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Ich oder Er?<br />
Selbstverwirklichung, Selbstoptimierung, Selbstdarstellung...<br />
Im „Höher, Schneller, Weiter” unserer Gesellschaft<br />
nimmt das Selbst einen zentralen Platz ein. Das Streben<br />
nach maximalem Erfolg, Ansehen und Gewinn scheint zum<br />
Lustprinzip in der heutigen Zeit gewor<strong>den</strong> zu sein. Doch<br />
sind diese Ziele wirklich erstrebenswert?<br />
Selbstverwirklichung und der Gott der Bibel scheinen sich unversöhnlich<br />
gegenüberzustehen. Aber warum eigentlich? Hat Gott wirklich ein<br />
Problem mit seinem Bo<strong>den</strong>personal – mit Christen, die sich selbst verwirklichen?<br />
Um das herauszufin<strong>den</strong>, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder<br />
man fragt Gott persönlich – Christen nennen das Beten – oder<br />
man liest in der Bibel nach. Aus christlicher Perspektive ist die Bibel<br />
das geschriebene Wort Gottes – geschrieben von Menschen, die er in<br />
besonderer Weise inspiriert hat. Wenn man wissen möchte, was Gott zu<br />
einem bestimmten Thema <strong>den</strong>kt, ist man gut damit beraten, hier nachzuschlagen.<br />
Und genau hier begegnet uns im Johannesevangelium ein<br />
Satz, der nicht nur Aufschluss über die Frage „Ich oder Er?“ gibt.<br />
Er erzählt uns die größte Geschichte von allen.<br />
„Gott hat die Menschen so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn<br />
für sie hergab. Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen, sondern<br />
das ewige Leben haben“ (Johannes 3, 16).<br />
Dieser Satz von Jesus enthält die zentrale Botschaft des christlichen<br />
Glaubens, die größte Geschichte von allen: Wir wur<strong>den</strong> in eine perfekte<br />
Beziehung hineinerschaffen, in einen Tanz aus Liebe und Hingabe, von<br />
einem Gott, der selbst Liebe und perfekte Beziehung ist. Voller Misstrauen<br />
wandten wir uns von ihm ab und die Beziehung zerbrach. Um sie<br />
wieder herzustellen, schickte Gott seinen eigenen Sohn, Jesus Christus,<br />
als Mensch auf die Erde. Durch seinen stellvertreten<strong>den</strong> Tod steht unsere<br />
Schuld nicht länger zwischen Gott und uns. Jeder, der dieses Geschenk<br />
Gottes in Jesus Christus annimmt, hat das ewige Leben. Der Satz aus<br />
dem Johannesevangelium zeigt deutlich, dass Selbstverwirklichung, im<br />
Sinne einer möglichst weitgehen<strong>den</strong> Befriedigung der eigenen Bedürfnisse,<br />
Ziele und Wünsche, das Gegenteil dessen ist, worum es Gott geht.<br />
Schauen wir genauer hin:<br />
Liebe<br />
„Gott hat die Menschen so sehr geliebt, dass er seinen einzigen<br />
Sohn für sie hergab. Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zugrunde<br />
gehen, sondern das ewige Leben haben“ (Johannes 3, 16).<br />
Wir lesen zuerst, dass Gott die Menschen liebte – so sehr, dass er sein<br />
Kostbarstes für sie hingab. Ihm war das Wohlergehen der Menschen<br />
wichtiger als sein eigenes Wohlergehen. Diese aufopfernde und selbstlose<br />
Liebe ist für uns schwer zu begreifen. Sie steht unserem Denken im<br />
Kern entgegen. Viel zu häufig investieren wir selbst in unsere verbindlichsten<br />
Beziehungen nur dann, wenn sie uns unser Leben trotzdem in<br />
vollen Zügen auskosten lassen, wenn wir „wir selbst“ bleiben können.<br />
Scheidungsstatistiken und Umfragen zeigen deutlich, dass wir kaum<br />
noch bereit sind, harte Arbeit zu leisten, um kaputte Ehen zu retten.<br />
Wir wollen „größtmögliches Vergnügen bei geringstmöglichem Einsatz“<br />
(Bill Hybels, 2010, Entfalte deinen Charakter, S. 122) und wir sind selten<br />
bereit, über unsere Bequemlichkeit hinaus Opfer zu bringen. Solange es<br />
uns gut geht, geht es dem anderen gut.<br />
In der Welt Gottes liegen die Dinge genau andersherum. Nächstenliebe<br />
bedeutet: Solange es dem anderen gut geht, geht es uns gut. Der<br />
Fokus richtet sich nicht auf mich, sondern auf das Wohlergehen des<br />
anderen. Im Markusevangelium lesen wir Jesu Gedanken hierzu: „Wer<br />
unter euch groß sein will, soll <strong>den</strong> anderen dienen ... Denn auch der<br />
Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern<br />
um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele hinzugeben“ (Markus<br />
10, 43 und 45, Neue Genfer Übersetzung. Menschensohn war eine<br />
der Bezeichnungen, mit der Jesus sich selbst beschrieb). Gottes Charakter,<br />
sein Dienen, seine Liebe und seine bedingungslose Hingabe für uns<br />
ist der Maßstab für alles christliche Handeln von uns. Dieser Gottescharakter<br />
wird in Jesus Christus deutlich und er wird uns zum Vorbild,<br />
indem Jesus sagt: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch”<br />
(Johannes 20, 12). Ein wesentlicher Zug in Gottes Charakter ist seine<br />
brennende Liebe zu <strong>den</strong> Menschen. Liebe bedeutet Hingabe an das Gegenüber,<br />
zu dienen und Opfer zu bringen. Das ist das Gegenteil von<br />
Selbstverwirklichung.<br />
Selbstaufgabe<br />
„Gott hat die Menschen so sehr geliebt, dass er seinen einzigen<br />
Sohn für sie hergab. Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zugrunde<br />
gehen, sondern das ewige Leben haben“ (Johannes 3, 16).<br />
Viele Autoren der Bibel (z. B. 1. Johannes 3, 18; Jakobus 2, 8, 14;<br />
1. Thessalonicher 1, 3; Galater 5, 6) betonen immer wieder <strong>den</strong> Zusammenhang<br />
zwischen Liebe und Handeln. Teil des Selbstverwirklichungsplans<br />
vieler Menschen ist eine gute Moral. Es gehört heutzutage<br />
zum guten Ton, Fairtrade-Produkte zu loben und hingebungsvoll auf das<br />
Elend in der Welt hinzuweisen. Daran ist nichts falsch. Aber es ist nicht<br />
das, wovon Jesus hier spricht. Selbstaufgabe geht darüber hinaus. Es bedeutet,<br />
sich – motiviert durch Liebe – selbst „zu verleugnen“, wie Jesus<br />
(Markus 8, 34, Übersetzung: Luther 1984) es umschreibt – und die<br />
Umsetzung in die Tat. Hierbei geht es sehr konkret um <strong>den</strong> Unterschied<br />
zwischen echtem Glauben und Illusion. Jemand kann zwar glauben,<br />
er könne fliegen, aber wenn sich dieser Glaube nicht in der Realität<br />
bewährt, ist er nichts als Illusion.<br />
Dass Glaube nicht tatenlos bleiben soll, heißt nicht, dass gute Taten einen<br />
Menschen zum Christen machen. Christsein und – wer<strong>den</strong> können<br />
wir uns wie eine Adoption vorstellen: Gott adoptiert uns wie ein Vater<br />
seine Kinder, weil er uns liebt (1. Johannes 3, 1). Gott regelt sozusagen<br />
alle rechtlichen Dinge bezüglich der Adoption für uns. Wir müssen nur<br />
zustimmen und in dem Bewusstsein leben, dass er uns angenommen<br />
hat. Beides – die Annahme und das Bewusstsein der Adoption sind uns<br />
durch Gottes Liebe geschenkt. Ein Mensch, der diese Adoption ablehnt,<br />
kann nicht durch gute Taten zum Christ wer<strong>den</strong>.<br />
Darum ist die Vorstellung falsch, dass die Selbstaufgabe, von der Jesus<br />
spricht, dasselbe ist wie blinde Selbstaufopferung oder das Helfen, das<br />
ich tue, weil es mir selbst ein gutes Gefühl gibt. Konkret bedeutet das:<br />
Ein Entwicklungshelfer, der mit Kindern auf einer indischen Müllhalde<br />
lebt, ist möglicherweise genauso wenig christlich wie ein Manager, der<br />
sich selbst bereichert. Es geht um Selbstaufgabe aufgrund von Glauben<br />
und Liebe und dies ist das Gegenteil von Selbstverwirklichung.<br />
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