Überraschungen.<br />
Konkret haben mich die<br />
vielen kleineren Studios überrascht,<br />
die jetzt Spielekonsolen<br />
entwickeln. Das gab es früher<br />
nicht. Das Raumfahrtabenteuer<br />
„No Man’s Sky“ <strong>vom</strong> Entwickler<br />
Hello Games, das mit großartigen<br />
Kritiken überhäuft wurde,<br />
hat ein Team entwickelt, dem<br />
nur sechs Personen angehörten.<br />
Das ist phänomenal.<br />
matthias.hohensee@wiwo.de | Silicon Valley<br />
ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER; FOTOS: BLOOMBERG NEWS/KIYOSHI OTA, ROPI/EIDON/ANTIMIANI<br />
12 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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EU-KOMMISSION<br />
Frauen verzweifelt gesucht<br />
Mindestens 40 Prozent der neuen<br />
EU-Kommissare sollen<br />
weiblich sein. Das strebt der<br />
künftige Kommissionspräsident<br />
Jean-Claude Juncker an.<br />
Doch bisher sieht es nicht danach<br />
aus, dass die EU-Staaten<br />
dafür insgesamt elf Frauen<br />
nach Brüssel schicken. Sechs<br />
Länder haben bisher ihre Kandidaten<br />
benannt – alle männlich.<br />
Darunter ist der Deutsche<br />
Günther Oettinger, der eine<br />
Quotenfrau<br />
Italiens Außenministerin<br />
Mogherini<br />
VERSICHERUNGEN<br />
Mehr Betrug<br />
durch WM<br />
Die Fußballweltmeisterschaft<br />
kommt die deutschen Versicherer<br />
offenbar teuer zu stehen.<br />
„Vor sportlichen Großereignissen<br />
steigt bei vielen Haftpflichtversicherern<br />
die Zahl der als beschädigt<br />
gemeldeten Fernseher<br />
an“, sagt Björn Hinrichs,<br />
Geschäftsführer von Informa<br />
Insurance Risk and Fraud Prevention,<br />
einer Tochter des Bertelsmann-Zweigs<br />
Arvato. Das<br />
Unternehmen betreibt das Hinweis-<br />
und Informationssystem<br />
zweite Amtszeit bekommen<br />
soll. „Es zeichnet sich ab, dass<br />
die EU-Kommission ein Männerclub<br />
wird“, fürchtet der<br />
grüne Europaabgeordnete Sven<br />
Giegold.<br />
Juncker stellt Ländern, die eine<br />
Frau nominieren, nun besonders<br />
attraktive Aufgabengebiete<br />
in Aussicht. Dies erhöht<br />
die Chancen von Catherine<br />
Trautmann, Kommissarin zu<br />
werden. Frankreichs frühere<br />
der deutschen Versicherer, kurz<br />
HIS, eine zentrale Auskunftei<br />
auffälliger Schadensfälle. Viele<br />
der im Vorfeld der WM gemeldeten<br />
Fälle seien auf den Versuch<br />
zurückzuführen, „mit einem<br />
fingierten Schaden schlicht<br />
und einfach Geld zu kassieren,<br />
um damit ein neues, womöglich<br />
besseres TV-Gerät zur WM zu<br />
finanzieren“, sagt Hinrichs.<br />
Wie hoch die Zahl der Betrugsfälle<br />
genau ausfalle, lasse<br />
sich nur schätzen. Insgesamt<br />
betrage der Schaden, der den<br />
Schaden- und Unfallversicherern<br />
in Deutschland jedes Jahr<br />
durch Versicherungsbetrug entstehe,<br />
„mehr als vier Milliarden<br />
Euro“, sagt Hinrichs.<br />
Kulturministerin könnte sich<br />
um digitale Märkte kümmern,<br />
nachdem sie sich als Europaabgeordnete<br />
intensiv mit der<br />
Materie beschäftigt hat. Italiens<br />
Regierung möchte gerne die<br />
amtierende Außenministerin<br />
Federica Mogherini auf den<br />
Posten der Außenvertreterin<br />
hieven, allerdings fehlt ihr es an<br />
Erfahrung. Zudem sollte der Job<br />
nach Osteuropa gehen. Im Gespräch<br />
ist die bisherige bulgarische<br />
Kommissarin Kristalina<br />
Georgieva, die mit ihrem Dossier<br />
für Humanitäres als unterfordert<br />
galt.<br />
Großbritannien erwägt, Baroness<br />
Wheatcroft ins Rennen zu<br />
schicken, bisher im Oberhaus<br />
und davor Chefredakteurin des<br />
„Wall Street Journal Europe“.<br />
Aus Belgien könnte die bisherige<br />
Europaabgeordnete Marianne<br />
Thyssen kommen. Die<br />
schwedische EU-Innenkommissarin<br />
Cecilia Wallström rechnet<br />
sich Chancen auf eine zweite<br />
Amtszeit aus. Bereits nominiert<br />
sind Jyrki Katainen, früherer Ministerpräsident<br />
Finnlands, Andrus<br />
Ansip, vormals Ministerpräsident<br />
von Estland, Valdis<br />
Dombrovskis, Ex-Premier von<br />
Lettland, sowie Maltas Tourismusminister<br />
Karmenu Vella.<br />
silke.wettach@wiwo.de | Brüssel<br />
Aber nicht nur Sportereignisse<br />
wie WM oder Olympia treiben<br />
die Fälle von versuchtem<br />
Betrug regelmäßig in die Höhe.<br />
Die Fallzahlen nähmen auch<br />
zu, „wenn technische Neuerungen<br />
wie zum Beispiel<br />
3-D-TV auf den Markt kommen“,<br />
sagt Hinrichs.<br />
Auch Modellwechsel etwa<br />
bei Mobiltelefonen ließen sich<br />
praktisch direkt an der Zahl der<br />
gemeldeten Schadensfälle<br />
ablesen. „Sie glauben gar nicht,<br />
wie vielen Leuten plötzlich<br />
ihr iPhone herunterfällt, wenn<br />
ein neues Modell angekündigt<br />
wird“, sagt ein Branchenkenner.<br />
peter.steinkirchner@wiwo.de<br />
DREI FRAGEN...<br />
...zum bundesweiten<br />
Korruptionsregister<br />
Ute Jasper<br />
51, Vergaberechtlerin<br />
in<br />
der Kanzlei<br />
Heuking Kühn<br />
Lüer Woytek<br />
n Korrupte Unternehmen<br />
sollen künftig in einem bundesweiten<br />
Register gelistet<br />
werden. Was droht ihnen?<br />
Mit dem Korruptionsregister<br />
wird künftig sichtbar, wenn<br />
sich Unternehmen Bestechungen,<br />
Bestechlichkeit,<br />
Betrug oder verbotene<br />
Preisabsprachen zuschulden<br />
kommen ließen.<br />
n Wer auf der Liste landet,<br />
dessen Existenz ist gefährdet?<br />
Die öffentliche Hand vergibt<br />
in Deutschland jährlich Aufträge<br />
für 360 Milliarden Euro<br />
und ist in Branchen wie Tiefbau,<br />
Nahverkehr und Rüstung<br />
fast der einzige Auftraggeber.<br />
Wer hier im Korruptionsregister<br />
landet, ist von der Pleite<br />
bedroht. Und da in den Unternehmen<br />
die Bedeutung der<br />
Compliance- und Beschaffungsregeln<br />
wächst, werden<br />
auch Unternehmen so ein<br />
Korruptionsregister nutzen,<br />
um schwarze Schafe von ihren<br />
Lieferantenlisten zu streichen.<br />
Größere Firmen werden<br />
hineinsehen dürfen.<br />
n Wann werden Namen im<br />
Register gelöscht?<br />
In Nordrhein-Westfalen ist eine<br />
Selbstreinigung schon jetzt<br />
möglich, und so wird es wohl<br />
auch bundesweit laufen.<br />
Wenn der Geschäftsführer,<br />
der bestochen wurde, entlassen<br />
ist und Compliance-Regeln<br />
eingeführt sind, kann das<br />
Unternehmen beantragen,<br />
von der Liste gestrichen zu<br />
werden, und muss Beweise<br />
vorlegen.<br />
claudia.toedtmann@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 13<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
GOOGLE<br />
Klagen<br />
angedroht<br />
EU-Wettbewerbskommissar<br />
Joaquín Almunia hat sich bewusst<br />
für eine gütliche Einigung<br />
im EU-Kartellverfahren gegen<br />
Google entschieden. So gehe es<br />
„schneller“ als bei der Verhängung<br />
einer Geldstrafe. Gegen<br />
die hätte Google-Chef Larry<br />
Page mit Sicherheit geklagt.<br />
Doch die Aussichten auf eine<br />
schnelle Lösung schwinden.<br />
Mehrere der 20 offiziellen Beschwerdeführer<br />
bei der EU-<br />
Kommission werden voraussichtlich<br />
klagen, wenn sie die<br />
Auflagen in der bisher geplan-<br />
Suche nach einer Einigung<br />
Google-Chef Page<br />
ten Form nach der Sommerpause<br />
beschließen sollte.<br />
„Wenn es beim jetzigen Deal<br />
bleibt, dann halte ich es für<br />
höchst wahrscheinlich, dass es<br />
zu Klagen kommt“, sagt Anwalt<br />
Thomas Höppner, der in dem<br />
Verfahren vier Mandanten vertritt,<br />
darunter den Bundesverband<br />
Deutscher Zeitungsverleger<br />
und der Verband Deutscher<br />
Zeitschriftenverleger. „Sollte<br />
eine Einigung ohne Markttest<br />
rechtskräftig werden, ist der<br />
Europäische Gerichtshof in Luxemburg<br />
gefragt“, so Hans Biermann,<br />
Vorstand des Kartendiensts<br />
Euro-Cities. Almunia<br />
hatte einen Markttest angekündigt,<br />
verzichtet jetzt aber darauf.<br />
silke.wettach@wiwo.de | Brüssel<br />
<strong>07</strong>.<strong>07</strong>. Finanzpolitik Die Finanzminister der Euro-Länder<br />
beraten am Montag über die Lage in Griechenland<br />
und auf Zypern sowie über den Stresstest für die<br />
großen europäischen Banken. Am Dienstag stoßen<br />
die Kollegen aus den EU-Ländern dazu, die<br />
den Euro nicht eingeführt haben.<br />
08.<strong>07</strong>. Erbschaftsteuer Das Bundesverfassungsgericht<br />
verhandelt am Dienstag über das Gesetz zur Erbschaftsteuer,<br />
das seit 2009 gilt. Auslöser ist der<br />
Bundesfinanzhof. Er kritisiert, dass Betriebsvermögen<br />
in der Regel steuerfrei vererbt oder verschenkt<br />
werden dürfen. Andere Steuerpflichtige<br />
könnten diesen Vorteil nicht nutzen. Deshalb hält<br />
der Bundesfinanzhof dieses Recht für verfassungswidrig.<br />
Schifffahrt Der Europäische Gerichtshof prüft, ob<br />
die Weser vertieft werden darf. Bremen plant den<br />
Ausbau des Flusses, damit auch die weltgrößten<br />
Containerfrachter Bremerhaven problemlos anlaufen<br />
können. Geklagt hat der Bund für Umwelt und<br />
Naturschutz vor dem Bundesverwaltungsgericht,<br />
das den Fall an den Europäischen Gerichtshof verwies.<br />
Über die Vertiefung der Elbe zwischen Hamburg<br />
und Nordsee verhandelt das Bundesverwaltungsgericht<br />
am 15. Juli.<br />
10.<strong>07</strong>. Apple Im Streit um die<br />
Einrichtung der Apple-<br />
Stores entscheidet am<br />
Donnerstag der Europäische<br />
Gerichtshof.<br />
Apple hat beim Deutschen<br />
Patent- und<br />
Markenamt den<br />
Schutz für Gestaltung und Aufmachung der Filialen<br />
beantragt. Das Design der Läden sei einmalig,<br />
begründet der amerikanische IT-Konzern seinen<br />
Antrag. Die Behörde sieht das nicht so.<br />
MAFIA<br />
Vorbild Rom<br />
Der italienische Staat hat Mafia-Organisationen<br />
wie Cosa<br />
Nostra, Camorra und ’Ndrangheta<br />
binnen fünf Jahren rund<br />
30 Milliarden Euro entzogen.<br />
Deutsche Behörden stellten<br />
zwischen 2008 und 2012 dagegen<br />
nur 591 Millionen Euro<br />
in Verfahren gegen die organisierte<br />
Kriminalität sicher. Darauf<br />
weist der Präsident des<br />
Bundeskriminalamtes (BKA),<br />
TOP-TERMINE VOM <strong>07</strong>.<strong>07</strong>. BIS 13.<strong>07</strong>.<br />
Beweislast umkehren<br />
BKA-Chef Ziercke<br />
AUTOTEILEHANDEL<br />
Rückzug aus<br />
China<br />
Stahlgruber gibt auf. Der bayrische<br />
Händler von Autoteilen,<br />
Jahresumsatz eine Milliarde Euro,<br />
zieht sich aus China zurück.<br />
Seine 2011 in Shanghai gegründete<br />
Tochterfirma verkauft er<br />
an die Lingtu-Gruppe dort.<br />
„Der Markt für Autoteile in China<br />
ist viel komplexer, als sich<br />
Stahlgruber das vorgestellt<br />
hat“, sagt Qing Yan, bis vor<br />
Kurzem noch Geschäftsführer<br />
des chinesischen Ablegers von<br />
Stahlgruber und jetzt Eigentümer<br />
von Lingtu. „Wir haben<br />
versucht, einen One-Stop-Service<br />
aufzubauen, der Fabriken<br />
und Werkstätten verbindet.“<br />
Das deutsche Modell aber<br />
habe auf dem komplizierten<br />
Markt in China nicht funktioniert,<br />
sagt Qing.<br />
Neben den internationalen<br />
Autokonzernen tummeln sich<br />
mehr als 100 Autohersteller auf<br />
dem chinesischen Markt –<br />
manche produzieren weniger<br />
als 10 000 Wagen im Jahr. Das<br />
wirkt sich auf den Ersatzteilemarkt<br />
aus, der als chaotisch<br />
gilt. „Gefälschte Ersatzteile<br />
sind ein großes Problem“, sagt<br />
Branchenkenner Jochen Siebert<br />
von der Unternehmensberatung<br />
JSC .<br />
philipp.mattheis@wiwo.de | Shanghai<br />
Jörg Ziercke, in einem internen<br />
Dokument hin, in dem er<br />
von einer „ernüchternden<br />
Bilanz“ spricht.<br />
Die deutsche Polizei<br />
könnte die Mafia nur<br />
nachhaltig bekämpfen,<br />
wenn hierzulande auch<br />
deren Gewinne einkassiert<br />
werden dürften,<br />
erklärt der BKA-Präsident.<br />
Es gebe einen „erheblichen<br />
Handlungsbedarf“aufseiten<br />
der Justiz.<br />
Damit meint Ziercke insbesondere<br />
eine Umkehr der Beweislast<br />
bei mutmaßlich illegal<br />
erworbenem Vermögen.<br />
Demnach müsste<br />
nicht mehr der Staat<br />
nachweisen, dass das<br />
Geld aus illegalen<br />
Quellen stammt, sondern<br />
der Besitzer des<br />
Geldes müsste den<br />
Behörden glaubhaft<br />
darlegen, dass er es legal<br />
erworben hat.<br />
christian.ramthun@wiwo.de | Berlin<br />
FOTOS: DPA PICTURE-ALLIANCE/PIXSELL/DALIBOR URUKALOVIC, IMAGO/KOLVENBACH, GETTY IMAGES/PHOTOTHEK/MICHAEL GOTTSCHALK<br />
14 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
CHEFSESSEL<br />
START-UP<br />
DEUTSCHE POST<br />
Angela Titzrath, 48, räumt<br />
ihren Posten als Personalvorstand,<br />
offiziell aus „persönlichen<br />
Gründen“. In Post-Kreisen<br />
heißt es allerdings,<br />
Vorstandschef Frank Appel,<br />
52, habe sie fallen gelassen,<br />
weil sie zu viel Rücksicht auf<br />
die Gewerkschaft Verdi genommen<br />
habe und dabei auf<br />
Widerstand in den Konzernsparten<br />
gestoßen sei. Zudem<br />
habe Titzrath zwar inhaltlich<br />
fundiert gearbeitet, aber politisch<br />
unglücklich agiert,<br />
habe Leute nicht mitgenommen<br />
und sei intern zu wenig<br />
vernetzt gewesen. So brachte<br />
sie zwei Mitarbeiter von ihrem<br />
vorherigen Arbeitgeber<br />
Daimler mit, statt sich intern<br />
Vertraute zu suchen. Zudem<br />
wollten sich die Personalchefs<br />
der einzelnen Bereiche<br />
in ihrer Machtfülle nicht beschneiden<br />
lassen. Als neue<br />
Kandidatin für den Post-Vorstand<br />
gilt intern Melanie<br />
Kreis, 42. Appel schätzt und<br />
fördert die Finanzchefin der<br />
Post-Tochter DHL Express. Sie<br />
könnte Finanzvorstand Larry<br />
Rosen, 56, nachfolgen, wenn er<br />
in den Ruhestand geht. Sein<br />
Vertrag endet im August 2017.<br />
VODAFONE<br />
Jens Schulte-Bockum, 51,<br />
bleibt bis März 2018 Vorstandschef<br />
von Vodafone Deutschland.<br />
Trotz interner und externer<br />
Kritik hat der Aufsichtsrat<br />
den Vertrag vorzeitig verlängert.<br />
Er wäre sonst im März 2015 ausgelaufen.<br />
MÜLLER-MILCH<br />
Ronald Kers, 44, übernimmt<br />
2015 den Chefposten in der<br />
Molkerei-Gruppe Müller. Noch<br />
leitet er die Müller-Tochter in<br />
Großbritannien und Irland. Der<br />
gebürtige Niederländer wird<br />
damit Nachfolger von Ex-<br />
Bäcker Heiner Kamps, 59.<br />
ESCADA<br />
Bruno Sälzer, 57, sattelt radikal<br />
um. Der Vater von vier Söhnen<br />
macht künftig Kapuzenpullis<br />
für Teenies statt teurer<br />
Damenmode. Spätestens am 1.<br />
Dezember wird er Vorstandschef<br />
des englischen Streetwear-<br />
Labels Bench und erwirbt 15<br />
Prozent der Unternehmensanteile.<br />
Bench gehört dem<br />
Münchner Finanzinvestor<br />
Emeram Capital Partners um<br />
Ex-Metro-Chef Eckhard<br />
Cordes, 63. Sälzer war seit 2008<br />
Vorstandschef von<br />
Escada.<br />
BREITBAND-INTERNET<br />
8,1 Megabit pro Sekunde<br />
beträgt die Durchschnittsgeschwindigkeit, mit der die Deutschen<br />
durchs Internet surfen. Damit rangiert das Land laut IT-Dienstleister<br />
Akamai im internationalen Mittelfeld. Selbst Rumänien ist mit 9,3<br />
Megabit schneller. Europas Spitzenreiter ist die Schweiz mit 12,7<br />
Megabit. Weltweit führt Südkorea mit 23,6 Megabit pro Sekunde.<br />
BSIDE ME<br />
Apps für Promis<br />
Fakten zum Start<br />
Gründer John Fox, Gerald Asamoah,<br />
Markus Rupprecht, Anja<br />
Odenthal, Burkhard Mathiak (v.l.)<br />
Kunden bis Ende <strong>2014</strong> rund 80<br />
bis 100 Apps<br />
Umsatz geplant 150 000 Euro<br />
Während der Weltmeisterschaft sind die Facebook-Einträge von<br />
Fußballstars allgegenwärtig. Das freut viele Fans und beschert dem<br />
Netzwerk Werbeeinnahmen, die Stars selbst profitieren finanziell<br />
jedoch nicht davon. Das will Burkhard Mathiak (rechts) ändern.<br />
Der frühere Pressesprecher von Schalke 04 hat dazu mit dem Ex-<br />
Nationalspieler Gerald Asamoah (Zweiter von links) die Firma<br />
Bside me gegründet; das Start-up entwickelt Smartphone-Apps für<br />
Prominente. Sie können darüber steuern, welche ihrer Fotos oder<br />
Beiträge bei Facebook oder Twitter veröffentlicht werden – oder<br />
aber vorab und exklusiv in der App. „Wir bieten Prominenten so<br />
die Möglichkeit, mit ihren Social-Media-Aktivitäten Geld zu verdienen“,<br />
sagt Mathiak. Im Gegensatz zu den sozialen Netzwerken<br />
teilt sich Bside Me die Werbeeinnahmen mit den Promis.<br />
Vor allem für Olympioniken, die viele Fans, aber wenige Werbeverträge<br />
haben, könnte das interessant sein. Sponsoren lassen<br />
sich integrieren und deren Konkurrenten ausschließen. Die erste<br />
App wurde für Asamoah entwickelt, als Nächstes folgen Handball-<br />
Hoffnungsträger Christian Dissinger und der frühere Fußballnationalspieler<br />
Jens Nowotny.<br />
„Das Feedback ist<br />
extrem positiv“, sagt Mathiak.<br />
Er hat auch eine Tatort-Kommissarin<br />
und einen<br />
prominenten<br />
Politiker aus der CDU/<br />
CSU an der Angel.<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
FOTO: ANDREAS KUEHLKEN, GETTY IMAGES<br />
16 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />
Armin Papperger<br />
Vorstandschef des Rüstungskonzerns Rheinmetall<br />
Einst hüteten sie den Eingang zu<br />
einer Tempelstadt, jetzt bewachen<br />
die beiden steinernen Löwen<br />
seinen Schreibtisch. „Früher<br />
standen sie mal im Foyer“,<br />
sagt Armin Papperger, 51, Vorstandsvorsitzender<br />
des Technologie-<br />
und Rüstungskonzerns<br />
Rheinmetall. Wann sie in die<br />
dritte Etage der Düsseldorfer<br />
Zentrale kamen, weiß Papperger<br />
nicht mehr. Oft sitzt er am<br />
Schreibtisch und ruft auf dem<br />
iPad die neuesten Zahlen auf.<br />
Dieser Tage wirft er auch mal einen<br />
Blick in die Geschichte des<br />
1889 gegründeten Unternehmens.<br />
„125 Jahre haben Rheinmetall<br />
geformt – mit all seinen<br />
Höhen und Tiefen“, sagt der<br />
studierte Maschinenbauer. Papperger,<br />
im bayrischen<br />
Mainburg aufgewachsen,<br />
ist Rheinmetaller<br />
von Kopf bis Fuß. „Ich<br />
hatte noch nie einen<br />
anderen Arbeitgeber“,<br />
sagt er und lacht.<br />
Gleich nach dem Studium<br />
fing er 1990 als<br />
360 Grad<br />
In unseren App-<br />
<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />
Sie an dieser<br />
Stelle ein interaktives<br />
360°-Bild<br />
Trainee im Qualitätsmanagement<br />
an. Seit dem 1. Januar 2013<br />
steht er an der Spitze des MDax-<br />
Konzerns, der im vergangenen<br />
Jahr 4,6 Milliarden Euro umsetzte<br />
und in seinen Sparten Automobiltechnik<br />
und Rüstung rund<br />
25000 Mitarbeiter beschäftigt.<br />
Sein Büro ist entmilitarisiert,<br />
nicht einmal ein Modell des<br />
Panzers Leopard 2 ist zu entdecken.<br />
Stattdessen dekorieren<br />
Mitbringsel<br />
das Arbeitszimmer,<br />
die Pappergers Vorgänger<br />
auf Geschäftsreisen<br />
gesammelt<br />
haben. In der Besprechungsecke<br />
hängen<br />
Werke des russischen<br />
Malers Serge Poliakoff und des<br />
spanischen Künstlers Pablo Picasso.<br />
Die Bilder links und rechts<br />
<strong>vom</strong> Schreibtisch sind unsigniert.<br />
Der PC musste dem iPad<br />
weichen. Auf ihm hat Papperger<br />
auch die Fotos seiner Frau Jeanette<br />
und der beiden Töchter Katrin<br />
und Romi archiviert. Wichtige<br />
Dokumente unterschreibt er<br />
seit Kurzem mit einem Füller der<br />
US-Marke Sheaffer. Ob der Manager<br />
mit ihm auch den Vertrag<br />
mit Ex-Bundesentwicklungsminister<br />
Dirk Niebel (FDP) unterzeichnet<br />
hat, der 2015 als<br />
Strategieberater bei Rheinmetall<br />
antreten soll (siehe Seite 48),<br />
bleibt ein Geheimnis.<br />
ulrich.groothuis@wiwo.de<br />
FOTO: DOMINIK PIETSCH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
18 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
An den Baum<br />
STEUERN | Das Verfassungsgericht überprüft die Erbschaftsteuer, eine Reform dürfte<br />
folgen. Die einen wünschen sich mehr Steuereinnahmen, die anderen sorgen<br />
sich um das Überleben ihrer Firma. Es geht aber auch um eine Grundsatzfrage unserer<br />
Marktwirtschaft: Was ist wichtiger, Gerechtigkeit oder Wachstum?<br />
Der Baum spielt in dieser Geschichte<br />
eine zentrale Rolle.<br />
Als Symbol, aber auch als reale<br />
Gefahr. „Ich stelle mir oft die<br />
Frage, was passiert, wenn ich<br />
auf dem Heimweg von der Firma am Baum<br />
lande“, sagt Reinhold von Eben-Worlée.<br />
Das ist sein Horrorszenario: Ihn rafft es<br />
plötzlich dahin, Tochter Henrietta und ihre<br />
beiden Schwestern stehen alleine da, mit<br />
Papas Firma. Bald klingelt das Finanzamt:<br />
Erbschaftsteuer bitte. Doch das Erbe besteht<br />
nur aus Maschinen, Lastwagen, Büroeinrichtung.<br />
Um bezahlen zu können,<br />
müssen die Schwestern verkaufen, ein Investor<br />
steigt ein und zerschlägt die Firma.<br />
Steuer drauf, Unternehmen tot.<br />
So sorgt sich von Eben-Worlée, und so<br />
tun es viele mittelständische Unternehmen<br />
in diesen Tagen. „Immer wenn ich in<br />
letzter Zeit mit anderen Unternehmern rede,<br />
kommt das Gespräch irgendwann auf<br />
die Erbschaftsteuer.“ Von Eben-Worlée ist<br />
Inhaber der E.H. Worlée GmbH, eines<br />
Hamburger Familienbetriebs seit 1851.<br />
Das Unternehmen (gut 500 Mitarbeiter,<br />
250 Millionen Euro Umsatz) stellt in Fabriken<br />
in Lauenburg und Lübeck Lackrohstoffe<br />
her. Am Hamburger Stammsitz werden<br />
Lebensmittel für die industrielle Verarbeitung<br />
aufbereitet, an diesem Tag sind es Pilze,<br />
die man in der gesamten Firma riecht.<br />
Shitake-Krümel rauschen über das Rüttelband,<br />
während die Steinpilzkrumen schon<br />
beim Magnetsortierer angekommen sind.<br />
So läuft das hier seit fünf Generationen,<br />
und wenn es nach dem jetzigen Inhaber<br />
geht, darf es ruhig noch fünf Generationen<br />
weitergehen. Das Unternehmen hat zwei<br />
Weltkriege, Sturmfluten und Währungskrisen<br />
überlebt. Doch von Eben-Worlée sagt:<br />
„Ob es auch in der nächsten Generation<br />
noch so läuft, hängt leider nicht nur von<br />
unserem unternehmerischen Geschick ab,<br />
sondern auch von Karlsruhe.“<br />
Am Dienstag berät dort das Bundesverfassungsgericht<br />
über die Frage, vor der<br />
sich Deutschlands Mittelstand mehr<br />
fürchtet als vor Euro-Krise<br />
und Deflation: Sind die Ausnahmen<br />
für Unternehmen<br />
von der Erbschaftsteuer verfassungswidrig?<br />
Diese Frage<br />
hat der Bundesfinanzhof vorgelegt,<br />
und allein aus der harschen<br />
Stellungnahme der Finanzrichter<br />
schließen manche Beobachter, dass die<br />
obersten Richter die aktuelle Gesetzgebung<br />
verwerfen. Das allein wäre aus Sicht<br />
der Unternehmen gar nicht so schlimm,<br />
vielleicht würden ein paar kosmetische<br />
Änderungen im Jahressteuergesetz genügen,<br />
um das Werk verfassungsfest zu machen.<br />
Doch die Erfahrung zeigt:Wenn erst<br />
Luft nach oben<br />
Einnahmen aus Erbschaftsteuer und gesamte<br />
Steuereinnahmen 2013<br />
Quelle: BMF<br />
Gesamte<br />
Steuereinnahmen<br />
570,2 Mrd. €<br />
MEHR ZUM THEMA<br />
Wie Sie Erbschaftsteuer<br />
sparen und Streit in der<br />
Familie vermeiden, lesen<br />
Sie auf Seite 80.<br />
0,8 %<br />
Erbschaftsteuer<br />
= 4,6 Mrd. €<br />
einmal diskutiert wird, geht es schnell um<br />
Grundsätzliches.<br />
Bei der Erbschaftsteuer konkurrieren<br />
zwei zentrale, aber gegensätzliche Ziele.<br />
Auf der einen Seite fördert die aktuelle<br />
Rechtslage den Betriebsübergang in der Familie.<br />
So bleibt Platz für Investitionen, die<br />
Arbeitsplätze müssen zudem garantiert<br />
werden. Die Verteidiger des geltenden<br />
Rechts wollen diesen<br />
Schutz unbedingt erhalten. Ihnen<br />
gegenüber steht die große<br />
Vokabel „Gerechtigkeit“: Unternehmer<br />
bilden nicht nur den<br />
produktivsten, sondern auch<br />
den vermögendsten Teil der Bevölkerung.<br />
Wer sie schont, zementiert Ungleichheit. So<br />
mahnt der stellvertretende SPD-Vorsitzende<br />
Ralf Stegner: „Wir besteuern Arbeit stärker<br />
als Kapital und Vermögen. Das ist leistungsfeindlich<br />
und ungerecht.“<br />
HEKTISCHE UNTERNEHMEN<br />
Nicht nur für den Hamburger Unternehmer<br />
von Eben-Worlée klingt das wie eine<br />
Drohung. Nach Schätzungen des Industrieverbands<br />
BDI steht in den kommenden<br />
Jahren bei 135 000 Unternehmen mit insgesamt<br />
mehr als zwei Millionen Beschäftigten<br />
die Nachfolge an. Wer kann, der beeilt<br />
sich. „Zu uns in die Kanzlei kommen<br />
immer mehr Unternehmer, die ihre Nachfolge<br />
regeln wollen“, sagt Elke Volland, Erbschaftsteuerexpertin<br />
bei der Kanzlei<br />
Rödl & Partner. Für gewöhnlich kümmert<br />
die Gesellschaft sich um die Bilanzen deutscher<br />
Mittelständler, aber wenn einer seine<br />
Nachfolge organisieren will, ist man ebenfalls<br />
zur Stelle. „Seit klar ist, dass das Bundesverfassungsgericht<br />
bald entscheidet,<br />
»<br />
FOTO: CHRISTIAN O. BRUCH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
20 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Familie von Eben-Worlée Lack & Lebensmittel<br />
Bei so viel Familie kann man fast durcheinanderkommen: Reinhold<br />
von Eben-Worlée (sitzend, vorne links) führt die Hamburger E.H.<br />
Worlée GmbH und warnt vor der Erbschaftsteuer. Tochter Henrietta<br />
(daneben) macht ihr erstes Praktikum im Unternehmen. Die Vorfahren<br />
Erich (ganz links, in Öl) und Albrecht (auf dem Flur) haben die<br />
Firma zuvor sicher durch Welt- und Währungskrisen geführt.<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 21<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
werden manche Unternehmer hektisch“,<br />
erzählt Volland. Noch in der vergangenen<br />
Woche sei ein Unternehmer zu ihr gekommen,<br />
der sein Erbe unbedingt vor einer<br />
Entscheidung des Verfassungsgerichts abwickeln<br />
wollte.<br />
Dafür gibt es gute Gründe. Die Patriarchen<br />
fürchten nicht nur um Arbeitsplätze,<br />
sie wissen auch: So günstig wie heute war<br />
es nie, ein Unternehmen zu vererben.<br />
Während auf privates Vermögen bis zu 30<br />
Prozent Steuern fällig werden, kommen<br />
Unternehmer im besten Fall steuerfrei davon.<br />
Dafür müssen sie ein paar Bedingungen<br />
erfüllen: Sie dürfen ihr Unternehmen<br />
sieben Jahre lang nicht verkaufen, auch die<br />
Lohnsumme muss in dieser Zeit im Durchschnitt<br />
konstant bleiben. Zudem müssen<br />
sie nachweisen, dass höchstens 15 Prozent<br />
der Besitztümer des Unternehmens sogenanntes<br />
„Verwaltungsvermögen“ sind, also<br />
Kunst, Immobilien oder Anlagen, die nicht<br />
zur Produktion beitragen. Wem diese Auflagen<br />
zu strikt sind, der kann ein gelockertes<br />
Modell wählen. Dann sind nur 85 Prozent<br />
des Unternehmenswertes steuerfrei,<br />
dafür muss das Unternehmen jedoch nur<br />
fünf Jahre gehalten werden und die Lohnsumme<br />
im Schnitt 80 Prozent des Ausgangswerts<br />
betragen. Auch der Anteil des<br />
Verwaltungsvermögens darf höher sein.<br />
RECHTLICHE HÄRTEFÄLLE<br />
Unternehmer sehen in diesen Regeln keine<br />
Bevorzugung, sondern einen entscheidenden<br />
Baustein des Erfolgsmodells deutscher<br />
Mittelstand. Damit sind sie nicht allein:<br />
„Bei vielen Unternehmenserben entsteht<br />
erst durch die Befreiung von der Erbschaftsteuer<br />
der Anreiz, selbst im Unternehmen<br />
tätig zu werden“, sagt Steuerberaterin Volland.<br />
Manche Wissenschaftler stellen diesen<br />
Vorzug allerdings infrage: Sie vermuten,<br />
dass die generöse Befreiungsregel<br />
auch solche Nachkommen zu Unternehmern<br />
macht, die dafür gar kein Talent haben.<br />
Dann ginge es der Firma in Familienhand<br />
schlechter als nach einem Verkauf.<br />
Steuerberaterin Volland glaubt das nicht:<br />
„Der Fortbestand des Unternehmens ist<br />
für die meisten doch eine viel bedeutsamere<br />
Größe als der Steuervorteil.“<br />
Gleichwohl bleibt die Frage, ob der Vorteil<br />
für die Unternehmer nicht zu generös<br />
ausfällt. Gegen den metaphorischen Baum<br />
prallen eben nicht nur Unternehmer, sondern<br />
auch vermögende Privatleute.<br />
Andreas Richter arbeitet bei der auf Erbrecht<br />
spezialisierten Kanzlei Pöllath und<br />
Partner. In seinem Büro hoch über dem<br />
Wolfgang Grupp KLARE KANTE<br />
Der Trigema-Boss hat zwei Kinder. Eines soll<br />
den Betrieb übernehmen, das andere wird<br />
ausbezahlt – und soll dann ruhig auch<br />
Erbschaftsteuer zahlen müssen, findet der<br />
Vater. Wer ein Unternehmen leitet und<br />
die Verantwortung für Arbeitsplätze und<br />
Investitionen übernimmt, müsse hingegen<br />
steuerlich bessergestellt werden.<br />
Potsdamer Platz in Berlin empfängt er die<br />
vermögendsten Deutschen, sobald sie ihr<br />
Erbe regeln möchten oder müssen.<br />
„Manchmal führt unser Erbschaftsteuerrecht<br />
zu ziemlichen Härtefällen“, sagt Richter.<br />
Einer ist ihm im Gedächtnis geblieben,<br />
gerade wegen der Härten mag er seinen<br />
Fall nur abstrakt schildern.<br />
Der Privatmann hatte sein gesamtes Millionenvermögen<br />
in Aktien investiert. Weil<br />
er von seinem Marktgespür überzeugt war,<br />
hatte er Teile über Kredit finanziert. Jahrelang<br />
fuhr er gute Gewinne ein, doch dann<br />
starb er, und zwar zu einem steuerrechtlich<br />
denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Anfang<br />
August 2008. Die Erben traf die Härte des<br />
Gesetzes gleich doppelt. Denn zum einen<br />
sind Wertpapiere voll erbschaftsteuerpflichtig.<br />
Zum anderen ist die deutsche<br />
Erbschaftsteuer eine Anfallsteuer. Das<br />
heißt: Abgerechnet wird am Todestag. In<br />
diesem Fall war das der Monatsanfang, als<br />
die Börse strahlte. Ein paar Monate später,<br />
als die Steuerzahlung auf den nicht kreditfinanzierten<br />
Teil fällig wurde, hatte sich der<br />
Wert des Depots wegen der Lehman-Krise<br />
fast halbiert. Gemeinsam mit dem zu tilgenden<br />
Kredit überstiegen die Verbindlichkeiten<br />
plötzlich den Wert des Depots.<br />
„Am Ende haben die Hinterbliebenen das<br />
Erbe nicht angetreten“, berichtet Richter.<br />
Solche Fälle sind Ausnahmen, doch sie<br />
zeigen den Einfluss eines Faktors, den Verfassungsrichter<br />
und die Freunde der Gerechtigkeit<br />
gar nicht mögen: des Zufalls.<br />
Kann es sein, dass ein Steuerrecht der einen<br />
Familie ihr gesamtes Vermögen<br />
nimmt und der anderen nicht einen Cent?<br />
Im Grundsatz macht die deutsche Verfassung<br />
dem steuererhebenden Gesetzgeber<br />
nur wenige Vorgaben. Er darf besteuern,<br />
was er will, und er darf dabei bestimmte<br />
Gruppen bevorzugen und benachteiligen.<br />
Er muss es bloß absichtlich und gleichmäßig<br />
tun, zudem darf die Begünstigung nicht<br />
allzu üppig ausfallen. Gegen einige dieser<br />
Faktoren könnte die aktuelle Gesetzgebung<br />
verstoßen. Sie bevorzugt nicht nur<br />
echte Betriebsvermögen, sie gibt Unternehmern<br />
auch Möglichkeiten, ihr Privat-<br />
22 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTOS: IMAGO/MARTIN WAGENHAN, VISUM/STEFAN BONESS<br />
vermögen einzubeziehen. Die Richter des<br />
Bundesfinanzhofs benutzen dafür den<br />
umständlichen, aber treffenden Ausdruck<br />
„Begünstigungsüberhang“.<br />
Christoph Gallhöfer weist auf den Baum<br />
vor ihm. Der verästelt sich symmetrisch, in<br />
der Krone wird es dicht und etwas unübersichtlich.<br />
„Das ist der Stammbaum unserer<br />
Unternehmerfamilie, über mir und meinem<br />
Bruder stehen die neun Erben, die jetzt auf<br />
die Übernahme warten“, sagt Gallhöfer. Der<br />
Senior führt das gleichnamige Unternehmen<br />
im Kölner Vorort Hürth gemeinsam mit<br />
seinem Bruder. Um die Jahrtausendwende<br />
geriet der Großhandel für den Zimmererbedarf<br />
in Schwierigkeiten, man hatte sich mit<br />
der Expansion nach Ostdeutschland übernommen.<br />
Das Kerngeschäft musste an den<br />
französischen Großkonzern Saint-Gobain<br />
verkauft werden, bei den Gallhöfers verblieben<br />
eine Filiale für den Handel mit Spezialbaustoffen,<br />
ein Bodenverlegebetrieb und<br />
vor allem: der Immobilienbesitz.<br />
ma, aber ohne geregeltes Erbe da. Die Erbschaftsteuer<br />
konnten die beiden nicht allein<br />
über Gesellschafterkredite bezahlen.<br />
„Wir mussten einen Teil unseres Privatvermögens<br />
verkaufen, um die Steuer zu bezahlen“,<br />
erinnert sich Gallhöfer und legt die<br />
nötige Andacht in seine Stimme. Doch als<br />
er darüber nachsinnt, was genau damals<br />
verkauft wurde, kommt die Erinnerung<br />
und er gerät ins Schmunzeln. „Die Briefmarkensammlung!“<br />
Was Gallhöfers Anekdote nahelegt, stützen<br />
andere mit Gutachten. „Es war nicht<br />
möglich, einen konkreten Fall zu benennen,<br />
bei dem ein Betrieb aufgrund der Erbschaftsteuer<br />
aufgegeben, veräußert oder<br />
zahlungsunfähig wurde,“ heißt es in einem<br />
Bericht des wissenschaftlichen Beirats<br />
beim Bundesfinanzministerium zur Erbschaftsteuer<br />
von 2012. Mitautor Lars Feld,<br />
Professor an der Universität Freiburg und<br />
Mitglied der Fünf Wirtschaftsweisen, wird<br />
deutlicher: „Die Warnung vor Arbeitsplatzverlusten<br />
ist absichtliche Panikmache“,<br />
meint er. „Die derzeitige Befreiung von Betriebsvermögen<br />
ist zu generös. Es gibt zu<br />
viele Gestaltungsmöglichkeiten, die dazu<br />
führen, dass gerade besonders große Privatvermögen<br />
bei Vererbung verschont<br />
werden.“ Sein Plädoyer:„Es wäre fairer, Privat-<br />
und Betriebsvermögen gleich zu behandeln.<br />
Im Gegenzug müssen die Steuersätze<br />
verringert und die Freibeträge deutlich<br />
erhöht werden.“ Außerdem, so Feld,<br />
müssten Stundungsregeln sicherstellen,<br />
So günstig wie<br />
heute war es noch<br />
nie, ein Unternehmen<br />
zu vererben<br />
Noch heiter Sigmar Gabriel und Angela<br />
Merkel droht Streit über die Erbschaftsteuer<br />
GEFRÄSSIGE KONZERNE<br />
Den vermieten sie seitdem an Saint-Gobain,<br />
und mit einer Dekade Abstand zieht<br />
Gallhöfer ein gemischtes Fazit: „Natürlich<br />
ist es schade, dass das Kerngeschäft nicht<br />
mehr in Familienhand ist, aber finanziell<br />
geht es uns heute ganz gut.“ Das sehen<br />
auch die Erben. Einen niedrigen siebenstelligen<br />
Ertrag wirft das Restgeschäft ab,<br />
das ergibt für jeden eine auskömmliche<br />
Grundrente, wenn alles glattläuft. Bisher<br />
haben die Brüder 40 Prozent der Besitztümer<br />
übergeben, die weiteren Anteile sollten<br />
folgen. Doch jetzt warnt Gallhöfer:<br />
„Wenn die Verschonungsregeln gekippt<br />
würden, müssen unsere Kinder verkaufen,<br />
und dann geht wieder ein Familienunternehmen<br />
an einen gefräßigen Konzern.“<br />
Das soll bedrohlich klingen, doch so<br />
richtig verfängt das Argument nicht. Die<br />
Gallhöfers selbst kann man verstehen.<br />
Doch wo liegt der Beitrag zum Gemeinwohl,<br />
wenn die Erben ihre Immobilien vermieten?<br />
Hier scheinen weder Arbeitsplätze<br />
in Gefahr zu sein noch die langfristig orientierte<br />
Unternehmenskultur. Saint-Gobain<br />
hat bei der Übernahme alle Mitarbeiter<br />
weiterbeschäftigt.<br />
Auch Christoph Gallhöfers eigene Steuergeschichte<br />
spricht eher nicht dafür, dass<br />
die Erbschaftsteuer das Unternehmen vernichten<br />
könnte. In den Achtzigerjahren hat<br />
er genau das erlebt, wovor Unternehmer<br />
wie von Eben-Worlée jetzt wortgewaltig<br />
warnen. Sein Vater verstarb plötzlich, auf<br />
einmal standen er und sein Bruder mit Firdass<br />
die Steuerlast auf mehrere Jahre verteilt<br />
werden könne.<br />
Beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung<br />
(DIW) rechnet Vermögensforscher<br />
Markus Grabka vor, wie eine reformierte<br />
Erbschaftsteuer ein viel größeres<br />
Problem lösen könnte: die Vermögensungleichheit.<br />
2012 besaßen die Deutschen eine<br />
Summe von insgesamt rund 7,4 Billionen<br />
Euro, abzüglich der Verbindlichkeiten<br />
blieben netto 6,3 Billionen Euro. „Betriebsvermögen<br />
sind ein wesentlicher Grund für<br />
die Vermögensungleichheit“, analysiert<br />
Grabka. Etwa zehn Prozent der 6,3 Billionen<br />
Euro sind Betriebsvermögen, aber die<br />
Eigentümer dieser Unternehmensgüter<br />
stellen nur rund vier Prozent der Bevölkerung.<br />
Außerdem gelte: „Unternehmer sind<br />
meist gut bis sehr gut verdienende Selbstständige,<br />
die privat vorsorgen müssen“, so<br />
Grabka. „Diese Gruppe besitzt deshalb<br />
auch überdurchschnittlich viele Immobilien,<br />
Aktien oder anderes Geldvermögen.“<br />
HART GEGEN ANDERE<br />
Wolfgang Grupp müsste es bei solchen<br />
Worten mit der Angst zu tun bekommen.<br />
Der 72-Jährige ist Inhaber des Bekleidungsherstellers<br />
Trigema; er hat einen<br />
Sohn und eine Tochter. Die Firma floriert,<br />
1200 Mitarbeiter, 89 Millionen Euro Umsatz,<br />
und das laut Grupp seit 1968 mit Gewinn.<br />
Wer Chef im Hause wird, steht für<br />
den Patriarchen fest: „Ein Kind wird das<br />
Unternehmen bekommen, das andere<br />
ausbezahlt.“<br />
Zur Erbschaftsteuer argumentiert er für<br />
ihn typisch: hart in der Sache, hart gegen<br />
andere. „Ich habe noch nie gehört, dass ein<br />
Unternehmen wegen der Erbschaftsteuer<br />
pleiteging.“ Weil er zu 100 Prozent mit Eigenkapital<br />
und ohne Bankkredite arbeitet,<br />
dürften zumindest seine Nachfahren keine<br />
Probleme haben, die Steuer aus dem Betriebsvermögen<br />
zu bezahlen. Von einer<br />
steuerlichen Gleichstellung mit Privatleuten<br />
will Grupp dennoch nichts wissen:<br />
„Wer mit seinem Erbe ins Risiko geht und<br />
die Verantwortung für Mitarbeiter übernimmt,<br />
muss <strong>vom</strong> Finanzamt besser behandelt<br />
werden als derjenige, der einen<br />
Haufen Geld erhält, mit dem er sich ein unbeschwertes<br />
Leben machen kann.“<br />
Sollte Karlsruhe so entscheiden wie erwartet,<br />
dürften all diese Probleme in Berlin<br />
landen. Zwar will keiner der Koalitionäre<br />
dem Gericht vorgreifen, aber hinter den<br />
Kulissen feilen sie längst an Reformkonzepten.<br />
Wer zuerst mit einer Idee an die Öffentlichkeit<br />
tritt, bestimmt die Debatte.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 23<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
Gerade für die SPD könnte ein Richterspruch<br />
zum Ansatzpunkt werden, um das<br />
in den Koalitionsverhandlungen zum Tabu<br />
erklärte Thema Steuern doch noch auf die<br />
Tagesordnung zu bringen.<br />
Vor Kurzem traf Lothar Binding, finanzpolitischer<br />
Sprecher der SPD-Fraktion, den<br />
Ökonomen Feld im Zug. Bei der Erbschaftsteuer<br />
fanden sie schnell zusammen. „Wir<br />
dürfen im Idealfall keine Umgehungsmöglichkeiten<br />
mehr zulassen“, sagt Binding.<br />
„Bleibt es aber bei einer Besserstellung von<br />
Betriebsvermögen, muss der Erhalt von Arbeitsplätzen<br />
auch nach dem Erbfall garantiert<br />
werden.“ In der Fraktions-Arbeitsgruppe<br />
wird darüber nachgedacht, die<br />
Lohnsummen-Fristen zu ändern. Binding<br />
selbst feilt an einem Stundungsmodell.<br />
„Wichtig ist, dass die anfallende Steuer arbeitsplatzneutral<br />
beglichen werden kann.“<br />
RISIKO VERKEHRSWERT<br />
Genau das bezweifeln die Koalitionskollegen<br />
in der Union. So warnt der Fraktionsvize<br />
Ralph Brinkhaus: „Sollte Betriebsvermögen<br />
nicht mehr freigestellt werden, erhält die<br />
Unternehmensbewertung eine entscheidende<br />
Bedeutung.“ Das birgt Risiken: Würde<br />
man heute die Erbschaftsteuer einfach auf<br />
Betriebe ausweiten, kämen die Gallhöfer-<br />
Brüder mit ihrer Briefmarkensammlung<br />
nicht mehr weit. Denn früher wurden Unternehmen<br />
im Erbfall nach ihrem sehr niedrigen<br />
Bilanzwert beurteilt. Seit der letzten Reform<br />
zählt der Verkehrswert. Der ist schwer<br />
zu ermitteln, da auch Markenwerte oder erwartete<br />
zukünftige Erträge mit einfließen. In<br />
jedem Fall aber ist er deutlich höher als der<br />
Bilanzwert. Brinkhaus deutet an, dass er um<br />
die Ausnahmen für Betriebe kämpfen will:<br />
„Es geht darum, die Belastung für Betriebe<br />
und Arbeitsplätze – nicht für einzelne Personen<br />
– möglichst gering zu halten.“ SPD-Parteivize<br />
Stegner bringt schon mal einen möglichen<br />
Kuhhandel ins Gespräch: „Wenn wir<br />
eine Erbschaftsteuerreform hinbekommen,<br />
die robust ist und Mehreinnahmen in Milliardenhöhe<br />
bringt, könnten wir auf die Vermögensteuer<br />
verzichten.“<br />
Die Familie von Eben-Worlée kann der<br />
heraufziehenden Debatte ansatzweise entspannt<br />
entgegensehen. Bis vergangenen<br />
Herbst hielt der inzwischen 90-jährige<br />
Großvater Albrecht noch 55 Prozent der<br />
Unternehmensanteile, 40 Prozent hat er<br />
nun an seinen Sohn übertragen. Zumindest<br />
ein Grund weniger, sich wegen all der<br />
Bäume finanzielle Sorgen zu machen. n<br />
konrad.fischer@wiwo.de | Berlin, reinhold böhmer,<br />
max haerder | Berlin, cordula tutt | Berlin<br />
VERMÖGEN<br />
Viele<br />
Ausnahmen<br />
Die meisten Länder besteuern<br />
Erbschaften – doch nirgends ist es<br />
so kompliziert wie in Deutschland.<br />
Optimistisch gesinnte Experten sprechen<br />
von einem Trend: In einigen Ländern haben<br />
die Parlamente in den vergangenen<br />
Jahren Erbschaftsteuern ganz abgeschafft.<br />
Bereits seit 1992 erhebt Neuseeland<br />
keine Steuern mehr auf Erbschaften,<br />
2004 folgte Schweden, 2008 dann Österreich.<br />
Auch in der Schweiz gab es in den<br />
vergangenen Jahren einen massiven Steuersenkungswettbewerb<br />
zwischen den<br />
Kantonen in Sachen Erbschaften. Doch im<br />
Vergleich der Industrieländer bleiben diese<br />
Fälle Ausnahmen. In Österreich will<br />
man die Steuer sogar wieder einführen.<br />
Alle anderen OECD-Länder erheben ohnehin<br />
irgendeine Art von Steuern auf Erbschaften,<br />
auch wenn die Besteuerung<br />
streckenweise indirekt über eine hohe Belastung<br />
von Grundstücken erfolgt.<br />
ANDERE TRADITION<br />
Erstaunlich scharf besteuert werden Erbschaften<br />
in den USA – mit bis zu 35 Prozent<br />
des Verkehrswerts. Zwar haben die<br />
Amerikaner grundsätzlich ein höchst distanziertes<br />
Verhältnis zu staatlichen Abgaben,<br />
bei der Besteuerung von Erbschaften<br />
aber schlägt diese Überzeugung ins Gegenteil<br />
um. Zwar herrscht größtenteils Konsens,<br />
dass jeder Einzelne von dem, was er<br />
sich erarbeitet hat, möglichst viel behalten<br />
dürfen soll. Um aber allen die gleichen<br />
Wer am stärksten zugreift<br />
Steuern auf Vermögen* in Prozent <strong>vom</strong> BIP<br />
Großbritannien<br />
Frankreich<br />
USA<br />
Japan<br />
Italien<br />
Schweiz<br />
Spanien<br />
OECD-Schnitt<br />
Niederlande<br />
Polen<br />
Deutschland<br />
3,0<br />
2,8<br />
2,2<br />
2,0<br />
1,9<br />
1,8<br />
1,3<br />
1,2<br />
0,9<br />
Chancen einzuräumen, ist anstrengungslos<br />
erworbener Reichtum ein Tabu.<br />
Entsprechend wenige Möglichkeiten gibt<br />
es auch, der Erbschaftsteuer auszuweichen.<br />
Für Betriebsvermögen gelten prinzipiell<br />
keine Ausnahmen, lediglich die Grundsteuern<br />
auf betrieblich genutzte Flächen<br />
werden leicht besser gestellt. Zudem bleibt<br />
Betrieben der Vorteil, dass sie ihre Steuerschulden<br />
stunden lassen können.<br />
Etwas anders ist die Lage in Großbritannien.<br />
Hier sind Betriebsübergänge grundsätzlich<br />
von der Erbschaftsteuer ausgenommen.<br />
Einzige Voraussetzung ist, dass das<br />
Unternehmen seit mindestens zwei Jahren<br />
in der Hand des Verstorbenen war. Sowohl<br />
in Großbritannien als auch in den USA sind<br />
die Steuern als Nachlasssteuern konzipiert,<br />
es wird also nicht wie in Deutschland der<br />
Zugewinn bei den Erben, sondern der<br />
Nachlass des Verstorbenen erfasst.<br />
Anders ist die Situation in Frankreich,<br />
wo eine recht strenge Erbschaftsteuer erhoben<br />
wird, die wie in Deutschland anfällt,<br />
sobald der Erbfall eintritt. Doch die Franzosen<br />
kennen Ausnahmen nach dem<br />
deutschen Vorbild: Unternehmen können<br />
um bis zu 75 Prozent von der Steuer befreit<br />
werden. Dafür müssen die Erben Haltefristen<br />
erfüllen und selbst in ihren Unternehmen<br />
tätig sein.<br />
Weltweit am flexibelsten in Sachen Erbschaftsteuer<br />
ist wohl der Kanton Fribourg<br />
in der Schweiz. Hier gibt es die grundsätzliche<br />
Regel, dass Unternehmensübergänge<br />
steuerlich zu bevorzugen sind. Wie<br />
das genau passiert, entscheidet die lokale<br />
Steuerverwaltung. Das setzt zwar eine<br />
Menge Vertrauen in die Steuerbehörden<br />
voraus, dürfte den Missbrauch aber am<br />
wirksamsten ausschließen.<br />
konrad.fischer@wiwo.de<br />
Steuern auf Erbschaften, Schenkungen<br />
und Grundbesitz in Prozent <strong>vom</strong> BIP<br />
4,2 Frankreich<br />
0,43<br />
3,7<br />
Japan<br />
0,31<br />
Niederlande<br />
0,26<br />
Spanien<br />
0,21<br />
Großbritannien<br />
0,19<br />
Deutschland<br />
0,16<br />
Schweiz 0,15<br />
OECD-Schnitt 0,12<br />
USA 0,10<br />
Italien 0,03<br />
Polen 0,02<br />
* Steuern auf Vermögen, Grundbesitz, Kapitaltransaktionen, Erbschaften/Schenkungen; Zahlen gerundet; Quelle: OECD<br />
24 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Arroganz<br />
der Macht<br />
GROSSE KOALITION | Hektik,<br />
handwerkliche Fehler und eine<br />
Regierung, die ihre Übermacht<br />
ausnutzt – bei Gesetzen häufen<br />
sich Pannen.<br />
Schnellstarterin Arbeitsministerin Andrea<br />
Nahles setzte die meisten Gesetze durch<br />
de Mai den Bundestag passierte. „Wir haben<br />
einem möglichen Missbrauch bei der<br />
Rente mit 63 einen Riegel vorgeschoben“,<br />
sekundierte Carsten Linnemann, Chef der<br />
CDU/CSU-Mittelständler.<br />
Sozial- wie Wirtschaftsflügel lobten, so<br />
könne die Rente ab 63 nicht zur Rente ab 61<br />
mutieren. Nötig seien 45 Beitragsjahre, und<br />
wer in den letzten beiden Jahren vor dem<br />
Ruhestand arbeitslos werde, dürfe die Zeit<br />
nicht anrechnen. Deutlich sind noch Erinnerungen<br />
an andere Rentenreformen. Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer einigten sich<br />
auf Kosten der Allgemeinheit, dass Ältere<br />
erst in die Arbeitslosigkeit und dann abschlagsfrei<br />
in Pension gehen konnten.<br />
Das doppelte Selbstlob war voreilig. Nach<br />
Verabschiedung des Gesetzes musste das<br />
Ministerium auf Nachfragen des Rentenfachmanns<br />
der Grünen, Markus Kurth, zugeben:<br />
Die Sperrzeit entfällt, wenn Betroffene<br />
einen Minijob annehmen. Die Abgaben<br />
eines Jobs etwa als Verkäufer für vier Stunden<br />
die Woche sind „Pflichtbeiträge und<br />
zählen bei der Wartezeit von 45 Jahren mit“.<br />
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld und die<br />
ersehnten Beitragszeiten bleiben erhalten.<br />
Das Schlupfloch dürfte die Zahl der Frührentner<br />
steigen lassen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund<br />
(DGB) macht für die<br />
trickreiche „Lösungsoption“ bereits in einem<br />
Info-Faltblatt unverhohlen Werbung.<br />
Panne bei EEG-Reform<br />
Ein neuer Spitzname kursiert im Bundestag:<br />
„Speedy GoNahles“. Bundesarbeitsministerin<br />
Andrea Nahles (SPD)<br />
dürfte den Vergleich mit der Trickfigur<br />
Speedy Gonzales als zähneknirschende Anerkennung<br />
verstehen. Die flitzte einst als<br />
schnellste Maus von Mexiko durchs Fernsehen.<br />
Nahles hat nach einem halben Jahr bereits<br />
zwei umfangreiche Gesetze durchgebracht,<br />
die ihre Handschrift tragen: die Rente<br />
mit 63 und den Mindestlohn.<br />
Doch Schnelligkeit und Sorgfalt sind nicht<br />
dasselbe: In der übergroßen Koalition häufen<br />
sich handwerkliche Fehler. Die Mini-<br />
Opposition aus Linken und Grünen ist überfordert.<br />
Angesichts einer Mehrheit von 504<br />
der 631 Abgeordneten mag sich die Opposition<br />
über lückenhafte Vorlagen, Änderungen<br />
in letzter Sekunde oder robuste Umgangsformen<br />
beklagen. Bewirkt hat das<br />
nichts. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und<br />
Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) lassen<br />
den Bundestag <strong>vom</strong> Gesetz- zum Stichwortgeber<br />
schrumpfen.<br />
Auch Fachleute halten die Zahl der Pannen<br />
für „auffällig hoch“. Politikprofessor<br />
Werner Patzelt von der TU Dresden urteilt:<br />
„Das Hopplahopp der Bundesregierung ist<br />
unverantwortlich.“ Möglich sei das, weil etwa<br />
bei Rente oder Mindestlohn die Opposition<br />
inhaltlich keinen Widerstand leiste. Der<br />
Wirtschaftsflügel als Korrektiv in der Regierung<br />
sei zu schwach, so der Parlamentsforscher.<br />
„Mit dem hohen Tempo konnte die<br />
Regierung ihren sozialdemokratisierten<br />
Kurs durchdrücken.“<br />
Schlupfloch bei Rente mit 63<br />
Die Ministerin und ihr eifrigster Kritiker<br />
waren sich mal einig. „Gemeinsam haben<br />
wir gute Lösungen zur Verhinderung missbräuchlicher<br />
Frühverrentungen gefunden“,<br />
sagte Nahles, als ihr Rentenpaket En-<br />
Bei der Energiewende herrscht Zeitdruck.<br />
Der Regierung sitzen Wirtschaft und Verbraucher<br />
wegen der Ökostromförderung<br />
im Nacken. Die EU-Kommission drohte,<br />
die Subventionen zu kippen.<br />
Doch das Erneuerbare-Energien-Gesetz<br />
(EEG) geriet zur Posse, weil die Abgeordneten<br />
in kürzester Zeit über Regeln entscheiden<br />
mussten, die sie noch gar nicht<br />
kannten. Die Fraktionsspitzen beruhigten,<br />
Abgeordnete müssten die 230 Seiten Gesetz<br />
nicht lesen, es reiche die Zusammenfassung<br />
auf knappen fünf Seiten.<br />
Ein Irrtum: Erst später fiel der Opposition<br />
auf, dass das Gesetz Subventionen an<br />
falscher Stelle kürzt und Verweise auf bisherige<br />
Paragrafen fehlgehen. Etliche bestehende<br />
Biogasanlagen bekämen danach<br />
weniger Geld. Dabei hatte die Regierung<br />
Bestandsschutz versprochen.<br />
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel<br />
(SPD) ließ also in der letzten Juni-Wo-<br />
FOTOS: VISUM/STEFAN BONESS, LAIF/ZENIT/PAUL LANGROCK<br />
26 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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che ein Gesetz verabschieden, das in der<br />
ersten Juli-Woche korrigiert werden musste.<br />
Sogar Abgeordnete der Regierungsseite<br />
beschwerten sich über Gabriel, der lieber<br />
die EU für den Kuddelmuddel verantwortlich<br />
machte. Durchpeitschereien wie beim<br />
EEG sollten „nicht beispielhaft sein“, rügte<br />
die Parlamentarische Geschäftsführerin<br />
der SPD, Christine Lambrecht. Man „lege<br />
Wert auf ausreichend Zeit zur Debatte“.<br />
Zu spät: Am 11. Juli muss der Bundesrat<br />
zustimmen, am 1. August soll alles in Kraft<br />
treten. Vorher musste in der letzten Sitzungswoche<br />
des Bundestages vor der Sommerpause<br />
ein „Lumpensammler-Gesetz“<br />
her – ein ohnehin zur Abstimmung stehendes<br />
Paragrafenwerk, an das völlig fachfremde<br />
Korrekturen angepappt werden.<br />
Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer: „Es<br />
ist ein wohl einmaliger Vorgang, dass nicht<br />
einmal nach einer Woche ein Korrekturgesetz<br />
verabschiedet werden muss.“<br />
Murks bei Lebensversicherung<br />
Das Thema ist unangenehm. Weil die Zinsen<br />
so niedrig sind, werfen die rund 87 Millionen<br />
Lebensversicherungen für etwa 62<br />
Den Betreibern stinkt’s Eine Gesetzespanne<br />
verhieß kurzzeitig Abstriche beim Biogas<br />
Millionen Versicherte nicht mehr so viel<br />
ab. Nach dem Willen der Regierung soll<br />
deshalb der Garantiezins sinken. Abstriche<br />
müssen Versicherte teils auch bei den sogenannten<br />
Bewertungsreserven hinnehmen,<br />
die Einfluss auf die ausgezahlte Summe<br />
haben. Im Gegenzug sollen Vorgaben<br />
für Versicherer der Deutschen liebste Sparform<br />
retten.<br />
Ein Schelm denkt Böses, wenn Regierungsroutinier<br />
Wolfgang Schäuble (CDU)<br />
das Gesetz schnell durchdrückt – während<br />
der Fußball-WM. Am 4. Juni ging der<br />
Entwurf ins Kabinett, noch in der ersten<br />
Juliwoche sollte der Bundestag alles<br />
durchwinken. Knapp zwei Tage Prüffrist<br />
statt sonst vier Wochen gewährte das Finanzministerium<br />
dem Normenkontrollrat,<br />
der testet, ob Gesetze zu bürokratisch<br />
sind. „Ein grober Verstoß“ gegen die Regeln,<br />
wetterte Ratschef Johannes Ludewig<br />
per Brief.<br />
Auch die Opposition fühlt sich überrumpelt.<br />
„Etliche Menschen werden weniger<br />
aus ihrer Lebensversicherung herausbekommen<br />
als erwartet“, kritisiert Grünen-<br />
Finanzer Gerhard Schick den Schweinsgalopp.<br />
„Es geht um Millionen Betroffene<br />
und eine Branche, die relevant ist für den<br />
Finanzmarkt.“ Zudem sei „im Gesetz ein<br />
riesiges Schlupfloch“. Versicherer würden<br />
verpflichtet, den Anteilseignern weniger<br />
auszuschütten, wenn sie bei Kunden kürzten.<br />
„Doch diese Gegenleistung können<br />
viele Unternehmen leicht umgehen.“ Sie<br />
könnten Gewinnabführungsverträge mit<br />
der Muttergesellschaft schließen und seien<br />
dann nicht betroffen, so auch Marktführer<br />
Allianz. „Ich habe die Ausschüttungssperre<br />
erst gelobt – aber so geht es nicht“, ärgert<br />
sich Schick. Auch Provisionen hätten offengelegt<br />
werden sollen. Das sei „in letzter<br />
Sekunde unter den Tisch gefallen“. n<br />
cordula.tutt@wiwo.de, max haerder,<br />
christian schlesiger | Berlin<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Eine Frage der Macht<br />
FORUM | 80 Prozent der Finanzmarktregulierung seien gemeistert, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel.<br />
Doch diese Angabe basiert auf einer verfehlten Agenda. Komplexe Finanzmärkte lassen sich nicht<br />
mit komplexer Regulierung bändigen. Ein Plädoyer für einfache, aber harte Regeln. Von Gerhard Schick<br />
Beim G20-Gipfel in Pittsburgh, kurz nach Ausbruch der Finanzkrise,<br />
erklärten die Staats- und Regierungschefs: „Wir<br />
werden gewährleisten, dass unser aufsichtsrechtlicher Rahmen<br />
für Banken und andere Finanzunternehmen die Exzesse eindämmt,<br />
die die Krise verursacht haben.“ Allein, zu diesem Zeitpunkt<br />
waren die Ursachen bei Weitem noch nicht ausreichend<br />
analysiert. Und so begann eine qualvolle Bekämpfung von Symptomen,<br />
die noch heute die Regulierungsagenda dominiert. Der<br />
Geburtsfehler von Pittsburgh war der Glaube, Komplexität mit<br />
Komplexität bekämpfen zu können.<br />
Tausende Seiten neuer Finanzmarktregeln sind in den vergangenen<br />
fünf Jahren erlassen worden. Doch die Wahrscheinlichkeit<br />
einer Finanzkrise ist heute leider nicht geringer als vor fünf Jahren.<br />
Denn die Theorie der Finanzmärkte ist fern von der Realität: Die<br />
Risikoaufschläge an den Finanzmärkten waren zu keinem Zeitpunkt<br />
so gering wie in dem Moment<br />
des höchsten Risikos, nämlich<br />
kurz vor Ausbruch der Krise.<br />
Und in der Tendenz können wir<br />
auch <strong>2014</strong> wieder ein sorgloses<br />
Verhalten beobachten, das noch<br />
gefährlich werden könnte.<br />
Wenn Märkte versagen, muss<br />
der Staat einschreiten. Und Finanzmärkte<br />
versagen regelmäßig.<br />
Wenn es doch nur so einfach<br />
wäre! Denn das Feilschen um die<br />
notwendigen Regeln ist schlicht<br />
und ergreifend eine Frage der<br />
Macht. Hier stehen sich Markt und Staat nicht gegenüber, sie stecken<br />
häufig unter einer Decke. Die wenigen Profiteure in Politik<br />
und Konzernen organisieren die Finanzmärkte auf Kosten der Vielen.<br />
Nach außen hin werden zwar immer wieder Sonntagsreden<br />
gehalten und volkstümliche Auftritte in Talkshows hingelegt: Banken<br />
und Schattenbanken sollen effektiver reguliert werden, das<br />
Haftungsprinzip muss durchgesetzt werden... – nur gemacht wird<br />
das Gegenteil.<br />
Sicher, auf dem Papier sieht es wie ein großer Fortschritt aus,<br />
wenn das Eigenkapital von zwei Prozent auf sieben Prozent erhöht<br />
werden soll. Nur muss man verstehen, dass Europas Banken schon<br />
vor der Krise im Durchschnitt acht Prozent Eigenkapital hatten. Lehman<br />
Brothers hatte sogar elf Prozent. Schließlich werden diese Quoten<br />
auf die sogenannten risikogewichteten Aktiva berechnet – und<br />
diese bestimmen die Banken selbst. Die Deutsche Bank zum Beispiel<br />
zaubert so aus 1112 Milliarden Euro Aktiva im Investmentbanking<br />
119 Milliarden Euro risikogewichtete Aktiva. Die Anforderung<br />
von sieben Prozent beziehen sich auf diese fiktiven 119 Milliarden<br />
Euro. Auf die echten 1,1 Billionen Euro muss die Bank also nur<br />
0,7 Prozent Eigenkapital halten.<br />
Runder Tisch gegen Risiken G20-Treffen in Pittsburgh<br />
Selbst in Basel, wo das Financial Stability Board im Auftrag der<br />
G20 die globalen Regeln erarbeitet, reifte die Erkenntnis, dass auch<br />
eine Verdreifachung des Eigenkapitals zu absurden Ergebnissen<br />
führt. Drei mal null bleibt null. Daher wurde eine Leverage Ratio<br />
beschlossen, nach der Banken mindestens drei Prozent Eigenkapital<br />
auf alle Aktiva einsetzen müssen. Doch auch diese wird derzeit<br />
schon wieder aufgeweicht. Derivate und außerbilanzielle Zweckgesellschaften,<br />
das Hauptversteck für toxische Wertpapiere, sollen<br />
nicht voll in die Berechnung einfließen.<br />
In allen anderen Bereichen der Regulierung kann man diese Beispiele<br />
fortführen. Die Bundesregierung führt mit großem Tamtam<br />
ein Trennbankengesetz ein, das Eigenhandel abtrennt. Nur wird Eigenhandel<br />
so eng definiert, dass keine Bank irgendetwas abtrennen<br />
muss. Oder Schattenbanken: Bundeskanzlerin Angela Merkel und<br />
Finanzminister Wolfgang Schäuble schwingen große Reden, aber<br />
die deutschen CDU-Abgeordneten<br />
im Europaparlament weigern<br />
sich, Geldmarktfonds mit festem<br />
Rückkaufswert, einen der gefährlichsten<br />
Brandbeschleuniger der<br />
Krise, genauso hart wie Banken<br />
zu regulieren.<br />
BÜROKRATISCHES SYSTEM<br />
Seit 2010 hat es vielfältige Regulierungsaktivitäten<br />
gegeben. Tausende<br />
Seiten bürokratischer Illusionen.<br />
Die Behörden sind der<br />
Armada hoch bezahlter Lobbyisten<br />
hoffnungslos unterlegen. Parlamentarische Kontrolle findet angesichts<br />
der schieren Masse kaum mehr statt. So wird ein undemokratisches<br />
und bürokratisches System der Placeboregulierung aufgebaut,<br />
das Sicherheit vorgaukelt – und kleine Banken hoffnungslos<br />
benachteiligt.<br />
Dabei wäre eine andere Form der Regulierung möglich. Einfache,<br />
verständliche, aber harte Regeln: wesentlich mehr Eigenkapital. Ein<br />
Steuersystem, das die Privilegierung von Fremdkapital abschafft<br />
und das besonders riskante Refinanzierung bestraft. Ein Trennbankensystem,<br />
das zusammen mit der EU-Bankenunion glaubwürdige<br />
Abwicklung ermöglicht. Ein solches Regelwerk, zusammengefasst<br />
in einem europäischen Finanzgesetzbuch, würde auch der extremen<br />
Wettbewerbsverzerrung durch die impliziten Subventionen<br />
für die Too-big-to-fail-Banken, die der IWF allein in der Euro-Zone<br />
auf mehr als 200 Milliarden Euro beziffert, ein Ende bereiten. n<br />
Schick, 42, ist seit 2005 Mitglied im Deutschen<br />
Bundestag, seit 20<strong>07</strong> finanzpolitischer Sprecher der<br />
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Autor des<br />
Buches „Machtwirtschaft – nein danke“.<br />
FOTOS: REUTERS/JIM BOURG, LAIF/KATRIN DENKEWITZ<br />
28 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Der Nebenmann<br />
FRANKREICH | Finanzminister Michel Sapin ist die Schlüsselfigur<br />
beim Versuch von Präsident François Hollande, das wirtschaftlich<br />
sieche Land zu reformieren. Doch die internen Widerstände<br />
sind immens – und die Konjunktur will nicht in Gang kommen.<br />
Über Michel Sapin gibt es eine vielsagende<br />
Anekdote. Als er und ein gewisser<br />
François Hollande Ende der<br />
Siebzigerjahre ihren Militärdienst absolvierten,<br />
musste er dem heutigen französischen<br />
Staatschef zu Hilfe eilen. Beim Orientierungslauf<br />
in finsterer Nacht machte<br />
Hollande nämlich schlapp. Sapin schulterte<br />
kurz entschlossen dessen Rucksack und<br />
führte den Kameraden zurück zur Kaserne.<br />
An dieses Ereignis muss sich Hollande<br />
erinnert haben, als der Sozialist den<br />
62-jährigen Sapin im April <strong>vom</strong> Arbeitszum<br />
Finanzminister beförderte. Damit ist<br />
Sapin nun eine Schlüsselfigur beim Versuch<br />
des Präsidenten, sein malades Land<br />
auf Vordermann zu bringen.<br />
Stockduster ist die Lage auch diesmal.<br />
In dieser Woche ist Sapin gerade 100 Tage<br />
im Amt, und schon probt die Parteilinke<br />
den Aufstand gegen ihn und jedwede<br />
Sparmaßnahme. Dem von Paris initiierten<br />
„Pakt der Verantwortung“ zwischen<br />
Staat, Gewerkschaften und Arbeitgebern<br />
droht das Aus und mit ihm dem Kern der<br />
Reformpläne. Derweil hat das französische<br />
Statistikamt Insee die geschätzte<br />
Staatsschuldenquote <strong>2014</strong> auf 93,6 Pro-<br />
»Ich habe jetzt<br />
genug von diesen<br />
quengelnden<br />
Bossen«<br />
Michel Sapin<br />
FOTO: LAIF/SIGNATURES/DIDIER GOUPY<br />
Blick nach links<br />
Sapin will 50 Milliarden<br />
Euro einsparen – und<br />
steht unter Beschuss<br />
sozialistischer Fundis<br />
zent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) heraufgesetzt.<br />
Ende des ersten Quartals hatte<br />
Frankreich fast zwei Billionen Euro<br />
Schulden, über 45 Milliarden Euro mehr<br />
als Ende 2013.<br />
Fast gleichzeitig kippte Insee die Wachstumsprognose<br />
der Regierung. Nicht um<br />
ein Prozent, sondern lediglich um 0,7 Prozent<br />
dürfte das Bruttoinlandsprodukt<br />
(BIP) demnach in diesem Jahr zulegen.<br />
Damit sinkt die ohnehin geringe Chance,<br />
dass Frankreich seine Neuverschuldung<br />
bis zum Ende der von der EU bis 2015 verlängerten<br />
Frist auf das obligatorische Limit<br />
von drei Prozent des BIPs reduziert. Für<br />
<strong>2014</strong> geht der französische Rechnungshof<br />
mittlerweile von „nahe vier Prozent oder<br />
sogar leicht darüber“ aus. Im April hatte er<br />
die Prognose bereits von 3,6 auf 3,8 Prozent<br />
heraufgesetzt. Frankreich bleibt »<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 29<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
damit vorerst ein ökonomischer Bremsklotz<br />
in der EU.<br />
Prognosen seien „eine schwierige Kunst,<br />
weil man sich ständig irrt“, gibt Sapin zurück<br />
und zeigt wie so oft sein unergründliches<br />
Buddha-Lächeln. Die gute Nachricht<br />
sei doch, dass das Statistikamt überhaupt<br />
von Wachstum spreche. „Wir haben sehr<br />
schwierige Jahre hinter uns. Wir brauchen<br />
ein wenig Zeit“, wirbt er um Verständnis<br />
für Frankreichs Lage. Deshalb gefällt ihm<br />
die beim jüngsten EU-Gipfel gefundene<br />
Kompromissformel auch so gut, wonach<br />
die Flexibilität des Stabilitätspakts „bestmöglich“<br />
genutzt und die Haushaltskonsolidierung<br />
„wachstumsfreundlich“ fortgesetzt<br />
werden solle.<br />
Wachstum mau, Schulden hoch<br />
Defizitquote und Bruttoinlandsprodukt (BIP)<br />
in Frankreich<br />
2<br />
1<br />
0<br />
–1<br />
–2<br />
–3<br />
–4<br />
–5<br />
–6<br />
BIP (Veränderung<br />
in Prozent)<br />
2011 2012 2013 <strong>2014</strong>* 2015**<br />
* Schätzung; ** Prognose; Quelle: EU-Kommission<br />
Defizitquote<br />
(in Prozent <strong>vom</strong> BIP)<br />
Vorgeschickt Präsident François Hollande<br />
und sein alter Weggefährte Sapin<br />
AUF ROSA SOCKEN<br />
Wie tickt der Mann, der im Auftrag seines<br />
Präsidenten nun finanzpolitisch die Mühen<br />
der Ebene auf sich nehmen muss? Der<br />
massige Mann, der in zweiter Ehe mit einer<br />
Journalistin verheiratet ist, gilt als Gemütsmensch,<br />
den so schnell nichts aus der Ruhe<br />
bringt. Und als einer, der das Notwendige<br />
tun kann, ohne lange zu fackeln. Noch<br />
so eine Anekdote aus der Militärzeit: „Michel<br />
weckte uns um 6.30 Uhr und konnte<br />
nicht begreifen, dass um 6.35 Uhr die Betten<br />
noch nicht gemacht waren“, erinnert<br />
sich Jean-Pierre Jouyet, inzwischen Chef<br />
des Präsidialamts. Über Hollande erzählt<br />
Sapin aus dieser Zeit, er habe „ein Problem<br />
mit der Ordnung“ gehabt. Dass der Freund<br />
und Trauzeuge ihn nicht gleich nach dem<br />
Wahlsieg der Sozialisten im Mai 2012 zum<br />
Finanzminister machte, wunderte damals<br />
viele. Immerhin war Sapin der erfahrenste<br />
Kandidat und bereits von 1992 bis 1993 in<br />
diesem Amt. Das war, als Spekulanten den<br />
Franc attackierten.<br />
Sapin ist wohlhabend und zählt zu den<br />
wenigen sozialistischen Regierungsmitgliedern,<br />
die Vermögensteuer bezahlen<br />
müssen. Trotzdem gilt er als bodenständig.<br />
Seine Wochenenden verbringt er gern<br />
zu Hause in dem kleinen zentralfranzösischen<br />
Dorf Argenton-sur-Creuse mit Angeln<br />
und – passend für einen Finanzminister<br />
– mit Münzensammeln. Die einzige Extravaganz,<br />
die er sich erlaubt, sind: rosa<br />
Socken.<br />
Sapin ist kein Netzwerker, viele in der<br />
Partei halten ihn für einen Einzelgänger.<br />
Und politisch? Er sei Sozialdemokrat, sagt<br />
er selbst. Ein „Liberaler“, schimpft die Linke.<br />
Die viel beachtete Kapitalismuskritik<br />
seines Landsmanns Thomas Piketty hat<br />
Sapin, der an der französischen Elitehochschule<br />
ENA studierte, nach eigenen Angaben<br />
nicht gelesen. Der Wälzer sei „zu<br />
schwer für mich und zu dick“.<br />
Gleichwohl kann er dem Zeitgeist entsprechend<br />
scharf gegen die Wirtschaft<br />
schießen. „Ich habe genug von diesen<br />
quengelnden Bossen!“, platzte es vor wenigen<br />
Tagen aus ihm heraus. „Es muss<br />
Schluss sein mit den Spielchen.“ Anlass für<br />
die Tirade war die Drohung des Unternehmerverbands<br />
Medef, den Verhandlungen<br />
über den „Pakt der Verantwortung“ fernzubleiben.<br />
Sieben weitere Verbände schlossen<br />
sich der Boykottdrohung an.<br />
Die Gespräche, die an diesem Montag<br />
beginnen, sind die erste große Bewährungsprobe<br />
für Sapin. Der Minister will von<br />
2015 bis 2017 irgendwie 50 Milliarden Euro<br />
im Haushalt einsparen und die Wirtschaft<br />
im gleichen Zeitraum um insgesamt 41<br />
Milliarden Euro entlasten – sofern die Unternehmen<br />
Gegenleistungen etwa in Form<br />
von Neueinstellungen erbringen. Doch die<br />
Firmenchefs sind misstrauisch. Garantien<br />
wollen sie keinesfalls geben. Ohne Zugeständnisse<br />
der Arbeitgeber aber sei der<br />
Pakt tot, tönen die Gewerkschaften. Und<br />
innerhalb der Sozialistischen Partei gewinnen<br />
jene Meuterer Zulauf, die keinerlei Anlass<br />
für „Geschenke an die Bosse“ sehen.<br />
Sie fordern ganz im Gegenteil, Brüssel den<br />
Fehdehandschuh hinzuwerfen und den<br />
Sparkurs aufzugeben. Neue Hiobsbotschaften<br />
<strong>vom</strong> Arbeitsmarkt, wonach nun<br />
3,9 Millionen Franzosen arbeitslos sind –<br />
eine halbe Million mehr als beim Regierungswechsel<br />
2012 –, sowie der Zulauf der<br />
extremen Rechten bei den jüngsten Wahlen<br />
rechtfertigen ihrer Meinung nach einen<br />
solchen Wortbruch.<br />
Das alles schafft eine prekäre Lage für<br />
Sapin – zumal er einen populären Vertreter<br />
der Parteilinken sogar im eigenen Haus sitzen<br />
hat: Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg.<br />
Seit der Regierungsumbildung<br />
Anfang April teilen sich die beiden die Aufgaben<br />
in „Bercy“, der über die Seine gebauten<br />
Trutzburg des Finanz- und Wirtschaftsministeriums.<br />
REICHTUM VERTEILEN<br />
Die Doppelbesetzung spricht Bände über<br />
das „Reformsystem“ von Staatschef Hollande.<br />
Der für ihn politisch wertvolle Populist<br />
Montebourg stänkert gegen Brüssel, Berlin<br />
und die Europäische Zentralbank; er streichelt<br />
damit die Volksseele. Im Übernahmekampf<br />
um den französischen Siemens-<br />
Konkurrenten Alstom wusste er sich gerade<br />
wieder in Szene zu setzen und rang den US-<br />
Bietern von General Electric ein Maximum<br />
an staatlicher Einflussnahme ab. Sapin beschränkte<br />
sich weitgehend darauf, gemeinsam<br />
mit Montebourg den Verkauf von<br />
Staatsanteilen am Gasversorger GDF Suez<br />
bekannt zu geben, mit dem die Regierung<br />
den Einstieg des Staates bei Alstom finanziert.<br />
Obwohl protokollarisch Montebourg<br />
übergeordnet, spielt Sapin öffentlich die<br />
Rolle des unaufgeregten Nebenmanns, der<br />
Frankreich im EU-Finanzministerrat und in<br />
der Euro-Gruppe vertritt und dort den verlässlichen<br />
Partner zu geben versucht.<br />
Nach außen unterstützt Sapin die EU-<br />
Schuldenregeln deutlicher als sein Präsident.<br />
„Ich habe dieses Ziel, und ich werde<br />
die Maßnahmen dafür treffen“, sagt er über<br />
die Drei-Prozent-Grenze bei der Neuverschuldung.<br />
„Es wäre ein großer Irrtum,<br />
wenn wir jeden Morgen die Wirtschaftspolitik<br />
ändern würden.“ Der Minister lässt<br />
aber auch keinen Zweifel daran, dass der<br />
Defizitabbau für ihn nicht alles ist: „Wir<br />
wollen, dass die Arbeitslosigkeit zurückgeht,<br />
die Investitionen wieder Fahrt aufnehmen<br />
– und dass es wieder Reichtum zu<br />
verteilen gibt.“<br />
n<br />
karin.finkenzeller@wiwo.de | Paris<br />
FOTO: GETTY IMAGES/AFP/BERTRAND LANGLOIS<br />
30 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Reichtum im Boden<br />
MONGOLEI | Rohstoffreichtum und Marktwirtschaft bieten Wachstumschancen<br />
in der Steppe – doch deutsche Investoren zögern.<br />
kehrsinfrastruktur und Energie. Eine große<br />
Wirtschaftsdelegation wird den Minister in<br />
die Steppe begleiten; die Rohstoffpartnerschaft<br />
soll oben auf der Agenda stehen.<br />
Politischen Rückenwind können Investoren<br />
brauchen. Mangels Infrastruktur und<br />
Kapital, wegen der aktuell niedrigen Weltmarktpreise<br />
und des Zoffs zwischen Investoren<br />
bleibt die Rohstoffpartnerschaft hinter<br />
den Erwartungen zurück. Was auch an<br />
falschen Erwartungen liegt: Deutschland<br />
fehlen Unternehmen, die Rohstoffförderung<br />
noch können, so wie es die Mongolen<br />
gerne hätten. Nur auf ein Großprojekt hoffen<br />
die Deutschen: ThyssenKrupp-Tochter<br />
Uhde könnte die Anlage zur Kohleverflüssigung<br />
bauen; seit 2012 liegt ein entsprechendes<br />
Memorandum in der Schublade,<br />
die Machbarkeitsstudie ist in Arbeit. Für<br />
das Projekt fehlen aber Abnahmeverträge<br />
mit China – auch weil es keine Eisenbahnstrecken<br />
für den Abtransport gibt.<br />
FOTO: KFW/MAREIKE GÜNSCHE<br />
Des Landes zuverlässigste Rohstoffquelle<br />
hat vier Beine, Schlappohren,<br />
ein dichtes Fell – und beschäftigt<br />
sich hauptsächlich damit, die mongolische<br />
Steppe abzugrasen. Da es in der Mongolei<br />
im Winter bis 40 Grad kalt wird, ist das Fell<br />
der mongolischen Wollziege dichter und<br />
wärmer als das der Artgenossen im nordindischen<br />
Kaschmir. Dies versteht das Unternehmer-Ehepaar<br />
Baatarsaikhan Tsagaach<br />
und Hulan Dashdavaa aus Ulan-Bator global<br />
zu vermarkten: Statt wie einst nur Rohwolle<br />
zu exportieren, verarbeitet deren Familienunternehmen<br />
Gobi den Rohstoff in<br />
eigenen Kollektionen zu Edelklamotten.<br />
Gerade die kauffreudigen und wärmebedürftigen<br />
Russen sorgen für Nachfrage. „In<br />
den kommenden Monaten werden wir in<br />
jeder russischen Millionenstadt eine Filiale<br />
eröffnen“, sagt Dashdavaa, die umtriebige<br />
Chefin der Gobi-Mutter Tavan Bogd.<br />
So schafft ein Familienunternehmen mit<br />
der viel belächelten Kaschmirwolle, woran<br />
staatliche Konzerne bislang kläglich scheitern:<br />
heimische Rohstoffe fördern, verarbeiten,<br />
veredeln und weltweit vermarkten.<br />
Dabei lagern unter der mongolischen Steppe<br />
die weltgrößten Kupfer- und Kohlevorkommen,<br />
dazu opulente Vorräte an Silber<br />
und die in der Hochtechnologie begehrten<br />
Seltenen Erden.<br />
Edle Wolle Schals der mongolischen Kaschmirfabrik<br />
Gobi kosten in Europa 4000 Euro<br />
Ambitionen hat auch Deutschland. Die<br />
Mongolei war 2011 aus gutem Grund das<br />
erste Land, mit dem die Bundesregierung<br />
eine Rohstoffpartnerschaft unterzeichnete,<br />
findet Bundesaußenminister Frank-Walter<br />
Steinmeier (SPD): Die Mongolei sei nicht<br />
nur eines der rohstoffreichen Länder der<br />
Welt, sondern habe sich „von Anfang an intensiv<br />
für die Einhaltung internationaler<br />
Transparenz- und Umweltstandards eingesetzt“.<br />
Steinmeier, der am Samstag zu einer<br />
Reise nach Ulan-Bator aufbricht, sagte der<br />
WirtschaftsWoche: „Wir können noch viel<br />
Potenzial heben.“ Deutschland habe der<br />
Mongolei viel anzubieten, es gebe konkrete<br />
Investitionsprojekte in den Bereichen Ver-<br />
»In der Mongolei<br />
können wir<br />
noch viel Potenzial<br />
heben«<br />
Frank-Walter Steinmeier, Bundesaußenminister<br />
HANDEL MIT FÖRDERLIZENZEN<br />
Dabei sollte der Infrastrukturbau in der<br />
Mongolei am Geld nicht scheitern: Der Handel<br />
mit Förderlizenzen inmitten der Hochpreis-Phase<br />
für Metalle sicherte den Mongolen<br />
über Jahre satte Kapitalzuflüsse, was das<br />
Bruttoinlandsprodukt (BIP) um teils über 17<br />
Prozent pro Jahr wachsen ließ. „Wenn wir<br />
wie vergangenes Jahr nur um zwölf Prozent<br />
wachsen, sprechen wir von Krise“, sagt Außenminister<br />
Luvsanvandan Bold. Der in der<br />
DDR ausgebildete Ökonom wirbt für das<br />
„große Potenzial“ seiner Heimat – vor allem<br />
vor deutschen Interessenten. Aber in<br />
Deutschland sei die Mongolei leider „kein<br />
prioritäres Ziel für Investoren“, klagt Bold<br />
über die Zurückhaltung der Europäer beim<br />
Buddeln in seiner Steppe. „Dabei sind die<br />
Reichtümer in unserem Boden nicht zu<br />
übersehen – und wir liegen zwischen den<br />
Absatzmärkten Russland und China.“<br />
Womit er allerdings die Bedenken unter<br />
internationalen Investoren kleinredet, die<br />
auf den offenen Konflikt zwischen der Regierung<br />
in Ulan-Bator mit Großinvestor Rio<br />
Tinto zurückgehen. Der britisch-australische<br />
Bergbaukonzern ist Mehrheitseigentümer<br />
am Kupfervorkommen Oyu Tolgoi,<br />
das nahe der Grenze zu China liegt und für<br />
13 Milliarden Dollar erschlossen werden<br />
soll. Derweil die Übertageförderung unter<br />
den Prognosen zurückbleibt, laufen in den<br />
Bauabschnitten unter Tage die Kosten aus<br />
dem Ruder. Regierung und Rio Tinto streiten,<br />
wer zu welchen Teilen Mehrkosten von<br />
fünf bis sechs Milliarden Dollar zu stemmen<br />
hat. „Es trägt nicht zur Vertrauens-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 31<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
bildung bei, wenn die Regierung Verträge<br />
mit Investoren aufschnürt“, sagt einer.<br />
Generell hält Marktkenner Sascha Stadtler<br />
von der deutschen Förderbank KfW die<br />
Mongolei für „ein Land, das sich klar in die<br />
Richtung von Marktwirtschaft und Demokratie<br />
entwickelt“ und gute Chancen bietet.<br />
Die KfW-Tochter Ipex ist einer der Financiers<br />
jener Kupfermine, die Rio Tinto mit<br />
den Mongolen entwickelt. Die KfW ist als<br />
einzige deutsche Bank in der Mongolei aktiv<br />
– und hält sich aus dem Rohstoffgeschäft<br />
ansonsten heraus. Stattdessen finanzieren<br />
die Frankfurter Projekte zur<br />
Steigerung der Energieeffizienz und<br />
Schadstoffreduktion beim größten Kohlekraftwerk<br />
des Landes.<br />
Unter der<br />
Bambusdecke<br />
JAPAN | Die Regierung hat Frauenarbeit als neuen Wachstumsmotor<br />
entdeckt. Doch ihre Quote von 30 Prozent für Top-Jobs<br />
kollidiert mit tief verwurzelten Rollenklischees.<br />
SMOG ÜBER DEN SLUMS<br />
Trotz des Rohstoff-Hypes sind Fragen der<br />
Energieversorgung für die Mongolen das<br />
wichtigere Thema: Immer noch muss das<br />
Land im Winter den Großteil des Stroms<br />
teuer aus Russland importieren, da die Kapazitäten<br />
der eigenen altersschwachen<br />
Kraftwerke nicht ausreichen. Hohe Preise<br />
für Fernwärme aus den Kohlemeilern führen<br />
dazu, dass die Menschen in Ulan-Bator<br />
lieber in den traditionellen Jurten leben –<br />
und Holz verbrennen. Über dem topografischen<br />
Kessel, der die Stadt umgibt, hängt<br />
permanent eine Smogglocke.<br />
Zugleich wächst die Hauptstadt rasant.<br />
Immer mehr Mongolen geben das Nomadenleben<br />
auf – und landen in Slum-Siedlungen<br />
rund um Ulan-Bator mit seinen 1,4<br />
Millionen Einwohnern. Der Rohstoffboom<br />
feuert die Inflation an, hat aber kaum zur<br />
Senkung der Arbeitslosigkeit beigetragen.<br />
Zu den wenigen Hoffnungsträgern zählt<br />
Tavan Bogd, die Holding von Tsagaach und<br />
Dashdavaa. Das Unternehmerpaar hat Mitte<br />
der Neunzigerjahre mit dem Import<br />
westlicher Gebrauchtwagen ein kleines<br />
Vermögen verdient – und in neue Sektoren<br />
investiert. Heute betreibt die Gruppe Fast-<br />
Food-Läden, ein Hotel, die größte Bank des<br />
Landes und viele kleinere Unternehmen.<br />
Die Kaschmirfabrik Gobi ist ein Jobmotor,<br />
der dieser Tage auf Hochtouren läuft: Rund<br />
um die Uhr bedienen Arbeiter japanische<br />
Wasch- und Webmaschinen, die die frisch<br />
geschorene, grobe Ziegenwolle verarbeiten.<br />
In klimatisierten Nähereien arbeiten Frauen<br />
mit Kopftuch an Maschinen aus deutscher<br />
Produktion. Was sie in Ulan-Bator produzieren,<br />
wird zum Winter hin auch in Europa erhältlich<br />
sein: Kaschmirschals kosten bei<br />
Harrods in London bis zu 4000 Euro. n<br />
florian.willershausen@wiwo.de<br />
Die junge Frau trägt Arbeitskleidung,<br />
hält einen Helm in der Hand und<br />
blickt auf eine gigantische, schwimmende<br />
Hebebühne. Mit einem Bild im<br />
Manga-Stil wirbt Japans viertgrößter Baukonzern<br />
Taisei um weibliche Mitarbeiter.<br />
„Baumädels“ nennen die Medien die bisher<br />
seltene Spezies im Land der zarten Geishas.<br />
Eine wachsende Zahl von Japanerinnen<br />
findet Arbeit auf dem Bau cool.<br />
Auch die Bauunternehmen denken um.<br />
„Frauen sind sehr motiviert, auf Baustellen<br />
im Ausland zu arbeiten“, sagt Taisei-Manager<br />
Tetsuya Shioiri. Bereits jede fünfte Neueinstellung<br />
bei Taisei ist weiblich, neuerdings<br />
arbeiten Frauen im Vertrieb und<br />
übernehmen auch Führungsaufgaben.<br />
Unterstützung kommt von der Regierung:<br />
Das Bauministerium möchte den Frauenanteil<br />
in der Branche binnen fünf Jahren<br />
verdoppeln. Duschräume und Toiletten für<br />
Frauen werden subventioniert.<br />
Premierminister Shinzo Abe hält ebenfalls<br />
die Fahne des Feminismus hoch. „Unser<br />
Land muss ein Platz werden, wo Frauen<br />
Vortreten, bitte! Frauen sollen Japans<br />
Wirtschaft retten<br />
glänzen“, verkündet der konservative Politiker.<br />
Frauenförderung zählt zu den Pfeilern<br />
seiner Wachstumsstrategie: Bis 2020<br />
sollen die Unternehmen 30 Prozent ihrer<br />
Führungsstellen mit Frauen besetzen – als<br />
Anreiz für junge Japanerinnen, die Kinder<br />
und Karriere kombinieren sollen. Mit der<br />
Quote reagiert Abe auf das größte Problem<br />
seines Landes: Nirgendwo auf der Welt altert<br />
und schrumpft die Bevölkerung so<br />
schnell. Jeder vierte Japaner ist bereits älter<br />
als 65 Jahre, schon 2023 müssen zwei Erwerbstätige<br />
einen Rentner ernähren.<br />
Die naheliegende Lösung, Zuwanderer<br />
ins Land zu holen, lehnt die konservative<br />
Elite in Politik und Wirtschaft ab. Abe und<br />
Gleichgesinnte halten am Bild einer angeblich<br />
rassisch homogenen Gesellschaft<br />
fest, das während der Aufbauzeit des Nationalstaats<br />
am Ende des 19. Jahrhunderts<br />
verbreitet wurde. Nicht Migranten aus<br />
Asien, sondern Japans Frauen sollen<br />
»<br />
FOTO: LAIF/JEREMIE SOUTEYRAT<br />
32 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
Wohlstand und Wachstum sichern –<br />
und dafür auch in schweren und schmutzigen<br />
Berufen arbeiten.<br />
Noch 20<strong>07</strong> bezeichnete Japans damaliger<br />
Sozialminister Hakuo Yanagisawa<br />
Frauen öffentlich als „babyproduzierende<br />
Maschinen“, die zu Hause bleiben und Erwerbstätige<br />
gebären sollten. Regierungschef<br />
Abe klingt heute nicht weniger befremdlich,<br />
wenn er Frauen als „die am wenigsten<br />
genutzte Ressource der Nation“<br />
bezeichnet. Tatsächlich gehen in Japan nur<br />
knapp 63 Prozent der Frauen einer Erwerbsarbeit<br />
nach; in Deutschland sind es<br />
71,5 Prozent. Drei von vier berufstätigen Japanerinnen<br />
haben nur einen Teilzeitjob.<br />
Laut OECD verdienen Japanerinnen bei<br />
gleicher Arbeit 28 Prozent weniger als<br />
Männer. Nach einer Studie von Goldman<br />
Sachs würde die Wirtschaftsleistung um<br />
12,5 Prozent steigen, wenn der Anteil der<br />
erwerbstätigen Frauen auf das Männer-Niveau<br />
von 81 Prozent klettert. „Mehr Diversität<br />
der Geschlechter am Arbeitsplatz ist<br />
keine Option mehr, sondern eine Notwendigkeit“,<br />
sagt Goldman-Ökonomin Kathy<br />
Matsui, die bereits 1999 ihre These von der<br />
„Womenomics“ formuliert hat.<br />
Doch erst jetzt, wo Japan die Arbeitskräfte<br />
ausgehen, finden ihre Argumente bei<br />
Regierung und Unternehmen Gehör. So<br />
zieht sich der Wiederaufbau der <strong>vom</strong> Tsunami<br />
zerstörten Gebiete wegen des Mangels<br />
an Arbeitern bereits ins vierte Jahr hin.<br />
Automobilunternehmen bildeten jüngst<br />
eine Forschungsallianz für Verbrennungsmotoren,<br />
auch weil es nicht mehr genug<br />
Ingenieure gibt. Mitten in dieser Krise setzt<br />
die Vorgabe einer Frauenquote von 30 Prozent<br />
die Wirtschaft unter Zugzwang. 80<br />
Prozent der Unternehmen wollen diese<br />
zwar in ihre Geschäftspläne aufnehmen,<br />
und fast drei Viertel verfügen bereits über<br />
eine Abteilung zur Frauenförderung. Doch<br />
„wenn man dieses Ziel nicht mit höchster<br />
Priorität angeht, ist es nicht erreichbar“,<br />
warnt Herbert Hemming, Präsident von<br />
Bosch Japan. Selbst die erzkonservative<br />
Wirtschaftslobby Keidanren richtete eine<br />
Arbeitsgruppe zur Frauenquote ein. Das<br />
Industrieministerium zeichnet frauenfreundliche<br />
Firmen bereits über eine Positivliste<br />
als vorbildliche „Nadeshiko Brand“<br />
– benannt nach Japans beliebten Fußballerinnen<br />
– aus, der Rest steht als Frauenfeinde<br />
am Pranger. Auch öffentliche Aufträge<br />
gehen künftig vermehrt an frauenfördernde<br />
Firmen.<br />
Die Unternehmen stehen vor einer doppelten<br />
Herausforderung. Mehr Frauen zu<br />
Neues Frauenbild Japans Bauindustrie<br />
wirbt um Mitarbeiterinnen<br />
beschäftigen und ihnen mehr Karrierechancen<br />
zu bieten verlangt einen Kulturbruch:<br />
Die typische japanische Firma ist<br />
männerdominiert. Akademikerinnen werden<br />
als „Büroblumen“ zum Tee-Servieren<br />
und Fotokopieren eingestellt. Man erwartet<br />
von diesen „Office Ladies“, dass sie nach<br />
der Heirat kündigen und nie wiederkommen.<br />
„Wie in Deutschland behindert die<br />
formale und hierarchische Firmenkultur<br />
Frauen verdienen<br />
bei gleicher Arbeit<br />
28 Prozent weniger<br />
als Männer<br />
die Frauen“, sagt die deutsche Unternehmensberaterin<br />
Elke Benning-Rohnke. Jetzt<br />
versuchen Unternehmen, Frauen zu halten:<br />
Die Daimler-Nutzfahrzeugtochter Mitsubishi<br />
Fuso zum Beispiel setzt auf Elternzeit,<br />
Home Office und flexible Arbeitsstunden.<br />
„Wir verbessern uns sehr schnell“, betont<br />
Fuso-Personalchef Shigeki Egami.<br />
Zum anderen müssen die Firmen Frauen<br />
in Führungsjobs befördern. Bisher ist<br />
die Bambusdecke für weibliche Karrieren<br />
in Japan so hart wie Beton. Nur ein Prozent<br />
der Vorstandschefs, zwei Prozent der Aufsichtsräte<br />
und elf Prozent der Manager<br />
sind weiblich. Auch im 19-köpfigen Kabinett<br />
von Abe gibt es nur zwei Frauen. Im<br />
Gleichstellungs-Ranking des Weltwirtschaftsforums<br />
steht Japan auf Platz 105 –<br />
noch hinter Indien und Indonesien. „Wir<br />
haben sehr viel aufzuholen“, gesteht Bildungsstaatssekretärin<br />
Kumiko Bando.<br />
Aller Anfang ist daher bescheiden: Bosch<br />
Japan konnte den Anteil der Frauen an der<br />
internen Talenteförderung binnen zwei<br />
Jahren auf elf Prozent verdoppeln. Besonders<br />
weibliche Ingenieure seien Mangel-<br />
ware, sagt Bosch-Chef Hemming. Der Managerverband<br />
Keizai Doyukai organisiert<br />
Führungsseminare mit einem Frauenanteil<br />
von 60 Prozent. „Von Personalchefs höre<br />
ich, sie würden zu 70 Prozent Frauen<br />
einstellen, ginge es nur nach Qualifikation<br />
und Einstellungsgespräch“, erzählt die Verantwortliche<br />
und frühere Headhunterin<br />
Sakie Fukushima. Das Problem liegt ihrer<br />
Meinung nach woanders: „Die Regierung<br />
sieht Frauen weiter alleine zuständig für<br />
Kinder.“ Für einen Wandel sei jedoch eine<br />
gemeinsame Erziehung notwendig.<br />
Davon ist Japan aber noch weit entfernt.<br />
Bisher kümmern sich die Männer im<br />
Schnitt nur 67 Minuten täglich um Haushalt<br />
und Nachwuchs – drei Mal weniger als<br />
deutsche Männer. Denn es ist ein ungeschriebenes<br />
Gesetz, dass die männlichen<br />
Mitarbeiter bis spät abends in der Firma<br />
bleiben. Das benachteiligt berufstätige<br />
Mütter. „Wenn ich mit Kind weiterarbeiten<br />
wollte, müsste alles in Familie und Firma<br />
gut organisiert sein, aber so ist das nicht“,<br />
sagt die Angestellte Yuki Tamagawa. Das<br />
Problem erkennen auch immer mehr Unternehmen:<br />
So verlangt das Handelshaus<br />
Itochu von seinen Mitarbeitern, spätestens<br />
um 20 Uhr nach Hause zu gehen. Beim<br />
größten Lebensversicherer Nippon Life<br />
müssen alle jungen Väter mindestens eine<br />
Woche Erziehungsurlaub nehmen. Trotzdem<br />
stößt die Frauenförderung an Grenzen.<br />
„Viele junge Mütter wollen zum Beispiel<br />
ihren Kollegen keine Mehrarbeit – etwa<br />
durch Elternzeit oder als Folge von Besuchen<br />
beim Kinderarzt – zumuten“, stellt<br />
der Personalchef von Henkel Japan, Markus<br />
Dressel, fest. Die meisten von ihnen geben<br />
ihren Job dauerhaft auf.<br />
ALTES ROLLENBILD<br />
Zudem hängen überraschend viele junge<br />
Japanerinnen dem alten Rollenbild an. Jede<br />
dritte will einer Umfrage zufolge ihre Arbeit<br />
nach der Hochzeit aufgeben. Viele begnügen<br />
sich mit Berufswegen ohne Aufstiegschancen.<br />
„Einen Mann mit hohem<br />
Status zu heiraten ist ihnen lieber als ein<br />
Job mit hohem Status“, sagt die Präsidentin<br />
der Showa-Frauen-Universität, Mariko<br />
Bando, Autorin des Bestsellers „The Dignity<br />
of a woman“. Nicht wenige verheiratete<br />
Frauen würden aus Prestige nicht arbeiten<br />
gehen, ärgert sich die Angestellte Kyoko<br />
Mizuguchi. Die Bambusdecke existiert also<br />
auch in den Köpfen vieler Japanerinnen.<br />
Bleibt es so, kommt das Inselreich am Ende<br />
eben doch nicht ohne Zuwanderer aus. n<br />
martin.fritz@wiwo.de | Tokio<br />
FOTO: PR<br />
34 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTOS: SAMMY HART, WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, PHOTOTHEK/UTE GRABOWSKY<br />
PARIS | Eine neue<br />
Zwangsabgabe für<br />
Touristen verärgert<br />
den Außenminister.<br />
Von Karin<br />
Finkenzeller<br />
Do you speak<br />
touriste?<br />
Frankreichs Außenminister<br />
Laurent Fabius ist sauer.<br />
Ihn treibt aber keine<br />
internationale Krise um,<br />
sondern die Förderung<br />
des französischen Tourismussektors.<br />
Um den kümmert sich Fabius<br />
seit der Regierungsumbildung im April<br />
quasi im Nebenberuf. „Frankreich ist außerordentlich.<br />
Das müssen wir im Ausland<br />
bekannt machen“, sagt er. Und wer<br />
könnte das besser als ein Minister, der in<br />
der Welt herumkommt? Da stört es ihn<br />
nun sehr, dass das Parlament eine Sonderabgabe<br />
für Paris-Besucher von zwei<br />
Euro pro Nacht beschlossen hat. Damit<br />
sollen ab September rund 140 Millionen<br />
Euro jährlich zusammenkommen.<br />
Er sei „strikt dagegen“, ließ Fabius wissen.<br />
Hat er doch gerade 30 Maßnahmen<br />
vorgestellt, um die Zahl ausländischer<br />
Touristen in der Hauptstadt von 83 Millionen<br />
auf 100 Millionen pro Jahr zu steigern.<br />
Dazu gehören unter anderem längere<br />
Ladenöffnungszeiten und eine<br />
Kostendeckelung für Taxifahrten von und<br />
zu den Flughäfen.<br />
Auf die Antwort der Gewerkschaften,<br />
die verhindert haben, dass die Großparfümerie<br />
Sephora auf den Champs-Élysées<br />
bis 22 Uhr geöffnet bleibt, und die Reaktion<br />
der streikfreudigen Taxifahrer darf<br />
man gespannt sein. Als jüngst Eisenbahner<br />
und Taxifahrer am gleichen Tag streikten,<br />
traf das Chaos jedenfalls auch viele<br />
Touristen. Deutschen Paris-Besuchern<br />
hilft daher eine neue Web-Site der Pariser<br />
Handelskammer vielleicht mehr als der<br />
Einsatz des Außenministers: Unter „yesispeaktouriste.com“<br />
können sie jetzt abrufen,<br />
in welchen Läden, Hotels und Restaurants<br />
Deutsch gesprochen wird.<br />
Karin Finkenzeller ist Frankreich-<br />
Korrespondentin der WirtschaftsWoche.<br />
BERLIN INTERN | Der Job als Lobbyist für die<br />
Rüstungsfirma Rheinmetall war ein Angebot, das Dirk<br />
Niebel nicht ablehnen konnte. Er hatte kein anderes<br />
mehr. Von Henning Krumrey<br />
Seine letzte Kugel trifft<br />
Als Politiker hat Ex-Entwicklungsminister<br />
Dirk Niebel viel Häme<br />
und Hass ertragen müssen. So<br />
2009, als er just jenes Amt übernahm,<br />
das er Wochen zuvor noch abschaffen<br />
wollte. Die aktuellen Schmähungen<br />
auf der Facebook-Seite des Liberalen sind<br />
jedoch schlimmer: „widerwärtig“, „verkommen“,<br />
„charakterlos“, „eklig“,<br />
„Arschkriecher“, „Verbrecher“. Hauptvorwurf<br />
der unflätigen Normalbürger: Niebel<br />
zerstöre durch das Vermitteln von Panzergeschäften<br />
für den Rüstungskonzern<br />
Schatten fällt auf Niebel Ministerium gut<br />
reformiert, dann Renommee zerschossen<br />
Rheinmetall an Despoten alles, was er als<br />
Minister mit deutschem Steuergeld aufgebaut<br />
habe. Dabei bleibt Niebel, zynisch<br />
gesprochen, konsequent: Der Hunger in<br />
der Welt lässt sich auch bekämpfen, indem<br />
man die Zahl der Esser reduziert.<br />
Attacken aus der Politik zielen auf mögliche<br />
Interessenkonflikte. Niebel ist qua Amt<br />
Mitglied des Bundessicherheitsrats gewesen<br />
und hat auch über Exportgeschäfte seines<br />
künftigen Arbeitgebers entschieden.<br />
Deshalb hatte Rheinmetall von Niebel wissen<br />
wollen, was eigentlich Kanzlerin Angela<br />
Merkel von einem möglichen Wechsel hielte.<br />
Deren Verdikt war klar: Sie sei ohnehin<br />
nicht begeistert, aber zumindest müsste<br />
ein Jahr Karenzzeit eingehalten werden.<br />
Also startet Niebel erst im Januar.<br />
Der ehemalige Arbeitsvermittler war<br />
zuvor in eigener Sache nicht vorangekommen.<br />
Die Jobs, die er viel lieber übernommen<br />
hätte, waren allesamt futsch. Zuletzt<br />
war er der einzige liberale Ex-Minister, der<br />
ohne neue Arbeit dastand. Sein Anheuern<br />
bei der Panzerschmiede ist kein Dankeschön<br />
für Liebesdienste im Sicherheitsrat<br />
und auch keine Herzensangelegenheit,<br />
sondern eine Notlösung – alternativlos.<br />
Ursprünglich wollte der frühere Fallschirmjäger<br />
für die bundeseigene Bank<br />
KfW im südlichen Afrika niedergehen. Dort<br />
hätte er gern die Unterstützung für das<br />
grenzüberschreitende Kavango-Zambezi-<br />
Schutzgebiet, einen Zusammenschluss von<br />
36 Nationalparks in Angola, Botswana, Namibia,<br />
Sambia und Simbabwe, koordiniert.<br />
Doch die KfW blockte, nachdem schon die<br />
weiche Landung von Ex-Kanzleramtsminister<br />
Ronald Pofalla bei der Staatsbahn DB<br />
AG öffentlichen Wirbel ausgelöst hatte. Derlei<br />
Turbulenzen wollte die Staatsbank nicht.<br />
Die nächste Chance bot sich beim Bundesverband<br />
mittelständische Wirtschaft<br />
(BVMW). Der suchte einen Geschäftsführer<br />
für den Bereich Politik – das passte. Verbandspräsident<br />
Mario Ohoven führte mehrere<br />
Gespräche mit Niebel. Doch am Ende<br />
wurde man sich unter anderem nicht einig<br />
über das angebotene Gehalt – dem Vernehmen<br />
nach zwischen 150 000 und 200 000<br />
Euro. Auch gab es Bedenken aus dem politischen<br />
Beirat. Dort sitzen für die FDP der<br />
ehemalige Partei- und Fraktionsvorsitzende<br />
Wolfgang Gerhardt, ansonsten die Polit-<br />
Promis Cem Özdemir (Parteichef Grüne),<br />
Gregor Gysi (Fraktionsvorsitzender Linkspartei),<br />
Thomas Strobl (Parteivize CDU),<br />
Wolfgang Tiefensee (Ex-SPD-Verkehrsminister)<br />
und Dagmar Wöhrl (ehemals Staatssekretärin<br />
im Wirtschaftsressort, CSU).<br />
Niebel sieht sich nun als Opfer von Pofalla,<br />
Merkel und seiner Partei. Niemand habe<br />
ihn bei der Suche nach einer Anschlussverwendung<br />
nach dem Sturz aus Amt und<br />
Mandat unterstützt.<br />
Sein früheres Ministerium ist geschockt,<br />
sein Nachfolger kommentiert den Wechsel<br />
nicht. Die Reste von Niebels Wirken lagern<br />
im Keller: Die Stiftung „Aid by Trade“ des<br />
Unternehmers Michael Otto (Otto Versand)<br />
hatte dem Amt zu Werbezwecken<br />
1000 Kopien der legendären Bundeswehrmütze<br />
geschenkt, mit der Niebel Auf- statt<br />
Ansehen erwarb. Die will nun keiner mehr.<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 35<br />
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Der Volkswirt<br />
KOMMENTAR | Warum eine Staatspleite<br />
gut sein kann – nicht nur für<br />
Argentinien, sondern auch für<br />
andere Länder. Von Malte Fischer<br />
Bankrott, ja, bitte!<br />
Die Fußballkicker aus<br />
Argentinien zählen<br />
zweifelsohne zur<br />
Weltspitze. Von der<br />
Wirtschaft des lateinamerikanischen<br />
Landes lässt sich das<br />
hingegen nicht behaupten.<br />
Argentinien, das Anfang des<br />
20. Jahrhunderts noch zu den<br />
reichsten Ländern der Welt<br />
zählte, hat viele politische und<br />
wirtschaftliche Krisen hinter<br />
sich und ist von der ersten in<br />
die dritte Liga der Weltwirtschaft<br />
abgestiegen. Jetzt steht<br />
das Land erneut mit dem Rücken<br />
zur Wand. Der Grund: Ein<br />
New Yorker Gericht hat Argentinien<br />
zur Zahlung von 1,3 Milliarden<br />
Dollar an US-Hedgefonds<br />
verpflichtet.<br />
KAPITALMARKT ADE<br />
Diese hatten nach dem Staatsbankrott<br />
Argentiniens 2001<br />
zu Billigkursen Anleihen des<br />
Landes erworben und sich geweigert,<br />
den von Buenos Aires<br />
verlangten Forderungsverzicht<br />
von 70 Prozent hinzunehmen.<br />
Stattdessen verklagten sie<br />
Argentinien auf vollständige<br />
Tilgung der Bonds. Mit Erfolg.<br />
Nun muss das Land zunächst<br />
die Ansprüche der Hedgefonds<br />
bedienen, bevor es seinen Verpflichtungen<br />
gegenüber den anderen<br />
Gläubigern nachkommen<br />
kann, die das Umschuldungsangebot<br />
angenommen hatten. Das<br />
ist teuer und könnte Argentinien<br />
rund die Hälfte seiner Devisenreserven<br />
kosten. Bis Ende Juli<br />
hat Buenos Aires Zeit, sich mit<br />
den Hedgefonds zu einigen.<br />
Andernfalls muss es seinen<br />
Schuldendienst einstellen und<br />
Bankrott anmelden.<br />
Diesen Weg aber will Argentiniens<br />
Staatspräsidentin Cristina<br />
Kirchner um jeden Preis vermeiden.<br />
Denn er versperrte der<br />
Regierung auf Jahre den Zugang<br />
zum internationalen Kapitalmarkt.<br />
Dabei wäre genau<br />
dies gut für Argentinien. Nachdem<br />
das Land im Gefolge der<br />
scharfen Abwertung seiner<br />
Währung 2002 mehrere Jahre<br />
Überschüsse im Außenhandel<br />
erwirtschaftet hat, ist die Leistungsbilanz<br />
wieder in die roten<br />
Zahlen gerutscht. Auch im<br />
Staatshaushalt klaffen große<br />
Löcher, nachdem dieser von<br />
2003 bis 2010 Überschüsse<br />
ausgewiesen hatte.<br />
Was würde bei einer Staatspleite<br />
passieren? Ohne Zugang<br />
zum Kreditautomaten des internationalen<br />
Kapitalmarktes<br />
müsste Argentinien den Gürtel<br />
deutlich enger schnallen. Importe<br />
auf Pump wären dann<br />
nicht mehr möglich, Defizite im<br />
Staatshaushalt ohne das Betätigen<br />
der Notenpresse nur noch<br />
im Umfang der inländischen Ersparnis<br />
denkbar. Genau so aber<br />
lässt sich die notorische Schuldensucht<br />
des Landes therapieren.<br />
Daher sollte Buenos Aires<br />
ruhig seine Zahlungen an alle<br />
Gläubiger einstellen – und<br />
Bankrott anmelden.<br />
SCHUTZ VOR DEM STAAT<br />
Dieser ist auch aus moralischen<br />
Gründen zu empfehlen. Anders<br />
als private Schuldner begleicht<br />
der Staat seine Außenstände<br />
nicht mit am Markt erwirtschafteten<br />
Einkommen, sondern mit<br />
immer neuen Schulden und/<br />
oder höheren Steuern. Ein<br />
Staatsbankrott Argentiniens<br />
zwänge das Land daher nicht<br />
nur zu einer gesunden Frugalität,<br />
sondern schützte die Bürger<br />
zudem vor dem gierigen fiskalischen<br />
Zugriff der Regierung und<br />
ihrer Gläubiger.<br />
NACHGEFRAGT<br />
»Gegen den Strich«<br />
Thomas Mayer, Ex-Chefökonom der Deutschen Bank,<br />
leitet ein neues Forschungsinstitut. Was der<br />
Querdenker anders machen will als die Konkurrenz.<br />
Herr Mayer, Sie haben lange<br />
als Chefökonom bei großen<br />
Banken gearbeitet. Nun werden<br />
Sie Direktor eines neuen<br />
Forschungsinstituts. Warum?<br />
Die Arbeit der Banken ist <strong>vom</strong><br />
kurzfristigen Tagesgeschäft geprägt.<br />
Unser Institut hingegen<br />
will als unabhängiger Thinktank<br />
grundsätzliche Fragen der Geldpolitik,<br />
des Geldsystems sowie<br />
der Finanz- und Kapitalmärkte<br />
untersuchen – an der Schnittstelle<br />
zwischen Praxis und Wissenschaft.<br />
Das machen die staatlichen<br />
Forschungsinstitute auch.<br />
Ja, aber deren Arbeit ist auf die<br />
klassische Politikberatung ausgerichtet.<br />
Das Research der<br />
meisten Banken konzentriert<br />
sich auf kurzfristige Fragestellungen<br />
und ist <strong>vom</strong> Absatz getrieben.<br />
Die Universitätslehrstühle<br />
haben ihren Schwerpunkt<br />
in der auf Publikationen in Fachzeitschriften<br />
ausgerichteten akademischen<br />
Forschung. Diese<br />
Lücken in der wissenschaftlich<br />
fundierten, aber praxisrelevanten<br />
Kapitalmarktforschung wollen<br />
wir schließen.<br />
Wer sind Ihre Auftraggeber?<br />
Zu Beginn wird die Flossbach<br />
von Storch Vermögensverwaltung<br />
der größte Abnehmer unserer<br />
Analysen sein. Bert Flossbach<br />
und Kurt von Storch haben<br />
das Institut vorfinanziert, das<br />
mindert den Druck zur Kundenakquisition.<br />
Mit der Zeit wollen<br />
wir aber auch externe Forschungsarbeiten<br />
für private und<br />
öffentliche Auftraggeber erstellen.<br />
Langfristig soll sich das<br />
Institut finanziell selbst tragen.<br />
Und dann konkurrieren Sie mit<br />
den staatlichen Instituten um<br />
Forschungsaufträge?<br />
Durchaus, aber im Unterschied<br />
zu staatlichen Instituten werden<br />
wir nicht in die Politikberatung<br />
SEITENWECHSEL<br />
Mayer, 60, ist seit Anfang Juli<br />
Gründungsdirektor des neuen<br />
Flossbach von Storch Research<br />
Institutes in Köln.<br />
einsteigen. Mit perspektivisch<br />
zehn Mitarbeitern haben wir<br />
dazu gar nicht die Größe. Zudem<br />
sind Politiker häufig beratungsresistent.<br />
Im Geschäft der<br />
politischen Beratung verschleißt<br />
man sich schnell. Wer<br />
als Ökonom etwas bewegen<br />
will, muss versuchen, direkt auf<br />
die öffentliche Meinungsbildung<br />
einzuwirken.<br />
Was wollen Sie anders machen<br />
als die Konkurrenz?<br />
Wir konzentrieren uns auf kapitalmarktrelevante<br />
Themen und<br />
nehmen Denkansätze in unsere<br />
Arbeit auf, die außerhalb des<br />
volkswirtschaftlichen Mainstreams<br />
liegen – wie die Lehre<br />
der österreichischen Schule der<br />
Nationalökonomie. In der Finanzkrise<br />
hat der Mainstream,<br />
der heute gelehrt wird, versagt.<br />
Die meisten Bankvolkswirte<br />
unterstützen die Euro-<br />
Rettungspolitik. Sie auch?<br />
Die Banken stehen seit der Finanzkrise<br />
unter großem öffentlichem<br />
Druck. Das macht die freie<br />
Meinungsäußerung schwierig.<br />
Banken sind vorsichtig geworden,<br />
wenn es darum geht, unbequeme<br />
Studien – etwa zur Euro-<br />
Krise – zu verfassen. Wir werden<br />
uns die Freiheit nehmen, gegen<br />
den Strich zu denken.<br />
malte.fischer@wiwo.de<br />
FOTO: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
36 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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KONJUNKTUR DEUTSCHLAND<br />
Der neue Earlybird:<br />
Noch kein Boom in Sicht<br />
Wer rechtzeitig wissen will, wohin<br />
die Wirtschaft steuert – sei<br />
es, um sein Geld optimal anzulegen<br />
oder um Absatzchancen<br />
zu nutzen –, kommt um einen<br />
Blick auf die Frühindikatoren<br />
für die Konjunktur nicht umhin.<br />
Leser der WirtschaftsWoche<br />
können jeden Monat mit dem<br />
exklusiv von der Commerzbank<br />
berechneten Earlybird-Frühindikator<br />
einen Blick in die ökonomische<br />
Zukunft werfen. Der<br />
Earlybird hat einen Vorlauf gegenüber<br />
der Realwirtschaft von<br />
in der Regel sechs bis neun Monaten.<br />
Er misst Veränderungen<br />
der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen,<br />
noch bevor sie<br />
von den Unternehmen wahrgenommen<br />
werden und sich in<br />
Umfragewerten niederschlagen.<br />
Daher weist der Earlybird<br />
einen zeitlichen Vorsprung vor<br />
dem viel beachteten Geschäftsklimaindex<br />
des ifo Instituts auf<br />
(siehe Grafik).<br />
METHODIK VERBESSERT<br />
Jetzt haben die Ökonomen der<br />
Commerzbank den Earlybird<br />
methodisch überarbeitet, damit<br />
dieser den Konjunkturverlauf<br />
noch präziser anzeigt. Nach wie<br />
vor gehen in den Index die<br />
Geldpolitik, die Lage der Weltwirtschaft<br />
und der Euro-Wechselkurs<br />
ein – mithin die wichtigsten<br />
Bestimmungsfaktoren<br />
für die deutsche Konjunktur.<br />
Die lange Phase der Niedrigzinsen<br />
hat den Indikator in den<br />
vergangenen Jahren jedoch in<br />
luftige Höhen katapultiert. Dadurch<br />
hat er die Wachstumsraten<br />
des Bruttoinlandsprodukts<br />
bisweilen überzeichnet.<br />
Die Minizinsen lassen Investitionen<br />
rentabel erscheinen, die<br />
es bei genauer Betrachtung gar<br />
nicht sind. Haben die Betriebe<br />
die Investition realisiert, lassen<br />
die Impulse für die Konjunktur<br />
Volkswirtschaftliche<br />
Gesamtrechnung<br />
Real. Bruttoinlandsprodukt<br />
Privater Konsum<br />
Staatskonsum<br />
Ausrüstungsinvestitionen<br />
Bauinvestitionen<br />
Sonstige Anlagen<br />
Ausfuhren<br />
Einfuhren<br />
Arbeitsmarkt,<br />
Produktion und Preise<br />
Industrieproduktion 1<br />
Auftragseingänge 1<br />
Einzelhandelsumsatz 1<br />
Exporte 2<br />
ifo-Geschäftsklimaindex<br />
Einkaufsmanagerindex<br />
GfK-Konsumklimaindex<br />
Verbraucherpreise 3<br />
Erzeugerpreise 3<br />
Importpreise 3<br />
Arbeitslosenzahl 4<br />
Offene Stellen 4<br />
Beschäftigte 4, 5<br />
wieder nach. Erst wenn die<br />
Zinsen erneut sinken, erhält die<br />
Wirtschaft zusätzlichen<br />
Schwung. Deshalb erfasst der<br />
Earlybird von nun an neben dem<br />
Niveau der Realzinsen auch deren<br />
Veränderungen in den vergangenen<br />
zwölf Monaten.<br />
Um den Realzins zu berechnen,<br />
ziehen die Commerzbank-<br />
Ökonomen den Durchschnitt<br />
der Kernteuerungsraten der<br />
vergangenen zwölf Monate <strong>vom</strong><br />
kurzfristigen Nominalzins ab.<br />
Dadurch lassen sich die monatlichen<br />
Schwankungen der<br />
Teuerungsrate glätten. Die Lage<br />
der Weltkonjunktur wird in<br />
Zukunft durch einen „Welt-Einkaufsmanagerindex“<br />
gemessen,<br />
in den neben dem bisher<br />
verwendeten US-Einkaufsmanagerindex<br />
ISM zusätzlich die<br />
entsprechenden Indizes für<br />
China und die Euro-Zone (ohne<br />
Deutschland) eingehen.<br />
Als Ergebnis der Revision<br />
verläuft der Earlybird seit Ausbruch<br />
der Finanzkrise flacher<br />
und spiegelt so die Wachstumsraten<br />
besser wider. Aktuell liegt<br />
der Index mit 0,17 Punkten im<br />
positiven Bereich, allerdings<br />
mit Tendenz nach unten. Laut<br />
Commerzbank-Ökonom Ralph<br />
Solveen zeigt er damit „ein<br />
überdurchschnittliches Umfeld<br />
für die Konjunktur an und<br />
signalisiert eine Fortsetzung<br />
des Aufschwungs – allerdings<br />
keinen Boom“.<br />
Earlybird schneller als ifo-Index<br />
ifo-Geschäftsklimaindex und Earlybird-Konjunkturbarometer<br />
1,00<br />
0,75<br />
0,50<br />
0,25<br />
0<br />
–0,25<br />
–0,50<br />
–0,75<br />
–1,00<br />
2012 2013<br />
Durchschnitt<br />
0,7<br />
0,8<br />
1,0<br />
-4,0<br />
-1,4<br />
3,4<br />
3,2<br />
1,4<br />
2012 2013<br />
Durchschnitt<br />
–0,9<br />
–4,2<br />
0,1<br />
3,3<br />
105,0<br />
46,7<br />
5,9<br />
2,0<br />
1,6<br />
2,1<br />
2896<br />
478<br />
29006<br />
Earlybird<br />
malte.fischer@wiwo.de<br />
ifo-Geschäftsklimaindex<br />
1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 <strong>2014</strong><br />
Quelle:Commerzbank, ifo<br />
0,5<br />
0,9<br />
0,4<br />
-2,4<br />
-0,2<br />
3,0<br />
0,9<br />
1,5<br />
–0,2<br />
2,5<br />
0,0<br />
-0,2<br />
106,9<br />
50,6<br />
6,5<br />
1,5<br />
–0,1<br />
–2,5<br />
2950<br />
435<br />
29370<br />
I/13<br />
0,0<br />
0,3<br />
0,0<br />
-1,4<br />
-1,5<br />
-0,9<br />
-0,7<br />
0,2<br />
März<br />
<strong>2014</strong><br />
–0,6<br />
–2,8<br />
0,6<br />
–1,8<br />
110,7<br />
53,7<br />
8,5<br />
1,0<br />
–0,9<br />
–3,3<br />
2917<br />
445<br />
29701<br />
II/13 III/13 IV/13<br />
Veränderung zum Vorquartal in Prozent<br />
1 Volumen, produzierendes Gewerbe, Veränderung zum Vormonat in Prozent; 2 nominal, Veränderung zum Vormonat in<br />
Prozent; 3 Veränderung zum Vorjahr in Prozent; 4 in Tausend, saisonbereinigt; 5 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte;<br />
alle Angaben bis auf Vorjahresvergleiche saisonbereinigt; Quelle: Thomson Reuters<br />
0,7<br />
0,7<br />
-0,2<br />
0,5<br />
1,7<br />
1,6<br />
2,5<br />
1,5<br />
April<br />
<strong>2014</strong><br />
0,2<br />
3,1<br />
–1,6<br />
3,0<br />
111,2<br />
54,1<br />
8,5<br />
1,3<br />
–0,9<br />
–2,4<br />
2882<br />
447<br />
29736<br />
0,3<br />
0,3<br />
0,7<br />
0,1<br />
2,1<br />
1,4<br />
-0,1<br />
0,8<br />
Mai<br />
<strong>2014</strong><br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
110,4<br />
52,3<br />
8,5<br />
0,9<br />
–0,8<br />
–<br />
29<strong>07</strong><br />
445<br />
–<br />
0,4<br />
-0,3<br />
-0,3<br />
1,4<br />
0,2<br />
1,2<br />
2,5<br />
1,3<br />
Juni<br />
<strong>2014</strong><br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
109,7<br />
52,0<br />
8,6<br />
1,0<br />
–<br />
–<br />
2916<br />
450<br />
–<br />
I/14<br />
0,8<br />
0,7<br />
0,4<br />
3,3<br />
3,6<br />
-0,8<br />
0,2<br />
2,2<br />
Juli<br />
<strong>2014</strong><br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
8,9<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
Letztes Quartal<br />
zum Vorjahr<br />
in Prozent<br />
2,5<br />
1,1<br />
0,5<br />
6,0<br />
10,2<br />
3,3<br />
5,5<br />
6,2<br />
Letzter Monat<br />
zum Vorjahr<br />
in Prozent<br />
–1,5<br />
3,4<br />
3,2<br />
–0,2<br />
3,6<br />
7,0<br />
30,9<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–1,1<br />
3,5<br />
1,5<br />
120<br />
115<br />
110<br />
105<br />
100<br />
95<br />
90<br />
85<br />
80<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 37<br />
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Der Volkswirt<br />
SERIE FRÜHINDIKATOREN (IV)<br />
Am Puls der Zeit<br />
Der Einkaufsmanagerindex ISM ist der wichtigste<br />
Frühindikator für die US-Konjunktur – und gilt<br />
als Gradmesser für die gesamte Weltwirtschaft.<br />
Auch Irrtümer<br />
können die<br />
Märkte bewegen.<br />
Ausgerechnet<br />
das renommierte amerikanische<br />
Institute of Supply<br />
Management (ISM) musste<br />
jüngst kleinlaut zugeben, sich<br />
verrechnet zu haben. Die private<br />
Organisation<br />
SERIE<br />
Wie entstehen Frühindikatoren?<br />
Was sagen<br />
sie aus? Alle Teile der<br />
WirtschaftsWoche-Serie<br />
finden Sie unter<br />
wiwo.de/indikatoren<br />
mit Sitz in der<br />
Kleinstadt Tempe<br />
im US-Staat Arizona<br />
veröffentlicht<br />
jeden Monats<br />
einen<br />
„Report on Business“.<br />
Darin enthalten<br />
ist der weltweit beachtete<br />
Einkaufsmanagerindex der<br />
US-Industrie. So war es auch im<br />
Juni. Diesmal aber stimmte etwas<br />
nicht. Der Index fiel im Mai<br />
im Vergleich zum Vormonat –<br />
aber nur wegen eines Softwarefehlers.<br />
Besonders peinlich für<br />
das Institut war, dass es den<br />
Fehler nicht selbst bemerkte,<br />
sondern der Ökonom Kenneth<br />
Kim von Stone & McCarthy,<br />
einer Finanzanalysefirma aus<br />
Princeton. Und es war Joseph<br />
LaVorgna, US-Chefökonom der<br />
Deutschen Bank in New York,<br />
der per Twitter verkündete:<br />
„Der ISM-Index ist falsch. Er<br />
liegt bei 55,4 und nicht wie<br />
berichtet bei 53,2 Punkten.“<br />
Da hatten die Finanzmärkte<br />
bereits auf die schlechten Daten<br />
reagiert, die Kurse an der New<br />
Yorker Börse zum Tiefflug angesetzt.<br />
Am Ende musste das ISM<br />
einräumen, dass sein Index in<br />
Wahrheit um 0,5 Zähler gestiegen<br />
war.<br />
Der Reputation des „Purchasing<br />
Managers Index (PMI)“<br />
dürfte die Panne allerdings<br />
kaum schaden. Er gilt als wichtigster<br />
Frühindikator für die<br />
konjunkturelle Entwicklung in<br />
der größten Volkswirtschaft<br />
der Welt. „Der ISM-Index<br />
ermöglicht einen nützlichen<br />
und schnellen Blick auf die<br />
Konjunktur“, sagt Ethan Harris,<br />
Chefökonom bei der Bank of<br />
America Merrill Lynch in New<br />
York. Auch für<br />
David Bianco, US-<br />
Chef für Aktienstrategie<br />
bei der<br />
Deutschen Bank<br />
in New York, ist<br />
der Frühindikator<br />
von hoher Relevanz.<br />
„Wer wissen<br />
will, wie die reale ökonomische<br />
Lage in den Unternehmen ist,<br />
der kommt an diesem Index<br />
nicht vorbei“, sagt Bianco. Ein<br />
großer Vorteil sei die frühe Veröffentlichung<br />
vor allen anderen<br />
Indikatoren am ersten Arbeitstag<br />
eines jeden Monats.<br />
LANGE TRADITION<br />
Seit 1931 (mit einer Unterbrechung<br />
während des Zweiten<br />
Weltkrieges) befragt das ISM<br />
rund 350 Einkaufsleiter aus dem<br />
verarbeitenden Gewerbe in den<br />
USA, wie sich deren Geschäftslage<br />
im jeweiligen Monat entwickelt<br />
hat. Als verantwortliche<br />
Manager für Beschaffung und<br />
Materialplanung haben sie den<br />
besten Überblick über das aktuelle<br />
Geschehen im Betrieb.<br />
Das Prinzip der Befragung ist<br />
simpel, sie kostet die teilnehmenden<br />
Manager, die aus rund<br />
20 verschiedenen Branchen<br />
stammen, kaum zehn Minuten,<br />
heißt es beim Institut in Tempe.<br />
Nur wenige Antworten müssen<br />
die Manager geben, anonym<br />
über eine Web-Seite: Wie haben<br />
sich bestimmte Aktivitäten des<br />
Probleme mit der Software<br />
ISM-Chef Tom Derry<br />
Unternehmens im Vergleich<br />
zum Vormonat verändert? Sind<br />
diese gestiegen, gefallen oder<br />
gleich geblieben? Der daraus<br />
resultierende gewichtete Index<br />
basiert auf fünf Indikatoren, die<br />
saisonal bereinigt zu jeweils 20<br />
Prozent in die Wertung eingehen:<br />
neue Aufträge, Produktion,<br />
Beschäftigung, Lagerbestand<br />
und erhaltene Lieferungen.<br />
Ein Wert von 50 gilt als ökonomisch<br />
neutral. Je weiter sich<br />
der Index davon entfernt, desto<br />
stärker oder langsamer wächst<br />
die Wirtschaft. Ein Wert von<br />
über 50 Punkten deutet also auf<br />
Wachstum hin, bei unter 50<br />
Zählern geht es wirtschaftlich<br />
bergab.<br />
Das gleiche Modell gilt für die<br />
einzelnen Indikatoren: Ein Wert<br />
unter 50 bedeutet etwa eine sinkende<br />
Auftragslage, ein Wert<br />
über 50 steht für besser gefüllte<br />
Auftragsbücher.<br />
Guterholt<br />
ISM-Einkaufsmanagerindex<br />
fürdie Industrie<br />
60<br />
55<br />
50<br />
45<br />
40<br />
35<br />
30<br />
2008 2010 2012 <strong>2014</strong><br />
Quelle: ISM<br />
Aufschwung<br />
Abschwung<br />
„Die hohe Bedeutung des<br />
ISM für die Dienstleistungsgesellschaft<br />
USA mag im ersten<br />
Moment überraschen“, sagt<br />
Tobias Basse, Analyst bei der<br />
Nord/LB. Doch die befragten<br />
Einkäufer seien aufgrund ihrer<br />
Position in den Unternehmen<br />
besonders geeignete Beobachter<br />
der ökonomischen Entwicklungen.<br />
„Sie sind sozusagen<br />
am Puls der Zeit.“<br />
Seit 1998 erstellt das ISM-<br />
Institut auch einen Einkaufsmanagerindex<br />
für das nicht<br />
verarbeitende Gewerbe, der<br />
jeweils drei Tage nach dem<br />
Industrieindex veröffentlicht<br />
wird. Der ISM-Index geht zudem<br />
in andere Frühindikatoren<br />
ein. Der von der Commerzbank<br />
für die WirtschaftsWoche erstellte<br />
Earlybird-Indikator etwa,<br />
der die Perspektiven der deutschen<br />
Konjunktur abbildet, integriert<br />
den ISM als Messgröße<br />
für die Lage der Weltwirtschaft<br />
(siehe Seite 37).<br />
Für Michael Montgomery,<br />
US-Ökonom beim Finanzinstitut<br />
IHS Global Insight, hat der<br />
Index dennoch eine Schwäche:<br />
Das Konjunkturbarometer gewichte<br />
die befragten Unternehmen<br />
nicht nach ihrer Größe.<br />
„Kleinere Unternehmen sind<br />
offenbar übergewichtet, größere<br />
untergewichtet“, sagt Montgomery.<br />
Dafür sei der Index verfügbar,<br />
lange bevor die realen<br />
Daten gesammelt und ausgewertet<br />
seien – der Frühindikator<br />
hat einen Vorlauf von drei bis<br />
sechs Monaten vor der tatsächlichen<br />
Industrieproduktion.<br />
Aktuell zeigt der Index eine<br />
robuste Lage der US-Wirtschaft<br />
an. Nach den vergangene<br />
Woche präsentierten Zahlen<br />
für Juni ist der ISM im Vergleich<br />
zum Mai minimal um 0,1 Punkte<br />
auf 55,3 Punkte gefallen. Er<br />
liegt damit klar über der<br />
50-Punkte-Grenze.<br />
Wenn die Zahlen denn diesmal<br />
stimmen. ISM-Chef Tom<br />
Derry hat zumindest versprochen,<br />
dass mit der Software<br />
wieder alles in Ordnung sei.<br />
angela.hennersdorf@wiwo.de | Frankfurt<br />
38 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTOS: PR, BLOOMBERG NEWS/SIMON DAWSON<br />
WELTWIRTSCHAFT<br />
Neue Richtung<br />
Als erste große Notenbank wird die Bank of England<br />
wohl bald die Leitzinsen anheben – auch um die<br />
Immobilienblase im Land zu bekämpfen.<br />
Solche Fragen ereilen Notenbankpräsidenten<br />
eher<br />
selten. „Wie finden Sie es,<br />
als unzuverlässiger Liebhaber<br />
bezeichnet zu werden?“, fragte<br />
eine Journalistin jüngst auf einer<br />
Pressekonferenz den Chef<br />
der Bank of England (BoE),<br />
Mark Carney. Der konnte sich<br />
ein Lächeln nicht verkneifen –<br />
und wusste sofort, was gemeint<br />
war. Den Vorwurf, widersprüchliche<br />
Signale über die Strategie<br />
seines Hauses auszusenden<br />
und sich wie ein Mann zu verhalten,<br />
der seine Freundin abwechselnd<br />
hoffen und bangen<br />
lässt, hatte er sich zuvor bereits<br />
aus der Politik anhören müssen.<br />
In der Tat hat der Kanadier<br />
Carney, der im Juli 2013 als erster<br />
Ausländer an die Spitze der<br />
BoE berufen wurde, in seinem<br />
ersten Amtsjahr einige Volten<br />
hingelegt. Seine viel gerühmte<br />
„Forward Guidance“ gilt als gescheitert.<br />
Zunächst verkündete<br />
er, die Zinsen würden erst angehoben,<br />
wenn die Arbeitslosenrate<br />
unter die Grenze von sieben<br />
Prozent falle. Damit rechne<br />
er 2016. Doch dann sank die<br />
Arbeitslosigkeit rascher als gedacht<br />
unter diese Schwelle –<br />
ohne dass die BoE an der Zinsschraube<br />
drehte. Im Mai <strong>2014</strong><br />
gab Carney zu Protokoll, eine<br />
Zinswende sei weit entfernt, da<br />
die Wirtschaft noch über viel<br />
ungenutzte Kapazitäten verfüge.<br />
Mitte Juni dann elektrisierte<br />
er die Märkte mit der Bemerkung,<br />
eine Zinswende könne<br />
„früher kommen, als von den<br />
Finanzmärkten angenommen“.<br />
Als das Pfund in die Höhe<br />
schnellte, ruderte er wenige Tage<br />
später zurück;vor einer Zinssenkung<br />
müssten erst die Überkapazitäten<br />
abgebaut werden.<br />
Doch trotz dieses Schlingerkurses<br />
gilt es in der Londoner<br />
City als ausgemachte Sache: In<br />
Großbritannien steht die geldpolitische<br />
Wende bevor. Unter<br />
den großen westlichen Notenbanken<br />
wird die BoE wohl als<br />
Nahe null<br />
Leitzins (in Prozent)<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
Bank of England<br />
Fed<br />
0<br />
2008 <strong>2014</strong><br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
EZB<br />
erste wieder die monetären Zügel<br />
straffen – und den Kollegen<br />
der Europäischen Zentralbank<br />
und der US-Fed Anschauungsmaterial<br />
liefern, wie die Märkte<br />
darauf reagieren. Seit März<br />
2009 bereits verharrt der Leitzins<br />
in Großbritannien auf dem<br />
historischen Tief von 0,5 Prozent.<br />
Um die Konjunktur anzukurbeln,<br />
hatte Carneys Vorgänger<br />
Mervyn King nicht nur die<br />
Zinsen nach unten geschleust,<br />
sondern auch über Anleihekäufe<br />
375 Milliarden Pfund in die<br />
Wirtschaft gepumpt.<br />
Wenn am kommenden Donnerstag<br />
der geldpolitische Ausschuss<br />
der BoE tagt, dürfte es<br />
zwar noch keine Entscheidung<br />
über einen restriktiveren Kurs<br />
geben. Viele Volkswirte rechnen<br />
aber ab dem vierten Quartal<br />
mit einer Leitzinserhöhung.<br />
Weitere Zinsschritte könnten<br />
folgen. In einem Interview mit<br />
der BBC gab Carney zu Protokoll,<br />
er betrachte Zinsen von 2,5<br />
Prozent als „normal“. Er deutete<br />
an, dieses Niveau dürfte bis Anfang<br />
2017 wieder erreicht sein.<br />
Der Grund für die Zinswende:<br />
Großbritanniens Wirtschaft<br />
droht zu überhitzen. Das Land<br />
wächst derzeit schneller als die<br />
meisten anderen Industrienationen.<br />
Die BoE prognostiziert<br />
für <strong>2014</strong> einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts<br />
von 3,4 Prozent.<br />
Nachdem die britische<br />
Konjunktur zunächst vor allem<br />
Teurerwohnen<br />
Anstieg der Häuserpreise<br />
(in Prozent zum Vorjahresmonat)<br />
18,7<br />
8,9<br />
8,5<br />
6,8<br />
6,6<br />
5,5<br />
4,8<br />
3,3<br />
2,6<br />
Südostengland<br />
East Anglia<br />
Nordengland<br />
East Midlands<br />
Südwestengland<br />
Schottland<br />
Wales<br />
Nordirland<br />
April <strong>2014</strong>, Quelle: ONS, Council of<br />
Mortgage Lenders<br />
London<br />
<strong>vom</strong> privaten Konsum getrieben<br />
wurde, ziehen inzwischen<br />
auch die Investitionen an.<br />
Die Inflationsrate liegt aktuell<br />
zwar nur bei rund 1,5 Prozent<br />
und damit unter dem Ziel der<br />
BoE von zwei Prozent. Gleichzeitig<br />
aber ist – auch infolge der<br />
expansiven Geldpolitik – eine<br />
Immobilienblase entstanden.<br />
In London sind die Preise im<br />
Stürmische Zeiten Die Bank of<br />
England tritt auf die Bremse<br />
April im Jahresvergleich um<br />
18,7 Prozent in die Höhe geschossen,<br />
landesweit betrug<br />
der Anstieg zehn Prozent. Das<br />
Problem: Hypotheken repräsentieren<br />
80 Prozent der Verschuldung<br />
der privaten Haushalte,<br />
das Verhältnis von<br />
Schulden zu verfügbarem<br />
Einkommen liegt bei durchschnittlich<br />
140 Prozent. „Die<br />
Geschichte zeigt, dass die Briten<br />
alles tun, um ihre Hypotheken<br />
zu bedienen“, sagt Carney.<br />
„Das bedeutet, dass sie ihre<br />
<strong>Ausgabe</strong>n drastisch zurückfahren,<br />
wenn unerwartete Ereignisse<br />
eintreten, und die Konjunktur<br />
damit potenziell scharf<br />
abbremsen.“ Die BoE sieht im<br />
Immobilienmarkt ein Stabilitätsrisiko<br />
für die Banken und<br />
die gesamte Wirtschaft.<br />
HALBHERZIGE REAKTION<br />
Im Vorgriff auf die Zinserhöhung<br />
trat die Notenbank in der<br />
vorvergangenen Woche daher<br />
bereits mit einem anderen Instrument<br />
auf die Bremse. Die<br />
Banken dürfen nur noch höchstens<br />
15 Prozent aller Kredite an<br />
Hauskäufer vergeben, deren<br />
Hypothek größer als das Viereinhalbfache<br />
ihres Jahreseinkommens<br />
ist. Gleichzeitig sollen<br />
sie prüfen, ob die Kunden<br />
ihre Hypotheken noch bedienen<br />
können, wenn die Zinsen<br />
auf drei Prozent steigen.<br />
Kritiker halten diese Maßnahmen<br />
für halbherzig. Die<br />
Zahl der Hypothekenschuldner,<br />
deren Verbindlichkeiten mehr<br />
als das Viereinhalbfache ihres<br />
Jahreseinkommens beträgt,<br />
liegt nur bei elf Prozent. Außerdem<br />
bleibt das „Help to Buy“-<br />
Programm der Regierung auf<br />
dem Markt, das vor allem jungen<br />
Briten den Erwerb der ersten<br />
eigenen Immobilie erleichtern<br />
soll. Immer noch ist es<br />
damit möglich, bis zu 95 Prozent<br />
des Hauswertes durch<br />
Fremdmittel zu finanzieren.<br />
Um das Image des unzuverlässigen<br />
Liebhabers abzulegen,<br />
muss Carney daher nachlegen.<br />
yvonne.esterhazy@wiwo.de | London<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 39<br />
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Der Volkswirt<br />
DENKFABRIK | Angeführt von Frankreich und Italien, wollen viele EU-Staaten die<br />
verhasste Sparpolitik beenden. Dabei ist die Haushaltslage vielerorts noch immer<br />
dramatisch. Und das wahre Ausmaß der Schuldenkrise wird auf EU-Ebene durch eine<br />
Reihe von Manipulationen und statistischen Kniffen vernebelt. Von Hans-Werner Sinn<br />
Europäische Tricks<br />
Die kollektive Haftung<br />
für die Staatsschulden<br />
der europäischen<br />
Krisenländer<br />
zeigt Wirkung: Die Anleihezinsen<br />
der überschuldeten Staaten<br />
in der Euro-Zone sind dramatisch<br />
gefallen. Doch ein<br />
Grund zur Freude ist das nicht,<br />
denn nun lässt sich die Schuldenlawine<br />
überhaupt nicht<br />
mehr stoppen.<br />
Blicken wir zurück: Zum Ausgleich<br />
für die Euro-Rettungspakete<br />
hatte Deutschland 2012<br />
den Fiskalpakt durchgesetzt.<br />
Zusätzlich zur Einhaltung der<br />
Defizitgrenze von drei Prozent<br />
des Bruttoinlandsprodukts<br />
(BIP) mussten sich die Schuldenländer<br />
verpflichten, ihre<br />
Schulden pro Jahr um ein Zwanzigstel<br />
des jeweiligen Abstandes<br />
zu einer Schuldenquote von 60<br />
Prozent zu senken.<br />
Davon ist nun keine Rede<br />
mehr, denn bei niedrigen Zinsen<br />
ist es verlockend, mehr<br />
Schulden zu machen. Nachdem<br />
die Zwanzigstel-Regel faktisch<br />
gekippt ist, wollen europäische<br />
Politiker jetzt sogar an die Drei-<br />
Prozent-Grenze heran. Man will<br />
sie aushöhlen, indem etwa <strong>Ausgabe</strong>n<br />
für Militär, Bildung und<br />
Forschung nicht mehr bei den<br />
Staatsausgaben mitgerechnet<br />
werden.<br />
Derartige Tricksereien sind<br />
kein Einzelfall. Schon seit Längerem<br />
wird rund um die Schuldenfrage<br />
manipuliert. So behauptete<br />
die EU-Kommission<br />
kürzlich, Griechenland habe<br />
2013 einen Primärüberschuss<br />
von 0,8 Prozent <strong>vom</strong> BIP erzielt<br />
– während die EU-Statistikbehörde<br />
Eurostat ein Primärdefizit<br />
von 8,7 Prozent auswies. Das<br />
Primärdefizit wird von allen Äm-<br />
tern der Welt als jenes Haushaltsdefizit<br />
definiert, das entsteht,<br />
wenn die Zinszahlungen des Staates<br />
nicht in die Rechnung einfließen.<br />
Die EU-Kommission benutzte<br />
aber ihre eigene Definition und<br />
ließ als einmalig deklarierte <strong>Ausgabe</strong>n<br />
auch noch weg. Als das ifo<br />
Institut die unterschiedlichen Definitionen<br />
öffentlich machte, entfernte<br />
Eurostat noch am gleichen<br />
Tag die Variable „Primärdefizit“<br />
sämtlicher EU-Länder aus seiner<br />
Datenbank. Pech nur, dass der<br />
Anhang der Frühjahrsprognose<br />
der EU-Kommission, die Anfang<br />
Mai herauskam, noch immer die<br />
Eurostat-Zahlen zum Primärdefizit<br />
enthielt.<br />
»Der ESM ist ein<br />
Schattenhaushalt,<br />
dessen Schulden<br />
den Ländern<br />
nicht zugerechnet<br />
werden«<br />
Die Schulden des ersten Rettungsschirms<br />
EFSF, der 2010 installiert<br />
worden war und drei Jahre<br />
lief, wurden den Euro-Ländern<br />
korrekterweise anteilig angerechnet.<br />
Für Deutschland entstand dadurch<br />
bis Dezember 2013 eine<br />
zusätzliche Staatsschuld von 52<br />
Milliarden Euro – umgerechnet<br />
rund 1,9 Prozent <strong>vom</strong> BIP. Beim<br />
zweiten (permanenten) Rettungsschirm<br />
ESM war man schlauer.<br />
Dieser wurde als Schattenhaushalt<br />
konstruiert, dessen Schulden<br />
den Mitgliedsländern nicht zugerechnet<br />
werden – obwohl sie dafür<br />
haften. Bei voller Ausnutzung<br />
des ESM-Finanzrahmens darf<br />
Deutschland 168 Milliarden Euro<br />
an Staatsschulden verstecken.<br />
Auf ähnliche Weise wurde<br />
Deutschlands Anteil (rund neun<br />
Milliarden Euro) an den 46 Milliarden<br />
Euro Schulden verborgen, die<br />
die EU für ihren Rettungsschirm<br />
EFSM hat machen können.<br />
Die heimliche Devise bei all<br />
dem scheint zu sein: Wenn die<br />
Banken Schattenhaushalte unterhalten,<br />
dann dürfen wir es auch.<br />
Ein großes deutsches Wirtschaftsforschungsinstitut<br />
hat nun sogar<br />
vorgeschlagen, in Luxemburg<br />
einen weiteren staatlichen Schattenhaushalt<br />
der EU-Länder zur<br />
Finanzierung neuer privater Investitionen<br />
einzurichten.<br />
Als die Forderungen der Staatengemeinschaft<br />
gegenüber Griechenland<br />
im Herbst 2012 bis zur<br />
Mitte des Jahrhunderts gestreckt<br />
und für zehn Jahre zinsfrei gestellt<br />
wurden, entstand der Staatengemeinschaft<br />
ein Verlust mit einem<br />
Gegenwartswert von 43 Milliarden<br />
Euro. Auf Deutschland entfielen<br />
13 Milliarden Euro. Hätte man<br />
Griechenland den Nachlass in<br />
Form eines offenen Schuldenschnitts<br />
gewährt, hätten ihn die<br />
nationalen Finanzminister als defizitvergrößernde<br />
<strong>Ausgabe</strong> verbuchen<br />
müssen. Der deutsche Finanzierungssaldo<br />
hätte 2012 bei<br />
minus 0,4 Prozent statt bei plus<br />
0,1 Prozent <strong>vom</strong> BIP gelegen.<br />
Für die Beruhigung der Öffentlichkeit<br />
schien die Verschleierung<br />
der wirklichen Lasten die<br />
bessere Variante zu sein.<br />
KÜNSTLICHES PLUS<br />
Und es geht so weiter: 2013 erließen<br />
das EU-Parlament und<br />
der Rat der EU eine Verordnung,<br />
die den EU-Ländern ab<br />
September <strong>2014</strong> vorschreibt,<br />
<strong>Ausgabe</strong>n für Forschung und<br />
Entwicklung statt als Vorleistungen<br />
als Endprodukte in der<br />
volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung<br />
zu verbuchen. Dadurch<br />
und durch andere konzeptionelle<br />
Änderungen wird<br />
das deutsche BIP im Vergleich<br />
zu dem Wert, den es sonst<br />
gehabt hätte, rechnerisch um<br />
etwa drei Prozent angehoben.<br />
Die Staatsschuldenquote sinkt<br />
hingegen auch rückwirkend um<br />
etwa 2,3 Prozentpunkte.<br />
Das Bestreben der Politik,<br />
den Wählern zulasten zukünftiger<br />
Generationen immer mehr<br />
Geschenke zukommen zu lassen,<br />
ohne es verbuchen zu müssen,<br />
ist so übermächtig geworden,<br />
dass selbst Hardliner<br />
schwach werden. Kürzlich erklärte<br />
Ex-Finanzminister Theo<br />
Waigel in einem Interview, es sei<br />
keine schlechte Idee, die<br />
Staatsausgaben für Bildung und<br />
Forschung zu den investiven<br />
<strong>Ausgabe</strong>n zu rechnen. Wer fragt<br />
schon danach, dass dies Artikel<br />
115 des Grundgesetzes aushebeln<br />
würde, der neue Schulden<br />
an die Höhe der staatlichen Investitionen<br />
koppelt?<br />
Hans-Werner Sinn ist Präsident<br />
des ifo Instituts und Ordinarius<br />
an der Ludwig-Maximilians-<br />
Universität in München.<br />
FOTO: ROBERT BREMBECK FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, VISUM/ILJA C. HENDEL<br />
40 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Einfühlsamer<br />
Haudegen<br />
AIRBUS | Schnell entscheiden,<br />
Macht delegieren, Vorgesetzte<br />
zu Vorbildern machen: wie<br />
Konzernchef Tom Enders<br />
Intrigen, Produktionsdesaster<br />
und Länderstreits überwand –<br />
und aus Europas schwierigstem<br />
Konzern ein Musterbeispiel für<br />
moderne Unternehmenskultur<br />
machte.<br />
42 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Respekt bei Regierungen<br />
und Gewerkschaftern<br />
Konzern-Chef Enders im<br />
Rohbau eines Airbus<br />
FOTO: FRED MERZ/REZO<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 43<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Problemfeld<br />
Großraumflugzeuge<br />
Im Kerngeschäft<br />
Ziviljets lebt Airbus<br />
fast nur von den<br />
A320-Mittelstreckenfliegern.<br />
Auf der<br />
Langstrecke bringt<br />
nur das älteste<br />
Modell A330 Geld.<br />
Der neue A350 wird<br />
netto erst nach 2020<br />
Gewinn abwerfen,<br />
der Superjumbo<br />
A380 wohl nie.<br />
Problemfeld<br />
Rüstung<br />
Kampfjets und Raketen<br />
bringen viel Profit.<br />
Doch ab 2018 fehlen<br />
neue Aufträge. Für<br />
die Drohne Talarion<br />
fand Airbus keine<br />
Kunden, und das<br />
Geschäft mit Grenzsicherung<br />
wirft weniger<br />
ab als erwartet.<br />
Wer Tom Enders treffen will, hat in seinem<br />
Büro in der Konzernzentrale am<br />
Flughafen im südfranzösischen Toulouse<br />
selten Erfolg. Anfang der Woche<br />
besucht der Chef des größten europäischen<br />
Luftfahrtkonzerns, der Airbus Group,<br />
meist ein Werk am Firmensitz oder konferiert dort<br />
mit Vorständen und Mitarbeitern. Mitte der Woche<br />
besucht der 55-Jährige dann ein paar der 180 Betriebsstätten<br />
des Konzerns oder trifft Politiker und<br />
wichtige Kunden. Und Ende der Woche reist der Vater<br />
von vier Kindern meist in die Airbus-Deutschland-Zentrale<br />
nach München, um von dort zur Familie<br />
an den Tegernsee zu fahren – sei es zur gemeinsamen<br />
Bergwanderung oder nur zu einem Tegernseer<br />
Hell aus einer Brauerei des ehemaligen bayrischen<br />
Königshauses Wittelsbach.<br />
„Wir alle haben ja schon einen höllischen Zeitplan“,<br />
seufzt Marwan Lahoud, Marketing- und Strategievorstand<br />
der Airbus-Gruppe, voller Respekt.<br />
„Aber Tom legt da noch eins drauf.“<br />
Die Omnipräsenz ist Enders’ Programm und Erfolgsrezept.<br />
Er führt den Konzern nicht einfach nur,<br />
was schon mit der schwerste Job in Europa wäre.<br />
Wohl kein Unternehmen ächzt dermaßen unter<br />
hochriskanten neuen Produkten, argwöhnischen<br />
deutschen und französischen Mitarbeitern sowie<br />
unter drohenden Einmischungen der Regierungen,<br />
in diesem Fall in Paris und Berlin.<br />
Vielmehr lenkt Enders und baut Airbus gleichzeitig<br />
unablässig um, seit er 2012 den Steuerknüppel<br />
von seinem französischen Vorgänger Louis Gallois<br />
übernahm. In diesen zwei Jahren ist Enders nicht<br />
weniger gelungen, als Airbus neu auszurichten und<br />
aus einem technikverliebten Firmenkonvolut ein<br />
modernes, gewinnorientiertes Unternehmen zu formen,<br />
das seine Möglichkeiten effektiver denn je<br />
nutzt, ohne jeden Tag die Intervention einer Kanzlerin<br />
von der Spree oder eines Staatspräsidenten von<br />
der Seine fürchten zu müssen. Zudem prosperiert<br />
Airbus wie noch nie, ist der Aktienkurs heute fast<br />
doppelt so hoch wie vor zwei Jahren und nähert sich<br />
die Marge rekordverdächtigen sieben Prozent <strong>vom</strong><br />
Umsatz. „Airbus geht es derzeit besser denn je“, sagt<br />
Richard Aboulafia, Analyst der auf die Branche spezialisierten<br />
Marktforscher Teal Group aus den USA.<br />
Wie hat der drahtige Typ mit dem schütteren Haar<br />
und dem Major in der Vita das geschafft?<br />
Für Außenstehende steht über allem, dass Enders<br />
einen Managementstil entwickelt hat, der militärische<br />
Attribute wie schnelle Entscheidungen geschickt<br />
vereint mit vermeintlich weichen Fähigkeiten,<br />
wie Verantwortung zu delegieren, offen zu diskutieren<br />
sowie menschliche Umgangsformen zu<br />
pflegen, statt sturen Gehorsam zu verlangen.<br />
„Enders ist das Beste, was Airbus passieren konnte“,<br />
sagt Heinz Schulte, Chef des Branchen-Informationsdienstes<br />
Griephan. Und Brent Scowcroft, ehemals<br />
Sicherheitsberater von drei US-Präsidenten<br />
und heute Berater in Washington, assistiert:„Mit seiner<br />
Art zu führen ist Tom ein Vorbild für die ganze<br />
Branche – und auch weit darüber hinaus.“<br />
Paradesparte Verkehrsflugzeuge<br />
Umsatz und Gewinn der Airbus Group nach Sparten 2013 sowie Aktienkurs im Vergleich zu Boeing<br />
Sonstiges 1 %<br />
Cassidian (Rüstung)<br />
Astrium<br />
(Raumfahrt)<br />
Eurocopter<br />
(Hubschrauber)<br />
10 %<br />
10 %<br />
4 %<br />
9 %<br />
Gesamtumsatz<br />
59,3<br />
Mrd. Euro<br />
Verkehrsflugzeuge<br />
Cassidian (Rüstung)<br />
66 % 14 % 55 %<br />
Astrium<br />
(Raumfahrt)<br />
Eurocopter<br />
(Hubschrauber)<br />
ZU WENIG ZEIT FÜR POMP<br />
Danach sah es am Beginn der Regentschaft des Deutschen<br />
bei EADS, wie die Airbus Group damals noch<br />
hieß, nicht aus. Im Sommer 2012, gleich nach Enders<br />
Antritt, rappelte es fundamental im Konzern. Die<br />
Auslieferung des Langstreckenflugzeugs A350, das<br />
gegen den Dreamliner 787 von Boeing anfliegen soll,<br />
verspätete sich beträchtlich, der Aktienkurs sank. Die<br />
Fusion mit dem britischen Rüstungskonzern BAE,<br />
von Enders als großer Wurf gegen die US-Konkurrenz<br />
gepriesen, scheitert nach einer medialen Schlammschlacht<br />
mit der Bundesregierung. Weitere Fehler<br />
hätte Enders sich nicht leisten können.<br />
Das hat er auch nicht. „Seitdem gab es fast keine<br />
Schlagzeilen mehr – und wenn, dann nur davon, wie<br />
Enders den Konzern umbaut“, lobt Cay-Bernhard<br />
Frank von der Beratung A.T. Kearney.<br />
Enders beherzigte, was er in Managementbüchern<br />
hätte finden können, jedoch aus eigenem Antrieb<br />
richtig machte. Als Erstes gelang ihm, die Eigentümer<br />
zu befrieden und den lähmenden Einfluss der<br />
Regierungen Deutschlands und Frankreichs zu minimieren.<br />
Dazu überzeugte er die Mächtigen beider<br />
Länder, dass sie sich künftig mit jeweils rund elf Prozent<br />
der Aktien begnügen und keinen direkten Abge-<br />
Airbus-Militärtransporter<br />
Airbus-Militärtransporter<br />
Verkehrsflugzeuge<br />
* sonstige Verluste wurden abgezogen, Gewinn vor Steuern und Abschreibungen (Ebit); Quelle: Unternehmen, Thomson Reuters<br />
10 %<br />
14 %<br />
Gewinn<br />
2,7*<br />
Mrd. Euro<br />
7 %<br />
220<br />
200<br />
180<br />
160<br />
140<br />
120<br />
100<br />
80<br />
Airbus<br />
Boeing<br />
20.0.95.6<br />
45.6.95.0<br />
1.6.2012 = 100<br />
65.12.100.12<br />
80.15.100.25<br />
2013 <strong>2014</strong><br />
44 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Teile und gewinne<br />
Den Franzosen<br />
Brégier motivierte<br />
Enders, indem er ihm<br />
die Verantwortung<br />
für das Großraumflugzeug<br />
A350 gab<br />
FOTO: REUTERS/JEAN PHILIPPE ARLES<br />
sandten in den Aufsichtsrat hieven. Um die Regierungsferne<br />
zu betonen, verlegte er die Konzernzentrale<br />
nach Toulouse, für die Mächtigen in den Metropolen<br />
die totale Provinz.<br />
In der Außenwirkung stärkte Enders den Luft- und<br />
Raumfahrtgiganten wiederum, indem er den sperrigen<br />
Konzernnamen EADS durch die wohlklingende<br />
Bezeichnung für die zivilen Flugzeuge des Konzerns,<br />
also Airbus, ersetzte.<br />
Trotz des Erfolgs fliegt Enders zeit seines Cheflebens<br />
konsequent tief und bekämpft jede aufkeimende<br />
Champagnerlaune. Im Gegensatz zu anderen erfolgreichen<br />
Managern verzichtet er auf Eigenlob in<br />
Form bunter Hochglanzbroschüren, Imagevideos<br />
und Presseinterviews, mit denen sein Vorgänger Gallois<br />
fast im Wochentakt selbst bescheidene Fortschritte<br />
vortrug. „Für Dinge wie Pomp und Personenkult<br />
ist Enders angesichts der vielen ungelösten<br />
Probleme wohl die Zeit zu schade“, so Scott Hamilton,<br />
Inhaber der US-Beratung Leeham.<br />
Vielmehr hat der Sohn eines Schäfers offenbar den<br />
langen Atem als Verhaltensmaxime ausgegeben. Die<br />
Armeen Europas ordern weder neue Jagdflieger<br />
noch unbemannte Drohnen oder Raketensysteme.<br />
In der Raumfahrt graben Billiganbieter wie der US-<br />
Elektroauto-Pionier Elon Musk mit seinen Space-<br />
X-Raketen Airbus Geschäft ab. Bei den großen Langstreckenjets<br />
bringt derzeit nur eines von drei Airbus-<br />
Modellen Geld. Und bei den kleineren Maschinen<br />
Der Enders-Effekt<br />
Analysten erwarten starkes Wachstum bei<br />
Umsatz und Gewinn (in Mrd. Euro)<br />
80<br />
74<br />
68<br />
62<br />
56<br />
50<br />
Gewinn<br />
Umsatz<br />
2012 2013 <strong>2014</strong> 2015 2016 2017<br />
Gewinn: Netto vor Sondereffekten; ab <strong>2014</strong> Schätzung;<br />
Quelle: JP Morgan<br />
4,0<br />
3,5<br />
3,0<br />
2,5<br />
2,0<br />
1,5<br />
beenden neue hoch subventionierte Wettbewerber<br />
aus China, Japan oder Russland in spätestens zehn<br />
Jahren das einträgliche Duopol mit Boeing. Da wäre<br />
Jubel fehl am Platz. „Unser Wandel steht erst am Anfang<br />
und wird wohl nie richtig zu Ende gehen“, sagt<br />
Airbus-Personalvorstand und Enders’ Altvertrauter<br />
Thierry Baril stellvertretend für seinen Chef.<br />
Flüchtigen Betrachtern erscheint Enders’ Offensive<br />
beim Umbau wie ein konventionelles Standardsparprogramm<br />
inklusive massiven Jobabbaus. Doch die<br />
Strategie des Airbus-Chefs ist viel filigraner. „Herr Enders<br />
agiert trotz aller lauten Töne wesentlich ausgefuchster<br />
und flexibler, als Außenstehende oft glauben,<br />
nicht zuletzt bei Reizthemen wie Arbeitsplatzabbau,<br />
wo er am Ende Kompromisse wie Jobgarantien<br />
akzeptiert, wenn das beiden Seiten dient“, sagt Bernhard<br />
Stiedl, Beauftragter der Gewerkschaft IG Metall<br />
für den militärischen Teil des Airbus-Konzerns.<br />
SPRUNG AUS ALLEM, WAS FLIEGT<br />
Die differenzierte Geschmeidigkeit erlaubte Enders,<br />
ohne Rücksicht auf Einsprüche der Regierungen unrentable<br />
Produktion wie die Rüstung in Bayern herunterzufahren.<br />
In gleicher Manier packte er Teile<br />
des Weltraumgeschäfts in ein Gemeinschaftsunternehmen<br />
mit dem französischen Staatskonzern Safran.<br />
Und auch mehr Fertigung in Billiglohnländern<br />
setzt er ohne allzu großen Widerstand durch.<br />
Enders hat Erfolg, nicht indem er lieb Kind sein<br />
will, sondern sich Respekt verschafft. Statt sich Berlin<br />
als Wahrer deutscher Interessen zu empfehlen, feuerte<br />
er nicht nur den deutschen Chef des heutigen<br />
Airbus-Rüstungsgeschäfts Stefan Zoller. Auf den<br />
Stopp der geplanten Fusion mit BAE durch die Bundesregierung<br />
im Herbst hin entschied Enders auch,<br />
die vor allem in Deutschland ansässige Kriegsgeräteproduktion<br />
herunterzufahren. „Das hat uns überzeugt,<br />
dass Enders es ehrlich meint“, lobt ein führender<br />
französischer Gewerkschafter.<br />
Seine Überzeugungskraft bei den Airbus-Managern<br />
steigert Enders, indem er die Begeisterung für die<br />
Branche persönlich verkörpert. Der Ex-Offizier hat einen<br />
Pilotenschein für Hubschrauber und springt aus<br />
allem, was fliegt. Als er sich im Sommer 2012 beim<br />
Aufprall auf der Erde die Sehnen zerrt und den Arm<br />
»<br />
Erblast Organisation<br />
Die Airbus Group<br />
wurde 2000 als<br />
EADS gegründet.<br />
Dabei wurden völlig<br />
unterschiedliche<br />
Unternehmen zusammengeworfen,<br />
die schon in ihren<br />
vier europäischen<br />
Heimatländern kaum<br />
kooperierten. Trotz<br />
mehrerer Umstrukturierungen<br />
werkeln<br />
Firmenteile weiter<br />
vor sich hin, gibt es<br />
Doppelarbeiten und<br />
kaum Synergien.<br />
Erblast Politik<br />
Seit der Airbus-Gründung<br />
kämpfen Frankreich<br />
und Deutschland<br />
darum, mehr<br />
High-Tech-Jobs als<br />
der andere zu bekommen.<br />
Dazu vergeben<br />
sie Aufträge<br />
und Anlauffinanzierungen.<br />
Paris versuchte<br />
auch schon,<br />
die Mehrheit am<br />
Konzern zu erlangen.<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 45<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Keine Lust auf lieb<br />
Kind Enders mit<br />
Verteidigungsministerin<br />
von der<br />
Leyen<br />
Enders’ Fehler BAE<br />
Eine Fusion mit dem<br />
britischen Rüstungskonzern<br />
BAE schien<br />
ideal: Sie rettete<br />
Airbus das Waffengeschäft<br />
und half bei<br />
der Globalisierung.<br />
Doch Enders hatte<br />
unterschätzt, wie viel<br />
politisches Porzellan<br />
er mit seiner schroffen<br />
Art in Berlin zerschlagen<br />
hatte. Berlin<br />
legte sein Veto ein.<br />
Enders’ Übermut<br />
2008 wollte Enders<br />
Airbus-Werke an<br />
Zulieferer verkaufen.<br />
Der Deal platzte,<br />
weil er den Käufern<br />
auch einen Teil des<br />
Wechselkursrisikos<br />
aufbrummen wollte.<br />
»<br />
in der Schlinge tragen muss, sagt er: „Ich bin halt<br />
härter, als alle glauben.“ Das erhöht sein Ansehen in<br />
der Belegschaft als volksnaher Anführer.<br />
Dabei sucht er bewusst über alle Hierarchiestufen<br />
die Nähe zu den 144 000 Beschäftigten. Er startet auf<br />
Halbmarathon-Läufen, die die Mitarbeiter organisieren.<br />
Wenn er Werke besucht, startet er mit einem<br />
Frühstück in Jeans und offenem Kragen. Im Airbus-<br />
Intranet meldet er sich mit Beiträgen in Tom’s Blog.<br />
Enders hat aus dem Milliardenfiasko zu Beginn<br />
des Super-Airbus A380 gelernt, als Probleme in der<br />
Produktion teure Verspätungen bei der Auslieferung<br />
verursachten. Seitdem weiß er, wie wichtig ungefilterte<br />
Rückmeldungen aus der Belegschaft anstelle<br />
von Pseudoerfolgsmeldungen des mittleren Managements<br />
sind. „Weil Probleme bei Airbus wenn<br />
überhaupt verspätet oder gefiltert zu den Chefs<br />
drangen, will Enders genau wissen, woran es hakt<br />
und wie es besser gehen könnte“, sagt Shakeel Adam,<br />
Inhaber der Unternehmensberatung Aviado Partners<br />
aus Eschborn bei Frankfurt. Zu diesem Zweck<br />
ermuntert der Airbus-Chef Mitarbeiter sowie die Leser<br />
seines Blogs, ihm Kommentare und Mails zu<br />
schreiben. „Die beantwortet er, was viele erstaunt,<br />
sehr oft selbst sowie klar und deutlich, wie es seine<br />
Art ist“, sagt Airbus-Strategiechef Lahoud.<br />
ANIMATION FÜR EGOMANEN<br />
Diese offene Diskussion praktiziert Enders bis in die<br />
Vorstandssitzungen. „Tom will vor einer Entscheidung<br />
alle Aspekte beleuchten und ruht erst, wenn er<br />
das geschafft hat“, sagt Bernhard Gerwert, Leiter der<br />
Airbus-Rüstungs- und Raumfahrtsparte. Trotzdem<br />
dauern die Sitzungen nicht länger. „Früher wurde<br />
gerne eine Agenda voller vorab ausgetüftelter Kompromisse,<br />
Pro-forma-Wortmeldungen und langer<br />
Präsentationen abgearbeitet“, sagt Airbus-Finanzchef<br />
Harald Wilhelm. „Jetzt wird wirklich diskutiert, bis<br />
wir eine Sache endgültig im Team entscheiden.“ Allerdings<br />
verlangt Enders, dass alle Teilnehmer Entscheidungen<br />
mit Leib und Seele mittragen.<br />
Das frühere Gegeneinander verwandelte Enders<br />
in ein Miteinander, indem er seinen direkt Unterstellten<br />
(im Konzernjargon „minus 1s“) mehr Verantwortung<br />
sowie Freiheit bei der Umsetzung von Projekten<br />
gibt. Auf diese Weise hat er zum Beispiel den<br />
Chef der Ziviljetsparte, Fabrice Brégier, für sich gewonnen.<br />
Der Franzose hätte sich laut Insidern vor<br />
zwei Jahren selbst die Konzernführung zugetraut.<br />
Um ihn zu halten, gab ihm Enders die Zuständigkeit<br />
für den neuen A350-Jet, der Airbus’ Rolle im Langstreckengeschäft<br />
sichern soll. Unter Enders genössen<br />
Top-Manager „hohes Zutrauen“, sagt Finanzchef<br />
Wilhelm. Stimme die Leistung nicht, sei das aber<br />
„auch schnell aufgebraucht“, und der Betroffene<br />
könne sich einen neuen Job suchen.<br />
Gleichwohl erwartet Enders nicht Ergebnisse um<br />
jeden Preis. Fast ebenso wichtig sind ihm fairer Umgang<br />
und Zusammenarbeit über die Grenzen des eigenen<br />
Teams. Um dies zu befördern, hat Enders 2500<br />
Sport- und sonstige Events aufgelegt, um den Teamgeist<br />
zu stärken. Jeder Mitarbeiter muss sich vor seiner<br />
Beförderung einem Test stellen, bei dem hochrangige<br />
Manager und Experten von außerhalb des<br />
Konzerns prüfen, ob der Kandidat zum Chef und<br />
Teamplayer taugt. Zudem bietet Airbus neben dem<br />
klassischen Aufstieg noch eine Expertenkarriere, bei<br />
der besonders talentierte Ingenieure und Spezialisten<br />
eigene Felder in der Forschung und Entwicklung<br />
ohne große Personalverantwortung erhalten.<br />
Seit Enders Airbus regiert, macht er den Konzern<br />
trotz seiner vier Heimatländer Deutschland, Frankreich,<br />
Spanien und Großbritannien noch internationaler<br />
und vielfältiger. Dazu muss Personalchef Baril<br />
bevorzugt Mitarbeiter aus anderen Ländern und<br />
Branchen suchen. „Das bringt uns neben neuen Ideen<br />
vor allem ein Ende der deutsch-französischen<br />
Gegensätze und animiert sogar die etwas egomanen<br />
Absolventen französischer Eliteschulen zu mehr<br />
Kreativität und Teamgeist“, meint ein Insider.<br />
Den Kick von draußen braucht Enders auch, um<br />
die Produktion zu globalisieren. Hubschrauber und<br />
Passagierflugzeuge werden bereits in Übersee gebaut.<br />
Nun soll die Rüstungssparte folgen und statt<br />
heute ein Viertel künftig gut 40 Prozent ihrer Einnahmen<br />
außerhalb Europas erzielen. Dazu wird Airbus<br />
Töchter etwa in Brasilien, Singapur oder Indien<br />
gründen und dort bis zu 10 000 Leute beschäftigen.<br />
„Heute erwarten die Auftraggeber bei einer Bestellung<br />
im Gegensatz zu noch vor fünf Jahren nicht nur<br />
eine Produktion, sondern auch eine Entwicklung der<br />
Produkte vor Ort“, sagt Spartenchef Gerwert. „Und<br />
wir sollen auch in der Lage sein, bestimmte Märkte<br />
aus diesen Ländern heraus zu bedienen.“<br />
Ob Enders’ Kulturwandel ausreicht, um Airbus<br />
ausreichend zu stärken, will niemand beschwören.<br />
Doch auf dem richtigen Weg sehen ihn alle. „Enders<br />
hat das Eis gebrochen“, sagt Experte Schulte. „Auch<br />
wenn die Fahrrinne gelegentlich frei gehalten werden<br />
muss, ist das Gröbste wohl geschafft.“<br />
n<br />
ruediger.kiani-kress@wiwo.de, karin finkenzeller | Paris<br />
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FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
46 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
KRAUSS-MAFFEI WEGMANN<br />
Airbus des Bodens<br />
Die Fusion des deutschen Panzerbauers mit Frankreichs Nexter gelingt nur, wenn Berlin die Ausfuhr nicht behindert<br />
– eine Nagelprobe für Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und das Verhältnis zum westlichen Nachbarn.<br />
Partner gesucht<br />
Parade mit<br />
Nexter-Panzern<br />
in Paris<br />
Erst verhandelten sie viele Jahre. Dann einigten<br />
sich die Regierungschefs und Bosse,<br />
ihre Rüstungskonzerne schrittweise zu<br />
einem europäischen Champion in dieser<br />
Waffengattung zu fusionieren. Und um<br />
keine nationalen Gefühle zu verletzen,<br />
gaben sie dem neuen Konzern einen neutralen<br />
Namen mit vier Buchstaben: EADS.<br />
Das Unternehmen, 2000 von Deutschen<br />
und Franzosen gegründet, heißt<br />
seit Januar Airbus Group. Dem Vorbild<br />
des Luft- und Raumfahrtriesen will seit<br />
Anfang der Woche „Kant“ folgen. So heißt<br />
der geplante Zusammenschluss des Panzerbauers<br />
Krauss-Maffei Wegmann<br />
(KMW) aus München und des staatlichen<br />
französischen Wettbewerbers Nexter.<br />
Für ihr Projekt warben die Partner damit,<br />
sie würden als eine Art Airbus des<br />
Bodens den europäischen Panzerbau retten.<br />
Am Ende, so KMW-Chef Frank Haun<br />
laut einer Erklärung, sei Kant „entscheidend<br />
für die Konsolidierung der wehrtechnischen<br />
Industrie Europas“. Kurt Lauk, Präsident<br />
des CDU-Wirtschaftsrats, sieht in<br />
Kant gar „nur den ersten Schritt von einer<br />
ganzen Reihe anderer Schritte in der gleichen<br />
Industrie“. Kein Wunder, dass Frankreichs<br />
Minister für Wirtschaft, Finanzen<br />
und Verteidigung den frisch Verlobten sogleich<br />
ihre Glückwünsche aussprachen.<br />
Die kommen etwas verfrüht. Denn sowohl<br />
politisch als auch betriebswirtschaftlich<br />
steht die geplante Hochzeit auf unsicherem<br />
Fundament. „Die Fusion verschafft KMW<br />
und Nexter bestenfalls mehr Zeit, sich besser<br />
für die Zukunft aufzustellen“, sagt<br />
Heinz Schulte, Chef des Informationsdienstes<br />
Griephan und intimer Kenner der Rüstungsbranche.<br />
Im Klartext: Wenn es gut<br />
läuft, reicht die Zeit mit Ach und Krach, um<br />
die Kosten zu senken und gemeinsam neue<br />
konkurrenzfähige Waffen zu entwickeln.<br />
Politisch ist der Deal längst noch nicht<br />
durch, weil ein Zusammengehen mit Nexter<br />
für KMW nur dann einen wirklich großen<br />
Charme hat, wenn die Deutschen auf diese<br />
Weise die von Bundeswirtschaftsminister<br />
Sigmar Gabriel (SPD) angekündigte restriktivere<br />
Rüstungsexportpolitik parieren könnten.<br />
„Die Hoffnung ist die Verbindung aus<br />
deutschem High Tech und dank des französischen<br />
Staats lockerer Ausfuhrbedingungen“,<br />
so der Hamburger Rüstungsexperte<br />
Heinrich Großbongardt. „Dreh- und Angelpunkt<br />
des Deals ist deshalb die Möglichkeit<br />
für KMW, künftig vermehrt ins Ausland verkaufen“<br />
zu können. „Alles andere“, so ein Insider,<br />
„wäre den ganzen Zirkus nicht wert.“<br />
SOLLBRUCHSTELLE EXPORT<br />
In der Richtung äußerte sich Frankreichs<br />
Verteidigungsministerium unzweideutig.<br />
„Es muss eine für alle zufriedenstellende<br />
Lösung gefunden werden“, sagte ein Sprecher<br />
auf Anfrage der WirtschaftsWoche und<br />
stellte klar: „Das ist zugleich die Bedingung<br />
für den Zusammenschluss.“ Damit liegt eine<br />
mögliche Sollbruchstelle der geplanten<br />
Fusion fest: Zwingt Wirtschaftsminister Gabriel<br />
dem Gemeinschaftsunternehmen seine<br />
restriktive deutsche Exportpolitik über<br />
die deutsch-französische Grenze hinweg<br />
auf, könnte der Deal sogar noch scheitern.<br />
Das würde vermutlich eine europäische<br />
Krise auslösen. „Damit hätte Angela Merkel<br />
dann die sonst von Deutschland immer beschworene<br />
Konsolidierung der europäischen<br />
Rüstungsbranche schon zum zweiten<br />
Mal behindert“, sagt Großbongardt.<br />
Denn 2012 verhinderte die Kanzlerin den<br />
Zusammenschluss der Airbus Group mit<br />
der britischen BAE Systems, die Konzernchef<br />
Tom Enders vorangetrieben hatte.<br />
Die Gefahr ist real. Denn in keiner Firmenfusion<br />
der vergangenen Jahre ist der<br />
Gegensatz zwischen wirtschaftlicher Notwendigkeit<br />
und weltanschaulich geprägter<br />
Politik derart hart wie beim deutsch-französischen<br />
Panzerdeal.<br />
FOTO: AP/FRANCOIS MORI<br />
48 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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schen etwa durch ihre Elektronik, Getriebe<br />
der MAN-Tochter Renk oder die Kanone für<br />
ihren Leopard 2 von Rheinmetall ausgleichen.<br />
Immerhin haben diese Glanzstücke<br />
hiesiger Waffenkunst schon früher Nexters<br />
Leclerc-Panzer aufgemöbelt.<br />
Bei KMW ist es genau anders herum. Die<br />
Münchner bauen mit dem Puma oder der<br />
Haubitze 2000 die technisch besten Panzer.<br />
Doch wegen der traditionell strengen<br />
deutschen Ausfuhrregeln dürfen sie die<br />
noch nicht mal uneingeschränkt in Partnerstaaten<br />
aus der Nato liefern.<br />
DISKRETER PLAN B<br />
Zum Schwur könnte es bald kommen. Laut<br />
Insidern verhandeln beide Partner bereits<br />
über neue Aufträge. Nachdem die Fusion<br />
Airbus-BAE vor zwei Jahren an unversöhnlichen<br />
persönlichen Animositäten zwischen<br />
Airbus-Chef Tom Enders und Merkels Beauftragtem<br />
für Luft und Raumfahrt Peter<br />
Hintze scheiterte, haben die Panzerpartner<br />
offenbar einen Plan B im Köcher. In französischen<br />
Rüstungskreisen kursieren bereits<br />
Vorschläge, wie der neue Verbund mehr exportieren<br />
und Deutschland trotzdem das<br />
Gesicht wahren könnte.<br />
So könnte die Bundesregierung eine<br />
nicht zu lange Ausschlussliste mit Ländern<br />
erstellen, in die sie absolut keinen<br />
Export deutscher Technologie wünscht. In<br />
den Produkten für diese Länder würde der<br />
Verbund Nexter-KMW dann die nötige<br />
Technik mithilfe deutscher Ingenieure in<br />
seinen französischen Labors verbessern<br />
Auf der einen Seite steht Gabriel, der sein<br />
politisches Profil bevorzugt über strengere<br />
Exportkontrollen gerade bei Schusswaffen<br />
und Panzerfahrzeugen schärfen will. Auf<br />
der anderen Seite braucht die Rüstungsindustrie<br />
dringend Exporte, weil angesichts<br />
der rückläufigen Waffenbestellungen ihrer<br />
Heimatländer die Umsätze sinken.<br />
KMW und Nexter haben die Verhandlungen<br />
laut Insidern bereits vor gut zwei Jahren<br />
aufgenommen – lange vor Gabriels<br />
Amtsantritt. Denn beide Unternehmen<br />
leiden deutlich mehr als andere Rüstungsschmieden<br />
unter fehlenden Aufträgen.<br />
Zum einen zählen beide zu den wenigen<br />
Unternehmen der Branche, die noch ausschließlich<br />
<strong>vom</strong> rückläufigen Waffengeschäft<br />
leben. Zum anderen haben sie den<br />
Strukturwandel im Geschäft mit Schießwaren<br />
verschlafen. Beide fertigen statt moderner<br />
Waffentechnologie vor allem klassisches<br />
schweres Gerät und haben kaum den<br />
Schritt ins Ausland gewagt.<br />
Der Düsseldorfer Wettbewerber Rheinmetall<br />
etwa verkauft auch intelligente Munition<br />
und arbeitet an Zukunftstechnik wie<br />
Drohnen. Dazu erwirtschaftet er gut die<br />
Hälfte seines Umsatzes mit Kriegsgerät aus<br />
Fabriken außerhalb Deutschlands.<br />
KMW und Nexter hingegen tun sich gerade<br />
beim Export schwer. Die Franzosen können<br />
zwar als Staatsbetrieb uneingeschränkt<br />
auf Vermarktungshilfen ihrer Regierung<br />
bauen. Doch die Kampfwagen aus dem Pariser<br />
Vorort Versailles gelten technisch als<br />
zweite Wahl. Das Manko könnten die Deutund<br />
anschließend auch in Frankreich<br />
produzieren.<br />
Die Fachbeamten im Wirtschaftsministerium<br />
rechnen sogar damit, dass Neuentwicklungen<br />
komplett in Frankreich<br />
entstehen könnten. Mittelfristig sei also<br />
der Abbau von Arbeitsplätzen an deutschen<br />
Standorten nicht auszuschließen.<br />
„Das würde wohl die Beziehungen zwischen<br />
KMW und der Bundesregierung<br />
verschlechtern und auch die Beziehungen<br />
Deutschland/Frankreich belasten“,<br />
meint Jean-Pierre Maulny, Verteidigungsexperte<br />
der Forschungseinrichtung Institut<br />
de Relations Internationales et Stratégiques.<br />
Doch der Krach wäre deutlich<br />
geringer und für Gabriel leichter seinen<br />
Parteigenossen zu vermitteln, denn der<br />
neue Verbund wird wohl ohnehin über<br />
kurz oder lang französisch, weil Frankreich<br />
im Gegensatz zu Deutschland seine<br />
Rechte über eine goldene Aktie mit Sonderrechten<br />
wahren will.<br />
Klar ist: Der Panzer-Hickhack rückt die<br />
von vielen erträumte dritte franko-allemannische<br />
Partnerschaft zwischen den Schiffbauern<br />
von ThyssenKrupp und der staatlichen<br />
französischen Werft DCNS als<br />
„Airbus der Meere“ weiter in die Ferne.<br />
Dazu müsste Deutschland seine Überlegenheit<br />
beim U-Boot-Bau oder Frankreich<br />
seine führende Rolle bei Flugzeugträgern<br />
und Fregatten teilen. „Dafür gibt es derzeit<br />
keine Anzeichen“, sagt Experte Schulte. n<br />
ruediger.kiani-kress@wiwo.de,<br />
karin finkenzeller | Paris, henning krumrey | Berlin<br />
Deutschland unter »ferner liefen«<br />
Europas größte Rüstungsfirmen vor und nach möglichen Fusionen<br />
Rang<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
15<br />
21<br />
25<br />
Unternehmen<br />
BAE<br />
Großbritannien Raketen, Panzer, Elektronik<br />
26,8 –8,0<br />
Airbus Group D, F, GB, S Flugzeuge, Raketen, Elektronik<br />
14,9 –7,3<br />
Finmeccanica Italien Hubschrauber, Panzer, Geschütze 12,5 –14,1<br />
Thales<br />
Frankreich Elektronik, Schiffe, Drohnen, Panzer 9,2 –2,9<br />
DCNS + Thyssen (fiktiv) F/D Schiffe<br />
5,3 –10,0<br />
Rolls-Royce<br />
DCNS<br />
Safran<br />
Babcock<br />
Saab<br />
Rheinmetall<br />
KMW + Nexter (fiktiv)<br />
ThyssenKrupp<br />
KMW<br />
Nexter<br />
Großbritannien<br />
Frankreich<br />
Frankreich<br />
Großbritannien<br />
Schweden<br />
Deutschland<br />
D/F<br />
Deutschland<br />
Deutschland<br />
Frankreich<br />
* am Gesamtumsatz; Quelle: Defense News, Sipri<br />
Land Waffengattung Rüstungsumsatz in Mrd. $ Veränderung zu Vorjahr in % Anteil Rüstung in %*<br />
Motoren<br />
Schiffe<br />
Drohnen, Elektronik<br />
Elektronik, Service<br />
Schiffe, Elektronik, Flugzeuge<br />
Panzer, Elektronik, Munition<br />
Panzer<br />
Schiffe<br />
Panzer<br />
Panzer, Munition, Geschütze,<br />
unbemannte Fahrzeuge<br />
5,1<br />
3,8<br />
3,5<br />
3,1<br />
3,0<br />
3,0<br />
2,0<br />
1,5<br />
1,0<br />
1,0<br />
+8,7<br />
+3,3<br />
+6,7<br />
+8,9<br />
+0,7<br />
–7,5<br />
–20,5<br />
–28,0<br />
–21,4<br />
–19,5<br />
95<br />
21<br />
57<br />
51<br />
100<br />
26<br />
100<br />
20<br />
65<br />
85<br />
50<br />
100<br />
3<br />
100<br />
100<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 49<br />
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Unternehmen&Märkte | Dossier<br />
Vorbilder<br />
Gleich drei Abschlüsse kann<br />
Bouée vorweisen: Er ist Ingenieur,<br />
Jurist und hat einen<br />
MBA der Harvard Business<br />
School. Entsprechend groß<br />
ist sein Ego: „Man kann von<br />
jedem etwas lernen, muss<br />
sich aber immer eigene Lösungen<br />
erarbeiten“, lautet<br />
das Credo des wuschelköpfigen<br />
Franzosen. Bei dem, was<br />
er tut, vertraut er vor allem<br />
auf den unerschütterlichen<br />
Glauben an sich selbst und<br />
die Kraft der eigenen Ideen.<br />
Quelle der Inspiration<br />
US-Präsident Kennedy<br />
Als Idole kommen für Bouée<br />
nur Menschen in Betracht,<br />
die ähnlich ticken wie er. Eine<br />
Quelle der Inspiration ist<br />
John F. Kennedy und speziell<br />
dessen berühmte Rede „We<br />
choose to go to the moon“.<br />
Mit dieser Ansprache überzeugte<br />
der US-Präsident<br />
1962 seine Nation davon,<br />
trotz des damals riesigen<br />
Vorsprungs der Sowjetunion<br />
an die Vision der bemannten<br />
Raumfahrt zu glauben. Mit<br />
dieser Denke und seinen<br />
Macherqualitäten ist Bouée<br />
mindestens so sehr Unternehmer<br />
wie Berater. Diese<br />
Mischung und der Mut,<br />
Dinge anders zu machen als<br />
andere, waren bisher sein<br />
Karrieregeheimnis bei Berger<br />
und geben ihm die Kraft<br />
für den neuen Höllenjob.<br />
Ausländer an<br />
der Spitze<br />
Neuer Berger-Chef<br />
Bouée<br />
Der Rettungsring<br />
Der Franzose Charles-Edouard Bouée soll das angeschlagene Beratungsunternehmen<br />
Roland Berger aus der Krise führen – ein schweres Erbe.<br />
Zwei gescheiterte Fusionsanläufe und monatelange<br />
Unsicherheit über das künftige<br />
Geschäftsmodell haben der Strategieberatung<br />
Roland Berger schwer geschadet: 40<br />
von 250 Partnern gingen in den vergangenen<br />
beiden Jahren von Bord, die Belegschaft<br />
schrumpfte von 2700 auf 2400 Mitarbeiter.<br />
Das hat Kompetenzlücken gerissen,<br />
für Verunsicherung bei den Zurückgebliebenen<br />
gesorgt und mutmaßlich auch Geschäft<br />
gekostet. Der Franzose Charles-<br />
Edouard Bouée, neuer Chef und erster Ausländer<br />
an der Spitze der einzigen Strategieberatung<br />
mit europäischen Wurzeln, hat<br />
von seinem Vorgänger Burkhard Schwenker<br />
ein schweres Erbe übernommen. Der<br />
45-Jährige muss den Brain Drain stoppen,<br />
trotz klammer Kassen die zu geringe internationale<br />
Präsenz ausbauen und vor allem<br />
ein tragfähiges Zukunftsmodell entwickeln,<br />
damit Berger als eigenständige Beratung<br />
überleben kann. Bouée heißt ins Deutsche<br />
übersetzt Rettungsring – genau das wird in<br />
den kommenden Jahren seine Aufgabe bei<br />
Berger sein.<br />
julia leendertse, karin.finkenzeller@wiwo.de | Paris<br />
50 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Vorlieben<br />
Bouée ist China-Fan. Er<br />
hat Bücher über den Führungsstil<br />
chinesischer<br />
Manager verfasst und ist<br />
ein gern gesehener Talkshow-Gast<br />
im chinesischen<br />
Staatsfernsehen. Er<br />
schreibt einen Management-Blog<br />
über das Reich<br />
der Mitte und nutzt jede<br />
Gelegenheit, vor Studenten<br />
oder Managern des Landes<br />
zu sprechen. Wenn er unterwegs<br />
ist, liest der frühere<br />
Investmentbanker Konfuzius<br />
oder Werke der Aufklärungs-Philosophen<br />
Gottfried Wilhelm Leibniz<br />
Große Bandbreite<br />
Gangnam-Style-Erfinder PSY<br />
und Adam Smith. Sein Musikgeschmack<br />
zeugt von<br />
ähnlicher Bandbreite und<br />
reicht <strong>vom</strong> Gangnam-Style-<br />
Erfinder PSY oder Bleeding-<br />
Heart-Produzenten David<br />
Vendetta bis zu Mozarts<br />
„Kleine Nachtmusik“ oder<br />
Jaques Offenbachs „Schöne<br />
Helena“.<br />
Stärken und<br />
Schwächen<br />
„Bouée ist Roland Berger<br />
der Zweite“, sagt ein enger<br />
Weggefährte über den neuen<br />
Chef. Anders als sein<br />
sachlich-spröder Vorgänger<br />
Burkhard Schwenker ähnelt<br />
der Franzose dem umtriebigen<br />
Firmengründer. Er ist<br />
charismatisch, international<br />
erfahren, beharrlich, entschlossen<br />
und voller Unternehmergeist.<br />
Bewiesen hat<br />
er das beim Aufbau des Geschäfts<br />
in Frankreich, vor al-<br />
FOTOS: AKG IMAGES/ELECTA, PR, PICTURE-ALLIANCE/DPA, ACTION PRESS/HANNES MAGERSTÄDT, CORBIS/IN PICTURES/QILAI SHEN, LAIF/REA/LUDOVIC<br />
Freunde und Gegner<br />
Bouée ist wie Firmengründer<br />
Roland Berger selbst ein begnadeter<br />
Netzwerker. In Paris<br />
ist er Mitglied des elitären<br />
Clubs „Le Siècle“ („Das Jahrhundert“).<br />
Die Mitglieder aus<br />
Politik, Wirtschaft und Medien<br />
treffen sich regelmäßig<br />
zum Abendessen in der Rue<br />
du Fauborg Saint-Honoré 33,<br />
gleich neben dem Élysée-Palast,<br />
dem Amtssitz des französischen<br />
Präsidenten. Zu den<br />
Weggefährten des Kosmopoliten<br />
zählen Jean-Louis Beffa,<br />
Ex-Chef des Baukonzerns<br />
Kosmopolitischer Weggefährte<br />
Haier-Vorstandschef Ruimin<br />
Saint-Gobain, Zhang Ruimin,<br />
Vorstandsvorsitzender des<br />
chinesischen Haushaltsgeräteherstellers<br />
Haier, und der<br />
deutsche Multiaufsichtsrat<br />
Jürgen Hambrecht. Bouées<br />
Gegner finden sich vor allem<br />
unter seinen Mitbewerbern,<br />
einige waren sogar mal seine<br />
Kollegen, mochten den Franzosen<br />
aber nicht als neuen<br />
Chef akzeptieren. Das Verhältnis<br />
zu McKinsey-Chef Dominic<br />
Barton gilt als angespannt:<br />
Berger ist in China erfolgreicher<br />
als die Konkurrenz.<br />
Angespanntes Verhältnis<br />
McKinsey-Weltchef Barton<br />
Ziele und<br />
Visionen<br />
Bouée ist als Strategieberater<br />
in eigener Sache gefragt:Er<br />
muss ein neues Profil für das<br />
angeschlagene Unternehmen<br />
finden. Berger ist zu<br />
klein, um weltweit in der<br />
Spitzengruppe mitzuspielen,<br />
aber zu groß für einen Nischenanbieter.<br />
Der weltmännische<br />
Franzose muss<br />
vor allem die Internationalisierung<br />
steuern, wo Berger<br />
viel Geld verpulvert hat. Er<br />
muss die Truppe neu motivieren<br />
und die Profitabilität<br />
steigern. Eine schwere Aufgabe,<br />
denn Berger-Berater<br />
verdienen weniger als bei<br />
der Konkurrenz. Inspirieren<br />
lässt sich Bouée dabei von<br />
Barack Obamas „Light Footprint<br />
Doctrine“ fürs Militär:<br />
Verstärkt durch Spezialisten,<br />
sollen die Einheiten vor Ort<br />
mit großem Handlungsspielraum<br />
und flachen Hierarchien<br />
agieren. Obama war<br />
damit wenig erfolgreich.<br />
Deutsche Prägung Berger<br />
muss globaler werden<br />
lem aber beim Vorstoß nach<br />
China. Bouée ist offen für<br />
Neues und weniger dogmatisch<br />
als die Führungskräfte<br />
der Konkurrenz. Selbst Kritiker<br />
halten ihn für die beste<br />
Wahl. In den eigenen Reihen<br />
sehen einige die Inthronisation<br />
des Franzosen<br />
skeptisch – trotz des guten<br />
Ergebnisses bei der Wahl.<br />
Sie fürchten um ihren Einfluss<br />
in dem trotz aller globalen<br />
Bestrebungen bislang<br />
deutsch geprägten Unternehmen.<br />
Allzu offen dürfte<br />
sich ihr Widerstand nicht regen:<br />
Boueé gilt als knallhart<br />
und polarisiert weit stärker<br />
als der ausgleichende<br />
Schwenker. Wer erfolglos ist<br />
oder bei seinem hohen<br />
Tempo nicht mithalten<br />
kann, muss gehen.<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 51<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Späte Genugtuung<br />
TUI | Was bringt die Übernahme der britischen Tochter TUI Travel<br />
dem Tourismusriesen? Antworten auf die zehn wichtigsten Fragen.<br />
1.<br />
Warum soll es die<br />
Fusion geben?<br />
Europas größter Ferienkonzern leistet sich<br />
schon seit Jahren eine aufwendige Doppelstruktur:<br />
Die TUI AG als Holding und Muttergesellschaft<br />
hat ihren Sitz in Hannover,<br />
die britische 54-Prozent-Tochter TUI Travel<br />
plc ist in Crawley südlich von London in<br />
der Nähe des Flughafens Gatwick ansässig.<br />
Die renditestarken Hotelbeteiligungen und<br />
der Kreuzfahrtbereich liegen in der Holding,<br />
die auch die Minderheitsbeteilung an<br />
der Containerreederei Hapag-Lloyd verwaltet.<br />
Das umsatzstarke, aber eher margenschwache<br />
Veranstaltergeschäft, die<br />
konzerneigenen Airlines, die Reisebüros<br />
und alle Unternehmen, die die Urlauber an<br />
ihren Ferienorten betreuen, werden von<br />
der Tochter gesteuert.<br />
Die Zweiteilung ist ein Geburtsfehler.<br />
Als TUI im Frühjahr 20<strong>07</strong> den britischen<br />
Wettbewerber First Choice Travel übernehmen<br />
wollte, reichte das Geld der Deutschen<br />
nicht, um das gesamte Unternehmen<br />
zu kaufen. Als Notlösung wurde First<br />
Choice Travel in TUI Travel umfirmiert<br />
und nur gut zur Hälfte von der TUI AG<br />
übernommen. Die übrigen 46 Prozent der<br />
Aktien blieben bei den früheren First-<br />
Choice-Eigentümern. Die Parallelunternehmen<br />
in Deutschland und Großbritannien<br />
kosten unnötig Geld und verursachen<br />
Reibungsverluste. Nicht nur viele<br />
Zentralfunktionen wie die Personalabteilung,<br />
die Buchhaltung oder die IT sind<br />
doppelt vorhanden, das Konstrukt leistet<br />
sich auch zwei komplette Vorstände.<br />
Was soll sich konkret<br />
2. ändern?<br />
Mit der Übernahme der restlichen 46 Prozent<br />
der britischen Tochter durch die Holding<br />
in Hannover sollen Doppelspitze und<br />
Doppelfunktionen auf der Insel entfallen.<br />
Zugleich erfolgen eine Straffung des Konzerns<br />
und eine Konzentration auf das Kerngeschäft:<br />
Die von TUI Travel in Großbritannien<br />
betriebene Online-Plattform Hotelbeds<br />
zur Vermittlung von Hotelbetten an<br />
konzernfremde kommerzielle Kunden soll<br />
verkauft werden, ebenso etliche touristische<br />
Spezialangebote der britischen Tochter, wie<br />
etwa die Vercharterung von Segelyachten.<br />
Zu einem späteren Zeitpunkt will sich der<br />
Konzern auch von dem noch verbliebenen<br />
22-Prozent-Anteil an der Hamburger Containerreederei<br />
Hapag-Lloyd trennen. Der<br />
Teilbereich Hapag-Lloyd Kreuzfahrten mit<br />
seinen vier kleineren Musikdampfern wird<br />
vermutlich aus der Frachtschifffahrt herausgelöst<br />
und dem TUI-Kreuzfahrtbereich mit<br />
TUI Cruises zugeordnet.<br />
Wie soll die Übernahme<br />
3. ablaufen?<br />
Bei der Komplettübernahme soll kein Geld<br />
fließen, geplant ist ein Aktientausch. Bis<br />
zum Herbst soll den Minderheitsaktionären<br />
von TUI Travel ein formales Übernahmeangebot<br />
unterbreitet werden: Für jede<br />
Altaktie gibt es 0,399 neue TUI-AG-Aktien,<br />
eine zusätzliche Prämie ist aber nicht vorgesehen.<br />
Finanzieren will die TUI AG in<br />
Hannover den Deal durch eine Kapitalerhöhung.<br />
Der fusionierte Konzern soll als<br />
Aktiengesellschaft nach deutschem Recht<br />
von Vorstand und Aufsichtsrat geführt werden<br />
und seinen Sitz in Deutschland haben.<br />
Die Aktie soll aber nicht mehr im deutschen<br />
MDax, sondern im FTSE 100 gelistet<br />
werden, dem Premiumsegment der Londoner<br />
Börse und Pendant zum Dax in<br />
Deutschland. Eine zusätzliche Notierung<br />
an der Börse in Frankfurt ist für später vorgesehen.<br />
Wer wird das<br />
4. Unternehmen führen?<br />
Künftig gibt es bei der TUI nur noch einen<br />
Vorstand. 2015, im ersten Jahr nach der<br />
Übernahme, wollen TUI-AG-Chef Friedrich<br />
Joussen und TUI-Travel-Boss Peter<br />
Long sich die Führung noch als Co-Vorstände<br />
teilen. Von Februar 2016 an ist Joussen<br />
Alleinherrscher. Long wechselt dann in<br />
den Aufsichtsrat und übernimmt dort den<br />
Vorsitz <strong>vom</strong> langjährigen Chef-Aufseher<br />
Klaus Mangold.<br />
5.<br />
Wer ist der Gewinner im<br />
Vorstand?<br />
Joussen wie Long haben zwar immer wieder<br />
betont, wie gut sie miteinander könnten.<br />
Klar war aber auch, dass ein Nebeneinander<br />
der beiden Alphatiere auf Dauer<br />
nicht funktionieren würde. Eindeutiger<br />
Gewinner des Machtkampfs ist darum<br />
Joussen, Long ist der Verlierer, auch wenn<br />
der Wechsel an die Aufsichtsratsspitze das<br />
etwas kaschieren soll. Longs Machtverlust<br />
wird schon durch die Aufgabenverteilung<br />
in der Übergangsphase deutlich, in der beide<br />
offiziell gleichberechtigt sind: Joussen<br />
kümmert sich um die Konzernstrategie<br />
und das Tourismuskerngeschäft, Long darf<br />
die zum Verkauf stehenden Randaktivitäten<br />
abwickeln. Und noch jemand kann sich<br />
als Gewinner des Deals fühlen und dürfte<br />
späte Genugtuung empfinden: der häufig<br />
glücklos agierende Joussen-Vorgänger<br />
Michael Frenzel – genau dessen Vision<br />
<strong>vom</strong> vertikal voll integrierten Tourismuskonzern<br />
wird jetzt vollendet.<br />
Welche Synergien<br />
6. bringt der Deal?<br />
Die direkten Synergien sind überschaubar:<br />
Durch die Zusammenlegung der Doppelfunktionen<br />
und die Straffung der Konzernstrukturen<br />
spart das Unternehmen rund 45<br />
Millionen Kosten jährlich, und das nach den<br />
bisherigen Berechnungen drei Jahre lang.<br />
Hinzu kommen steuerliche Vorteile, die sich<br />
auf Basis des vergangenen Geschäftsjahres<br />
auf weitere 35 Millionen Euro addieren. Gegengerechnet<br />
werden müssen einmalige Integrationskosten<br />
etwa für Abfindungen von<br />
rund 45 Millionen Euro. Das Hauptargument<br />
für die Zusammenlegung der beiden<br />
TUI-Teile sind darum auch nicht so sehr die<br />
Kosteneinsparungen, sondern die zusätzlichen<br />
Wachstumsimpulse. Die sollen sich<br />
vor allem aus einer besseren Verkaufssteuerung<br />
durch den eigenen Vertrieb sowie eine<br />
höhere Auslastung der eigenen Hotels und<br />
Fluglinien durch die konzerneigenen Reiseveranstalter<br />
ergeben. Damit wäre das bei<br />
der TUI-Gründung formulierte Ziel, auf jeder<br />
Stufe der touristischen Wertschöpfungskette<br />
Geld zu verdienen, endlich erreicht.<br />
7.<br />
Sind Arbeitsplätze<br />
gefährdet?<br />
Wenn Doppelstrukturen zusammengelegt<br />
werden, kostet das in aller Regel Jobs. Davon<br />
betroffen sein dürften aber eher die<br />
FOTO: TOURISTIK-FOTO.DE/LENTHE<br />
52 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Alles unter einem Dach<br />
Künftige Struktur des Tourismuskonzerns TUI AG<br />
Konzernzentrale: Hannover<br />
Umsatz 2013: 18,5 Mrd. Euro Gewinn 2013: 1 Mrd. Euro*<br />
Reiseveranstaltung<br />
(heute: TUI Travel plc)<br />
100% Umsatz 2013: 17,8 Mrd. Euro 100%<br />
Gewinn 2013: 0,85 Mrd. Euro<br />
Reiseveranstalter in 16 Ländern<br />
(z. B. TUI Deutschland)<br />
6Fluggesellschaften<br />
(z. B. TUIfly)<br />
Reisebürosin15Ländern<br />
Touristikagenturen in<br />
28 Urlaubsländern<br />
100%<br />
22%<br />
* Geschäftsjahr <strong>vom</strong> 1. Oktober 2012 bis 30. September 2013, Gewinn vor Zinsen,<br />
Steuern und Abschreibungen (EBITDA); Quelle: Unternehmensangaben<br />
Mitarbeiter am bisherigen TUI-Travel-Sitz<br />
in Crawley als die in Hannover. Der Grund:<br />
Die Konzernzentrale in Niedersachsen hat<br />
das von Joussen verordnete Spar- und Sanierungsprogramm<br />
oneTUI schon hinter<br />
sich. Vor allem durch Personalabbau<br />
konnten die Kosten der Zentrale von früher<br />
73 auf weniger als 45 Millionen Euro<br />
gesenkt werden. In Großbritannien steht<br />
das noch aus. Joussen hat gegenüber Investoren<br />
angekündigt, dass er oneTUI auf<br />
TUI Travel ausdehnen wird.<br />
8.<br />
Gewinner<br />
TUI-Chef Joussen<br />
soll den Konzern<br />
ab Februar 2016<br />
allein führen<br />
Hotels und Resorts<br />
232 Hotels, darunter RIU, Robinson<br />
Umsatz 2013: 403 Mio. Euro<br />
Gewinn 2013: 255 Mio. Euro<br />
Kreuzfahrten<br />
TUI Cruises (4 Kreuzfahrtschiffe)<br />
Hapag-Lloyd Kreuzfahrten<br />
(4 Kreuzfahrtschiffe)<br />
Hapag-Lloyd AG<br />
Containerreederei<br />
zum<br />
Verkauf<br />
Sind die Erwartungen<br />
realistisch?<br />
Im Großen und Ganzen ja. Die direkten Synergien<br />
sind eher vorsichtig kalkuliert und<br />
könnten auch durchaus höher ausfallen.<br />
Wichtiger sind die steuerlichen Effekte und<br />
vor allem die erhofften Auswirkungen auf<br />
Umsatz und Rendite. Auch die sind einigermaßen<br />
realistisch, denn bisher war die Auslastung<br />
der konzerneigenen Flug- und Hotelkapazitäten<br />
wegen der beiden getrenn-<br />
ten Organisationen nicht optimal. Der vereinte<br />
Konzern kann aber vor allem stärker<br />
mit den starken Marken vieler TUI-Angebote<br />
wuchern. Die erfolgreiche Kreuzfahrtmarke<br />
TUI Cruises mit ihren heute drei und<br />
ab nächstem Jahr vier Schiffen etwa wird<br />
bisher nur in Deutschland verkauft, hätte<br />
aber auch in anderen Märkten Chancen.<br />
Alle Wachstumsprognosen stehen allerdings<br />
unter einem Generalvorbehalt: Die<br />
Ferienindustrie floriert nur in einer halbwegs<br />
friedlichen Welt. Regional begrenzte<br />
Einbußen durch politische Konflikte wie<br />
jetzt in Ägypten oder der Ukraine lassen<br />
sich ausgleichen, weltweite Krisen etwa<br />
durch Terroranschläge wie die <strong>vom</strong> 11.<br />
September 2001 aber nicht.<br />
9.<br />
10.<br />
Was haben die<br />
Aktionäre davon?<br />
Glaubt man den überwiegend begeisterten<br />
Kommentaren der Aktienanalysten, dann<br />
dürfte die positive Kursentwicklung der<br />
TUI-Aktie noch eine ganze Weile andauern.<br />
Schon die Ankündigung der Übernahme<br />
vor gut einer Woche trieb den Kurs in<br />
die Höhe, derzeit steht die TUI-AG-Aktie<br />
bei gut zwölf Euro, das Kursziel sehen die<br />
meisten Analysten bei 15 Euro und empfehlen<br />
das Papier weiter zum Kauf. Allerdings<br />
müssen die in den vergangenen Jahren<br />
nicht gerade verwöhnten Aktionäre der<br />
AG auch zwei Kröten schlucken: Im kommenden<br />
Jahr müssen sie auf eine Dividende<br />
verzichten und außerdem die Kapitalerhöhung<br />
hinnehmen.<br />
Kann die Übernahme<br />
noch scheitern?<br />
Eher nicht. Zwar lässt sich im Moment<br />
nicht abschätzen, ob genug britische TUI-<br />
Travel-Aktionäre das Tauschangebot annehmen.<br />
Von den deutschen TUI-AG-Eignern<br />
ist aber kein Widerstand zu erwarten,<br />
nachdem der russische Oligarch und Severstal-Chef<br />
Alexei Mordaschow grünes<br />
Licht gegeben hat. Über seine S-Group<br />
Travel Holding ist er mit einem Anteil von<br />
25 Prozent größter TUI-Einzelaktionär. Der<br />
norwegische Reeder John Fredriksen dagegen<br />
hat seine Anteile verkauft: Er war<br />
jahrelang der Schrecken jeder TUI-Hauptversammlung,<br />
weil er eine Zerschlagung<br />
des Konzerns verlangte. Nach dem Verkauf<br />
der meisten Anteile an der Reederei Hapag-Lloyd<br />
hat er aber das Interesse an der<br />
TUI verloren.<br />
n<br />
hans-juergen.klesse@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 53<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Schwarz abgeschöpft<br />
EINTRITTSKARTEN | Ein Ticket fürs Fußball-WM-Finale zum Preis eines Mittelklasse-Autos: Weiterverkäufer<br />
im Internet geraten zunehmend ins Zwielicht – nicht nur bei Sportveranstaltungen.<br />
Wer sich vor einem Jahr das Fußball-<br />
WM-Endspiel am 13. Juli im Maracanã-Stadion<br />
in Rio de Janeiro mit<br />
bester Sicht gönnen wollte, war mit 730 Euro<br />
dabei. So viel verlangte der Weltfußballverband<br />
Fifa damals für einen Platz der<br />
besten Kategorie, als er die Tickets offiziell<br />
zum Kauf anbot.<br />
Der gleiche Spaß kommt jetzt um ein Vielfaches<br />
teurer. Denn das Ticket-Online-Portal<br />
Viagogo im schweizerischen Genf macht<br />
eine neue Rechnung auf. Das Unternehmen<br />
verkauft Tickets für Fußballspiele und Popkonzerte<br />
weiter, deren Besitzer das Event<br />
nicht mehr besuchen können oder wollen.<br />
Die gleiche Eintrittskarte für das WM-Finale,<br />
die ursprünglich 730 Euro kostete, hat Viagogo<br />
nun für 22000 Euro im Angebot. Zehn<br />
Prozent muss der Verkäufer und 15 Prozent<br />
zusätzlich der Käufer berappen, plus Versandkosten<br />
und Mehrwertsteuer.<br />
Ein Besuch im Stadion im Wert eines Mittelklasse-Autos<br />
– Viagogo sieht darin nur<br />
das Wirken eines „freien Marktes, wo der<br />
Preis den Marktwert reflektiert“. Für Kritiker<br />
hat sich der Weiterverkauf von Eintrittskarten,<br />
der inzwischen weit über den Fußball<br />
hinausreicht, jedoch längst zu einem „legalen<br />
Ticketschwarzmarkt“ entwickelt. Das<br />
sagt der Ticketing-Berater Hans-Wolfgang<br />
Trippe aus Bad Münstereifel bei Bonn. Nach<br />
seinen Beobachtungen ziehen einzelne Anbieter<br />
zunehmend einen Zweitmarkt auf,<br />
auf dem sie tatsächlich oder angeblich be-<br />
reits verkaufte Tickets ein weiteres Mal anbieten.<br />
So werde beispielsweise das offizielle<br />
Angebot von vornherein verknappt, um<br />
die abgezweigten Eintrittskarten dann in einer<br />
zweiten Runde teurer zu verkaufen. Auf<br />
diese Weise könnten zum Beispiel Veranstalter<br />
Mondpreise erzielen, die sie sich offen<br />
nicht zu verlangen trauten.<br />
Der Wiederverkauf von Tickets zu exorbitanten<br />
Preisen war früher ein typisches<br />
Geschäft im Zwielicht. Verruchte Gestalten<br />
bieten mitunter noch heute Tickets in Spelunken<br />
und dunklen Gassen feil, um sie zu<br />
Horrorpreisen loszuschlagen. Gerade erst<br />
hob die Polizei in Brasilien einen WM-<br />
Tickethändler-Ring aus. Doch das Internet<br />
änderte das Geschäft grundsätzlich. Vor allem<br />
Pionier Viagogo hat es mit seinem Auftritt<br />
20<strong>07</strong> in Deutschland professionalisiert.<br />
Dazu garantiert das Unternehmen dem<br />
Verkäufer die Zahlung und dem Käufer die<br />
»Die benutzen<br />
Strohmänner,<br />
um große Mengen<br />
an Tickets zu<br />
bekommen«<br />
Sylle Schreyer-Bestmann<br />
22 000 Euro für ein WM-Finale-Ticket<br />
Kontrolle vor dem Maracanã-Stadion<br />
Echtheit der Tickets sowie die pünktliche<br />
Lieferung. Neben Viagogo sind heute Internet-Plattformen<br />
wie Ebay, Seatwave, Fansale<br />
und Ticketbande im Geschäft.<br />
ILLUSTRE INVESTOREN<br />
Der Weiterverkauf von Tickets zu viel höheren<br />
Preisen ist nach dem Wettbewerbsrecht<br />
grundsätzlich nicht verboten. Zwar<br />
können Veranstalter in ihren allgemeinen<br />
Geschäftsbedingungen (AGB) einen Weiterverkauf<br />
zu gewerblichen und kommerziellen<br />
Zwecken oder zu höheren Preisen<br />
als dem Originalpreis verbieten. Die AGBs<br />
gelten jedoch nur für den Erstkäufer, der<br />
sein Ticket wieder loswerden will. Kauft<br />
dies dann jemand, gelten die AGBs für den<br />
Zweitkäufer nicht. „Hat der Zweitmarktanbieter<br />
seine Karten von Privatpersonen<br />
gekauft, ist der Handel damit erlaubt“, sagt<br />
Sylle Schreyer-Bestmann, Anwältin und<br />
E-Commerce-Expertin der Sozietät CMS<br />
Hasche Sigle in Berlin. Hinter dem 2006 in<br />
London gegründeten Viagogo stehen illustre<br />
Investoren wie das Tennistraumpaar<br />
Steffi Graf und Andre<br />
Agassi, Bernard Arnault,<br />
Chef des französischen<br />
Luxuskonzerns<br />
LVMH,<br />
und der Münch-<br />
FOTOS: PIXATHLON/RIA NOVOSTI, FIFA<br />
54 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTO: ACTION PRESS/HEIKO SEHRSAM<br />
ner Sportrechtehändler Herbert Kloiber.<br />
Offiziell sieht sich das Portal, das in mehr<br />
als 50 Ländern mit Web-Sites präsent ist<br />
und von London aus gelenkt wird, als reiner<br />
Vermittler zwischen denjenigen, die<br />
ihr Ticket nicht mehr selbst nutzen, und allen<br />
anderen, die gern noch eines hätten.<br />
„Wir sind ein Marktplatz für den Verkauf<br />
von Eintrittskarten. Es sind die Verkäufer,<br />
die Tickets einstellen und einen Preis festlegen“,<br />
lässt das Unternehmen erklären.<br />
An dieser Darstellung gibt es jedoch immer<br />
mehr Zweifel. So wirft Experte Trippe<br />
den Schweizern vor, die Preise aktiv nach<br />
oben zu treiben. „Wer nach deren Geschmack<br />
einen zu niedrigen Ticketpreis<br />
einstellen will, den korrigieren sie direkt<br />
bei der Eingabe, indem sie einen höheren<br />
Preis vorschlagen“, hat Trippe von vielen<br />
Nutzern erfahren. Viagogo wollte dazu bis<br />
Redaktionsschluss nicht Stellung nehmen.<br />
Der zweite Vorwurf gegen Zweithändler<br />
zielt auf die große Zahl der Tickets, die sie<br />
inzwischen anbieten. Kritiker bezweifeln,<br />
dass solche Mengen allein durch Privatpersonen<br />
zustande kommen, die ihre Tickets<br />
nicht selber nutzen. Branchenkenner<br />
vermuten, dass es Zweitverkäufern gelingt,<br />
sich heimlich oder indirekt mit Karten<br />
<strong>vom</strong> Veranstalter einzudecken. „Ich<br />
beobachte immer wieder, dass zum Vorverkaufsstart<br />
einer Band in einzelnen<br />
Städten auf einen Schlag mehrere Hundert<br />
Tickets verkauft werden“, sagt der Berliner<br />
Impresario Berthold Seliger. „Sodann läuft<br />
der Vorverkauf in den darauf folgenden<br />
Wochen auf einem normalen, niedrigeren<br />
Niveau weiter.“<br />
Im Klartext: Jemand kauft ein Kontingent<br />
an Karten, einzig um sie dann über<br />
den Zweitmarkt teurer weiterzukaufen. Die<br />
Berliner Anwältin Schreyer-Bestmann, die<br />
geschädigte Konzertveranstalter vertritt, ist<br />
sich sicher: „Die wenden alle Tricks an, benutzen<br />
Strohmänner, Fantasienamen und<br />
falsche E-Mail-Adressen, um größere Mengen<br />
an Tickets zu bekommen.“<br />
UNMUT DER FUSSBALLFANS<br />
Kenner der Veranstaltungsszene gehen<br />
mittlerweile sogar davon aus, dass hinter<br />
dem angeblichen Weiterverkauf von Tickets<br />
manchmal sogar ein gemeinsamer<br />
Plan von Künstlern, Veranstaltern und Ticketverkäufern<br />
steht. Der dient dazu, die<br />
Zahlungsbereitschaft des Publikums zu<br />
testen und es zugunsten der Anbieter maximal<br />
abzuschöpfen. „Den Profit teilen sich<br />
die Beteiligten“, sagt Scumeck Sabottka,<br />
Chef der Berliner MCT Agentur und lang-<br />
jähriger Tourorganisator unter anderem<br />
der deutschen Hardrockgruppe Rammstein<br />
sowie der legendären Düsseldorfer<br />
Elektronik-Band Kraftwerk.<br />
Sabottka beschreibt das Geschäftsmodell<br />
anderer Anbieter so: „Wenn ich als<br />
Veranstalter 10 500 Tickets für ein bestimmtes<br />
Konzert verkaufen kann, erkläre<br />
ich die Veranstaltung nach 7500 Karten für<br />
ausverkauft. Die verbleibenden 3000 Karten<br />
gebe ich einem Zweitverwerter. Somit<br />
kassiere ich noch einmal über die Wucherpreise<br />
des Wiederverkäufers tüchtig mit.<br />
Der Kunde bekommt das gar nicht mit.“ Bei<br />
größeren Hallen- und Stadiontourneen sei<br />
das schon gängige Praxis. Der Berliner<br />
schätzt den Anteil des Wiederverkaufsmarktes<br />
am gesamten Branchenumsatz inzwischen<br />
auf bis zu 20 Prozent.<br />
Eine Möglichkeit, den Grau- und<br />
Schwarzhandel auszutrocknen, sehen<br />
Branchenexperten in personalisierten Eintrittskarten.<br />
Die gibt es etwa beim Heavy-<br />
Metal-Festival im schleswig-holsteinischen<br />
Wacken. Innerhalb von 43 Stunden<br />
Persönlich im<br />
Schlamm Namenskarten<br />
für das Open<br />
Air in Wacken<br />
nahmen generieren dürfen, da will sich die<br />
DFL nicht einmischen. „Das Ticketing ist<br />
Sache der Clubs“, sagt DFL-Geschäftsführer<br />
Andreas Rettig. Ein Verbot, mit Viagogo<br />
zu kooperieren, kommt für ihn nicht infrage.<br />
„Wir sind in einem freien Wettbewerb<br />
und können einzelne Unternehmen nicht<br />
diskriminieren.“<br />
RAUM FÜR PREISDIFFERENZIERUNG<br />
Umso mehr sehen sich die Clubs offenbar<br />
gezwungen, ihre Anhänger nicht zu verprellen.<br />
Schalke 04 kündigte den Vertrag mit<br />
Viagogo, der dem Club 1,2 Millionen Euro<br />
pro Jahr bringen sollte, wenn er Viagogo im<br />
Gegenzug 300 Tickets für jedes Heimspiel<br />
abtreten würde. An den viel höheren Preisen<br />
sollte Schalke beteiligt werden. Inzwischen<br />
trennten sich auch andere Vereine von Viagogo,<br />
darunter der Hamburger SV, der 85<br />
Prozent des Ticketaufschlags hätte einstreichen<br />
können. Der Vertrag mit Bayern München<br />
ist gerade zum Monatsende ausgelaufen.<br />
Lediglich der FC Augsburg steht noch<br />
zu Viagogo. Grundsätzlich lassen die Vereiwaren<br />
75 000 Karten für das Ende Juli über<br />
die Bühne gehende Open-Air-Event vergriffen:<br />
„Wir sind das unserer treuen Community<br />
einfach schuldig, die das Abzocken<br />
der Schwarzhändler leid sind“, sagt Wacken-Sprecherin<br />
Anna Lorenz.<br />
Den wachsenden Unmut der Fußballfans<br />
über die Horrorpreise im Zweitticketmarkt<br />
versucht die Deutsche Fußball Liga<br />
(DFL) zu besänftigen, indem sie eine Ticketbörse<br />
einrichtet. Doch das ist nur die<br />
eine Seite der Medaille. Denn wie die Vereine<br />
mit dem Zweitverkauf von Tickets verfahren<br />
und ob sie damit zusätzliche Einne<br />
Einnahmequellen ungenutzt, wenn sie<br />
Preise mit Rücksicht auf die große Masse der<br />
Fans so volkstümlich niedrig festsetzen, dass<br />
die Nachfrage weit über dem Platzangebot<br />
liegt. Immerhin sind betuchte Fans bereit,<br />
für Top-Spiele Unsummen zu bezahlen.<br />
Deshalb wäre es „klug“, wenn die Vereine<br />
sich „kreative Preisdifferenzierungen“ einfallen<br />
ließen, sagt Philipp Biermann, Partner<br />
der Bonner Unternehmensberatung Simon-<br />
Kucher & Partners. „Das würde dem<br />
Schwarzmarkt die Luft abschnüren, ohne<br />
preissensible Fans zu verprellen.“<br />
n<br />
bernd mertens | unternehmen@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 55<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Herr im Hintergrund<br />
Soffin-Chef Pleister<br />
muss den Ausstieg<br />
des Staats aus den<br />
Krisenbanken<br />
möglichst geräuschlos<br />
managen<br />
Schwieriger Abschied<br />
BANKEN | Der Rettungsfonds Soffin steht vor seiner letzten Herausforderung: dem Ausstieg aus den<br />
verbliebenen Staatsbeteiligungen. Der entscheidet über die deutsche Schlussbilanz der Finanzkrise.<br />
Am Eingang gibt es bloß ein einfaches<br />
Hinweisschild unter vielen, die 75<br />
Mitarbeiter verteilen sich unauffällig<br />
auf zwei Etagen des Altbaus im Frankfurter<br />
Bankenviertel. Öffentlichkeit ist hier wenig<br />
erwünscht, Luxus erst recht nicht. Das<br />
sparsam eingerichtete Büro des Chefs mit<br />
ein paar wahllos wirkenden Bildern an der<br />
Wand zeigt nicht, dass Christopher Pleister<br />
eine der einflussreichsten Figuren der<br />
deutschen Bankenwelt ist.<br />
Ist er aber. Als Vorsitzender des Leitungsausschusses<br />
der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung,<br />
so sein Jobtitel, ist er<br />
oberstes Bindeglied der in der Finanzkrise<br />
2008 unfreiwillig geschmiedeten Allianz<br />
von Politik und Banken. Der Ex-Präsident<br />
des Bundesverbands der Volks- und Raiffeisenbanken<br />
wacht über den damals eingesetzten<br />
Rettungsfonds Soffin – und steht<br />
vor einer großen Bewährungsprobe.<br />
Der Ausstieg aus dem Staatsanteil an der<br />
Commerzbank und den Resten des Immobilienfinanzierers<br />
Hypo Real Estate rückt<br />
näher – und mit ihm die Endabrechnung<br />
darüber, was die Stützungen die Steuerzahler<br />
final kosten. Wie in vielen Ländern<br />
Europas stecken in Deutschland noch Milliarden<br />
in angeschlagenen Banken. Es liegt<br />
an Pleister, möglichst viel davon zurückzuholen.<br />
Die Chancen dafür stehen nicht gut.<br />
Das liegt aber weniger an den Rettern als<br />
an der Schwäche deutscher Banken.<br />
VOLL GEFORDERT<br />
Anfang 2009 hat der damalige SPD-Finanzminister<br />
Peer Steinbrück Pleister persönlich<br />
für den Job angeworben. Der frisch installierte<br />
Rettungsfonds brauche erfahrene<br />
und einigermaßen unbeschadete Galionsfiguren<br />
aus der Finanzwelt, um glaubwürdig<br />
zu wirken, ließ er in einem Telefonat<br />
wissen. Die Aufgabe sei verdienstvoll und<br />
zeitlich mäßig aufwendig.<br />
Beschaulich ist es aber nicht zugegangen.<br />
Pleister hat einen fordernden Vollzeitjob,<br />
spätestens seit er 2011 an die Spitze des<br />
Gremiums rückte. Der Soffin-Chef geht auf<br />
in der Mission zwischen Frankfurt und<br />
Berlin, in den Verhandlungen mit Bankern,<br />
Anwälten, Regulierern. Gewinnen kann er<br />
kaum. Pleister ist erfolgreich, wenn er wenig<br />
verliert. „Bankenrettung ist kein Geschäft“,<br />
hat er klargemacht.<br />
Das war auch nicht der Plan, als die Bundesregierung<br />
den Fonds im Herbst 2008 in<br />
nur einer Woche auf die Beine stellte und<br />
mit 500 Milliarden Euro für Garantien und<br />
Kapitalhilfen aufpumpte. Nach der Pleite<br />
von Lehman Brothers sollten allein diese<br />
Ausmaße alle Zweifel an der Stabilität des<br />
deutschen Kreditwesens ersticken. Das ist<br />
geglückt. Schon deshalb gilt der Soffin bei<br />
den Verantwortlichen in Berlin als Erfolg.<br />
Knapp 30 Milliarden Euro Kapital und<br />
mehr als 140 Milliarden Euro Garantien<br />
standen zeitweise im Feuer. 17 Milliarden<br />
Euro Kapitalhilfe sind noch übrig. Wegen<br />
Abschreibungen auf seine Beteiligungen<br />
und griechische Staatsanleihen ist der Soffin<br />
mit 24 Milliarden Euro im Minus. Es hätte<br />
schlimmer kommen können, vielleicht aber<br />
FOTOS: BERND ROSELIEB, BERT BOSTELMANN<br />
56 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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auch besser. Den USA bescherte die Rettung<br />
der Banken Milliardengewinne. Anders als<br />
in Deutschland setzten sie auf Zwang. Die<br />
deutschen Retter ließen die Banken nach<br />
der Rettung weitermachen und mischten<br />
sich kaum ein. Größere Änderungen der Geschäftsmodelle<br />
sind unterblieben.<br />
An den Verlusten in Milliardenhöhe<br />
dürfte der Ausstieg nicht mehr viel ändern.<br />
Es geht nur um Schadensbegrenzung.<br />
Für die, so die Hoffnung, könnte die<br />
Commerzbank sorgen. Rund 18 Milliarden<br />
Euro hatte der Soffin für ihre Rettung aufgebracht.<br />
In zwei Kapitalerhöhungen hat<br />
sie einen Großteil zurückgezahlt, dem<br />
Bund gehören noch 17 Prozent der Anteile.<br />
Die 195 Millionen Aktien sind aktuell gut<br />
zwei Milliarden Euro wert. Um den Einstiegspreis<br />
zu erreichen, müsste sich der<br />
Kurs noch mal verdoppeln. In absehbarer<br />
Zeit erscheint das wenig realistisch.<br />
24 Milliarden Euro hat die Bankenrettung<br />
über den Soffin bisher gekostet<br />
Commerzbank<br />
Martin Blessing<br />
Die Bank hat einen Großteil der Staatshilfen<br />
zurückgezahlt. Blessing darf bleiben<br />
und das Institut auf Vordermann bringen<br />
– um es fit für den Verkauf zu machen?<br />
Kapitalhilfe: 5 100 000 000 Euro<br />
VERORDNETES SCHWEIGEN<br />
Auf den weitläufigen Fluren des Berliner<br />
Finanzministeriums herrscht von oben angeordnete<br />
Ruhe. Die Diskussion um Vorstandschef<br />
Martin Blessing und seinen<br />
Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus-Peter<br />
Müller ist beendet. Beide dürfen bleiben.<br />
Die Bank soll sich unter ihrer Führung weiter<br />
berappeln, ungestört von Spekulationen<br />
um ihre Zukunft. Es gebe keinen<br />
Grund zur Eile beim Verkauf der verbliebenen<br />
Aktien, heißt es in Berlin.<br />
Die Politik ist dabei für alle Lösungen offen.<br />
Wichtig sei allein, dass die Bank ihre<br />
Rolle als großer Kreditgeber für den deutschen<br />
Mittelstand behalte. Das schließt<br />
den Verkauf an einen internationalen Wettbewerber<br />
ausdrücklich nicht aus. Finanziell<br />
wäre das für den Bund attraktiver als<br />
ein allmähliches Abstoßen einzelner Aktienpakete<br />
über die Börse. Ein Käufer<br />
könnte einen Aufschlag zahlen und so die<br />
Rettungsbilanz aufhübschen.<br />
Bisher hat es nur lockere Anfragen gegeben.<br />
Ab Anfang 2015 aber dürften ernsthafte<br />
Offerten für die Bank eintreffen, heißt es<br />
im Umfeld des Soffin. Dann haben die europäischen<br />
Großbanken den Stresstest der<br />
EZB absolviert. Wer die Musterung besteht,<br />
kann auf Wachstumskurs schalten.<br />
Die Commerzbank mit ihrem starken<br />
Firmenkundengeschäft bietet sich als Ziel<br />
an. Tatsächlich beflügelt sie nicht nur die<br />
Fantasie von Investmentbankern, sondern<br />
auch die der Strategieabteilungen von<br />
Großbanken. So prüfte die Schweizer UBS<br />
intern, die Commerzbank zu schlucken<br />
und dann ihren Sitz nach Frankfurt zu verlegen.<br />
Mit dem spektakulären Schritt hätte<br />
sich das in Zürich ansässige Institut dem<br />
Zugriff des strengen Regulierers in der<br />
Schweiz entzogen. Über Planspiele sind<br />
die Ideen aber nicht hinausgekommen.<br />
Die französische BNP Paribas hatte die<br />
Commerzbank intern schon vor Jahren als<br />
attraktives Ziel auserkoren. Die spanische<br />
Santander, die französische Société Générale,<br />
UniCredit aus Italien und die holländische<br />
ING gelten ebenfalls als potenzielle<br />
Käufer. Fast alle haben klar dementiert.<br />
Doch das muss nichts heißen: „Sie werden<br />
so lange sagen, dass sie nicht wollen, bis<br />
schließlich einer von ihnen zuschlägt“, sagt<br />
ein hochrangiger Banker.<br />
Anders als bei der Commerzbank steht<br />
der Soffin beim Verkauf der Deutschen<br />
Pfandbriefbank (PBB) unter Termindruck.<br />
Bis Ende 2015 muss das auf die Finanzierung<br />
von Immobilien und staatlichen Investitionen<br />
spezialisierte Münchner Institut<br />
privatisiert sein. Die PBB gilt als gesunder<br />
Teil der Pleitebank HRE. Die Eigentümer<br />
wollen den Prozess vorantreiben, um<br />
von der günstigen Marktlage zu profitieren.<br />
Zehn Milliarden Euro Kapital hat der<br />
Bund in die Rettung der HRE und die Abfindung<br />
der Aktionäre gesteckt. 2011 kamen<br />
neun Milliarden Euro Verlust hinzu,<br />
weil der Schuldenschnitt in Griechenland<br />
auch Staatsanleihen traf, die in der Abwicklungsbank<br />
der HRE liegen. Das gesamte<br />
HRE-Stützungsgeld gilt weitgehend als verloren.<br />
Der Verkauf der PBB kann da nur für<br />
kosmetische Korrekturen sorgen.<br />
Die PBB hat in den Jahren nach dem großen<br />
Knall weiter Neugeschäft gemacht,<br />
Niederlassungen eröffnet, Einkaufszentren,<br />
Bürogebäude und Kommunalprojekte<br />
in Deutschland und Europa finanziert.<br />
Sie gilt heute als solide Bank. Ihre staatlichen<br />
Eigentümer sehen das als Vorteil bei<br />
der anstehenden Privatisierung.<br />
SCHÖNER SCHEIN<br />
Investmentbanker macht gerade das skeptisch.<br />
Zwar kaufen Investoren gerne Immobilienkredite<br />
aus Bankbeständen. Im Zinstal<br />
bescheren die höhere Renditen. Sie<br />
wollen sich aber kaum eine ganze Bank mit<br />
allen regulatorischen Anforderungen unter<br />
Aufsicht der BaFin aufhalsen. Anders<br />
als das Mittelstandsgeschäft gilt die Immobilienfinanzierung<br />
bei Großbanken nicht<br />
als Wachstumssegment. Für Spezialinstitute<br />
wiederum ist die PBB mit einer Bilanzsumme<br />
von 70 Milliarden Euro zu groß.<br />
Zudem steht die Bank nicht glänzend da.<br />
Laut Geschäftsbericht hat sie Ziele für Neugeschäft<br />
und Ergebnis übertroffen und die<br />
„Zielaufstellung für die Privatisierung erreicht“.<br />
Der Erfolg beruht jedoch auch auf<br />
Einmaleffekten. Das Vorsteuerergebnis fiel<br />
mit 165 Millionen Euro nur höher aus als<br />
2012, weil die PBB eine Immobilie gut verkaufte.<br />
Trotz des gestiegenen Neugeschäfts<br />
ging das Gesamtvolumen der Finanzierungen<br />
zurück. Die Immobilienkredite etwa<br />
sanken um 1,2 auf 22,5 Milliarden Euro.<br />
Atmosphärisch belastet wird der Verkauf<br />
zudem durch die abgeblasene Veräußerung<br />
der irischen HRE-Tochter Depfa. Der US-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 57<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Investor Leucadia hatte den Kaufvertrag<br />
unterschrieben. Der Bund entschied sich in<br />
letzter Minute, die Depfa selbst abzuwickeln.<br />
Das könnte seinen Ruf als verlässlicher<br />
Verhandlungspartner lädieren.<br />
In der entscheidenden Sitzung machte<br />
sich Soffin-Chef Pleister für die Umkehr<br />
stark. Der Verkaufsprozess habe dem Eigner<br />
neue Erkenntnisse über die günstigste<br />
Lösung für die Depfa beschert, heißt es<br />
beim Soffin. Ein von Pleister in Auftrag gegebenes<br />
Gutachten habe dies bestätigt.<br />
Seine Intervention verärgerte HRE-Chefin<br />
Manuela Better so sehr, dass sie zurücktrat.<br />
Die Depfa wandert nun zur Bad Bank<br />
der HRE. Der Transfer gilt als anspruchsvoll,<br />
aber machbar. Wie Insider berichten,<br />
wollte Better, die im Aufsichtsrat der Depfa<br />
saß, dennoch sofort aus jeder persönlichen<br />
Haftung für das Institut entlassen<br />
werden. Größere Risiken gibt es im Portfolio<br />
der Depfa eigentlich nicht. Es geht darum,<br />
dass sie vorerst funktionsfähig bleibt.<br />
Dafür müssen Teile des von der Entscheidung<br />
gegen den Verkauf frustrierten Managements<br />
an Bord bleiben. Halteprämien<br />
dürften politisch jedoch kaum durchsetzbar<br />
sein.<br />
Viel spricht dafür, dass die Abwicklung<br />
mehr einbringt als der Kaufpreis von 320<br />
Millionen Euro. Dass der Staat dafür über<br />
Jahrzehnte Vermögenswerte in zweistelliger<br />
Milliardenhöhe verwaltet, hat bei dem<br />
Entschluss kaum eine Rolle gespielt. „Wir<br />
entscheiden mit dem Taschenrechner,<br />
nicht nach Ideologie“, heißt es in Regierungskreisen.<br />
Schon der Einstieg bei den<br />
Banken war schließlich ein ordnungspolitischer<br />
Tabubruch.<br />
Der soll sich nicht wiederholen. Wegen<br />
des EZB-Stresstests wird die Laufzeit des<br />
Soffin um ein Jahr verlängert. Zwar gehen<br />
Aufseher nicht davon aus, dass ein deutsches<br />
Institut bei der Prüfung durchfällt<br />
Hypo Real Estate<br />
Manuela Better<br />
Die HRE-Chefin trat aus Ärger über die<br />
staatlichen Eigentümer zurück. Das<br />
Institut verhagelt die Rettungsbilanz.<br />
Kapitalhilfe: 9 800 000 000 Euro<br />
Steuerzahler stützen mit Milliarden<br />
Aktuelle Staatshilfen an europäische Banken (Auswahl)<br />
Deutschland 1<br />
Commerzbank<br />
Hypo Real Estate, PBB<br />
WestLB<br />
Großbritannien<br />
Lloyds<br />
Royal Bank of Scotland<br />
Niederlande<br />
ING<br />
ABN Amro<br />
SNS Reaal<br />
Spanien<br />
Bankia<br />
Irland<br />
Allied Irish<br />
Bank of Ireland<br />
Portugal<br />
Millennium BCP<br />
Anteil<br />
(in Prozent)<br />
17<br />
100<br />
2<br />
41<br />
84<br />
FOTO: RENÉ TILLMANN<br />
»Wir sind kein<br />
Gemischtwarenladen«<br />
INTERVIEW | Werner Dornscheidt Der Düsseldorfer Messechef kommt<br />
schon seit Jahren ohne Subventionen aus. Die Konzentration auf Investitionsgüter<br />
und neue Themen sollen dafür sorgen, dass das so bleibt.<br />
Herr Dornscheidt, die Messe Düsseldorf<br />
gehört zu den wenigen deutschen<br />
Messegesellschaften, die ohne staatliche<br />
Subventionen auskommen. Die 600<br />
Millionen Euro Investitionen bis 2030<br />
können Sie komplett aus eigener Kraft<br />
finanzieren. Was machen Sie anders?<br />
Wir sind schlanker aufgestellt als andere,<br />
hatten aber auch viele Jahre die Möglichkeit,<br />
Gewinne zu thesaurieren. Das hat bei<br />
der Finanzierung des Investitionsprogramms<br />
sehr geholfen. Hauptgrund ist<br />
aber unser erfolgreiches Messeportfolio.<br />
Zu unserem Programm in Düsseldorf zählen<br />
rund 50 Messen, knapp die Hälfte davon<br />
ist die Nummer eins ihrer Branche. Wir<br />
sind kein Gemischtwarenladen, sondern<br />
konzentrieren uns auf Investitionsgütermessen.<br />
Die haben meist den Nachteil, dass sie<br />
nicht jährlich stattfinden.<br />
Investitionsgütermessen folgen den Investitionszyklen<br />
der jeweiligen Branche. Die<br />
Schwankungen sind für uns aber kein Problem,<br />
weil sie planbar sind. Ungerade Jahre<br />
sind für uns traditionell schwach, gerade<br />
Jahre meist stark, die Umsätze differieren<br />
um bis zu 180 Millionen Euro. 2013 hatten<br />
wir 315 Millionen Euro Umsatz, <strong>2014</strong> erwarten<br />
wir mehr als 400 Millionen. Im vergangenen<br />
Jahr blieben gut zehn Millionen<br />
Gewinn übrig, in diesem werden es 30 bis<br />
35 Millionen Euro sein.<br />
Warum veranstalten Sie nicht einfach<br />
mehr Konsumgütermessen?<br />
Wir haben mit der Boot und dem Caravan<br />
Salon zwei erfolgreiche Konsumgütermessen<br />
im Programm. Aber: Nur hochwertige<br />
Produkte will man sich vor der Kaufentscheidung<br />
anschauen. Messen sind Marktplätze,<br />
sie verlieren ihren Sinn, wenn ein<br />
wachsender Teil des Geschäfts ins Internet<br />
abwandert. Darum wird es immer schwieriger,<br />
erfolgreiche Konsumgütermessen zu<br />
veranstalten.<br />
Die Messe Düsseldorf war früher mal ein<br />
Zentrum für internationale Modemessen.<br />
Davon ist nichts mehr zu spüren.<br />
DER MESSEMACHER<br />
Dornscheidt, 60, ist seit 2004 Chef der<br />
Messe Düsseldorf. Zuvor war der Betriebswirt<br />
unter anderem bei der Messe Leipzig<br />
tätig und bei der Centralen Marketing-<br />
Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft.<br />
Nicht nur wir veranstalten keine Modemessen<br />
mehr, das gilt auch für Mailand<br />
oder Paris. Mit Ausnahme der Bread & Butter<br />
für Streetware in Berlin sind Modemessen<br />
so gut wie tot.<br />
Woran liegt das?<br />
Der Einzelhandel klassischer Prägung mit<br />
mehreren Marken im Regal ist verschwunden,<br />
große Modeketten wie H&M, Zara<br />
oder Benetton verkaufen ausschließlich in<br />
eigenen Läden. Damit haben Ordermessen,<br />
wie wir sie von früher kennen, ihre<br />
Funktion verloren. Früher gab es eine<br />
Sommer- und eine Winterkollektion, die<br />
auf zwei Modemessen gezeigt wurden.<br />
Heute wechseln die Ketten ihre Kollektionen<br />
zwölf Mal im Jahr.<br />
Und was ist mit teuren Designerlabels?<br />
Für die ist Düsseldorf nach wie vor ein Zentrum.<br />
Aber das Geschäft ist sehr kleinteilig<br />
und trägt keine großen Messen mehr. Diese<br />
Mode wird heute in den mehr als 800<br />
Showrooms der Stadt gezeigt. Mit zwei<br />
kleineren Ausstellungsflächen außerhalb<br />
des Messegeländes sind wir da noch dabei.<br />
Das lastet Ihre Hallen aber nicht aus.<br />
Die Zeiten, in denen Messegesellschaften<br />
sich darauf beschränken konnten, Hallen<br />
zu vermieten, sind vorbei. Wir entwickeln<br />
bestehende Messekonzepte weiter, etwa<br />
durch begleitende Kongresse. Gleichzeitig<br />
erschließen wir neue Messethemen.<br />
Zum Beispiel?<br />
Zu den Weiterentwicklungen unseres Messeprogramms<br />
gehört der Safe-Food-Kongress.<br />
Wir haben ihn zusammen mit der<br />
Welternährungsorganisation FAO und<br />
dem UN-Umweltprogramm Unep als Ergänzung<br />
zur Verpackungsmesse Interpack<br />
gegründet, mittlerweile beteiligen sich<br />
rund 110 Unternehmen. Dabei geht es darum,<br />
Nahrungsmittel durch eine bessere<br />
Logistik besser zu nutzen – etwa, indem<br />
durch neue Verpackungen verhindert<br />
wird, dass Lebensmittel schnell verderben,<br />
oder indem durch kleinere Verpackungseinheiten<br />
weniger weggeworfen wird. Ein<br />
Beispiel für ein ganz neues Messethema ist<br />
die Energy Storage, eine kleine Fachmesse<br />
zum Thema Speichern von Energie. Safe-<br />
Food und Energy Storage sind außerdem<br />
Beispiele dafür, wie sich neue Konzepte<br />
auch im Ausland vermarkten lassen.<br />
Was bringt das Auslandsengagement?<br />
Im konsolidierten Jahresabschluss erwirtschaften<br />
wir ungefähr ein Drittel unserer<br />
Umsätze im Ausland. In Tokio, Shanghai,<br />
Singapur, Delhi, Moskau und Chicago haben<br />
wir Tochtergesellschaften, wir exportieren<br />
erfolgreich Messekonzepte und entwickeln<br />
mit Partnern neue Veranstaltungen.<br />
Mit diesem Auslandsengagement liegen<br />
wir im Vergleich zu anderen deutschen<br />
Messegesellschaften weit vorn.<br />
Schadet Ihnen der Ukraine-Konflikt?<br />
Wir haben ein Büro in Moskau, sind seit<br />
mehr als 50 Jahren in Russland vertreten<br />
und Marktführer unter den dort vertretenen<br />
Messegesellschaften aus dem Westen.<br />
Wir veranstalten in Moskau bis zu 16 Messen<br />
jährlich. Unser Geschäft hat sich immer<br />
positiv weiterentwickelt, egal, ob im<br />
Kalten Krieg oder während der Auflösung<br />
der alten Sowjetunion. Wir verfolgen die<br />
Entwicklung aufmerksam, aber wir sind<br />
zuversichtlich.<br />
n<br />
hans-juergen.klesse@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 59<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Gier nach Gewinnen<br />
OLDTIMER | Die Affäre um den Düsseldorfer Kunstberater Helge Achenbach bringt ans Licht,<br />
wie Superreiche in Zeiten niedriger Zinsen aus dem Geschäft mit Autoklassikern eine riesige Bonanza<br />
gemacht haben, bei der es um viele Millionen Euro pro Fahrzeug geht.<br />
Alles mein: Kunstberater Achenbach in<br />
seiner Düsseldorfer Autosammlung<br />
Allzu viele Details mag Thomas Althoff<br />
über die Autos, die in der kommenden<br />
Woche bei den 6. Schloss Bensberg<br />
Classics (SBC) antreten, nicht verraten.<br />
Aber dann lässt der Hotelier und Fan wertvoller<br />
alter Autos doch ein wenig über die<br />
Oldtimer heraus, die vor den Toren Kölns<br />
zum Concours d’Elegance auflaufen.<br />
Ein Duesenberg-Kompressor-Wagen aus<br />
den Dreißigerjahren wird sich bei dem<br />
Schönheitswettbewerb unter dem Motto<br />
„Very important cars only“ der Jury stellen,<br />
auch ein bis ins Detail originaler Bugatti aus<br />
den Zwanzigerjahren. Dazu soll einer der<br />
raren Alfa Romeo des Typs 8C, der einst den<br />
Ruhm der italienischen Automarke begründete,<br />
auf die Schlosswiese rollen. Und<br />
auch ein aerodynamisch gestylter Mercedes<br />
540 K Roadster in einer Karosserie von<br />
Erdmann & Rossi, ebenfalls ein Traumwagen<br />
der Dreißigerjahre, hat sich angesagt.<br />
Doch dieses Mal lebt das Oldtimer-Treffen<br />
im Osten der Domstadt nicht nur von<br />
den wunderschönen, äußerst seltenen und<br />
teilweise mehrere Millionen Euro teuren<br />
Fahrzeugen. Das Edel-Schnauferltreffen<br />
steht in diesem Jahr auch unter dem Eindruck<br />
der Affäre um den Düsseldorfer<br />
Kunstberater und Old-Timer-Vermittler<br />
Helge Achenbach, der seit dem 10. Juni wegen<br />
Verdacht auf Betrug und Urkundenfälschung<br />
in Untersuchungshaft sitzt. Achenbach<br />
bestreitet alle Vorwürfe.<br />
OLDTIMER-VIRUS AUS BENSBERG<br />
Denn jene Geschichte nahm vor fünf Jahren<br />
bei der ersten SBC ihren Anfang. Damals<br />
hatte der Rheinländer den inzwischen<br />
verstorbenen Berthold Albrecht und<br />
dessen Frau Babette überzeugt, die Veranstaltung<br />
zu besuchen. Irgendwann im Verlauf<br />
des Tages, beim Wandeln zwischen<br />
den automobilen Preziosen auf dem Rasen<br />
und dem Gespräch mit ihren Besitzern,<br />
sprang damals der Oldtimer-Virus auf den<br />
milliardenschweren Aldi-Erben über.<br />
Die Folge: Nur wenige Wochen später<br />
besuchte Albrecht zusammen mit Achenbach<br />
die Kienle Automobiltechnik in<br />
Heimerdingen bei Stuttgart. Klaus Kienle,<br />
Gründer des weltgrößten Restaurationsbetriebes<br />
für Mercedes-Fahrzeuge, hatte in<br />
Bensberg ein exklusives Einzelstück vorgestellt:<br />
einen Mercedes 380 K von 1934, das<br />
erste Cabriolet der Welt mit einem klappbaren<br />
Blechdach. „Das Auto war von Mercedes<br />
als Versuchsfahrzeug gebaut worden,<br />
mit einer speziellen Dachkonstruktion<br />
und einem besonderen Motor – ein absolutes<br />
Goldstück“, schwärmt Kienle.<br />
Kienle, über die Seltenheit des Fahrzeugs<br />
sehr wohl im Bilde, hatte den Kaufpreis<br />
hoch angesetzt. „Doch Achenbach<br />
war ein harter Verhandler“, erinnert sich<br />
der Oldtimer-Händler. Nach hartem Gefeilsche<br />
einigte er sich mit Achenbach und<br />
Albrecht schließlich auf eine Summe von<br />
rund einer Million Euro. „Aus heutiger<br />
Sicht war das fast ein Schnäppchen“, findet<br />
60 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTOS: RUDOLF WICHERT FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE. LAIF/FREDERIC NEEMA<br />
Kienle. Nicht nur, weil der Wagen später<br />
auf internationalen Schönheitswettbewerben<br />
etwa in Kuwait und im kalifornischen<br />
Pebble Beach zahlreiche Preise einheimste<br />
und so an Wert zulegte. Zugleich explodierte<br />
weltweit die Nachfrage nach hochkarätigen<br />
Oldtimern. „Der Mercedes 380 K würde<br />
heute auf einer Auktion einen Preis erzielen,<br />
der zwei- bis dreimal so hoch ist wie<br />
vor Jahren“, ist Kienle sicher.<br />
Albrecht fand jedenfalls rasch Gefallen<br />
an seinem Investment, Achenbach an seinem<br />
neuen Tätigkeitsfeld. Bis zu seinem<br />
Tod im November 2012 kaufte der Aldi-Erbe,<br />
einer der beiden Söhne von Aldi-Nord-<br />
Gründer Theo Albrecht, eine Flotte von 15<br />
hochkarätigen Schnauferl zusammen. Mithilfe<br />
von Achenbach und der Beratung unter<br />
anderem durch Florian Zimmermann,<br />
den früheren Leiter des Mercedes-Benz<br />
Classic Centers in Fellbach bei Stuttgart, erwarb<br />
er nach dem Mercedes 380 K auch<br />
noch einen 86 Jahre alten Mercedes 680 S<br />
Roadster mit einem avantgardistischen<br />
Aufbau des französischen Karossiers<br />
Saoutchik. Ein ähnliches Fahrzeug wurde<br />
im vergangenen Jahr für umgerechnet<br />
knapp 6,2 Millionen Euro versteigert.<br />
RENNWAGEN ALS GARAGENGOLD<br />
Zudem kaufte Albrecht für angeblich 9,6<br />
Millionen Euro einen Ferrari-Rennwagen<br />
<strong>vom</strong> Typ 121 LM aus dem Jahr 1955,<br />
hübsch anzusehen, aber schwer zu bändigen<br />
und meist auch sehr unzuverlässig.<br />
Die Fahrzeuge wurden <strong>vom</strong> Werk früher<br />
unter anderem beim heutigen Oldtimer-<br />
Rennen Mille Miglia und bei den 24 Stunden<br />
von Le Mans eingesetzt. Nichts für zarte<br />
Hände war auch ein anderes Auto in Albrechts<br />
Sammlung: ein Bentley 8 Litre, das<br />
letzte der 62 Exemplare, die noch unter der<br />
Regie des Firmengründers und vor dem<br />
Verkauf an Rolls-Royce verkauft wurden.<br />
Der Marktwert des Autos dürfte heute bei<br />
1,5 Millionen Euro liegen. Ein weiterer Ferrari<br />
250 GT Berlinetta aus der Sammlung<br />
Albrecht wird nach Auktionsergebnissen<br />
ähnlicher Fahrzeuge von Experten auf einen<br />
Wert von über sieben Millionen Euro<br />
geschätzt.<br />
Der Grund dafür, dass der Markt für Oldtimer<br />
seit drei Jahren so heiß läuft, ist simpel:<br />
Wer Aktien und Immobilien bereits besitzt<br />
und konventionelle Geldanlagen aufgrund<br />
der Niedrigzinsen scheut, investiert<br />
derzeit in Kunst und seltene alte Autos. Die<br />
Werke sind leicht rund um die Welt zu<br />
transportieren, ihre Stückzahl ist begrenzt.<br />
Und Kauf wie Verkauf sind, wenn man es<br />
Schaulaufen der Schönsten Concours<br />
d’Elegance im kalifornischen Pebble Beach<br />
geschickt anstellt, nicht einmal steuerpflichtig.<br />
Die Nachfrage nach gut erhaltenen<br />
und seltenen Oldtimern bekannter<br />
Marken wie Mercedes, Ferrari, Porsche<br />
oder Maserati ist demzufolge so groß, dass<br />
seit zwei Jahren bei Auktionen immer neue<br />
Rekordpreise erzielt werden. Gewerbliche<br />
Händler haben inzwischen allergrößte<br />
Mühe, neue Fahrzeuge für interessierte<br />
Kunden zu bekommen.<br />
„Die großen Sammler geben ihre Autos<br />
nicht her, was sollten sie mit dem Verkaufserlös<br />
denn auch machen?“, umschreibt<br />
Dietrich Hatlapa das Dilemma. Der ehemalige<br />
Direktor der Bank ING Barings leitet<br />
in London die Historic Automobile<br />
Group International (HAGI), die sich auf<br />
die Beobachtung des Markts für klassische<br />
Fahrzeuge spezialisiert hat und den HAGI-<br />
Index erstellt. Dieser gilt unter Experten als<br />
eine Art Preisbarometer für historische<br />
Fahrzeuge mit einem Marktwert jenseits<br />
von 100 000 Pfund, umgerechnet rund<br />
125 000 Euro. In diese Preisklasse fallen<br />
weltweit etwa noch 300 000 Autos.<br />
Besser als Aktien<br />
Wertentwicklung hochwertiger Oldtimer<br />
seit 2009 in Relation zum Aktienmarkt<br />
250<br />
200<br />
150<br />
100<br />
Hagi-Top-Index<br />
2009 2010 2011 2012 2013 <strong>2014</strong><br />
indexiert: 2009=100; Quelle: Historic Automobile Group<br />
MSCI-Welt<br />
Deutlich schwächer besetzt ist die Preisklasse<br />
der Oldtimer, die ihren Liebhabern<br />
eine Million Pfund (1,2 Millionen Euro) und<br />
mehr wert sind. Hatlapa schätzt ihre Zahl<br />
auf etwa 2000. Von denen stehen zurzeit wenige<br />
Hundert überhaupt zum Verkauf, und<br />
das weltweit. Wohl dem, der da wie die Unternehmer<br />
Jürgen Großmann, Hans Peter<br />
Stihl oder Martin Viessmann, Besitzer der<br />
weltweit größten Mercedes-Sammlung außerhalb<br />
des Werks, frühzeitig großen Stils<br />
ins Geschäft mit automobilem Kulturgut<br />
eingestiegen ist (siehe Kasten Seite 63).<br />
EINTRITTSKARTE ZUM GLAMOUR<br />
Auch der Aldi-Erbe fuhr bald auf das Garagengold<br />
ab und muss dabei seinem Freund<br />
und Berater Achenbach mehr oder minder<br />
blind vertraut haben. „Berthold Albrecht<br />
kaufte ganz gezielt Autos, die einzigartig<br />
waren und in einem Top-Zustand“, erzählt<br />
ein Wegbegleiter, der wegen des aktuellen<br />
Streits um das Erbe und der juristischen<br />
Auseinandersetzung der Erben mit Achenbach<br />
ungenannt bleiben möchte. „Die Autos<br />
sah er auch nicht primär als Spekulationsobjekte.<br />
Vielmehr sollten sie ihm Spaß<br />
bringen und ein Entree zu glamourösen<br />
Veranstaltungen wie in Pebble Beach oder<br />
an der Villa d’Este verschaffen.“ Der Oldtimer-Schönheitswettbewerb<br />
am Comer<br />
See ist dank seiner prominenten Teilnehmer<br />
eines der Top-Ereignisse in der Branche<br />
mit höchstem Glamourwert.<br />
Achenbach, der seit über 30 Jahren große<br />
Konzerne und bekannte Vermögende bei<br />
Kunstankäufen berät, hatte Albrecht aufgrund<br />
seiner vielfältigen Kontakte schnell in<br />
die Szene eingeführt und wickelte für den<br />
Milliardär die Käufe ab. Bei der Fahrzeugauswahl<br />
zog Albrecht zumindest zeitwei-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 61<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
se den früheren Mercedes-Classic-Chef<br />
Zimmermann als Berater hinzu. „Die Oldtimer<br />
waren für ihn zum Schluss sein Ein<br />
und Alles“, erzählt der Vertraute. Vor seinem<br />
Tod habe er sogar noch über Plänen für ein<br />
kleines, aber feines Automuseum gebrütet.<br />
Doch statt Architekten sind nun die Anwälte<br />
am Zug: Es geht um die Frage, wie<br />
viel die 15 Oldtimer tatsächlich wert sind<br />
beziehungsweise wie hoch der Wert für die<br />
Erbschaftsteuer anzusetzen ist – und ob<br />
Achenbach seinen Freund Albrecht beim<br />
Ankauf der Fahrzeuge betrogen hat.<br />
Der 62-jährige Kunstberater besitzt<br />
selbst eine kleine, aber feine Sammlung<br />
von Oldtimern der Marken Mercedes, Porsche,<br />
Bentley und Ferrari, die er von einem<br />
privaten Mechaniker in Schuss halten lässt.<br />
Unter den Fahrzeugen sind ein<br />
Bentley, der früher dem Künstler<br />
Joseph Beuys gehörte, und ein<br />
Exemplar des legendären Adenauer-Mercedes<br />
aus dem Jahr<br />
1952 – die Limousine schenkte<br />
ihm ein Freund zum Geburtstag.<br />
In Achenbachs Sammlung steht<br />
zudem ein Ferrari aus dem Besitz<br />
des Fotokünstlers Andreas Gursky, der<br />
früher dem Ferrari-Rennleiter und heutigen<br />
FIA-Präsidenten Jean Todt gehörte.<br />
Zudem ist der Bolide von der Formel-1-<br />
Legende Michael Schumacher signiert<br />
(„To my friend Andreas. Have a safe trip“).<br />
Mit den Oldtimern aus der Albrecht-<br />
Sammlung können sich Achenbachs Autos<br />
jedoch nicht messen.<br />
Video<br />
In unserer App-<br />
<strong>Ausgabe</strong> sehen<br />
Sie ein Interview<br />
mit Kunstberater<br />
Helge Achenbach.<br />
Durch die gemeinsamen Interessen<br />
fanden Achenbach und Albrecht<br />
schnell zueinander, privat<br />
wie geschäftlich. Vereinbart wurde<br />
ein Kommissionsgeschäft,<br />
mündlich, wie es heißt. Demnach<br />
sollte Achenbach über seine Gesellschaft<br />
Art Consulting Kunstobjekte<br />
für den Aldi-Erben beschaffen.<br />
Und über seine in Stuttgart registrierte<br />
Gesellschaft Vintage Car Company<br />
(VCC) sollte Achenbach erlesene klassische<br />
Fahrzeuge erwerben und sie zum Einkaufspreis<br />
an Albrecht weitergeben.<br />
Dafür sollte Achenbach fünf Prozent auf<br />
den Nettoeinkaufspreis von Bildern und<br />
drei Prozent bei Oldtimern erhalten. Durch<br />
die Abmachung konnte der öffentlichkeits-<br />
BMW 5<strong>07</strong> Cabriolet<br />
Traumwagen der Fünfzigerjahre.<br />
Im März<br />
ging das Auto weg für<br />
2,4 Millionen $<br />
Porsche 911 S<br />
Steve McQueen fuhr<br />
ihn in „Le Mans“. Bei<br />
der Versteigerung<br />
brachte das Filmauto<br />
1 Million €<br />
Super<br />
Modelle<br />
Bei den Auktionen der<br />
vergangenen Jahre<br />
haben Auto-Klassiker<br />
Rekordergebnisse erzielt<br />
– weil sie sehr selten<br />
sind und äußerst<br />
begehrt.<br />
Jaguar D-Type<br />
Zahlreiche Rundenrekorde fuhr<br />
1956 der Rennfahrer Bib Stillwell<br />
mit dem Leichtgewicht. Bei<br />
einer Versteigerung erzielte er<br />
3,7 Millionen €<br />
Mercedes W 196 R<br />
Juan Fangio fuhr mit<br />
dem Rennwagen<br />
1955 zur Weltmeisterschaft.<br />
Versteigert<br />
wurde er jetzt für<br />
22,7 Millionen €<br />
Ferrari 275 GTB<br />
In Monaco wurde im Mai für den<br />
Sportwagen der bislang höchste<br />
Preis geboten und bezahlt:<br />
5,71 Millionen €<br />
Mercedes 380K<br />
1934 war das Cabriolet<br />
eines der luxuriösesten<br />
Autos in Deutschland:<br />
1,08 Millionen $<br />
62 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTOS: ACTION PRESS/SWNS, PR, ACTION PRESS/REX FEATURES<br />
scheue Albrecht bei den Kaufverhandlungen<br />
stets im Hintergrund bleiben. Dies<br />
erleichterte Achenbach einerseits die Verhandlungen<br />
über die Objekte. Andererseits<br />
wollte Albrecht angeblich so auch seine<br />
Aktivitäten gegenüber der Familie verschleiern,<br />
wird in Kreisen von Achenbach<br />
kolportiert.<br />
Nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft<br />
soll Achenbach gegenüber Albrecht in einigen<br />
Fällen jedoch falsche Einkaufspreise angegeben<br />
und so absprachewidrig zu hohe<br />
Provisionen kassiert haben. Durch einen<br />
Hinweis aus der Privatbank Berenberg, mit<br />
der Achenbach – ohne Erfolg – vor Jahren einen<br />
Kunstfonds zu gründen versuchte, soll<br />
die angebliche Vorgehensweise aufgeflogen<br />
sein. Nach einem Gutachten, das die Familie<br />
Albrecht in Auftrag gab, soll der Verkehrswert<br />
von Kunstobjekten und Fahrzeugen<br />
deutlich niedriger sein, als nach den gezahlten<br />
Kaufpreisen zu vermuten war.<br />
PREISE DURCH DIE DECKE<br />
Das allein ist allerdings noch kein zwingender<br />
Beleg für einen Betrug. Denn der aktuelle<br />
Verkehrswert von Kunstwerken und<br />
Oldtimern lässt sich nur schwer schätzen.<br />
„Was ein Oldtimer tatsächlich wert ist, zeigt<br />
sich erst beim Verkauf oder bei einer Auktion“,<br />
sagt Martin Halder, Betreiber mehrerer<br />
exquisiter Oldtimer-Zentren in Berlin und<br />
Zürich. Für bestimmte Autos gebe es weltweit<br />
nur eine Handvoll zahlungskräftiger<br />
Interessenten. „Wenn die bei einer Auktion<br />
aufeinandertreffen, gehen die Preise durch<br />
die Decke.“ Andernfalls bleiben alte Autos<br />
oft monatelang stehen, ohne dass sich dafür<br />
jemand interessiert. Der Oldtimer-Handel<br />
braucht viel Geduld und Ausdauer.<br />
Schwerer wiegt der Vorwurf, dass Achenbach<br />
bei den Kommissionsgeschäften mit<br />
seinem Freund Albrecht mit fingierten<br />
Rechnungen gearbeitet haben soll und Belege<br />
fälschte. Die Anwälte der Albrecht-Erben<br />
nahmen zu den Verkäufern einiger der<br />
Fahrzeuge Kontakt auf und bemerkten<br />
beim Abgleich der Rechnungen zum Teil<br />
eklatante Abweichungen: In einem Fall soll<br />
sich eine Differenz von vier Millionen Euro<br />
ergeben haben zwischen dem Betrag, den<br />
Achenbachs VCC für zwei Autos zahlte,<br />
und dem Betrag, den er Albrecht in Rechnung<br />
stellte. Auch die Finanzbehörden<br />
werden sich deshalb wohl noch mit dem<br />
Fall Achenbach zu befassen haben.<br />
Jede Menge Gesprächsstoff also für die<br />
nächsten Schloss Bensberg Classic und die<br />
Oldtimer-Szene.<br />
n<br />
franz.rother@wiwo.de, thorsten firlus, claudia tödtmann<br />
AUTOSAMMLUNGEN<br />
Geheime Passion<br />
Geldanlage und Hobby zugleich:<br />
Viele Unternehmer füllen ihre<br />
Hallen mit seltenen Oldtimern.<br />
Die Linien sind perfekt geschwungen,<br />
die Übergänge fließend. Der Bugatti 57SC<br />
Atlantic von Modelegende Ralph Lauren<br />
steht seinem Besitzer. Lauren besitzt einen<br />
der vier jemals gebauten 57SC Atlantic,<br />
von dem inzwischen nur noch zwei Exemplare<br />
existieren. Der Bugatti ist eine Kostbarkeit,<br />
aber nicht die einzige im Besitz<br />
von Lauren: In den letzten Jahrzehnten hat<br />
der Modemacher insgesamt 60 Oldtimer<br />
zusammengekauft. Unter dem Titel<br />
„Speed, Style and Beauty: Cars from the<br />
Ralph Lauren Collection“ wurde die<br />
Sammlung 2005 erstmals im Museum of<br />
Fine Arts in Boston öffentlich ausgestellt.<br />
Auch der US-Fernsehmoderator Jay<br />
Leno lässt Besucher nach Voranmeldung<br />
gerne in seine Autosammlung in Los Angeles<br />
schauen. Zu sehen gibt es in dem<br />
ehemaligen Hangar mobile Schätze aller<br />
Art, unter anderem verschiedene Ferraris,<br />
Bugattis, ein altes Feuerwehrauto,<br />
Dampfautos und einen Protoyp mit<br />
Düsenantrieb. Alle Fahrzeuge sind fahrbereit.<br />
Ein Automechaniker aus Deutschland<br />
hält sie fit.<br />
Seltene Oldtimer besitzen und regelmäßig<br />
fahren – das ist der Wunsch auch<br />
vieler deutscher Unternehmer. Bei der<br />
Oldtimer-Rallye Mille Miglia durch Italien<br />
waren Mitte Juni unter anderem der<br />
ehemalige RWE-Chef und Alleingesellschafter<br />
der Georgsmarienhütte Holding,<br />
Jürgen Großmann mit von der Partie –<br />
am Steuer eines Bentley 6 1/2 Litre Tourer<br />
von 1927. Mit dabei waren auch der<br />
CEO der Edel AG, Michael Haentjes (OM<br />
665 SS MM Superba von 1930) und der<br />
Schweizer Jean-Remy von Matt (OM 665<br />
SS MM Superba von 1930), Mitgründer<br />
der Hamburger Werbeagentur Jung von<br />
Matt. Die beiden Söhne von Autovermieter<br />
Erich Sixt sorgten für Schlagzeilen,<br />
weil sie mit ihrem Mercedes 300 SL<br />
Flügeltürer einen Unfall verursachten.<br />
ANGST VOR SPITZBUBEN<br />
Bei der Mille Miglia treten Oldtimer-Besitzer<br />
an, die öffentlich zu ihrem Hobby stehen.<br />
Karl-Friedrich Scheufele von Chopard<br />
nutzt als Sponsor die Rallye zudem<br />
für das Marketing seiner Luxusuhren.<br />
Viele prominente Sammler in Deutschland<br />
halten sich jedoch lieber bedeckt,<br />
um keinen Neid zu wecken oder Spitzbuben<br />
anzulocken: Autos, die Millionenwerte<br />
darstellen, legen den Verdacht nahe,<br />
dass die Besitzer im Geld schwimmen.<br />
Unternehmer wie der Heiztechnik-König<br />
Martin Viessmann zeigen ihre automobilen<br />
Preziosen deshalb nur zaghaft. Ganz<br />
anders der Büromöbelhersteller Friedrich-<br />
Wilhelm Dauphin aus Nürnberg: Er baute<br />
in einer Parklandschaft für seine 160<br />
Fahrzeuge zählende Oldtimersammlung<br />
eine große Halle, die er als Eventfläche<br />
vermietet.<br />
thorsten.firlus@wiwo.de<br />
Perfekte Linien<br />
Modeschöpfer Lauren<br />
mit seinem Bugatti<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 63<br />
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Technik&Wissen<br />
Moores Rettung<br />
INFORMATIONSTECHNIK | Rechenpower plus Kreativität gleich Wohlstand. Die Gleichung<br />
galt, solange Bits und Bytes immer schneller rotierten. Nun droht der wichtigste<br />
Wachstumsmotor der Weltwirtschaft ins Stottern zu geraten. Die IT-Branche muss den<br />
Computer neu erfinden!<br />
Esist die perfekte Tarnung: Ein<br />
unscheinbarer Industriebau,<br />
mehrgeschossig, eine Viertelstunde<br />
Fahrt von Hongkongs noblen<br />
Central Piers gelegen. Tausende<br />
davon gibt es in der chinesischen<br />
Megacity. Nichts verrät, dass hier die<br />
Schatzgräber des 21. Jahrhunderts arbeiten.<br />
Inkognito natürlich. Wer den Bau<br />
nutzt, verrät Alex Kampl nicht, als er die<br />
codegesicherten Türen ins Innere öffnet.<br />
Verständlich. Denn die Kunden des<br />
39-jährigen Österreichers produzieren hier<br />
Geld. Der Technikchef bei Allied Control,<br />
einem Spezialisten für Hochleistungscomputer,<br />
hat ihnen aber keine illegalen Notenpressen<br />
gebaut, sondern einen Miner,<br />
einen hochgezüchteten Spezialrechner.<br />
Der hat nur einen Zweck: mithilfe extrem<br />
aufwendiger mathematischer Verfahren<br />
die virtuelle Währung Bitcoin zu errechnen,<br />
das Gold des digitalen Zeitalters.<br />
Damit die Maschinen bei dem immensen<br />
Rechenaufwand nicht durchbrennen,<br />
ist Kampl auf eine scheinbar absurde Idee<br />
verfallen. Er hat seinen Superrechner Immersion<br />
II kurzerhand in riesigen Tanks<br />
absaufen lassen. Hunderte Rechnerplatinen<br />
bringen dort, teils nur noch einen Millimeter<br />
voneinander entfern, mit ihrer Hitze<br />
die Flüssigkeit zum Brodeln, wie Koi-<br />
Karpfen einen Teich bei der Fütterung.<br />
Die Rechner geben nur deshalb nicht<br />
mit blitzenden Kurzschlüssen den Geist<br />
auf, weil in den Tanks kein Wasser kocht,<br />
sondern Novec, eine <strong>vom</strong> Mischkonzern<br />
3M entwickelte Spezialflüssigkeit. Sie fühlt<br />
sich an wie Wasser, leitet aber keinen<br />
Strom und kühlt so selbst sensible Elektronik<br />
optimal. „Wir bringen bei gleichem<br />
Platzbedarf mehr als 20 Mal so viel Rechenpower<br />
unter“, sagt Kampl. „Höchste<br />
Leistung, minimaler Platzbedarf und extrem<br />
geringer Stromverbrauch für die Kühlung<br />
– das ist der nahezu perfekte Mix.“<br />
Schwimmende Server – das mag verrückt<br />
klingen. Doch gerade solch ungewöhnliche<br />
Konzepte haben in den Forschungsabteilungen<br />
der Computerindustrie<br />
und an den Hochschulen aktuell<br />
Müde Champions<br />
Gebremster Leistungszuwachs bei<br />
den stärksten Computern der Welt<br />
100 (Billiarden Gleitkomma-Rechenoperationen)<br />
10<br />
1<br />
Schnellster Supercomputer<br />
in der Top-500-Liste<br />
0,10<br />
Durchschnittsleistung aller<br />
Rechner der Liste<br />
0,01<br />
2009 2010 2011 2012 2013 <strong>2014</strong><br />
Quelle: www.top500.org; Juni-Werte<br />
Hochkonjunktur: Biomoleküle als Transistoren,<br />
Ionen als Speicher, Neuro-Computer<br />
oder Chips aus Kohlenstoff – kaum eine<br />
Idee klingt zu abseitig, um sie nicht auf ihre<br />
Praktikabilität abzuklopfen.<br />
Wirtschaft und Wissenschaft gleichermaßen<br />
treibt eine Sorge um: Der Innovationsmotor<br />
der Computerwelt könnte ins<br />
Stottern geraten. Denn die Hersteller müssen<br />
immer mehr Aufwand treiben, um die<br />
Leistung der Rechner spürbar zu steigern.<br />
„Miniaturisierung und höhere Taktraten<br />
stoßen als Tempotreiber bei Prozessoren<br />
an ihre Grenzen“, sagt Matthias Troyer. Der<br />
Physikprofessor erforscht an der Eidgenössischen<br />
Technischen Hochschule Zürich<br />
(ETHZ) neue Rechnerkonzepte. „Inzwischen<br />
sind die Strukturen der Leiterbahnen<br />
und Transistoren so klein, dass quantenmechanische<br />
Effekte wirksam werden<br />
und die Elektronen in den Leiterbahnen<br />
immer häufiger machen, was sie wollen“,<br />
umreißt er das Dilemma der IT-Entwickler.<br />
WIE WEITER WACHSEN?<br />
Wenn sich aber „Kleiner und schneller“ als<br />
Sackgasse erweist, welche Technologien<br />
und Rechnerkonzepte können dann die digitale<br />
Revolution in fast allen Wirtschaftsbereichen<br />
weiter befeuern?<br />
Egal, ob Autobau, Luftfahrt oder Medizin,<br />
ob Musikmarkt, Logistik oder Wissensmanagement<br />
– in jeder Ecke der Wirtschaft<br />
sorgen die Rechenhirne seit gut drei Jahrzehnten<br />
für sinkende Produktionskosten<br />
durch höhere Produktivität. Was wir seither<br />
an Wohlstandsgewinn einstrichen, verdanken<br />
wir also auch der konstant wachsenden<br />
Leistung des Kollegen Computer.<br />
Damit das so bleibt, glaubt Martin<br />
Schmatz <strong>vom</strong> IBM-Forschungslabor in<br />
Rüschlikon bei Zürich, müsse sich die<br />
Computerwelt von der Idee verabschieden,<br />
es gebe die eine, entscheidende Zukunftstechnologie:<br />
„Natürlich bleiben Mikroprozessoren<br />
für Jahrzehnte die zentralen Datenpumpen“,<br />
sagt der 47-jährige Schweizer.<br />
„Aber darum herum wird der Computer<br />
neu erfunden“, so der Experte für Server-<br />
Technologien. Massiv paralleles und neurosynaptisches<br />
Rechnen, Spezialprozessoren<br />
oder gar Quantencomputer sollen helfen,<br />
den digitalen Fortschritt zu retten.<br />
64 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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ILLUSTRATION: NICHOLAS BLECHMAN<br />
Wie ernst die Lage ist, lässt sich daran erkennen,<br />
dass das berühmte Moore’sche<br />
Gesetz ins Wanken gerät. Benannt ist es<br />
nach dem Mitgründer des Chipriesen Intel,<br />
Gordon Moore. Der hatte Mitte der Sechzigerjahre<br />
eine Verdoppelung der Leistungsfähigkeit<br />
von Computern grob alle zwei<br />
Jahre vorhergesagt – ausgelöst durch die<br />
Miniaturisierung der Schaltkreise und steigende<br />
Taktraten der Mikrochips.<br />
„Die Prognose hat sich als bemerkenswert<br />
zutreffend erwiesen“, sagt der Mathematiker<br />
Horst Gietl, Mitorganisator der renommierten<br />
International Supercomputing<br />
Conference (ISC). „Die Frage ist bloß,<br />
ob und wie sich dieser Trend in Zukunft<br />
beibehalten lässt.“<br />
STILLSTAND AN DER SPITZE<br />
In der jüngsten, vor zwei Wochen bei der<br />
ISC <strong>2014</strong> in Leipzig präsentierten Liste der<br />
500 stärksten Hochleistungscomputer<br />
zeichnet sich zumindest eine Formkrise<br />
der Elektronenhirne ab. An der Spitze jedenfalls<br />
tut sich derzeit gar nichts mehr:<br />
Der chinesische Supercomputer Tianhe-2<br />
führt das Feld weiter an – ohne auch nur einen<br />
Deut schneller geworden zu sein (siehe<br />
Grafik Seite 64).<br />
Was bedeutet das? Werden Wetterprognosen<br />
nicht mehr von Jahr zu Jahr verlässlicher,<br />
wie wir es bisher gewohnt waren?<br />
Stößt die Simulation von Crashtests neuer<br />
Autos im Computer an ihre Grenzen? Lassen<br />
sich die Wechselwirkungen von Molekülen<br />
bei medizinischen Therapien nicht<br />
mehr besser vorausberechnen, weil die<br />
Rechenpower stockt?<br />
Noch geben die ITler nicht auf.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 65<br />
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Technik&Wissen<br />
INTERVIEW James Goodnight<br />
»Algorithmen retten Leben«<br />
Der Chef des Softwareherstellers SAS über die wachsende Datenflut,<br />
selbst lernende Software und den Schutz vor Terroranschlägen.<br />
Herr Goodnight, im Zeitalter<br />
von Big Data explodiert die<br />
Menge an Information geradezu.<br />
Erstickt die Informationstechnik<br />
an der Datenflut?<br />
Es stimmt, die Datenmengen<br />
wachsen in der Tat schneller,<br />
als die Chips an Tempo zulegen.<br />
Trotzdem hält der Leistungsanstieg<br />
der IT als Ganzes<br />
mit den Daten mit.<br />
Ist das kein Widerspruch?<br />
Nur scheinbar. Die IT ändert<br />
sich gerade grundlegend: Es<br />
zählt nicht mehr so sehr, wie<br />
schnell ein einzelner Chip<br />
rechnet, sondern wie stark<br />
das Gesamtsystem ist.<br />
Was heißt das konkret?<br />
Der wichtigste Trend ist Parallelisierung:<br />
Das bedeutet bei<br />
der Auswertung von Geschäftsdaten,<br />
wie wir sie betreiben,<br />
Aufgaben in möglichst viele Teile<br />
zu zerlegen. Die lassen sich dann auf 100<br />
oder 1000 Prozessorkernen zugleich abarbeiten.<br />
Das steigert das Tempo um den<br />
Faktor 100 und mehr. Allerdings ist Software<br />
traditionell nicht für parallele Systeme<br />
entwickelt. Wir mussten unsere Programme<br />
komplett erneuern. Ein enormer<br />
Aufwand, aber nun sind wir für Big Data<br />
wirklich gerüstet.<br />
Was haben Unternehmen davon?<br />
Als Manager habe ich heute – je nach<br />
Funktion – ganz unterschiedliche Fragen:<br />
Wen spreche ich mit Marketingkampagnen<br />
an? Wie erreiche ich die<br />
Leute? Bei einer Bank: Wem gebe ich einen<br />
Kredit? Wo versucht jemand, mich<br />
zu betrügen? All das können Sie heute<br />
nur noch mit IT-Hilfe adäquat entscheiden.<br />
Mittels Analytik, Statistik und den<br />
mathematischen Regeln, die wir in unseren<br />
Programmen abbilden...<br />
...und die dann – statt eines Verkäufers<br />
– entscheiden, ob Kunden Waren auf<br />
Rechnung oder gegen Vorkasse geliefert<br />
bekommen. Verdrängen Maschinen die<br />
Menschen in der Geschäftswelt?<br />
ZAHLEN-MEISTER<br />
Goodnight, 71, gründete<br />
1976 das auf<br />
Analytiksoftware<br />
spezialisierte Unternehmen<br />
SAS Institute.<br />
Seither leitet<br />
der Informatiker den<br />
weltweit größten,<br />
nicht börsennotierten<br />
Softwarekonzern.<br />
Es geht nicht darum, smarte<br />
Köpfe zu ersetzen, sondern,<br />
sie zu unterstützen. Software<br />
liefert Ihnen etwa nur eine<br />
Abschätzung, mit welcher<br />
Wahrscheinlichkeit Sie gerade<br />
jemand mit einer gestohlenen<br />
Kreditkarte zu betrügen<br />
versucht. Aber Menschen entscheiden,<br />
ab welcher Wahrscheinlichkeit<br />
die Bank solche<br />
Buchungen blockiert.<br />
Wie gut klappt das?<br />
Nobody is perfect. Das gilt<br />
auch für Algorithmen, aber<br />
wir arbeiten hart dafür. Übrigens<br />
nutzen wir die steigende<br />
Rechnerleistung auch, um die<br />
Algorithmen mit Computerhilfe<br />
zu verbessern.<br />
Software programmiert sich<br />
selbst?<br />
Zum Teil: Beim Durchforsten<br />
gigantischer Datenbestände entdecken<br />
Rechner heute statistische Zusammenhänge,<br />
die menschliche Programmierer<br />
nicht erkennen. Diese Algorithmen versteht<br />
auch bei uns kein Mensch mehr –<br />
aber sie arbeiten so beeindruckend verlässlich,<br />
dass wir sie einsetzen.<br />
Wie weit kann das gehen? Ersetzt Statistik<br />
womöglich dereinst die Theorie?<br />
Das ist mehr eine philosophische als eine<br />
technische Frage. Ich glaube nicht,<br />
dass Rechner menschliche Neugier verdrängen<br />
werden. Wir wollen verstehen,<br />
wie die Welt funktioniert. Aber es gibt sicher<br />
manche Situationen, in denen wir<br />
damit zufrieden sein können, was uns<br />
die Maschinen verraten.<br />
Zum Beispiel?<br />
Die US-Armee nutzt unsere Prognosesoftware,<br />
um etwa bei Patrouillen in<br />
Afghanistan vorab Anschlagsrisiken zu<br />
bewerten. Am Ende ist es egal, warum<br />
das Programm andere Routen empfiehlt,<br />
weil das Risiko auf dem ursprünglichen<br />
Weg zu hoch erscheint – wenn die Prognose<br />
stimmt. Und glauben Sie mir: Die<br />
Technik hat schon einige Leben gerettet.<br />
»<br />
Sie hoffen ausgerechnet auf die Rechenchips,<br />
für die sich bisher nur PC-Daddler<br />
und Special-Effects-Designer in Hollywood-Studios<br />
interessierten: die Grafikkarten,<br />
englisch Graphics Processing Units<br />
(GPU) genannt. Sie sorgen für die atemberaubenden<br />
Videoeffekte in Computerspielen<br />
und Filmen. Das können sie besonders<br />
gut, gemessen an herkömmlichen Prozessoren<br />
sind sie eher simpel gestrickt.<br />
SUPERCOMPUTER FÜR ALLE<br />
Dafür stecken bis zu 2880 Rechenkerne in<br />
den besten GPUs. Die können so hochkomplexe<br />
Aufgaben, etwa Simulationen,<br />
gleichzeitig statt nacheinander abarbeiten<br />
– ein enormer Zeitgewinn. „Statt in die Höhe<br />
wächst Rechenleistung künftig in die<br />
Breite“, sagt Sumit Gupta. Der 40-Jährige<br />
leitet die Supercomputing-Sparte des kalifornischen<br />
Chipproduzenten Nvidia.<br />
Sein Job markiert den radikalen Umbruch<br />
der Computerwelt. Auf einmal verwandelt<br />
sich Technik zum Leistungsturbo,<br />
die früher nur der Unterhaltung am PC<br />
diente. „Ob du Lichteffekte für Computerspiele<br />
berechnen lässt oder aerodynamische<br />
Strömungssimulationen, Rauchausbreitung<br />
bei Feuer oder die Entwicklung<br />
von Staus“, erklärt Gupta, „das ist dem Chip<br />
völlig egal.“ Nicht aber dem Anwender, der<br />
bei Nvidia inzwischen High Tech für den<br />
professionellen Einsatz bekommt – zu einem<br />
Bruchteil der Kosten konventioneller<br />
Rechner. „Supercomputing wird für ganz<br />
neue Zielgruppen bezahlbar“, so Gupta.<br />
Massiv paralleles Rechnen, davon ist<br />
auch ISC-Mitorganisator Gietl überzeugt,<br />
„ist der entscheidende Treiber für künftige<br />
Leistungssprünge in der IT“. Das sehen offenbar<br />
auch die Entwickler von Tianhe-2<br />
so, dem aktuell stärksten Rechner der Welt.<br />
Er steht in Chinas National Super Computer<br />
Center in Guangzhou und vereint die<br />
Rechenleistung von 3,12 Millionen Prozessorkernen.<br />
„Das sind gut fünf Mal so viele<br />
wie bei Titan, dem aktuell auf Rang zwei<br />
gelisteten Superrechner des US-Energieministeriums“,<br />
rechnet Gietl vor.<br />
Das enorme Potenzial der Parallelisierung<br />
kommt aber nur zum Tragen, wenn<br />
auch die Softwarehäuser ihre Programme<br />
anpassen. Das ist eine Mammutaufgabe:<br />
„Denn Software ist traditionell nicht für parallele<br />
Systeme entwickelt“, sagt etwa James<br />
Goodnight, Chef des auf Datenanalytik spezialisierten<br />
US-Softwareunternehmens SAS<br />
(siehe Interview links). „Wir mussten daher<br />
die Algorithmen zur Datenverarbeitung in<br />
unserer Software komplett erneuern.“<br />
66 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTO: LAIF/MIQUEL GONZALEZ; ILLUSTRATION: NICHOLAS BLECHMAN<br />
Bei aller Euphorie fürs parallele Rechnen,<br />
schon warnen Experten, auch diese<br />
Strategie könnte an ihre Grenzen stoßen.<br />
„Längst nicht jede Aufgabe lässt sich in<br />
Tausende oder gar Millionen parallele Rechenschritte<br />
zerlegen“, warnt IBM-Experte<br />
Schmatz. Bei extrem großen Prozessorzahlen<br />
könnte der Aufwand fürs Management<br />
der vielen parallelen Operationen und für<br />
den benötigten Datentransfer den Tempogewinn<br />
sogar wieder zunichte machen.<br />
Künftig würden daher nicht nur immer<br />
mehr Prozessorkerne in Computern stecken,<br />
erwartet Schmatz, sondern auch eine<br />
Reihe hoch spezialisierter Zusatzbausteine,<br />
die gemeinsam für Leistungssprünge<br />
sorgen: „Ob für Ver- oder Entschlüsselung<br />
von Daten, die Kompression von Bildern,<br />
Musik oder Videos oder deren Wiedergabe,<br />
für all das gibt es schon Spezialhardware –<br />
und viel mehr wird noch kommen.“<br />
Doch egal, ob Computer linear rechnen<br />
oder parallel, vor einem Problem stehen<br />
Hard- und Softwareentwickler gleichermaßen:<br />
Je schneller die Chips arbeiten, desto<br />
eher geht ihnen das Futter aus. „Die Datenübertragung<br />
aus dem Speicher in die Prozessoren<br />
hat mit dem Zuwachs an Rechenleistung<br />
nicht Schritt gehalten“, sagt ISC-<br />
Experte Gietl. Auch deshalb setzen die<br />
Techniker zunehmend darauf, Daten direkt<br />
aus dem Arbeitsspeicher zu laden statt<br />
wie in der Vergangenheit von den langsameren<br />
Festplatten. Das war angesichts<br />
der extrem hohen Speicherkosten lange<br />
nicht bezahlbar. Inzwischen aber sind die<br />
Preise für das In-Memory-Computing<br />
(IMC) drastisch gefallen.<br />
GEN-CHECKS IN MINUTEN<br />
Auch der deutsche Softwareriese SAP investiert<br />
massiv in die Technik. Mit seiner<br />
Hana-Plattform verkürzt er etwa komplexe<br />
Preiskalkulationen enorm, mit denen Fluggesellschaften<br />
Ticketpreise ermitteln, von<br />
zwölf Stunden auf nur noch eine Sekunde.<br />
„Die Technik hilft aber auch in der Medizin,<br />
Genomanalysen statt in zwei bis drei<br />
Tagen in Minuten abzuarbeiten“, sagt<br />
Franz Färber, der als Softwarearchitekt<br />
maßgeblich an der Hana-Entwicklung mitgearbeitet<br />
hat. „Das hilft insbesondere bei<br />
der Suche nach speziell auf die Patienten<br />
abgestimmten Krebstherapien.“<br />
Auch das ist wohl nur ein Zwischenschritt.<br />
Denn selbst der Arbeitsspeicher<br />
wird den Entwicklern schon wieder zu<br />
langsam. „Im Grunde müssen wir die Daten<br />
noch näher an die Prozessoren heranbringen“,<br />
sagt Färber. „Da ist noch mal ein<br />
Kohlenstoff-Chips, Biorechner, Ionenspeicher:<br />
Keine Idee klingt zu abseitig<br />
Leistungssprung bis zum Faktor 100 ziemlich<br />
realistisch“, glaubt SAP-Experte Färber.<br />
Noch ist der erforderliche Spezialspeicher<br />
– der Cache – wieder einmal prohibitiv teuer.<br />
Das aber wandelt sich gerade. Vor wenigen<br />
Tagen erst hat Mark Seager, Technikchef<br />
der Abteilung für Hochleistungscomputer<br />
beim US-Chipgiganten Intel in<br />
Leipzig, neue Spezialprozessoren mit besonders<br />
großem Cache vorgestellt.<br />
Bis zu 16 Gigabyte an Daten sollen sich<br />
direkt an der neuen Prozessor-Plattform,<br />
Codename Knights Landing, ablegen und<br />
entsprechend rasant auswerten lassen,<br />
wenn die neuen Systeme im nächsten Jahr<br />
auf den Markt kommen.<br />
Spätestens dann müssen auch die Softwareentwickler<br />
ihre Programme wieder an<br />
die neue Technik anpassen. Und wohl<br />
nicht nur deshalb. Denn glaubt man Experten<br />
wie dem Zürcher Physiker Matthias<br />
Troyer, dann liegt genau hier der eigentliche<br />
Schlüssel dafür, dass das Moore’sche<br />
Gesetz seine Gültigkeit behält: „Das größte<br />
Potenzial für künftige Leistungssprünge<br />
steckt in besserer Software“, sagt der Wissenschaftler,<br />
der auch das Potenzial sogenannter<br />
Quantencomputer erforscht.<br />
Diese Zukunftscomputer sollen nicht<br />
mehr mit Einsen und Nullen rechnen, sondern<br />
– mithilfe der Quantenmechanik –<br />
unter anderem heute noch unlösbare Verschlüsselungsverfahren<br />
knacken können.<br />
Doch bis es, vorsichtig geschätzt in 20 bis<br />
30 Jahren, so weit ist, gelte es erst einmal,<br />
die Software radikal auf Effizienz zu trimmen,<br />
fordert Troyer.<br />
Um zu zeigen, was möglich ist, hat er mit<br />
seinen Kollegen modernste, optimierte Simulationsprogramme<br />
auf 20 Jahre alten<br />
Rechnern laufen lassen – und 20 Jahre alte<br />
Simulationssoftware auf den schnellsten<br />
Rechnern. „Das Ergebnis war eindeutig“,<br />
sagt der Zürcher Wissenschaftler, „die neue<br />
Software lief auf den alten Rechnern viel<br />
schneller als umgekehrt.“<br />
Zumindest theoretisch. Denn tatsächlich<br />
haben die großen Softwarekonzerne<br />
ihre Computerprogramme über Jahre fast<br />
durchweg mit immer neuen, immer komplexeren<br />
Funktionen ausgestattet. Die forderten<br />
immer mehr Leistung, was nur so<br />
lange kein Problem war, wie – Moore sei<br />
Dank – die Chips zugleich verlässlich<br />
schneller und leistungsstärker wurden.<br />
„Insofern“, sagt Troyer, „ist es vielleicht<br />
gar kein Nachteil, wenn uns der Technikwandel<br />
künftig bessere, weil effizientere<br />
Software beschert.“<br />
n<br />
thomas.kuhn@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 67<br />
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Technik&Wissen<br />
Lücke als Geschäft<br />
VERKEHR | Start-ups wollen Schluss machen mit der lästigen Suche<br />
nach freien Parkplätzen. Sie setzen auf Apps und Sensoren.<br />
Ende der Irrfahrt Apps wie Parku (links) und<br />
Parker (rechts) zeigen freie Parkplätze an<br />
Schlägereien, gezückte Messer,<br />
Drohungen mit der Pistole: Was<br />
nach einem billigen Hollywood-Streifen<br />
klingt, ist Alltag in<br />
deutschen Großstädten. Bei den<br />
brutalen Streitereien geht es aber<br />
nicht etwa um Raubüberfälle, Drogenhandel<br />
oder Prostitution – sondern<br />
um Parkplätze. Fast täglich muss die<br />
Polizei irgendwo in Deutschland zwischen<br />
aufgebrachte Autofahrer gehen,<br />
die sich im Kampf um einen Stellplatz<br />
in die Haare geraten sind.<br />
Dass die Emotionen hochkochen, ist<br />
kein Wunder. Denn wer in einer deutschen<br />
Stadt weniger als zehn Minuten<br />
nach einem Stellplatz sucht, ist statistisch<br />
gesehen ein Glückspilz. Zudem<br />
fährt er dabei im Schnitt mehr als vier<br />
Kilometer herum. Das Ergebnis laut Michael<br />
Schreckenberg, Verkehrsforscher an<br />
der Universität Duisburg-Essen: Die Parkplatzsuche<br />
macht 40 Prozent des Stadtverkehrs<br />
aus. Das kostet viel Nerven, Zeit und<br />
Geld und belastet die Umwelt. „Neue technische<br />
Lösungen sind deshalb dringend<br />
nötig“, sagt Schreckenberg.<br />
Und genau die will jetzt eine Riege von<br />
Start-ups bieten. Ihre wichtigsten Werkzeuge:<br />
Smartphones und Sensoren.<br />
Social Parking nennt sich der Trend, mit<br />
dem unter anderem die Berliner Firma<br />
Parktag die Suche nach Stellplätzen erleichtern<br />
will. Drei Jahre hat Gründer Silvan<br />
Rath an seiner App gefeilt. Zuvor war er<br />
Vertriebsleiter unter anderem beim Netzwerkausrüster<br />
Cisco und dem Online-Auktionshaus<br />
Ebay. Jetzt bereitet er mit seinem<br />
zwölfköpfigen Team den Marktstart vor.<br />
Gerade hat der 33-Jährige dafür eine halbe<br />
Million Euro <strong>vom</strong> halbstaatlichen High-<br />
Tech-Gründerfonds erhalten.<br />
Die Idee: Autofahrer laden sich die App<br />
auf ihr Telefon und registrieren sich samt<br />
Fahrzeug. Sensoren im Smartphone erkennen,<br />
wie schnell sich der Nutzer fortbewegt<br />
und ob er geht, sitzt oder fährt. All das liefert<br />
der Software ausreichend Indizien, um<br />
zu entscheiden, wann ein Fahrzeug seinen<br />
Parkplatz verlässt. Den freigewordenen<br />
Stellplatz zeigt das System den anderen<br />
App-Nutzern auf einer Karte an. Wer Angst<br />
hat, die detaillierten Bewegungsprofile geraten<br />
in fremde Hände, den beruhigt<br />
Rath: „Die Bewegungsdaten verlassen<br />
das Telefon nicht ungewollt.“<br />
Doch wer garantiert dem Autofahrer,<br />
dass der Parkplatz noch frei<br />
ist, wenn er Minuten später in der<br />
Straße ankommt? Auch dieses Problem<br />
will der Gründer gelöst haben.<br />
So zeigt die App an, wenn sich der Besitzer<br />
eines parkenden Autos diesem<br />
nähert und wohl bald wegfahren wird.<br />
Andere Nutzer können sich dann<br />
schon auf den Weg machen. Per Knopfdruck<br />
lassen sich auch Parkplätze reservieren<br />
– und verschwinden dann<br />
von der Karte. Warteschlangen vor freien<br />
Plätzen soll das vermeiden.<br />
PARKEN PER AUKTION<br />
Anhand von Verkehrsstudien hat Rath<br />
die kritische Masse für sein Projekt berechnet.<br />
„Sollen Autofahrer schneller als bisher<br />
einen Parkplatz finden, brauchen wir rund<br />
sechs Prozent der Verkehrsteilnehmer in<br />
einer Stadt“, erklärt er.<br />
Eine Testversion der App haben bisher<br />
immerhin 15 000 Nutzer auf ihr Handy geladen.<br />
Da sie kostenlos ist, setzt der Gründer<br />
auf Lizenzen als Geschäftsmodell. Firmen<br />
können die Parktag-Software gegen<br />
eine Gebühr in ihre Apps oder Navigationssysteme<br />
integrieren. Einige bekannte<br />
Unternehmen arbeiten bereits daran; welche,<br />
darf Rath noch nicht verraten. Will er<br />
sich am Markt durchsetzen, muss er<br />
PARKHÄUSER<br />
Besser stapeln<br />
High Tech soll künftig nicht nur das Parken<br />
am Straßenrand optimieren, sondern<br />
auch in Parkhäusern. Schon jetzt lotsen in<br />
Innenstädten zwischen Kiel und München<br />
Apps wie Parken in Deutschland oder<br />
Parkonaut Autofahrer zu Parkgaragen mit<br />
freien Stellplätzen. Bald begrüßen dort<br />
wohl sogar Roboter die Autofahrer.<br />
Aufgegabelt Parkroboter Ray stellt Autos<br />
im Abstand von wenigen Zentimetern ab<br />
So wie jetzt schon am Flughafen Düsseldorf.<br />
Dort nahm Ende Juni Ray seinen<br />
Dienst auf, der Fahrzeuge zentimetergenau<br />
in 260 Stellplätze bugsiert. Entwickelt hat<br />
den Parkroboter das Transportsystem-<br />
Unternehmen Serva aus Bayern. Autofahrer<br />
stellen ihren Wagen am Eingang ab.<br />
Ray vermisst ihn, hebt ihn an und fährt<br />
ihn zum Platz.<br />
BEI ANKUNFT WARTET DAS AUTO<br />
Der Vorteil: Der Abstand zwischen den<br />
Autos zum Ein- oder Aussteigen fällt weg,<br />
zudem benötigt Ray kaum Platz zum Rangieren.<br />
Die Auslastung soll durch die rund<br />
zwei Millionen Euro teure Investition um<br />
40 Prozent steigen. Auch die Nutzer profitieren:<br />
Ray ist mit den Flughafenrechnern<br />
verbunden und kennt die Ankunftszeiten<br />
seiner Kunden. So kann er den<br />
Wagen pünktlich wieder bereitstellen.<br />
FOTOS: PR (3), PICTURE-ALLIANCE/DPA/EPA/AHMED JALLANZO<br />
68 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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schnell mehr Nutzer gewinnen. Denn die<br />
Konkurrenz ist hart.<br />
Aktuell versucht sich international rund<br />
ein Dutzend Start-ups an Social-Parking-<br />
Apps. Eines davon, MonkeyParking aus Italien,<br />
machte kürzlich Schlagzeilen, weil ein<br />
Richter in San Francisco ihren Einsatz verbot.<br />
Das Geschäftsmodell der Italiener<br />
sieht vor, dass Nutzer per App ihren Parkplatz<br />
am Straßenrand an den Meistbietenden<br />
versteigern. Die Gründer kassierten<br />
Prozente. Der Stadt ging die Vermarktung<br />
des öffentlichen Raums zu weit.<br />
Auch andere Apps wie Parker oder Parkatmyhouse<br />
aus England, zu dessen Investoren<br />
unter anderem BMW zählt, wollen<br />
Parkplätze zu Geld machen. Nutzer vermieten<br />
über die Plattformen freie Flächen,<br />
zum Beispiel in der Einfahrt ihres Grundstücks.<br />
Eine halbe Million User soll die App<br />
weltweit haben. Auch das Schweizer Angebot<br />
Parku zeigt Autofahrern freie Stellplätze<br />
auf dem Handy an. Hier sind es aber Hotels,<br />
Unternehmen oder Kongresszentren,<br />
die Parkmöglichkeiten anbieten. Ein erster<br />
Test läuft derzeit in Berlin.<br />
Kuss des Todes<br />
MEDIZIN | Der dramatische Ebola-Ausbruch in Afrika schürt<br />
die Angst vor der Rückkehr der Seuchen. Zu Recht?<br />
AUGE ÜBER DER STRASSE<br />
Nicht nur mit Apps wollen Start-ups die<br />
Parkplatzsuche erleichtern. Die US-Firmen<br />
Streetline und Streetsmart etwa planen,<br />
Straßenränder mit Sensoren zu spicken.<br />
Die melden übers Internet, wenn ein Platz<br />
frei ist. Doch es ist aufwendig, die Technik<br />
zu installieren. Und ob Städte oder Unternehmen<br />
eine Servicegebühr an die Startups<br />
zahlen, um die Parkinfos zu nutzen,<br />
bleibt abzuwarten. Bisher haben sie nach<br />
eigener Aussage mehrere Tausend Fühler<br />
installiert, vor allem in San Francisco.<br />
Besser und vor allem günstiger als die<br />
Amerikaner will Thomas Hohenacker sein,<br />
Gründer von Schlauerparken aus Starnberg.<br />
Der Medienunternehmer hängt eine<br />
Art Kamera an Hauswände über der Straße<br />
und registriert sogar die Größe freier Parklücken<br />
– bis auf 20 Zentimeter genau. 50 bis<br />
60 Stellplätze kann ein elektronisches Auge<br />
laut Hohenacker abdecken. Dafür würden<br />
die US-Konkurrenten mindestens ebenso<br />
viele Sensoren benötigen. In München und<br />
Hamburg hat er die Technik schon getestet,<br />
demnächst folgt eine Stadt in Hessen. Mit<br />
weiteren Kommunen ist er im Gespräch.<br />
Ob Social Parking per App oder Sensoren<br />
– wer am Ende das Rennen macht, wird<br />
verzweifelten Parkplatzsuchern egal sein.<br />
Hauptsache, der tägliche Kleinkrieg um<br />
den Parkplatz hat ein Ende.<br />
n<br />
benjamin.reuter@wiwo.de<br />
Eskommt wie aus dem Nichts, schlägt<br />
zu und hinterlässt eine Spur des Todes<br />
– Ebola. Der Erreger tötet grausam<br />
und effektiv. Bis zu 90 Prozent der Infizierten<br />
sterben. Die Opfer verbluten innerlich<br />
und äußerlich oder sterben an Organversagen.<br />
1976 erstmals in Zentralafrika<br />
beschrieben, tauchte das Virus immer wieder<br />
auf und verschwand schnell wieder.<br />
Doch jetzt ist alles anders. In Westafrika –<br />
in Guinea, Sierra Leone und Liberia – tobt<br />
die bisher schlimmste Ebola-Epidemie.<br />
Fast 800 Infizierte zählte die Weltgesundheitsorganisation<br />
(WHO), fast 500 von ihnen<br />
starben. Und die Seuche breitet sich<br />
seit Monaten aus, statt wie sonst schon<br />
nach Wochen zusammenzubrechen.<br />
Auch rund 450 Virologen, Ärzte und<br />
Pfleger von WHO und Hilfsorganisationen<br />
ändern nichts. Die Lage sei „außer Kontrolle“,<br />
schlug Bart Janssens, Einsatzleiter von<br />
Ärzte ohne Grenzen, Alarm. Die WHO<br />
fürchtet, dass die Seuche auf Nachbarländer<br />
übergreift. Längst fragen sich viele in<br />
Deutschland, ob das Virus auch afrikanische<br />
Urlaubsgebiete erreicht und wie Geschäftsreisende<br />
sich schützen können.<br />
Fällt Ebola womöglich bald in Europa<br />
ein? Ist die Epidemie Vorbote einer neuen<br />
Ära, in der unbeherrschbare Seuchen wieder<br />
Millionen Opfer fordern, wie die Spanische<br />
Grippe Ende des Ersten Weltkriegs?<br />
Tödliche Skepsis Frauen in Liberia informieren<br />
sich über die dort neue Seuche Ebola<br />
Ebola ist nicht allein. In Saudi-Arabien<br />
grassiert der Atemwegsinfekt MERS<br />
(Middle East Respiratory Syndrome). In<br />
den Tropen infiziert das einst seltene Dengue-Fieber<br />
Millionen Menschen. Und in<br />
China tötet ein Vogelgrippe-Erreger Menschen.<br />
Er könnte sich weiter verändern<br />
und dann rasant ausbreiten.<br />
Ursache dieser Krankheiten sind Viren,<br />
gegen die es bisher kaum wirksame Therapien<br />
gibt. Sollte es zu einem weltweiten<br />
Seuchenzug kommen, einer Pandemie, ist<br />
nicht klar, ob Impfungen und Medikamente<br />
rechtzeitig bereitstehen. Die Pharmaindustrie<br />
investiert kaum noch in den Kampf<br />
gegen Virusinfektionen.<br />
Dazu kommt, dass zumindest „Ebola<br />
nicht das Zeug zur globalen Bedrohung<br />
hat“, beruhigt der Regensburger Infektiologe<br />
Bernd Salzberger. Anders als bei Grippeviren<br />
sei eine Ansteckung von Mensch zu<br />
Mensch nicht über Tröpfchen in der Luft<br />
möglich, sondern nur durch Kontakt mit<br />
Körperflüssigkeiten. Sobald Infizierte typische<br />
Symptome wie hohes Fieber und<br />
Durchfälle zeigen, können Mediziner sie<br />
isolieren und so die Seuche eindämmen.<br />
Die Strategie versagt aber bei Ebola in<br />
Westafrika. Dort misstrauen die Men-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 69<br />
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Technik&Wissen<br />
Knutschen verboten Die arabische Atemwegsepidemie MERS wird von Kamelen übertragen<br />
»<br />
schen westlichen Helfern. Statt sich von<br />
gespenstisch vermummten Ärzten in Isolierzelte<br />
sperren zu lassen, pflegen Angehörige<br />
die Kranken und stecken sich an. Bestattungsriten<br />
tragen zur Virusverbreitung bei:<br />
Verwandte waschen die Verstorbenen und<br />
umarmen sie. Ein Abschiedskuss für den Toten<br />
wird dann schnell zum Todeskuss.<br />
Wie sich bisher schwer heilbare Tropenkrankheiten<br />
durch Verstädterung und<br />
wachsende Mobilität der Menschen ausweiten<br />
können, belegt Dengue. Weltweit in<br />
allen warmen Regionen zu Hause, gefährdet<br />
es nun auch die Menschen in Brasiliens<br />
Großstädten, wo Millionen Einheimische<br />
und Touristen die Fußball-WM genießen.<br />
DIE ERREGER LAUERN IN TIEREN<br />
Wie bei Ebola verursacht das Dengue-Virus<br />
Fieber mit schweren Blutungen. Laut<br />
WHO erkranken etwa 100 Millionen Menschen<br />
pro Jahr daran, 22 000 sterben. Wo,<br />
wie in den Slums der Welt, die Menschen<br />
Trinkwasser in offenen Tonnen sammeln,<br />
haben Dengue-Mücken beste Überlebenschancen.<br />
Gut 300 Menschen schleppen die<br />
Krankheit jährlich nach Deutschland ein.<br />
Aber nicht nur altbekannte Tropenkrankheiten<br />
bereiten Probleme. Gerade<br />
bei den sich schnell genetisch verändernden<br />
Viren entstehen immer wieder neue,<br />
gefährliche Erreger. Das Prinzip ist immer<br />
gleich: Viren, die eigentlich Tiere befallen,<br />
mutieren und schaffen es plötzlich, auf den<br />
Menschen überzuspringen.<br />
So stammt der Erreger der Immunschwäche<br />
Aids <strong>vom</strong> Affen. Ebola haust ei-<br />
gentlich in Fledermäusen und Affen. Grippeviren<br />
kommen von Vögeln und Schweinen.<br />
Und bei MERS stecken Menschen sich<br />
durch engen Kontakt mit Kamelen an.<br />
Das heißt aber: Anfangs ist es schwer für<br />
die Erreger, von Mensch zu Mensch zu<br />
springen. Dann lassen sich Seuchenausbrüche<br />
noch gut eindämmen, erläutert der<br />
Bonner Virologe Christian Drosten am Beispiel<br />
MERS in Saudi-Arabien. Dort stieg die<br />
Zahl der Infektionen drastisch an, weil eine<br />
Klinik in Dschidda die Kranken nicht richtig<br />
isolierte. Pfleger und Angehörige steckten<br />
sich in der Klinik an. Als das Problem<br />
behoben war, ging die Verbreitung zurück.<br />
Einmal ausräuchern Dengue-Stechmücken<br />
gedeihen mitten in Megacitys wie Neu-Dehli<br />
Terrorangst beflügelte<br />
die Suche<br />
nach Gegenmitteln<br />
Mutiert aber einer der Erreger noch weiter,<br />
sodass er schnell von Mensch zu<br />
Mensch springen kann, wird die Sache gefährlich:<br />
Dann haben Ärzte weder Medikamente<br />
noch Impfstoffe zur Hand. Ohnehin<br />
scheut die Pharmaindustrie seit Jahren den<br />
Kampf gegen Viren. Denn sie sind schwer<br />
anzugreifen. Zudem sind etwa Ebola oder<br />
MERS so selten, dass die Industrie mangels<br />
Markt kein Interesse zeigte.<br />
Erst die Sorge, Terroristen könnten Ebola-<br />
oder MERS-Viren gezielt unters Volk<br />
bringen, führte Ende der Neunzigerjahre<br />
zu verstärkter Forschung – finanziert vor<br />
allem von staatlichen Förderprogrammen.<br />
Seither gibt es zumindest einige experimentelle<br />
Impfstoffe und Medikamente:<br />
n Am weitesten ist eine Impfung gegen<br />
Dengue-Fieber, die der deutsch-französische<br />
Hersteller Sanofi-Pasteur entwickelt:<br />
Sie wird an mehr als 20 000 Kindern und<br />
Erwachsenen in Lateinamerika erprobt.<br />
n Gegen das MERS auslösende Coronavirus<br />
aus Kamelen haben Forscher des<br />
deutschen Zentrums für Infektionsforschung<br />
gerade einen Impfstoff erfolgreich<br />
an Tieren erprobt.<br />
n Eine Reihe von Ebola-Impfstoffen wurde<br />
schon an Schimpansen getestet. Denn<br />
auch das Impfen der wild lebenden Affen<br />
wäre ein Ansatz, findet Stephan Günther,<br />
Leiter der Virologie des Bernhard-Nocht-<br />
Instituts (BNI) für Tropenmedizin in Hamburg.<br />
Er zieht den Vergleich zur Tollwut:<br />
„Europa ist weitgehend frei davon durch<br />
die Impfung der Füchse.“<br />
n Besonders vielversprechend könnte der<br />
Wirkstoff Favipiravir sein, den die japanische<br />
Fujifilm-Tochter Toyama Chemical<br />
Company gegen Grippeviren entwickelt<br />
hat. Er steht kurz vor der Marktzulassung<br />
und legt die Vervielfältigung verschiedenster<br />
Viren lahm. Deshalb fasziniert die Substanz<br />
die Forscher weltweit. BNI-Experte<br />
Günther etwa untersucht, wie wirksam Favipiravir<br />
gegen das Lassa-Virus ist, einen den<br />
Ebola-Viren verwandten Seuchenerreger.<br />
Andere Wissenschaftler zeigten, dass der<br />
Wirkstoff Gelbfieber-Erreger und das West-<br />
Nil-Virus stoppt. Sogar gegen Ebola scheint<br />
dieses Medikament Wirkung zu zeigen.<br />
Der Clou daran: Sollte sich die Wirksamkeit<br />
von Favipiravir in weiteren Studien belegen<br />
lassen, wäre das erste Breitband-<br />
Antivirenmittel gefunden. Und an der Vermarktung<br />
solch eines Rundum-Killers, den<br />
Forscher bisher für fast unmöglich hielten,<br />
hätten – natürlich – auch die Pharmakonzerne<br />
lebhaftes Interesse.<br />
n<br />
susanne.kutter@wiwo.de<br />
FOTOS: REUTERS/FAISAL AL NASSER, GETTY IMAGES/AFP/PRAKASH SINGH<br />
70 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Technik&Wissen<br />
VALLEY TALK | Die Welt retten? Klar! Doch die<br />
Probleme vor der eigenen Haustür ignoriert die<br />
High-Tech-Elite. Von Matthias Hohensee<br />
Dürre im Tal<br />
FOTO: JEFFREY BRAVERMAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Die Macher im Silicon Valley präsentieren<br />
sich gern als Wohltäter<br />
der Menschheit, für deren<br />
Erfindergeist und unternehmerisches<br />
Geschick kein Problem der Erde zu<br />
groß ist. Sofern es eine technische Lösung<br />
gibt – und sich ein Geschäft machen lässt.<br />
Das Internet der Dinge etwa, bei dem jeder<br />
Gegenstand mit dem weltweiten Datennetz<br />
verknüpft ist, preisen Konzerne<br />
wie Google, Cisco und General Electric mit<br />
markigen Versprechungen an. Sie wollen<br />
durch intelligentere Steuerung den Energieverbrauch<br />
senken und mit der Ausrüstung<br />
eine Menge Geld verdienen.<br />
Für das größte Problem vor der eigenen<br />
Haustür – den Wassernotstand – interessiert<br />
sich dagegen kaum jemand.<br />
Seit drei Jahren plagt Kalifornien eine<br />
Dürre. Das vergangene Jahr war das trockenste<br />
seit über 100 Jahren. Die Wasserreserven<br />
im Südwesten der USA reichen<br />
nicht für eine stärkere Besiedelung und die<br />
Expansion der Landwirtschaft aus, was spätestens<br />
seit Anfang der Siebzigerjahre klar<br />
ist. Damals mussten die Behörden wegen<br />
lang anhaltender Trockenheit das Wasser<br />
rationieren. Doch immer wenn es am<br />
schlimmsten stand, kam die Natur zur Hilfe.<br />
Zuletzt vor vier Jahren, als mächtige<br />
Stürme für Rekord-Schneemassen in der<br />
Sierra Nevada sorgten. Sie schmelzen im<br />
Sommer und bilden die wichtigste Quelle<br />
für die Wasserreservoirs Nordkaliforniens.<br />
Doch die Genies im Silicon Valley und ihre<br />
Geldgeber lässt dieses Jahrhundertproblem<br />
kalt. Ausnahmen sind einige Eliteforscher<br />
an den Universitäten in Stanford und<br />
Berkeley, die nach besseren Membranen<br />
für Meerwasserentsalzungsanlagen suchen.<br />
Oder der kürzlich <strong>vom</strong> koreanischen<br />
Chemieriesen LG Chem für 200 Millionen<br />
Dollar erworbene Entsalzungsspezialist<br />
NanoH 2 O, den Silicon-Valley-Investoren<br />
und BASF Venture Capital finanziert hatten.<br />
Die Zurückhaltung der Wagnisfinanzierer<br />
hat mehrere Gründe. Ihnen ist der Markt oft<br />
zu klein – beispielsweise bei effizienteren<br />
Bewässerungssystemen für die Landwirtschaft.<br />
Oder zu langwierig, etwa wenn es<br />
um das Wiederverwenden von Wasser geht.<br />
Und zu riskant, vor allem weil Politik im<br />
Spiel ist. Wer als Investor im vergangenen<br />
Jahrzehnt auf Umwelttechnik setzte, verbrannte<br />
sich meist die Finger. Und musste<br />
zusehen, wie andere mit sozialen Netzwerken<br />
und Smartphone-Apps bei überschaubarem<br />
Einsatz Milliarden scheffelten.<br />
SELBST WASSERZÄHLER FEHLEN<br />
Ein Geschäft wird sich nur machen lassen,<br />
wenn die Wasserpreise steigen – was kaum<br />
für Sympathien sorgt. Die Wasserdistrikte in<br />
Kalifornien sind zersplittert und werden von<br />
Lokalpolitikern verwaltet. Selbst wenn jemand<br />
wie WaterSmart Software aus San<br />
Francisco eine typische Silicon-Valley-<br />
Lösung anbietet, um per Internet den Wasserverbrauch<br />
zu überwachen, funktioniert<br />
das nicht flächendeckend. In der Landeshauptstadt<br />
Sacramento verfügt gerade die<br />
Hälfte der Haushalte über eine Wasseruhr.<br />
Die anderen werden pauschal abgerechnet;<br />
aus Furcht vor steigenden Preisen haben<br />
sie kein Interesse daran, ein Messgerät<br />
zu bekommen. Erst 2025 muss Kalifornien<br />
flächendeckend mit ihnen ausgestattet<br />
sein. Haushalte verbrauchen aber auch nur<br />
20 Prozent des Wassers, auf Landwirtschaft<br />
und Industrie entfallen 80 Prozent.<br />
Bleiben neben der Aufbereitung von<br />
Brauchwasser vor allem Meerwasserentsalzungsanlagen<br />
entlang des Pazifiks. 2016<br />
soll eine riesige Anlage südlich von Los Angeles<br />
in Betrieb gehen, fürs Silicon Valley<br />
werden noch Standorte gesucht.<br />
Trotz aller technischen Fortschritte sind<br />
die Anlagen im Schnitt dreimal so teuer wie<br />
aus dem Südwesten herangepumptes Wasser.<br />
Solange es noch etwas zu pumpen gibt.<br />
Auf die Natur kann das Silicon Valley in<br />
diesem Jahr nicht hoffen. Das mit viel Spannung<br />
für den Winter erwartete Klimaphänomen<br />
El Niño wird laut derzeitigen Prognosen<br />
nur wenig Regen bringen.<br />
Der Autor ist WirtschaftsWoche-Korrespondent<br />
im Silicon Valley und beobachtet<br />
von dort seit Jahren die Entwicklung der<br />
wichtigsten US-Technologieunternehmen.<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 73<br />
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Management&Erfolg<br />
Meckern? Ja, bitte!<br />
BESCHWERDEMANAGEMENT | Sie haben unzufriedene Kunden? Gut – so haben<br />
Sie die Chance auf Wiedergutmachung. Wie Unternehmen aus Beschwerden lernen<br />
und daraus sogar noch Profit schlagen können.<br />
Quengelnde Kunden<br />
In diesen Branchen beschweren sich die<br />
meisten Konsumenten<br />
24,7 %<br />
13,4 %<br />
12,6 %<br />
12,0 %<br />
10,6 %<br />
Quelle: Kundenmonitor Deutschland<br />
Mobilfunkanbieter<br />
Internet-Anbieter<br />
Elektrogeräte-Online-Shops<br />
Möbelhäuser<br />
Lebensmittelmärkte<br />
ken wir, dass die Kunden unsere Mühen zu<br />
schätzen wissen.“<br />
Einmal im Monat wertet der 52-Jährige alle<br />
Mängel, die in seinem Haus beanstandet<br />
wurden, aus – und musste dabei zuletzt feststellen,<br />
dass 14 Gäste im Mai Ärger mit ihren<br />
Fernsehern hatten. Keilbar reagierte sofort.<br />
Jetzt überprüfen die Zimmermädchen bei<br />
jeder Reinigung, ob die TV-Geräte auch<br />
funktionieren. „Jede Beschwerde ist für uns<br />
kostbar“, sagt Carsten Richter, zuständig für<br />
das Qualitätsmanagement aller 87 Ibis Hotels<br />
in Deutschland. „Aus den Rückmeldun-<br />
Erst ging es fast drei Stunden mit<br />
dem Zug nach Süden, dann jagte<br />
ab halb zehn Uhr morgens ein<br />
Termin den nächsten, Kunde<br />
reihte sich an Kunde. Zwischendurch<br />
baten Kollegen per Mobiltelefon um<br />
Rat oder schickten E-Mails: Hinter dem<br />
Gast von Zimmer 623 liegt ein anstrengender<br />
Arbeitstag. Abends in seinem Hotelzimmer<br />
angekommen, 300 Kilometer von<br />
der Familie entfernt, will er einfach nur<br />
noch die Füße hochlegen und ein paar<br />
Stunden fernsehen. Er greift zur Fernbedienung,<br />
drückt auf den Einschaltknopf –<br />
aber nichts passiert, das Gerät streikt.<br />
Genervt ruft er an der Rezeption an.<br />
Dort nimmt Jessica Celik seinen Anruf<br />
entgegen. Für die Empfangsleiterin im Ibis<br />
Hotel am Düsseldorfer Hauptbahnhof beginnt<br />
nun der Countdown: In spätestens<br />
einer Viertelstunde muss das Problem von<br />
Zimmer 623 gelöst sein – so verspricht es<br />
die Hotelkette ihren Gästen. „Innerhalb<br />
von 15 Minuten lösen wir jedes Problem,<br />
für das wir verantwortlich sind“, heißt es<br />
auf einem Flyer, der auf dem Hotelbett<br />
liegt. „Und falls das einmal nicht gelingt,<br />
laden wir Sie natürlich auf die entsprechende<br />
Leistung ein.“ Um dieses Versprechen<br />
einzuhalten, hat sich das Beschwerdemanagement<br />
der Hotelkette einiges<br />
einfallen lassen. So muss Jessica Celik nur<br />
eine versteckte Schranktür hinter der Rezeption<br />
öffnen – dort lagern neue Batterien,<br />
stets griffbereit für Notfälle wie den in<br />
Zimmer 623.<br />
Doch nicht nur für defekte Fernbedienungen<br />
hat das Ibis-Personal schnelle Lösungen<br />
parat: Beschwert sich der Gast etwa<br />
über ein zu flaches Kopfkissen oder fordert<br />
eine zweite Decke, müssen die Angestellten<br />
nur die Treppe in den ersten Stock<br />
nehmen, um in einem extra Lagerraum<br />
frisch bezogene Bettwäsche zu finden.<br />
Stimmt beispielsweise etwas mit der Elektrik<br />
oder der Klimaanlage nicht, steht ein<br />
Haustechniker auf Abruf bereit.<br />
„Wir fragen bei jedem Check-out noch<br />
einmal nach, ob das Problem zur Zufriedenheit<br />
des Gastes gelöst wurde“, sagt Thomas<br />
Keilbar, Manager des Ibis Hotels in<br />
Düsseldorf. „Am positiven Feedback mergen<br />
unserer Kunden lernen wir viel und<br />
können unseren Service verbessern.“<br />
Richter und sein Team zeigen, was ein<br />
professionelles Beschwerdemanagement<br />
bewirken kann: Aus einem Kunden, der<br />
vielleicht nie mehr in einem Ibis Hotel<br />
übernachten wollte, wird ein zufriedener<br />
Gast, der gerne wiederkommt. Ein wertvolles<br />
Gut, denn gerade in Zeiten stagnierender<br />
Märkte sind bestehende Kunden überlebenswichtig:<br />
Laut einer Konsumenten-<br />
Studie der amerikanischen Regierung ist es<br />
sechs bis sieben Mal teurer, einen neuen<br />
Kunden zu gewinnen, als einen bestehenden<br />
zu halten.<br />
EINE SCHATZTRUHE VOLLER INFOS<br />
So verfügt etwa jeder Mitarbeiter in einem<br />
Ritz-Carlton-Hotel über eine Summe von<br />
2000 Dollar, die er sofort und ohne Absprache<br />
mit dem Vorgesetzen für die Zufriedenheit<br />
seines Gastes aufwenden kann.<br />
Bei Henkel sitzen ausgebildete Friseure an<br />
der Service-Hotline für Haarpflegeprodukte,<br />
damit sie unzufriedenen Kunden sofort<br />
mit fachkundigen Rat helfen können. Die<br />
Fast-Food-Kette McDonald’s hat mit<br />
fragmcdonalds.de sogar extra eine eigene<br />
Web-Plattform gegründet, um auf die zahlreichen<br />
Fragen und Beschwerden ihrer<br />
Kunden zum Thema Essen unkompliziert<br />
und schnell reagieren zu können.<br />
„Beschwerden sind eine Schatztruhe für<br />
Unternehmen, die es zu öffnen gilt“, sagt<br />
Dirk Nonnenmacher von der Unternehmensberatung<br />
Hogreve & Cie., die sich auf<br />
das Thema spezialisiert hat. Hinzu kommt:<br />
Ein unzufriedener Konsument spricht laut<br />
einer Studie des Instituts für Marketing and<br />
Consumer Research der Wirtschaftsuni-<br />
ILLUSTRATION: FRANCESCO BONGIORNI<br />
74 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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versität Wien im Schnitt mit zehn weiteren<br />
Personen über sein Erlebnis.<br />
Das allein kann schon rufschädigend für<br />
ein Unternehmen sein – doch teilt der Mecker-Kunde<br />
seinen Unmut nicht nur mit<br />
dem örtlichen Stammtisch, sondern auch<br />
mit seinen Followern auf Facebook und<br />
Co., können aus den zehn Personen<br />
schnell Hunderttausende werden. Allein<br />
Twitter hat weltweit mehr als 250 Millionen<br />
Mitglieder – durch diese enorme Reichweite<br />
verleihen die sozialen Medien dem Konsumenten<br />
eine nie da gewesene Macht.<br />
»Beschwerden<br />
sind eine Schatztruhe<br />
für Unternehmen,<br />
die es zu<br />
öffnen gilt«<br />
Dirk Nonnenmacher<br />
Was passieren kann, wenn ein Unternehmen<br />
unzufriedene Kunden einfach ignoriert,<br />
zeigt das Beispiel von Hasan Syed.<br />
British Airways verschluderte Ende 2013<br />
auf einem Paris-Flug das Gepäck von Syeds<br />
Vater. Nachdem der Brite zwei Tage lang auf<br />
eine Antwort wartete, entschloss er sich,<br />
seinem Ärger auf einem ungewöhnlichen<br />
Weg Luft zu machen: Er kaufte einen sogenannten<br />
gesponserten Tweet bei Twitter –<br />
also eine Nachricht, die normalerweise nur<br />
von Firmenkunden genutzt wird, um ihre<br />
Werbebotschaft möglichst prominent<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 75<br />
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Management&Erfolg<br />
»<br />
auf Twitter zu platzieren – eine Privatperson<br />
hatte diese Möglichkeit bis dato noch<br />
nicht genutzt.<br />
Hasan Syeds knappe Botschaft: „Fliegt<br />
nicht mit British Airways. Ihr Kundenservice<br />
ist schrecklich.“ Diese 67 Zeichen lange<br />
Nachricht wurde an alle der rund 300 000<br />
Personen gesendet, die der Fluggesellschaft<br />
zu diesem Zeitpunkt auf ihren zwei Twitter-<br />
Kanälen folgten. Es dauerte nicht lange, bis<br />
sich auch andere Nutzer mit ihren negativen<br />
Erfahrungen meldeten und so einen<br />
gewaltigen Shitstrom in Gang setzten. Für<br />
die Airline war das eine Katastrophe. „Vielfach<br />
mangelt es bis heute an dem Verständnis<br />
von Beschwerden als größte Chance für<br />
Wachstum“, sagt Bernd Stauss, der viele Jahre<br />
an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt<br />
zu dem Thema lehrte. Denn<br />
schließlich können Beschwerden die Kundenloyalität<br />
sichern, die Verbesserung von<br />
Produkten und Dienstleistungen gewährleisten<br />
und Fehlerkosten senken.<br />
Doch dieser Grundsatz hat bislang nur in<br />
wenigen Unternehmen Einzug gehalten.<br />
Denn dahinter steht häufig nicht weniger<br />
als ein Paradigmenwechsel für die Mitarbeiter<br />
wie auch für das Management. Denn<br />
es gilt, eine Beschwerde nicht als Angriff,<br />
sondern als Chance zur Wiedergutmachung<br />
zu begreifen. Dass dieser Weg mühsam<br />
und lang sein kann, musste auch die<br />
Allianz-Versicherung feststellen.<br />
DAS PROBLEM MIT DEM MARDER<br />
Ein Marderbiss ist für Autobesitzer eine ärgerliche<br />
Sache – doch in den meisten Fällen<br />
klappt die Bearbeitung des Schadens problemlos.<br />
Die Kosten für die Reparatur werden<br />
fast komplett von der Teilkaskoversicherung<br />
übernommen. Aber eben nur fast.<br />
Um die kaputten Schläuche auswechseln<br />
zu können, muss die Werkstatt zunächst<br />
das Kühlwasser ablassen. Nach der Reparatur<br />
wird die fehlende Flüssigkeit einfach<br />
wieder aufgefüllt. Doch für den Ersatz bestand<br />
kein Versicherungsschutz, denn das<br />
Kühlwasser muss von Zeit zu Zeit <strong>vom</strong> Versicherungsnehmer<br />
selbst ausgewechselt<br />
werden. „Die Kosten für die ausgelaufene<br />
Kühlflüssigkeit nicht zu ersetzen war rechtlich<br />
zwar einwandfrei“, sagt Joachim Zäch,<br />
Leiter des zentralen Beschwerdemanagements<br />
der Allianz-Versicherung. „Aber bei<br />
den Kunden löste diese Regelung regelmäßig<br />
Unverständnis aus.“<br />
Und so landeten in den letzten Jahren<br />
365 Beschwerden zum Thema Kühlflüssigkeit<br />
auf seinem Schreibtisch – aus seiner<br />
Sicht zu viele. Und deshalb wurde es ein<br />
Thema für die nächste Beschwerdekonferenz.<br />
Achtmal im Jahr setzen sich Zäch und<br />
die Abteilungsleiter der verschiedenen<br />
Versicherungssparten, des Kundenservices<br />
sowie der Unternehmenskommunikation<br />
einen Tag lang zusammen. Das Ziel dieser<br />
Treffen: Probleme lösen, die bei den Kunden<br />
für Unmut gesorgt haben – wie zum<br />
Beispiel die Kühlflüssigkeit beim Marderbiss.<br />
Vier Monate und einige Abstimmungsrunden<br />
mit der Vertragsabteilung<br />
und dem Vertrieb später bekamen bereits<br />
die ersten Kunden ihre Flüssigkeit bezahlt.<br />
„Früher sahen viele Sachbearbeiter eine<br />
Beschwerde als Angriff“, sagt Joachim<br />
Zäch. „Wir haben ihnen klargemacht, dass<br />
sie durch eine Beschwerde nicht schlecht<br />
dastehen, sondern wir nur an einer Lösung<br />
für den Kunden interessiert sind.“<br />
»Unser Service<br />
wird durch die<br />
Beschwerden der<br />
Kunden besser«<br />
Joachim Zäch<br />
Dass so etwas heute überhaupt funktioniert,<br />
liegt auch an Markus Rieß. Der<br />
48-Jährige wurde 2010 zum Vorstandsvorsitzenden<br />
der Allianz Deutschland gewählt<br />
und verordnete dem Unternehmen einen<br />
radikalen Wechsel im Umgang mit unzufriedenen<br />
Kunden. 2011 reformierte Rieß<br />
das Beschwerdemanagement und siedelte<br />
es direkt unterhalb der Chefetage an. „Dass<br />
der Vorstand das Thema unterstützt, ist essenziell“,<br />
sagt Michael Kolbenschlag, Experte<br />
für Beschwerdemanagement bei der<br />
Unternehmensberatung Rödl & Partner.<br />
„Nur so wird auch den Mitarbeitern die<br />
Wichtigkeit dieses Aspekts deutlich.“<br />
SMILEYS AUF FRÜHSTÜCKSEIER<br />
Um diesen Grundsatz in den Köpfen der<br />
Mitarbeiter zu verankern, setzt die Allianz<br />
auf besondere Schulungsformate. Zum Beispiel<br />
lädt die Versicherung regelmäßig Experten<br />
aus anderen Branchen zu Vorträgen<br />
ein. Wie etwa den Hotelier Bernd Reutemann,<br />
der seine Gäste immer wieder überraschen<br />
möchte – und so seine Mitarbeiter<br />
schon einmal Smileys auf alle Frühstückseier<br />
malen lässt. Oder der bekannte Münchner<br />
Pfarrer Rainer Maria Schießler, der über<br />
seine Arbeit mit Hinterbliebenen und Angehörigen<br />
sprach und die Allianz-Mitarbeiter<br />
vor künstlichem Mitgefühl warnte. Stattdessen<br />
sollten sie lieber ihr Handeln genau<br />
erklären, auf Augenhöhe mit den Kunden<br />
kommunizieren und Verständnis zeigen.<br />
Und manchmal mischen sich die Allianz-Mitarbeiter<br />
auch einfach selbst unters<br />
Volk – zum Beispiel als Kaufinteressenten<br />
eines E-Bikes oder als Restaurantgäste.<br />
Wann fühle ich mich gut behandelt? Was<br />
empfinde ich als schlechten Service? „Aus<br />
diesem Perspektivwechsel haben wir viel<br />
gelernt“, sagt Zäch. Kunden werden seitdem<br />
am Anfang eines Gespräches nicht<br />
mehr als Erstes nach ihrer Versicherungsnummer<br />
gefragt, sondern nach ihrem Anliegen.<br />
Und sie erhalten regelmäßig Rückmeldung,<br />
wie weit die Bearbeitung ihrer<br />
Beschwerde gediehen ist.<br />
BESCHWERDEN VERDOPPELT<br />
Um den Mitarbeitern zu zeigen, wofür ihre<br />
Bemühungen gut sind, stellt Zäch alle sechs<br />
Wochen eine Erfolgsgeschichte ins Intranet.<br />
Wie zum Beispiel die Vertragsänderung im<br />
Fall des Marderbisses. „Unser Service wird<br />
durch die Beschwerden der Kunden besser“,<br />
sagt Zäch. Um noch mehr Rückmeldungen<br />
von ihren Versicherten zu bekommen, können<br />
sich unzufriedene Allianz-Kunden<br />
mittlerweile per Mail, Brief oder telefonisch<br />
an das Unternehmen wenden. Sie werden<br />
direkt an den zuständigen Sachbearbeiter<br />
weitergeleitet. 66 Prozent aller Beschwerden<br />
lassen sich sofort am Telefon klären,<br />
schätzt Manager Zäch. Alle anderen sollten<br />
nach spätestens fünf Tagen geklärt sein –<br />
denn die Bearbeitungsdauer ist entscheidend.<br />
„Die Ansprüche der Kunden steigen<br />
mit der Wartezeit“, sagt Unternehmensberater<br />
Nonnenmacher von Hogreve & Cie.<br />
Der Aufwand des Beschwerdemanagements<br />
scheint sich zu lohnen: Seit der Einführung<br />
im Jahr 2011 hat sich die Anzahl<br />
der Beschwerden bei der Allianz mehr als<br />
verdoppelt: Pro Jahr melden sich nun um<br />
die 200 000 verärgerte Versicherte, die vorher<br />
vielleicht ihren Unmut für sich behalten<br />
hätten. Trotzdem will Zäch künftig<br />
noch besser auf Probleme eingehen, die<br />
nur einige wenige Versicherte betreffen.<br />
Wie etwa im Fall eines Kunden der Unfallversicherung,<br />
der seinen Sachbearbeiter<br />
anrief, um ihm mitzuteilen, dass er Vater<br />
geworden sei. Kinder sind im ersten Lebensjahr<br />
kostenlos über die Eltern mitversichert,<br />
der Sachbearbeiter benötigte also<br />
lediglich einen Nachweis über die Geburt,<br />
um den Vertrag anzupassen. Ein paar Tage<br />
ILLUSTRATION: FRANCESCO BONGIORNI<br />
76 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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später lag eine Adoptionsurkunde auf seinem<br />
Schreibtisch – laut Vertrag sind aber<br />
nur leibliche Kinder versichert. Eigentlich<br />
hätte der Sachbearbeiter dem Kunden eine<br />
Absage erteilen müssen. Doch stattdessen<br />
meldete er sich bei Zächs Team. Folge:<br />
Mittlerweile sind auch nicht leibliche Kinder<br />
in dem Vertrag aufgenommen.<br />
TIPPEN, KLICKEN, MECKERN<br />
In vielen Branchen beschweren sich nur<br />
vier Prozent aller unzufriedenen Kunden.<br />
Die restlichen 96 Prozent behalten ihren<br />
Unmut für sich. Aber: „Aus solchen Erfahrungen<br />
ziehen Kunden Konsequenzen“,<br />
sagt Bernd Stauss. „Sie kündigen innerlich<br />
und wählen beim nächsten Kauf ein Konkurrenzangebot.“<br />
Rund 86 Prozent der<br />
Kunden beenden laut einer Studie des<br />
Marktforschungsinstituts Harris Interactive<br />
ihre Geschäftsbeziehung nach einer<br />
negativen Erfahrung. „Vielen Kunden ist<br />
der Aufwand zu hoch, sie haben keine Lust<br />
auf eine Auseinandersetzung mit dem Unternehmen,<br />
weil das mit Frust und Stress<br />
verbunden ist“, sagt Experte Stauss. „Der<br />
Kunde muss erkennen, dass Meckern erwünscht<br />
ist.“ Doch wie können Unternehmen<br />
das signalisieren? Zum Beispiel, indem<br />
sie es den Kunden besonders einfach<br />
machen, sich zu beschweren.<br />
Wie etwa Tammo Kayser. Der Chef der<br />
Freese Gruppe, eines BMW-Händlers aus<br />
Norddeutschland, hat in jedem Eingangsbereich<br />
seiner fünf Filialen einen zwei Meter<br />
hohen Banner aufstellen lassen. Die<br />
Aufschrift: Zufrieden? Lob und Kritik direkt<br />
ans Management. Darunter ein QR-<br />
Code. Neben den Bannern steht in jeder Filiale<br />
noch ein iPad auf einem Sockel. Nach<br />
nur wenigen Klicks ist die Meckerpost abgeschickt.<br />
Und die landet bei Tammo Kayser.<br />
Der Autohändler nutzt die Software namens<br />
iFeedback schon seit drei Jahren. „Es<br />
sind die vielen kleinen Dinge, die für den<br />
Kunden den Unterschied zum Wettbewerb<br />
ausmachen“, sagt er.<br />
Und die fallen nicht immer so aus, wie<br />
man sie erwarten könnte: So erreichten<br />
Kayser die meisten Beschwerden über<br />
durchgessene Sessel in der Kundenecke.<br />
Ein Thema, das er gar nicht auf dem Zettel<br />
hatte – welcher Chef setzt sich schon in den<br />
eigenen Wartebereich?<br />
Entwickelt haben das mobile Beschwerde-Terminal<br />
nebst App Alexander Bauer<br />
und sein Geschäftspartner Stefan Muth.<br />
Die Idee zu iFeedback kam ihnen, als die<br />
beiden noch als Unternehmensberater bei<br />
der Telekom-Tochter Detecon arbeiteten.<br />
2010 gründeten sie ihre Firma BHM als<br />
Spin-off des Kommunikationskonzerns.<br />
Mittlerweile nutzen bekannte Unternehmen<br />
wie Rewe, Metro und der Hamburger<br />
SV ihre Terminals, QR-Codes und Apps.<br />
Die Supermarktleiter oder Clubbetreiber<br />
bekommen die Beschwerden ihrer Kunden<br />
in Echtzeit auf das Smartphone geschickt.<br />
Eine große Chance: Sie können sofort<br />
reagieren – entweder indem sie die<br />
Mängel beseitigen oder den unzufriedenen<br />
Kunden noch vor Ort besänftigen. „Es<br />
gibt nichts Besseres, als die ganze Zeit zu<br />
wissen, was meine Käufer denken“, sagt<br />
Bauer.<br />
So geschehen in einer niederländischen<br />
Dependance der Großhandelskette Metro.<br />
Vor dem Eingang steht eines der iFeedback-Terminals,<br />
dort tippte sich ein Käufer<br />
nach seinem Einkauf den Ärger von der<br />
Seele. Der Marktleiter bekam die Nachricht<br />
zugeschickt und holte ihn noch auf dem<br />
Parkplatz ein – so konnte er sich für die Unannehmlichkeiten<br />
entschuldigen und den<br />
verärgerten Kunden sogar wieder zurück<br />
in den Laden locken.<br />
BEQUEME KISSEN STATT BÄDER<br />
Solche Geschichten hört Bauer oft von seinen<br />
Kunden. So wollte ein Hotelbesitzer<br />
aus Österreich 800 000 Euro in neue Bäder<br />
investieren. Doch sein Direktor stellte anhand<br />
der Rückmeldungen der Gäste fest,<br />
dass sich kein einziger Gast an den Bädern<br />
gestört hatte. Die meisten ärgerten sich<br />
über unbequeme Kopfkissen. Daraufhin<br />
verzichtete der Hotelier auf den langwierigen<br />
Umbau und investierte stattdessen in<br />
neue Bettwäsche. „Je offensiver ein Unternehmen<br />
mit dem Thema umgeht, desto erfolgreicher<br />
ist es“, sagt Bauer. Das bestätigt<br />
auch eine Studie der Universität von Maryland:<br />
Die Forscher stellten fest, dass ein<br />
Serviceversprechen, wie zum Beispiel die<br />
15-Minuten-Garantie von Ibis, einen positiven<br />
Effekt auf den Börsenwert hat.<br />
Doch der Gast von Zimmer 623 möchte<br />
nach einem langen, stressigen Tag einfach<br />
nur fernsehen. Und das kann er genau<br />
zehn Minuten nach seinem Anruf an der<br />
Rezeption auch – Versprechen eingehalten.<br />
Beim Check-out am nächsten Morgen<br />
fragt ihn Jessica Celik, ob er zufrieden war.<br />
Die Antwort überträgt sie später in ihre Beschwerdetabelle:<br />
einen Smiley.<br />
n<br />
lin.freitag@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 77<br />
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Management&Erfolg<br />
»Einfach keine Zeit«<br />
INTERVIEW | Stefan Heissner Warum es Hochstapler bei Unternehmen<br />
leicht haben. Und was der EY-Sicherheitsexperte gegen Betrüger rät.<br />
Herr Heissner, am Berliner Flughafen<br />
wurde der angebliche Ingenieur Alfredo<br />
di Mauro, 52, als Hochstapler enttarnt:<br />
Er betreibt zwar zwei Ingenieurbüros und<br />
führt den Titel auch auf seiner Visitenkarte,<br />
ist aber tatsächlich nur technischer<br />
Zeichner. Ihn macht BER-Chef Hartmut<br />
Mehdorn für den Millionenschaden durch<br />
seine funktionsuntüchtige Brandschutzanlage<br />
verantwortlich. Warum blieb dieser<br />
Betrug acht Jahre lang unentdeckt?<br />
Di Mauro sagt, ihn habe einfach nie jemand<br />
nach seinem Hochschulabschluss<br />
gefragt – so etwas beobachte ich ständig.<br />
Sind Chefs gegenüber Bewerbern generell<br />
zu vertrauensselig?<br />
Offenbar.<br />
Warum fühlen Vorgesetzte Bewerbern<br />
nicht auf den Zahn?<br />
Weil sie bei der Auftragsvergabe oder im<br />
Bewerbergespräch kein Misstrauen schüren<br />
oder die Gesprächsatmosphäre zerstören<br />
wollen. Und weil sie das Risiko ausblenden,<br />
auf Hochstapler hereinzufallen.<br />
Dabei sind die Folgen solcher Situationen<br />
oft genauso dramatisch wie bei Kapitalanlagebetrug<br />
oder einem Unternehmenskauf:<br />
Jemand schönt Fakten, täuscht falsche<br />
Qualitäten vor oder verkauft etwas<br />
unter Vorspiegelung falscher Tatsachen. Es<br />
ist schon schräg, wenn Unternehmen Unmengen<br />
von Geld für die Sicherheit der Firmen<br />
ausgeben, aber gleichzeitig die Flanke<br />
so offen halten.<br />
Was raten Sie denn solch leichtsinnigen<br />
Kunden?<br />
Man sollte Bewerbern sehr deutlich machen,<br />
dass gegenseitiges Vertrauen wichtig<br />
ist. Dass der Kandidat bei einem namhaften<br />
Unternehmen anfangen will. Und dass<br />
dieses Unternehmen, das einem Bewerber<br />
regelmäßig Gehalt überweist, auch das<br />
Recht hat, über ihn Bescheid zu wissen.<br />
Dass man deshalb seine Angaben prüfen<br />
will und dafür eine entsprechende Vereinbarung<br />
mit ihm trifft. Nach seiner Einwilligung<br />
schickt man dann seine Zeugnisse an<br />
DER SPÜRHUND<br />
Heissner, 47, ist Kriminologe und hat bei<br />
EY seit 2006 als Leiter die Abteilung Wirtschaftskriminalität<br />
mit 130 Mitarbeitern in<br />
Deutschland sowie weiteren 270 in Österreich,<br />
der Schweiz, Zentral- und Südosteuropa<br />
sowie den GUS-Staaten aufgebaut.<br />
die jeweiligen Aussteller und lässt sich bestätigen,<br />
dass die Originalzeugnisse so aussehen.<br />
Dass nicht mal Beglaubigungen schützen,<br />
musste selbst die Kanzlei Clifford Chance<br />
lernen, in die sich ein Junganwalt mit<br />
frisierten Examensnoten eingeschlichen<br />
und die Beglaubigung gleich mit gefälscht<br />
hatte. Der fiel jedoch den Kollegen auf –<br />
wegen seiner mangelnden Kenntnisse.<br />
Hocheffizient sind Referenzanrufe bei früheren<br />
Chefs oder Ex-Kollegen. Das gilt für<br />
direkte Vorgesetzte ebenso wie für Auftraggeber<br />
– sie müssen die Angaben der Bewerber<br />
und Auftragnehmer überprüfen und<br />
sich auch deren Vergangenheit ansehen.<br />
Schummler di Mauro beispielsweise hatte<br />
2002 bei einem Ärztezentrum in Offenbach<br />
schon einmal so teure Planungsfehler verursacht,<br />
dass die Gesellschaft dadurch fast<br />
in die Pleite getrieben wurde. Di Mauro<br />
wurde verklagt und musste Schadensersatz<br />
bezahlen.<br />
Welche Alternative empfehlen Sie, falls<br />
die direkte Kontaktaufnahme zu lange<br />
dauert?<br />
Man kann auch mal ein polizeiliches Führungszeugnis<br />
einfordern. Das hätte manchen<br />
Fall, den wir zu sehen bekommen,<br />
verhindert. Durch Outsourcing und Leiharbeitereinsätze<br />
in großem Stil geben Unternehmen<br />
heute immer mehr Kontrolle<br />
aus der Hand und erhöhen selbst ihre Risiken.<br />
Dabei fänden sich viele Hinweise<br />
allein durch eine vergleichsweise simple<br />
Internet-Recherche.<br />
Nach Erkenntnissen des Recruiting-<br />
Experten Staufenbiel checkt aber nur<br />
jedes zehnte Unternehmen die<br />
Bewerber in sozialen Netzwerken.<br />
In Berufsnetzwerken wie Xing ist es – anders<br />
als bei Facebook, wo man nur an Informationen<br />
rankommt, wenn man offensiv<br />
und offensichtlich mit den Bewerbern in<br />
Kontakt tritt – erlaubt, sich deren Profile<br />
anzusehen. Aber viele Checks oder Recherchen<br />
in Datenbanken unterbleiben<br />
schlicht, weil die zuständigen Manager sich<br />
keine Zeit dafür nehmen.<br />
Sie vertrauen also blind?<br />
Durchaus, besonders, wenn Aufträge ins<br />
Ausland vergeben werden. Dass ein Geschäftsführer<br />
vor Ort oder seine Frau in Interessenkonflikte<br />
geraten, weil sie Anteile<br />
an Wettbewerbern halten oder gerade dabei<br />
sind, sich parallel dazu eine eigene Firma<br />
aufzubauen, der sie über ihren neuen<br />
Arbeitgeber ständig Aufträge zuschanzen<br />
und ganze Prozesse dahin auslagern, habe<br />
ich sehr oft gesehen. Da riskieren Unternehmer,<br />
vor lauter Outsourcen irgendwann<br />
nur noch eine wertlose Hülle zu haben<br />
– statt einer ehemals funktionierenden<br />
Produktion.<br />
Was hilft außer langwierigen Recherchen?<br />
Vorbild sein. Kümmert sich der Chef selbst<br />
nicht um Details, schaut er sich keine Dokumente<br />
an und fragt nicht, auf welcher<br />
Basis Mitarbeiter Entscheidungen treffen,<br />
braucht er sich nicht zu wundern, wenn<br />
solche Pannen passieren, die Millionenschäden<br />
nach sich ziehen.<br />
n<br />
claudia.toedtmann@wiwo.de<br />
»Chefs blenden das Risiko, auf Betrüger reinzufallen, aus«<br />
FOTO: PR<br />
78 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse<br />
Steuern runterfahren<br />
ERBEN UND VERERBEN | Das Bundesverfassungsgericht entscheidet demnächst,<br />
wie vererbtes Betriebsvermögen zu versteuern ist. Möglicherweise wird es<br />
auch neue Regeln für Privatvermögen geben. Was Familien jetzt schon tun können,<br />
um Streit zu vermeiden und Erbschaftsteuer zu sparen.<br />
Die Bundesregierung bremst<br />
Wolfgang Porsche aus. Der<br />
Porsche-Erbe wollte seine in<br />
einer GmbH geparkten Unternehmensanteile<br />
von Deutschland<br />
nach Österreich bringen. Bisher wurden<br />
die Steuern auf Kursgewinne bei<br />
Volkswagen- oder Porsche-Aktien wegen<br />
des GmbH-Mantels <strong>vom</strong> deutschen Fiskus<br />
gestundet. Zudem fällt in Österreich keine<br />
Erbschaftsteuer an. Auch das Porsche-Erbe<br />
wäre somit steuerfrei geblieben. Porsche<br />
selbst hatte sein Steuersparmodell<br />
von den Finanzbehörden prüfen lassen.<br />
Jetzt will die große Koalition die Steuergesetze<br />
so ändern, dass sich Betriebsvermögen<br />
nicht ins Ausland schaffen lässt, ohne<br />
zuvor die darin enthaltenen Gewinne zu<br />
versteuern. Die neuen Regeln sollen rückwirkend<br />
zum 1. Januar <strong>2014</strong> gelten.<br />
ERBSCHAFTSTEUER SPRUDELT<br />
Nicht nur bei Milliardären schaut der Fiskus<br />
genau hin. Immerhin vererben die<br />
Deutschen jedes Jahr etwa 250 Milliarden<br />
Euro. Die Steuer geht an die Bundesländer.<br />
Von Januar bis Mai nahmen sie 2,3 Milliarden<br />
Euro ein, rund 29 Prozent mehr als im<br />
Vorjahreszeitraum. Es könnte noch deutlich<br />
mehr werden: Am 8. Juli verhandelt<br />
das Bundesverfassungsgericht darüber, ob<br />
der Steuernachlass für Mittelständler, die<br />
Unternehmen vererben, verfassungswidrig<br />
ist. Ein Urteil wird im Herbst erwartet. Die<br />
Richter könnten zudem auch die Steuerregeln<br />
für Privatvermögen kippen. Weil der<br />
Bundesfinanzhof die seit 2009 gültige Erbschaftsteuer<br />
für verfassungswidrig hielt (II<br />
R 9/11), sind alle seit 2012 verschickten<br />
Steuerbescheide für Erbschaften vorläufig.<br />
Martin Liepert, Steuerberater<br />
der Kanzlei Ecovis in München,<br />
beruhigt: „Sollte sich die<br />
Rechtsauffassung ändern und<br />
sollten dadurch mehr Steuern<br />
anfallen, darf das Finanzamt<br />
nach dem Grundsatz Treu und<br />
Glauben den Steuerbescheid<br />
nicht einfach ändern“, sagt er. Bisher habe<br />
sich der Fiskus an den Grundsatz gehalten.<br />
Unabhängig davon, wie das Gericht entscheidet,<br />
können Vererber schon jetzt einiges<br />
tun, um Erben Steuern zu ersparen.<br />
LEGALE STEUERTRICKS<br />
Kleinere Erbschaften und Schenkungen an<br />
nahe Verwandte bleiben wegen der hohen<br />
Freibeträge meist steuerfrei. Bei größeren<br />
Vermögenswerten, beispielsweise Immobilien,<br />
reichen die Freibeträge dagegen<br />
meist nicht aus, die Erben müssen Steuern<br />
zahlen (siehe Seite 82).<br />
Wer größere Vermögen vererben will,<br />
sollte daher handeln, bevor der Fiskus die<br />
Staat erbt mit<br />
Wie viel Erbschaftsteuer die Bundesländer<br />
kassieren (in Milliarden Euro)<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1998 2001 2004 20<strong>07</strong> 2010 2013<br />
Quelle: Bundesfinanzministerium<br />
MEHR ZUM THEMA<br />
Wie die Erbschaftsteuer<br />
Unternehmen trifft, wie<br />
das Verfassungsgericht<br />
entscheiden dürfte,<br />
lesen Sie auf Seite 20.<br />
Erben zur Kasse bittet. Um die<br />
Steuerlast zu drücken, bieten<br />
sich mehrere legale Tricks an:<br />
ä Schenken in Etappen: Ein<br />
Ehepartner schenkt dem Sohn<br />
sein Vermögen. Danach gehen<br />
Teile dieses Vermögens beispielsweise<br />
an die Schwiegertochter.<br />
Vorteil: Weil die Schwiegertochter<br />
erst über ihren Mann an das Vermögen der<br />
Schwiegereltern kommt, kann sie einen<br />
höheren Freibetrag nutzen.<br />
ä Familienheim: Das Haus, in dem beide<br />
Ehepartner wohnen, lässt sich steuerfrei an<br />
den Partner übertragen, egal, wie hoch der<br />
Wert ist. Später kann der Schenker die Immobilie<br />
zurückkaufen und überträgt so<br />
steuerfrei Geldvermögen auf den Partner.<br />
„Das Verfahren ist noch zulässig, allerdings<br />
könnte der Gesetzgeber das Schlupfloch<br />
schließen“, sagt Guido Holler, Fachanwalt<br />
für Erb- und Steuerrecht aus Düsseldorf.<br />
2013 entschied der Bundesfinanzhof,<br />
dass Zweit- und Ferienwohnungen keine<br />
begünstigten Familienheime sind (II R<br />
35/11). Zudem signalisierten die Richter,<br />
sie hielten die Begünstigung des Familienheims<br />
für verfassungswidrig.<br />
ä Familien-Pool: Das Vermögen der Familie<br />
wird als Pool auf eine Gesellschaft<br />
bürgerlichen Rechts übertragen. Die Eltern<br />
schenken den Kindern GbR-Anteile steuerfrei.<br />
Sie behalten jedoch die Geschäftsführung<br />
der GbR auf Lebenszeit und kassieren<br />
die Erträge des GbR-Vermögens.<br />
ä Zugewinnausgleich: Ein Ehepaar lebt<br />
zunächst in einer Zugewinngemeinschaft.<br />
Alles, was beide Partner an Vermögen in<br />
ihrer Ehe erwirtschaften, steht ihnen zu<br />
gleichen Teilen zu. Später vereinbaren<br />
»<br />
FOTO: GETTY IMAGES/AFP/THOMAS KIENZLE<br />
80 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Ab ins Steuerparadies<br />
Wolfgang Porsche (rechts, mit<br />
Partnerin Claudia Hübner bei einer<br />
Rallye im Porsche 356 No.1)<br />
will sein Vermögen nach Österreich<br />
bringen<br />
Erbschaften und Schenkungen über fünf Millionen Euro machen…<br />
...0,4 Prozent aller<br />
steuerpflichtigen<br />
Fälle...<br />
…aber 29 Prozent<br />
der übertragenen<br />
Vermögen aus...<br />
...und bringen dem Fiskus<br />
20 Prozent der Erbschaftund<br />
Schenkungsteuer*<br />
* Weil Millionäre mehr begünstigtes Betriebsvermögen<br />
übertragen als durchschnittlich Vermögende,<br />
ist ihr Anteil am übertragenen Vermögen höher als<br />
der am Steueraufkommen<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 81<br />
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Geld&Börse<br />
IMMOBILIEN<br />
Dem Staat nichts<br />
schenken<br />
Wohnrecht, Nießbrauch, Übertragung: Steuertipps für Hausbesitzer<br />
Bei vererbten Vermögen sind Immobilien<br />
in der Regel der größte Posten. Das Häuschen<br />
der Eltern bleibt dank eines Freibetrags<br />
von 400 000 Euro für ihre Kinder<br />
meist steuerfrei. Immobilien, die der Verstorbene<br />
selbst genutzt hat, bleiben auch<br />
ohne Freibetrag steuerfrei – aber nur,<br />
wenn die Kinder mindestens zehn Jahre<br />
lang darin wohnen und die Wohnfläche<br />
200 Quadratmeter nicht übersteigt.<br />
Wer dagegen Mietshäuser erbt, deren<br />
Wert weit über den Freibeträgen liegt,<br />
muss größere Beträge ans Finanzamt abführen.<br />
Eine steuersparende Schenkung<br />
zu Lebzeiten scheidet häufig aus: Vermietete<br />
Immobilien sind oft eine wichtige<br />
Einnahmequelle, ihre Besitzer wollen sie<br />
ungern aufgeben. Es gibt allerdings<br />
Lösungen, bei denen die Immobilie an die<br />
nächste Generation weitergereicht wird,<br />
die ursprünglichen Eigentümer aber<br />
weiterhin <strong>vom</strong> Mietshaus profitieren:<br />
n Wohnrecht: Mutter oder Vater wohnen<br />
weiter mietfrei in der Immobilie. Die gesparte<br />
Miete mindert den Steuerwert der<br />
Immobilie. Bei einer Schenkung müssen<br />
die Erben weniger Steuern zahlen.<br />
n Nießbrauch: Die Immobilie geht an die<br />
späteren Erben, die ursprünglichen Eigentümer<br />
behalten jedoch die Mieteinnahmen.<br />
Die künftigen Mieteinnahmen rechnet<br />
das Finanzamt auf den Steuerwert der<br />
Immobilie an (siehe Tabelle). Je länger die<br />
statistische Restlebenszeit des Schenkers<br />
ist, desto größer ist der Vervielfältiger für<br />
die Jahresmiete. Im Musterfall kann der<br />
Sohn das Mietshaus mit einem Steuerwert<br />
von 800 000 Euro dank des Abzugs wegen<br />
des Nießbrauchs steuerfrei übernehmen.<br />
Stirbt seine Mutter, fällt keine weitere<br />
Steuer an.<br />
Steuersparmodelle mit Wohnrecht und<br />
Nießbrauch haben einen Nachteil. Wenn<br />
Vererber mit Angehörigen im Streit liegen,<br />
wollen sie ihnen nicht mehr als den<br />
gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtteil<br />
zukommen lassen. Verschenken sie einzelne<br />
Vermögenswerte zu Lebzeiten an<br />
andere Verwandte, fällt das Erbe insgesamt<br />
und damit auch der Pflichtteil geringer<br />
aus. Liegen zwischen Schenkung und<br />
Erbschaft mindestens zehn Jahre, haben<br />
unerwünschte Erben über ihren Pflichtteil<br />
keinen Anspruch mehr auf die Immobilie.<br />
Dies gilt allerdings nicht, wenn der Schenkende<br />
die Mieteinnahmen behält (Nießbrauch).<br />
Dann bezieht sich der Pflichtteil<br />
auf einen reduzierten Immobilienwert: Für<br />
jedes Jahr nach der Schenkung schmilzt<br />
der zur Berechnung des Pflichtteils herangezogene<br />
Immobilienwert um zehn Prozent<br />
ab. Bei einem Mietshaus für 500 000 Euro<br />
läge der Wert, drei Jahre nachdem die<br />
Immobilie verschenkt wurde, also bei<br />
350 000 Euro.<br />
SCHENKEN IN ETAPPEN<br />
Eine Alternative ist die Schenkung in Etappen:<br />
Die Mutter schenkt ihrem Sohn die Immobilie<br />
mit einem Steuerwert von 800 000<br />
Euro. Nach Abzug des Freibetrags von<br />
400 000 Euro muss der Sohn 400 000 Euro<br />
versteuern. Bei einem Steuersatz von 15<br />
Prozent müsste er 60 000 Euro Steuern<br />
zahlen. Anschließend könnte er die Hälfte<br />
der Immobilie an seine Ehefrau schenken.<br />
Die bekäme, weil sie einen Freibetrag von<br />
500 000 Euro beanspruchen darf, die<br />
Haushälfte steuerfrei. Vorteil: Wenn die<br />
Mutter ihrer Schwiegertochter die Hälfte<br />
des Hauses direkt geschenkt hätte, wären<br />
von den 400 000 Euro wegen des deutlich<br />
niedrigeren Freibetrags nur 20 000 Euro<br />
steuerfrei gewesen. Nachteil: Die Steuerersparnis<br />
gegenüber der klassischen Erbschaft<br />
ist geringer als bei der Nießbrauch-<br />
Variante. Die Etappen-Schenkung<br />
funktioniert auch nur, wenn beide Schenkungen<br />
getrennt <strong>vom</strong> Notar beglaubigt<br />
werden. Zudem muss derjenige, der zuerst<br />
beschenkt wird, frei sein, an wen er die<br />
Immobilie weiterreicht. Zwischen den beiden<br />
Notarterminen sollten mehrere Wochen<br />
liegen. So bleibt Zeit, die erste Schenkung<br />
ins Grundbuch einzutragen. Falls<br />
beide Termine auf einen Tag fallen, könnte<br />
das Finanzamt Gestaltungsmissbrauch vermuten<br />
und den Steuervorteil kassieren.<br />
Wie sich die Erbschaftsteuer<br />
bei Immobilien optimieren lässt<br />
1. Schritt: Freibeträge abziehen<br />
Je nach Verwandtschaftsgrad können Angehörige<br />
unterschiedlich hohe Beträge steuerfrei<br />
erben oder sich schenken lassen<br />
Steuerklasse<br />
I<br />
II<br />
Verwandtschaft<br />
Ehegatten, eingetragene<br />
Lebenspartner<br />
Kinder und Stiefkinder<br />
Enkel und Urenkel<br />
Eltern, Großeltern (bei Erbe)<br />
Eltern, Großeltern<br />
(bei Schenkung)<br />
Geschwister, Nichten, Neffen<br />
Schwiegerkinder, Schwiegerund<br />
Stiefeltern<br />
III sonstige Personen<br />
2. Schritt: Steuern berechnen<br />
Freibetrag<br />
(in Euro)<br />
500000<br />
400000<br />
200000<br />
100000<br />
20000<br />
20000<br />
Sind die Freibeträge ausgeschöpft, greifen<br />
aktuell diese Steuersätze (in Prozent)<br />
Steuerpflichtiger Teil des<br />
Erbes oder der Schenkung<br />
(in Euro) bis zu...<br />
75000<br />
300000<br />
600000<br />
6 Millionen<br />
13 Millionen<br />
26 Millionen<br />
über 26 Millionen<br />
I<br />
7<br />
11<br />
15<br />
19<br />
23<br />
27<br />
30<br />
Steuerklasse<br />
II<br />
15<br />
20<br />
25<br />
30<br />
35<br />
40<br />
43<br />
Musterfall: Witwe, 70 Jahre; besitzt Mietshaus<br />
mit einem Steuerwert 1 von 800 000<br />
Euro; einziger Erbe ist ihr Sohn<br />
Steuerwert Immobilie 1<br />
– Freibetrag Sohn<br />
= zu versteuern<br />
Steuersatz<br />
zu zahlende Steuern<br />
3. Schritt: Alternative prüfen<br />
Mutter schenkt dem Sohn das Haus und<br />
behält die Mieteinnahmen (Nießbrauch)<br />
Steuerwert Immobilie 1<br />
– Wert künftiger Mieteinnahmen, die<br />
an die Mutter gehen (Nießbrauch) 2<br />
= Steuerwert abzüglich Nießbrauch<br />
– Freibetrag<br />
= zu versteuern<br />
Steuersatz<br />
zu zahlende Steuern<br />
III<br />
30<br />
30<br />
30<br />
30<br />
50<br />
50<br />
50<br />
Beträge<br />
in Euro<br />
800000<br />
400000<br />
400000<br />
15 Prozent<br />
60 000<br />
800000<br />
420000<br />
380000<br />
400000<br />
1 ist in der Regel geringer als der Verkehrswert, weil<br />
beispielsweise Verbindlichkeiten abgezogen werden;<br />
2 Formel: jährliche Mieteinnahmen multipliziert mit<br />
der statistischen Restlebenszeit des Schenkenden;<br />
Quelle: Erbschaftsteuergesetz, Ecovis<br />
0<br />
11 Prozent<br />
0<br />
82 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTO: BILD-ZEITUNG/MARKUS HANNICH<br />
»<br />
sie per Ehevertrag Gütertrennung. Der<br />
Ausgleich des entstandenen Zugewinns an<br />
Vermögen ist steuerfrei. Dieses Modell<br />
lohnt besonders, wenn ein Partner deutlich<br />
mehr besitzt als der andere. Vorteil: Sowohl<br />
Mutter als auch Vater können Vermögen<br />
an die Kinder verschenken. Jedes Kind<br />
kann seinen Freibetrag zwei Mal nutzen.<br />
ä Nießbrauch: Immobilien lassen sich<br />
gegen Nießbrauch, beispielsweise das<br />
Recht auf die Mieteinnahmen, übertragen<br />
(siehe Tabelle Seite 82). Der Nießbrauch<br />
mindert den Steuerwert der Immobilie, sodass<br />
das Vermögen meist innerhalb des<br />
Freibetrags bleibt. Das funktioniert auch<br />
bei Geldvermögen, wenn der Schenker das<br />
Guthaben überträgt und die Zinsen für<br />
sich behält. Der Gesetzgeber unterstellt dabei,<br />
dass sich das Geldvermögen mit bis zu<br />
5,5 Prozent pro Jahr verzinst. Diese Zinsen<br />
werden <strong>vom</strong> Vermögen abgezogen.<br />
ä Pflegebonus: Erben, die Angehörige<br />
unentgeltlich oder gegen geringe Bezahlung<br />
gepflegt haben, können einen zusätzlichen<br />
Freibetrag von 20 000 Euro nutzen.<br />
Dies gilt jedoch nicht für Verwandte (Ehepartner,<br />
Kinder, Eltern), die gesetzlich zu<br />
Pflege und Unterhalt verpflichtet sind.<br />
Nach einem Urteil des Niedersächsischen<br />
Finanzgerichts (3 K 229/11) steht diesen<br />
nahen Verwandten aber ein Teil des Freibetrags<br />
zu, wenn kein Unterhalt gezahlt<br />
werden muss, weil die Vererber keine finanzielle<br />
Hilfe benötigen. Tipp: Angehörige<br />
sollten als Nachweis gegenüber dem<br />
Finanzamt ein Pflegetagebuch führen.<br />
Cornelius Gurlitt Testament<br />
Die Kunstsammlung seines Vaters soll auch<br />
von den Nazis geraubte Werke enthalten.<br />
Er setzte in seinem zweiten Testament das<br />
Kunstmuseum in Bern als Alleinerben ein.<br />
Einer seiner Erben drohte, dagegen zu klagen.<br />
Er hätte die Kunstwerke lieber in einem<br />
bayrischen Museum gesehen.<br />
SCHWARZGELD LEGALISIEREN<br />
Die Steuertricks funktionieren nur, wenn<br />
das geerbte oder geschenkte Vermögen zuvor<br />
korrekt versteuert wurde. So stießen die<br />
Erben der persischen Ex-Kaiserin Soraya,<br />
die 2001 verstarb, auf die Luxemburger Stiftung<br />
Zucarella, in der die vermögende<br />
Adelige Schwarzgeld versteckt hatte.<br />
Steuerfahnder verfolgen unversteuertes<br />
Vermögen auch über den Tod hinaus. Banken<br />
und Sparkassen helfen ihnen dabei.<br />
Sie sind gesetzlich verpflichtet, innerhalb<br />
eines Monats nachdem sie <strong>vom</strong> Tod ihres<br />
Kunden erfahren haben, alle Konten und<br />
Vermögenswerte offenzulegen.<br />
„Wer jetzt noch auf Zeit spielt und eine<br />
Selbstanzeige vermeidet, schadet sich<br />
selbst und seinen Erben“, sagt Franz-Georg<br />
Lauck, Anwalt für Erbrecht in Dresden. Ab<br />
2015 will die Bundesregierung die gesetzlichen<br />
Regeln für Schwarzgeld verschärfen.<br />
Hat der Vererber vor seinem Ableben keinen<br />
reinen Tisch gemacht, sollten seine Erben<br />
bei Verdacht Bankauszüge und Briefe<br />
von Banken aus Steueroasen suchen. Wer<br />
als Erbe etwas weiß und nicht dem Finanzamt<br />
meldet, macht sich strafbar.<br />
Grundsätzlich haften Erben für Schulden<br />
des Verstorbenen. Bis zu zehn Jahre<br />
rückwirkend müssen sie hinterzogene<br />
Steuern nachzahlen, plus sechs Prozent<br />
Hinterziehungszinsen und Erbschaftsteuer.<br />
Nachzahlungen und Strafe mindern das<br />
steuerpflichtige Vermögen. Selbst dieser<br />
Bonus aber ist in Gefahr, wenn Erben zu<br />
spät ehrlich werden. So lehnte es das Finanzgericht<br />
Düsseldorf ab, einem Erben<br />
nachgezahlte Steuern plus Zinsen anzurechnen,<br />
weil er erst zwei Jahre nach dem<br />
Tod seines Vaters das geerbte Schwarzgeld<br />
offenbarte (4 K 104/02). Sind die Nachzahlungen<br />
höher als das Erbe, können Nachkommen<br />
binnen sechs Wochen nach Testamentseröffnung<br />
das Erbe ausschlagen.<br />
FORM EINHALTEN<br />
Um Streit zu vermeiden, sollten Vererber<br />
Interessen aller Erben berücksichtigen.<br />
Wer zu kurz kommt, wehrt sich – häufig<br />
zum Schaden aller. So löste Margherita Agnelli<br />
de Pahlen, eine Erbin des Fiat-Patriarchen<br />
Gianni Agnelli, 2009 eine Fahndung<br />
des italienischen Fiskus nach Auslandsvermögen<br />
der Familie aus, weil sie sich bei der<br />
Verteilung des Erbes benachteiligt fühlte.<br />
Mit einem Testament kann der Vererber<br />
dafür sorgen, dass sein Vermögen gerecht<br />
verteilt wird. Diese Punkte sind wichtig:<br />
ä Form: Der letzte Wille muss handschriftlich<br />
verfasst werden. Ausnahme:<br />
Das Testament wird von einem Notar beglaubigt.<br />
ä Angaben: Vor- und Zuname sowie das<br />
Datum sind Pflicht. Nur die aktuellste Version<br />
des Testaments ist gültig.<br />
Der kürzlich verstorbene Münchner<br />
Kunstsammler Cornelius Gurlitt etwa hatte<br />
zwei Testamente verfasst. Gurlitts Vater<br />
hatte als Kunsthändler für das NS-Regime<br />
gearbeitet. Bei vielen der Kunstwerke besteht<br />
der Verdacht, dass die Nazis sie geraubt<br />
haben. In seinem zweiten Testament<br />
<strong>vom</strong> Februar <strong>2014</strong> hatte Cornelius Gurlitt<br />
das Kunstmuseum in Bern als Alleinerben<br />
der Kunstwerke eingesetzt. Einer von Gurlitts<br />
Erben drohte, dagegen zu klagen. Er<br />
hätte die Kunstwerke lieber in einem bayrischen<br />
Museum gesehen.<br />
Es ist sinnvoll, ein aktuelles Exemplar<br />
des Testaments beim Amtsgericht zu hinterlegen.<br />
Das kostet einmalig 75 Euro.<br />
Nicht selten verschwinden Dokumente,<br />
wenn ein Haushalt aufgelöst wird.<br />
Das Datum ist auch wichtig, um festzustellen,<br />
ob der Verstorbene zurechnungsfähig<br />
war, als er das Testament verfasste. Wer<br />
vermeiden will, dass sein Testament angefochten<br />
wird, sollte ein ärztliches Attest<br />
einholen. Die Tochter der L’Oréal-Erbin Liliane<br />
Bettencourt etwa wollte ihre Mut-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 83<br />
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Geld&Börse<br />
ment. Im Testament sollte deshalb eine<br />
Klausel eingefügt werden, nach der in jedem<br />
Fall das deutsche Erbrecht gilt.<br />
Selbst wenn klar ist, wer was bekommt,<br />
kann es Streit unter Erben geben. Ein Ferienhaus<br />
etwa lässt sich eben nicht in Viertel<br />
teilen. Dieses Problem lässt sich durch Teilungsanordnungen<br />
lösen. „Jedem Erben<br />
werden bestimmte Vermögenswerte, etwa<br />
ein Haus oder ein Auto, zugeordnet“, sagt<br />
Claus-Henrik Horn, Fachanwalt für Erbrecht<br />
in Düsseldorf. Nachteil der Teilungsanordnung<br />
sei, dass sie erst durchgesetzt<br />
werden könne, wenn das gesamte Erbe<br />
aufgeteilt wird, so Horn. Besser sei ein Vorausvermächtnis.<br />
So habe der Erbe direkt<br />
nach dem Tod des Vererbers Zugriff auf<br />
den betreffenden Vermögensgegenstand.<br />
»<br />
ter unter Vormundschaft stellen lassen,<br />
weil sie einem befreundeten Fotografen<br />
mehrere Hundert Millionen Euro schenkte.<br />
Er soll die Altersschwäche der heute<br />
91-jährigen Bettencourt ausgenutzt haben.<br />
ä Erben: Zulässig sind Verwandte, Freunde<br />
oder Vereine – keine Haustiere. Tipp:<br />
Bei mehreren Kindern sollten Eltern Ersatzerben<br />
ins Testament aufnehmen, für<br />
den Fall, dass Sohn oder Tochter sterben,<br />
bevor sie erben können. Ersatzerben können<br />
die Ehepartner der Kinder sein. Ohne<br />
Ersatzerben würde das Vermögen nur an<br />
die überlebenden Kinder fallen.<br />
QUOTEN BEACHTEN<br />
Wer Vermögen vererben will, muss sich an<br />
gesetzliche Spielregeln halten:<br />
ä Bedingungen: Das Testament darf keine<br />
sittenwidrigen Bedingungen enthalten,<br />
beispielsweise die, dass der Erbe eine bestimmte<br />
Religion anzunehmen hat.<br />
ä Pflichtteil: Nahe Verwandte lassen sich<br />
nicht komplett <strong>vom</strong> Erbe ausschließen, ihnen<br />
steht ein gesetzlicher Pflichtteil zu. Anspruch<br />
darauf haben Kinder, Enkel, Urenkel,<br />
die Ehe- oder eingetragenen Lebenspartner<br />
sowie Eltern. Geschwister und weitere<br />
Verwandte können leer ausgehen.<br />
Wie hoch der Pflichtteil ist, hängt von der<br />
Gruppierung der Erben ab. Beispiel: Ein<br />
Mann stirbt und hinterlässt seiner Ehefrau<br />
und den beiden Kindern sein Vermögen.<br />
Laut gesetzlicher Erbquote stünde der Witwe<br />
die Hälfte des Vermögens zu, den Kindern<br />
jeweils ein Viertel. Wenn der Mann in<br />
seinem Testament eines der Kinder ausschließt,<br />
hat es einen Pflichtteilsanspruch<br />
von einem Achtel des Vermögens, was der<br />
Soraya Erbengemeinschaft<br />
Die Erben der persischen Ex-Kaiserin streiten<br />
sich derzeit am Landgericht Köln. Dabei<br />
geht es auch um ein Testament von Sorayas<br />
verstorbenem Bruder. Der soll das von<br />
Soraya geerbte Vermögen seinem Chauffeur<br />
vermacht haben. Die übrigen Erben zweifeln<br />
die Ansprüche des Chauffeurs an.<br />
Hälfte der gesetzlichen Erbquote entspricht.<br />
In diesem Fall würde das Erbe zunächst<br />
je zur Hälfte auf die Witwe und das<br />
andere Kind aufgeteilt. Beide müssten<br />
dann den Pflichtteil an das nicht berücksichtigte<br />
Kind in Geld auszahlen. Ihnen<br />
verblieben dann 87,5 Prozent des Erbes.<br />
ä Berliner Testament: Soll das Erbe nicht<br />
zwischen Witwe und Kindern geteilt werden<br />
– etwa, weil die Ehefrau das Haus lebenslang<br />
behalten soll –, können Paare ein<br />
Berliner Testament abschließen. Sie setzen<br />
sich damit gegenseitig als Alleinerben ein.<br />
Da den Kindern dann noch ein Pflichtteil<br />
zusteht, sollten sie in Absprache mit den<br />
Eltern darauf verzichten. Steuerlich hat das<br />
Berliner Testament einen entscheidenden<br />
Haken: Ist der überlebende Ehepartner Alleinerbe,<br />
rechnet das Finanzamt auch nur<br />
dessen Freibetrag an. Die Freibeträge der<br />
Kinder bleiben ungenutzt. Bei Vermögen,<br />
die über dem Freibetrag des Ehepartners<br />
liegen, sollten Vererber Teile zu Lebzeiten<br />
an die Kinder verschenken.<br />
Wer seinen Lebensabend im Ausland<br />
verbringen will, sollte wissen, dass ab 2015<br />
in der EU das Erbrecht des Wohnsitzes gilt.<br />
In Spanien aber gibt es kein Berliner Testa-<br />
LETZTER AUSWEG VERSTEIGERUNG<br />
Sind große Vermögenswerte nicht klar verteilt,<br />
kann dies zu erbittertem Streit führen.<br />
Erben blockieren sich, sodass vererbte Immobilien<br />
leer stehen und verfallen. In solchen<br />
Fällen können einzelne Erben für die<br />
Immobilie eine Teilungsversteigerung beantragen.<br />
Haus oder Wohnung werden<br />
dann öffentlich bei einem Gericht versteigert.<br />
„Es kann ausreichen, eine Versteigerung<br />
anzukündigen, um Erben zu einem<br />
Kompromiss zu bewegen“, sagt Bernd Kiderlen,<br />
Rechtsanwalt aus Stuttgart.<br />
Die Teilungsversteigerung ist vor allem<br />
für begehrte Immobilien in Ballungsräumen<br />
eine Lösung. Auf dem flachen Land,<br />
bei schwacher Nachfrage besteht die Gefahr,<br />
dass die Immobilie für das Mindestgebot,<br />
die Hälfte des Verkehrswerts, weggeht.<br />
Davon könnten andere Erben profitieren,<br />
die möglichst billig ans Haus kommen wollen.<br />
Erben, die nur am Verkaufserlös interessiert<br />
sind, hätten das Nachsehen.<br />
Als Notausgang bietet sich ein Verkauf<br />
des Erbanteils. Erben kommen schnell an<br />
ihr Geld, müssen aber hohe Abschläge<br />
beim Kaufpreis hinnehmen. Schließlich<br />
muss der Käufer das Risiko eines langen<br />
Streits mit den anderen Erben einkalkulieren.<br />
Beim Verkauf von Erbanteilen haben<br />
Miterben ein Vorkaufsrecht. Sie müssen es<br />
innerhalb von zwei Monaten ausüben. Ist<br />
die Frist verstrichen, kann sich der Erbe<br />
seinen Käufer frei suchen.<br />
Diese Freiheit dürften die Erben von<br />
Wolfgang Porsche wahrscheinlich nicht haben:<br />
Die Familien Piëch und Porsche haben<br />
mit Stiftungssatzungen und Gesellschafterverträgen<br />
den Umgang mit VW- und Porsche-Anteilen<br />
detailliert geregelt.<br />
n<br />
martin.gerth@wiwo.de<br />
FOTOS: PEOPLE PICTURE/GRAZIANI, AKG-IMAGES/BILDARCHIV PISAREK<br />
84 Nr. 28 7.7.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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ERBEN-ERMITTLER<br />
Schneller ans Geld<br />
Wie Ahnenforscher in Kirchenbüchern potenzielle Erben suchen<br />
und finden, wie sie ihre Arbeit finanzieren.<br />
Klick. Klick. Erbe. Per Maus stöbert Mary<br />
Schumacher im Kirchenbuch der Kölner<br />
Gemeinde St. Gereon von 1890. Das geht,<br />
weil das Kirchenbuch, wie viele Tausend<br />
verstaubte Folianten im Archiv des Erzbistums<br />
Köln, eingescannt und als Datensatz<br />
verfügbar ist. Schumacher ist Erbenermittlerin,<br />
sie arbeitet für die Kölner GEN<br />
GmbH. Ermittler bekommen ihre Aufträge<br />
von Rechtspflegern der Gerichte, wenn<br />
diese für einen Nachlass keine Erben finden<br />
– oder sie werden aktiv, wenn<br />
im Bundesanzeiger eine Aufforderung<br />
an Erben erscheint, sich beim<br />
Nachlassverwalter zu melden. Ist<br />
der Erbe gefunden, bekommt dieser<br />
die Dokumente, die seinen Anspruch<br />
belegen – gegen 25 bis 30<br />
Prozent des Erbes. Bleibt die Suche<br />
erfolglos, geht das Vermögen an<br />
den Staat.<br />
HEIMLICHE TAUFE<br />
Schumacher sucht heute die Erben<br />
eines verstorbenen Kölners. Eine<br />
erste Spur war die ehemalige Adresse<br />
von dessen Großvater – am Friesenwall<br />
in Köln. Damit kommen zwei Kirchengemeinden<br />
infrage, St. Gereon und St.<br />
Aposteln. Schumacher hat Mühe, das<br />
handgeschriebene Latein im Kirchenbuch<br />
zu entziffern. Neben den Kindern und Taufdaten<br />
sind Eltern und Paten aufgelistet.<br />
Häufig findet sich der Hinweis „illegitim“.<br />
„Uneheliche Kinder“, flüstert Schumacher.<br />
Im Lesesaal des erzbischöflichen Archivs<br />
sind laute Gespräche unerwünscht. Nicht<br />
alle Kinder seien in den Kirchenbüchern<br />
verzeichnet: „Um einen Skandal zu vermeiden,<br />
haben viele Mütter uneheliche Kinder<br />
in der Gemeinde des Krankenhauses und<br />
nicht in der ihres Wohnsitzes taufen lassen“,<br />
sagt Schumacher. Solche Kinder sind<br />
schwerer zu finden.<br />
In ihrem aktuellen Fall aber hilft das Kirchenbuch<br />
von St. Gereon: Zwei weitere<br />
Kinder des Großvaters konnte sie ermitteln.<br />
Deren Kinder könnten als Erben infrage<br />
kommen. Sobald Schumacher alle Verwandtschaftslinien<br />
durchgesehen hat,<br />
Alles verloren Flüchtlinge aus den<br />
deutschen Ostgebieten, Berlin, 1945<br />
nisse ein. Für die Zeit vor 1875 sind Kirchenbücher<br />
daher oft die einzige Informationsquelle.<br />
Ist ein Kirchenbuch mal nicht im<br />
Archiv, ruft die Erbenermittlerin direkt bei<br />
der Kirchengemeinde an. Es gibt auch Fälle,<br />
in denen das Kirchenbuch zwar im Magazin<br />
des Archivs lagert, aber nicht öffentlich zugänglich<br />
ist. So sind beispielsweise Taufbücher<br />
bis 120 Jahre nach der Geburt gesperrt.<br />
Die Erbenermittlerin muss sich dann<br />
<strong>vom</strong> Rechtspfleger des Amtsgerichts eine<br />
Vollmacht einholen.<br />
In komplizierten Fällen kann sich die Suche<br />
nach Erben über Jahre hinziehen. 2004<br />
etwa übernahmen Schumachers Kollegen<br />
den Fall eines deutschen Auswanderers, der<br />
sich 1914 in Brasilien niedergelassen hatte.<br />
Dort hatte er eine Einheimische indianischer<br />
Abstammung geheiratet. Deren Nachkommen<br />
lebten in ärmsten Verhältnissen, muss-<br />
kann sie die Akte an ihre Kollegen weiterreichen.<br />
Die schreiben die Erben an.<br />
Schumacher ist gebürtige Amerikanerin,<br />
hat in Aachen Geschichte und Anglistik studiert<br />
und ihr Hobby Ahnenforschung zum<br />
Beruf gemacht. Im Archiv des Erzbistums<br />
Köln sei sie etwa alle zwei bis drei Monate,<br />
sagt sie. Bis 1875 gab es in Deutschland keine<br />
Standesämter, die Geburts- und Heiratsregister<br />
führten. Erst Reichskanzler Otto von<br />
Bismarck führte die öffentlichen Verzeichten<br />
als Arbeitssklaven schuften. Viele<br />
konnten weder lesen noch schreiben. Ein<br />
Enkel des Auswanderers aber hinterließ<br />
nach seinem Tod eine höhere Summe. Bis<br />
2011 konnten die Ermittler gut 20 Erben –<br />
unter anderem in Brasilien – auftreiben.<br />
Das Ganze dauerte auch deshalb so lange,<br />
weil sie falschen Spuren nachjagen mussten.<br />
So hatten vermeintliche Nachkommen<br />
versucht, mithilfe gefälschter Geburtsurkunden<br />
an Geld zu kommen.<br />
DOKUMENTE VERBRANNT<br />
„Derzeit arbeiten wir vor allem an ungeklärten<br />
Erbfällen von Personen aus den<br />
ehemaligen Ostgebieten des Deutschen<br />
Reichs“, sagt Dirk Zeiseler, Niederlassungsleiter<br />
der GEN GmbH in Köln. In den<br />
letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs,<br />
als Millionen Menschen flüchteten,<br />
vertrieben oder ausgebombt wurden,<br />
seien ungezählte Kirchenbücher,<br />
standesamtliche Geburtsund<br />
Heiratsurkunden verloren gegangen<br />
oder zerstört worden. Etwa<br />
70 Jahre nach Kriegsende sei es<br />
daher enorm schwierig, Erbansprüche<br />
zu belegen.<br />
Auch aktuelle Katastrophen erschweren<br />
die Arbeit der Erbenermittler.<br />
Im März 2009, einen Tag,<br />
bevor das Kölner Stadtarchiv einstürzte,<br />
war Mary Schumacher<br />
noch dort, um nach Erben zu fahnden.<br />
Viele historische Dokumente<br />
sind beim Einsturz verloren gegangen.<br />
„Nur in den Originalen der Geburtsverzeichnisse<br />
finden sich handschriftliche<br />
Randnotizen, beispielsweise über spätere<br />
Heiraten oder vermutliche Vaterschaften,<br />
die uns weiterhelfen“, sagt Erbenermittler<br />
Zeiseler. In Kopien, die außerhalb des Archivs<br />
lagerten, fehlten diese Notizen.<br />
Schumacher sagt, in den USA sei der<br />
Ermittler-Job deutlich einfacher: „Als wir<br />
vor einigen Monaten Erben eines verstorbenen<br />
Deutschen in Amerika suchten,<br />
sind wir nach zwei Tagen fündig geworden.“<br />
Anders als in Deutschland müsse<br />
sie in den USA Daten nicht von einem<br />
Dutzend verschiedener Ämter abfragen.<br />
Stattdessen seien viele der notwendigen<br />
Angaben per Internet abrufbar.<br />
Weniger Datenschutz als in Deutschland<br />
kann eben auch Vorteile haben:<br />
Erben werden leichter gefunden und<br />
kommen häufig schneller an ihr Geld. n<br />
martin.gerth@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 7.7.<strong>2014</strong> Nr. 28 85<br />
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Geld&Börse<br />
Retten, was noch<br />
zu retten ist<br />
KGAL | Das milliardenschwere Fondshaus ließ sich im Schatten des<br />
S&K-Skandals auf einen merkwürdigen Immobiliendeal ein.<br />
Das Haus in der Kölner Friedensstraße<br />
verbirgt sein Geheimnis bestens.<br />
Ein Wohnsilo wie Tausende andere,<br />
so scheint es