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MIXTAPE

Ausgabe 2013

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<strong>MIXTAPE</strong><br />

Ein Studienprojekt der AMD Akademie Mode & Design Berlin, Lehrredaktion MM5, Ausgabe No. 3


*bezogen auf den UVP<br />

Editorial<br />

MARKEN ZUM VERLIEBEN<br />

PREISE ZUM ANBETEN<br />

So viele Topmarken unter einem Dach. Für Sie,<br />

für Ihn, für Kinder, für Zuhause. Immer bis zu<br />

60% günstiger* und jeden Tag neu. Denn unser<br />

Sortiment wechselt täglich.<br />

W<br />

ir alle kennen diesen Moment.<br />

Man hört dieses eine Lied wieder<br />

– und es katapultiert einen zurück<br />

in die Zeit, als es zum Soundtrack<br />

für einen besonderen Augenblick<br />

wurde. Wir leben die Situation<br />

noch einmal. Riechen, schmecken<br />

und fühlen sie so intensiv, als wäre<br />

erst ein Herzschlag vergangen.<br />

Musik ist ein Katalysator für unsere Gefühle, sie vereint<br />

Emotion, Fortschritt, Kunst und Bewegung.<br />

Die dritte Ausgabe von WERK VI fasst diese universelle<br />

Kultur auf, in der sich zahlreiche spannende Facetten verbergen.<br />

Der französische Schriftsteller Victor Hugo sagte<br />

einmal, Musik drücke aus, was nicht in Worte gefasst werden<br />

kann. Wir haben uns dieser Herausforderung gestellt<br />

und uns gefragt: Wie sieht es aus, wenn eine Generation<br />

durch exzessives Feiern abschaltet, wie fühlt es sich an, mit<br />

der Diskotheken-Legende und Potenzwaffe Rolf Eden um<br />

die Häuser zu ziehen, wie klingt es, wenn Musik zur Therapiemethode<br />

wird, was passiert, wenn die Liebe eines Fans<br />

dessen gesamtes Leben einnimmt und vor allem, welche<br />

Rolle spielt die Musik in der Mode?<br />

Aus diesen und noch vielen weiteren Geschichten ist ein<br />

<strong>MIXTAPE</strong> aus Interviews, Reportagen, Dokumentationen<br />

und Portraits aus den unterschiedlichsten Stimmungen<br />

und Themenbereichen entstanden. Die vier Modestrecken<br />

befassen sich mit aktuellen Trends, Klassikern und<br />

Haute-Couture-Kreationen und zeigen in verschiedenen<br />

Ansätzen, wie sich Mode mit Musik verbinden lässt.<br />

3<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe.<br />

Ihre WERK VI-Redaktion<br />

Werden Sie Fan auf<br />

facebook.com/tkmaxx.de<br />

DAMEN HERREN KINDER SCHUHE ACCESSOIRES HOME


Inhalt<br />

14<br />

86<br />

Impressum<br />

4<br />

Werk VI . Mixtape<br />

3<br />

5<br />

6<br />

10<br />

14<br />

20<br />

26<br />

36<br />

40<br />

44<br />

52<br />

56<br />

Editorial<br />

Impressum<br />

Intro<br />

Champagner für die Damen<br />

Durch die Nacht mit Rolf Eden<br />

Heavy-Metal-Seefahrt<br />

Das Wacken-Festival<br />

sticht in See<br />

Lifestyle Of Rebellion<br />

Wie man mit Metallica<br />

Walzer tanzt<br />

Der Familien-Clan<br />

Eine Fan-Kultur auf Abwegen<br />

Stadtgeschichte<br />

Der Sound in Berlin der<br />

70er- und 80er-Jahre<br />

J’adore Hardcore<br />

Der wahrscheinlich größte<br />

Scooter-Fan der Welt<br />

Us And Them<br />

Backstage mit der Band<br />

8-Bit Chess Club<br />

Zwei Künste, eine Welt<br />

Mode und Musik verbindet<br />

Entweder du kommst mit<br />

Power, oder du gehst besser<br />

wieder nach Hause<br />

An der Tür mit Smiley Baldwin<br />

62<br />

68<br />

74<br />

78<br />

86<br />

96<br />

98<br />

102<br />

106<br />

Die zweite Chance<br />

Mit Rap zurück ins Leben<br />

Dancing On My Own<br />

Körperbeherrschung mit Stil<br />

Kostümtraum und<br />

Theaterzauber<br />

Dorothea Katzer über<br />

ihre Arbeit als Kostümdirektorin<br />

an<br />

der Deutschen Oper<br />

Der Klang macht die Kunst<br />

Ein Interview mit dem Künstler<br />

Gerriet K. Sharma<br />

Drop It Like It’s Hot<br />

HipHop-Style Deluxe auf<br />

den Straßen Berlins<br />

Mein erstes Mal<br />

Musikgeschichten<br />

Zwischen Himmel und Erde<br />

Der Roofer Marat Dupri<br />

in schwindelerregender<br />

Höhe<br />

Aufstand der Dandys<br />

Die Rüpel-Blogger von<br />

Dandy Diary<br />

Kinder der Nacht<br />

Bilder einer Generation<br />

Daniel Cronin, Friederike Koenig, Michelle Gornick, Matthias Wehofsky, Patrick Wüstner, gksh<br />

74<br />

44<br />

26<br />

78<br />

Verantwortliche Dozenten<br />

Olga Blumhardt (Magazinentwicklung,<br />

Text, V.i.S.d.P.)<br />

Andine Müller (Kreativ Direktion)<br />

Martin Schmieder (Marketing & PR)<br />

Florian Sievers (Text)<br />

Redaktion, Kurs MM5<br />

Julia Balandynowicz, Carmen<br />

Benker, Alexandra Brechlin,<br />

Daliah Hoffmann, Virginie<br />

Henzen, Greta Kehl-Detemple,<br />

Friederike Koenig, Annika Krüger,<br />

Valentine Linke, Tina Meyer,<br />

Jeannette Petersmann, Pina Pipprich,<br />

Elena Schröder, Inga Schwarze,<br />

Sarah Thürsam, Annika Zapp<br />

Chef vom Dienst<br />

Pina Pipprich<br />

Schlussredaktion<br />

Heinrich Dubel<br />

Artwork Tape<br />

Lena Petersen<br />

Bildbearbeitung<br />

Markus Dreyer<br />

Fotos<br />

Carina Adam, Hannes Albert,<br />

Verena Brüning, Daniel Cronin,<br />

Marat Dupri, Markus Dreyer,<br />

Philippe Gerlach, Michelle<br />

Gornick, Mark Henderson,<br />

Friederike Koenig, Stefan Korte,<br />

Juliette Mainx, Arturo Martinez<br />

Steele, Jessica Prautzsch,<br />

Sarah Sondermann, Patrick<br />

Wüstner, Annika Zapp<br />

Anzeigen<br />

Julia Balandynowicz,<br />

Friederike Koenig,<br />

Sarah Thürsam<br />

PR<br />

Carmen Benker, Daliah Hoffmann,<br />

Valentine Linke, Jeannette<br />

Petersmann, Pina Pipprich, Inga<br />

Schwarze, Annika Zapp<br />

Event<br />

Alexandra Brechlin, Virginie Henzen,<br />

Greta Kehl-Detemple, Annika<br />

Krüger, Tina Meyer, Elena Schröder<br />

Druck<br />

Brandenburgische<br />

Universitätsdruckerei und<br />

Verlagsgesellschaft Potsdam mbH<br />

Karl-Liebknecht-Straße 24-25<br />

14476 Potsdam<br />

www.bud-potsdam.de<br />

Redaktionsanschrift<br />

AMD Akademie Mode & Design<br />

Franklinstraße 10<br />

10587 Berlin<br />

Tel.: 030 330 99 76 0<br />

olga.blumhardt@amdnet.de<br />

www.werk6-magazin.de<br />

WERK VI ist ein Studienprojekt<br />

des 6. Semesters im Ausbildungsgang<br />

Modejournalismus/Medienkommunikation<br />

an der AMD<br />

Akademie Mode & Design Berlin.<br />

WERK VI erscheint jährlich<br />

und liegt an ausgewählten Orten<br />

in Berlin kostenfrei aus.<br />

Das Titelbild wurde von<br />

Matthias Wehofsky fotografiert.<br />

Model: Juni/Seeds<br />

Juni trägt Pullover und<br />

Miederhose, gesehen bei TK Maxx.<br />

Kette von by Malene Birger.<br />

Ohrringe: Stylists own<br />

Wir danken allen, die WERK VI<br />

möglich gemacht haben.<br />

5<br />

Werk VI . Mixtape


Play<br />

DrauSSen im Dunkel<br />

Weitermachen nach der Mode<br />

Hörprobe<br />

Showstudio.com ist eine preisgekrönte<br />

Mode-Webseite, die der<br />

britische Starfotograf Nick Knight<br />

im November 2000 gründete.<br />

Neben experimentellen Modefilmen,<br />

Interviews mit interessanten Leuten<br />

aus der Branche und dem Neuesten<br />

vom Laufsteg gibt es hier die Rubrik<br />

Fashion Mix. Dafür stellen etablierte<br />

Designer, Models, Journalisten<br />

und Fotografen jede Woche ihre<br />

aktuellen persönlichen Top-10-Hits<br />

zum Hören auf die Seite. Unter ihnen<br />

zum Beispiel Matthew Williamson,<br />

Toni Garrn, Phillip Treacy, Rick<br />

Owens oder Carine Roitfeld. Großzügig<br />

teilen sie mit uns den<br />

aktuellen Soundtrack ihres Lebens.<br />

showstudio.com/project/fashion_mix<br />

„Mein herz schlägt höher“<br />

Katrin Erichsen (li.) und Aleksandra Skwarc sind die Gründerinnen<br />

von Musique Couture, einer Berliner Agentur, die passende Musik für<br />

Fashion Shows, Modefilme und Firmen-Events liefert. Ein Interview<br />

über die Schnittstelle von Musik und Mode.<br />

Woher kommt eure Liebe zur Musik?<br />

Aleks: Mein Herz brannte einfach schon<br />

immer für Musik. Mein Vater war Toningenieur<br />

und meine Eltern haben mich in<br />

dem Bereich sehr gefördert. Ich hab als Kind<br />

lange Violine gespielt und war auf einem<br />

Musikgymnasium. Musik zieht sich wie ein<br />

roter Faden durch mein ganzes Leben. Wenn<br />

es um Musik geht, war ich mir immer sicher.<br />

Katrin: Bei mir war das ähnlich: Meine<br />

ganze Familie war sehr musikaffin, da habe<br />

ich total viel mitgekriegt. Schon mit zehn<br />

Jahren habe ich angefangen, Platten zu<br />

kaufen und Mixtapes aufzunehmen, wenn<br />

am Sonntag die Lieblingssendung im Radio<br />

lief. Andere Kinder hatten andere Hobbys.<br />

Mein Lebensmittelpunkt war Musik.<br />

Was hat Mode mit Musik gemeinsam?<br />

Aleks: Mode und Musik sind beides<br />

kreatives Schaffen, ein Lebensgefühl: Es<br />

ist beides Kunst. Ein Modedesigner, der<br />

sein eigenes Modelabel hat, ist da mit<br />

ganzem Herzen dabei. Genau wie ein Musiker.<br />

Oder ein Regisseur. Zu diesen<br />

kreativen Feldern gehört ganz viel dazu:<br />

Film, Musik, Mode, Kunst oder Literatur.<br />

Wieso passt Musik so gut zu Mode?<br />

Katrin: Jeder Designer, der eine neue<br />

Kollektion entwirft, hat eine bestimmte<br />

Vision im Kopf – zu der auch Musik gehört.<br />

Für uns ist es jedes Mal unglaublich aufregend,<br />

die Musik für eine Fashionshow<br />

auszuwählen. Das ist unser Herzstück. Es<br />

macht Spaß, eng mit einem Designer zusammenzuarbeiten.<br />

Ideen abzugleichen, ein<br />

passendes Musikkonzept zu entwickeln, bis<br />

die Kollektion ihren ganz eigenen Sound hat.<br />

Profitiert Mode mehr von Musik, oder<br />

umgekehrt?<br />

Katrin: „Profitieren“.<br />

Das kann man so nicht sagen.<br />

Aleks: Ich glaube, das ist eine Win-Win-<br />

Situation. Zum Beispiel bei Beth Dito und<br />

Karl Lagerfeld: Die Künstlerin bekommt<br />

durch ihn wahnsinnig viel Aufmerksamkeit<br />

in der Presse, weil Lagerfeld sie zu seiner<br />

Muse gekrönt hat. Und auf der anderen Seite<br />

gewinnt Chanel, weil die extreme Persönlichkeit<br />

von Beth Dito, die sehr wild und rau<br />

ist, auf das Label abfärbt. Bei Mode und Musik<br />

geht es um eine gegenseitige Befruchtung.<br />

Was berührt Menschen mehr, Musik oder Mode?<br />

Aleks: Hm. Das ist sehr individuell.<br />

Aber trotzdem antworte ich „Musik“. Musik<br />

spricht die Sinne ganz anders an. Musik<br />

geht direkt ins Ohr.<br />

Katrin: Genau. Der eine ist eben mode- und<br />

der andere musikaffiner. Oder beides. Mein<br />

Herz schlägt höher, wenn ich Musik höre, als<br />

wenn ich Mode ansehen. Es sei denn, ich sehe<br />

etwas von Yves Saint Laurent aus den 70ern.<br />

– Valentine Linke<br />

Smells<br />

Like<br />

Music<br />

Spirit<br />

Wie stark Musikkultur<br />

Mode beeinflusst,<br />

zeigen viele Designer<br />

auf dem Laufsteg<br />

für Herbst/Winter 2013.<br />

Fotos: Presse<br />

Im Museum Angewandter<br />

Kunst in Frankfurt am Main<br />

können Besucher noch bis<br />

Mitte September eine Antwort<br />

auf die anscheinend unlösbare<br />

Frage suchen, was Mode in<br />

der heutigen Zeit bedeutet. Die<br />

aktuelle Ausstellung Draußen<br />

im Dunkel. Weitermachen nach<br />

der Mode – kuratiert von u.a.<br />

Mahret Kupka, die an der AMD<br />

Berlin Modetheorie lehrt, bietet<br />

einen Einblick in die ungewisse<br />

und teils düstere Welt der<br />

Anti-Mode. Seit den 90-Jahren<br />

steht der Begriff Anti-Mode für<br />

die Entwürfe von Designern<br />

wie Martin Margiela, Helmut<br />

Lang, Yohji Yamamoto oder<br />

Alexander McQueen. Sie<br />

etablierten den Heroin-Chic,<br />

Minimalismus und Dekonstruktivismus<br />

und prägten<br />

den bis dato schrillen und<br />

bunten Kosmos der Mode.<br />

Schon immer fungiert unsere<br />

Barbara I Congini<br />

Collection 18,<br />

H/W 2013/14<br />

Kleidung als Spiegel der<br />

Gesellschaft und als Reflektion<br />

für Stimmung, gesellschaftliche<br />

Veränderungen und<br />

subkulturelle Entwicklungen.<br />

Doch was macht die Mode<br />

der Gegenwart aus und für was<br />

steht sie? Um das zu verstehen,<br />

wird der Besucher in Draußen<br />

im Dunkel mit Hilfe von<br />

multimedialen Installationen<br />

auf eine Reise geschickt und wird<br />

dabei von Werken und Arbeiten<br />

der teilnehmenden Designer<br />

begleitet. Neben Kleidern von<br />

Augustin Teboul und Ann<br />

Demeulemeester ist ebenfalls<br />

Mode von Alexander McQueen,<br />

Rodarte und Leandro Cano ausgestellt.<br />

- Daliah Hoffmann<br />

Museum Angewandte Kunst,<br />

Schaumainkai 17,<br />

Frankfurt am Main<br />

Bis 15. September 2013<br />

HipHop Punk Techno Grunge Gothic Rock<br />

Lanvin Jeremy Scott Mugler Saint Laurent<br />

Paris<br />

Versace<br />

1 Piu 1 Uguale 3<br />

7<br />

Werk VI . Mixtape


8 tige Mischung: „Wir wollen unbekannten<br />

Noch nie waren schwullesbische Rapper in Gay-Rap-Richtung, das bedeutet aber Frauenkörper in knappen Bikinis räkeln<br />

9<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Bekleidung,<br />

Musik, Kunst<br />

Um einen Shop am Berliner Hackeschen<br />

Markt zu eröffnen, der zwischen den vielen<br />

minimalistischen Concept Stores auffällt,<br />

braucht man vor allem Mut und eine so noch<br />

nicht da gewesene Idee – beides hatten<br />

Bodo Volke und Stéphane Argillet für ihren<br />

Laden Uni+Form. Ihr Konzept, Mode mit<br />

Musik zu verbinden, sticht heraus. „Wir<br />

wollten hier unbedingt Farbe reinbringen,<br />

Berlin ist uns einfach nicht bunt genug“, sagt<br />

Bodo Volke. Von außen ist das zwar nicht<br />

unbedingt sichtbar, doch im Ladeninneren<br />

ist eine Farbbombe geplatzt. Verteilt in<br />

einem Verkaufsbereich und einer Ausstellungsfläche,<br />

reihen sich die Bügel mit etablierten<br />

Designer- und Newcomer-Stücken an<br />

Gitterrosten vor Backsteinwänden. Insgesamt<br />

15 Designer sind im Shop vertreten.<br />

Die Besitzer achten vor allem auf die rich-<br />

Designern eine Chance geben, deshalb<br />

kommen immer wieder neue, kleinere Labels<br />

zu den schon etablierten dazu“, sagt Volke.<br />

Wichtig ist, dass die Kombination von<br />

Musik plus Mode stimmt. Momentan finden<br />

sich neben Bernard Willhelm, Roberto<br />

Piquera und Anntian, Labels wie Superated,<br />

Bombe Surprise und Mundi. Uni+Form<br />

vertreibt auch Musiklabels wie Minimal<br />

Wave Records, Enfant Terrible, La Forme<br />

Lente, Tsunami Addiction und Weird Records.<br />

Gegenwärtig zeigt der französische<br />

Designer Sebastien Saraiva sein Label Un<br />

Garcon Octobre. A Knitted History of Music<br />

umfasst Pullover, Hoodies, Blazer und<br />

Lederjacken, die er mit aus dem Gedächtnis<br />

nachgestrickten Plattencovern von u.a. Klaus<br />

Nomi, Sonic Youth oder Michael Jackson<br />

veredelt. Die exzentrische Pariserin Vava<br />

Dudu entwarf schon Accessoires für Jean<br />

Paul Gaultier und stylte Lady Gaga, ist DJ<br />

und Musikerin. Die Songtexte ihrer Band<br />

La Chatte – bei der auch Storebesitzer<br />

Stéphane Argillet alias Stereovoid Mitglied ist<br />

– schreibt sie mit Edding auf Bomberjacken,<br />

Trenchcoats oder Lederjacken, so dass<br />

jedes Stück ein Unikat ist. – Pina Pipprich<br />

Uni+Form, Bekleidungsgeschäft<br />

Musikgeschäft/Kunstgalerie<br />

Linienstraße 77, Berlin-Mitte<br />

Der Designer Sebastien Saraiva<br />

strickt für seine Kollektion A<br />

Knitted History of Music aus dem<br />

Gedächtnis Plattencover von<br />

u.a. Sonic Youth oder Duft Punk<br />

nach. Seine Kollegin Vava Dudu<br />

schreibt ihre Songtexte auf<br />

Textilien – aber auch Vinyl kann<br />

man bei Uni+Form kaufen<br />

Fotos: Annika zapp<br />

QUEER PIONIEERS<br />

HipHop: Ein Genre, das traditionell als übermaskulin und homophob gilt,<br />

bekommt dank Künstlern wie Le1f, Zebra Katz und Mykki Blanco einen<br />

neuen Fokus: die Homosexualität. Die US-amerikanischen Musikkritiker<br />

gaben dieser neuen Stilrichtung bereits einen eigenen Namen: Queer Rap.<br />

Und da fängt das Problem schon an.<br />

L<br />

e1f, Zebra Katz und<br />

Mykki Blanco sind<br />

homo-, bi- oder<br />

transsexuell und rappen<br />

so offen in ihren<br />

Liedern darüber, als<br />

wäre dies schon immer möglich gewesen.<br />

den Massenmedien so präsent – das kommt<br />

leider daher, dass die Presse sie als schwule<br />

Rapper feiert und nicht deshalb, weil sie<br />

begabte Künstler sind, die eine Revolution<br />

im homophoben HipHop auslösen.<br />

Nachdem sich erst Frauen in der roughen<br />

Welt des testosterongeladenen HipHop<br />

emanzipieren mussten, sich vom schmucken<br />

Beiwerk und Statussymbol der Männer<br />

einen Platz am Mikro erkämpften,<br />

sind nun Frauen und Männer an der Reihe,<br />

die wegen ihrer sexuellen Orientierung<br />

in der Szene gegen Spott und Ausgrenzung<br />

kämpfen müssen. Der Erfolg gibt ihnen<br />

recht. Unter den „echten“ Gangster-<br />

Rappern macht sich stilles Entsetzen breit.<br />

Dabei entstand HipHop doch eigentlich<br />

als Ausdrucksmittel gegen Unterdrückung<br />

von Minderheiten. „Keep it real“ ist die<br />

Essenz einer Musikkultur, die offenbar ihre<br />

eigenen Credos vergessen und gegen Bling-<br />

Bling und Money eingetauscht hat.<br />

Angefangen hat die Queer-Bewegung<br />

im HipHop vergangenes Jahr mit dem<br />

öffentlichen Outing von Franc Ocean,<br />

dem R’n’B-Sänger aus dem kalifornischen<br />

Odd-Future-Clan um Tyler The Creator.<br />

Künstler aus der HipHop-Branche wie<br />

Jay-Z lobten Ocean für seinen Mut. Dabei<br />

nahm der das Wort „gay“ nie in den Mund,<br />

er sprach ausschließlich von „Liebe“.<br />

Gleichzeitig wurde das Subgenre Queer<br />

Rap immer stärker publik, obwohl es<br />

schon viel länger im Untergrund existierte.<br />

Aus New Yorker Clubs fand es seinen<br />

Weg an die Öffentlichkeit. Blogger und<br />

die liberale Musikpresse stürzen sich<br />

regelrecht auf diese neu aufkommende<br />

auch, dass vor allem das gay und nicht der<br />

Rap im Vordergrund steht. Denn je öfter<br />

die Bezeichnung schwullesbisch zusammen<br />

mit HipHop fällt, desto weltoffener<br />

und aufgeschlossener fühlen sich die<br />

Konsumenten. Trotzdem der alteingesessene<br />

HipHop noch die Übermacht hält<br />

und wir hier nur von einer ausgewählten<br />

Randerscheinung reden, werden durch<br />

den Hype der Presse zumindest längst<br />

fällige Umdenkprozesse – auch bei Konsumenten<br />

– in Bewegung gesetzt. Immerhin.<br />

Das beste Beispiel für Künstler, die sich<br />

schon einen Namen in der Szene gemacht<br />

haben, ist Ojay Morgan alias Zebra Katz.<br />

Sein Jahre alter Song “Ima Read” wurde<br />

erst durch die Fashionshow des Modedesigners<br />

Rick Owens 2012 zum Hit und<br />

er zum Everybodys Darling der Pariser<br />

Modeszene. Der Song wurde unzählige<br />

Male geremixt. Auf der Bühne präsentiert<br />

Zebra Katz ein Posenwettstreit, der an<br />

das Voguing der 80er angelehnt ist.<br />

Doch Künstler wie der Harlemer Michael<br />

Quattlebaum Jr. alias Mykki Blanco wollen<br />

nicht auf ihre Sexualität reduziert werden,<br />

obwohl die Presse sie damit groß rausbringt.<br />

Blanco, der erste transsexuelle Musiker<br />

in der HipHop-Szene, beruft sich statt<br />

auf die Revolution lieber auf den dadurch<br />

entstandenen Glamour des HipHop. Nicht<br />

Mykki Blanco bei seinem<br />

Videodreh zu „Kingpinning“.<br />

Foto: Philippe Gerlach<br />

sich in seinen HipHop-Videos, sondern er<br />

selbst. Blanco erscheint auf der Bühne<br />

so, wie er sich in dem Moment am wohlsten<br />

fühlt: mal als Stereotyp eines harten<br />

Rappers, mal als halbnackter Knabe<br />

in Öl auf einem Männerschoß jauchzend<br />

oder als aufgesexte Frau im knappen<br />

Minirock und mit blonder Perücke.<br />

Auch die Musik hat sich verändert, statt<br />

auf dumpfe HipHop-Beats zu reimen,<br />

untermauert Blanco seinen aggressiven<br />

Rapstil lieber mit einer Mischung aus<br />

hartem House, Crunk, Dubstep und<br />

Hardstyle. Seine grenzüberschreitenden,<br />

unerschrockenen und oft dreisten Texte<br />

handeln nicht nur von Money, Hoes<br />

und Fame, sondern sind eine Mischung<br />

aus eben diesem genannten Braggadocio-Rapstil<br />

und dem Leben einer Drag-<br />

Queen. Diese Stilrichtung verbindet klassischen<br />

HipHop mit bis dato nie berappten<br />

Begehren. Khalif Diouf alias Le1f bezeichnet<br />

sich dazu passend als „Gayngster“.<br />

So verschieden die Stile der HipHop-Acts<br />

auch sind, sie alle werden dank ihrer<br />

offenen, homosexuellen Orientierung über<br />

einen Kamm geschoren. Gerade deshalb<br />

wird es Zeit sich zurückzubesinnen: „Keep<br />

it rea!“ Denn diese Musikerinnen und<br />

Musiker sollten allein für ihre Authentizität<br />

und ihr Talent gefeiert werden.<br />

– Pina Pipprich<br />

Werk VI . Mixtape


„Champagner<br />

für die Damen“<br />

Berliner Diskotheken-Legende, galanter Kavalier und ewiger<br />

Schwerenöter. Rolf Eden, Deutschlands letzter Playboy,<br />

erzählt bei einer nächtlichen Kneipentour, wie er für mehr<br />

10<br />

als ein halbes Jahrhundert Berlin unsicher gemacht hat.<br />

11<br />

Werk VI . Mixtape<br />

von Julia Balandynowicz & Sarah Thürsam<br />

fotos: Markus Dreyer<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Auf der Bühne ist<br />

Entertainer Rolf<br />

Eden in seinem<br />

Element: 83 Jahre<br />

pure Energie<br />

L<br />

eise Saxophonklänge, ein runder<br />

Holztisch mit weißem Leinentuch<br />

und ein Mann mit halblangen<br />

blonden Haaren, der mit den Fingern<br />

im Takt der Musik klopft. Es<br />

ist 22 Uhr in Berlin-Wilmersdorf.<br />

Vor der urigen Kneipe Die kleine<br />

Weltlaterne nippt Rolf Eden unter<br />

einem sternenklaren Himmel an seinem Wasserglas. Mit<br />

83 Jahren ist er perfekt zurechtgemacht: Die Haare zurück<br />

gekämmt, optimal sitzender blauer Anzug, gestreiftes<br />

Hemd, passendes Einstecktuch und manikürte Nägel.<br />

Fast jeden Donnerstag besucht Eden das Lokal. Wegen<br />

der Livemusik, die nirgendwo in Berlin besser ist, sagt er.<br />

Das Durchschnittsalter liegt hier über 60 und die Stimmung<br />

ist sehr ausgelassen.<br />

„Ich liebe alles, was eine schöne Melodie und schöne Texte<br />

hat. Am besten gefallen mir Lieder über die Liebe.“ Seine<br />

blauen Augen sind trüb und glasig, fangen aber urplötzlich<br />

an zu leuchten, als er tief Luft holt und das amerikanische<br />

Kinderlied „You Are My Sunshine“ anstimmt. Seine Mundwinkel<br />

zaubern ein so ausdrucksstarkes Lachen hervor,<br />

dass jeden um ihn herum ergreift. Eden schwärmt weiter<br />

von der alten Jazzmusik. Erroll Garner oder Benny Goodman<br />

gehören zu seinen Lieblingsmusikern. Während der


12<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Seit Anbeginn<br />

seiner Playboy-<br />

Karriere fährt<br />

Eden Rolls-Royce<br />

Musikplauderei, verfällt er im Minutentakt ins Singen und<br />

stimmt den Refrain von Liedern wie „Baby Baby Balla Balla“<br />

oder „Aber schön muss sie sein“ an. Oft steht Rolf Eden in<br />

der Kleinen Weltlaterne selbst auf der Bühne und gibt diese<br />

Lieder zum Besten.<br />

Rolf Eden wurde in Deutschland durch seine Berliner Diskotheken<br />

berühmt und nach etlichen Liebeleien zum Playboy<br />

ernannt. Heute investiert er in Immobilien und pflegt<br />

sein Image als Frauenheld. 800 Mietwohnungen besitzt er im<br />

Westen der Stadt. Auch im Osten Berlins hat er in Häuser<br />

investiert. „Die Leute zahlen dafür, dass sie in meinen Wohnungen<br />

schlafen dürfen. Süß oder?“, sagt Eden gerührt.<br />

Gebürtig heißt er Rolf Sigmund Sostheim und ist jüdischer<br />

Abstammung. 1933, als er drei Jahre alt ist, flüchtet<br />

seine Familie von Berlin nach Palästina. Eden kämpft mit<br />

18 Jahren im israelischen Unabhängigkeitskrieg. Später<br />

geht er nach Paris und schlägt sich als Musiker durch. Als<br />

er in der Zeitung liest, dass jeder gebürtige Berliner 6.000<br />

DM erhält, wenn er wieder in die Stadt kommt, kehrt Eden<br />

zurück. Mit Erspartem und der Prämie eröffnet er seinen<br />

„Alle waren beim Eden.<br />

Die Stones, die Beatles. Alle“<br />

ersten Club, das Old Eden (zuerst Eden-Salon genannt).<br />

Mit seinem Geschäftssinn prägt er das Berliner Nachtleben<br />

der 50er- und 60er-Jahre. Er lässt Frauen in riesigen Champagnergläsern<br />

baden und entkleidet seine weiblichen DJs.<br />

Die Eskapaden in seinen Clubs machen ihn berühmt und<br />

die Presse feiert ihn als „Deutschlands Playboy Number<br />

One“. Nach mehr als 30 Jahren Prunk und Party schließt<br />

er 2002 seinen letzten Club, das Big Eden am Kurfürstendamm.<br />

Insgesamt hatte Eden fünf Diskotheken: das Old<br />

Eden, das New Eden, den Eden Playboy Club, das Eden<br />

Kabarett und zuletzt das Big Eden. „Das Old Eden, mein<br />

erstes Lokal, ist immer mein Lieblingsclub geblieben.“ Alle<br />

Lokale lagen in der Nähe des Ku’damms. Um die rund 250<br />

Mitarbeiter zu kontrollieren, fuhr der Partykönig mit seinem<br />

Chauffeur von Club zu Club. „Alle waren beim Eden.<br />

Die Stones, die Beatles. Alle.“ Nach wilden Partynächten<br />

haben die Rolling Stones ihn noch Jahre später zu all ihren<br />

Konzerten in Berlin eingeladen, sagt er. Für die frühen<br />

60er-Jahre waren diese Diskotheken eine Sensation – mit<br />

Pool, Telefonen auf den Tischen und nackten Frauen. Inspiration<br />

holte sich Rolf Eden auf seinen Reisen. So erinnert<br />

er sich an New Yorker Nächte im Studio 54 mit dem Playboy-Gründer<br />

Hugh Hefner: „Die hatten den DJ über dem<br />

Publikum schweben. Das hab ich dann auch gemacht, nur<br />

mit einer Dame, die oben-ohne aufgelegt hat.“ Auch privat<br />

ließ es Eden krachen. Mit sieben Frauen zeugte der Schwerenöter<br />

seine sieben Kinder. Seine Tochter Irit ist heute 64<br />

Jahre alt. Sein jüngster Sohn Kai ist 1997 geboren.<br />

Ein Rosenverkäufer kommt an den Tisch in der Kleinen<br />

Weltlaterne. Rolf Eden begrüßt ihn vertraut. Er zückt seine<br />

Geldklammer aus Sterlingsilber aus der Seitentasche seines<br />

Sakkos und gibt dem Verkäufer einen Zwanziger. „Madame,<br />

suchen Sie sich bitte eine aus“, raunt er und trinkt einen<br />

Schluck Wasser, ohne seinen Blick abzuwenden. Er ist immer<br />

noch ein Casanova, wie er im Buche steht. Ein Funkensprüher.<br />

Aus irgendeinem Grund ist man angetan von ihm,<br />

trotz der 60 Jahre Altersunterschied. „Ich bin jede Sekunde<br />

happy“, sagt er. Und genau das kommt bei seinem Gegenüber<br />

auch an. Er begeistert die Menschen mit seiner Herzlichkeit.<br />

Von seinem Charme, seiner Großzügigkeit und seinem offenen,<br />

ehrlichen Wesen wird jeder gefesselt. Obwohl Eden im<br />

Februar 83 Jahre alt geworden ist, lässt er laut eigener Aussage<br />

nichts anbrennen. „Ich werde permanent von schönen<br />

Frauen umgarnt“, sagt er. „Jede will was mit dem Eden haben.“<br />

Aus seinem Mund klingt das wie ein Versprechen.<br />

Seit mehr als acht Jahren ist Rolf Eden jedoch mit seiner<br />

Dauerfreundin Brigitte („Ausgesprochen: Brischid“)<br />

zusammen. Die Blondine ist ein halbes Jahrhundert jünger<br />

und heißt eigentlich Aline. Da Eden seit seiner Jugend für<br />

die französische Schauspielerin Brigitte Bardot schwärmt,<br />

hat er Aline in Brigitte umbenannt. Die beiden wohnen<br />

in seiner Villa in Dahlem. Vielleicht gezwungenermaßen:<br />

Rolf Eden stürzte in seinem Domizil und verletzte sich dabei<br />

so schwer, dass er ins Krankenhaus musste. Zu Hause<br />

ließ er sich dann von Brigitte pflegen. Seitdem wohnen die<br />

beiden unter einem Dach. Rolf Eden behauptet, dass er sich<br />

nur mit Frauen unter 26 umgibt. Das die 31-jährige Brigitte<br />

trotzdem noch aktuell ist, erklärt er so: „Die ist so süß, bei<br />

der mach ich eine Ausnahme. Brigitte darf bleiben bis sie<br />

40 ist, dann muss sie weg.“<br />

Es folgt ein typisch unbeschwerter Rolf-Eden-Lacher, der<br />

zeigt, dass es vielleicht nicht ganz so ernst gemeint war. Auf<br />

die Frage, ob seine Freundin nicht eifersüchtig auf all die<br />

26-Jährigen sei, antwortet er: „Nein, ganz im Gegenteil. Brigitte<br />

hilft mir sogar, Frauen in Bars auszusuchen, die ich für<br />

den Abend mitnehme.“ Mit Brigitte ist Eden zum ersten mal<br />

richtig glücklich, doch heiraten will er sie trotzdem nicht: „Ein<br />

Playboy darf niemals heiraten, dann ist er kein Playboy mehr.“<br />

Ein alter Bekannter kommt an den Tisch und bringt<br />

schlechte Nachrichten: „Die Heike ist tot. Du kennst doch<br />

die Heike, die ist tot“, sagt er mehrmals hintereinander<br />

aufgeregt. „Jaja, kenn ich“, erwidert Eden unberührt. „Ich<br />

hasse es, wenn Menschen mir von Toten erzählen“, sagt er,<br />

als der Mann endlich weg ist.<br />

Genug von Brigitte. Und den traurigen Nachrichten. Der<br />

Lebemann will jetzt singen.<br />

Natürlich sind alle Augen auf Eden gerichtet, als er sich<br />

auf der Bühne das Mikrofon schnappt. Das Publikum ist<br />

über seinen bevorstehenden Spontanauftritt geteilter Meinung.<br />

Von „Muss das jetzt sein!“ bis „Toll, jetzt singt Rolf<br />

Eden!“ tuscheln die Leute in der kleinen Kneipe. Eden überhört<br />

sowohl das eine als auch das andere. Die Band legt los.<br />

Und plötzlich steht dort wieder dieser junge, energetische<br />

Ladykiller auf der Bühne. „Fehler kann sie haben, aber<br />

schön muss sie sein, schön muss sie sein, nur für mich!“,<br />

singt er mit anschmiegsamer Stimme. Bewusst versucht er,<br />

die Frauen im Raum in seinen Bann zu ziehen. Rolf Eden<br />

ist voll in seinem Element. Dass er diese Showeinlage nicht<br />

zum ersten Mal macht, ist nicht zu übersehen. Der Text<br />

sitzt, und die Blicke und Handbewegungen wirken routiniert.<br />

Der Mann weiß genau, was er tut, ein Entertainer<br />

durch und durch. Trotzt anfänglicher Skepsis einiger Gäste<br />

ist der Applaus riesig. Rolf Eden verbeugt sich ganz gentlemanlike<br />

und geht zurück zu seinem Tisch. Er bestellt sich<br />

einen Cognac, trinkt einen Schluck und entspannt sich. „Ich<br />

war mal Musiker in Paris. Ich spiele Piano, Saxophon und<br />

Schlagzeug. Ich liebe die Musik.“<br />

Nach seinem Auftritt hat er Hunger und will in sein<br />

Lieblingsrestaurant, die Paris Bar in der Kantstraße. „Ich<br />

liebe französische Küche. Die Austern und die Zwiebelsuppe<br />

sind ganz fantastico dort.“<br />

Es ist Mitternacht, als Rolf Eden seinen schwarzen<br />

Rolls-Royce Convertible mit dem Kennzeichen B-RE-6000<br />

aus dem Halteverbot ausparkt. „Die Polizei kennt mich,<br />

ich bekomme nie einen Strafzettel“, sagt er mit einem Augenzwinkern.<br />

Er lenkt seinen Wagen auf den Kurfürstendamm,<br />

das Dach ist offen. Das helle Licht des Mondscheins<br />

strahlt auf die beigen Ledersitze, als Xavier Naidoos Stimme<br />

aus den hochwertigen Lautsprechern tönt. „Ich mag<br />

diesen Naidoo. Er hat schöne Texte über die Liebe, da kann<br />

man was lernen.“ Rolf Eden parkt standesgemäß direkt vor<br />

der Paris Bar an einer Bushaltestelle. Die Paris Bar ist um<br />

diese Uhrzeit fast leer. Lediglich drei Gäste sitzen an den<br />

Tischen, die vor dem Restaurant stehen. Alle kennen ihn<br />

und begrüßen ihn herzlich. Bevor sich Rolf Eden setzt, holt<br />

er sich die International Harald Tribune. „Da war letztens<br />

ein Artikel über mich zu lesen, den Playboy aus Deutschland“,<br />

sagt er stolz. Er liest immer die gleichen Zeitungen:<br />

„Bild, BZ, Berliner Morgenpost und die Tribune. Ich guck<br />

immer, ob die was über mich schreiben.“ Zuhause sammelt<br />

er alle Artikel, die über ihn veröffentlicht werden. Inzwischen<br />

sind es sehr viele.<br />

Der Kellner bringt Champagner. „Alle Damen, die mit<br />

Eden unterwegs sind, trinken Champagner“, säuselt er mit<br />

funkelnden Augen. Dazu bestellt er Rinderfiletspitzen mit<br />

Bratkartoffeln und grünen Bohnen. „Nur eine halbe Portion!“,<br />

bittet er den Kellner.<br />

Rolf Eden hat die Metamorphose von Berlin von Beginn<br />

an beobachtet: die geteilte Stadt, der Mauerfall, der internationale<br />

Hype. Eines war seiner Meinung nach immer<br />

gleich: „In Berlin gibt es die besten Partys Deutschlands.“<br />

Er geht immer noch gerne aus. Die ganze Stadt liegt ihm zu<br />

Füßen. Aber mit Clubs, in denen elektronische Musik gespielt<br />

wird, kann er nichts anfangen. „Dieses Elektronische<br />

mag ich überhaupt nicht“, winkt er ab, als der Vorschlag<br />

kommt, die Nacht im Kater Holzig ausklingen zu lassen.<br />

„Da tanzen die Leute doch wie Affen, und die Damen tragen<br />

nur flache Schuhe.“<br />

Die Paris Bar leert sich, die Kellner wischen demonstrativ<br />

die Bar. Sie wollen nach Hause. Aber Eden erzählt noch die<br />

Geschichte von Brigitte Bardot, die er unbedingt in St. Tropez<br />

kennenlernen wollte, wohin er extra ihretwegen fuhr.<br />

Vergeblich. Kurze Zeit später schnappte Gunter Sachs sich<br />

„Ein Gentleman genießt und schweigt,<br />

und ein Playboy besonders“<br />

die blonde Schauspielerin. Doch Rolf Eden hatte viele andere<br />

aus dem Showbiz gekannt und geliebt. Namen verrät<br />

er nicht. „Ein Gentleman genießt und schweigt, und ein<br />

Playboy besonders.“ Versteht sich von selbst.<br />

Der stolze Schwerenöter Eden hat trotz halber Portion<br />

seinen Teller nicht leer gegessen. „Ich würde gerne zahlen“,<br />

weist er den Kellner an. Er holt seine schwarze American<br />

Express aus der Anzughose und legt sie auf den Tisch. Als<br />

die Rechnung beglichen ist, steht er langsam auf und verabschiedet<br />

sich: „Es war mir ein großes Vergnügen, mit so<br />

hübschen Damen“, sagt er galant. Ein Schmunzeln umgibt<br />

seine Lippen. Bevor er in seinen Wagen steigt, dreht er sich<br />

ein letztes Mal um und haucht: „Ciao, ciao, Baby.“ Dann<br />

fährt er davon. Ganz langsam.<br />

Unsere Autorinnen<br />

Julia Balandynowicz<br />

(li.) und Sarah<br />

Thürsam mit Rolf<br />

Eden in der<br />

Kleinen Weltlaterne<br />

13<br />

Werk VI . Mixtape


Martin Metz war<br />

schon sechs Mal<br />

auf dem berühmten<br />

Wacken-Festival.<br />

Das schwimmende<br />

Pendant wollte er<br />

sich nicht entgehen<br />

lassen<br />

Heavy<br />

Werk VI . Mixtape<br />

See-<br />

14<br />

15<br />

fahrt<br />

Werk VI . Mixtape<br />

text und fotos von Friederike Koenig<br />

Fotocredit<br />

Fotocredit<br />

Sieben Tage, mehr als 20 Bands, knapp 2.000 Fans und dreißigtausend Liter Bier: Das ist die<br />

Full Metal Cruise, Europas größtes Heavy-Metal-Festival auf hoher See. Die Veranstalter des traditionsreichen<br />

und weltweit größten Festival seiner Art Wacken Open Air haben das Spektakel<br />

auf ein Kreuzfahrtschiff verlegt. Und wir waren dabei.


16<br />

Werk VI . Mixtape<br />

A<br />

re there Metalheads in da house?“,<br />

ruft ein uniformierter Mann<br />

durch den Raum. Die Meute grölt<br />

zur Bestätigung. „Ich will, dass<br />

wir die lauteste Musterstation<br />

werden!“ Die Meute grölt noch<br />

lauter und reckt mit den Fingern<br />

die Teufelshörner in die Luft.<br />

Der Mann in Uniform ist Crewmitglied<br />

auf der Mein Schiff 1, einem luxuriösen Kreuzfahrtschiff,<br />

das in den nächsten sieben Tagen als Europas<br />

einziger Heavy-Metal-Dampfer durch die Nordsee und<br />

den Ärmelkanal fahren wird. Mit an Bord sind knapp<br />

2000 Fans, unter anderem aus Deutschland, Finnland und<br />

Kanada. Zwei Drittel davon Männer. Gerade erklärt der<br />

uniformierte Mann den Metallern, wie sie sich im Notfall<br />

verhalten müssen. Der offizielle Treffpunkt, für den<br />

er im Ernstfall verantwortlich ist, ist der Kinosaal – die<br />

„Musterstation“.<br />

Später wird Kapitän Remko Fehr sagen: „So viel Spaß<br />

hatten wir bei einer Seenotrettungsübung noch nie.“ Denn<br />

so chaotisch wie heute läuft eine Notfall-Probe mit gewöhnlichen<br />

Kreuzfahrtpassagieren nicht ab. „Gibt es jetzt<br />

Popcorn?“, brüllt jemand aus der hinteren Reihe. Erneut<br />

grölende Bestätigung von allen Rängen. Der Mann in Uniform<br />

bettelt um Ruhe, denn eigentlich ist die Übung ein<br />

wichtiger Teil der Schifffahrt. Seine Stimme klingt schon<br />

heiser als er ruft: „Jungs, das ist der einzig ernste Part der<br />

Reise.“ Dabei hakt er auf einer Liste die Anwesenheit der<br />

Gäste ab, doch schon jetzt fehlen 15 Passagiere. Wenn sie<br />

nicht innerhalb der nächsten Minuten auftauchen, müssen<br />

sie sich persönlich beim Kapitän melden. „Wir finden euch<br />

alle. Auch wenn ihr mit 3,5 Promille in der Ecke liegt“, sagt<br />

der Mann in Uniform.<br />

Die Vermutung, dass einige schon jetzt betrunken sind,<br />

ist nicht abwegig. Das Schiff liegt noch im Hafen, da hält<br />

schon jeder mindestens eine Bierdose in der Hand. Auf der<br />

Full Metal Cruise ist das Bier im Preis inbegriffen. 30.000<br />

Das Schiff liegt noch im Hafen,<br />

da hält schon jeder mindestens eine<br />

Bierdose in der Hand<br />

Liter sind mit an Bord, das sind 15 Liter pro Passagier. Das<br />

Bizarre daran: Der flüssige Proviant muss nur zwei Tage<br />

halten, beim ersten Landgang wird nachgeladen.<br />

Nach einer halben Stunde ist die Rettungsübung beendet.<br />

Auch wenn es nicht den Eindruck macht, als wüsste<br />

hier irgendjemand, was im Notfall zu tun ist, sticht das<br />

Kreuzfahrtschiff in See. Zurück am Ufer bleiben Schaulustige<br />

und die Wacken Firefighters. Die Kapelle der Freiwilligen<br />

Feuerwehr Wacken ist aus dem schleswig-holsteinischen<br />

Ort angereist, um die Passagiere zu verabschieden.<br />

Mit ihren Uniformen und Blasinstrumenten werden sie<br />

immer kleiner am Horizont, während das Schiff den Ham-<br />

burger Hafen verlässt. Teil der Tradition ist es eigentlich,<br />

das berühmte Open-Air-Festival im Heimatdorf mit den<br />

Firefighters zu eröffnen.<br />

Schon bald wird die Blasmusik von den ersten Metal-Klängen<br />

auf dieser Reise übertönt. Einige Fans tragen<br />

ihre Mini-Stereoanlagen mit sich herum, aus denen in<br />

schlechter Qualität Lieder von Iron Maiden oder AC/DC<br />

scheppern.<br />

Es ist nach Mitternacht, als das Schiff auf dem Wasser zu<br />

wanken beginnt. Die See ist ruhig, doch auf dem Pooldeck<br />

tanzen tausende Metal-Fans Pogo. Auf drei extra aufgebauten<br />

Bühnen spielen Bands wie In Extremo, Firewind und<br />

Gamma Ray. Die Feierwütigen bangen ihre Köpfe ruckartig<br />

vor und zurück, recken die Fäuste zum Teufelsgruß in<br />

die Höhe. Ihre langen Haare peitschen durch die Luft. Es<br />

wirkt fast schon beängstigend, wie sie in ihrer schwarzen<br />

Kleidung wild auf und ab springen. Umso unerwarteter die<br />

Szene, wenn sie aus Versehen zusammenprallen und sich<br />

beieinander mit Handschlag entschuldigen. Oft trinken<br />

sie einen großen Schluck Bier zur Versöhnung und tanzen<br />

friedlich weiter. Aus den Boxen dröhnen die harten Klänge<br />

der deutschen Band Betontod: „Wir müssen aufhör’n, weniger<br />

zu trinken, wir brauchen viel mehr Alkohol. Wenn<br />

wir nicht aufhör’n, weniger zu trinken, dann werden wir<br />

heut nicht mehr voll.“ Zur selben Zeit grölt eine Frau im<br />

Casino ins Mikrofon einer Karaokestation. Zur Auswahl<br />

stehen Klassiker von Motörhead, Rammstein, Alice Cooper<br />

und Black Sabbath. Was davon sie ausgewählt hat, lässt sich<br />

nur erahnen, so undefinierbar ist ihr Schreigesang. Schlaf<br />

findet heute niemand. Warum auch? Die Party hat doch<br />

gerade erst begonnen.<br />

Bei Sonnenaufgang ähnelt das Pooldeck einer Geisterstadt.<br />

Ein, zwei Hartgesottene streifen in ihren Bademänteln,<br />

die stilecht mit Badges unterschiedlicher Metal-Bands<br />

versehen sind, über die Joggingstrecke. Der Spa-Bereich<br />

bleibt leer, und niemand kommt auf die Idee, den Tag mit<br />

Yogaübungen zu begrüßen, auch wenn ein Teil der üblichen<br />

Fitnesskurse wie Zumba angeboten werden. Zur Entspannung<br />

gibt es hier allerdings eine Wacken-Schlamm-<br />

Packung und eine Neckbreaker-Massage für geschundene<br />

Headbanger-Nacken.<br />

Es ist nach neun Uhr, als sich das Sonnendeck füllt. Zum<br />

Frühstück gibt es Rührei mit Speck, statt Kaffee oder Tee<br />

steht Sekt auf den Tischen. „Vor zehn gibt es kein Bier“, sagt<br />

Andreas Standt. Er sitzt mit zehn Leuten an einem großen<br />

Tisch und trinkt aus der Not heraus Schaumwein. Sie singen,<br />

lachen, erzählen ihre besten Geschichten aus Wacken.<br />

So zum Beispiel der Commander. Ein etwa 60-jähriger<br />

Mann, braun gebrannt, mit langen, grauen Haaren und<br />

Schnurrbart, der auf dem Festival-Acker in Schleswig Holstein<br />

durch sein silberfarbenes Zelt bekannt geworden ist.<br />

Sein Raumschiff, wie er es selber nennt, hat ihm schließlich<br />

den Spitznamen eingebracht. Auf dem Acker wie auf dem<br />

Schiff ist er eine kleine Berühmtheit.<br />

Die Gruppe um den Tisch wird immer größer. In der<br />

letzten Nacht hat man sich kennengelernt. Jetzt ist es an<br />

der Zeit, die Fan-Freundschaften auszubauen.<br />

Seaway to Hell:<br />

In Hamburg<br />

sticht die Full<br />

Metal Cruise<br />

das erste Mal<br />

in See. Mit<br />

an Bord des<br />

schwimmenden<br />

Heavy-Metal-<br />

Festivals sind<br />

unermüdliche<br />

Fans, ein<br />

Brautpaar und<br />

ein Tätowierer<br />

17<br />

Werk VI . Mixtape


Trotz dreißigtausend<br />

Liter Bier und aggressiv<br />

lauter Musik feiern die<br />

Metaller friedlich miteinander<br />

„Wir sind wie eine Familie hier“, sagt Martin Metz. Er ist<br />

Krankenpfleger, war schon sechs Mal in Wacken. Metz<br />

kam gestern mit sieben Freunden auf das Schiff, heute<br />

sind sie nur noch zu zweit. Wo die anderen fünf geblieben<br />

sind: schleierhaft. Mit dem Commander und den anderen<br />

Tischnachbarn hat er nun eine neue Familie gefunden.<br />

Maik Weichert, Gitarrist der Thüringer Metalcore-Band<br />

Heaven Shall Burn erklärt sich das Phänomen so: „Es ist<br />

eine Parallelwelt, die Leute lieben die Musik. Und mit einem<br />

Schlag sind sie verwandt.“<br />

Auch Andreas Standt versucht, seine Gefühle in Worte<br />

zu fassen („Da muss man dabei sein. Das sind Momentaufnahmen“),<br />

als ein Unbekannter vorbei kommt, ihm auf<br />

die Schulter klopft und ruft: „Eine Woche Wacken ist wie<br />

Jahresurlaub.“ Standt nickt zustimmend, als hätte er genau<br />

das sagen wollen.<br />

Die 21-jährige Laura Kreuzpaintner ist mit ihrem<br />

Freund, ihren Eltern und ihrem Cousin an Bord. „Wäre<br />

es keine Metal-Fahrt, hätte ich in dem Alter keine Kreuzfahrt<br />

gemacht. Da hätte ich mein Geld anders investiert“,<br />

sagt sie. Ihre ersten zwei Monatsgehälter sind in die Reisekasse<br />

geflossen: „Ich musste meinen Gesellenbrief schaffen,<br />

um hier mitfahren zu können, das Lehrlingsgehalt<br />

hätte nicht ausgereicht.“<br />

Eine Woche Metal-Festival auf hoher See kostet pro<br />

Person in einer Vier-Mann-Innenkabine etwa 1.000 Euro<br />

inklusive Verpflegung – eine Suite für zwei Passagiere das<br />

Achtfache. Im Vergleich: Ein Ticket für das Wacken Open<br />

Air kostet circa 150 Euro. Dafür erleben die Metaller hier<br />

an Bord einen Luxus, den sie auf keinem Festival der Welt<br />

finden würden: Kabinen mit großen Betten, Pralinen auf<br />

dem Zimmer, eine eigene Dusche, saubere Toiletten und<br />

im Restaurant Sechs-Gänge-Menüs.<br />

Für Lauras Mutter Gabi ist es das Erlebnis schlechthin.<br />

„Manche Familien gehen in Freizeitparks, wir kommen<br />

hierher“, johlt sie. Es folgt Applaus, und die Gruppe stößt<br />

so heftig mit ihren Sektgläsern an, dass die Hälfte des Inhalts<br />

überschwappt. Alle lachen und brüllen „Wackööön“,<br />

den Schlachtruf des Festivals.<br />

Es ist eine Gemeinschaft mit einem hohen Maß an Liebenswürdigkeit,<br />

die nicht für alle auf den ersten Blick ersichtlich<br />

ist. Der Look der Fans – schwarze Hose, Band-<br />

T-Shirt, Leder-Kutte – ist für manch Außenstehenden<br />

furchteinflößend. Und dennoch gibt es an Bord keine Gewaltausbrüche,<br />

ganz im Gegenteil, alle feiern friedlich miteinander.<br />

Denn was sie eint, ist die Liebe zur Musik – und<br />

die Leidenschaft für Tattoos. Die Veranstalter haben extra<br />

einen Massageraum in ein Tattoo-Studio verwandelt, in<br />

dem sich die Hardcore-Fans kostenlos das Wacken-Logo,<br />

einen Stierschädel, stechen lassen können. Schon vor Reisebeginn<br />

waren die dreißig verfügbaren Termine bei Tätowierer<br />

Alf Rentmeister ausgebucht.<br />

Doch die Tätowierung ist längst nicht die einzige Erinnerung<br />

für die Ewigkeit, die es auf dieser Reise gibt. Marina<br />

Müller und Frank Albrecht geben sich an Bord das<br />

Ja-Wort. Der berühmte Hochzeitsmarsch schallt in einer<br />

harten Version mit Schlagzeug und E-Gitarre in die<br />

Lounge, in der die Hochzeit stattfindet. Die Braut trägt<br />

ein schwarz-weißes, bodenlanges Kleid. In ihren Haaren<br />

stecken schwarze Kunstblumen. Der Bräutigam, mit Ziegenbart<br />

und langen Haaren, weint vor Freude beim Anblick<br />

seiner Frau. Im Anschluss spielt Metal-Legende Doro<br />

Pesch live ihre Hymne „Für immer“. Wenn die Seenotrettungsübung<br />

der einzige ernste Part der Reise war, ist das<br />

der einzige romantische.<br />

Am Abend geht es mit harter Musik weiter. Die Metalcore-Band<br />

Heaven Shall Burn schreit sich im Schiffstheater<br />

die Seele aus dem Leib. Vor der Bühne drängeln sich nur<br />

noch die Unermüdlichen, selbst für manche Metaller ist<br />

das zu laut. In den Ohren der Fans blitzen bunte Ohropax,<br />

manche haben ihre Gesichter mit Tiermasken bedeckt –<br />

Zebra- und Pferdeköpfe.<br />

Nach dem Konzert nutzen einige die Gänge, Treppen<br />

oder Aufzüge für ein kleines Schläfchen. Zu stark ist die<br />

Mischung aus Jack Daniel’s und Cola, die es ab 18 Uhr<br />

ebenfalls kostenlos gibt. Wenn sie aufwachen, stärken sie<br />

sich am 24-Stunden-Grill mit Currywurst, Burger und<br />

Pommes rot/weiß, um anschließend wieder in einen komatösen<br />

Schlaf zu fallen. Für die ersten Tage auf See sind<br />

350 Kilo Pommes, 170 Kilo Bratwurst und 300 Kilo Steak<br />

mit an Bord.<br />

Noch vier Tage geht die Reise mit Konzerten und zehntausenden<br />

Litern Bier weiter, bis das Schiff zum Hafengeburtstag<br />

in Hamburg einläuft. Die zweite Nacht hat selbst<br />

die härtesten Fans geschlaucht. Nur 200 Metal-Fans haben<br />

sich am dritten Tag für den Ausflug nach Stonehenge angemeldet.<br />

Sie fahren nach Southampton, während die restlichen<br />

Gäste auf dem Schiff im komatösen Schlaf liegen.<br />

„Auf Festivals sind alle nach drei Tagen wie Zombies “, sagt<br />

Maik Weichert über die auffällig ruhige Stimmung, die einen<br />

Tag vorher noch ausgelassen war. Vielleicht ist es aber<br />

auch ein stickiges Zelt, eine Bierdusche am Morgen oder<br />

der Schlamm auf dem Acker in Wacken, was ihnen auf dieser<br />

ungewohnten Fahrt fehlt.<br />

„Eine Woche Wacken ist wie Jahresurlaub“<br />

Auch in den Bussen auf dem Weg nach Stonehenge herrscht<br />

absolute Stille. Keiner grölt oder spritzt mit Bier um sich.<br />

Die Ausflügler schlafen und sehen dabei ganz friedlich aus<br />

– bis das erste Handy klingelt und für ein paar Sekunden<br />

wieder Metal-Klänge durch die Reihen scheppern. „Man<br />

hätte die Einwohner warnen müssen“, gibt eine Frau zu bedenken,<br />

als 200 schwarz gekleidete Metaller beginnen, bei<br />

einem Zwischenstopp die malerische Stadt Salisbury zu erkunden.<br />

Und hätten die vergangenen drei Tage nicht schon<br />

an den Kräften der Fans gezehrt, hätte man das wohl auch<br />

tun müssen. „If it’s not in your blood, you will never understand“<br />

steht auf einem T-Shirt, das ein hagerer Metaller<br />

trägt. Und besser kann man den Wahnsinn Wacken nicht<br />

erklären. Für die Fans gibt es immer ein Heavy End und<br />

immer ein nächstes Mal. Verstehen muss man das nicht,<br />

Spaß haben trotzdem alle.<br />

19<br />

Werk VI . Mixtape


Tüllrock<br />

von Anne Wolf.<br />

Tourshirt von<br />

Metallica, 1990<br />

Lifestyle<br />

20<br />

Werk VI . Mixtape<br />

of Rebellion *<br />

Wer sich immer an die Regeln hält,<br />

wird nie erfahren, wie es ist, in einem<br />

Metallica-Shirt Walzer zu tanzen.<br />

Fotos: Jessica Prautzsch<br />

*Against All AUTHority, 1996<br />

Produktion: Alexandra Brechlin,<br />

Friederike Koenig<br />

Models: Julia/Izaio, Amelie/Satory<br />

Haare/Make-up: Karina Berg<br />

Danke an das Schloss Friedrichsfelde<br />

und Diana Weis


22<br />

23<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Kleid von Andrea<br />

Schelling Couture.<br />

Jacke, gesehen<br />

bei TK Maxx.<br />

Joy-Division-Shirt:<br />

Vintage<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Spitzenkleid von<br />

Andreas Remshardt.<br />

Tourshirt von den<br />

Ramones, 1993<br />

Kleid von Andreas<br />

Remshardt.<br />

Ring von Yayalove.<br />

Tourshirt von<br />

Danzig, 1990


Kleid von Andreas<br />

Remshardt. Jacke,<br />

gesehen bei TK Maxx.<br />

Schulter-Pads<br />

von Yayalove. David-<br />

Bowie-Shirt: Vintage<br />

24 25<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Kleid von Andreas<br />

Remshardt. Armreif von<br />

Yayalove. Schuhe von<br />

Buffalo.Tourshirt von And<br />

you will know us by the<br />

Trail of Dead, 2004<br />

Fotocredit<br />

Fotocredit


Der Juggalo-Schriftzug<br />

ist neben dem<br />

Running Hatchet Man<br />

die meist gesehene<br />

Tätowierung auf<br />

dem Gathering of<br />

the Juggalo-Festival<br />

Der<br />

Familien-<br />

26 27<br />

ow<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Cl n A<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Text: Pina Pipprich<br />

Fotos: Daniel Cronin<br />

Fotocredit<br />

Die konservative USA zeigt mit dem Finger auf die Juggalos: Fans des Rap-Duos Insane Clown Posse,<br />

die ihre Gesichter zu Clownsfratzen schminken. Juggalos sehen sich als eine Familie aus Männern,<br />

Frauen und Kindern, die durch ihren Außenseiterstatus miteinander verbunden sind. Doch für die<br />

Gesellschaft sind sie schlicht Asoziale – nicht mehr wert als White Trash. Ein Blick hinter die Kulissen<br />

einer Subkultur, die auf einem schmalen Grat zwischen Illegalität und simplem Fantum lebt.


Werk VI . Mixtape<br />

E<br />

ine endlose Weite aus Feldern,<br />

bleichgrünen Laubbäumen und<br />

ausgetrockneten Straßen. Die<br />

Hitze steht flirrend über dem<br />

Asphalt, und der Ohio River<br />

schiebt sich gemütlich zwischen<br />

Illinois und dem angrenzenden<br />

US-Bundesstaat Kentucky. Recht<br />

idyllisch alles. So wie man sich<br />

das mitten in den USA auf dem Lande vorstellt. „Welcome<br />

Juggalos“, das Laken hängt locker an Seilen über dem<br />

Waldweg. Ein von der Hitze ermatteter Mann sitzt mitten<br />

auf der Lichtung auf seinem Campingstuhl, sein nackter<br />

Bauch liegt bis zu den Knien auf seinen Oberschenkeln.<br />

Die strähnigen Haare folgen den im Rhythmus kreisenden<br />

Stößen seines Kopfes in alle Richtungen. Seine bis auf<br />

„Wir sind Clowns, die Menschen verletzen<br />

und töten, wenn sie es verdient haben!“<br />

die Hände zu benutzen, die Asche rieselt bei jedem Nicken<br />

auf seine Brust. Zwischen seinen aus Fett bestehenden<br />

Brüsten liegt eine silberfarbene Kette, daran hängt ein<br />

rennendes Männchen mit einem erhobenen Fleischerbeil<br />

in der Hand: Das Running-Hatchet-Man-Logo ist das allgegenwärtige<br />

Symbol der Juggalos.<br />

Es könnte der Herzchirurg aus der Ambulanz, die Kassiererin<br />

im Supermarkt oder der Gärtner von nebenan<br />

sein – im Alltag sind Juggalos und Juggalettes nicht immer<br />

direkt zu erkennen. Hauptsächlich stammen sie aus dem<br />

Herzen der USA, aus Bundesstaaten wie Kansas, Missouri<br />

und Iowa – wo verdorrte Strohbüsche über die Straßen wehen<br />

und es von Rednecks nur so wimmelt. Selten passen<br />

Juggalos in das Bild des Durchschnittsamerikaners: Sie<br />

sind zu groß oder klein, zu fett oder schlaksig, haben zu<br />

schlechte Haut oder ein ungepflegtes Äußeres. Bei Konzerten<br />

oder Partys schminken sie ihre Gesichter zu grenzdebilen<br />

Clownsfratzen und flechten ihre Kopf- und Barthaare<br />

zu sogenannten Spider-Legs – schmale Zöpfe, die<br />

an Spinnenbeine erinnern. Sie spritzen mit Limonade der<br />

Firma Faygo um sich und grölen „Whooop Whooop!“,<br />

während sie zu den tiefen Bässen der Insane Clown Posse<br />

headbangen. Faygo ist für den Juggalo, was für den Berliner<br />

Hipster die Club Mate ist – sein inoffizielles Szenegetränk.<br />

Obwohl dessen enormer Absatz hauptsächlich<br />

ihnen zu verdanken ist, hat sich der Hersteller bis heute<br />

nicht zu den Juggalos bekannt, sondern deren Existenz<br />

eher beschämt zur Kenntnis genommen.<br />

Das langgezogene Whoopen ist Begrüßung oder Ausdruck<br />

von Stolz und Respekt zugleich. Es klingt wie ein sehr<br />

langes, tiefes Alpenhorn und verändert seine Bedeutung,<br />

je nachdem wie lange Juggalos den Laut ziehen. Sie hängen<br />

es an jeden Satz, an jede Aussage – whooop whooop.<br />

Ihr Kleidungsstil lässt sich schwerer einordnen, er changiert<br />

zwischen klassischer Streetwear, schwarzer Rockerkluft,<br />

Emo-Nuancen und Techno-Einflüssen. So schwierig sich ihr<br />

Stil beschreiben lässt, die Modeindustrie hat ihn schon längst<br />

für sich entdeckt. Der japanische Designer Yoshio Kubo<br />

transportiert in seiner Männerkollektion für den Sommer<br />

2013 die Clownsmaskerade und wilde Farb-, Muster- und<br />

Schnittkombinationen in einen tragbaren Streetwearstyle, zu<br />

High-Top-Sneakern und nackten Männerbrüsten.<br />

Die Juggalettes haben hingegen wenig bis nichts an,<br />

sie feiern gerne komplett nackt. Das Logo des Running<br />

28 den Stummel abgebrannte Zigarette raucht er, ohne dabei Hatchet Man ist auf der Kleidung und vor allem als Täto-<br />

29<br />

wierung weit verbreitet. Ursprünglich galt es als Logo der<br />

Plattenfirma der Insane Clown Posse, mittlerweile ist es eines<br />

der Erkennungszeichen der Juggalos.<br />

Die Insane Clown Posse besteht aus Joseph Bruce und<br />

Joseph Utsler, bekannter als Violent J und Shaggy 2 Dope.<br />

Zusammen mit ihrem Manager gründeten sie früh ihr eigenes<br />

Musiklabel namens Psychopathic Records, für dessen<br />

Logo sie den Running Hatchet Man kreierten. Wer weiß, ob<br />

sie unter einem anderen Label jemals Platten veröffentlicht<br />

hätten, denn ihre Texte handeln von Huren, Nekrophilie,<br />

Suizid, Satanismus, Vergewaltigung und Mord. Zwar sagen<br />

sie selbst, in ihren Lyrics stecke viel Sarkasmus und Ironie,<br />

doch auch das beruhigt die entsetzte Gesellschaft der<br />

USA wenig. Ihr HipHop-Musikstil Horrorcore ist ein Mix<br />

aus Rap, Death Metal und Alternative Rock. In den Worten<br />

von Bruce hört sich das etwas anders an: „In unseren<br />

Liedern vereinen wir unsere größten Ängste und unsere<br />

Wut. Wir sind Clowns, die Menschen verletzen und töten,<br />

wenn sie es verdient haben!” Das sind ihrer Meinung nach<br />

Rassisten und Gotteslästerer. Seit zwei Jahrzehnten werden<br />

sie dafür von MTV gänzlich ignoriert. Mehrfach bekamen<br />

sie von USA Today den Award für das schlechteste Album<br />

des Jahres verliehen und selbst auf Youtube erhalten ihre<br />

Videos mehr negative als positive Kommentare. Doch das<br />

macht ihnen gar nichts. Mit mehr als sieben Millionen verkauften<br />

Tonträgern und auch dank Merchandise-Artikeln<br />

scheffeln sie ordentlich US-Dollar.<br />

Heute verdienen beide durch ihre Musik viel Geld. Ihr<br />

Background sieht aber ganz anders aus. Bruce (Violent J)<br />

wuchs in bitterer Armut auf. Seine Kleidung bekam er bei<br />

Wohnungsauflösungen, das Essen spendeten ihm Hilfsorganisationen.<br />

Er hatte keinen Job, kein Auto und keine<br />

Freundin. Seine Mitschüler spotteten über sein Loser-<br />

Dasein. Aber anstatt sich dafür zu schämen, beschloss er<br />

Fotocredit<br />

Das geschminkte<br />

Clownsgesicht ist eines<br />

der Erkennungszeichen<br />

der Juggalos. Manche<br />

sprühen es sich mit<br />

Graffitifarbe auf, damit<br />

es die vier Festivaltage<br />

überdauert<br />

Werk VI . Mixtape


30 a bitchboy and beat down a rich boy“) und Frauen nicht<br />

31<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Neben mehreren<br />

Zelten, in denen für<br />

Unterhaltung gesorgt<br />

wird, gibt es unzählige<br />

Snackbuden auf<br />

dem Gelände<br />

gemeinsam mit seinem Bruder, stolz darauf zu sein: Sie<br />

nannten sich und alle Gleichgesinnten Floobs und schufen<br />

sich eine Gemeinschaft aus Leidensgenossen. Der Respekt<br />

untereinander sowie der starke Stolz der Floobs erinnern<br />

sehr an die familiäre Haltung zwischen den Juggalos.<br />

Ihren Namen bekamen die Juggalos mit dem Song „The<br />

Juggla“, der 1994 auf dem Album Carnival of Carnage der<br />

Insane Clown Posse erschienen ist. Die Fans betitelten sich<br />

danach selbst als Juggalos und mutierten zu fanatischen<br />

Anhängern des Rap-Duos und den Künstlern von Psychopathic<br />

Records. Unter Vertrag befinden sich bei dem Label<br />

momentan zehn weitere Musiker. Einer der bekanntesten ist<br />

wohl Vanilla Ice – der erste weiße Rapper mit kommerziellem<br />

Erfolg, der dadurch seine Credibility verlor. Mittlerweile<br />

versucht er sich an einem Mix aus HipHop und Rockmusik<br />

und erntet dafür nur mäßigen Respekt.<br />

Die Insane Clown Posse griff die Bewegung ihrer Fans<br />

auf und skizzierte drei Jahre später in dem Lied „What Is<br />

A Juggalo“ ein paar nähere Eigenschaften der Posse. Es<br />

sind Verrückte, die mit ihren nicht minder durchgedrehten<br />

Freunden abhängen („A fucking lunatic...Winking at<br />

the freaks“), nebenher ein paar Snobs verprügeln („He ain’t<br />

immer ganz ehrenhaft behandeln („He could give a fuck<br />

less what a bitch thinks”). Jedoch lassen sich Juggalos nicht<br />

gerne definieren, sie sind eine Familie – und nur das zählt:<br />

„What is a Juggalo? I don’t know, but I’m down with the<br />

clown, and I’m down for life, yo!“<br />

Seit ihrer Entstehung in den späten 90ern haben Juggalos<br />

ihre eigenen Slangausdrücke, Symbole, Verhaltensweisen<br />

und Handzeichen entwickelt. Mit dem Zeichen des Wicked<br />

Clowns symbolisieren sie ihren Stolz und die Familienzugehörigkeit.<br />

Dafür formen sie mit der linken Hand das W des<br />

Westside-Zeichens und mit der Rechten ein C – dabei überkreuzen<br />

sie die Hände. Denn um Stolz und Liebe zur Familie<br />

dreht sich alles bei ihnen, sie nennen das auch MMFWCL<br />

(Much Mother-Fucking Wicked Clown Love).<br />

Diese Zusammengehörigkeit feiern sie jedes Jahr mit einer<br />

Art Familientreffen – dem „Gathering of the Juggalos“.<br />

Ob Mann, Frau oder Kind – für jeden gibt es hier etwas zu<br />

Das Festival ist eine Mischung aus keuschem<br />

Kinderkarussell und obszöner Geisterbahn<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Fotocredit<br />

Fotocredit<br />

erleben. Ganze Familien pilgern zum Gathering, und nicht<br />

selten ist es ihr einziger Urlaub im Jahr. Als Einzelgänger<br />

vereint, chillen und campen sie zusammen für vier Tage<br />

auf 46 Hektar – eine Fläche, die größer ist als der Vatikan.<br />

Egal, wie ihr Gegenüber aussieht, egal, was er in seinem<br />

Leben gemacht hat – er ist ein Juggalo und das ist Grund<br />

genug, ihn zu akzeptieren und stolz auf ihn zu sein. Genau<br />

dieses Gefühl wird gefeiert.<br />

Der Ort des Irrsinns nennt sich Cave-In-Rock und liegt<br />

in Illinois, USA. Es gibt viele Mythen und Sagen über<br />

das „Gathering of the Juggalos“, aber wohl auch wahre


Geschichten. HipHop-Acts wie Bubba Sparxxx wurden<br />

dort von der Bühne gebuht, Glamour-Sternchen wie Tila<br />

Tequila auf derselben fast gesteinigt, und der Schauspieler<br />

Charlie Sheen war mindestens stoned, als er versuchte, gegen<br />

die whoopende Menge anzuschreien.<br />

Das Gelände des Gathering ist wie ein Vergnügungspark<br />

aufgebaut, eine Mischung aus keuschem Kinderkarussell<br />

und obszöner Geisterbahn. Auf zwei großen Bühnen treten<br />

„Hier ist es egal, ob du mit einem Silberlöffel<br />

oder einem Crack-Klumpen im Mund<br />

geboren wurdest“<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Fotocredit<br />

Fotocredit<br />

alle Künstler von Psychopathic Records sowie geladene Acts<br />

auf. Neben der Insane Clown Posse waren das über die Jahre<br />

Busta Rhymes, Ol’ Dirty Bastard, Master P, Method Man &<br />

Redman, Three 6 Mafia, die Ying Yang Twins oder Xzibit.<br />

Um die drei Campingplätze Chaos District, Red Mist<br />

Mountain und Loonie Boonies verteilen sich sechs weite-<br />

32 re kleine Bühnen. Doch Musik ist nicht alles beim Gathe-<br />

33<br />

ring. Es gibt Zelte für Seminare, Freakshows, Autogramme,<br />

Comedy sowie für Juggalo-Karaoke. Wem das nicht<br />

reicht, für den gibt es Frauenwrestling – stilecht mit viel<br />

Öl versteht sich –, Wet-T-Shirt-Contests und Ms-Juggalettes-Schönheitswettbewerbe.<br />

Wer keine Lust auf Riesenrad<br />

fahren hat, fliegt eben mit einem Helikopter über das<br />

Gelände oder shoppt Fanartikel. Im Spazmatic Hangout<br />

wäscht man Kleidung und schlürft Energy Drinks. Selbst<br />

eine eigene Wrestling Liga namens Juggalo Championship<br />

Wrestling wurde von der Insane Clown Posse gegründet –<br />

bei den Männern selbstredend ohne Öl.<br />

Das 7-Juggaleven ist ein kleiner Laden unter einer Lastwagenplane,<br />

in dem zwei Besucher Süßigkeiten, Zahnbürsten<br />

und andere Kleinigkeiten verkaufen. Daneben ist die<br />

Drug Bridge, auf der bis zu zwanzig Dealer ihre Drogen mit<br />

selbstgemalten Schildern anpreisen. Obwohl die Polizei den<br />

Drogenmissbrauch vor Ort mitbekommt, greifen sie nur in<br />

den seltensten Fällen ein, denn die Juggalos sind weit in der<br />

Überzahl. Und zu guter Letzt ist da der Lake Hepatitis – ein<br />

mickriger See mit einem warnenden „Swim at your own<br />

risk“-Schild, das tief in der braunen Brühe steckt.<br />

Bruce und Utsler nennen es „das umstrittenste Festival der<br />

Welt“, ins Leben gerufen von der „meistgehassten Band der<br />

Welt“ – sie benutzen gerne Superlative. „Es ist ein verficktes<br />

Juggalo-Woodstock, nur besser. Hier gibt es mehr zu erleben,<br />

mehr zu sehen, mehr Frauen zu ficken. Alle sind am<br />

Durchdrehen!“, fügt Bruce hinzu. Juggalos brennen hier vor<br />

Freude schon mal ein Auto nieder oder schieben sich gegenseitig<br />

Fleischerhaken mit Seilen verknotet in den Rücken,<br />

um Seilziehwettkämpfe auszutragen. Ein Wahnsinns-Fest.<br />

Doch was hier vor allem zählt, ist die Gemeinschaft,<br />

und die spürt wohl jeder. Der Juggalo ist endlich unter<br />

Gleichgesinnten, fühlt den Stolz der Familie und findet das<br />

friedliche, harmonische Nest, das ihm in seinem Alltag als<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Ganze Familien<br />

reisen zum Gathering<br />

of the Juggalos<br />

und verbringen dort<br />

ihren Jahresurlaub


34<br />

Werk VI . Mixtape<br />

freakiger Außenseiter verwehrt bleibt. Der US-amerikanische<br />

Journalist Richard Metzger beschreibt das Gathering<br />

als eine „White-Trash-Version des Burning-Man-Festivals,<br />

nur dass die Besucher einen deutlich niedrigeren IQ haben<br />

und erschreckend hässlich sind. Frauen saufen und rauchen,<br />

obwohl sie schwanger sind, und das ganze Gelände versifft<br />

durch leere Faygo-Limonadenflaschen zu einer Müllhalde.“<br />

Auf dem Festival herrscht eine niedrige Kriminalitätsrate.<br />

Dass dem Juggalo inzwischen der Ruf des kriminellen<br />

Asozialen anhaftet, liegt daran, dass die Subkultur sich<br />

unaufhaltsam in zwei Lager aufspaltet – in die gewalttätige<br />

und in die gewaltfreie Fraktion.<br />

Die Subkultur spaltet sich in zwei<br />

Lager – in die gewalttätige und in die<br />

gewaltfreie Fraktion<br />

Seit Anfang 2000 registriert die amerikanische Regierung<br />

eine schnell wachsende kriminelle Gruppe, die sich von<br />

der ursprünglichen Gemeinschaftsidee entfernt. Inzwischen<br />

spricht man von mehreren Juggalo-Gangs mit mehr<br />

als 150.000 Mitgliedern. 2011 erklärte das FBI die Juggalos<br />

offiziell zu einer kriminellen Organisation. Denn während<br />

die gewaltfreien Fans zu Texten über Mord, Suizid, Nekrophilie,<br />

Satanismus, Vergewaltigung und Huren nur feiern,<br />

setzen die gewalttätigen Juggalo-Gangs die Liedtexte in die<br />

Tat um: Ihr Strafregister umfasst Mord, Schießerei, Drogenhandel,<br />

Brandstiftung, Einbruch, Hausfriedensbruch,<br />

bewaffneter Raub und schwere Körperverletzung. Sie<br />

zählen berüchtigte Gruppierungen wie die kalifornischen<br />

Bloods, Crips und Sureños zu ihren Verbündeten. Als ihren<br />

größten Gegner sehen sie die lateinamerikanische<br />

Gang Mara Salvatrucha (MS-13): die aggressivste unter<br />

den gewaltbereiten Gruppierungen der USA – quasi der<br />

Tod persönlich.<br />

Besonders kriminell agiert unter den Juggalo-Gangs eine<br />

Gruppe namens Juggalo Killers. Sie ist eng verbunden mit<br />

dem Ku Klux Klan und der Aryan Brotherhood – beide<br />

stark rassistisch verwurzelt.<br />

Zwischen den zwei Juggalo-Fraktionen herrscht absolute<br />

Feindseligkeit: Die Gangs halten die Musikfans für Loser –<br />

denn die wollen mit dem Gedankengut und der Gewaltbereitschaft<br />

nichts zu tun haben. Die Fans versuchen sich von<br />

den Gangs zu distanzieren, und dafür werden sie von den<br />

Bandenmitgliedern verachtet und angegriffen.<br />

Sie sehen zwar gleich aus, tragen alle als Erkennungszeichen<br />

den Running Hatchet Man und nennen sich Juggalos.<br />

Doch einzig der Glaube an die jeweilige Familie, sowie ihr<br />

gemeinsamer Name verbindet sie.<br />

Die US-amerikanische Kriminalbeamtin und Expertin<br />

für Gangbildung, Michelle Vasey, bat die Öffentlichkeit<br />

2011 in einem offiziellen Schreiben deshalb zu bedenken:<br />

„Ich hoffe nicht, dass die Leute einen Juggalo sehen und<br />

sagen: ‚Oh, er ist ein Gang-Mitglied, er hat eine Machete<br />

und wird uns alle zerstückeln.’ Aber die Leute müssen sich<br />

bewusst machen, dass es in den vergangenen drei Jahren<br />

riesige Probleme in den östlichen und westlichen Vereinigten<br />

Staaten gab, bei denen wir im Zusammenhang mit Verbrechen<br />

und grausamen Straftaten mehrere Personen einer<br />

Gang verhaftet haben, die sich ‚Juggalos’ nennt.“<br />

Der US-amerikanische Fotograf Daniel Cronin beschäftigt<br />

sich seit langem mit der Juggalo-Subkultur und dokumentiert<br />

die Besucher des „Gathering of the Juggalos“ seit<br />

2010 mit seiner Großformatkamera. „Sie werden für ihre<br />

Art von den Mainstream-Amerikanern verspottet und gehasst“,<br />

sagt er. „Besonders an der Freizügigkeit der Juggalettes<br />

stört sich die Öffentlichkeit.“ Er möchte nicht bestreiten,<br />

dass das Festival auf Außenstehende frauenverachtend<br />

wirken muss und dass Fremdenhass dort ein Thema ist.<br />

Er selbst hat aber weder von sexueller Belästigung gehört,<br />

noch Rassismus oder Nötigung erlebt.<br />

Utsler von der Insane Clown Posse unterstützt diese<br />

Aussage: „Juggalos stammen aus den verschiedensten sozialen<br />

Schichten – sie sind arm, reich, gehören allen Religionen<br />

und allen Ethnien an. Hier ist es egal, ob du mit einem<br />

Silberlöffel oder einem Crack-Klumpen im Mund geboren<br />

wurdest.“ Utslers Wurzeln liegen bei den Cherokee-Indianern,<br />

auch deshalb wehrt sich die Insane Clown Posse<br />

in Liedtexten gegen Rassismus-Vorwürfe. Sie wollen sich<br />

und die nicht-kriminellen Juggalos deutlich von den Gangs<br />

abgrenzen, sie kämpfen gegen eine Verallgemeinerung. In<br />

ihrer Internet-Kampagne „Juggalos Fight Back“ rufen sie<br />

deshalb ihre Fans auf, ungerechtes Verhalten der Polizei<br />

gegenüber Juggalos online zu stellen. Dadurch wollen sie<br />

vor allem auf die Konsequenzen der Juggalo-Verallgemeinerung<br />

aufmerksam machen.<br />

Daniel Cronin, der selbst kein Juggalo ist, ist sich sicher:<br />

„In jeder Musikszene gibt es faule Äpfel. Ich denke jedoch<br />

nicht, dass die Mehrzahl der Juggalos kriminell ist.“ Mehr<br />

noch: „Ich bewundere ihre Loyalität zueinander. Ich bewundere<br />

sie dafür zu sein, wie sie sein möchten – während<br />

Amerika sie verspottet und wie Dreck behandelt. Ich mag,<br />

dass sie anderen gegenüber trotzdem nicht voreingenommen<br />

auftreten. Sie sind sehr egalitär!“<br />

Daniel Cronin wurde 1983 im US-Bundesstaat<br />

Virginia geboren. Neben Musik und Philosophie<br />

studierte er Fotografie und lebt heute als<br />

Fotograf in Oregon.Unter anderem arbeitete<br />

er für MTV, seine Werke erschienen bis jetzt im<br />

The Guardian UK, Vice/Noisey, The Huffington<br />

Post und The Wall Street Journal. Seit 2010 fährt<br />

er zu dem jährlichen Gathering of the Juggalos<br />

und porträtiert dort die Besucher und Fans –<br />

sein gleichnamiger Bildband The Gathering of<br />

the Juggalos erschien dieses Jahr beim Prestel<br />

Verlag. Daniel Cronin liebt in Alufolie eingewickelte<br />

Burritos, den Sound von Güterzügen,<br />

70er Prog Rock, 4x5 Kameras und Jameson<br />

Whiskey mit Ginger-Ale.<br />

Fotocredit<br />

35<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Einen Dresscode<br />

gibt es auf dem<br />

Festival nicht,<br />

selbst im Pyjama<br />

fällt man nicht auf.


Werk VI . Mixtape<br />

Stadtgeschichte<br />

Auf den Spuren von Musikern im Berlin der 70er- und 80er-Jahre<br />

Von: Alexandra Brechlin<br />

Fotos: Carina Adam UND INKA CHALL<br />

E<br />

s ist schon jetzt das Comeback des<br />

Jahres: Die Single „Where Are We<br />

now“ von David Bowie. Das Stück<br />

ist nicht nur das erste musikalische<br />

Lebenszeichen des Musikers<br />

seit über 10 Jahren, es ist auch<br />

eine Liebeserklärung an Berlin.<br />

Genauer gesagt an das Berlin der<br />

70er-Jahre, das damals Musiker<br />

aus aller Welt inspirierte. Durch die Mauer isoliert, hatte<br />

Berlin einen ganz eigenen Rhythmus, war ebenso düster wie<br />

verweigernd. Dieses alte Berlin existiert nicht mehr, aber<br />

es wurden Spuren hinterlassen. Überall gibt es Orte und<br />

Plätze, die ihre eigene musikalische Geschichte haben. Die<br />

Stadt wurde geprägt durch ihre berühmten Ex-Bewohner,<br />

ebenso wie Berlin diese prägte.<br />

Friedhof Grunewald,<br />

Bornstedter StraSSe 11-12, Grunewald<br />

Der ehemalige Selbstmörderfriedhof im Grunewald ist<br />

einer der meistverwunschenen Friedhöfe in Berlin. Abseits<br />

der Havelchaussee, mitten im Wald, liegt er versteckt<br />

und ist ohne Wegweiser schwer zu finden. Hier, im Grab<br />

36 Nummer 82, liegt seit mehr als 20 Jahren eine internatio-<br />

Es war in den späten 70ern, als sich Iggy Pops Band The 37<br />

nale Berühmtheit begraben. Christa Päffgen steht auf dem<br />

Grabstein und darüber in großen Lettern: Nico.<br />

In Köln geboren und in Berlin aufgewachsen, wurde Nico<br />

mit 18 Jahren als Model entdeckt. Sie spielte in Fellinis La dolce<br />

Vita und traf in New York auf Andy Warhol, der sie zur<br />

Leadsängerin der Band Velvet Underground machte. Als sie<br />

20 Jahre alt wurde, hatte Nico bereits alles erreicht. Die ganze<br />

Welt lag der blonden Schönen aus Deutschland zu Füßen.<br />

Aber Nico war anders. Sie hasste Mode und vor allem ihre<br />

Schönheit. Ihr harter Gesang, der so gar nicht zu ihrem hübschen<br />

Gesicht passen wollte, veränderte das Bild von Frauen<br />

in der Popwelt. In ihrer Musik spiegelte diese innere Zerrissenheit<br />

und traf den Nerv der Zeit. „Warum Selbstmord<br />

begehen, wenn Sie diese Platte kaufen können?“, hieß es zur<br />

Veröffentlichung ihres Albums The End. Sowohl Ian Curtis<br />

von Joy Division als auch die Band Bauhaus hoben Nicos<br />

Einfluss auf ihre eigene Musik hervor.<br />

Für eine lange Zeit war Nico heroinabhängig und zerstörte<br />

sich damit systematisch selbst. Am Ende ihres Lebens<br />

geisterte sie in abgedunkelten Hotelzimmern zwischen<br />

Paris, Berlin, New York und Ibiza umher. Frisch<br />

aus dem Entzug, starb sie am 18. Juli 1988 auf Ibiza an den<br />

Folgen einer Gehirnblutung. In Berlin wurde sie schließlich<br />

auf dem Friedhof im Grunewald begraben. Zu Beginn<br />

ihrer Karriere hatte sie sich diese Todesstätte für sich und<br />

ihre Mutter Margarete ausgesucht. Sie wusste, dass man<br />

hier früher Leute begrub, die ihrem Leben selbst ein Ende<br />

gesetzt hatten. Und obwohl es ein Unfall war, durch den<br />

sie ums Leben kam, liegt Nico jetzt auf diesem ehemaligen<br />

Selbstmörderfriedhof für Melancholiker begraben. Ganz<br />

weit weg von den anderen Ikonen ihrer Zeit. Denn sie wollte<br />

nie eine von ihnen sein.<br />

Winterfeldtplatz, Schöneberg<br />

Es ist kurz nach drei Uhr an einem kalten Januarmorgen.<br />

James Newell „Jim“ Osterberg, besser bekannt unter<br />

dem Namen Iggy Pop, kommt aus einem Club und möchte<br />

noch schnell jemanden aus einer Telefonzelle am Schöneberger<br />

Winterfeldtplatz anrufen. Er hat ein bisschen viel<br />

getrunken und ein paar Pillen eingeworfen. Eigentlich<br />

ist also alles wie immer. Doch als er wieder aus der Zelle<br />

heraus will, passiert nichts. Er drückt gegen die Tür. Einmal.<br />

Zweimal. Aber sie öffnet sich nicht. Jemand hat den<br />

Rockstar eingesperrt.<br />

In einem Anflug von Panik ruft er schließlich seine damalige<br />

Freundin an, die glaubt ihm allerdings kein Wort<br />

und legt gleich wieder auf.<br />

Bis sechs Uhr morgens sitzt Iggy Pop in der Telefonzelle<br />

fest. Dann entdeckt ihn schließlich ein Taxifahrer und befreit<br />

ihn mit einem Generalschlüssel.<br />

Wer den Popstar dort eingeschlossen hatte, weiß bis<br />

heute niemand. Aber warum ihm seine damalige Freundin<br />

Esther Friedman nicht half, erklärte sie später in einfachen<br />

Worten in einem Interview mit Zeit Online: „Bei einem<br />

Anruf um drei Uhr morgens war es nicht Jim, der sich meldete,<br />

sondern Iggy.“<br />

Stooges zum zweiten Mal aufgelöst hatte. Der Sänger befand<br />

sich in einer Sinnkrise und geriet durch seinen exzessiven,<br />

selbstzerstörerischen Lebensstil in eine starke<br />

Alkohol- und Drogenabhängigkeit. Nach mehreren Aufenthalten<br />

in Entzugskliniken in seiner Heimat, den USA,<br />

verschlug es den Exzentriker schließlich nach Berlin, zusammen<br />

mit dem damals ebenfalls stark drogenabhängigen<br />

David Bowie. Hier schaffte es der Musiker, sich langsam<br />

wieder zu fangen und seiner Karriere neuen Schwung<br />

zu geben. Er schloss einen Plattenvertrag bei RCA ab und<br />

produzierte gemeinsam mit Bowie das Album Lust for<br />

Life, auf dem auch sein erfolgreichster Hit „The Passenger“<br />

erschien. Diese sehnsüchtige Gier nach Leben, welche er<br />

in dem Song beschreibt, soll eine Hymne auf die Berliner<br />

S-Bahn und seine Fahrten raus zum Wannsee sein.<br />

Werk VI . Mixtape


38<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Kant Kino, KantstraSSe 54,<br />

Charlottenburg<br />

Läuft man am Tag einfach nur so am Kant Kino vorbei,<br />

wirkt es völlig unspektakulär. Aber es ist nicht nur eines<br />

der ältesten Kinos in Berlin, hier wurde Ende der 70er- und<br />

Anfang der 80er-Jahre auch Musikgeschichte geschrieben.<br />

Hier spielten Patti Smith, die Ramones oder Blondie ebenso<br />

wie eine damals noch weitgehend unbekannte Band aus<br />

England: Joy Division.<br />

In ihrer Heimat hatte sie es bereits zu einiger Bekanntheit<br />

gebracht, Konzerte gespielt und ein Album inklusiver<br />

einiger Singles auf den Markt geworfen. Jetzt sollte mit<br />

einer Tour durch die Niederlande, Belgien und die Bundesrepublik<br />

der Rest Europas erobert werden. Abschlussstation<br />

der Tournee: das Kant Kino in Berlin. Damals ahnte<br />

noch niemand, dass es der letzte Ort sein sollte, an dem<br />

sich die junge aufstrebende Band ihrem Publikum auf dem<br />

Festland zeigte.<br />

Das Konzert war an einem kalten Januarabend. Joy Divison<br />

spielten vor gerade mal 150 Leuten.<br />

„Die Atmosphäre war seltsam – irgendwie kalt und<br />

anonym. Man konnte beinahe meinen, das Böse zu spüren“,<br />

erinnert sich noch Jahre später Bernard Sumner, der<br />

ehemalige Gitarrist von Joy Division.<br />

Vier Monate nach diesem Auftritt nahm sich der Sänger<br />

Ian Curtis das Leben. Er war 23 Jahre alt. Wenige<br />

Wochen vor seinem Tod erschien die Single „Love Will<br />

Tear Us Apart“, das Stück wurde kurz danach zu einem<br />

Welthit. Der Liedtext wird oft mit Curtis’ Eheproblemen<br />

in Verbindung gebracht. Seine Witwe Deborah verewigte<br />

die Lyrics am Ende sogar auf seinem Grabstein. Curstis’<br />

Suizid ließen ihn und seine Band zu einer Legende werden.<br />

Keine fünf Wochen nach seinem Tod erschien die<br />

Single „Komakino“, zu der Ian Curtis von seinem Auftritt<br />

im Kant Kino inspiriert wurde.<br />

Dresdener StraSSe 11, Kreuzberg<br />

„Ich würde gern für ein paar Monate in Berlin leben“,<br />

soll Nick Cave eines Tages ganz spontan und angetrunken<br />

zu einem Freund in London gesagt haben. Genau das<br />

tat er bald darauf und aus ein paar Monaten wurden fast<br />

acht Jahre. 1983 zog er bei seinem Freund Christoph Dreher<br />

von der Punkband Die Haut in eine Fabriketage in der<br />

Dresdener Straße 11 in Berlin-Kreuzberg ein.<br />

Oft ist der Sänger während dieser Zeit mitten in der<br />

Nacht aus dem Schlaf senkrecht aus dem Bett hochgeschreckt<br />

und fing an, laut zu schreien. Seinem besorgten<br />

Mitbewohner erklärte er darauf immer: „Das ist normal.<br />

Das mache ich oft.“<br />

Heute sagt Nick Cave, er könne nicht über seine Berliner<br />

Zeit sprechen, weil er sich nicht mehr daran erinnere. Als<br />

er damals in der geteilten Stadt ankam, herrschte so etwas<br />

wie Weltuntergangsstimmung – da war die Mauer und diese<br />

unterschwellige Angst vor dem Kalten Krieg. Aber es war ein<br />

perfekter Ort für den jungen Nick Cave, der damals pleite,<br />

perspektivlos und vor allem heroinabhängig war. Er schaffte<br />

es, sich in der Stadt neu zu erfinden und zog eine ganze<br />

Jugendbewegung mit. Nachdem er seine Band The Birthday<br />

Party aufgelöst hatte, stolzierte er jede Nacht von Club<br />

zu Club und eroberte Berlin im Sturm. Durch eine Konzert-Szene<br />

in dem Wenders-Film Der Himmel über Berlin<br />

wurde er zum Idol der Kunst- und Musikszene. Bald trugen<br />

alle die für Nick Cave typischen Anzüge, gebügelte Hemden<br />

und Lederhandschuhe. Die Stadt baute ihn auf, hier galt er<br />

als Exot, irgendwie cool und irgendwie gefährlich.<br />

Im Club Risiko traf Cave auf Blixa Bargeld und gründete<br />

mit ihm The Bad Seeds. Mit Musikern, die nicht wussten,<br />

was genau sie eigentlich wollten, beginnt er, mehrere, kommerziell<br />

erfolgreiche Alben zu veröffentlichen. Anstelle lärmender<br />

Punkmusik von The Birthday Massacre singt er jetzt<br />

kunstvollen, dunklen Blues und gefühlvolle Balladen.<br />

Als Cave kurz vor dem Mauerfall weiterzog und Berlin<br />

verließ, feierte man ihn als den großen Überlebenden eines<br />

wilden Jahrzehnts, der ohne Plan in der Stadt gestrandet<br />

war und es zum stilprägenden Künstler schaffte.<br />

Weinstube Ganymed,<br />

Schiffbauerdamm 5, Mitte<br />

In der Weinstube Ganymed trifft sich heute gern die<br />

Polit-Prominenz. Das prunkvolle, stuckverzierte Lokal<br />

am Schifferbauerdamm liegt nah am Bundestag und<br />

auch direkt an der ehemaligen Sektorengrenze, die einst<br />

den Osten vom Westen trennte. Damals passte das Nobelrestaurant<br />

im Ostteil der Stadt in keines der sozialistischen<br />

Raster. Mit französischer Speisekarte und Kellnern<br />

in Frackhemden mit echten Perlmuttknöpfen galt es als<br />

kleines Tor zum Westen.<br />

Es war einer der weniger bekannten Lieblingsplätze von<br />

Popikone David Bowie während seiner legendären Berliner<br />

Jahre. Bis heute wird Bowie und seine Beziehung<br />

zu Berlin in den Medien diskutiert. Alle reden von der<br />

Hauptstraße, den Hansa-Studios und den langen Nächten<br />

im Club Dschungel. Aber fasziniert war Bowie auch<br />

vom Osten der Stadt. Sein britischer Pass ermöglichte es<br />

ihm problemlos, über den Checkpoint Charlie zwischen<br />

den beiden Stadthälften zu wandern. Am Tag fuhr er oft<br />

raus zum Wannsee und am Abend besuchte er gern die<br />

Vorstellungen des Berliner Ensembles, um sich danach<br />

gleich um die Ecke in der Weinstube Ganymed niederzulassen.<br />

Nach der künstlichen Welt der USA, insbesondere<br />

Hollywoods, in der Bowie zuvor gelebt hatte, muss ihm<br />

der Osten von Berlin wie eine Reise in eine andere Zeit<br />

vorgekommen sein.<br />

Berlin inspirierte, faszinierte und kurierte ihn sogar weitgehend<br />

von seinen damaligen Depressionen und seiner<br />

Kokainsucht.<br />

Erst Anfang diesen Jahres überraschte David Bowie die<br />

Musikwelt mit seinem Comeback und einem Anflug von<br />

Berlin-Sehnsucht. „Where Are We Now?“ ist eine Hommage<br />

an die Stadt, die ab 1976 für drei Jahre sein Zuhause<br />

war und die ihn bis heute offensichtlich nicht losgelassen hat.<br />

Eisengrau, GoltzstraSSe 37, Schöneberg<br />

Im Berlin Anfang der 80er-Jahre lag Neuerung und Aufbruch<br />

in der Luft. Es war die Zeit der Untergrundszene und<br />

der Entstehung ganz neuartiger Musik. Plötzlich gab es<br />

überall Punkbands mit klangvollen Namen wie Die Tödliche<br />

Doris, Malaria! oder Einstürzende Neubauten.<br />

Sie alle gelten als Pioniere in der experimentellen Musik,<br />

beeinflussten Bands wie Depeche Mode und haben eines<br />

gemeinsam: die Goltzstraße 37 in Berlin-Schöneberg.<br />

Eigentlich kaum vorstellbar, denn heute befindet sich an<br />

dieser Ecke und auf drei Etagen verteilt ein gut sortierter<br />

Hobby- und Bastelshop.<br />

Vor 20 Jahren hieß der Laden noch Eisengrau und wurde<br />

von Christian Emmerich bewohnt. Einem dünnen, sehr<br />

nervösen jungen Mann, der gern mit synthetischen Drogen<br />

experimentierte und später unter dem Künstlernamen<br />

Blixa Bargeld als langjähriger Gitarrist der Bad Seeds und<br />

vor allem als Gründungsmitglied der Einstürzenden Neubauten<br />

in die Musikgeschichte eingehen sollte.<br />

Ursprünglich gehörte der Laden, in dem sich der junge<br />

Musiker eingenistet hatte, den beiden Frauen Bettina Köster<br />

und Gudrun Gut. Das Eisengrau war eine kleine Modeboutique<br />

für Punk-Klamotten, in der es selbstgestrickte<br />

grau-schwarze Pullover zu kaufen gab. Doch schnell entwickelte<br />

er sich zum Treffpunkt der deutschen Punk- und<br />

New-Wave-Szene.<br />

Der junge Alex Hacke, damals besser bekannt als Alexander<br />

von Borsig, späterer Bassist bei den Neubauten,<br />

schwänzte hier regelmäßig die Schule. Sowohl der Technopionier<br />

Dr. Motte, Ben Becker und DJ Fetisch von den Stereo<br />

MCs trafen sich hier zum Kaffeetrinken, Flipperspielen<br />

oder einfach nur zum Tratschen.<br />

Das Sortiment des Eisengrau erweiterte sich über die Zeit<br />

um allerlei seltsame Sammelsurien und ein Kassetten- und<br />

Plattenlabel, um die aufkeimende Szene zu fördern.<br />

Hier erschienen die ersten Platten der Einstürzenden<br />

Neubauten, limitiert auf 20 Stück, hier fanden die ersten<br />

Bandproben und Konzerte statt, direkt neben selbstgemachten<br />

Farbfolienportemonnaie aus Sexmagazinen vom<br />

Sperrmüll. Und von hier wurde der deutsche Dark Wave<br />

hinaus in die Welt getragen.<br />

39<br />

Werk VI . Mixtape


40<br />

Werk VI . Mixtape<br />

von Inga Schwarz<br />

Fotos: Sarah Sondermann<br />

Christiane P. ist seit ihrem 13. Lebensjahr Scooter-<br />

Fan. Die heute 33-Jährige hat seitdem fast jedes<br />

Konzert des Happy-Hardcore-Trios besucht. Ihr<br />

ganzes Leben dreht sich um die kommerziell<br />

erfolgreichste deutsche Techno-Band. Die Musik<br />

von Scooter, sagt Christiane, hätte es<br />

ihr sogar einmal gerettet. Ein Porträt<br />

über den wahrscheinlich größten<br />

Fan Deutschlands.<br />

41<br />

Werk VI . Mixtape<br />

In Christianes<br />

Fan-Höhle wachen<br />

Stofftiere und<br />

Scooter-Poster


Christiane mit einem<br />

ihrer kostbarsten<br />

Sammlerstücke:<br />

Diese Flying-V-Gitarre<br />

gehörte einst H. P.<br />

Baxxter, bevor er<br />

sie auf einer Bühne<br />

zerschlug<br />

Im Bahnhof in einem Stadtteil des nordrhein-westfälischen<br />

Euskirchen gibt es nur<br />

ein Gleis. Zweimal stündlich fährt hier ein<br />

Regionalzug in Richtung Norden oder Süden.<br />

Das Bahnhofsgelände sieht verlassen<br />

aus. Nur eine einzige Person mit kräftiger<br />

Statur wartet vor der betonierten Treppe, die<br />

zum Gleis führt. Auf Christianes großzügig<br />

geschnittenem T-Shirt steht etwas in leuchtenden<br />

Buchstaben geschrieben. Ihre langen,<br />

dunkelblonden Haare und das schwarze<br />

Shirt wehen im Wind, als sie lässig, aber etwas<br />

unsicher eine Hand zum Gruß hebt. Von<br />

weitem sieht sie aus, als käme sie gerade von<br />

einem Rockkonzert. Erst als der Schriftzug<br />

auf ihrem T-Shirt lesbar wird, ist klar: Diese<br />

Frau wäre auf einem Rockkonzert völlig fehl<br />

am Platz: „Scooter – The Big Mash Up“ steht<br />

da in weißen Großbuchstaben. Von ihren<br />

insgesamt 65 Scooter-Shirts ist dieses momentan<br />

ihr liebstes. Gekauft hat sie es auf einem Konzert der<br />

gleichnamigen Tour vor einem Jahr.<br />

Christiane besucht fast jedes Konzert von Scooter. Seit<br />

Gründung der Band im Jahr 1993 müssen es um die 500<br />

gewesen sein, schätzt sie. Ein paar wenige fehlen auf ihrer<br />

Liste. Reisen nach Spanien, Finnland, Frankreich, Belgien,<br />

England, Irland oder Ungarn gehören allerdings zur Routine:<br />

Um Scooter auf Konzerten entgegenzufiebern, fährt<br />

Christiane gerne in die großen Metropolen der Welt. Doch<br />

zu Hause ist sie in Euskirchen. Seit 1987 lebt sie in dieser<br />

eher ländlichen Gegend. Einen Grund, in eine größere<br />

Stadt zu ziehen, sieht sie nicht. „Ich mag die Idylle und die<br />

Ruhe. Eigentlich bin ich auch ein sehr ruhiger Mensch“,<br />

sagt sie und schließt die Tür zu ihrer Wohnung auf. Ihren<br />

Schlüsselband schmückt ein Scooter-Schriftzug.<br />

Auf geschätzten 40 Quadratmeter Wohnraum verteilt<br />

sich all das, was sich in fast 20 Jahren Fan-Dasein angesammelt<br />

hat. An den Wänden reihen sich Scooter-Poster<br />

aneinander, Plakate von lange zurückliegenden Touren<br />

lassen etwas mitgenommen ihre Ecken hängen. CD-Regale,<br />

in denen sich die sorgfältig sortierte Scooter-Sammlung<br />

befindet, drohen unter der Last zusammenzubrechen. Das<br />

Auge versucht vergeblich, eine freie Stelle an Wänden und<br />

Türen zu finden. In zwei von drei Zimmern der Wohnung<br />

herrscht die absolute Scooter-Welt. „Das eine habe ich erst<br />

vor Kurzem dazubekommen, weil die anderen fast auseinandergeplatzt<br />

sind“, sagt Christiane, etwas peinlich berührt.<br />

Von alten Videokassetten über DVDs, CDs und Schallplatten<br />

bis hin zu Zeitschriften und Plakaten besitzt sie so<br />

ziemlich alles, was Scooter jemals veröffentlicht hat. Nahezu<br />

alle ihre Sammlerstücke sind original unterschrieben.<br />

Stolz zeigt sie auf ramponierte Flying-V-Gitarren hinter der<br />

Zimmertür. „Die hat H.P. auf der Bühne zerdeppert“, sagt<br />

sie, und ihre Augen fangen an zu leuchten. Auf einem ihrer<br />

unzähligen Konzertbesuche konnte Christiane eine der Gitarren<br />

abstauben. „Die andere wollte H.P. wegschmeißen,<br />

als ich die Jungs spontan in Hamburg im Studio besucht<br />

habe“, sagt sie. „Da habe ich sie natürlich sofort mitgenommen.“<br />

Das Management von Scooter hält nichts von<br />

spontanen Studiobesuchen, das hat Christiane schon am<br />

eigenen Leib erfahren. Sie hält sich inzwischen ein bisschen<br />

zurück. „Die waren irgendwann schon richtig genervt, und<br />

das möchte ich natürlich auch nicht“, gibt sie zu. Die Frau,<br />

die für Scooter lebt, möchte sich nicht aufdrängen, weil sich<br />

das nicht gehört. Der große Fan, der sie ist, kommt nur in<br />

Konzerthallen während der Autogrammstunden aus ihr<br />

heraus. Vor allem im Berufsleben hat er nichts zu suchen.<br />

Daher versucht Christiane, ihre Arbeit klar vom Privatleben<br />

und damit auch von Scooter zu trennen. „Meine Kollegen<br />

würden das nicht verstehen“, sagt sie.<br />

Bis vor kurzem arbeitete Christiane für eine Zeitarbeitsfirma<br />

an einer Papierpresse. Meistens wurde sie für die Nachtschichten<br />

eingeteilt. Keinesfalls ein Job, von dem sie immer<br />

geträumt hat. Doch als gelernte Bäckerin sind ihre Möglichkeiten<br />

begrenzt. Am liebsten hätte sie beruflich etwas mit<br />

Computern oder Handys zu tun. Denn neben Scooter sind<br />

die ebenfalls aus ihrem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sie<br />

zeigt auf einige Computer, die verteilt im Raum stehen. „Ich<br />

baue sie auch selbst zusammen“, sagt sie.<br />

Als Christiane vor knapp 20 Jahren das erste Mal „Hyper<br />

Hyper“ im Radio hörte, konnte sie mit dem Stück erstmal<br />

nur wenig anfangen. „Rhapsody in E“, ebenfalls auf der<br />

Single-CD, überzeugte sie allerdings sofort. Nachdem sie<br />

dann auch das Musikvideo zu „Hyper Hyper“ im Fernsehen<br />

gesehen hatte, war es endgültig um sie geschehen. „Als<br />

ich H.P. Baxxter in dem Video sah, wusste ich, er ist ein Engel.<br />

Ihm fehlen nur noch die Flügel.“ Christiane schwärmt<br />

für seine blonden Haare und die blauen Augen. „Darin<br />

kann ich mich vergessen“, sagt sie verträumt.<br />

Das Vergessen spielt in Christianes Leben eine große<br />

Rolle. Schon in den frühen Kindheitsjahren hatte die heute<br />

33-Jährige das erste Mal mit Leukämie zu kämpfen. Sie<br />

schaffte es, die Krankheit zu besiegen. Doch der Tod ihrer<br />

Eltern und ein Krankheitsrückfall haben sie zu einem<br />

Menschen gemacht, der in sich gekehrt und zurückgezogen<br />

lebt. „Ich hatte nie viel Erfolg im Leben, erst durch Scooter<br />

bin ich aus mir herausgekommen, sah wieder einen<br />

Sinn im Leben und konnte richtig gesund werden“, sagt<br />

sie mit ernster Stimme. Als es Christiane gesundheitlich so<br />

schlecht ging, hatte sie nur einen einzigen Wunsch: „Ich<br />

dachte mir, auch wenn ich vielleicht bald sterbe, vorher<br />

möchte ich H.P. Baxxter kennenlernen“, erinnert sie sich.<br />

Als Christiane damals anfing, Scooter hinterherzureisen,<br />

ging es ihr hauptsächlich um H.P. Baxxter. „Mit 16 Jahren<br />

war ich in diesen Mann verliebt, er ist der Grund, warum<br />

ich Scooter-Fan geworden bin“, sagt sie. Heute ist Christiane<br />

erwachsen, und ihr sind alle drei Bandmitglieder sowie<br />

auch der Manager Jens Thele gleich wichtig. Attraktiv findet<br />

sie H.P. nach wie vor. Auf ihrem Facebook-Profilbild<br />

grinst er in die Kamera, und auch ihren Computerbildschirm<br />

ziert ein Foto von ihm. Christiane ist schon seit vielen<br />

Jahren in einer festen Beziehung. Äußerlich haben ihr<br />

Freund und H.P. Baxxter immerhin zweierlei gemeinsam:<br />

dieselbe Haar- und Augenfarbe. Eifersucht spiele in der Be-<br />

Scooter gehören<br />

mit über 20 Top-<br />

Ten Hits in den<br />

deutschen Single<br />

Charts zu den<br />

erfolgreichsten<br />

Bands Deutschlands.<br />

Der erfolgreichste<br />

Song<br />

der Techno-Band<br />

ist Hyper Hyper<br />

aus dem Jahr<br />

1994. Er verschaffte<br />

Scooter<br />

den internationalen<br />

Durchbruch<br />

und hielt sich<br />

24 Wochen in<br />

den deutschen<br />

Single-Charts. Die<br />

Band besteht heute<br />

aus dem Frontmann<br />

H.P. Baxxter<br />

(eigentlich Hans<br />

Peter Geerdes),<br />

Rick J. Jordan<br />

(eigentlich Hendrik<br />

Stedler) und<br />

Michael Simon. Zu<br />

ihren bekanntesten<br />

Stücken zählen<br />

„How Much<br />

Is The Fish“ und<br />

„Wicked!“. Bis<br />

heute verkaufte die<br />

Band weit mehr<br />

als 25 Millionen<br />

Tonträger und<br />

haben dafür über<br />

80 Gold- und<br />

Platin-Schallplatten<br />

bekommen.<br />

ziehung keine Rolle. „Mein Freund hat mich so kennengelernt.<br />

Er muss das akzeptieren.“ Dem einen oder anderen<br />

mag Christianes extremes Fan-Dasein auch schon seltsam<br />

vorgekommen sein. „Ich wurde schon mal vor die Wahl<br />

gestellt: entweder Scooter oder ich. Da habe ich den Kerl in<br />

den Wind geschossen.“<br />

Christiane hat H.P. Baxxter und seine Bandmitglieder<br />

Rick J. Jordan und Michael Simon mehr als 20 Mal persönlich<br />

getroffen. „Ich gehöre schon zum Inventar“, sagt sie.<br />

Meistens versucht sie, die Band vor oder nach den Konzerten<br />

zu erwischen, um ein paar Fotos zu schießen. An<br />

das erste Zusammentreffen mit H.P. erinnert sich Christiane<br />

gut. „Es war 1997 auf der ,The Age Of Love’-Tour in<br />

Hamburg. Eine Freundin und ich haben die Jungs einfach<br />

vor dem Eingang abgepasst.“ Ihre regelmäßigen Versuche,<br />

die Band persönlich zu treffen, kommen nicht immer gut<br />

an. „Manchmal reagieren sie schon genervt, vor allem, als<br />

ich H.P. einmal privat gesehen habe und ihm ,Hallo‘ sagen<br />

wollte.“ Seitdem versucht Christiane, die Privatsphäre des<br />

Trios zu respektieren und nur auf Konzerten die Crew zu<br />

fragen, ob sie die Band kurz treffen darf. „Ich habe dann<br />

einfach Glück, wenn es klappt“, sagt sie und schaut gedankenversunken<br />

auf ihr Handy, von dessen Bildschirm ihr<br />

H.P. Baxxters blaue Augen entgegen strahlen.<br />

Einen Moment lang verharrt Christiane in ihren Erinnerungen,<br />

dann steht sie plötzlich auf. „Ich habe die schönste<br />

Autogramm-Sammlung“, sagt sie begeistert und sucht<br />

etwas in einem Schrank, in dem es von Scooter-Artikeln<br />

nur so wimmelt. Einen Augenblick später kommt sie mit<br />

einem riesigen Fotoalbum zurück. „Ich gehe auf jede Autogrammstunde“,<br />

sagt sie stolz. Auf einem etwas vergilbten<br />

Exemplar von 1994 lächelt ihr ein sehr viel jüngerer H.P.<br />

Baxxter entgegen. Verträumt blättert Christiane durch ihre<br />

Sammlung, zeigt hier und da auf eine Karte. „Für Christiane“<br />

steht dort fast überall geschrieben. „Das ist jetzt<br />

auch schon 13 Jahre her“, erinnert sie sich, als sie ihre<br />

Lieblings-Autogrammkarte zeigt. „Da sieht H.P. einfach<br />

supersexy aus.“ Für kein Geld der Welt würde sie diese Raritäten<br />

verkaufen.<br />

In ihrer Wohnung hört Christiane momentan nur selten<br />

Musik. Schuld daran ist ein Hörsturz auf dem rechten Ohr,<br />

den sie der Lautstärke auf den Konzerten zu verdanken hat.<br />

Auf die Live-Auftritte von Scooter möchte sie aber trotzdem<br />

nicht verzichten. Mit Ohrstöpseln im Gepäck reist sie<br />

weiter in fast alle Länder, in denen Scooter auftreten. Besonders<br />

bei den Konzerten kann Christiane alles um sich<br />

herum vergessen und ganz mit der Musik davonschweben.<br />

Es ist ein Erlebnis, das Christiane mit Worten kaum<br />

beschreiben kann: ausrasten, tanzen, feiern trifft es ganz<br />

gut. Natürlich in der ersten Reihe. „Ich bin immer vorne.<br />

Der Platz gehört mir“, sagt sie. Um diese Position bei<br />

jedem Konzert zu behaupten, kommt es schon mal vor,<br />

dass sie 13 Stunden vor Einlass vor der Tür steht. Das sei<br />

aber ein Extremfall. „Normalerweise kann man ab 19 Uhr<br />

rein. Dann bin ich immer zwischen 11 und 12 Uhr mittags<br />

da“, sagt sie, als sei es ganz selbstverständlich. Sobald die<br />

Türen aufgehen, könne es auch mal mörderisch werden.<br />

Ohne Rücksicht auf Verluste versucht jeder, nach ganz<br />

vorne zu kommen. Christiane erinnert sich an ein Konzert<br />

in Prag, auf dem ihr ein Fan im Gedränge mit voller<br />

Wucht seinen Ellenbogen ins Gesicht rammte. Auch während<br />

des Live-Auftritts kann es gefährlich werden. „Eines<br />

meiner heftigsten Konzerte war 1997 in Mainz“, sagt sie.<br />

„Scooter haben vor 40.000 Fans gespielt, danach hatte ich<br />

am ganzen Körper blaue Flecken, und mein T-Shirt war<br />

zerrissen.“ Wenn Scooter auf der Bühne „Maria, I Like It<br />

Loud“, „Fuck The Millennium“ oder „Wicked“ spielen, ist<br />

es für Christiane an der Zeit, alles andere hinter sich zu lassen.<br />

Ihre Vergangenheit, die von schlechten Erinnerungen<br />

geprägt ist, gerät für sie völlig in Vergessenheit. Auf einem<br />

Scooter-Konzert kann sie neuen Lebensmut schöpfen und<br />

dadurch die Zukunft optimistischer betrachten.<br />

Über ihre Vorliebe für Scooter hat Christiane schon<br />

einige Freundschaften knüpfen können. Viele hat sie auf<br />

Konzerten oder im Internet bei Facebook oder in Scooter-<br />

Foren kennengelernt. Doch nicht alle sind gut auf Christiane<br />

zu sprechen. „Manche Fans sind neidisch auf das, was<br />

ich durch Scooter schon alles erlebt habe. Sie hätten es lieber<br />

selbst erlebt“, sagt sie. „Ich wurde schon oft angefeindet<br />

und bloßgestellt, aber ich bleibe so, wie ich bin.“ Nach 20<br />

Jahren Fan-Dasein haben die Menschen, die ihr nahe stehen,<br />

akzeptiert, dass sie an ihrem Leben und ihrer Liebe zu<br />

Scooter nichts ändern möchte. Dass die Charterfolge der<br />

Band momentan eher dürftig ausfallen, stört sie nicht. Sie<br />

glaubt fest daran, dass Scooter auch noch im Senioren-Alter<br />

live auf der Bühne stehen werden. Und dabei wird sie selbst<br />

natürlich nicht fehlen. Doch zunächst wird sie sämtliche<br />

Konzerte der „20 Years Of Hardcore“-Tour besuchen, die<br />

im nächsten Jahr ansteht. Eine Karte für Hamburg hat sie<br />

sich bereits gekauft. Etwa 50 Euro zahlt Christiane für ein<br />

Ticket, gern sogar. 70 Prozent ihrer monatlichen Ausgaben<br />

gehen auf Scooters Konto, schätzt sie. „Ich gönne mir sonst<br />

keinen Luxus.“ Christiane steht erneut auf und hält das für<br />

Scooter typische Megaphon in die Luft. „Wickeeeeeeed“,<br />

ruft sie hinein, doch die Batterie des Geräts scheint leer zu<br />

sein. Vor ein paar Jahren hat sie sich das Megaphon-Motiv<br />

auf den rechten Oberarm tätowieren lassen. Der Tätowierer<br />

hätte ihr zwar davon abgeraten, doch für Christiane gibt<br />

es schon seit „Hyper Hyper“ keinen Zweifel daran, dass<br />

Scooter sie bis an ihr Lebensende begleiten wird.<br />

Als der Regionalzug in Richtung Köln einfährt, ist der<br />

Bahnhof genauso verlassen wie einige Stunden zuvor.<br />

Mit dem Megaphon in der linken und ihren fünf liebsten<br />

Scooter-Shirts in der rechten Hand ist sie mit zum<br />

Gleis gekommen, um sich zu verabschieden. „Bis bald in<br />

Berlin“, ruft sie, ein bisschen traurig. Ja, spätestens dann,<br />

wenn Scooter wieder spielen.<br />

43<br />

„Ich wurde schon mal vor die Wahl gestellt<br />

– entweder Scooter oder ich – da<br />

habe ich den Kerl in den Wind geschossen“<br />

Werk VI . Mixtape


Fotograf: Matthias Wehofsky<br />

Produktion: Carmen Benker,<br />

Daliah Hoffmann, Valentine<br />

Linke, Jeannette Petersmann,<br />

Inga Schwarze, Annika Zapp<br />

Models: Johanna (Seeds), Bianca<br />

(Seeds), Blandina (Seeds)<br />

Hair/Make-Up: Patrycja Postek<br />

(Blossom) & Eavan Derbyshire<br />

44<br />

45<br />

*Pink Floyd, 1973<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Us and<br />

Them<br />

*Wo Musiker sind, sind auch<br />

Mädchen. Und wo Mädchen<br />

sind, ist auch Mode. Eine<br />

After-Show-Party mit der<br />

Berliner Band 8-Bit Chess Club.


Vorherige Seite:<br />

Jakob: T-Shirt, gesehen<br />

bei TK Maxx. Cap: Privat<br />

BusTea: Jacke von<br />

Fred Perry. T-Shirt, gesehen<br />

bei TK Maxx<br />

Falq: Hemd von Guess.<br />

Jeans & T-Shirts: Privat<br />

Blandina: Cap von<br />

New Era. Blazer: Vintage<br />

Johanna: Rock von Selected.<br />

Lederjacke: Vintage<br />

Bianca: Kleid von Guess.<br />

Kette: Stylists own<br />

Ori: Lederjacke von Guess<br />

Johannes: Shirt: Privat<br />

46 47<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Blandina:<br />

Fake-Fur-Jacke<br />

von Vero Moda<br />

Falk: T-Shirt,<br />

gesehen bei TK Maxx<br />

Fotocredit<br />

Fotocredit<br />

Johanna: Lederjacke:<br />

Vintage. Rock<br />

von Selected Femme.<br />

Shirt: Stylists own


Bianca: Top von American Apperal.<br />

Jeans von Paige. Armreif: Vintage<br />

BusTea: Jeanshemd von Guess. Schuhe<br />

von Filippa K.. T-Shirt und Hose: Privat<br />

Johannes: Shirt und Hose: Privat<br />

Johanna: Weste von Only. Transparente<br />

Bluse von Vero Moda. Shorts von Mavi.<br />

Boots von Urban Outfitters<br />

48 49<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Fotocredit<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Bianca: Hut von by Malene<br />

Birger. Jeansweste: Vintage<br />

Johanna: Goldener Blazer,<br />

über Nelly. Jeanshemd<br />

von Vero Moda. Lederhose<br />

von Topshop


50<br />

51<br />

Fotocredit<br />

Fotocredit<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Werk VI . Mixtape<br />

V.l.n.r.:<br />

BusTea: T-Shirt, gesehen bei TK Maxx.<br />

Jeans von Guess. Chucks: Privat<br />

Bianca: Lederhose von by Malene<br />

Birger. Top von Guess. Leo-Pelzjacke<br />

und Schuhe: Stylists own<br />

Ori: T-Shirt von Zoo York. Schuhe<br />

von Filippa K.. Hose: Privat<br />

Johannes: Cap von New Era. Pullover<br />

von Cheap Monday. Lederjacke,<br />

Hose und Sneaker: Privat<br />

Blandina: Jeansjacke von Cheap<br />

Monday. Kleid und Schuhe von<br />

Monki. Kette von by Malene Birger<br />

Jakob: Cap: New Era. Jeansjacke<br />

von G-Star. Jeans, T-Shirt<br />

und Sneaker: Privat<br />

Falq: T-Shirt, gesehen bei TK<br />

Maxx. Jeans: Privat Johanna:<br />

Weste, über Nelly. Spitzenbody,<br />

gesehen bei TK Maxx. Jeans-Shorts<br />

von Guess. Boots: Stylists own


Achtland<br />

Designer: Thomas Bentz (r.), Oliver Lühr<br />

52<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Zwei Künste,<br />

eine Welt<br />

Noch nie zuvor standen sich Musik und Mode so nah wie heute.<br />

Musiker gründen Modelabels oder laufen als Model über den<br />

Laufsteg. Designer entwerfen Bühnenkostüme oder buchen<br />

Sänger für ihre Kampagnen – wie jüngst Hedi Slimane für Saint<br />

Laurent Paris. Wir wollten wissen, was deutsche Musiker und<br />

Designer zu dieser Symbiose sagen.<br />

Interviews: Jeannette Petersmann<br />

Ben Ivory<br />

Popmusiker<br />

Mode ist?<br />

Ben: Eine Art Religion.<br />

Welcher Modedesigner ist ein Visionär für dich?<br />

Jean Paul Gaultier. Er hat eine ganz eigene<br />

Sprache entwickelt, zum Beispiel mit den<br />

BHs für Madonna. Gaultier ist sich treu<br />

geblieben, auch wenn Kollektionen mal nicht<br />

so kommerziell erfolgreich sind.<br />

Welcher Berliner Designer macht Mode,<br />

die zu dir passt?<br />

Ich mag Sopopular. Und natürlich<br />

auch Kilian Kerner, mit dem ich in den<br />

letzten fünf Jahren immer wieder<br />

zusammengearbeitet habe. Das hat auch<br />

mein Interesse für Mode geweckt.<br />

Wo gehst du gern shoppen?<br />

Leider bei Zara und H&M. Ich weiß, das ist<br />

gar nicht gut. Auch bei All Saints und Kilian Kerner.<br />

Ich bekomme allerdings auch viele Sachen<br />

geschenkt, was durchaus praktisch ist (lacht).<br />

Wie würdest du deinen Modestil beschreiben?<br />

Ich sehe meine Kleidung als eine Art Rüstung,<br />

daher sind mir gerade die Formen wichtig.<br />

Fotos: Verena Brühning<br />

Man kann eben nicht nur seine Stimmung<br />

mit Mode ausdrücken, sondern auch den<br />

Körper verändern.<br />

Gibt es auch musikalische Stilvorbilder, die dich<br />

geprägt haben?<br />

Michael Jackson hat mich modisch beeinflusst.<br />

Aber auch ganz klar David Bowie, der<br />

ist ja super vielseitig. Ich bemühe mich, Stile<br />

nicht zu kopieren, sondern sie individuell<br />

weiterzuführen.<br />

Was war deine absolut größte Modesünde?<br />

Cordhosen mit riesengroßem Schlag. Meine<br />

Schwester und ich waren damals bei der Antifa<br />

und trugen dazu Doc Martens (lacht).<br />

Welche Stadt gefällt dir modisch besonders gut?<br />

Stockholm, die Stadt ist ein wenig mein Zuhause<br />

geworden. Hier herrscht ein ganz anderer<br />

Umgang mit Mode, die Leute wissen einfach,<br />

was ihnen steht und wie sie es tragen müssen.<br />

Du hast eine Ausbildung als Fotograf.<br />

Hast du einen Lieblingsmodefotografen?<br />

International auf jeden Fall Steven Klein.<br />

Ich mag seinen Stil total, obwohl er natürlich<br />

sehr kommerziell geworden ist. Held<br />

meiner Kindheit ist aber auch Sven Marquardt.<br />

Fotocredit<br />

Fotocredit<br />

Musik ist?<br />

Thomas: Alles<br />

Oliver: Emotion<br />

Euer Lieblingssong?<br />

O: „Don’t Rain On My Parade” von Barbra Streisand<br />

und „Make Your Own Kind of Music” von Mama<br />

Cass Elliot. Letzteres ist sowas wie unser Label-Motto.<br />

T: Es sind eher die Künstler, zu denen ich immer<br />

wieder zurückkomme. Dinah Washington,<br />

Bobby Womack oder Nina Simone begleiten mich<br />

schon mein ganzes Leben.<br />

Seid ihr in der Musik so harmonisch wie in der Mode?<br />

T: Oliver ist der visuelle Mensch. Ich bin derjenige,<br />

der die Musik aussucht und auch viel konsumiert.<br />

Ich kann nicht ohne Musik leben. Ich liebe Dolly P<br />

arton, Oliver hasst sie (beide lachen).<br />

Wo trifft man euch nachts in Berlin?<br />

T: Wir sind viel zu alt, um wegzugehen (lacht).<br />

O: Die Bässe von den umliegenden<br />

Clubs hören<br />

wir in unserem Atelier. Das<br />

ist mein „Passiv Partying“.<br />

In der King Size Bar oder im<br />

Pauly Saal trifft man uns aber<br />

noch häufiger.<br />

Welches war euer letztes Konzert?<br />

O: Scissor Sisters.<br />

T: Nee, ich glaube Grace Jones,<br />

das war das letzte!<br />

Mit welchem Musiker würdet<br />

ihr gern mal tauschen?<br />

T: Die meisten Musiker,<br />

die ich cool finde, waren<br />

heroinabhängig (lacht).<br />

O: Mit Tina Turner (Thomas<br />

nickt ihm aufgeregt zu). Sie ist<br />

einfach fantastisch. Ihre Musik<br />

ist eine wahnsinnige Passion.<br />

Eure größte Konzertsünde?<br />

O: Dieter Thomas Kuhn mit 17<br />

Jahren. Da sind wir in Lübeck<br />

damals richtig abgegangen.<br />

T: Bei mir war es Madonna mit 19 Jahren.<br />

Aber Dieter Thomas Kuhn, krass (lacht).<br />

Das ist auch der Grund, warum ich die Musik aussuche.<br />

Welche Musikerin würdet ihr gerne mal in Achtland sehen?<br />

T: Grace Jones. Sie ist einer der letzten echten<br />

Freigeister und funktioniert einfach nicht nach Regeln.


Sascha Braemer<br />

Techno-DJ und Produzent<br />

Mode ist?<br />

Sascha: Immer individuell.<br />

Wie wichtig ist dir Mode?<br />

Sehr wichtig. Ich könnte mir<br />

auch vorstellen, mein eigenes<br />

Label aufzuziehen.<br />

Welcher Musiker hat deinen<br />

Modestil geprägt?<br />

Eine Zeit lang Depeche Mode.<br />

Aber ich hatte wenige Stilvorbilder.<br />

In den 90ern war ich aber ein absoluter<br />

Raver und sah auch so aus.<br />

Wie würdest du deinen<br />

Kleidungsstil beschreiben?<br />

Ich mag enge Röhrenjeans und<br />

Sabrina Dehoff<br />

Designerin<br />

Musik ist?<br />

Sabrina: Ein Lebensgefühl.<br />

Lässt du dich davon inspirieren?<br />

Ja, doch das ist auf keinen Fall ein<br />

Schwerpunkt. Ich liebe zum Beispiel<br />

Elvis Presley, für eine Modenschau<br />

habe ich einen Remix seiner<br />

Musik gespielt. Die Musik ist bei<br />

Shows natürlich ein absoluter Träger.<br />

Welche Lieder begleiten dich durch<br />

dein Leben?<br />

Die Musik von Serge Gainsbourg<br />

ist ein Teil meines Lebens. Da ich lange<br />

in Frankreich gelebt habe, war mein<br />

Musikgeschmack lange etwas frankophil.<br />

Als mein Sohn noch ein kleines Baby<br />

war, habe ich gern mit ihm dazu getanzt.<br />

Warum Berlin, wenn du in Modestädten<br />

wie Paris und London gelebt hast?<br />

Mir haben gewisse Formen des Umgangs<br />

und der Entspanntheit gefehlt, die es hier<br />

in Berlin gibt. Ehrlich gesagt habe ich auch<br />

gemerkt, dass französische Männer nicht<br />

so mein Ding sind (lacht). Die Engländer<br />

liegen mir da schon mehr, ich mag ihren<br />

Humor. Berlin ist aber meine Heimat.<br />

Welche Musikerin hast du schon<br />

mit deinem Schmuck ausgestattet?<br />

schlichte Shirts. An den Füßen<br />

trage ich Adidas-Turnschuhe<br />

in allen Variationen, davon habe<br />

ich so einige.<br />

Sieht man dich auch mal im Anzug?<br />

Ja, auf jeden Fall, aber natürlich<br />

nur zu gewissen Anlässen. Wenn<br />

ich in die Oper gehe oder auf<br />

eine Feier. Mein Lieblingsanzug ist<br />

von Hugo Boss.<br />

Was trägst du zu Hause, was dir<br />

in der Öffentlichkeit peinlich wäre?<br />

Ich hab ein Micky-Mouse-T-Shirt<br />

(lacht). Das kombiniere ich gern<br />

mit einer giftgrünen kurzen Hose<br />

von Humör. Ich find’s toll,<br />

aber ich glaube, die Leute wollen<br />

sowas nicht sehen.<br />

Beyoncé zum Beispiel. Diese<br />

Arbeiten machen besonders Spaß,<br />

denn für die Bühne kann man<br />

dann auch mal etwas größer denken.<br />

Mit welchem Musiker würdest du<br />

gern mal Kaffee trinken?<br />

Mit Bette Midler, einfach eine tolle Frau.<br />

Kann Mode ohne Musik existieren?<br />

Musik transportiert die Mode einfach.<br />

Die Stimmung und das Lebensgefühl.<br />

Das, was man ausdrücken will,<br />

kann durch das Zusammenspiel perfekt<br />

transportiert werden. Das habe ich<br />

auch in Paris mitbekommen. Die<br />

Musik für eine Show ist etwas ganz<br />

Persönliches für den Designer.<br />

Welche Musik jagt dir einen Schauer<br />

über den Rücken?<br />

Rock-Balladen. Ich weiß, die romantische<br />

Rockrichtung ist eine ganz schwierige<br />

Sache. Aber Geschmäcker sind<br />

verschieden, das ist ja das Tolle daran.<br />

Welchen Song hast du zuletzt in<br />

Dauerschleife gehört?<br />

„Escape – The Piña Colada Song“ von<br />

Rupert Holmes. Das Lied ist so amüsant.<br />

Kannst du dich noch an dein erstes<br />

selbstgekauftes Album erinnern?<br />

Das war von Smokie. Ich war natürlich<br />

unsterblich in den Sänger verliebt<br />

(lacht laut).<br />

Gibt es in deinem Kleiderschrank ein<br />

Teil, das du noch nie anhattest, weil<br />

du Angst vor Kritik hast?<br />

Da gibt es und bestimmt nicht nur<br />

eines. Auf jeden Fall eine dunkelblaue<br />

Samtjacke im Uniformstil.<br />

Die würde ich eigentlich gern mal<br />

auf der Bühne anziehen, aber die<br />

Leute denken sich dann wahrscheinlich:<br />

Was ist mit dem Braemer los?<br />

Du musst mit wenig Schlaf<br />

auskommen. Dein Tipp, um<br />

schnell wieder frisch auszusehen?<br />

Pflege ist das Allerwichtigste.<br />

Meine besteht aus ein bisschen<br />

Sonne und Feuchtigkeitscremes.<br />

Bester Tipp wenn nichts mehr<br />

geht: Sonnenbrille.<br />

Panda<br />

Berliner Band: Chris Lippert (li.),<br />

Oskar Alpen und Anna Fischer<br />

Mode ist?<br />

Anna: Bunt.<br />

Oskar: Sehr wichtig.<br />

Chris: Zeitgeist.<br />

Auf welcher Modenschau würdet ihr gerne mal<br />

auftreten?<br />

A: Bei Unrath & Strano. Das wäre natürlich megageil.<br />

O: Da bin ich dabei! Wenn ich es mir aussuchen<br />

könnte, wäre Céline natürlich auch ganz nett.<br />

Macht ihr euch viele Gedanken über eure Kleidung<br />

vor einem Auftritt?<br />

A: Ich bin schon einen Monat vorher am Schwitzen<br />

und überlege, was ich anziehe. Ich versuche auch<br />

immer, ein Teil zu tragen, das man so nicht<br />

kaufen kann. Ob selbst gebastelt oder von<br />

befreundeten Jungdesignern, das finde ich immer<br />

eine schöne Sache.<br />

O: Ja, auf jeden Fall. Anna ist ja oft etwas bunter,<br />

dann versuchen wir Jungs, etwas subtiler zu sein.<br />

C: Wir haben tatsächlich auch ein Farbkonzept<br />

auf der Bühne. Es wirkt einfach, wenn auch<br />

unbewusst, auf das Publikum.<br />

Was ist für euch der typische Berlin-Stil?<br />

A: Nach zwei Stunden vor dem Kleiderschrank so<br />

auszusehen, als hätte man sich gerade nur etwas<br />

übergeworfen. Je unschicker, desto besser.<br />

O: Ich finde Berlin so interessant, weil es so ein<br />

Schmelztiegel ist. Hier treffen die verschiedensten<br />

Kulturen aufeinander. Zudem hat man<br />

hier noch die verschiedenen Stadtteile, da sehen<br />

die Leute alle unterschiedlich aus.<br />

C: Ich habe gestern in der Tram jemanden<br />

gesehen, der hatte einen Stars-and-Stripes-<br />

Ganzkörperanzug an. Das ist Berlin.<br />

Welches war eure größte Modesünde?<br />

A: Ich hatte Buffalo-Plateauschuhe. Allerdings<br />

zu einer Zeit, als die noch niemand getragen hat.<br />

O: Ich hatte eine ganz schlimme Frisuren-Phase<br />

mit schulterlangen Haaren.<br />

C: Daran erinnere ich mich, zu der Zeit habe ich<br />

Schlaghosen mit vorgefertigten Löchern getragen.<br />

Dazu überlange Hemden und Holzkettchen.<br />

Habt ihr damals einer Jugendkultur angehört?<br />

A: Ich glaube, ich habe jeder Jugendkultur angehört,<br />

der man nur angehören konnte. Ich bin immer<br />

noch in einer absoluten Findungsphase. Man könnte<br />

auch sagen, ich gehe von Style zu Style und habe<br />

gar keinen Style. Aber damit kann ich leben (lacht).<br />

Könnt ihr euch noch an das Lieblingskleidungsstück<br />

eurer Kindheit erinnern?<br />

A: Ich hatte einen ganz kratzigen grauen Pullover,<br />

den ich auch im Sommer bei 30 Grad anhatte.<br />

O: Ich mochte schon damals Wachsjacken. Ich<br />

habe Enid Blytons Fünf Freunde gelesen und<br />

habe diesen ganzen British-Heritage-Look geliebt.<br />

C: Ich erinner mich an mein erstes Accessoire.<br />

Ein rosa Teddybär. Mit dem wurde sogar<br />

der Mund abgewischt.<br />

Ist Mode für euch Kunst?<br />

A: Für mich ist Mode die absolute Kunst.<br />

C: Ich finde diesen Begriff „Kunst“ so<br />

schwierig. Es ist eher eine Mischung aus Kreativität<br />

und Handwerk. Kunst ist für mich eher Fortschritt.<br />

A: Es ist aber auf jeden Fall eine Kunst, die Silhouette<br />

einer Frau richtig zu erfassen und zu betonen.<br />

Karl Lagerfeld zum Beispiel schafft es, eine Frau<br />

mit seiner Mode so zu verpacken, dass sie immer<br />

toll aussieht.<br />

Blogs sind sehr umstritten. Lest ihr Modeblogs?<br />

O: Es gibt vielleicht eine Handvoll vernünftiger<br />

Modeblogs in Deutschland. Dandy Diary<br />

zum Beispiel ist bewundernswert. Die haben<br />

es geschafft, die Balance zwischen Kommerz<br />

und subjektiver Meinung zu finden.<br />

55<br />

Werk VI . Mixtape


56<br />

Werk VI . Mixtape<br />

„Entweder du kommst<br />

mit Power, oder du<br />

gehst besser wieder<br />

nach Hause“<br />

Interview: Greta Kehl-Detemple & Annika Krüger<br />

Foto: Stefan Korte<br />

57<br />

Werk VI . Mixtape<br />

S<br />

miley Baldwin kommt ein paar<br />

Minuten zu spät. Die schwarzen<br />

Chucks an seinen Füßen sind fest<br />

geschnürt und ein wenig verschlissen.<br />

Die großen Taschen der khakifarbenen<br />

Cargohose sind ausgebeult,<br />

der Schnitt ist weit und<br />

lässig. Das ausgeblichene Blau des<br />

T-Shirts passt perfekt zum Look.<br />

Dass er seit den 90er-Jahren im Berliner Nachtleben arbeitet,<br />

sieht man dem 47-Jährigen auf den ersten Blick nicht<br />

an – genauso wenig wie sein Alter. Smiley, wie er seit seiner<br />

Kindheit genannt wird, ist Türsteher in Bars und Clubs wie<br />

dem Cookies oder dem The Grand. Die Entscheidung, wen er<br />

reinlässt und wen nicht, beeinflusst seit fast 20 Jahren die Berliner<br />

Clubszene und somit den Stil mehrerer Generationen.<br />

Ein Interview über seine Wahlheimat Berlin, seine Zahnlücke<br />

und darüber, warum ein „Servus!“ die rote Karte gibt.<br />

viele Dinge in meinem Leben passiert, die mich bis hierher<br />

gebracht haben. Da ich schon früh die Welt sehen<br />

wollte, bin ich nach der Schule zur US-Armee gegangen.<br />

Von dort wurde ich nach Europa geschickt. Durch einen<br />

Zufall bin ich für vier Tage in Berlin gelandet. Und ich<br />

dachte mir nur: geil! Es hat mir sofort total gut gefallen.<br />

Als ich wieder in den USA war, habe ich mich für Berlin<br />

beworben. Im Februar 1987 kam ich hier an. Seitdem<br />

möchte ich auch nirgendwo sonst leben.<br />

Du bist schon sehr lange Türsteher. Macht dir Spaß, was<br />

du tust?<br />

Ich liebe es. Ich war acht Jahre in der US-Armee, da war<br />

das Motto To protect and serve. Danach hatte ich die Schnauze<br />

voll von einer Tätigkeit, bei der es darum geht, anderen<br />

Menschen zu dienen, beziehungsweise zu helfen. Da habe<br />

ich andere Dinge probiert, die auch gut liefen. Aber am Ende<br />

entschied ich mich für das, was ich im Schlaf kann: Security.<br />

Fotocredit<br />

Smiley, wie hat es dich nach Berlin verschlagen?<br />

Ich bin auf einer kleinen amerikanischen Inselgruppe<br />

zwischen dem Atlantik und der Karibik geboren, den<br />

Jungferninseln. Dass sich mein Leben mal mitten in Europa<br />

abspielen würde, hätte ich niemals gedacht. Es sind<br />

Wie würdest du jemanden beschreiben, der als Gast in die<br />

Clubs passt, für die du arbeitest?<br />

Meine Jungs und ich arbeiten nach bestimmten Konzepten,<br />

die sich aber von Laden zu Laden wirklich kaum unterscheiden.<br />

Wir sprechen uns vorher mit dem Betreiber ab


58 besser wieder nach Hause.<br />

reinkommen, und ich erkläre es dann einfach. Das mache<br />

59<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Wer in Berlin ausgehen<br />

will, muss erst<br />

an ihm vorbei: Smiley<br />

Baldwin ist seit fast<br />

20 Jahren Türsteher<br />

und entwickeln gemeinsam eine Vorstellung von seinem<br />

Wunschpublikum. Allgemein kann man sagen, dass die<br />

Gäste sexy und gut aussehen sollten. Sie müssen gepflegt<br />

gekleidet sein und sich Mühe bei ihrem Outfit geben. Es<br />

kommt trotzdem nicht jeder rein, der einfach hübsch ist.<br />

Die Clubszene schließt viele Menschen aus, aber die, die sie<br />

einschließt, ergeben zusammen eine bunte Mischung. In<br />

den Clubs, in denen wir arbeiten, kann man sich ein gutes<br />

Bild von Berlin machen, denn da ist fast alles dabei.<br />

Gibt es etwas, was man bei dir an der Tür vermeiden sollte?<br />

Auf jeden Fall. Ich hasse „Servus!“ Das ist in Berlin fast<br />

wie ein Schimpfwort. Das sagt doch niemand. „Servus!“,<br />

willkommen in der Neuzeit! Was ich auch nicht leiden<br />

kann, ist die Frage: „Ist drinnen was los?“ Jeder, der vor<br />

mir steht und fragt, ob bei uns was los ist, kommt zu mir<br />

mit der Einstellung, dass ich ihm was bieten muss. Wir<br />

drehen das um. Wir suchen nach Publikum, das von sich<br />

aus Stimmung macht und das zu uns passt. Also gibt’s<br />

auf diese dumme Frage auch eine dumme Antwort: „Nee,<br />

heute ist es leider total leer!“ Wir sind schließlich kein<br />

Varieté, da gibt es niemanden, der dich kitzelt oder belustigt.<br />

Entweder du kommst mit Power, oder du gehst<br />

Also sind beim Einlass nicht nur Aussehen und die Kleidung<br />

entscheidend, sondern auch die Einstellung?<br />

Genau, die Klamotten müssen natürlich passend sein.<br />

Wenn ein Gast total cool drauf ist, aber nicht passend angezogen,<br />

dann ist das auch manchmal in Ordnung. Wenn<br />

man zum Beispiel merkt, dass jemand nicht aus Berlin<br />

kommt und nur für eine Nacht mit dem Zug gekommen<br />

ist, um seinen Lieblings-DJ im Club zu sehen, dann sag<br />

ich doch nicht Nein. Dann ist das okay, denn die sind nur<br />

wegen der Musik bei uns, denen geht es nicht um die anderen<br />

im Club. Die gehen dann die ganze Nacht auf der<br />

Tanzfläche ab und machen komische Bewegungen. Die<br />

achten gar nicht auf die anderen Gäste. Aber solche Leute<br />

braucht man auch.<br />

Wie viel Zeit brauchst du, um einen Gast einzuschätzen?<br />

Ich glaube, das geht mittlerweile bei mir automatisch. Ich<br />

fang nicht erst an, wenn die Person vor mir steht. Meistens<br />

erkenne ich das schon auf 50 Meter Entfernung, ob<br />

es passt oder nicht. Manchmal geht es nur darum, dass ich<br />

sage: „Hallo, wie geht’s dir? Was kann ich für dich tun?“<br />

Dann gibt es einen Austausch, und dann check ich, was in<br />

meinem Gesprächspartner steckt. Aber fast immer ist die<br />

Entscheidung auf 50 Meter Entfernung schon getroffen.<br />

Welche optischen Veränderungen bemerkst du im Laufe der<br />

Zeit an deinen Stammgästen?<br />

Es ist richtig lustig zu beobachten, dass bestimmte Typen<br />

oder Mädels, die vorher eher 08/15 waren, von einer<br />

Woche auf die nächste plötzlich Skinny Jeans und Chucks<br />

rausholen, andere Frisuren tragen und sogar in anderen<br />

Freundeskreisen abhängen. Dann erzählen sie auf einmal:<br />

„Ich war gestern im Kater!“ (Anm.d.Red.: Kater Holzig,<br />

Berliner Techno-Club) Das ist natürlich ein bisschen zum<br />

Lachen. Aber es ist auch schon mal passiert, dass jemand<br />

öfter zu uns gekommen ist, aber nie rein kam. Verändert<br />

diese Person sich positiv, ist mit coolen Freunden unterwegs<br />

oder kennt den DJ, dann sagt man auch mal: „Hey,<br />

der hat sich so viel Mühe gegeben, lasst uns sehen, was in<br />

dem steckt!“ Aber wenn jemand es immer wieder auf die<br />

gleiche Schiene versucht, bringt das einfach nichts. Wir<br />

merken uns ja auch jedes Gesicht. Ich hab echt ein gutes<br />

Gedächtnis. Ich erkenne die meisten sogar, wenn die ein<br />

Jahr später wieder vor mir stehen.<br />

Also bist du dir bewusst, dass du das Publikum über das<br />

Image des Clubs beeinflussen kannst?<br />

Ich weiß nicht, ob ich sie beeinflusse oder ob ich das<br />

überhaupt möchte. Ich würfle die Leute einfach nur<br />

zusammen, verändern tun sie sich von selbst. Es passiert<br />

sogar, dass ich Personen in den einen Laden reinlasse, aber<br />

in den anderen nicht.<br />

Und wie gehen sie damit um?<br />

Ganz natürlich. Manchmal fragen sie, warum sie nicht<br />

ich eigentlich nicht gern, nur wenn ich merke, dass die<br />

Leute wirklich betroffen sind, weil ich sie nicht reingelassen<br />

habe. Dann nehme ich mir die Zeit und gehe auf sie zu.<br />

Kann man dabei immer freundlich bleiben?<br />

Ich ja. Und ich rate das auch meinem Team. Denn das,<br />

was wir tun, ist nicht persönlich gemeint. Ich bin ein Menschenfreund,<br />

ich liebe unsere Gäste und ich bin nicht dazu<br />

da, ihnen weh zu tun. Ich weiß, dass ein Nein jemanden<br />

verletzen kann. Ist mir auch schon passiert. Ich bin nicht<br />

Die Clubszene schließt viele Menschen<br />

aus, aber die, die sie einschließt, ergeben<br />

zusammen eine bunte Mischung<br />

einer von denen, die da stehen und die Leute anschreien<br />

oder unfreundlich sind.<br />

Hast du dich denn persönlich verändert, seitdem du als Türsteher<br />

arbeitest?<br />

Ich hab mich nicht verändert. Meine Arbeit hat den<br />

Weg, auf dem ich sowieso war, bestärkt und bestätigt. Du<br />

lernst viele verschiedene Charaktere kennen an der Tür, die<br />

du auch mal enttäuschen musst. Aber ich denke, ich habe<br />

einen ausgeprägten Sinn und ich mag Menschen an ihren<br />

guten, aber auch an den nicht so schönen Tagen.<br />

Wo arbeitest du momentan am liebsten?<br />

Im Cookies in Mitte, weil das mein Lieblingsladen ist.Da<br />

arbeite ich schon am längsten. Doch leider leidet der Club<br />

auch unter der Gentrifizierung von Berlin-Mitte. Gerne bin<br />

Werk VI . Mixtape


Werk VI . Mixtape<br />

ich noch im The Grand in Mitte – das ist noch recht neu. Das<br />

geht in eine etwas konventionellere Richtung als das Cookies.<br />

Das Konzept ist ein Mix aus Restaurant und klassischer<br />

Cocktailbar. Das spricht natürlich ein älteres Publikum an.<br />

Inwiefern beeinflusst die Gentrifizierung das Cookies?<br />

Früher war Berlin-Mitte die Hochburg der Jugendkultur.<br />

Die Mieten waren natürlich dementsprechend niedrig,<br />

also konnten sich die Studenten ihre Wohnung dort<br />

leisten. Jetzt ist das nicht mehr so. Die junge Generation<br />

wohnt nicht mehr in Mitte, sie zieht nach Kreuzberg, Neukölln,<br />

teilweise in den Wedding und nach Friedrichshain.<br />

Das geht nicht spurlos am Cookies vorüber. Denn wenn<br />

man in Kreuzberg wohnt und nicht ganz so viel Geld zur<br />

Verfügung hat, kann ein Abend in Mitte ganz schön teuer<br />

werden. Man will ja nicht mit dem Fahrrad fahren. Also<br />

zehn Euro für das Taxi hin, zehn Euro Eintritt, zwei Drinks<br />

und nochmal zehn Euro für das Taxi zurück. Das ist dann<br />

schon ein ganz schön teurer Abend. Vor allem, wenn man<br />

in Kreuzberg Läden direkt vor der Tür hat, die dann auch<br />

noch keinen Eintritt kosten. Da muss das Cookies einfach<br />

kämpfen, egal wie toll und angesehen es ist.<br />

Ja, das hat aber auch was damit zu tun, dass ich mir aussuchen<br />

kann, wo ich arbeiten möchte. Ich würde sehr ungern<br />

in einem Club oder Etablissement arbeiten, wo jeder<br />

automatisch reinkommt. Nicht jeder Clubbesucher geht<br />

durch die Tür mit guten Absichten. Ich möchte mitwirken<br />

können, diese Leute auszusortieren. Und ich will auch<br />

nicht, dass mir jemand sagt, jeder Gast ist ihm heilig. Weil<br />

das im Umkehrschluss heißt, dass meine Gesundheit ihm<br />

nicht heilig ist. Ich habe bereits meine Narben, und es gibt<br />

auch einige, die in diesem Beruf gestorben sind, nur weil<br />

jemand anders ein, zwei Euro mehr verdienen wollte.<br />

Nicht jeder Clubbesucher geht<br />

durch die Tür mit guten Absichten<br />

Also ist dir an deinem Arbeitsplatz schon mal etwas passiert?<br />

Ja, leider. Das war in den 90er-Jahren auf der Oranienburger<br />

Straße. Da habe ich ein paar Jungs nicht reingelassen<br />

und sogar Hausverbot erteilt. Diese Gruppe hat sich<br />

später mit unserem Chef angefreundet, und er hat sie einfach<br />

wieder reingelassen. Für die Gäste war es keine professionelle<br />

Sache mehr, es war persönlich. Daraufhin haben<br />

sie sich zusammengetan – das waren ungefähr zehn bis<br />

fünfzehn Mann. Und die haben sich gedacht, dass sie die<br />

zwei Türsteher loswerden müssen. Wir wurden also überfallen<br />

und ich bin im Krankenhaus gelandet. Mein Kiefer<br />

war gebrochen und ich habe einen Zahn verloren. Diese<br />

Lücke habe ich nie füllen lassen. So werde ich immer daran<br />

erinnert, dass mein Job echt ist. Ich versuche mit meiner<br />

Arbeit nicht nur für mich, sondern auch für mein ganzes<br />

Team so etwas zu vermeiden. Damit solche Situationen nie<br />

wieder vorkommen.<br />

Du arbeitest ja schon eine lange Zeit im Berliner Nachtleben.<br />

Inwiefern haben sich die Clubber in den vergangenen Jahren<br />

verändert?<br />

Ich habe schon vor vielen Jahren angefangen. Ich glaube,<br />

das war so 1995 oder 1996. Seitdem hat sich einiges getan.<br />

Wir haben jetzt das Informationszeitalter, wir haben Facebook<br />

und Twitter, wir haben Telefone, die allen möglichen<br />

Scheiß machen können. Ob fotografieren – was ich<br />

hasse – oder sonst was. Und die Beziehung zu Drogen und<br />

Alkohol hat sich stark verändert. Der Umgang damit, die<br />

Art und Weise ist einfach nicht mehr die gleiche. Die Leute<br />

nehmen mehr von allem. Ich würde sagen, es ist sehr viel<br />

passiert. Aber eben bei den Leuten selbst. Und das ist nicht<br />

unbedingt positiv. Ich weiß nicht, ob ich da einfach zu viel<br />

an meine gute Erziehung denke oder in meiner eigenen Jugend<br />

gefangen bin. Keine Ahnung, da streite ich mich jetzt<br />

gerade mit mir selbst.<br />

Also war es früher leichter in deinem Job, weil die Gäste einfach<br />

besser erzogen waren?<br />

Auf jeden Fall. Auch wenn jemand üble Sachen getan<br />

hat, hatte er zumindest ein schlechtes Gewissen. Das findet<br />

man heutzutage nicht mehr so leicht. Es ist auch sehr<br />

schwer, den Personen zu verklickern, dass sie mit ihrem<br />

Verhalten die anderen Gäste stören. Sachen, die früher<br />

niemand getan hätte, sind heute selbstverständlich. So<br />

wie einem Türsteher Zigarettenqualm ins Gesicht zu<br />

pusten. Oder mit einer Flasche in der Hand in den Club<br />

zu wollen. Das sind Sachen, die früher einfach nicht passiert<br />

sind.<br />

Nachts verhalten sich die meisten Menschen ja anders als<br />

am Tag. Nimmst du Leute tagsüber anders wahr?<br />

Total. Vielleicht sind Drogen im Spiel, vielleicht ein<br />

Mädchen, vielleicht hat man nur einen schlechten Moment.<br />

Außerdem kommen in der Nacht verschiedene Charaktere<br />

zusammen, die sich so im Leben nicht begegnen<br />

würden. All diese Dinge spielen eine Rolle. Ich würde einem<br />

Gast, dem ich tagsüber begegne, nie sagen: „Das von<br />

gestern Nacht war total scheiße, rede nicht mit mir.“ Wer<br />

wäre ich dann? Ich arbeite vor einem Loch in der Wand,<br />

und ich tue mein Bestes, damit jeden Abend viele Gäste<br />

Spaß haben. Wenn ich den irgendwo anders treffe, und er<br />

ist mir gegenüber offen, dann kann ich dem einen Kaffee<br />

spendieren oder sogar mit dem frühstücken gehen. Wenn<br />

ich dann wieder vor dem Loch in der Wand stehe, dann<br />

sag ich aber auch trotzdem erneut Nein.<br />

Hast du Vorurteile?<br />

Ich habe alle meine Vorurteile weggeschafft. Sehr<br />

bewusst! Ich hab sie gesucht, gefunden und jetzt gibt es kei-<br />

ne mehr. Auch da, wo ich dachte, ich hätte vielleicht noch<br />

welche, sind keine mehr. Ich kenne Leute aus jeder Schicht<br />

und von überall her. Zum Beispiel bin ich eigentlich kein<br />

großer Freund von Religionen. Aber ich habe mal eine<br />

ganze Gruppe von Priestern kennengelernt, und die waren<br />

einfach die coolsten Jungs.<br />

Kriegst du von den Clubbetreibern gesagt, wie viele Besucher<br />

von bestimmten Gruppen du reinlassen darfst?<br />

Nee, das entscheiden wir selbst. Dazu gibt es eine lustige<br />

Geschichte: Ich habe einen Laden betreut, den Shark Club.<br />

Das war Ende der 90er einer der ersten Schickimicki-Clubs<br />

im Ostteil der Stadt. Am Anfang des Abends habe ich für<br />

eine coole und ausgewogene Mischung gesorgt. Also auch<br />

viele aus dem Ausland reingelassen und Männer und Frauen<br />

gemischt. Alle sahen gut aus. Irgendwann um vier Uhr<br />

morgens kam ein Gast auf mich zu und meinte: „Smiley,<br />

was ist denn mit euch los? Da sind nur Ausländer bei<br />

euch!“ Ich wollte wissen, ob das gut oder schlecht ist, und<br />

er hat gesagt: „Ja, ist nicht schlecht, aber da sind halt nur<br />

Ausländer!“ Wenn der deutsche Anteil in einem Club zu<br />

gering ist, kommt ein ungutes Gefühl auf. Warum das so<br />

ist, weiß ich nicht. Auch die Ausländer selber mögen es<br />

60<br />

Gibt es Clubs in Berlin, in denen du niemals arbeiten würdest?<br />

nicht, wenn der Laden voll von ihresgleichen ist. Die wol-<br />

Inwiefern bist du in das Geschehen auf der Fashion Week<br />

61<br />

len einfach eine gute Mischung haben. Dann bin ich in den<br />

Club reingegangen, und er hatte recht. Der Grund dafür<br />

war, dass zwischen drei und halb vier Uhr morgens die<br />

meisten Deutschen in einem bestimmten Alter nach Hause<br />

gehen. Das war mir bis zu diesem Zeitpunkt nie so bewusst.<br />

Ab einer bestimmten Uhrzeit machen nur noch die zugezogenen<br />

Ausländer oder Touristen immer weiter Party.<br />

Die rocken richtig.<br />

Gibt es in deinem Job als Türsteher einen Dresscode?<br />

Dunkel ist Standard. Die Leute können uns daran erkennen.<br />

Für mich ist es wichtig, dass ich, egal was ich<br />

anhabe, eine gewisse Bewegungsfreiheit habe. Denn im<br />

Notfall muss ich kämpfen. Das ist der Grund, warum<br />

die meisten Jungs diese bequemen Baggy-Pants tragen.<br />

Natürlich kommt es aber auch darauf an, wo ich arbeite.<br />

In manchen Clubs muss es etwas schicker sein als in<br />

anderen. Besonders wichtig ist das auch bei Events. Aber<br />

zum Glück darf ich meistens selbst bestimmen, was ich<br />

anziehe. Ich habe ein kleines bisschen einen Sinn für<br />

Mode. Da darf es auch mal etwas Style haben. Wir ziehen<br />

zum Beispiel öfter zu unseren Anzügen Chucks an<br />

oder Turnschuhe. Damit wir nicht so stocksteif und altmodisch<br />

aussehen.<br />

Du arbeitest viel auf der Fashion Week. Wie unterscheidet<br />

sich das Mode- vom Clubpublikum?<br />

Naja, die Leute, die im Fashion-Bereich arbeiten, sind<br />

nicht automatisch die schönsten und bestgekleideten<br />

überhaupt. Das ist in der Musikszene eigentlich auch so.<br />

Auf der Fashion Week wird zwar viel präsentiert, aber die<br />

Besucher, die zu den Events kommen, passen auch nicht<br />

unbedingt alle ins Bild. Und an der Tür ist meine Arbeit<br />

eher eine Art Kontroll-Abfertigung – Gästelisten-Dienst<br />

eben. Da muss ich mir selbst überhaupt keine großen Gedanken<br />

machen.<br />

Unterscheidet sich das Verhalten der Gäste am Einlass?<br />

Nicht so sehr. Ein kleiner Unterschied ist, dass diese<br />

Abende extra für solche Gäste aus der Modewelt veranstaltet<br />

werden. Da akzeptiere ich mehr, wenn die Besucher<br />

nicht nett sind. Es ist halt Fashion Week. Es würde mich<br />

zu viel Kraft kosten, jemanden auszuschließen. In unserer<br />

Stadt und in unserem Viertel, in unserem Club, da sind<br />

nicht alle nett. Da sagt man eher auch mal Nein. Aber die<br />

„Der Club war schon immer ein guter<br />

Schauplatz für das Neueste aus Musik<br />

und Mode – egal wie experimentell“<br />

Modeleute sind von weit her gekommen, extra wegen der<br />

Fashion Week. Und wenn sie nicht super negativ auffallen,<br />

dann akzeptiert man auch schlechteres Benehmen.<br />

eingebunden?<br />

Leider geht die Fashion Week immer so schnell vorbei.<br />

Ich arbeite Tag und Nacht, und weil es Arbeit ist, krieg ich<br />

wenig mit. Ich hab die letzten paar Jahre zum Beispiel das<br />

Michalsky-Event gemacht, aber die Show leider nie gesehen.<br />

Ich habe auch schon ein paar Mal für Hugo Boss gearbeitet.<br />

Manchmal auch als Bodyguard. Das heißt, ich saß<br />

dann direkt in der ersten Reihe. Neben irgendeinem Promi.<br />

Da durfte ich dann die ganze Show anschauen.<br />

Was denkst du über das Verhältnis von Clubkultur, Musik<br />

und Mode?<br />

Die ergänzen einander, haben über Jahre immer zusammengehört<br />

und sich gegenseitig inspiriert. Der Club war<br />

immer ein guter Schauplatz für beides: für das Neueste aus<br />

Musik, egal wie experimentell, und auch für das Neueste<br />

aus Mode, egal wie experimentell. Aber das ist heute nicht<br />

mehr so extrem. Außer unter den schwulen Jungs, die an<br />

einem Clubabend so ausgeflippt aussehen wie nirgendwo<br />

anders. Nachts gibt es immer eine Möglichkeit, dass man<br />

sich so kleiden kann wie man will, ohne dass man sich wie<br />

ein Fremdkörper fühlt.<br />

Gibt es Musik, die in jedem Club laufen sollte?<br />

Nicht wirklich. Meiner Meinung nach ist es wichtiger, dass<br />

jeder DJ die Stimmung aufgreifen kann, die im Club gerade<br />

herrscht. Also sollte er einfach spielen, was gut ankommt.<br />

Das kann auch mal ein bisschen aus der Reihe tanzen oder<br />

mal anders gemixt sein. Ich bin aufgewachsen mit Reggae<br />

und Calypso, habe Soul kennengelernt. Ich war in der Highschool,<br />

als der Rap geboren wurde, und habe in Berlin schon<br />

von Anfang an in House-Clubs gearbeitet. Ich mag viele Musikrichtungen<br />

und schließe grundsätzlich nichts aus.<br />

Werk VI . Mixtape


Jeden Mittwoch<br />

bittet die Berliner<br />

Gruppe The Swag<br />

zur Live Hip-<br />

Hop-Jam-Session<br />

62 63<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Christopher Celiz<br />

alias NYC Beatbox<br />

kommt aus New<br />

York, um an der<br />

Swag Jam im Badehaus<br />

teilzunehmen<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Die zweite<br />

Chance<br />

Wie junge Erwachsene den Kampf gegen die<br />

Unsichtbarkeit antreten – und gewinnen.<br />

Mit und dank HipHop und Gangway e.V., der<br />

größten Streetworking-Institution Deutschlands.<br />

Von Annika Zapp<br />

Fotos: Hannes Albert<br />

Fotocredit


Für Nossis aus<br />

Brooklyn ist Hip-<br />

Hop wie eine<br />

zweite Natur, von<br />

der sie schon immer<br />

umgeben war<br />

64<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Im HipHop-<br />

Stützpunkt von<br />

Gangway e.V.<br />

legen DJs zu den<br />

Rap Battles auf<br />

A<br />

usflugsziel: Rap am Mittwoch. Im<br />

Stadtteil Kreuzberg, im Bi Nuu<br />

am Schlesischen Tor, trifft sich<br />

zweimal im Monat die Berliner<br />

HipHop-Community. Entweder<br />

um selbst zu rappen, oder um sich<br />

anzuhören, was die anderen Rapper<br />

so zu sagen haben. Unter ihnen<br />

ist eine bunt zusammengewürfelte<br />

Gruppe von Rappern und Beatboxern aus den Niederlanden,<br />

den USA und Deutschland. Sie sind im Rahmen der Bronx-<br />

BerlinConnection unterwegs – einem Jugendaustausch-Programm<br />

des mehr als 20 Jahre alten Sozialarbeitsvereins Gangway<br />

– und ziemlich heiß darauf, auf die Bühne zu gehen.<br />

Bis in die hinterste Ecke gequetscht stehen sie, die HipHop-Fans<br />

der alten und neuen Stunde, und lassen die<br />

Rap-Battles auf der kleinen Bühne des Bi Nuu auf sich wirken.<br />

„So viel Liebe für den HipHop gibt’s nicht überall“,<br />

sagt Nossis. Die Rapperin aus Brooklyn ist für eine Woche<br />

nach Berlin gekommen, um ihre Passion für die Musik<br />

mit anderen Rappern aus Europa zu teilen. Auf dem<br />

Wochenplan der BronxBerlinConnection steht zum einen<br />

klassisches Touri-Programm, zum anderen verheißungsvolle<br />

Studioaufnahmen und Open-Mic-Sessions. Ziel ist es,<br />

musikalisch zu fusionieren – länderübergreifend Musik zu<br />

machen, von den Rap-Kollegen aus der Bronx, Paris oder<br />

Barcelona zu lernen oder sich einfach nur inspirieren zu<br />

lassen. Was ursprünglich als transatlantischer Austausch<br />

zwischen den USA und Deutschland geplant war, wurde<br />

schnell zu einem größeren Projekt. Inzwischen waren der<br />

US-Amerikaner Olad Aden und der Deutsche Joe Bliese,<br />

die Initiatoren des Projekts, mit ihren Berliner Schützlingen<br />

schon in mehreren europäischen Städten – und die<br />

dort ansässigen HipHopper ebenfalls in Berlin.<br />

Vor drei Jahren fand die BronxBerlinConnection das<br />

erste Mal statt. Die 15 Flugtickets der Berliner Rapper nach<br />

New York hatte das Goethe Institut bezahlt, die übrigen 250<br />

Euro für Unterbringung und Aktivitäten mussten von den<br />

Teilnehmern selbst aufgebracht werden. Hatte man diese<br />

Hürde genommen, war man schon mitten in der Bronx:<br />

bei Gleichgesinnten, eine Woche lang auf Entdeckungsreise,<br />

auf den Spuren des HipHop.<br />

Obwohl Gangway für die BerlinBronxConnection von<br />

Institutionen wie der amerikanischen Botschaft in Berlin<br />

und dem Goethe Institut gesponsert wurde, mangelt es<br />

trotzdem an Geld für neue Projekte. Gerade vonseiten der<br />

Politik fehlt Hilfe und finanzieller Beistand. „Man muss<br />

immer wieder erklären, warum man gerade Kriminelle<br />

und ehemalige Häftlinge unterstützt und dafür Geld haben<br />

möchte“, sagt Olad.<br />

Olad und Joe, die als Streetworker für Gangway<br />

unterwegs sind, haben neben der BronxBerlinConnection<br />

noch weitere konstruktive HipHop-Projekte angekurbelt.<br />

Warum gerade HipHop? „Weil es ein ungemein kreatives<br />

Potenzial hat: Ob Breakdancer, Beatboxer, DJs oder<br />

Graffiti-Sprayer – jeder kann sich seinen Weg aussuchen“,<br />

sagt Olad. Junge Erwachsene, die ihre Chance auf ein stabiles<br />

Leben schon früh versaut haben, bekommen mithilfe<br />

von Gangway ihre zweite Chance.<br />

Musik verbindet, erreicht und begleitet Menschen. Und<br />

gerade für die, die Musik machen, ist sie so etwas wie ein<br />

Sprachrohr, ein Weg, Geschichten aus dem Leben zu erzählen.<br />

Ob Knast-Erfahrung, Frust über den nicht vorhandenen<br />

Schulabschluss oder null Perspektive – mit Rap kann man<br />

seinen Unmut zu Papier bringen, seinen Worten Ausdruck<br />

verleihen. Oder sich selbst therapieren, Sachen verarbeiten.<br />

So wie der 21-jährige Vecz, ein blonder Rapper aus Buch<br />

bei Pankow. Zu Gangway gekommen ist er über ein jährlich<br />

stattfindendes HipHop-Fest in Pankow, bei dem er auf<br />

Olad und Joe traf und sich gleich gut mit ihnen verstand.<br />

Vecz besuchte hier und da ein paar HipHop-Workshops<br />

von Joe, bis letzterer meinte: „Okay, dir kann ich nichts<br />

mehr zeigen.“ Olad war übrigens der erste Dunkelhäutige,<br />

den Vecz kennengelernt hat. „Buch ist superrechtsradikal.<br />

Da wird sich teils noch mit dem Hitlergruß begrüßt“,<br />

sagt Vecz über seinen ehemaligen Kiez – jetzt wohnt er in<br />

Prenzlauer Berg.<br />

Er sei definitiv viel weltoffener geworden, sagt Vecz. Da<br />

wird plötzlich mit Iranern, Afghanen und Türken gerappt<br />

– mit Leuten, mit denen Vecz in Buch wahrscheinlich nie<br />

ins Gespräch gekommen wäre. Raus aus dem Klischeedenken,<br />

rein ins Produzieren von Musik. „Gangway hat mir<br />

eine Tür aufgeschlossen, zu der ich selbst nie den Schlüssel<br />

gefunden habe“, sagt Vecz. Von außen betrachtet ist er den<br />

geraden Weg gegangen: mit 16 die Schule beendet, dann<br />

eine Ausbildung angefangen und seitdem als Dachklempner<br />

gearbeitet. „Aber hintenrum, da bin ich viele Umwege<br />

gegangen.“ Dass seine Eltern nicht respektieren und tolerieren,<br />

was er sich zusätzlich mit Musik aufgebaut hat,<br />

ist ihm egal. „HipHop ist die Musik von Schwarzen, der<br />

schwarzen Kultur“, sagt Vecz, „das kommt in Buch nicht<br />

so gut an.“<br />

Der Überraschungseffekt im Rap ist überhaupt das Beste<br />

von allem: „Keiner kennt dich und dann kommst du auch<br />

noch als kleines Dickerchen wie ich auf die Bühne, und<br />

wenn du dann loslegst, fällt denen die Kinnlade runter. Da<br />

NYC-Battle: Der<br />

Beatboxer NYC<br />

Beatbox (r.) und<br />

Rapper Farbeon<br />

zeigen, was<br />

sie drauf haben


JP Nolos kommt<br />

hat brasilianische<br />

Wurzeln<br />

66<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Der Rapper<br />

Vecz aus Berlin<br />

ist mit HipHop<br />

gewachsen<br />

kannst du schwarz, gelb, grün, rot sein – du musst es nur<br />

sprachlich im Kopf drauf haben!“ Wie Vecz zum HipHop<br />

kam? Es ist die Liebe zur deutschen und englischen Sprache<br />

gewesen, die Faszination darüber, was man mit Wörtern<br />

alles machen kann, die ihn zum Rappen brachte. 98 Prozent<br />

seiner Texte sind persönliche Geschichten: Durch die<br />

Lyrics verarbeitet er Probleme, die ihn beschäftigen. „Zwei<br />

bis drei Tage schreibe ich am Text, dann ist das, was mich<br />

beschäftigt, meistens aus dem Kopf.“<br />

Es sind solche Projekte wie die BronxBerlinConnection<br />

oder Gangway Beatz, die es jungen, kreativen Leuten mit<br />

und ohne Startschwierigkeiten ermöglichen, ihre Träume zu<br />

verwirklichen und aktiv zu werden. „Mit mehr Information<br />

kommt der Perspektivwechsel“, sagt Olad, der seit 2003 für<br />

Gangway unterwegs ist. „Die Jungs und Mädels da draußen<br />

kommen zu uns, verändern sich, weil sie sich weiterentwickeln.<br />

Sie setzen sich mit Themen auseinander, informieren<br />

sich über das, was sie rappen, weil sie keinen Mist erzählen<br />

wollen. Sie machen sich Gedanken, erkennen, was wichtig<br />

ist im Leben. Es ist schön, so etwas beobachten zu können.“<br />

Gangway Beatz ist ein Projekt, das jungen Künstlern die<br />

Möglichkeit gibt, Stücke auf einer CD-Compilation zu veröffentlichen.<br />

Im August diesen Jahres erscheint nun schon<br />

das dritte Album mit dem Titel Gangway Beatz VOL III.<br />

Mehr als ein Jahr harte Arbeit steckt darin. Die Ergebnisse,<br />

resultierend aus einem Schreib-Workshop und Studiozeit,<br />

können sich, wie die beiden Vorgänger, absolut hören lassen.<br />

Es ist ein pädagogisch wertvolles Projekt: Wer auf das<br />

Album möchte, muss pünktlich sein, respektvoll mit den<br />

anderen umgehen und tolerant gegenüber den Kollegen<br />

bleiben. Es ist eben ein Geben und Nehmen.<br />

JP Nolos, 25 Jahre alt und aus Brasilien adoptiert, kommt<br />

ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen und wohnt seit fünf<br />

Jahren in Berlin. Er ist auch so einer, der unbedingt seinen<br />

Namen auf einer Gangway-Beatz-Platte sehen wollte. Den<br />

Weg zu Gangway hat er über HipHop-Workshops von<br />

Olad in der Zeit seines Gefängnisaufenthaltes gefunden.<br />

Über den Grund für seine Strafe möchte er nicht sprechen.<br />

Für ihn ist das Entscheidende beim HipHop, dass man mit<br />

Worten klar machen kann, dass man kein Idiot ist, wie er<br />

sagt. „Nicht das ist, wonach man aussieht.“ Musik verbindet,<br />

bringt Menschen zum Nachdenken. Sport sei damals<br />

nicht cool genug gewesen, um sich darüber bei Freunden<br />

Respekt und Identität zu verschaffen. Er ahmte lieber das<br />

nach, was Rapper im HipHop vorgelebt haben. „Für Hip-<br />

Hop braucht man nicht viel“, sagt JP Nolos und schüttelt<br />

dabei seine Afro-Mähne. „Noch nicht mal Musik, das gehe<br />

auch ohne Mikro und Beat. Generell ist die Community<br />

S/W Foto von JP NOLOS: FARBEON<br />

ein großes Miteinander, da werden keine Unterschiede gemacht<br />

werden. Es ist egal, woher du kommst, wie du aussiehst,<br />

was du anhast. Man fühlt sich schnell zugehörig. Es<br />

läuft alles über das Mach-mal-mit-Prinzip.“<br />

Das, was er kann, gibt er auch gern weiter, getreu dem<br />

Motto: „Each one, teach one.“ Gangway ist so etwas wie<br />

ein Familienersatz, sagt JP Nolos weiter. „Man muss sich<br />

dafür Zeit nehmen, pünktlich kommen und konzentriert<br />

bei der Sache sein. Man darf auch nur kommen, wenn man<br />

cool und normal bleibt. Ich bin leider nicht der Pünktlichste,<br />

aber das ändert sich dann auch im Laufe der Zeit“, sagt<br />

er und lächelt dabei entschuldigend. „Solche Projekte bringen<br />

einen von anderen krummen Sachen weg. Selbst wenn<br />

ich mich nur einmal die Woche Gangway widme, war das<br />

schon mal ein guter Tag. Es ist sozusagen eine Prävention<br />

gegen Mistbauen.“ Er gibt sich eigene Hausaufgaben auf,<br />

um dabei bleiben zu können, arbeitet an sich, um Privilegien<br />

wie die Reise nach New York im nächsten Jahr mitmachen<br />

zu können, denn dann steht wieder ein Austausch mit<br />

der BronxBerlinConnection an.<br />

Falls er es in die Gruppe schafft, die nächstes Jahr auf Reisen<br />

geht, trifft JP Nolos bestimmt wieder auf Nossis, die 20<br />

Jahre junge Produzentin und Rapperin aus Brooklyn, New<br />

York, die auch im Berliner Bi Nuu aufgetreten ist. Schrei-<br />

ben konnte und wollte sie schon immer: erst Gedichte,<br />

dann Songtexte. HipHop ist für sie wie eine zweite Natur,<br />

von der sie schon immer umgeben war, sagt sie mit einem<br />

Lächeln auf dem Gesicht. „Musik ist eine super Möglichkeit,<br />

ge- oder erhört zu werden. Menschen verurteilen dich<br />

nicht für das, was du mal gemacht hast, sie schätzen es,<br />

wenn du Leidenschaft in deine Tracks steckst. Für HipHop<br />

brauche ich keinen Elite-Abschluss.“<br />

In der Highschool war Nossis schüchtern, fühlte sich<br />

nicht wohl, hatte Depressionen und viel Stress. Abgebaut<br />

hat sie diese negativen Emotionen mithilfe von Schreiben.<br />

„Das hat mich auf jeden Fall geöffnet. Ich habe meine negative<br />

Energie in positive umgewandelt.“ Der dringliche<br />

Wunsch, den Menschen, die sie eine lange Zeit missverstanden,<br />

endlich ihre Meinung zu sagen, war so groß, dass<br />

sie irgendwann ganz in die Welt des Raps abtauchte. Eigentlich<br />

wollte Nossis Journalistin werden, aber es hat ihr<br />

nicht gefallen, dass andere Leute ihr vorgeben wollten, worüber<br />

sie zu schreiben hat.<br />

Ihre Eltern hat Nossis übrigens, im Gegensatz zu früher,<br />

auch wieder auf ihrer Seite: „Sie respektieren mich endlich<br />

für das, was ich mache. Sie sehen meine Fortschritte, meine<br />

Auftritte, wie ich mich für die Musik hingebe und alles dafür<br />

tue, um erfolgreich zu sein.“<br />

Uniq Being (M.)<br />

und Lvg aus<br />

New York rappen<br />

nicht über<br />

Guns & Bitches


68<br />

Werk VI . Mixtape<br />

dancing on my own *<br />

Für diesen Tanz braucht man nicht unbedingt Musik, dafür Disziplin und absolute Körperbeherrschung – dürfen wir bitten...<br />

Fotos: Juliette Mainx<br />

Produktion: Greta Kehl-Detemple,<br />

Annika Krüger, Tina Meyer,<br />

Elena Schröder<br />

Model: Ly Huyen<br />

Haare/Make-Up: Audry Romano<br />

Bildbearbeitung: Markus Dreyer<br />

* Robyn, 2010<br />

Rock von Liebig Berlin.<br />

Top von Saymono.<br />

Schmuck: Vintage<br />

69<br />

Werk VI . Mixtape


Kleid von Guess.<br />

Top von Saymono.<br />

Schuhe, gesehen<br />

bei TK Maxx.<br />

Kette von Nelly<br />

70<br />

71<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Links: Kleid von<br />

Weekday, Kette von<br />

Bjørg Jewellery.<br />

Tuch: Vintage<br />

Rechts: Kleid von<br />

Victor Stuhlmann.<br />

Leggins, gesehen<br />

bei TK Maxx


Top von Cheap Monday.<br />

Rock von Vero Moda.<br />

Schuhe von Nelly (nly)<br />

Schmuck & Gürtel:<br />

Vintage<br />

72<br />

73<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Kleid von Weekday.<br />

Jacke, gesehen<br />

bei TK Maxx.<br />

Kopfschmuck:<br />

Stylists own


74<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Kostümtraum<br />

und Theaterzauber<br />

Der Nussknacker, Schwanensee oder<br />

Carmen – die prachtvollen, handgearbeiteten<br />

Kostüme dieser<br />

Ballettstücke und Opern versprühen<br />

einen Zauber, der lange nachwirkt.<br />

In dem Fundus der Deutschen<br />

Oper in Berlin-Charlottenburg<br />

treffen wir Dorothea Katzer.<br />

Seit 2001 ist sie für die Kostüme<br />

der Oper und des Berliner Staatsballetts<br />

verantwortlich.<br />

Sie kennt jedes kostbare Stück.<br />

bodenlange Kleider aus Seide<br />

und nachtblauem Samt, Rokoko,<br />

Renaissance oder Zukunft, Gaultier<br />

oder Lacroix. Der Fundus ist bis<br />

unter die Decke mit Schätzen gefüllt<br />

und sorgt für viel Gesprächsstoff.<br />

Interview: Daliah Hoffmann<br />

Fotos: Michelle Gornick<br />

Ein Meer aus<br />

Tüll: Voluminöse,<br />

pinkfarbene Tutus<br />

warten auf ihren<br />

nächsten Auftritt<br />

Frau Katzer, Musik ist seit mehreren Jahrzehnten berufsbedingt<br />

ein wichtiger Teil Ihres Lebens. Haben Sie beim Entwerfen<br />

der Kostüme auch Musik gehört? Zur Inspiration<br />

oder Beruhigung?<br />

Nein, nie. Ich gehöre zu den Menschen, die, wenn sie Musik<br />

hören, total in sich hinein driften. Ich kann nicht mal<br />

beim Kochen nebenbei ein Hörspiel hören oder beim Bügeln<br />

fernsehen. Das absorbiert zu stark meine Aufmerksamkeit.<br />

Ich höre sehr gern Musik, aber wenn ich entwerfe,<br />

dann gar nicht. Es sei denn, ich designe für eine Oper, dann<br />

höre ich natürlich immer mal wieder rein, um Zeiten zu<br />

prüfen und um mir das Klima und die Stimmung zu vergegenwärtigen.<br />

Ich habe hier die Gelegenheit, sehr viel Musik<br />

zu hören, und tue das auch oft.<br />

Was hören Sie denn privat am liebsten?<br />

Ehrlich gesagt hat es mich inzwischen sehr zu Wagner hingeführt.<br />

Ja, ich höre ganz gern Wagner.<br />

Was hat Sie an dem Beruf des Kostümdesigners so fasziniert?<br />

Waren es die Opern, die Stoffe oder das Entwerfen selbst?<br />

Ich habe immer schon gezeichnet und wollte ursprünglich<br />

Illustrationen machen. Über das Zeichnen hinaus interessierte<br />

ich mich auch für die kostümtechnische Darstellung<br />

von Figuren. Also habe ich das Zeichnen mit dem Theater<br />

verbunden und den Entwurf als Form der Illustration für<br />

mich gewählt. Es ging dabei nicht um Mode, sondern um<br />

die Darstellung von dramatischen Figuren. Eine Schneiderlehre<br />

und ein Gewandmeister-Studium gab mir eine<br />

handwerkliche Basis. Danach habe ich als Assistentin an<br />

der Schaubühne angefangen.<br />

Wie war die Zeit an der Berliner Schaubühne?<br />

Es gab dort nur eine kleine Werkstatt, in der damals sehr<br />

experimentell gearbeitet wurde. Wir haben keine abstrakten<br />

Kostüme gemacht, es ging eher darum, beispielsweise<br />

Renaissance-Kleider genauso herzustellen wie die Originale<br />

aus dem 16. Jahrhundert. Dafür wurden auch mal fünf<br />

Perlen übereinander gestickt. Wir hatten die Möglichkeit,<br />

uns richtig auszutoben. Die Schaubühne war für mich eine<br />

Mischung aus Entwerfen, Charakterisieren und handwerklicher<br />

Ausbildung. Das war für die späteren Jahre natürlich<br />

ein unglaublicher Vorteil.<br />

Wie haben Sie diesen Vorteil für sich genutzt?<br />

Nach den zwei Jahren an der Schaubühne habe ich sehr lange<br />

als Kostümbildnerin für verschiedene deutsche Häuser<br />

gearbeitet. Man geht auf Reisen, trifft Regisseure und merkt<br />

schnell, dass man dieselben Interessen hat und eine gemeinsame<br />

Geschichte erzählen will. Es geht ja darum, die Vorstellung<br />

des Regisseurs zu bebildern. Als Kostümbildnerin bin<br />

ich in der angewandten Kunst tätig. Teamarbeit ist besonders<br />

wichtig. Nach langen Gesprächen mit dem Regisseur und<br />

dem Bühnenbildner, der durch sein Werk den Mikrokosmos<br />

für die Schauspieler schafft, verleiht der Kostümdesigner den<br />

Figuren durch die Kleider den gesamten Ausdruck. Ich will<br />

den Charakter der Rolle durch die Kostüme unterstreichen.<br />

Sie haben sich dann auf Opern spezialisiert, woher kommt<br />

Ihre Leidenschaft dafür?<br />

Mich hat die Emotionalität in der Oper, die mich viel stärker<br />

und anders berührt als im Theater oder Ballett, schon<br />

immer begeistert. Allein schon wie die Figuren über die<br />

Musik und das Libretto zum Leben erweckt werden. Die<br />

Oper ist unglaublich lebendig und man sieht, wie diese Arien<br />

den Sänger dazu drängen, darstellerisch zu werden. Das<br />

ist mit Schauspiel nicht zu vergleichen. Es erfasst einen in<br />

einem viel größeren Umfang.<br />

In all den Jahren haben Sie bestimmt mehr als 100 Opern<br />

gesehen und waren selbst Teil der Entstehungsprozesse. Welche<br />

ist ihre Lieblingsoper?<br />

Ich mag Wagners Parsifal und Verdis Requiem unheimlich.<br />

Das sind eher so die schweren Stücke, fällt<br />

mir gerade auf. Aber ich höre auch Gioachino<br />

Rossini und Gaetano Donizetti oder<br />

auch mal Giacomo Puccinis La Bohème.<br />

Mittlerweile haben Sie sich aus dem Kostümdesign<br />

eher zurückgezogen und sind<br />

nur noch für die Organisation und Direktion<br />

der Abteilung zuständig. Was haben<br />

Sie zuletzt für das Berliner Staatsballett<br />

entworfen?<br />

Ich habe 2011 noch Die Liebe der Danae<br />

unter der Regie von Kirsten Harms gemacht.<br />

Außerdem habe ich das Kinderballett<br />

organisiert und an kleinen Produktionen<br />

mitgewirkt.<br />

2009 entwarf Jean Paul Gaultier die Kostüme<br />

für Schneewittchen. Wie war die Arbeit<br />

mit ihm?<br />

Er hat für Schneewittchen sehr eng mit<br />

Angelin Preljocaj, dem Choreographen,<br />

zusammengearbeitet. Sie haben gemeinsam<br />

Entscheidungen getroffen, sind aufeinander<br />

eingegangen und haben sich<br />

gegenseitig inspiriert. Ich habe damals<br />

nach seinen Vorgaben die Kostüme in den Werkstätten des<br />

Staatsballetts produzieren lassen. Er hatte leider keine Zeit,<br />

persönlich dabeizusein.<br />

Wie haben Sie Gaultier als Menschen wahrgenommen? Auf<br />

dem Laufsteg wirkt er ja eher extravagant, laut und verrückt.<br />

Ich bin damals zu ihm nach Aix-en-Provence gefahren, um<br />

mir die Entwürfe vor Ort anzuschauen. Ich fand es wirklich<br />

sehr beeindruckend zu sehen, dass er nicht nur deshalb ein<br />

sehr erfolgreicher Designer ist, weil er im Leben viel Glück hat,<br />

sondern weil er wirklich ein unglaublich konzentrierter Arbeiter<br />

ist. Er sieht sich in gewisser Weise auch als Dienstleister<br />

und hat seine Aufgaben mit großer Virtuosität abgearbeitet.<br />

Und wer geht bei diesen Designer-Kooperationen üblicherweise<br />

auf wen zu?<br />

Die Kostümdirektorin<br />

Dorothea Katzer


76<br />

Werk VI . Mixtape<br />

„Viele Modedesigner<br />

suchen<br />

sowohl in<br />

der Historie<br />

als auch im<br />

Theater und<br />

im Film nach<br />

Inspiration“<br />

Meist engagiert das Opernhaus oder das Ballett einen Regisseur<br />

oder einen Choreographen, der etwas für das Haus<br />

entwickeln soll. Und dann überlegt das Regie-Team, welche<br />

Künstler zu der Produktion passen könnten. Manchmal<br />

hat er Partner, mit denen er immer zusammenarbeitet.<br />

Wie beispielsweise Peter Stein, der seit Jahrzehnten<br />

mit Moidele Bickel arbeitet. Andere wechseln mit jeder<br />

Produktion auch den Kostümbildner. Herr Preljocaj arbeitet<br />

sehr gern mit bekannten und interessanten Modedesignern<br />

zusammen. Das hat auch Tradition in seiner Heimat<br />

Frankreich. Coco Chanel hat damals auch Ballettkostüme<br />

entworfen. Ich denke, er führt diese Tradition weiter.<br />

Ich finde, das ist im Ballett auch wirklich fruchtbar. Das<br />

Schneewittchen war wirklich großartig. Für Februar 2014<br />

planen wir gerade eine Produktion mit Preljocaj und dem<br />

Designer Azzedine Alaïa. Er ist berühmt für<br />

seine Strickmode, seine körpernahen Formen<br />

und seine ganz spezielle Linienführung,<br />

die von den Schnitten her eine Herausforderung<br />

ist. Alaïa hat die Schnitte sozusagen<br />

dekonstruiert. Er hat auch nach dem Ende<br />

seiner Designerkarriere ganz unglaubliche<br />

Stricktechniken und ganz tolle Kostüme<br />

gemacht. Ich bin gespannt auf das Ergebnis<br />

und freue mich schon sehr.<br />

Christian Lacroix hat bei Ihnen im Haus ja<br />

auch Kostüme für das Ballett designt.<br />

Ja, er hat 2010 erstmals Kostüme für die Deutsche<br />

Oper gemacht. Damals für die Barockoper<br />

Agrippina von Georg Friedrich Händel.<br />

Alle Kostüme waren den Sängern und<br />

Solisten auf den Leib geschneidert worden.<br />

Er ist ein sehr umgänglicher und sehr kreativer<br />

Mensch. Und offensichtlich geht er auch<br />

auf die Regisseure und ihre Wünsche ein. Es<br />

sind ja immer dramaturgische Figuren, die<br />

in der Dramaturgie auch bedient werden<br />

müssen. Und das ist auch für die Modedesigner<br />

eine Anregung.<br />

Wie würden Sie die Beziehung zwischen der Oper, dem Ballett<br />

und der Mode beschreiben? Wie wichtig sind diese kulturellen<br />

Phänomene für einander?<br />

Meiner Meinung nach wird Mode durch theatralische Momente<br />

beeinflusst. Viele Modedesigner suchen ja sowohl in<br />

der Historie als auch im Theater und im Film nach Inspiration.<br />

Auch Kostümdesigner für Film und Ballett lassen sich<br />

sehr von der Mode inspirieren. Ich glaube, das befruchtet<br />

sich gegenseitig. Mode und Musik sind sehr emotionale<br />

Angelegenheiten.<br />

Wie fängt man an, ein Kostümbild zu entwerfen? Was muss<br />

alles beachtet werden?<br />

Als erstes führt man Konzeptionsgespräche mit der Regie,<br />

liest das Stück oder hört die Oper. Im ganzen Team<br />

sammelt man Ideen, tauscht sich über Assoziationen aus<br />

und inspiriert sich gegenseitig. Dann beginnt das Zeichnen<br />

oder das Sammeln von Material: Bilder aus Kostümbüchern,<br />

Zeitungsausschnitte, Modezeichnungen, Modebücher.<br />

Textilfetzen, Material- und Farbproben sind oft<br />

auch Teil des Entstehungsprozesses. Ich habe eigentlich<br />

immer gezeichnet und nur selten Collagen gemacht. Auch<br />

Anregungen von Stylisten sind hilfreich und die momentane<br />

Modeströmung ebenfalls. Vielleicht setzt aber auch<br />

gerade der Kostümbildner einen Modetrend.<br />

Und was passiert dann?<br />

Wenn der Kostümdesigner alle Bilder und Inspirationen<br />

beisammen hat, geht er damit zu der Kostümdirektion des<br />

Hauses und legt die Zeichnungen vor. Dann wird gemeinsam<br />

besprochen, was gemacht werden kann, und was nicht.<br />

Anschließend fängt der Kostümbildner mit der Umsetzung<br />

an und präsentiert die fertigen Kostüme an Figurinen. Es<br />

kommt aber auch vor, dass Kostümbildner noch gar nicht<br />

genau wissen, was sie machen wollen und erst während<br />

der Proben eine Idee bekommen. Ungefähre Skizzen und<br />

Entwürfe werden dann während der Proben auf der Bühne<br />

konkretisiert. Das geht in der Oper nicht ganz so gut, weil<br />

für manche Stücke gut 300 Kostüme benötigt werden.<br />

Sie sagen, dass Mode und Musik sich gegenseitig befruchten.<br />

Designer lassen sich vom Theater inspirieren und Kostümbildner<br />

nutzen Modeströmungen, um ihre Kostüme dem<br />

Zeitgeist anzupassen. Wie können wir uns das vorstellen?<br />

Ein sehr passendes Beispiel lieferte die Schaubühne in den<br />

80er-Jahren, als dort Maxim Gorkis Sommergäste aufgeführt<br />

wurde. Die Kostümbildner haben damals aus lauter<br />

Trödelläden in Berlin-Kreuzberg alte Leinentücher zusammengeholt,<br />

um dann russische Sommeranzüge aus<br />

der Zeit um 1900 nachzuschneidern. Plötzlich standen die<br />

Zuschauer da und sagten alle: „Wir wollen auch so einen<br />

Leinenanzug haben wie Bruno Ganz. Der knittert so wunderbar.“<br />

Ich bin mir sicher, dass die Schaubühne mit diesem<br />

Stück tatsächlich den Leinen-Boom ausgelöst hat. Zu<br />

der Zeit trugen eigentlich alle halbsynthetische Stoffe, die<br />

nicht knitterten. Dann fingen die Designer an, mit Leinen<br />

zu arbeiten, und so verbreitete sich der Look. Vielleicht haben<br />

die Kostümbildner an der Schaubühne aber auch nur<br />

einen Trend gespürt, ihn aufgenommen und so an die breite<br />

Masse gebracht.<br />

Haben Sie in den letzten Jahren ein Kostüm aus ihrem Fundus<br />

besonders ins Herz geschlossen?<br />

Ja, es gibt ein Kostüm, das ich sehr liebe. Es ist ein furchtbar<br />

schäbiges Kleid. Das der Clytemnestra in Elektra von<br />

Götz Friedrich. Das Kleid war auf der Bühne ein ganz<br />

beeindruckendes rotes Kostüm mit einer breiten, pinkfarbenen<br />

Schlange vorne drauf. Aber wenn man es sich<br />

von Nahem anschaut, ist es nur ein banaler Wollstoff<br />

mit einem pinkfarbenen draufgestrickten Jersey. Die<br />

Ketten sind tatsächlich aus Korken und mit Glanzpapier<br />

überzogen und bemalt. Dieses Kostüm ist wirklich ein<br />

Theaterzauber.<br />

77<br />

Werk VI . Mixtape


78<br />

Der<br />

Klang<br />

macht<br />

79<br />

Werk VI . Mixtape<br />

die<br />

Kunst<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Ein Gespräch über Geräusche,<br />

die man sehen und fühlen kann.<br />

Interview: Virginie Henzen<br />

Grafiken:<br />

Visualisierungsmodelle<br />

der Raum-<br />

Klangkomposition<br />

I_Land, 2007-2009<br />

Foto: A. Hartmann<br />

Monochrome<br />

blaue Fläche von<br />

der audiovisuellen<br />

Klangkomposition<br />

Der Schlaf & die<br />

Betäubung, 2011


D<br />

Gerriet K. Sharma<br />

bei Außenaufnahmen<br />

auf<br />

Sylt für sein<br />

Projekt I_Land,<br />

2007-2009<br />

er Künstler Gerriet Krishna Sharma<br />

kreiert Klänge. Indem er sie in Treppenhäusern<br />

einfängt, sich im Badezimmer<br />

einschließt, ein Schnippen im<br />

Kreis laufen lässt oder sich Rettungsfolien<br />

als Haustiere hält. Seine Kunst<br />

reicht von einfachen Alltagsgeräuschen<br />

über Lautsprecherklänge bis hin zum<br />

fiktiven Klang ganzer Inseln. Wie man aus etwas Banalem<br />

Kunst machen kann, zeigt der heute 39-Järhige mit seiner Arbeit<br />

Melt: Aufnahmen von schmelzendem Eis. Im Interview<br />

spricht Gerriet K. Sharma über die Faszination von offenen<br />

Fenstern, warum sich Klangkunst nicht genau definieren lässt<br />

und über den Inhalt seines akustischen Werkzeugkastens.<br />

Herr Sharma, wie würden Sie in eigenen Worten Klangkunst<br />

beschreiben?<br />

Klangkunst kommt aus dem Bereich der Medienkunst.<br />

Medienkunst als solche existiert eigentlich gar nicht. Das<br />

ist eine Strategie, mit der man es geschafft hat, auf künstlerische<br />

Art und Weise Geld zu akquirieren für eine bestimmte<br />

Richtung von Kunst. Klangkunst ist bestimmt<br />

nicht älter als 90 Jahre. In Deutschland wird sie nicht zur<br />

Musik gezählt, sondern eher zur Bildenden Kunst. In Österreich<br />

zum Beispiel gehört das eher zur Musik. Im Wesentlichen<br />

geht es darum, über die auditive Wahrnehmung<br />

des Besuchers eine bestimmte Welt zu öffnen und in dieser<br />

Welt etwas zu verhandeln.<br />

Momentan arbeiten Sie gerade an Keine Ahnung von<br />

Schwerkraft. Können Sie uns ein bisschen mehr über dieses<br />

Projekt erzählen.<br />

Sechs leerstehende Gebäude werden in verschiedenen<br />

europäischen Städten als Klangräume genutzt und als<br />

integraler Bestandteil von mehrkanaligen Klangkompositionen<br />

verstanden und erfahrbar gemacht. Ich habe<br />

viele Jahre lang in abgedunkelten Studios, abgedichteten<br />

Kellern und „Verliesen“ verbracht. Irgendwann hab ich<br />

gedacht, der Klang stimmt hier nicht mehr: Im Studio<br />

muss alles still sein, aber ich würde gern die natürlichen<br />

Geräusche miteinbeziehen. Die Frage war, wie kann ich<br />

das, was ich die letzten Jahre im Elfenbeinturm der Akademie<br />

gelernt habe, anders umsetzen? Ich habe mich ganz<br />

stark mit Raumakustik beschäftigt. Irgendwann habe ich<br />

eine Sammlung gemacht von den Klängen aus Treppen-<br />

häusern. Die ersten Versuche mit Gebäudebespielungen<br />

habe ich in leerstehenden Hörsälen gemacht.<br />

Was für eine Verbindung gibt es zwischen Klangkunst und<br />

Architektur?<br />

Es gibt eine Tradition. Ich habe viel recherchiert und fing<br />

an, mich zu fragen: Wie klingt Architektur? Und warum<br />

klingt dieses Treppenhaus anders als das da drüben? Ich<br />

habe festgestellt, wenn irgendjemand keine Ahnung hat<br />

von akustischer Atmosphäre, sind es die Architekten. Das<br />

ist doch komisch, dass sich Leute Häuser bauen lassen und<br />

sich im eigenen Wohnzimmer anschreien müssen.<br />

Sie beginnen Ihre Arbeit mit einem Frage-Antwort-Spiel an<br />

den Raum. Was kann man sich darunter vorstellen?<br />

In der Kürze sieht das so aus: Sie betreten ein Gebäude, gehen<br />

herum und hören erst mal zu. Dann folgen drei genau festgelegte<br />

Arbeitsschritte: Begehung, Befragung und Antwort.<br />

Wie genau gehen Sie vor?<br />

Bei der Befragung habe ich meine 32 Lautsprecher und einen<br />

akustischen Fragebogen für jedes Gebäude, da sind Testprogramme<br />

drin mit akustischen Signalen, die den Raum auf<br />

verschiedene Weisen anregen. Sie kennen das Phänomen<br />

des Echos. Wenn Sie sich vorstellen, Sie lassen ein Schnippen<br />

im Kreis von Lautsprecher zu Lautsprecher laufen, und<br />

diese Lautsprecher stehen aber in verschiedenen Räumen,<br />

dann läuft der Impuls durch die Räume und kommt wieder<br />

bei Ihnen raus, aber jedes einzelne Schnippen hat dann<br />

die auditive Information dieses Ortes in sich. Da gibt es<br />

ganz viele erprobte und entwickelte Testklänge in meinem<br />

Werkzeugkasten, den ich über die Zeit programmiert habe.<br />

Durch deren Anwendung bekomme ich einen akustischen<br />

Eindruck. So wird das Gebäude langsam erkundet. Meistens<br />

interessiert sich das Gebäude am Anfang überhaupt nicht<br />

für einen – null. Ich meine, was für ein Idiot sitzt im Badezimmer<br />

oder in der Besenkammer und lässt Klänge springen?<br />

Ich erfahre ganz viel über Material, Bauweise, Hallwege<br />

und eben auch über die akustische Architektur. Und diese<br />

ist dann die Grundlage für die Gebäude-Klangkomposition.<br />

Die Komposition ist dann meine Antwort.<br />

Was für eine Botschaft hat Keine Ahnung von Schwerkraft?<br />

Die Botschaft ist das Gebäude selbst als bisher ungehörter<br />

und unerhörter Erfahrungsraum. Natürlich ist es auch<br />

FotoS: Martin Voss, Nico Bergmann<br />

Rechte Seite:<br />

Gerriet K. Sharma<br />

beim Arrangieren<br />

von Rettungsfolie<br />

für das Experiment<br />

Lose Enden, 2010<br />

81<br />

Werk VI . Mixtape


Aufnahme von<br />

knisternden<br />

Isolierfolien für<br />

die Arbeit Lose<br />

Enden, 2010<br />

82<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Foto: Nico Bergmann, gksh<br />

irgendwie politisch, Leerstand zu bespielen. Die Frage ist,<br />

ob man immer neue Gebäude für die Kunst bauen muss<br />

oder ob man die Art und Weise, wie wir Kunst produzieren<br />

und rezipieren, verändern kann, um das Werk wieder<br />

zu „erleben“? Es geht letztendlich aber vor allem darum,<br />

akustische Umwelt durch künstlerische Setzung und Intervention<br />

erfahrbar zu machen.<br />

In Ihrem Online-Projekt Strichliert, Vol. 01 - Vol. 15 Operationen<br />

am offenen Fenster bitten Sie den Online-Besucher,<br />

15 Tracks mit Miniaturkompositionen herunterzuladen, das<br />

Fenster zu öffnen und die Tracks geloopt für mindestens eine<br />

Stunde über einen Lautsprecher abzuspielen. Der Zuschauer<br />

soll dem Ganzen keine besondere Beachtung schenken. Ist<br />

das Selbstironie?<br />

Ich finde es total spannend, bei offenem Fenster zu sitzen<br />

und zu hören, wie sich Drinnen und Draußen verbindet.<br />

Und wenn Sie dazu noch etwas Drittes spielen, z.B. Whitney<br />

Houston, passieren die tollsten Sachen. Das an sich als<br />

Installation ist schon total spannend. Aber was, wenn ich<br />

als Klangkünstler noch dazwischen komme? Wie komme<br />

ich in Ihr Wohnzimmer, ohne einzubrechen? Wie kann<br />

ich da eine Umgestaltung vornehmen, und wie massiv ist<br />

die? Auch hier versuche ich eine andere Form zu finden.<br />

Wenn Sie jetzt Klangkunst im öffentlichen Raum nehmen,<br />

das tutet immer ganz furchtbar und wird irgendwann nervig.<br />

Oder in einer Galerie – hoffentlich werden die mich<br />

im Sommer am Bochumer Kunstverein nicht total hassen<br />

dafür. Die Ausstellung läuft sechs oder acht Wochen und<br />

das Museumspersonal muss das dann die ganze Zeit hören.<br />

Bei Ihrem Projekt Lose Enden übertragen Sie physische<br />

Bewegungsgesten akustisch skulptural auf den Raum, wodurch<br />

dreidimensional Höreindrücke entstehen. Dabei geht es<br />

Ihnen nicht nur um die bloße Wiedergabe der aufgezeichneten<br />

Klänge, sondern um eine physische Gesamterfahrung.<br />

Was genau ist das?<br />

Die auditive Wahrnehmung von der Welt ist eine total andere<br />

als durch die Augen. Was passiert zwischen Augen und<br />

Ohren in einer künstlerischen Arbeit? Ich habe für Film und<br />

Fernsehen und auch lange mit VJs zusammengearbeitet. Es<br />

weiß keiner. Bei Lose Enden ist mir irgendwann aufgefallen,<br />

dass erstaunlich viele Leute im Performance-Bereich zu der<br />

Zeit etwas mit Rettungsfolien machten. Wahrscheinlich weil<br />

es günstig ist und weil es so schön knistert. Außerdem gibt es<br />

eine Fluxusarbeit des japanischen Künstlers Takehisa Kosugi,<br />

die heißt Micro 1. Die hat mich stark geprägt, die beiden<br />

Eindrücke wollte ich weiterverfolgen.<br />

Wie funktioniert Micro 1?<br />

Das ist eigentlich eine Gebrauchsanweisung, wie Fluxus das<br />

viel gemacht hat. „Wrap a sheet of paper around a microphone<br />

and wait for five minutes.“ Das ist die ganze Arbeit.<br />

Und das ist wunderbar, denn Ihre Ohren werden bei der<br />

Performance immer genauer. Ich habe überlegt, dass man<br />

das installativ anders einsetzen kann. Ich habe ein Jahr lang<br />

Rettungsfolien zerknüllt und auf meinem Atelierboden<br />

liegen lassen. Nebenbei habe ich andere Sachen gemacht<br />

und immer ein Fenster offen gehabt. Da kommt ein leichter<br />

Wind rein, diese Folien bewegen sich durch den Raum,<br />

weil sie so leicht sind. Die sind ein Jahr wie Haustiere bei<br />

mir rumgehüpft und dann hört man, wie die langsam wieder<br />

aufgehen, wie sie vermeintlich anfangen zu kommunizieren.<br />

Diesen Klang habe ich mit speziellen, sensiblen<br />

Mikrofonen aufgenommen. Da hört man eine wahnsinnige<br />

Vielfalt. Ich habe so lange experimentiert, bis ich zu diesem<br />

Aufbau kam. Die Folien liegen erstarrt und darunter sind<br />

Lautsprecher, die eine bestimmte Choreographie von bearbeiteten<br />

Klängen abspielen und diese orchestrieren. Wenn<br />

man diese goldene Insel danach umschreitet, tanzt etwas<br />

über diese Folie. Tanz hat immer etwas mit Körper zu tun<br />

und einem Wesen, das eine Geste verfolgt. So kommt es<br />

dann zu dreidimensionalen Klangeindrücken.<br />

Arbeiten Sie auch mit Video?<br />

An der Kunsthochschule für Medien in Köln haben sie<br />

mich immer gefragt: „Herr Sharma, wann machen se`<br />

denn endlich mal was mit Video?“ Und ich habe immer geantwortet:<br />

„Wenn ich keine Angst mehr vor Bildern habe.“<br />

Das ist natürlich ziemlich plakativ, im wahrsten Sinne des<br />

Wortes. Aber ich finde, dass die Bilder sich weitgehend verbraucht<br />

haben. Auch weil wir momentan sehr stark auf der<br />

Kippe sind, mit Bildern, die digital entstehen, und diesen<br />

Hybriden, die halt noch so tun, als ob sie gezeichnet wären.<br />

Die Erzählstrukturen sind aber immer die gleichen.<br />

Welche war die bewegendste Geschichte, die Sie umgesetzt<br />

haben?<br />

I_Land, eine ambisonische Raum-Klangkomposition, das<br />

war bisher mein umfangreichstes Projekt. Damit bin ich<br />

83<br />

Werk VI . Mixtape


Links: Tonaufnahmen<br />

von Eis für die<br />

Arbeit Melt, 2009<br />

Rechts: Sound-Installation<br />

Wiegenlied, Berlin 2009<br />

84<br />

Werk VI . Mixtape<br />

sehr wahrscheinlich erwachsen geworden. Ich habe zwei<br />

Jahre über Inseln recherchiert und mich gefragt: Was sind<br />

Inseln? Als Metapher, als geografische Formation, Leerstelle,<br />

Zufluchtsort und Gefängnis. Das ist die bewegendste<br />

Geschichte, weil ich festgestellt habe, dass wir ohne Inseln<br />

nicht leben könnten und alles zusammenbrechen würde.<br />

Inseln sind die Fixpunkte, die Koordinaten, die wir alle<br />

brauchen, und eben nicht das Festland.<br />

Wie ist die Resonanz auf Ihre Kunst?<br />

Ganz unterschiedlich. Ich habe großes Glück, ich kriege<br />

wahnsinnig viel Unterstützung. Aber es gibt auch Ablehnung.<br />

Und mir ist auch schon alles vorgeworfen worden.<br />

Ich bin schon eine Stunde angebrüllt worden von jemandem,<br />

der meinte, meine Arbeit sei Gotteslästerung. Der<br />

Mensch an sich erträgt visuell die krassesten Dinge, aber<br />

im auditiven Bereich ist es überhaupt nicht so. Der Raum<br />

als kompositorisches Mittel auf der Ebene von Rhythmik,<br />

Melodik und Harmonik, das ist erst ganz stark durch die<br />

Computermusik gekommen. In der Klangkunst geht es<br />

häufig darum, dass der Raumklang an sich unglaublich<br />

reich sein kann, was Farben und Frequenzen angeht. Der<br />

kann auch an sich wandelbar sein, wie ein Morph, eine<br />

Skulptur. Wie Lehm, da ist Ton doppeldeutig, wie forme<br />

ich etwas im Raum?<br />

Sie haben einen ziemlich hohen Anspruch an Ihr Publikum,<br />

wieso?<br />

Ich glaube, weil es Spaß machen kann. Weil ich auch glaube,<br />

dass es ganz viele Leute gibt, denen es ganz ähnlich geht<br />

wie mir. Man muss den Anspruch sehr hoch schrauben,<br />

wenn man gute Bekannte treffen möchte.<br />

Wie wichtig ist elektronische Musik für Ihre Kunst?<br />

Die ist ziemlich wichtig. Die Frage ist natürlich, was elektronische<br />

Musik ist? Ich habe sehr wenig mit Clubmusik zu tun.<br />

Die Erzeugung von Klängen oder die Veränderung von Klängen<br />

am Computer hat ganz viel mit meiner Arbeit zu tun. Der<br />

Lautsprecher als Instrument spielt für mich eine große Rolle.<br />

Hören Sie privat elektronische Musik?<br />

Privat geht es gar nicht. Ich kann privat sowieso wenig Musik<br />

hören. Da ich mich in meiner Arbeit den ganzen Tag<br />

mit Hören beschäftige, ist das ein Problem. Ich kann mir<br />

das aber anhören im Club. Aber dann ist für mich natürlich<br />

ausschlaggebend, ob die Anlage gut ist. Ich höre sofort, ob<br />

da ein Arschloch am Werk ist, der die Leute umbringen<br />

will. Und immer dieser Nimbus mit der Lautstärke, die<br />

drehen die immer unglaublich hoch. Müssten sie aber gar<br />

nicht, wenn die Anlage gut wäre. Clubmusik ist auch nicht<br />

zum Hören da, sondern zum Fühlen.<br />

Was ist Ihr Lieblingsklang?<br />

Ich glaube, ich habe keinen Lieblingsklang. Weil aus dem<br />

Kontext herausgelöste Klänge nicht per se etwas sind. Ich<br />

mag aber zum Beispiel sehr hohe Frequenzen.<br />

Und der schlimmste?<br />

Oh, da gibt’s viele im Alltag. Presslufthammer im öffentlichen<br />

Raum oder meistens die erste halbe Sekunde bei der<br />

Lautsprecherdurchsage am Bahnhof. Ganz schlimm ist<br />

Berlin. Noch schlimmer Köln. Und diese Laubbläser.<br />

Wenn Sie jeden möglichen Raum auf der Welt bespielen<br />

könnten, welcher wäre es?<br />

Momentan träume ich von einem Raum, den ich selbst in<br />

seiner akustischen Architektur gestalten kann: Ein Gebäude,<br />

das an sich schon eine Installation ist, ohne dass ich es<br />

bespielen muss. Jemand geht rein und hört Geschichten,<br />

aber da ist nichts. Es ist nur der Raum und seine Akustik.<br />

Oder einmal für Yohji Yamamoto Musik machen.<br />

Wieso gerade für Yohji Yamamoto?<br />

Ich denke, es ist sein Umgang mit dem Material und die<br />

Verbindung von Tradition und High-Tech, was mir an Yamamotos<br />

Arbeit gefällt. Ich bin auch kein Anhänger von<br />

bunten Farben. Farblose Schlichtheit führt zu einer sehr<br />

konzentrierten Wahrnehmung. Die handwerklich perfekte<br />

Dekonstruktion von Schnitten und Formen und das Ermöglichen<br />

anderer Raumausdehnungen kann zu einer anderen<br />

Wahrnehmung von Körper und Raum führen. Und<br />

genau das finde ich auch wichtig, wenn man komponiert.<br />

Nur dann kommt es zu einem zweiten Angebot, das sich<br />

von dem, was wir sowieso schon alle wissen und erleben<br />

bzw. erlebt haben, als Alternative abzeichnet. Ich hoffe immer,<br />

dass darin der Schlüssel zum Wundern liegt.<br />

Gerriet K. Sharma ist mit seiner Soloausstellung Speicherlos<br />

noch bis zum 28. August am Kunstverein Bochum zu hören.<br />

www.kunstverein-bochum.de<br />

Foto: Nico bergMaNN, GKSH<br />

85<br />

Werk VI . Mixtape<br />

85<br />

Werk VI . Mixtape


David: T-Shirt<br />

von 5Preview<br />

Edem: Sweatshirt<br />

von The Shit Shop.<br />

Leggings: Vintage<br />

DROP<br />

86<br />

IT LIKE<br />

IT’S<br />

87<br />

Werk VI . Mixtape<br />

HOT *<br />

HipHop Deluxe:<br />

Viel Gold, kräftige<br />

Farben und<br />

fette Prints geben<br />

dieses Jahr den<br />

Ton an.<br />

*Snoop Dogg, 2004<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Fotocredit<br />

Fotos: Patrick Wüstner<br />

Produktion: Julia Balandynowicz,<br />

Virginie Henzen, Pina Pipprich<br />

Haare/Make-up: Jacqueline Nikuta<br />

Models: David/Splendide Models, Edem


88 89<br />

Fotocredit<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Edem: Top von 5Preview.<br />

Shorts von Levi’s.<br />

Mütze von Carhartt.<br />

Sneaker von Nike.<br />

Gürtel von Escada<br />

David: Hose von<br />

Minimum. Shirt von H&M.<br />

Sneaker von Nike<br />

Wollmütze von<br />

Funky Bling


90 91<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Edem: Jacke: Vintage.<br />

Top von H&M Trend.<br />

Schmuck: Stylists own<br />

David: Pullover von<br />

The Shit Shop<br />

Fotocredit<br />

Fotocredit


92<br />

93<br />

Fotocredit<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Edem: Kleid von Asos.<br />

Cap von River Island.<br />

Boots von Timberland.<br />

Schmuck: Stylists own<br />

David: T-Shirt von<br />

Snoop Dogg.<br />

Cap von New Era<br />

Jacke: Vintage.<br />

Schmuck: Stylists own


Edem: Pullover von<br />

The Shit Shop.<br />

Leggings: Vintage.<br />

Sneaker von Nike.<br />

Kette von Mango<br />

David: Hose von<br />

Minimum. T-Shirt<br />

von 5Preview.<br />

Sneaker von Nike<br />

94<br />

95<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Werk VI . Mixtape


Mein Erstes Mal<br />

von Valentine Linke<br />

von Carmen Benker<br />

Schlagerkonzert<br />

Musikfestival<br />

96<br />

Werk VI . Mixtape<br />

B<br />

acksteinhäuser, Felder, Idylle. Das<br />

ist das Dörfchen Scheeßel in Niedersachsen.<br />

Einmal im Jahr, an<br />

einem Wochenende im Juni, ist es<br />

mit der Ruhe vorbei. Denn dann<br />

findet hier das Hurricane-Festival<br />

statt. Mit Indie, Techno und hartem<br />

Rock. In diesem Jahr sollte<br />

ich also in eine mir bis dato völlig fremde Musikwelt eingeführt<br />

werden: in die der Festivals.<br />

Die Aussicht auf drei Tage voller Dreck, Müll und ungewaschener<br />

Menschen löste bei mir bereits im Vorfeld Panik<br />

aus. Wieso sollte ich mein Bett gegen eine Isomatte und einen<br />

Schlafsack eintauschen? Für mich bis dahin ein Rätsel.<br />

An einem schwül-heißen Donnerstagnachmittag startete<br />

also meine Reise in das Ungewisse. In einem vollgestopften<br />

Kleinwagen machte ich mich gemeinsam mit meinen Mitbewohnern<br />

Eileen und Toko auf gen Westen. Was mich auf<br />

dem Hurricane, dem zweitgrößten Festival Deutschlands,<br />

erwarten würde, war mir zu diesem Zeitpunkt noch völlig<br />

unklar. Eingequetscht zwischen Zelt, Isomatte und einem<br />

Wasserkanister lauschte ich gespannt der Musik meiner<br />

festivalerprobten Mitbewohner.<br />

Kurz vor Hamburg erreichte uns die Unwetterwarnung<br />

des deutschen Wetterdienstes. Es wurde geraten, die Anreise<br />

um einen Tag zu verschieben. So kurz vor dem Ziel<br />

umzukehren kam für uns nicht infrage. Für viele andere<br />

wohl auch nicht. Wenige Kilometer vor unserem Ziel: Stau.<br />

Kleinere Menschentrauben bildeten sich um die Autos,<br />

viele stiegen aus, um sich die Beine zu vertreten. Am<br />

Straßenrand entleerten viele der Herren erst einmal ihre<br />

Blasen, um sich kurz darauf das nächste Dosenbier in den<br />

Rachen zu kippen.<br />

Es wurde gesungen, oder nennen wir es besser gegrölt,<br />

getrunken und gelacht. Schon bald hielt uns einer der<br />

Gröler sein blankes Hinterteil an die Scheibe. Für Eileen<br />

und Toko schien dies normaler Festivalalltag zu sein. Spät<br />

abends erreichten wir endlich das matschige Gelände, das<br />

sich an diesem Wochenende Parkplatz nennen durfte. Der<br />

Campingplatz war mittlerweile randvoll. Zelt an Zelt, wie<br />

die Ölsardinen. In völliger Dunkelheit bauten wir unseres<br />

auf. Die Taschenlampe gab nach einigen Minuten den<br />

Geist auf, und mittlerweile waren wir bis auf die Unterwäsche<br />

durchnässt. Wie viel schlimmer konnte es eigentlich<br />

noch werden? Nach einer Stunde Aufbau fielen wir wie<br />

Steine auf unsere Isomatten.<br />

Morgens um acht weckte mich Musik aus dem Nachbarzelt.<br />

Ein bunter Mix aus allem: Von Schnulze bis hartem<br />

Rock war alles dabei, was das Herz so früh am Morgen<br />

begehrt. Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen, dafür<br />

knallte nun die Sonne in unser Zelt. Der erste Schock: das<br />

Bad, oder der Container, der ein Bad sein möchte. Einzelne,<br />

eng aneinander liegende Duschköpfe. Weit und breit weder<br />

Spiegel noch Steckdosen. Ein Wochenende ohne Smartphone<br />

und Glätteisen? Nun gut, nach dem kurzen Schock<br />

und einer kalten Dusche ging es zurück ins Zelt, in dem<br />

Toko schon mit dem Frühstück auf uns wartete. Kellogs mit<br />

Milch und Likör. Ein stilechter Start in den Festivaltag eben.<br />

Einige Biere später ging es nachmittags Richtung Festivalgelände,<br />

endlos groß und voller Matsch. Die ersten<br />

Bands spielten bereits.<br />

Mit der Dämmerung wurde es immer voller vor der Bühne,<br />

vor der auch wir standen. Anscheinend wollten alle 70.000<br />

Besucher die Show von Rammstein hautnah miterleben.<br />

Den Abend ließen wir auf dem Campingplatz ausklingen,<br />

bevor am nächsten Morgen das gleiche Spiel von vorn<br />

begann. Nach zwei weiteren verregneten Tagen, vollgestopft<br />

mit Bands, von denen ich teilweise noch nie etwas<br />

gehört hatte, und vielen neuen Eindrücken, ging für uns<br />

am Sonntagabend mit dem Berliner Technoproduzenten<br />

Paul Kalkbrenner das Hurricane zu Ende.<br />

Jetzt hieß es wieder: Hallo Alltag, tschüss ausgelassene<br />

Partystimmung. Rülpser in der Öffentlichkeit samt den<br />

mittlerweile kaputtgelatschten Gummistiefeln zurücklassen.<br />

Festivals, ein Erlebnis, das mir mittlerweile nicht mehr<br />

gar so absurd erscheint. Drei Tage abschalten, je ungesünder,<br />

desto besser, und jegliche Manieren über Bord werfen.<br />

Was gibt es besseres? Was für andere Menschen Karneval<br />

oder Oktoberfest sind, werden für mich ab sofort Festivals<br />

sein, trotz Dreck und Gestank. Oder gerade deswegen.<br />

W<br />

ir erwarteten Schreckliches. Schon<br />

die absurd rosarote Abenddämmerung<br />

verstanden wir als ein<br />

unheilvolles Zeichen. So schlenderte<br />

ich mit meinem Freund im<br />

Schlepptau, der ununterbrochen<br />

Rosamunde-Pilcher-Witze machte,<br />

zur O2-World-Großkonzerthalle<br />

in Berlin. Völlig ahnungslos, jedoch ziemlich skeptisch.<br />

An diesem Abend würden wir eine Parallelwelt der<br />

Musik kennenlernen. Eine Welt, die für Mittzwanziger wie<br />

uns ein einziges Rätsel ist. Die seit Jahrzehnten nicht nur<br />

eine riesige, sondern auch eine konstante Fanbase hat. Und<br />

in der das Geld fließt wie in keinem anderen Musikgenre.<br />

Wir waren auf dem Weg zu einem Konzert der Schlagergröße<br />

Roland Kaiser.<br />

Kaiser war schon auf der Bühne, als ich schließlich einer<br />

Platzanweiserin unsere Karten hinhielt. Dass wir zu spät waren,<br />

zeigte erneut, dass wir uns auf völlig fremdem Terrain<br />

befanden. Welches Berliner Konzert fängt denn tatsächlich<br />

zur angegebenen Uhrzeit an?<br />

Und während ich noch total perplex versuchte, den<br />

Denkfehler unserer Verspätung nachzuvollziehen, öffnete<br />

sich uns die schwere Tür zur Konzerthalle.<br />

Wie eine peitschende Flutwelle schlug uns ein Schwall aus<br />

dröhnender Live-Musik und bunten Lichtern ins Gesicht.<br />

Mit offenen Kinnläden starrten wir die Ränge hinunter: Die<br />

Halle war randvoll. Halb taub, halb blind – Roland Kaiser<br />

hätte mit der Lautstärke der Musik locker mit einem Metallica-Konzert<br />

mithalten können – tastete ich mich mit meinem<br />

Freund an den Fersen die Treppe herab. Vorbei an hysterisch<br />

klatschenden Rentnern. An sich in den Armen liegenden<br />

Frauen. Und schunkelnden Großfamilien, die alle das<br />

gleiche Roland-Kaiser-Fanshirt trugen. Mit jeder Stufe begaben<br />

wir uns tiefer und tiefer in die heitere Zuckerwatteblase.<br />

Bis sie uns komplett verschluckt hatte.<br />

Schon völlig geschafft von dem Feuerwerk an Eindrücken,<br />

das alleine auf dem Weg zu unseren Plätzen auf uns eingeprasselte,<br />

schoben wir uns endlich zu unseren Sitzen durch.<br />

Die Stimmung, die die Halle füllte, war hier, mitten drin, so<br />

überwältigend, dass sie mich förmlich in meinen Stuhl drückte.<br />

Aus Angst, von dem mitsingenden Publikumschor davongetragen<br />

zu werden, klammerte ich mich an meinen Freund.<br />

Der Song, der uns zu unseren Plätzen begleitet hatte, war<br />

beendet. Um uns herum pure Euphorie. Auf der riesigen<br />

Leinwand erschien nun das gekonnte Lächeln von Roland<br />

Kaiser. Die Menge kreischte. Aalglatt auf der Bühne auf<br />

und ab schreitend, erzählte er eine kleine Anekdote. Dabei<br />

erinnerte er stark an einen alten Löwen, der einen Morgenspaziergang<br />

durch sein Revier macht. Bei den Backgroundsängerinnen,<br />

die alle lange, schwarze Glitzerkleider trugen<br />

und denen dasselbe Zahnpastawerbungslächeln ins Gesicht<br />

getackert war, verweilte er schließlich. Auf eine rhetorische<br />

Frage antwortete das Publikum schreiend mit dem Titel<br />

des nächsten Songs: „Schachmatt!!!“ Bingo, die korrekte<br />

Antwort, denn die Band donnerte aufs Neue los. Immer<br />

noch fassungslos nutzte ich die Gelegenheit und schaute<br />

mir die Menge genauer an. In der Reihe hinter uns tanzte<br />

eine Gruppe Frauen. Vielleicht Anfang Dreißig. Kleine<br />

Blazer über gemusterten Blusen. Kammsträhnchen. Föhnfrisur.<br />

Hätte einem auch in einer Bank begegnen können.<br />

Nur nicht grölend.<br />

Plötzlich durchbrach ein Saxofon den seichten Popbeat.<br />

In einem silbernen Glitzerkleid tanzte nun eine Frau mit<br />

ihrem Blasinstrument in die Mitte der Bühne. Als sie ihre<br />

rote Lockenfrisur im Scheinwerferlicht hin und her warf,<br />

erinnerte sie auf komische Weise an Tina Turner. Kaiser<br />

bückte sich inzwischen zu den Stehplätzen vor der Bühne<br />

runter und sammelte Rosen, die ihm entgegen gestreckt<br />

wurden.<br />

Nach zwei Stunden mit poppigen Hits über die Liebe,<br />

hatte Kaiser drei Anzüge durchgeschwitzt und die Show<br />

war zu ende. Während ich das Gefühl hatte, von dem ganzen<br />

zuckersüßen Herzschmerz einen klebrigen Mund zu<br />

haben, war die Energie der Fans nicht ein bisschen abgesunken.<br />

Im Gegenteil. Das Publikum hatte sich mittlerweile<br />

in eine Ekstase getanzt und gesungen. Zumindest sah es<br />

aus, als hätten viele eine Zigarette danach gebrauchen können.<br />

Wir hingegen waren völlig fertig.<br />

So ließen wir uns von einer Gruppe von Mädchen in Richtung<br />

S-Bahn treiben. Sie schunkelten immer noch. Und als<br />

eine von ihnen anstimmte, stiegen die anderen heiter ein. Ein<br />

Song über die Liebe. Da wurde mir bewusst: Schlager lebt.<br />

Und zwar nicht in einer fernen Galaxie, wo ich ihn vermutet<br />

hatte. Sondern mitten auf der Warschauer Brücke im Berliner<br />

„Szenebezirk“ Friedrichshain. Verrückt.<br />

97<br />

Werk VI . Mixtape


215 Meter über<br />

dem Boden – für<br />

Mascha keine<br />

außergewöhnliche<br />

Situation. Sie spielt<br />

die Querflöte in<br />

schwindelerregender<br />

Höhe<br />

zwischen<br />

himmel<br />

und Erde<br />

98<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Der Fotograf und Filmemacher Marat<br />

Dupri findet seine Motive erst in einer<br />

Höhe von mehreren hundert Metern –<br />

und das ohne Sicherung. Der junge<br />

Russe liebt es zu provozieren. Immerhin<br />

hat ihm das für eines seiner Fotos bereits<br />

den „Best of Russia“-Fotografiepreis<br />

eingebracht. Auch seine Youtube-Videos<br />

aus schwindelerregender Höhe sorgen<br />

dafür, dass Marat immer erfolgreicher wird.<br />

text: elena schröder fotos: marat dupri


Der 21-jährige<br />

Roofer Marat<br />

Dupri gewann<br />

2011 den<br />

„Best of Russia“–<br />

Fotografiepreis<br />

Ein schmaler Eisenträger, befestigt an<br />

einem 215 Meter hohen Radiomasten.<br />

Barfuß betritt sie das kalte Eisen.<br />

Der Wind weht stark, sodass ihr ihre<br />

blonden Haare trotz Zopf ums Gesicht<br />

wehen. Doch das stört sie nicht.<br />

Das Mädchen balanciert aufrecht bis<br />

an die Spitze des Eisenträgers. Mascha<br />

setzt ihre silberne Querflöte an,<br />

schließt die Augen und fängt an zu<br />

spielen. Eine Melodie mit solch weichen<br />

Klängen – perfekt, um dem Alltäglichen<br />

für einen Moment zu entfliehen.<br />

Freiheit. Und nicht zu vergessen:<br />

die wunderschöne Aussicht über die<br />

etwa 150.000-Einwohner-Stadt Elektrostal,<br />

in der Nähe von Moskau.<br />

Das sind Momente, die Marat Dupri<br />

faszinieren und die er mit seiner<br />

Kamera festhalten muss. Der 21-Jährige liebt es, hohe Gebäude<br />

oder stillgelegte Radiomasten zu erklimmen. Meist<br />

tut er dies zusammen mit Bekannten aus der Roofer-Community.<br />

Roofer sind junge Leute, oft im Alter zwischen 16<br />

und 26 Jahren, die ohne Sicherung auf Dächer klettern. Ursprünglich<br />

kommt dieser Extremsport aus New York, wo<br />

es 1990 die ersten Roofer gegeben haben soll. Doch mittlerweile<br />

hat sich der Trend des ungesicherten Kletterns auf<br />

Dächer vor allem in Russland verbreitet. Es ist eine Bewegung,<br />

deren Mitglieder der Drang zur Selbstüberwindung,<br />

der Nervenkitzel oder das Verlangen nach Freiheit treibt.<br />

Vorlieben innerhalb der Roofer gibt es verschiedene: Einige<br />

bevorzugen das Herumlaufen auf spiegelglatten vereisten<br />

Dächern oder Klimmzüge in freier Luft und in einer<br />

Höhe von mehreren hundert Metern über dem Boden. Andere<br />

lieben dort oben einfach nur das Gefühl, frei zu sein,<br />

das einer Meditation gleicht.<br />

Zu letzteren gehört auch der junge Fotograf Marat. Aber<br />

es sind vor allem die Motive in unfassbarer Höhe, die<br />

ihm seine größte Motivation für das Roofing liefern. Seine<br />

Fotos haben ihn in Russland – und mittlerweile auch<br />

in anderen Ländern – bekannt gemacht. „Ich liebe nicht<br />

ausschließlich das Roofing. Ich liebe vor allem das Ergebnis<br />

meiner Roofing-Touren“, sagt Marat. Bekannt zu werden<br />

und Anerkennung zu gewinnen – das ist es, was sich viele<br />

Jugendliche in Russland wünschen. Vor allem diejenigen,<br />

die in sozial schwachen Verhältnissen aufgewachsen<br />

sind und dieser Situation auch so schnell nicht entfliehen<br />

können. Manche entdecken das gefährliche und verbotene<br />

Hobby auch nur für sich, weil ihnen langweilig ist. Auch<br />

Marat hatte damals Langeweile. Er suchte nach Ablenkung<br />

im Internet und fand interessante Informationen zur<br />

Roofer-Szene. Kurz darauf erlebte er seinen ersten Ausflug<br />

nach oben. Und das, obwohl ihm die Ärzte damals sagten,<br />

er dürfe wegen einer Herzschwäche keinen Sport treiben.<br />

Seitdem lässt das Roofing nicht nur sein Herz besser<br />

schlagen, sondern gibt ihm auch noch einen Status, den er<br />

bisher nicht kannte. Denn die jungen Roofer werden von<br />

anderen für ihren Mut bewundert. Sei es in der Community<br />

oder aufgrund ihrer selbstgedrehten Youtube-Videos, in<br />

denen sie jeden Schritt ihrer Touren dokumentieren. Dazu<br />

zählt das etwa dreißigminütige Klettern auf Radiomasten,<br />

Denkmäler oder Brücken genauso wie das Einbrechen in<br />

die Zugänge zu Hochhausdächern. Um überhaupt so weit<br />

zu kommen, schrecken viele Roofer nicht davor zurück,<br />

tagelang um das Zielgebäude zu schleichen und den Bewohnern<br />

während der Code-Eingabe heimlich über die<br />

Schulter zu schauen.<br />

Stern meiner Träume heißt das Video, das Marat dabei<br />

zeigt, wie er in Moskau den 136 Meter hohen Stalinbau –<br />

ein Fünf-Sterne-Hotel namens Hilton Moscow Leningradskaya<br />

– erklimmt. Selbstverständlich ist er bis an die absolute<br />

Spitze geklettert, die ein Sowjetstern aus den 50er-Jahren<br />

schmückt. „Die Sprossen waren fast rostfrei“, sagt Marat. In<br />

Moskau hat er bereits fünf der sieben Stalinbauten, die sogenannten<br />

Sieben Schwestern, erklommen. Weil das bisher<br />

noch kein anderer geschafft hat, wird er in der Roofer-Szene<br />

Skywalker genannt. Ein Name, der darauf hinweist, wo sich<br />

Marat am wohlsten fühlt: ganz nah am Himmel, auf Dächern<br />

und Denkmälern in beängstigender Höhe. Dabei sei<br />

das Klettern, genauso wie das Dächer-Spazieren, „gar nicht<br />

so gefährlich wie alle immer denken“, sagt er. Man müsse<br />

währenddessen nur etwas vorsichtig sein, und das sei er ja<br />

schließlich auch. „Natürlich muss ich mich immer ein bisschen<br />

überwinden, aber am Ende lohnt es sich.“ Doch allein<br />

Vorsicht reicht nicht aus, Unfälle gibt es viele. Immer wieder<br />

sterben junge Leute während ihrer Roofing-Touren – durch<br />

Unachtsamkeit, ein versehentliches Stolpern im falschen<br />

Moment oder aufgrund rostiger Feuerleitern. Der Sturz in<br />

die Tiefe ohne Sicherung ist in den meisten Fällen tödlich.<br />

Die erste gefährliche Hürde ist aber das Vorbeischleichen<br />

an den Wachen vor potenziellen Roofing-Zielen. Wie<br />

wenige Monate zuvor in Ägypten: Aufgeregt warteten Marat<br />

und seine beiden Freunde Vitali und Wadim in einem<br />

Versteck, ganz in der Nähe der drei Pyramiden von Gizeh.<br />

Einmal die Aussicht von der Spitze der Cheops-Pyramide<br />

zu genießen, war ihre Vision. Sie ist nicht nur die älteste<br />

unter den drei Pyramiden, sondern mit ihren knapp 140<br />

Metern auch die höchste. Den Plan, die Pyramide zu besteigen,<br />

hatten die drei bereits vor Antritt ihrer Reise in Moskau<br />

geschmiedet. Jetzt kam es nur noch darauf an, ob sie<br />

diesen auch in die Realität umsetzen können. „Wir wussten,<br />

dass der Aufstieg kein Problem für uns wird, hatten<br />

aber Angst vor den Wachleuten, da das Klettern auf eine<br />

Pyramide natürlich strengstens verboten ist“, sagt Marat.<br />

Umzukehren kam jedoch nicht infrage. Wenn sich Roofer<br />

etwas vornehmen, ziehen sie es in der Regel auch bis zum<br />

Ende durch. Alles andere würde ihrem Ruf in der Szene<br />

schaden. Außerdem hat die Auseinandersetzung mit<br />

den Wachleuten auch immer etwas Anarchisches an<br />

sich. „Wir fordern gerne heraus“, sagt Marat und<br />

macht damit wieder einmal deutlich, wie groß<br />

das Verlangen nach dem Verbotenen ist –<br />

vor allem, wenn man aus einem Land wie<br />

Russland kommt.<br />

Fotocredit<br />

Der Zeiger sprang auf ein Uhr nachts. Mittlerweile schliefen<br />

die Wachleute oder waren nach Hause gegangen. Die drei<br />

ergriffen ihre Chance, schlichen sich über die Absperrung<br />

und erklommen die ersten Pyramidensteine. Niemand sah<br />

sie, deswegen hielt sie auch niemand auf. „Bis jetzt ist das<br />

meine aufregendste Roofing-Tour gewesen. Die Aussicht<br />

war einfach unbeschreiblich“, sagt Marat. Da klingt es fast<br />

wie ein Witz, wenn man sein Studienfach erfährt. Der Junge,<br />

der mindestens einmal im Monat gegen das Gesetz verstößt,<br />

sogar vor dem Klettern auf das Siebte Weltwunder<br />

der Antike nicht zurückschreckt, studiert tatsächlich Jura.<br />

In Russland ist das verbotene Klettern auf Gebäude kein<br />

schwerwiegendes Verbrechen. „Es ist wie bei Rot über die<br />

Straße gehen“, vergleicht Marat. „Wird man erwischt, gibt<br />

es schlimmstenfalls eine Geldstrafe.“ Die fällt so gering aus,<br />

dass sie nicht abschreckt, sondern die Jugendlichen eher<br />

noch zu ihrer Extremsportart ermutigt.<br />

Marat selbst hat nach vier Jahren Klettern die Aufregung<br />

vor seinen Touren schon längst verloren. Er ist auch nicht<br />

süchtig nach dem Adrenalinkick wie viele andere Roofer.<br />

Und trotzdem denkt er nicht ans Aufhören. In den Wolken<br />

kann er ganz er selbst sein. Dort stört ihn niemand. Dort<br />

kommt auch kein Mensch außer seiner Roofing-Freunde<br />

hin. Die Stadt liegt ihm zu Füßen. Er ist frei, weil er für<br />

einen Moment aus seinem öden Alltag ausbrechen kann.<br />

Und das ist sein Antrieb. Außerdem haben ihn seine Fotos<br />

weltberühmt gemacht. Solch ein Ruhm fühlt sich natürlich<br />

gut an in einem Land, das seinen Kindern nur wenige Perspektiven<br />

bietet. Dass sich Marat dafür selbst und seine Konkurrenz<br />

immer wieder überbieten muss, ist klar. Aber die<br />

Anerkennung in der Community ist einfach zu verlockend<br />

und der freie Fall, der ihn erwarten könnte, ganz weit weg.<br />

Auch Mascha, die zu dem Zeitpunkt der Aufnahme des<br />

Fotos mit der Querflöte im zweiten Monat schwanger war,<br />

hat schon lange keine Angst mehr vor den Risiken, die das<br />

Roofing mit sich bringt. Die 27-Jährige klettert solch einen<br />

Radiomasten sogar lieber an der Außenseite hoch, anstatt<br />

die innenliegende Feuerleiter zu benutzen. Denn das gibt<br />

ihr einen größeren Kick. Sie lehnt sich damit gegen das verstaubte<br />

Idealbild der typischen Hausfrau auf. Wie für Marat<br />

ist auch für Mascha das Roofing ein kurzer Ausbruch<br />

aus dem alltäglichen Leben in Russland. Und für dieses<br />

Glücksgefühl geht sie gern bis an ihre Grenzen. Nur 25 Minuten<br />

brauchten Mascha, Marat und die anderen, um den<br />

Stahlgiganten zu besteigen. Dies ist übrigens auch der Ort,<br />

den der Skywalker für sein bisher berühmtestes Werk auswählte:<br />

Das 2011 preisgekrönte Foto, auf dem statt Mascha<br />

ein Junge namens Alexej mit weit ausgebreiteten Armen<br />

von hinten zu sehen ist.<br />

Wenn Marat Dupri auf einem Dach herumschlendert,<br />

hört er laute Musik auf seinem MP3-Player. Am liebsten<br />

Electro oder beruhigende Lounge-Musik. Manchmal<br />

auch Goa-Trance. Sein momentaner Lieblingssong ist<br />

„Need You Now“ von der australischen Band Cut Copy.<br />

Fraglich, ob Marat bei dem Song an ein Mädchen oder an<br />

sein nächstes Ziel denkt – ein Gebäude, das er noch nie<br />

zuvor erklettert hat.<br />

101<br />

Werk VI . Mixtape


Aufstand<br />

der dandys<br />

Das neue Video der<br />

Dandys zu dem Sommerhit<br />

„My Girl“ wurde auf<br />

Mallorca gedreht. Die<br />

beiden tragen aktuelle<br />

Designerkollektionen,<br />

die Mädchen nicht<br />

Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, kennen keinerlei Regeln oder Einschränkungen<br />

und plädieren für den Ausbruch aus der elitären Modewelt. Gemeinsam<br />

gegen den Rest der Welt, so könnte das Motto der beiden Blogger von Dandy<br />

Diary lauten. Ihr Stilmittel ist die Provokation. Jetzt haben sich David Roth und<br />

Jakob Haupt wieder einem neuen Feld gewidmet: Sie machen Musik.<br />

text: Tina Meyer foto: Arturo martinez steele<br />

103<br />

S<br />

ommer, Sonne, Pool-Party. Gebräunte<br />

Mädchen in knappen<br />

Tanga-Bikinis lassen im Takt der<br />

poppigen Beats ihre Hüften kreisen.<br />

Um sich zu erfrischen, springen<br />

sie in den Swimmingpool oder<br />

nehmen eine kleine Champagnerdusche<br />

am Beckenrand. Zwischendurch<br />

wird lasziv Eiscreme<br />

von silbernen Löffeln geschleckt.<br />

Mittendrin: David Roth und Jakob<br />

Haupt, die Zeilen wie „She rocked my world through<br />

the night“ oder „My body is already in the danger zone“ in<br />

die Kamera trällern. Die Macher von Dandy Diary, einem<br />

der führenden deutschen Männer-Modeblogs, drehten ihr<br />

zweites von insgesamt drei geplanten Musikvideos auf der<br />

Urlaubsinsel Mallorca. Für ihr Musikprojekt bedienen sie<br />

sich jedes Mal unterschiedlicher Klischees und treiben sie<br />

auf die Spitze.<br />

David lebt in Berlin und ist Absolvent der Akademie<br />

Mode & Design im Bereich Modejournalismus, Jakob<br />

kommt aus Hamburg und ist studierter Politikwissenschaftler.<br />

Beide sind Jahrgang 1984 und kennen sich noch<br />

aus der Schulzeit. Auf ihrem Blog Dandy Diary treten sie<br />

als eine Art Modediktatoren in Erscheinung und wollen<br />

dem interessierten Volk zeigen, was modisch geht und was<br />

man auf keinen Fall tragen sollte. Dabei gehen sie ziemlich<br />

radikal vor, kennen nur Schwarz oder Weiß. Sie gelten<br />

als die Punks der Blogger-Szene und haben in der Ver-<br />

gangenheit vor der Kamera gekotzt, geschissen oder sich<br />

anpinkeln lassen, um zu demonstrieren, dass ihnen etwas<br />

gegen den Strich geht. Ganz so radikal sind sie heute nicht<br />

mehr, verwenden ihre Energie für größer angelegte Projekte<br />

und verpacken ihren Unmut in eine rotzige Sprache.<br />

Man könnte meinen, sie wollen einfach nur provozieren<br />

und immer noch einen drauf setzen. Aber es steckt doch<br />

wesentlich mehr dahinter.<br />

Am Anfang steht immer die Idee, unterschiedliche<br />

Bereiche mit der Mode zu verbinden, um den typischen<br />

Fashion-Blog-Stil aufzubrechen. Dabei spielen Jakob<br />

und David gern mit gängigen Klischees. „Wir möchten<br />

die Grenzen des klassischen Modeblogs weiter fassen<br />

und uns eben nicht nur auf geschriebene Berichterstattung,<br />

ein paar Instagram-Fotos von Goodie-Bags und hin<br />

und wieder ein paar Outfit-Posts reduzieren“, sagt Jakob.<br />

Und meint damit Projekte wie einen Fashion-Porno, in<br />

dem sich ein Pärchen in der Rückschleife anzieht, ein<br />

Designer-Quartett mit Kategorien wie „Sexyness“ oder<br />

„Cock-Size“ oder ein Video, bei dem sie im Juni während<br />

der Mailänder F/S-Show für 2014 von Dolce & Gabbana<br />

einen Flitzer über den Laufsteg schicken.<br />

Dass sie nun auch Musikvideos drehen, sei nur eine<br />

logische Konsequenz, sagt David. Schließlich sind Mode<br />

und Musik schon seit Jahrzehnten miteinander verbunden<br />

und Protagonisten aus der Musikszene versuchen<br />

sich schon seit einiger Zeit in der Welt der Mode. Dass<br />

Modeblogger jedoch Musik machen, ist neu, und darin<br />

liegt für die beiden auch der Reiz.<br />

Werk VI . Mixtape


104<br />

Werk VI . Mixtape<br />

„Da ich schon immer Musik gemacht und Songs produziert<br />

habe, ist das jetzt gar nicht so ein Riesending“, sagt<br />

Jakob. „Die Frage ist nur, warum ich das nicht schon viel<br />

früher gemacht habe.“ Als Kind hatte er Klavierunterricht:<br />

„Bei einer sexy Klavierlehrerin aus dem Iran, in die ich<br />

selbstverständlich lange verliebt war.“ Später fing er dann<br />

an, Gitarre zu spielen. Weil es cooler und bandtauglicher<br />

war und man damit Mädchen beeindrucken konnte. Seit<br />

er zwölf Jahre alt ist, spielt Jakob in verschiedenen Bands<br />

– von Punk-Hardcore über Electro-Pop bis zu Boygroup-Schnulz<br />

– Gitarre, Bass und Synthesizer.<br />

„Wenn mir jemand einen<br />

Kackhaufen schenkt, fühle ich<br />

mich nicht verpflichtet,<br />

das auf den Blog zu bringen“<br />

Auch David griff als Kind zur Gitarre. „Ich war nicht<br />

wirklich begabt und hinzu kamen auch noch meine kleinen<br />

Wurstfinger, die es noch schwieriger machten, die Saiten<br />

zu spielen.“ Für das Musikprojekt von Dandy Diary nahm<br />

David wieder Unterricht, dieses Mal im Gesang. Das kostete<br />

ihn viel Überwindung. „Ich stand da singend bei einer<br />

fremden Frau in der Privatwohnung, sie hatte ihre Hand<br />

auf meinem Bauch und es hieß nur: ,Los, noch mehr‘.“<br />

Ihr erstes Musik-Video zu dem Stück „Christmas Time“,<br />

das an Schnulzen von den Backstreet Boys oder ’NSync erinnert,<br />

erschien am 23. Dezember 2012. „Wie das Video zu<br />

einer Weihnachtssingle auszusehen hat, ist in der Popmusik<br />

seit Jahren festgelegt, daran haben wir uns orientiert. Genauso<br />

wie für die aktuelle Single ,My Girl‘ am Look eines<br />

Sommerhits“, sagt Jakob. Mit dem dazugehörigen Video<br />

bedienen sie dieses Mal das Klischee eines prolligen Sänger-Duos:<br />

Party, viel nackte Haut und Mädchen ohne Ende.<br />

Für „My Girl“ haben sie sich einen Gast eingeladen, den<br />

Rapper LayZee von Mr. President. „Das war einfach ein<br />

großer Wunsch von uns, ihn dabei zu haben. Durch seinen<br />

Hit ‚Coco Jambo‘ steht er symbolisch für den Sommer“,<br />

sagt David. Die beiden wollen mit ihren Songs die Charts<br />

stürmen und die Modewelt ein Stück öffnen. „Auch in prolligen<br />

Sommer- oder schwülstigen Weihnachtsvideos findet<br />

Mode statt und unterscheidet sich gar nicht sonderlich von<br />

den aktuellen Kollektionen der angesagten und teuren Modelabels“,<br />

findet Jakob. Und um das unter Beweis zu stellen,<br />

tragen sie auch genau das in ihren eigenen Videos: die Kollektionen<br />

der Saison, von Marken wie Selected Homme, Y-3<br />

oder Julian Zigerli.<br />

Doch vor allem, so scheint es zumindest, wollen die beiden<br />

ihren Spaß haben. David und Jakob tun generell genau<br />

das, worauf sie gerade Lust haben. Ohne Einschränkungen<br />

oder feste Regeln. Das gilt auch für die jährlich stattfindende<br />

Dandy-Diary-Party im Rahmen der Berliner Fashion Week,<br />

die mal zum Thema Punk in einem besetzten Haus stattfindet<br />

oder zu der unter dem Motto „Zirkus“ ein echter Elefant<br />

auftaucht. Ihre Regeln lauten dazu wie immer, dass es keine<br />

gibt. „Alles kann, nichts muss.“ Jeder Gast sei dazu eingeladen,<br />

einfach das zu tun, worauf er oder sie gerade Bock hat.<br />

Ähnlich halten es die beiden auch mit ihrem Blog. Dort<br />

haben sie nämlich keinen Bock auf Werbung und verzichten<br />

deshalb komplett auf den Verkauf von Bannern. Leben<br />

können sie so nicht von ihrem Blog. David ist Redakteur<br />

bei Fashiondaily.tv und Jakob ist freier Markenberater. Um<br />

ihre Projekte wie die Fashion-Filme und Videos produzieren<br />

zu können, müssen auch sie Kompromisse eingehen.<br />

Sie finanzieren ihren Blog teilweise durch ihre Partys und<br />

teilweise auch durch verkaufte Beiträge. „Es ist für uns in<br />

Ordnung, über einen Schuh zu schreiben, den wir selbst<br />

okay finden, wenn wir das Honorar dafür dann in unsere<br />

eigenen Projekte stecken können, die dann natürlich<br />

wieder in eine ganz andere Richtung gehen“, sagt David.<br />

Und diese Beiträge lassen sie sich gut bezahlen. 1.000 Euro<br />

kostet ein Advertorial auf Dandy Diary. Das sei zwar vergleichsweise<br />

teuer, selektiere die Anfragen dadurch aber<br />

auf natürliche Weise.<br />

Auch bei den teilweise großzügigen Geschenken der<br />

Designer vertreten sie eine klare Meinung. „Wenn mir jemand<br />

einen Kackhaufen schenkt, fühle ich mich nicht verpflichtet,<br />

das auf den Blog zu bringen“, sagt Jakob. „Aber<br />

wenn mir jemand ein schönes Paar Schuhe schickt, über<br />

das ich mich sehr freue, ziehe ich die auch gerne an und<br />

poste vielleicht ein Foto auf Dandy Diary.“<br />

In Modeblogs und der Tatsache, dass das Geschehen vor<br />

den Veranstaltungsorten der Modenschauen mittlerweile<br />

fast wichtiger ist als die Schauen selbst, sehen sie die Demokratisierung<br />

der Modewelt und einen Ausbruch aus den<br />

elitären Kreisen. Das sei eine positive Entwicklung und das<br />

eher schlechte Ansehen der Blogger in Deutschland auf<br />

Unwissenheit zurückzuführen. „Alles, was anders ist, was<br />

das Volk nicht kennt, ist gleich negativ behaftet“, kritisiert<br />

David. „Wenn man hingegen in anderen Ländern wie den<br />

USA einfach anders ist, wird einem dafür auf die Schulter<br />

geklopft.“ Dieser Zustand in Deutschland könne viel zerstören<br />

und lasse einem gar nicht mehr die Freiheit, neue<br />

Ideen zu entwickeln und sich einfach frei zu entfalten.<br />

David und Jakob plädieren für das Bloggen, egal ob professionell<br />

oder nicht. „Jeder, der etwas postet, ob gut oder<br />

schlecht, hat zumindest die Chance, gesehen zu werden,<br />

zeigt Engagement und produziert etwas“, sagt David. So<br />

sind auch die zwei Dandys zu recht stolz auf ihren Blog<br />

und ihre Arbeit, mit der sie sich international einen Namen<br />

gemacht haben und der sich durch seine Radikalität von<br />

anderen unterscheidet. Dies sei aber gar nicht unbedingt<br />

ihr Anspruch. „Wir wollen gar nicht bewusst anders sein,<br />

aber wir wollen eben auch nicht so sein wie die anderen“,<br />

sagt Jakob. „Wären die cooler und besser und kreativer und<br />

auch schöner, dann wäre das vielleicht etwas anderes.“<br />

Während der Dreharbeiten<br />

zu ihrem<br />

Video „My Girl“<br />

posieren David<br />

Roth (li.) und Jakob<br />

Haupt in Dixie-Klos –<br />

warum auch nicht?<br />

105<br />

Werk VI . Mixtape


Kinder<br />

der Nacht<br />

Es ist dunkel, verraucht, der Bass vibriert, die Lichter<br />

kreisen im Warehouse-Club und lassen die tanzende Meute<br />

für eine kurze Sekunde in hellem Licht erscheinen. Klick. Eine<br />

Momentaufnahme. Anfang der Nuller Jahre hat der englische<br />

Fotograf Mark Henderson die Jugend- und Clubkultur in<br />

Manchester festgehalten und mit seiner Arbeit 24HR Party<br />

People den Stil einer ganzen Generation eingefangen.<br />

106<br />

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Werk VI . Mixtape<br />

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Werk VI . Mixtape<br />

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111<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Werk VI . Mixtape


112<br />

113<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Mark Henderson untersucht mit seinen<br />

Fotografien, die meist aus Porträts bestehen,<br />

kulturelle und soziale Zusammenhänge.<br />

Selbst schreibt er sich keinen künstlerischen<br />

Anspruch zu, das lässt er lieber andere Leute<br />

entscheiden. Sein Interesse an Clubkultur<br />

hängt mit den sozialen und gemeinschaftlichen<br />

Ideen zusammen. Dazu sagt er: „Eine gute<br />

Zeit haben, durch das Land reisen und<br />

gute Musik hören. Schmeiß noch ein paar<br />

synthetische Drogen mit rein und deine<br />

kreativen Möglichkeiten sind unermesslich.“<br />

Für sein Projekt 24HR Party People porträtierte<br />

Henderson die Gäste im The Warehouse<br />

in Manchester, einem der ersten und<br />

legendärsten Techno-Tempel Englands.<br />

Die Arbeiten entstanden Anfang der Nuller<br />

Jahre. – Virginie Henzen<br />

www.markhenderson.info<br />

Werk VI . Mixtape


Mode Design (B.A.)<br />

Mode- und Designmanagement (B.A.)<br />

Visual and Corporate Communication (B.A.)<br />

(Marken- und Kommunikationsdesign)<br />

Modejournalismus / Medienkommunikation<br />

(Bachelor-Aufbauprogramm in Kooperation mit<br />

der University of Wales, Newport möglich)<br />

INFOABEND<br />

am Dienstag den 13. August 2013<br />

um 19 Uhr<br />

und am Dienstag den 10. September 2013<br />

um 19 Uhr<br />

114<br />

Werk VI . Mixtape<br />

Nähere Infos und Voranmeldung<br />

unter www.amdnet.de<br />

per mail berlin@amdnet.de<br />

oder telefonisch 030 -33 09 97 6-18<br />

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Franklinstraße 10<br />

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