„Ganz privat ...“
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Artikel und<br />
Aufsätze<br />
<strong>„Ganz</strong> <strong>privat</strong> ...<strong>“</strong><br />
versus „Gemeinwohl<strong>“</strong><br />
Anna Wall-Strasser<br />
4020 Linz, Kapuzinerstraße 84<br />
Tel.: ++43(0)732/76 10 DW 3631 oder 3641<br />
E-Mail: mensch-arbeit@dioezese-linz.at<br />
KAB und Betriebsseelsorge OÖ<br />
www.mensch-arbeit.at
<strong>„Ganz</strong> <strong>privat</strong> ...<strong>“</strong><br />
versus „Gemeinwohl<strong>“</strong><br />
Anna Wall-Strasser<br />
„Du gebierst dich nicht selbst – dir wird das Leben geschenkt.<br />
Nicht nur in der ersten Stunde deines Lebens, sondern ein Leben<br />
lang ...<strong>“</strong> Fulbert Steffensky spricht eine wesentliche Grundvoraussetzung<br />
menschlichen Lebens an: Leben ist Geschenk, es<br />
verdankt sich und ist ständig angewiesen auf andere.<br />
2<br />
In alltäglichen Erfahrungen wird deutlich, dass es menschliches<br />
Leben alleine, nur individuell gedacht, nicht geben kann.<br />
Der Mensch ist ein soziales Wesen, und in allen seinen Vollzügen<br />
mit anderen Menschen verflochten, weltweit. Daher hat die<br />
christliche Soziallehre als eines ihrer wichtigsten Prinzipien das<br />
Gemeinwohl genannt. Das Gemeinwohl ist die Hilfe, die jede/r<br />
Einzelne für die Erfüllung ihrer/seiner grundlegenden Lebensziele<br />
benötigt und nur durch die gesellschaftliche Kooperation zu<br />
finden ist. Zum Gemeinwohl tragen alle bei, und alle müssen Anteil<br />
daran haben – so nachzulesen z. B. in der Enzyklika Gaudium<br />
et spes (GeS). Verantwortlich für das Gemeinwohl ist demnach<br />
der Staat, die Politik, die in der Demokratie gewählten RepräsentantInnen.<br />
Sie haben dafür zu sorgen, dass „dem Menschen alles<br />
zugänglich gemacht wird, was er für ein wirklich menschliches<br />
Leben braucht<strong>“</strong> (GeS 26).<br />
Demgegenüber steht der Zeitgeist von heute, der immer nur den<br />
einzelnen für sein/ihr Wohlergehen verantwortlich machen will.<br />
Das Private steht ganz oben in der Werteskala einer Gesellschaft,<br />
in der nur mehr die allgemeine Konkurrenz <strong>privat</strong>er Interessensstandpunkte<br />
gilt. Konkurrenz der einzelnen ist das durchgängige<br />
Prinzip, jeder gegen jeden soll sich im Wettbewerb durchsetzen.<br />
„Privare<strong>“</strong> kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „rauben<strong>“</strong>.<br />
Im Griechischen bezeichnet der „Idiotis<strong>“</strong> den Privatmann, der<br />
sich nur auf sich selbst bezieht, und sich damit aus den sozialen<br />
Zusammenhängen ausschließt. Bislang öffentliche, gemeinwirtschaftliche<br />
Betriebe werden <strong>privat</strong>isiert, von Industriebetrieben<br />
über Banken, Energieversorger, Post, Bahnen, Krankenhäuser<br />
und Altenpflege bis zu Gefängnissen. Rein betriebswirtschaftliche<br />
Effizienzkriterien verdrängen die bislang gemeinwirtschaftliche<br />
Nutzung, die sowohl regionale, soziale und qualitative Kriterien<br />
mitzubedenken hat. In <strong>privat</strong>isierten Bereichen gelten dann<br />
auch Konkurrenz und Gewinnstreben. Die Profitlogik ist eingezogen<br />
in Sektoren, in denen es um etwas anderes gehen sollte: um<br />
Versorgung, Fürsorge und Verteilung. Das heißt aber dann, dass
jeder <strong>privat</strong> auch – nur – für sich selber sorgen muss, ob er nun<br />
will und kann oder nicht. Das Diktat des „Jede/r könnte, wenn er/<br />
sie nur wollte<strong>“</strong> überfordert und bringt viele an der Rand. Und für<br />
das Scheitern ist dann auch jede/r <strong>privat</strong> zuständig ...<br />
Wer sorgt für das Gemeinwohl ?<br />
Gott hat die Erde mit allem, was sie enthält, zum Nutzen aller<br />
Menschen und Völker bestimmt; darum müssen diese geschaffenen<br />
Güter in einem billigen Verhältnis allen zustatten kommen;<br />
dabei hat die Gerechtigkeit die Führung, Hand in Hand geht mit<br />
ihr die Liebe.(GeS 69). Das Leben ist uns geschenkt. Die öffentlichen<br />
Belange und die Wirtschaft müssen daher nach den Prinzipien<br />
des Gemeinwohls, im Bewusstsein gegenseitiger Bezogenheit<br />
und Angewiesenheit ausgerichtet werden. Nur so ist gutes<br />
Leben für alle möglich.<br />
Vertiefende Zitate<br />
Das Gegenteil einer gemeinwohlorientierten Politik ist eine von<br />
persönlichen Machtinteressen bestimmte Politik. Diese dient<br />
entweder nur den Machthabern oder bestimmten Machtgruppen,<br />
die nicht direkt als Machthaber in Erscheinung treten, nicht aber<br />
der Gemeinschaft.<br />
3<br />
Das Gemeinwohl ist die Gesamtheit jener Bedingungen, die den<br />
Gliedern der Gesellschaft ein volleres und leichteres Erreichen<br />
der eigenen Vollendung ermöglichen. Das Gemeinwohl ist die<br />
Hilfe, die die Einzelnen für die Erfüllung ihrer grundlegenden Lebensziele<br />
benötigen und durch die gesellschaftliche Kooperation<br />
am ehesten finden. Diese Doppelwertigkeit ist nicht ungewöhnlich,<br />
sie verweist auf ein Fundament christlichen Denkens, das<br />
schon in der Antwort Jesu auf die Frage nach dem wichtigsten<br />
Gebot zum Ausdruck kommt. Mk 12,28-33: „Du sollst deinen<br />
Nächsten lieben wie dich selbst<strong>“</strong> ist kein verhüllter Egoismus,<br />
sondern ein Hinweis auf die Vollendung menschlicher Existenz.<br />
Gott hat die Erde mit allem, was sie enthält, zum Nutzen aller Menschen<br />
und Völker bestimmt; darum müssen diese geschaffenen<br />
Güter in einem billigen Verhältnis allen zustatten kommen; dabei<br />
hat die Gerechtigkeit die Führung, Hand in Hand geht mit ihr die<br />
Liebe. (...) Darum soll der Mensch, der sich dieser Güter bedient,<br />
die äußeren Dinge, die er rechtmäßig besitzt, nicht nur als ihm<br />
persönlich zu eigen, sondern muss er sie zugleich auch als Gemeingut<br />
ansehen in dem Sinn, dass sie nicht ihm allein, sondern<br />
auch anderen von Nutzen sein können.<strong>“</strong> (Gaudium et spes 69) (...)<br />
Bildnachweis:<br />
Stephanie Hofschlaeger /<br />
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